Die Hausgemeinschaft feiert Sylvester.
Das Jahr neigte sich langsam dem Ende zu. Nur noch zwei Tage, dann war es geschafft.
Ich hoffte, dass das alte Jahr einem ruhigen und gesitteten Platz machen würde, dass alles in Erfüllung gehe, was ich mir heimlich wünschte; vor allem aber, dass hier Ruhe und Ordnung Chaos und Wahnsinn ablöse. Aber dafür müsste ich wohl umziehen.
Das ich das nächste halbe Jahr aber weitgehend in einer Achterbahn verbringen würde, hätte ich mir nie träumen lassen.
Ganz ihr Versprechen einhaltend, waren Susi und Dirk mit der Planung und Durchführung der Party beschäftigt. Entsprechende Einladungen hingen bereits am schwarzen Brett.
Diese Party trug den Titel: "Sylvester mit berühmten Personen der Geschichte."
Natürlich sagten wieder einmal alle zu.
Außer Julia.
Deshalb oblag uns, Hannah, Guido, Rebecca und mir, die Aufgabe, Julia davon zu überzeugen, dass die Leute im Haus zwar leicht am Rad drehten, aber sonst vollkommen harmlos sind.
Mit dem Sprichwort: "Bellende Hunde haben keine Zeit zum Essen." wollte Guido ihr dieses nahe bringen. Daraufhin entschieden Rebecca und Hannah, dass sie mit ihr reden wollten. Von Frau zu Frau eben.
Wie es die Dinge hier so wollten, hatte der Zufall dann seine Hände hilfreich im Spiel.
Für den dreißigsten Dezember war ein gemeinsames Frühstück bei Hannah und Guido angesetzt. Wie es ein gutes Frühstück will, gehören frische Brötchen dazu. Deshalb ging Hannah zum Bäcker und fing auf dem Rückweg Julia ein. Ihrerseits ebenfalls auf dem Weg zum Frühstück. Hannah meinte dazu nur. "Das Geld kannst Du sparen, komm mit zu uns." Ehe Julia sich versah, saß sie mit uns am Tisch zum gemeinsamen Frühstück.
Es war schon etwas seltsam.Keiner sprach, denn wir wollten eben keine Fehler machen. Wollten ihr zeigen, dass wir ganz normal waren. Außerdem spricht man beim Essen ja nicht.
Rebecca machte dann doch irgendwann den Anfang. Da konnte sie ihre Neugier nicht mehr zügeln.
Sie ermunterte Julia doch einfach etwas von ihr zu erzählen.
Das war offensichtlich nicht so einfach für sie. Wildfremden etwas aus ihrem Leben zu erzählen, gehörte nicht zu ihrer alltäglichen Routine.
Julia kam aus einem kleinen Örtchen an der Ostseeküste. Dort war das Beobachten von Ebbe und Flut das Interessanteste am täglichen Leben. Deshalb wollte sie in die große weite Welt, um das Leben zu erleben. Ich wusste nur nicht, warum sie das Leben von der härtesten Seite kennenlernen wollte, aber es musste ja einen Grund geben, weshalb ihre Wahl ausgerechnet auf die Heinrich-Heine-Straße 30 fiel.
In dem kleinen Ort gab es natürlich auch den Herzensbrecher schlechthin. Wie es kommen sollte, so kam es dann auch. Sie verliebte sich in ihn. Das war natürlich leicht. In einem kleinem Ort ist halt jede mal an der Reihe. Für den selbsternannten Adonis war sie allerdings nur ein Stein im Weg seines Erfolgs. Ich beneide ja solche Menschen insgeheim. Keine Konkurrenz, mit den Fingern geschnippt und schon ist die Braut da! Herrlich.
Sie aber schlug alle Warnungen seiner Ex-ex-ex-ex und Ex-ex-ex-exfreundinnen in den Wind, fiel auf ihn herein und stand am Ende vor den Trümmern ihrer Liebe.
Offenbar entwickelt sich das Haus hier zu einer Anlaufstelle der Enttäuschten und Gebrochenen und Mutter Elisabeth wird hier noch die Beichtmutter!!
Rebecca und Hannah fanden da sehr viel Gemeinsamkeiten mit Julia und konnten daher auch verstehen, dass sie unbedingt den Ort der Schande verlassen wollte. Wie sie denn auf diese Wohnung gekommen sei?
Sie war Anfang Dezember in der Stadt und laß die Annonce, welche Frau Plattmann in die Zeitung setzte, machte einen Termin mit ihr zur Wohnungsbesichtigung und dann zog sie ein. So einfach war das! Der Zeitpunkt war etwas dumm gewählt. Da Weihnachten und nun auch Sylvester allein... Aber das war wohl das Leben. "Hast Du unsere Einladung am schwarzen Brett nicht gelesen?", wollte Susi dann wissen.
"Doch, aber ich dachte, das ist nur für die Alteingesessenen. Ich wohn ja hier noch nicht so lange."
Aha, Madame glänzte hier mit Bescheidenheit.
"Die war an ALLE im Haus. Auch an Dich. Du bist immernoch recht herzlich eingeladen."
Dieses wurde von Guido mit heftigem Kopfnicken begleitet. Ich dachte schon, dass er sich hier und heute das Genick bricht. Wir klärten sie in den folgenden zwei Stunden über die verschiedenen Persönlichkeiten, mit den entsrechenden Spaltungen, auf. Nahmen ihr sozusagen die Scheu und bereiteten sie auf eine Feier im Kreise der Hausgemeinschaft vor. Wir erzählten etwas über die Weinprobe, Frau Plattmanns Geburtstag; all die netten Dinge, die sie hier schon verpasst hatte. Das fand sie toll. Besonders die Berichte über das Tanzen um den Tisch und fragte: "Kommt die Polizei eigentliches jedes Mal?" Das konnten wir ruhigen Gewissens bestätigen.
Zwei Feiern mit Frau Blum.
Zweimal war die Polizei hier. Hoffen wir auf morgen, wenn die mobile Streife wiederkommt!
Damit war sie dann zufrieden und sagte ihr Erscheinen zu. Als die Tür öffnete, hörten wir Frau Dickerhoff im ersten Stock mit Frau Plattmann streiten.
Frau Dickerhoff war das kongeniale Abbild Frau Plattmanns von Nummer einunddreißig.
Sie machte ihr gerade klar, dass sie zu Sylvester keine Probleme von unserer Hausgemeinschaft erwartete. Frau Plattmann sagte nur vier Worte: "Hau ab, alte Schachtel." Da konnten wir sicher sein, dass die Polizei zum Dauereinsatz kam. Ich schlug Susi und Dirk vor, doch zwei Gedecke mehr aufzutragen, vielleicht sind die Beamten ja hungrig und vom Durst geplagt. Wir müssten eben auf alle Eventualitäten vorbereitet sein.
Meine liebe Rebecca tippte sich nur vielsagend an die Stirn. Offenbar übersah sie hier das Ausmaß der Unterhaltung im ersten Stock. Naja, das Ergebnis werden wir ja morgen sehen.
Der Rest des Tages wurde dann damit verbracht, um sich der Verkleidung für die Party zu widmen. Rebecca und ich waren morgen Kaiser Franz Josef I. und Elisabeth von Österreich-Ungarn, letztere besser bekannt als Sissi.
Sie war der Kaiser, ich die Kaiserin. Es war nicht meine Idee.
Ich habe noch ihre Worte im Ohr: "Ach, komm. Man muss alles mal ausprobieren!". Ob cross-dressing da dazu gehört, wollte ich bezweifeln. Sie sagte nur noch, dass es im Haus eh keiner sieht, damit war ich einverstanden.
Hannah und Guido waren als Monica Lewinsky und Bill Clinton auf der Party.
Guido tuschelte noch irgendwas von "... muss noch Zigarren besorgen..." und verschwandt.
Einzig Susi und Dirk wollten partout nicht verraten, wen sie darstellten.
Die Party war für neunzehn Uhr angesetzt.
Ab ca. fünfzehn Uhr war ich damit beschäftigt, eine österreichische Kaiserin aus mir zu machen. Ich zwängte mich in Mieder, Korsett und halterlose Strümpfe (blickdicht!), dann kam das Kleid.
EIN TRAUM IN WEISS.
Rebecca ermahnte mich zu aufrechter Haltung und versuchte den Reißverschluss an der Rückseite zu schließen. Das war, da sie aber mindestens vier Nummern kleiner trägt als ich, kein leichtes Unterfangen.
Zur Krönung kamen dann aber nicht Kaisermutter und -vater, sondern der Satz: "Sag mal, hast Du zugenommen?"
"Wann hast Du mich das letzte Mal in Deinen Klamotten gesehen, Schatz?"
Nachdem sie mir zweimal etwas Haut vom Rücken in den Reißverschluss eingearbeitet hatte, ließ der sich auch schließen. Ich solle nicht ausatmen und beim Laufen darauf achten, dass ich nicht wie ein Bauer in Gummistiefeln über's Feld renne, sondern als Kaiserin daherkomme. Meine Laune erreichte hier kurz den Siedepunkt. Dann malte sie mir die Nägel an, steckte mir die Perücke fest und sagte nur: "SCHICK!" Ich schaute in den Spiegel und wusste, heute Abend in einer anderen Stadt, in einem anderen Land, würde mir die Bevölkerung ausnahmslos zu Füßen liegen.
Sie zog eine rote Hose mit gelben Seitenstreifen an, nahm mein weißes Jacket und legte eine Schärpe in den Nationalfarben Österreichs darüber. Ich wusste nicht, wer ihr diesen Ersatzbart gegeben hatte und wollte auch nicht fragen, aber er sah täuschend echt aus. Sie imitierte eine tiefe Stimme, doch es hörte sich vielmehr an, als ob Kaiserliche Hoheit im Stimmbruch war. Rebecca war dann aber fertig und pünktlich neunzehn Uhr holten Bill und Monica uns ab. Guido hatte sich von irgendwo her solch eine Prominentenmaske besorgt und sah Bill Clinton täuschend ähnlich. Zwei Flaschen Champagner, eine Flasche Rum, sowie eine große Menge Knallerei verteilten sich großzügig auf zwei Plastiktaschen.
Hannah, alias Monica hatte sich die Haare im Stile der Dargestellen zurecht gezupft, trug ein blaues Kleid, schwarze Strumpfhosen und High-heels.
Wir waren soweit, der Abend konnte beginnen.
Die Tür zur Nachbarwohnung stand offen, Lärm und Musik erfüllten das Haus.
Wir erregten natürlich etwas Aufmerksamkeit bei unserem Erscheinen. Die Anderen hingegen brauchten sich aber nicht zu verstecken. Ich glaubte anfangs zu träumen, als ich die Wohnung betrat.
Frau Plattmann war Mutter Teresa; Claudia Mellrich Mata Hari; Ullrich Mellrich Charlie Chaplin; Herr Gärtner Wladimir Ilitsch Lenin; Frau Blum Cleopatra; Herr Täuber Otto von Bismarck;
Aber Julia... Plötzlich stand Marilyn Monroe in der Tür. Die machte kurz "hi hi" und war drin.
Die ausgefallendsten Kostüme allerdings trugen Susi und Dirk. Angela Merkel und Hellmut Kohl.
Guido und Dirk waren wohl gemeinsam einkaufen, denn Hellmut II. grinste wie das Original. Er hatte sich ein Kissen um den Bauch gebunden und bei der Kleiderspende des Roten Kreuz einen Anzug ergattert, der ihm vier Nummern zu groß war.
Susi hatte einen undefinierbaren Farbton in den Haaren, trug grau-in-grau und sprach mit starkem Berliner Akzent.
Der Tisch bog sich unter der Last der Speisen und Getränke.
Da waren Salate, Schnittchen und Häppchen. Kalte Schnitzel, kalte Klopse, eine Käseplatte.
Das Angebot der Getränek reichte von Saft und Wasser, über Bier und Wein, bis zu Champagner. Hier konnte man wenigsten ungestört das alte Rom, oder Sodom und Gomorrah auferstehen lassen. Ich sah in Gedanken schon den Reißverschluss meines Kleides allein nach Hause gehen.
Mutter Tereza gab noch schnell die Marschroute für den Abend aus. "Nur für den Fall, dass die alte Dickerhoff hier klingelt, lasst euch die Einladung zeigen. Hat sei keine, jagt sie weg." Ich wusste da schon, dass Probleme unweigerlich vorprogrammiert waren.
"Bist Du hungrig Liebste?", fragte Rebecca irgendwen. Da ich es ja nicht gewohnt war, in der weiblichen Form angesprochen zu werden, ignorierte ich sie völligst. Ein kaiserlicher Tritt gegen meine Wade sicherte ihr dann meine uneingeschränkte Aufmerksamkeit. Ich war nicht nur hungrig, sondern auch am verdursten.
Mein Kaiser brachte mir einen Teller gemischtes und ein Glas gemixtes. Schön, wenn man den anderen gut kennt, da ergibt sich kein Raum für etwaige Unannehmlichkeiten.
Musikmäßig jagte ein Hit den nächsten und wir konnten uns im Disco-fox für Fortgeschrittene üben.
Herr Täuber zeigte zusammen mit Frau Plattmann einige Tangoschritte. Das sah natürlich so einfach aus, das musste jeder probieren. Glücklich war Kaiserin Sissi, dass ihr Kleid da doch arg drückte...
Als unsere Mata Hari einen Cha-cha-cha auf's Pakett legte und dem geneigten Zuschauer ihre körperliche Vorteile zeigte, wurde der liebe Guido etwas nervös bei diesem Anblick, glücklicherweise stand seine geliebte Hannah dicht hinter ihm, um schlimmeres zu verhindern.
Verhindern konnte allerdings niemand den Auftritt der Beamten der Polizei.
Wir hielten sie anfangs für irgendwelche Spinner, die von Haus zu Haus zogen und in ihrer Rolle der Beamten aufgingen. Das änderte sich allerdings, als echte Polizeimarken vorgezeigt werden konnten.
Sie hätten da eine "anonyme Anzeige" aus einem der Anwohnerwohnungen, wegen erheblicher Lärmbelästigung.
Für "Mutter Teresa" war die Sache klar: "Ist das die alte Dickerhoff gewesen? Die ist nur beleidigt, dass sie nicht eingeladen ist!"
Zu unserem Glück war der Abend noch nicht fortgeschritten, so dass die Beamten uns relativ nüchtern erlebten. Die zwei waren auch noch nie hier. Offensichtlich waren ihre Kollegen der Meinung, dass Irre immer von den neuen Kollegen behandelt werden sollten. Die Beamten wünschten uns noch eine schöne Party und einen lustigen Abend bevor sie wieder gingen, aber irgendetwas sagte uns, dass sie bald wieder hier sein würden.
Während die Stimmung stetig stieg, nahm das Verpflegungsangebot rasant ab. Tanzen machte durstig und so leerten wir Flasche um Flasche, die Wirkung blieb natürlich nicht lange aus und Herr Täuber war dann auch der Meinung, dass man Frau Dickerhoff einen Besuch abstatten sollte. Unbedingt. Normalerweise meldet sich an dieser Stelle ja stets der gesunde Menschenverstand, aber der war diesmal mit Alkohol betäubt und blieb still.
So zogen wir los.
Vor ihrer Tür stellten wir uns in einer Reihe auf, als Frau Dickerhoff dann die Tür öffnete, gab Herr Täuber das Startzeichen und unter lautem Singen zogen wir in Form einer Poloniase durch ihre heiligen Räume. Muss schon ein komisches Bild gewesen sein. Frau Dickerhoff betrachtete unsere ausgelassene Party mit sichtlichem Missfallen. Sie kam sich offenbar wie in einem schlechten Traum vor, aus welchem es kein schnelles Erwachen gab.
Zurück in Susi und Dirks Wohnung fieberten wir den letzten Stunden bis zur Jahreswende entgegen. Wir stellten Julia auf den Wohnzimmertisch, besorgten uns von Susi einen Fön und wollten gerade Marilyn Monroes berühmte Szene im weißen Kleid nachspielen, als es wieder an der Tür läutete.
Polizei.
Wir müssen wohl recht seltsam ausgesehen haben, denn die Beamten sagten zunächst gar nichts.
Sie schauten etwas verwirrt in die Runde, Julia versuchte noch in aller Eile ihre Beine zu verstecken, aber der Fön war da schon an. Den zog Rebecca mit beherztem Griff aus der Steckdose, wir sammelten uns und stellten uns auf das Schlimmste ein.
Die Beamten hätten da eine Anzeige wegen Hausfriedensbruch. Bei diesen Worte erbleichte Herr Mellrich sichtlich, seine Frau bat Susi um einen Pullover um ihre Blöße zu verbergen, Dirk und Guido nahmen in aller Eile ihre Masken ab, Rebecca den falschen Bart und Perrücke. Einzig Herrn Täuber und mir blieb nichts anderes übrig als in unserer Kostümierung auf das zu warten, was da kommen mag. Das war dann wenig erfreulich, denn die Beamten baten uns höflich zwecks Zeugenaussage auf das Revier.
Meine Frage, ob es mir denn erlaubt wäre, meine Erscheinung zu wechseln, wurde mit einem stricktem NEIN abgewehrt. Nun ja, vielleicht wollten die Beamten auf dem Revier einfach auch noch etwas Spaß haben. Wer weiß?!
Wir fuhren im grün-weißen Taxi quer durch die Stadt, natürlich konnte uns da auch jeder sehen. Aber dies stärkt den Zusammenhalt in der Hausgemeinschaft ungemein. Mit denen wird es wenigstens nie langweilig.
Ankunft auf der Wache, uns wurde wie es sich für guten Service gehört, die Tür aufgehalten, dann zügigen Schrittes ins Innere und dann waren die Beamten im Kino, oder sahen sich in der Zeit zurückversetzt.
Nicht nur die Beamten fühlten sich wie in der Zeitmaschine. Wir auch, denn die Inneneinrichtung des Reviers erinnerte an die Zeit der siebziger Jahre. Die Emaillefarbe an den Wänden hatte einen Schimmer von heller gift-grüner Farbe. Die übrig gebliebene Weihnachtsdekoration nadelte fröhlich vor sich hin. Die Schreibtischlampen ließen sich garantiert auf ein wohliges Dämmerlicht dimmen. Einige der Beamten saßen offensichtlich nur noch hinter ihrem Schreibtisch. Sie waren, nennen wir das mal füllig um die Hüften. Die einzige Ausnahme waren da die Beamten Kohlmeier und Böttcher. Beide sahen aus, wie direkt aus dem Werbeprospekt der Polizei entsprungen. Fräulein Kohlmeiers lange blonde Haare fielen in dichten Locken auf ihre Schultern. Ihre Uniform war eindeutig figurbetont. Herr Böttcher war spielend in der Lage, einige bekannte Darsteller aus dem Fernseher zu doubeln. Bürstenhaarschnitt, breite Brust und breite Schultern, um die ich ihn ja heimlich beneidete.
Wir fügten uns nahtlos in dieses bunte Geschehen ein, sorgten hier und da für einige Farbtupfer, sowie lachen und ungläubige Blicke. Es war nun schon dreiundzwanzig Uhr und leider passierte erstmal gar nichts. Wir saßen auf den harten Holzbänken zusammen mit stark alkoholisierten Personen. Einige von denen hatten schon einen guten Rutsch gehabt, denn sie bluteten und hatten leichte Verfärbungen an den Augen.
Ich war der einzige, dem die Verkleidung etwas zu schaffen machte. Ich stand auf und bat um eine Decke, damit ich wenigstens das Kleid loswerden konnte.
Angesichts meiner Verfassung und der Zwangslage, in der ich steckte, erfüllte man mir meinen Wunsch auch. Ich stellte mich dann vor Rebecca, um mir den Reißverschluss öffnen zu lassen. Es war ein solch befreiendes Erlebnis, endlich wieder normal atmen zu können.
Dann ging es los. Jeder wurde einzeln befragt.
Was ich mir denn dabei gedacht hätte, einfach so in fremde Wohnungen zu gehen.
"Naja, es ist Sylvester, Frau Dickerhoff ist allein und wir dachten, es wäre eine gute Idee. Zumal sie sonst wenig zu lachen hat. Es war auch nicht einfach so in fremde Wohnungen, denn erstens haben wir geklingelt und zwar dort, wo der Name Dickerhoff am Klingelschild stand und sie hat ja auch geöffnet."
Ob ich mir bewusst sei, dass wir mit unserem Tanz sie fast zu Tode erschreckt hätten?
"Gut, sie war etwas sprachlos, aber kurz vor dem Tod stand sie mit Sicherheit nicht!" Ich fügte noch hinzu, dass der Tanz eine wohl einstudierte Polonaise war.
Dem Beamten kamen hier wohl erste Zweifel an der Richtigkeit dieser Befragung. Doch nicht nur ihm, seinen Kollegen erging es ähnlich.
Er konfrontierte mich mit folgender Frage. "Sie können Frau Dickerhoff nicht besonders leiden?"
"Sprechen Sie mit dem Kollegen, der Mutter Teresa, ich meine Frau Plattmann, befragt hat. Multiplizieren sie dann das Verhalten und die Antworten mit zehn, dann haben sie einen leisen Vergleich. Außerdem bin ich der Meinung, dass man vor einer schwarzen Witwe Angst haben sollte, das hat nichts mit Sympathie zu tun."
Er verstand den Vergleich mit einer schwazen Witwe nicht, deshalb schuf ich klare Bilder.
"Sie sieht aus wie eine alte Sizilianerin, vor der sogar der Dorfpate der Mafia Angst hat." Das verstand er dann.
"Ihre Kollegen waren ja heute schon zweimal auf unserer Party. Was eigentlich gar nicht nötig war. Das fand nur statt, weil Frau Dickerhoff nicht eingeladen war. Aber sie feiert ja immer allein. Geburtstage, Weihnachten, Ostern und heute war sie wohl besonders schlechter Laune. Wenn sie keinen Spaß hat, dann sollen andere wohl auch keinen haben."
Nachdem wir zwei Stunden auf dem Revier saßen, waren wir entlassen. Nun standen wir davor und natürlich gab es weder Taxi, noch Bus, noch Straßenbahn. Gegen Ein Uhr und dreißig erwischten wir endlich einen Taxibus für uns alle. Wir wünschten dem Fahrer ein Frohes Neues Jahr und stiegen ein. Der sah angesichts der illustren Gesellschaft wenig glücklich aus, uns war das aber egal.
Eine halbe Stunde später waren wir dann in der Heinrich-Heine-Straße und holten die verlorenen Stunden nach.
Der vorläufige Höhepunkt war mit dem Umfallen des Tischfeuerwerks und anschließendem Feuerfangen der Papiertischdecke erreicht.
Ein beherzter Griff Guidos zum Aquarium verhinderte schlimmeres. Fünfzig Liter Wasser können so ein Feuer mühelos ersticken. Das entzog den Fischen aber auch ihren gewohnten Lebensraum. Schnelles und umsichtiges Handeln von Rebecca und Susi rettete den Fischen das Leben. Sie wohnen nun vorübergehend in der Badewanne.
Irgendwann in den nächsten Tagen stand im Hause Meier eine Renovierung an. Das Wasser hinterließ nicht nur Spuren auf dem Tisch, sondern ebenso auf den Polstern und der Wand.
Das Neue Jahr war schon sechs Stunden alt, als alles verzehrt und zum Aufbruch bereit war.
Leider übersah ich die Tatsache, dass ich noch immer als Kaiserin verkleidet war und deswegen noch lackierte Nägel und ein geschminktes Gesicht hatte. So verbrachte ich weitere fünfundvierzig Minuten im Badezimmer und fiel danach selig ins Bett.
Die Genickschussbar
Jeden Monat versammeln sich unsere Frauen in abwechselnder Reihenfolge in unseren Wohnungen, um einen Frauenabend durchzuführen.
Das ist für den verbliebenen Männerrest die einmalige Gelegenheit ohne große Ausrede auf Tour zu gehen. Das endet meistens im Alkohol in diversen Bars und Kneipen. Wir gingen meistens in die Genickschussbar, oder ins blaue Piano. Das Blaue Piano ist mehr eine Nacktbar, als eine gewöhnliche Kneipe. Aber mittwochs ist da immer "Tanz der Eleganz". Da bleiben die Frauen bekleidet und eine Tanzkapelle spielt ein Pottpouri aus hundertsechzig Jahren Musik. Das haben wir uns nur einmal und für eine halbe Stunde gegeben. Seitdem fällt der Besuch am Mittwoch da aus. Es ist, um das hier noch zu erwähnen, eine anständige Bar. Die Hüllen fallen hier erst nach zweiundzwanzig Uhr. Eher ist deshalb da nichts los.
Wir waren aber auf dem Weg ins "Zum blauen Anker". Da konnte man auch nach durchzechter Nacht, morgens halb fünf noch einen Drink nehmen. Man musste nur ohne fremde Hilfe am Türsteher vorbei, dann war man sicher. Die einsamen Herzen der Stand waren um diese Zeit dort auch versammelt. Wer in der Ruine nichts gefunden hatte, fand hier garantiert was. Oder man war einfach zu blöd, oder nicht betrunken genug, oder beides. Allerdings sollte man immer im Hinterkopf behalten, dass das Wort Morgengrauen, nach solch einem Abend, eine ganz andere Bedeutung hat.
Deshalb trug die Bar auch den treffenden Namen Genickschussbar. Ging man ins Anker, wusste keiner wo das ist, sagte man Genickschussbar, wusste es jeder!
Und wir waren auf dem Weg dorthin!
Wir konnten uns den Luxus leisten, nicht zu sehr auf unser Äußeres achten zu müssen. Jeans und T-Shirt waren okay. Das verriet den Damen auch gleich, wohin wir wollten.
Da gab es wenigstens kein Geschrei. Das gab es, als sie herausfanden, dass wir im Blauen Piano waren. Als wir die Frauen dann beim nächsten Mal mitnahmen, war alles wieder gut.
Nun standen wir also vor dieser schönen Lokalität.
Die einstig strahlend weiße Fassade nahm schon seit langem ungeniert den Schmutz und Staub der Straße auf. An den Wänden hatten sich diverse Künstler verewigt. Wie sie das allerdings schafften, ohne vom Türsteher dafür bestraft zu werden, blieb mir bis heute ein Rätsel. Die flackernde Leuchtschrift über dem Eingang verkündete dem Besucher, dass er sich vor "Zu lau n nk r" befand. Da war seit langem eine Reparatur fällig. Wie immer erwartete uns Alex an der Tür. Alex war der Türsteher und mehr oder weniger für die Sicherheit hier verantwortlich. Wenn er einen schlechten Tag hatte, dann kam die Hälfte der Wartenden hier nicht rein. Gut wenn man Beziehungen hat und dem Gorilla ab und zu eine Banane zu warf. Er auch wieder diesen na - heute - noch - oder - gar - nicht - mehr - Blick drauf. Das machte er immer dann, wenn mal wieder eine neue Flamme angesagt war. Die saß stets auf der Bank gegenüber, stöckelte nach zehn Minuten im Mini über die Straße. Dann bewegt Alex sich in sehr raschem Tempo und sagt in fast unfallfreiem Deutsch, dass die Dame doch nicht warten muss. Das braucht sie auch nicht, denn ich habe hier noch nie eine Schlange vor dem Eingang gesehen. Je nach Witterung variiert auch der Grund. Die Dame lächelt dann und überlegen und stolziert hinein. Die Auserwählten des Alex' haben eines gemeinsam. Blond, große blaue Augen, lange Beine und sie waren bei der Verteilung der Oberweite zweimal dran. Für mich sahen sie aus wie Schwestern. Guido fragte sich jedesmal, warum so ein Schuppen überhaupt einen Türsteher braucht.
Durch eine reich verzierte, in Gelbtönen gehaltene Tür gelangten wir in das Innere des Tempels. Von dort führte uns ein zerschlissener, ehemals roter Teppich bis direkt an den Tresen. Es war ganz egal wann man hier auftauchte. Die Luft war stets zum schneiden dick, stickig und der Ventilator drehte träge seine Runden durch den Zigarettenqualm.
Der Barkeeper musterte uns mit einer Mischung aus unverholenem Misstrauen, Genervt- und Gereiztheit und versuchte abzuschätzen, wieviel Geld wir denn ausgeben würden.
Wir wollten es ihm für den Anfang nicht zu schwer machen und bestellten drei Bier. Dreimal Flasche, nein danke, keine Gläser, es sei denn, Du hast heute saubere, und gingen an den Ecktisch.
Von dort aus konnte man alles und jeden sehen und es lag auf halbem Weg zum WC und zum Tresen. Ideal.
Durch die gesprungenen und mit Fliegendreck verzierten Spiegel konnte man zusätzlich noch um die Ecke schielen. Im Separée hing ein Bierwerbung; von dieser Sorte haben wir alle noch nie gehört. Höchstwahrscheinlich wird das seit dem Zusammenbruch Österreich-Ungarns nicht mehr gebraut.
Wie immer waren auch die üblichen Verdächtigen hier vertreten. Im Schummerlicht am Stammtisch saßen die Herren Rabbe, Blaschkewitz und Froneck. Herr Rabe und Herr Blaschkewitz waren die Wiederauferstandenen Statler und Waldorf aus der Muppet Show. Ebenso böse, zynisch und seltsam unterhaltsam. Herr Froneck war die Verkörperung von Alfred Tetzlaff II. Die drei saßen jeden Abend an ihrem Stammtisch, philosphierten auf ihre Weise über die Welt und spielten einen Skat nach dem anderen. Trinkfest waren die Herren auch. Wir spendierten ihnen gern jedesmal ein oder zwei Runden. Schließlich sorgten sie ja auch für unsere Unterhaltung.
Versteckt um die Ecke im Separée saßen die frisch Verliebten und die, die es werden wollten. Bei besserem Ruf des Lokals und gediegenerer Inneneinrichtung konnte das durchaus ein Ort des Anfangs sein. Erst in ein gutes Restaurant, danach ins Separée.
Aber nicht in dieser Kneipe und nicht in dieser Umgebung.
Rund um die Bar waren Stühle in allmöglichen Formen und Farben gestellt. Darauf saßen dann die anderen Stammgäste.
Herr Jancke war einer davon. Er fing mit jedem Gast ein Gespräch an. Grund war stets, dass er ständig in finanziellen Nöten steckte und jemanden suchte, der ihm wenigsten noch ein Pilsken spendierte. Denn Tom, der Barkeeper und Joana, die Bedienung ignorierten ihn mit Erfolg. Herr Jancke behauptete zu fortgeschrittener Stunde immer, wenn er noch jung und frisch wäre, dann hätte er es Joanna schon längst mal gezeigt, wo der Frosch die Locken hat. Das glaubte ihm allerdings keiner. Guido, Dirk und ich sahen in Joanna das Abbild der jungen Elisabeth Plattmann in ihrer Kantine im Rathaus. Nur hielt es Joanna nicht so mit der Sauberkeit. Deshalb behandelten wir sie, im Gegensatz zu Tom, mit gebührendem Respekt. Sie konnte so unvergleichlich gelangweilt den Kaugummi mit den Zählen quälen und mit Verachtung das Bier servieren. Wenn sie denn servierte. Sonst hatte sie meist nur Augen für den lautlos vor sich hinflimmernden Fernseher und sah das Bedienen als unangenehme Unterbrechung an.
Tom spielte hinter seiner Bar mit den leeren Flaschen. Er wollte den anwesenden Damen zeigen, was für ein toller Hecht er doch ist. Leider hatte er ab und zu Probleme, die Flaschen im richtigen Moment zu fangen.
Herr Kuhl konnte scheinbar nicht reden. Denn er machte stets mit winken und hochhalten des Glases auf sich aufmerksam. Meistens ziemlich erfolglos. Herr Jancke sprang dann meist helfend in die Bresche. Doch auch er wurde weitgehend ignoriert. Hier kümmerte man sich wenigstens noch liebevoll um seine Gäste.
Herr Kauffmann trank und rauchte ohne Pause und zeigte nicht die geringsten körperlichen Veränderungen. Er saß den ganzen Abend auf seinem Stuhl und stand nur auf, als er nach Hause ging. Was er mit dem ganzen Bier gemacht hatte, weiß ich nicht. Warm war es nicht, also fiel schwitzen aus.
Toms Laune erreichte gegen dreiundzwanzig Uhr ihren Höhepunkt. Der Grund kam in Gestalt zweier Damen, die offenbar auf einen Absacker bleiben wollten, um dann nach Hause zu gehen. Elegant gekleidet, die Eine im Kostüm, die Andere im kleinem Schwarzen. Sie traten an die Bar, lächelten Tom an und bestellten - zwei heiße Schokoladen. JA!!! Der Traum eines jeden Barkeepers. Die zwei waren offensichtlich die absoluten Partyhasen. Was gab es besseres, als den Abend mit einer schönen, heißen Schokolade ausklingen zu lassen!
Um Toms Laune noch zu steigern, ging ich an den Tresen und bestellte bei ihm drei Cuba Libre und zwei Mojito. Damit war er erstmal richtig bedient und beschäftigt. Man musste kein Prophet sein, um zu erkennen, dass er hier am liebsten Amok gelaufen wäre. Erwähnte ich bereits, dass wir Tom gern auf die Palme brachten?
Während er mit der Zubereitung der Getränke vollkommen ausgelastet war, ließ ich meinen Blick durch das Lokal schweifen. Reine Neugier, denn mit der zarten und sanften Rebecca war ich mehr als glücklich.
Glücklich war ich dann auch, als meine Augen mir das Bild fünf Tische weiter zeigten.
Dort saßen, von vier Herren umringt, die Königinnen Melanie und Anka. Die beiden Frauen waren wieder spielen. Ein wenig flirten, ein koketter Augenaufschlag hier und da. Ein gegurrtes Lächeln. Sich einen Drink ausgeben lassen. Die Beiden waren auch immer in der Lage überall ohne einen Cent zu erscheinen, um dann doch den Abend ihres Lebens zu erleben. Obwohl das in der ganzen Stadt bekannt war, waren sie jedes Wochenende von Freitag Abend bis Sonntag Morgen auf der Piste. Manchmal allerdings vergaßen sie, dass ein Spiel länger als neunzig Minuten dauert und Verlängerung sowie Elfmeterschießen ausdrücklich erwünscht waren. Meistens half ihnen hier Alex aus der Klemme. In der Ruine war es dann Gregor.
Hier und jetzt allerdings brauchten sie sich keine weiteren Gedanken machen, denn ihre Rettung nahte. Sie nahte in der Gestalt einer Person, die über die Jahre nicht wesentlich gealtert war.
Henri.
Henri sah aus, wie vor fünfzehn Jahren. Noch immer gekleidet in seiner Gabardinehose, dem Holzfällerhemd und runder Schildpattbrille, trug er wie vor fünfzehn Jahren alles Leid dieser Erde in seinem Gesicht.
Er ging an unserem Tisch vorbei, nickte zum Gruß, jedenfalls glaubten wir das, denn er bewegte sein Kinn cirka fünf Millimeter, setzte sich neben Anka und gab ihr einen - Kuss. Das hatte was - ziemlich Abschreckendes für die umstehenden Männer.
Herr Blaschkewitz beugte sich aus dem Schummerlicht und kommentierte das Ganze wie folgt: "Aha, Shreck begrüsst Prinzessin Fiona, vor deren Verwandlung!" Das erntete ihm fragende Blicke von Herrn Raabe. "Woher kennst Du denn die zwei?" "Das guckt die Natalie immer." Natalie war Herrn Blaschkewitz' Enkeltochter. Sie war wohl erst fünf, aber wusste genau, wie man bekam, was man wollte! Er sei im übrigen sehr stolz auf sie.
Shreck kam dann an unseren Tisch. "Hallo Henri, wie geht's?" Begrüsste ich ihn. "Gut." "Kann ich Dir einen Drink ausgeben?" "Nein." "Zigarette vielleicht?" "Nein, danke." Dirk versuchte dann noch die Situation zu retten und fragte: "Ein Glas Milch vielleicht?" "Danke, nein." Es war schon sehr schwer, mit Henri ins Gespräch zu kommen. Deswegen verwunderte es uns auch, wie er ungestraft Anka küssen konnte. Denn die war auch nach so langer Zeit immernoch die Nummer eins. Ich war hier wohl nicht der Einzige, den diese Frage brennend beschäftigte, denn auch Guido und Dirk dachten ähnliches. "Wieviel hast Du ihr bezahlt, dass sie sich von Dir küssen lässt?" wollte Guido ganz unverblümt wissen. Dirk nickte dabei Stakkato und ich befürchtete, dass ihm seine Füllungen aus den Zähnen fallen könnten.
Dann stand Herr Blaschkewitz auf, rief Richtung Tom seine Bestellung, zwei Whisky mit Wasser, drei Bier für die Herren am Ecktisch und ein Glas Wasser für Shreck, kam an unseren Tisch, schlug Henri in den Rücken, dass er fast vorn überkippte und gratulierte ihm zu diesem Fang. Herr Raabe ging zu Melanie und Anka und bestellte für die Prinzessinnen des Hauses eine Flasche Veuve Cliquot. Er gratulierte Anka zu ihrem Mut, sich von dieser Kreatur küssen zulassen. Aber eine Sache machte uns dann stutzig. Anka lachte nicht. Im Gegenteil, sie war den Tränen nah.
Joanna war dann die Rettung.
Sie schaltete ihren Fernseher aus, gab dem DJ ein Zeichen und schon war Ruhe. Tom machte plötzlich alle werten Gäste darauf aufmerksam, dass von nun an keine Drinks mehr ausgeschenkt wurden.
Alex wurde hineinzitert und gebeten, seinen Job zu erledigen. Das machte er dann auch. "Alles raus, wir schließen gleich, ihr habt fünf Minuten!"
Wir wollten uns beeilen und dem Folge leisten, aber Joanna zischte gefährlich, dass wir gefälligst hier zu bleiben haben. Das gelte auch für Melanie und Anka. Besonders aber für Waldorf und Statler.
Ob wir denn wenigstens unseren Frauen Bescheid geben konnten, oder ob Joanna uns einen Entschuldigungszettel schrieb, wenn wir zu spät kamen, wollten wir von ihr wissen, aber Madame J. war nicht zum Scherzen aufgelegt. Ob wir denn nicht schon genug Schaden angerichtet hätten heute Abend, wollte sie wissen. "Vielleicht, deswegen wollen wir den Schaden zu Hause in Grenzen halten." Antwortete ich ihr. Dirk und Guido stimmten mir da voll und ganz zu, aber Joanna ließ sich nicht erweichen!
"Schließ die Tür zu und mach das Licht an!" herrschte sie den armen Tom an. Wir warteten eher darauf, dass sie uns Einblicke in ihr Benehmen gab. Denn es musste ja einen Grund geben, warum sie hier die Gäste rausschmiss und uns bat zu bleiben. Statt einer Erklärung kam der Befehl zum setzen! Das taten wir dann auch und waren gespannt, welch Dinge da folgen. Ob wir fünf denn noch normal im Kreis gehen können, war Joannas erste Frage. "Nein, können wir nicht, denn wir sind zu betrunken, um geradeaus laufen zu können.", erwiderte ich sattdessen. Bevor sich Joanna in ungeahnte Sphären aufschwang, fügt Guido die Frage nach dem Grund unseres Bleibens an.
"Es ist einfach unverschämt, was ihr hier heute getan habt, deswegen!" "Seit wann kümmerst Du Dich denn um das Wohl anderer Personen?", wollte Dirk wissen. "Oder ist das nur außerhalb der Arbeitszeiten so?" Warum, so wollte sie wissen, säßen die beiden denn jedes Wochenende hier? "Vielleicht weil euer Schuppen billig ist und die Männer beschränkt und spendabel sind?", fragte ich. "Erzähl es ihnen Anka!"
Das tat sie dann auch. Was dann kam, zog uns fast den Boden unter unseren Füßen weg!
"Erinnerst Du Dich noch daran, als wir zwei ausgehen wollten und Jasmin es verdorben hat?", fragte sie mich. War das eine rhetorische Frage, oder meinte sie das ernst? "Ja, ich erinnere mich daran eher flüchtig.", antwortete ich ihr. Eigentlich wollte ich an diesen Tag unter keinen Umständen mehr erinnert werden! "Nachdem Du mich dann verlassen hast, bist Du mit, wie hieß er gleich, Torben los?" Daran wollte sie offenbar nie mehr erinnert werden. So haben wir eben alle unsere Leichen unter dem Bett. "Torben ging mit mir in die Ruine, danach noch auf einen Drink hierher. Dann rückte er immer näher und hätte mich am liebsten auf dem Sofa... wenn ihr versteht, was ich meine." Nein, das verstanden nicht alle. "Was wollte er am liebsten?", fragte Herr Raabe. "Ihr Kleid bügeln.", antwortete Dirk für Anka. Da schossen dann offenbar Lichter der Erinnerung durch Herrn Blaschkewitz' Kopf, denn er richtete sich plötzlich ruckartig auf und stieß Herrn Raabe in die Seite. "Doch, Du erinnerst Dich daran. Die beiden saßen da hinten, beim Billardtisch. Du bezeichnetest den Gegelten als Pavian und hast ihn mit einem Proll aus dem Tuntentoaster verglichen!" Hier muss ich von nun an öfter her, dachte ich. "Ach richtig. Und dann kam Shreck und hat ihm eine geklatscht." Dirk, Guido und ich brauchten eine Sekunde um das Gehörte zu verarbeiten, dann kam es im Gehirn an und wir schauten etwas verwirrt zu Henri. Denn den Abdruck der Hand in Torbens Gesicht damals war nicht von Anka, sonder von Henri. Mit den Worten "He, he, alter Killer" ging Dirk ganz unbefangen hinter die Bar und holte fünf Bier. "Auf Dein Wohl Killer, Herr Raabe, Herr Blaschkewitz, Guido, Sven." Joanna ließ ihm das unerklärlicher Weise durchgehen, da kam wohl noch mehr.
Anka führte weiter aus: "Aus Dank hab ich ihn dann mitgenommen zu mir." Dort hätte Henri dann sein erstes Mal gehabt und auch prompt ins Schwarze getroffen. Die Beiden waren seit fünfzehn Jahren Mutter und Vater einer Tochter. Ich glaubte nicht recht gehört zu haben, deswegen fragte ich nochmal nach. "Ihr seid was ?" Ich trank aus - auf Ex! Mit mir wollte sie ausgehen, stattdessen ging sie mit Torben, um dann von Henri schwanger zu werden. Das Leben ist schon irgendwo komisch! Ich schickte einen fragenden blick Richtung Joanna, die nickte und ich kam mit fünf Bier zurück. Wir wussten auch nicht, was wir davon halten sollten. Wir lebten alle mehr oder weniger nahe zusammen. Diese Stadt war nicht besonders groß. Das war nicht Berlin, oder München. Das war hier eine Kleinstadt und wir wussten nichts davon. Dann platzte die nächste Nachricht wie ein Luftballon, nämlich mit lautem Knall. "Ich bin die Patentante.", gab Joanna bekannt. "Habt ihr irgendwas in eurer Bier gemischt?", ich verstand die Welt nicht mehr. "Wir könnten euch ja noch was erzählen.", gab Melanie kleinlaut zu. Oh je, was konnte noch kommen? Wir machten nur noch eine müde Handbewegung. "Na los, erzähl!" "Hannah, Susi und Rebecca wissen das auch schon." Offenbar wurde ihnen das auf einem dieser Frauenabende erzählt. "Wie haben sie es denn geschafft, das vor uns zu verbergen, besonders meine Hannah?", wollte Guido wissen.
"Sie hätten es geschworen, bei allem was in einer Freundschaft heilig war."
"Anka, warum bist Du nie bei den Frauenabenden gewesen, Du kennst doch alle und wir waren doch nie da.", fragte Dirk. Das hatte hier etwas von einer Tragikkomödie. Ich wusste nicht, ob ich lachen, oder weinen sollte. Dieser Abend lohnte sich mal wieder, denn Chaos und Wahnsinn machten sich mit jeder Minute breiter und breiter. Es war inzwischen halb fünf. Auf meinem Handy keine Nachrichten, keine Anrufe. Ich wurde zu Hause offenbar nicht vermisst. Dirk und Guido ebenso wenig. Ob das auch zum heutigen Abend gehörte?
"Wir wohnen nicht mehr hier.", sagte Anka. Sie wohnen jetzt in der Nähe ihrer Eltern und seien nur am Wochenende hier. "Aber bei den Frauenabenden bin ich immer dabei. Wir unterhalten uns immer über Skype." So erfahre sie immer das Neueste und hielt den Rest der Damen auf dem Laufenden. Nur leider müsse sie immer allein den Wein und die Nüsse essen. "Dann komm doch das nächste Mal einfach her, das wird schon nicht so schlimm sein, Deine Tochter allein zu lassen, schließlich ist sie schon fast sechszehn!", lud ich sie einfach ein. "Ich bin mir sicher, dass Rebecca da nichts dagegen hat und ich ebenfalls nicht." Was das denn mit mir zu tun hätte, wollte Anka wissen. "Der Abend findet schließlich immer in meiner Wohnung statt." Sie hätte sich schon gewundert, warum die Wände nur mit einem Tourplakat dieser scheußlichen Englischen Band verziert seien. "Diese Band ist nicht scheußlich, sondern rein zufällig meine Lieblingsband, deshalb hängt da auch das Tourposter." Über Depeche Mode lasse ich nichts kommen.
Aber bevor sie noch weiter an meiner Inneneinrichtung mäkeln konnte, hakte ich nochmal nach. Sie würde ja gern, aber es sei nicht einfach mit einem behinderten Kind. Sie wollte das nicht weiter ausführen, sagte aber noch, dass sie Henri für all seine Hilfe und seinem Dasein über die Jahre mehr als dankbar war.
Wir kamen uns dann doch etwas dumm vor. Denn plötzlich sahen wir Henri und Anka in einem anderen Licht. Nun wussten wir auch, warum für beide diese Tage an den Wochenenden besonders wichtig waren. Wir verabschiedeten uns von den Anwesenden. Herr Raabe und Herr Blaschkewitz waren im Verlauf des Gesprächs sehr ruhig. Sie gingen nun auch.
Auf dem Weg nach Hause sprachen wir natürlich über nichts anderes. Irgendwie bewunderten wir die Beiden.
"Los, kommt. Ich hab noch Bier im Kühlschrank.", forderte Dirk uns zum bleiben auf.
Diese Einladung nahmen wir natürlich dankend an.
Jeder kann sich sicherlich vorstellen, dass uns nach diesem Abend noch nicht nach schlafen zu mute war.
Der Besuch in der Ruine
Die Ruine lag vielleicht zwanzig Gehminuten vom Haus entfernt. Es war warm, wir waren in guter Stimmung und beschlossen - zu laufen!
Jeder griff noch schnell ein Bier für Unterwegs. Die Damen teilten sich den Rest des Weißweines, allerdings ohne Gläser. Da hatte uns das kulturelle Auftreten wieder.
Der Weg zur Ruine wäre nicht weiter erwähnenswert, hätten da nicht drei Gestalten versucht, uns den Abend zu verderben. Da wir etwas "faul" waren und deshalb den Weg durch den Park wählten, trafen wir auf die Herren. Der Höhepunkt ihrer bisherigen Laufbahn war vielleicht alte Leute erschrecken und kleinen Kindern die Lollis klauen, denn sie fühlten sich plötzlich stark. Entweder lag das an ihrem schon beträchlichen Alkoholkonsum, oder an der, auf Grund des Konsums, auftretenden Nachtblindheit. Da Susi, Hannah und Julia vor uns gingen und wir uns etwas im Hintergrund befanden, waren Guido, Dirk und ich nicht gleich erkennbar. So standen die drei Deppen vor den Damen und vergaßen den rückwärtigen Raum zu sichern. Das sollte sich dann böse rächen!
Wir hörten von vorn aus der Dunkelheit nur die rüde Aufforderung: "Gebt das Geld und den Wein her, oder es passiert was!"
Als Antwort benutzte Hannah ein Wort mit "F", verstanden als Aufforderung an alle drei Clowns. Mir war im ersten Moment nicht so klar, ob eine Aufforderung zu gleichgeschlechtlichen Praktiken die Lage entspannt hätte, aber egal, denn durch ihr Gebrüll war ihnen entgangen, dass wir jetzt mit von der Partie waren. Dirk ist eigentlich ein ruhiger Vertreter seiner Zunft, aber wenn jemand seine Susi ungefragt anquatscht, mutiert er von Dr. Jekyll zu Mr. Hide. Mit etwa ebenso lauter Stimme fragte er die Drei dann, was denn ihrer Meinung nach passiert? Offenbar nichts, denn Mickey, Goofey und Donald hatte es die Sprache verschlagen! Da hatte die Karriere schon erste Auflösungserscheinungen, bevor sie richtig startete.
"Hört mal ihr Komiker, ihr habt jetzt zwei Möglichkeiten. Erstens, ihr sucht ganz schnell das Weite, oder zweitens ihr könnt versuchen bei mir das Geld zu finden. Es liegt an Euch, ihr habt dreißig Sekunden für Eure Entscheidung." Die Drei suchten offenbar noch nach einer Lösung, wurden aber Dank Dirks bohrender Stimme in eine Entscheidung gedrängt. Denn die zählte langsam von dreißig Richtung eins. Sie entschieden sich dann für Variante eins und verließen uns. Fluchtartig.
Nun mussten wir uns sogar noch etwas ins Zeug legen, denn durch die Warterei verstrich die gewonnen geglaubte Zeitersparnis. Kamen wir nicht rechtzeitig an, mussten wir nämlich anstehen.
Die Ruine befindet sich auf einem alten Fabriksgelände, dessen Ausmaße auf eine ehemals gute Wirtschaftssituation schließen lassen. Die Disco befindet sich nun im ehemaligen Hauptgebäude. Das Innere ist schallisoliert, so kann man draußen in Ruhe plaudern. Dazu hatten wir dann gebührend Zeit, denn trotz Eile kamen wir zu spät.
Super. Wir standen im Stau. Dachten wir.... Denn plötzlich ging Fräulein von Rosen geradewegs zu Gregor, dem Türsteher und der winkte uns gefühlte dreißig Sekunden später ins Innere.
Das fanden die Umstehenden weniger nett, das war uns aber egal.
"Wenn ihr keine wichtigen Freunde habt, müsst ihr eben warten, bis ihr dran seid", gab Guido den Umstehenden mit auf den Weg! Drinnen lief alles ab wie immer.
Erste Station: Garderobe.
Wichtig, niemals die Marke verlieren, ansonsten mussten alle Flirttricks aus der Versenkung geholt werden. An der zweiten Station saß Alex und wollte Geld. Für den Eintritt. "Mit fünf Euro seid ihr dabei." war sein Lieblingsspruch. Das reichte zum Augenverdrehen erster Teil. Sah man in sein kleines Kämmerlein, fiel der Baseballschläger unangenehm ins Auge. Sah man weiter Richtung Alex, wusste man, dass man keine Sorgen haben musste. Alex saß ziemlich eingequetscht in seinem Stuhl. Auf dem Weg zur Leibesvisitation kamen wir an der Hall of Fame vorbei. Das war die Wand, an der alle die mit Foto veröffentlicht waren, die Hausverbot hatten. Dann ins Innere.
Auf drei Etagen tobten Tanzwütige auf der Tanzfläche. Einige konnten das, andere nicht. Die Zahl derer, die es nicht konnten, war leider überproportional hoch. Das galt auch für den Kleidungsstil. Ich weiß, dass Geschmäcker verschieden sind, aber einiges war doch mehr als gewagt. Da haben wir uns dann immer gefragt, wie die an Gregor vorbei kamen. Ein ebenso erstaunliches Phänomen ist es, wenn Neuankömmlinge auf Teufel komm raus Partystimmung verbreiten. Die haben es duch die Leibesvisitation geschafft, gingen die vier Stufen hoch und tanzten sofort. Nicht auf der Tanzfläche, nein, da wo sie gerade standen. Es sah super aus. Der Kopf, die Arme, die Hände, die Beine und bestimmt auch die Füße bewegten sich asynchron und nicht zum Takt.
Wir gingen geradewegs zu unserer Bar. Denn Tim, der Barkeeper dort war auf Zack, sah uns und hielt nur drei Finger hoch. Ein knappes Nicken und wir hatten unser Bier. Die Damen zogen ihre Runden, was wir nicht weiter bedauerten. Ich sowieso nicht, denn meine musste ja mit so einem laufenden Pavian los. Tja. Den laufenden Pavian entdeckten wir kurze Zeit später auf der Tanzfläche. Die mit ihm Tanzende ähnelte Rebecca in keinster Weise. Da lief ihr Abend ja fantastisch. Dirk stieß mich dann irgendwann in die Seite. Was ich im Leben noch weniger leiden konnte als das war, wenn jemand den Arm um meine Schulter legte. Er wusste das eigentlich. Statt etwas zu sagen, nickte er nur in Richtung der gegenüberliegenden Bar, ich folgte dem Nicken mit meinen Augen - und da saß sie. Sie saß nur da, starrte in ihr Glas und machte - nichts. Arme Rebecca. Würde ich behaupten, dass mich dieser Anblick kalt ließ, wäre das gelogen. Würde ich behaupten, dass er mich dazu verleitet hätte, zu ihr zu gehen und sie zu trösten, wäre das auch gelogen. In etwas Mitgefühl mischte sich eine große Portion Schadenfreude. Denn einerseits kannte sie Cedric. Sie wusste, wer er ist und was er mit Frauen machte. Anderseits konnte man unmöglich so dumm sein und zweimal denselben Fehler machen.
Als ich sie da sitzen sah, wusste ich, dass man es konnte.
Da brauchte Mann / Frau dann aber auch kein Mitgefühl erwarten.
Ich zuckte mit den Schultern und ging eine Ebene tiefer.
Hier spielte man die Musik der etwas älteren Generation, alles aus den Sechzigern, den Siebzigern und den Achtigern. Beliebtes Fortbewegungsmittel hier war der Discofox. Außer, wenn Tom Jones sein Delila darbot. Dann versuchten sich viele im Walzerschritt. Nicht jedem ist das vergönnt. Hier traf ich dann auch auf Melanie und - BRITTA.
JA!
Da das Leben im Moment für mich noch nicht schwer genug war, setzte seine Majestät Herrgott der Erste noch einen drauf! Denn just in diesem Moment erschien die gebeutelte indische Prinzessin Rebecca vom Ganges und begrüßte mich wie folgt:
"Hi. Was machst Du denn hier?"
"Angeln", war meine Antwort.
"Können wir reden?"
Ich fand das schon lustig. Da kriegte sie ihren Mund zwei Tage lang nicht auf, aber in einer überfüllten Disco überkam sie das Verlangen nach einem Gespräch.
"Sicherlich nicht hier und nicht heute. Ich lass Dich wissen wann. Würdest Du mir nun die Ehre erweisen und mich nicht länger mit Deiner Anwesenheit belästigen? Danke!"
Es mag hart klingen, ja ich weiß, aber was hatte sie erwartet? Sie ließ mich ewig im Dunkeln und nun das.... Ich drehte mich Richtung Bardame und wollte mein Bier bestellen, als ich plötzlich Gäste in meiner Nachbarschaft hatte. Durch den mir zugewandten Spiegel sah ich Melanie und Britta. Die Bar war Ellenlang und länger. Warum nur mussten sich beide Frauen neben mich stellen? Konnte ich denn nur meine Ruhe haben, wenn ich mich in der Wohnung einschloss? Sollte ich in eine andere Stadt ziehen. Vielleicht nach Sonthofen, um Britta einen Gefallen zu tun. Aber auch ein drittes Augenpaar sah ich im Spiegel auf mich ruhen.
Sandra.
Nun war der Moment gekommen, eine Flasche Rum auf Ex zu trinken.
Melanie kannte ich aus der Schule. Ob wir da was hatten? Jein.
Britta kannte mich aus der Schule und wollte seitdem mehr.
Ich wollte vor einiger Zeit etwas mehr von Sandra. Da wollte die nicht.
Nun schickte sie mir ihre Augen durch den Spiegel.
Aber halt.... wieso beklage ich mich denn hier überhaupt? Das öffnete hier doch völlig ungeahnte Horizonte und Möglichkeiten. Wenn ich wieder solo bin, passiert mir das nicht. Denn ich habe die Erfahrung gemacht, wenn ich mit einem weiblichen Wesen in Beziehung stand, machte das die Frauenwelt auf mich aufmerksam, war ich allerdings mit mir allein, ließen sie mich in Ruhe.
Doch das war jetzt unwichtig.
Ich bekam mein Bier, lächelte breit und fühlte mich wie eine kleine Blume nach einem Frühlingsregen. Voller Elan, voller Frische. Einfach nur gut. Ich ging zurück zum Rest. Unsere weibliche Begleitung war auch zurück. Auch frisch gestärkt von diversen Cocktails. Julia trank ein Cosmopolitan nach dem anderen. Hannah hatte es mehr mit ihrem Sex on the beach. Susi schlürfte genüsslich an ihrer Pina Colada. Dirk und Guido hatten auch gewechselt. Ein Black Russian stand vor Dirk und ein Long Island Iced Tea vor Guido.
Ungefähr zwei Stunden später fanden wir uns im mittleren Teil der Disco wieder. Etwas enthemmt vom Alkohol und voller guter Laune, wagten Julia und ich ein Tänzchen. Als ob der Alkohol noch nicht genug war, fuhren wir mit Cora nach Amsterdam. Irgendwie wollte ich rufen: GIVE ME FIVE, F@@###G LIFE. Aber der Genießer in mir schwieg und genoss.
Für die nächste Runde war Ausdauer angesagt. Wolfgang Petri mit seiner längsten Single der Welt. Ich staunte, wie leichtfüßig sich Hannah bewegte. Noch dazu absolut synchron zu mir. Guido tat selbiges mit Susi und Julia schwang wie eine Feder in Dirks Armen. Es war ein perfekter Abend. Erst die Party, jetzt Teil zwei hier.... Konnte es denn noch besser kommen? Oder war es wie immer im Umfeld der Heinrich-Heine-Straße. Kam nun das große Chaos? Der Wahnsinn?
Wir machten uns da keine Gedanken. Denn dieser Abend war eine willkommene Abwechslung. Zeit für neue Getränke. Zeit für - Britta.
"Hallo Britta. Ich dachte, Du bist schon längst in Sonthofen?!"
Sie hatte beschlossen ihren Aufenthalt in unserem schönen Städtchen noch etwas zu verlängern. Ich wollte nicht richtig wissen, warum. Nicht an diesem Abend.
"Ich habe das nur als Anlass genommen, weil ich im Kaffee nicht wusste, was ich machen sollte. Ich kam mir lächerlich und dumm vor." Da war die Flucht ihrerseits wohl das beste Mittel.
"Du warst weder dumm, noch lächerlich. Das kannst Du glauben." Es war immerhin der Versuch sie etwas aufzubauen. Das half auch, denn sie sah mich mit einem Blick an, der mir das Herz etwas schneller schlugen ließ und hauchte ein "Danke." Ich hatte da das Gefühl, dass der DJ unserer Unterhaltung gelauscht hätte.
Denn er legte los und Peter Cornelius mit "Du entschuldige - I kenn Di..." auf.
Ein Blick von Britta, dann gab es kein zurück mehr. Da hieß es tanzen. Mit Britta.
Vor den Augen von Hannah, Susi, Julia, Dirk und Guido.
Vor den Augen von Melanie.
Vor Sandra. Leider auch vor den Augen von Rebecca. Aber was sollte ich machen? Nachdem was sie sich in den letzten zwei Tagen geleistet hatte? Nun war Cedric mit irgendeiner Anderen weg, nun war ich wieder gut genug?
Nein, jetzt hatte ich meine Party!
Ich tanzte einfach mit Britta. Irgendwann im Laufe des Liedes kam ich zu der Erkenntnis, dass der gute Peter mit jedem Wort Recht hatte. Nur saß ich nicht gelähmt, ich tanzte. Ich konnte es aber nicht fassen. Musik hörten wir beide, denn wir tanzten ja dazu. Als einzige auf der gesamten Tanzfläche. Sie brauchte auch nicht aufzuwachen, denn sie wusste wer ich war. Das wusste sie ganz genau. Sie lag auch irgendwie schwerelos in meinem Arm....
Danach brauchte ich eine kleine Pause. Die füllte ich mit Bier. Viel Bier.
"Alles klar?"
"Ja, Dirk."
Ich hatte wenig Lust mein Seelenleben gerade jetzt und hier zu offenbaren.
"Bier?"
"Mach zwei draus!"
Das tat er auch. Offenbar hatte ich besonders Dirk und Guido, aber auch Hannah und Susi in einem falschen Licht gesehen.
"Du machst das schon." und weg war er.
Klar machte ich das schon irgendwie. Aber vor etwas mehr als achtundvierzig Stunden hatte meine langjährige Freundin ihre Koffer gepackt, um mit dem Pavian glücklich zu sein. Mich ohne ein Wort der Erklärung zurückgelassen. Ich war da noch der Hoffnung, dass sich alles wieder in normale Bahnen lenkt. Das hatte sich mit dem heutigen Abend definitiv erledigt, denn ich tanzte auf Wolken Richtung.... irgendwas.
Darüber nachzudenken hatte aber Zeit bis später. Viel mehr sollte dieser Abend nicht im Denken enden. Schließlich war er ja bis jetzt super. Aber wie immer war es so, ist der Abend mit Angehörigen der Heinrich-Heine-Straße super endet er im Chaos, oder Wahnsinn. Egal. Zurück zum Rest.
Dort angekommen ertönte Depeche Mode mit Precious. Ich konzentrierte mich mehr auf den Dave-Gahan-Verschnitt auf der Tanzfläche als den Text und war mir sicher, das der niemals bei einem Dave-Dancing-Contest gewonnen hätte! Aber lustig war es schhon!
Seine Freundin war da offenbar anderer Meinung als wir, denn sie hatte ein stolzes Lächeln auf den Lippen und schaute in diie Runde mit einem Ja-er-gehört-mir-Blick.
Kann ja auch Deiner bleiben, nimmt Dir keiner weg! Denn im Bunker hätte er sich diese Darbietung zu zweihundertundfünf Prozent verkniffen. Das wusste er offenbar auch, denn er erkannte mich. Von da an hoffte er auf ein schnelles Ende des Liedes.
Ab drei Uhr morgens wurden dann die Rausschmeisser gespielt. Wenn man genügend Sprit im Tank hatte, dann tanzte man zu jedem Lied. Das taten wir auch.
Den Anfang machten Dschingis Khan und wir tanzten bis Moskau. Das hätten die Kosaken nicht besser machen können!
Marianne Rosenberg deklarierte dann folgendes: Er gehört zu mir.
Ja, die Party gehörte uns. Laut und falsch sangen wir Marianne unter den Tisch.
Nena erging es mit ihren neunundneunzig Luftballons ähnlich.
Doch dann kam das letzte Lied. Als Abschluss wollte uns der DJ wohl Gutes tun.
Mir allerdings brach er das Herz damit.
Dirk Michaelis - Als ich fortging.
Das traf mich wie Faustschlag.
Passte es doch zu der Situation von mir und Rebecca.
Ich ging langsam zu unserem Tisch.
Setzte mich, trank eine Schluck Bier, zündete mir eine Zigarette an und wusste, dass ich zu Hause dieses Lied wieder und wieder hören werde und DANN weinen kann.
Dann war's vorbei und die Lichter waren an. Aufbruch. Draußen der nächste Tiefschlag.
Regen!
Kein Taxi!
Wir verzichteten auf eine Unterhaltung und gingen den Weg heim schweigend. Jeder hing seinen Gedanken nach und hoffte, dass der Weg bald zu Ende war.
Der war's dann auch. Der Abend, beziehungsweise der Morgen noch nicht. Ich ging in die Küche, nahm mir mehr Bier aus dem Kühlschrank. Zog in den MP3-Player näher und dann spielten Trauer und alles Leid auf.
Mit dem bereits erwähnten Als ich fortging startete es,
Herbert Grönemeyers Flugzeuge im Bauch,
Rosenstolz' Der Moment,
Lacrimosas Allein zu zweit,
Indochines J'ai demandé à la lune,
Deine Lakaien brachten mir Slowly comes my night.
Irgendwann muss ich wohl in einen unruhigen Schlaf gefallen sein, denn als ich auf der Couch aufwachte, war es draußen hell und hier eiskalt.
Ich schleppte mich Richtung Bett und fiel in einen traumlosen Schlaf.
Tag der Veröffentlichung: 20.08.2009
Alle Rechte vorbehalten