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KATZENAUGEN

Grüne Katzenaugen


Die Copperroad lag friedlich da. Die Grillen zirpten und die Eulen, die Geschöpfe der Nacht, klagten über die Helligkeit, die sie so fürchteten. Alles war friedlich. Nichts rührte sich. Plötzlich lief eine Katze über die Straße. Ihr weißes Fell glänzte im Mondlicht. Ohne ein einziges Geräusch zu verursachen huschte sie über die Straße. Auf der anderen Seite des Waldes, aus dem sie gekommen war, lag die Copperroad. Den Wald auf der einen, den Bürgersteig zu den Grundstücken auf der anderen Seite. Kaum war sie auf dem Bürgersteig angekommen, schlüpfte die Katze durch die Hecke, die den Bürgersteig von der Gartenseite des Ferienhauses Copperroad Nummer 4 trennte. Das Haus lag ebenfalls still da. Die Lichter waren alle aus. Alle bis auf eines. Ein kleines Fenster im Obergeschoss stand offen und das warme Licht einer Nachttischlampe schien hinaus in die Finsternis. Wenn man genau hinhörte, konnte man das Atmen eines Menschen hören. Sehr nah am Fenster. Durch ihre Katzenaugen konnte die weiße Katze sogar jemanden erkennen. Doch sie konnte nicht genug Licht auffangen, um genauere Details zu sehen. Sie erkannte lediglich den Umriss. Sie schaute sich noch einmal im Garten um. Das Gras wiegte sich im sachten Wind. Der Morgentau funkelte gespenstisch im Mondlicht. Sie ließ ihren Blick durch den Garten schweifen. Er blieb an einer jungen Birke hängen. Noch einmal ein vorsichtiger Blick durch den Garten. Dann lief sie los. So schnell sie konnte. Das Gras streifte ihre Pfoten. Die Tautropfen blieben an ihrem Fell hängen und flogen durch die Luft. Glitzerten im Licht. Funkelten. Es wirkte alles ziemlich unecht, irgendwie magisch. Sie stürmte auf die Birke zu. Sprang hoch, fuhr während des Springens die Krallen aus und machte sich für den Aufprall bereit. Sie prallte gegen den Stamm der Birke, haderte, und rutschte ab. Ihre Krallen gruben sich tief in die Rinde und fanden dort Halt. Mit wenigen gekonnten Zügen, zog sie sich am Stamm hinauf. Hoch, bis in die Krone, und dort setzte sie sich auf einen Ast in der Nähe des Fensters. Nun konnte sie alles genau sehen: Es war ein Mädchen mit rotbraunen Haaren. Ihre grünen Augen blickten hinauf zum Mond. Auch die Katze sah nun hinauf. Er war fast voll. „Nur noch wenige Tage.“ dachte sie. Sie konnte die Sprache der Menschen genau verstehen, doch wir verstanden sie nicht. Ihre Sprache bestand aus ganz unterschiedlichen Lauten verschiedenster Höhen und Tiefen. Was die Menschen als normales Miauen kennen, ist für sie ein ganzer Wortschwall genauester Planung und Aussprache. In einem einzigartigen Akzent wird sie ausgesprochen und mit feinsten Ohren nur ist sie zu verstehen. Doch niemand ahnte auch nur etwas davon. Sie schaute das Mädchen an. Sie war nun alt genug. 16 Jahre war sie alt. „Celia.“ mit größter Sorgfalt sprach sie den Namen aus. Das Mädchen bemerkte das leise Maunzen der Katze nicht. Sie war vom Mond gebannt. Sein fahles Licht fiel in ihre Augen und zog sie in seinen Bann. Ebenso erging es der Katze, wenn sie zu ihm hinauf sah. Es war seltsam. „Bald ist es so weit. Verzeih mir.“ Sie schaute zum Mond. Dann begann sie ein Lied zu maunzen. Es klang zauberhaft und schmerzverzerrt zugleich. Selbst als Mensch konnte man leicht verstehen, was dieses Lied für Gefühle darbringen sollte: Trauer und Mitleid. Sorge und Verzweiflung. Alles zugleich. Als wollte sie sagen: „Es tut mir Leid.“

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Tag der Veröffentlichung: 09.05.2011

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