Wir kamen unangemeldet. Niemand zweifelte daran, daß wir gekommen waren, um zu lernen, um an der Tafel des Lebens gesättigt zu werden. Wir betraten die Halle der Glückseligkeit mit einer Art Schwindelgefühl, als ob wir trunken waren, wir hielten uns unsicher an den Händen, einmal weich und schlaff, dann wieder fest, verzweifelt, ängstlich, verkrampft, als wollten wir einander vor dem Fallen retten, wir kannten uns lange, hatten nichts voreinander zu verbergen, aber dennoch stand auf einmal die Angst zwischen uns, die Angst, daß unser Lernen uns zu Verlierern machen würde, daß die Ehrlichkeit einer großen Trauer weichen würde, die Trauer um das Wissen der Endlichkeit unserer Liebe.
Wir konnten nicht zulassen in immerwährendem Schlaf zu verweilen, wir liebten die Ruhe und Gelassenheit unserer Spiele der Liebe, aber der Hunger zu wachsen, der Hunger zu verstehen, die Lust in die Unendlichkeit des Geheimnisses einzutauchen war so groß, daß wir schließlich einwilligten und uns von Ibn Hazm, dem Dichter und Gelehrten, in den Palast des Fürsten führen ließen. Viele fürchteten den Fürsten Al Mutamid ebenso stark, wie sie den Dichter Ibn Hazm liebten. Aber wie der eine aus der Freundschaft mit dem anderen seinen Willen zum Regieren und Herrschen schöpfte, so war dem anderen diese Quelle des Schaffens und der Erkenntnis, selbst im Alter, als ihn der Herrscher zornig vom Hofe in die Einsamkeit der Wüste verbannte.
Al Mutamid wandelte ständig zwischen dem Garten der Lust und dem Feld der grausamen Herrschaft. Er konnte hinreißende Liebesgedichte an eine junge Frau verfassen, sich vor ihr im Staub wälzen mit den poetischten Liebesschwüren auf den Lippen und Stunden später ließ er eine Stadt schleifen, ließ die Köpfe der gefangenen Feinde rund um die Mauer der Stadt auf Lanzen spießen, als Zeichen seiner Macht und Grausamkeit. Wenn er aber wieder seinen Palast betrat, war es ihm unerträglich nicht den neuesten Versen und Diskursen seines Gelehrten, seines Meisters, seines Freundes zu lauschen. Und er achtete nicht auf die kritischen Worte der religiösen Orthodoxie, er kümmerte sich nicht um den Aufschrei seiner Vasallen, die durch die Gedichte und Aufsätze des Hofdichters ihre Macht bedroht sahen, ihre Macht über Frauen, Untertanen, Andersgläubige und die sich fürchteten, im Lichte der Kritik des Dichters, vor dem allmächtigen Fürsten in Ungnade zu fallen.
"Dieser Dichter ist unedler Abstammung, seine Schriften untergraben unsere Macht, in unseren Ländern versöhnen sich die unterschiedlichen Religionsgemeinschaften, das führt zu Aufruhr, weil unsere Autorität nicht mehr geachtet und gefürchtet wird, wenn er weiter solche Schriften veröffentlicht, werden die Frauen nicht mehr gehorchen und unseren Ländern droht der Bürgerkrieg." Auf diese Vorwürfe entgegnete Al Mutamid mit zorniger Stimme: "Was schert ihr euch um seine Abstammung, vergeßt nicht, daß wir mit Unedlen die Länder eroberten, deren Herren wir jetzt sind und mit ihrer Hilfe einen Garten Eden geschaffen haben, jede seiner Schriften ist eine geistige Bereicherung und wenn ihr sie schon kritisieren wollt, so verfaßt selbst Schriften, die einem gehobenen Anspruch gerecht werden, ansonsten verstummt und geht mit den Lämmern und den Kühen auf die Weide, um dort mit ihnen zu grasen. Und was die Religion betrifft, ein jeder soll glauben, was er für richtig hält, solange er den Kopf senkt, wenn wir die Steuern erheben und Gesetze erlassen. Und was die Frauen betrifft: Was ist sinnlicher, als eine Frau, die nicht sofort gehorcht, die sich aber willig der Liebe hingibt, wenn der Geliebte sie verdient, weil er ihrer Hingabe reif und würdig ist. Wenn ihr nicht in der Lage seid eure Frauen glücklich zu machen, so wundert euch nicht, daß sie nicht gehorchen. Die Liebe ist eine hohe Kunst und so wie ihr nicht in der Lage seid den Schriften Ibn Hazms etwas gleichwertiges entgegenzusetzen, so seid ihr nicht in der Lage euren Frauen das zu geben, wessen sie bedürfen. Und zuletzt: Wenn ihr Bürgerkrieg fürchtet, so schreitet zur Tat mit erhobenen Häuptern und verschohnt mich mit euren jammernden und vorwurfsvollen Mienen." Da verfinsterten sich die Gesichter der Vasallen, sie schmiedeten Mordpläne gegen den Dichter, doch wagten sie es letztendlich nicht etwas zu unternehmen aus Furcht vor Al Mutamid. Denn sie wussten von der achtungsvollen Liebe des Fürsten gegenüber dem Dichter, dem ehemaligen Sklaven.
Es war spät am Nachmittag, die Sonne senkte sich feuerrot, das karge Land tauchte in goldenes Licht. Wir traten in das Innere des Palastes. Die Wächter trugen weite, bauschige, blau leuchtende Hosen aus glänzender Seide, ihre Hemden leuchteten weiß und waren mit Gold verziert. Auf ihren Köpfen prangten dunkelrote Turbane. Alle Wächter trugen dicke lederne Gürtel um die Hüften, die einen goldenen Säbel mit grün schimmernden Griff festhielten. In ihrer rechten Hand hielten sie eine Lanze, die dünn und leicht wie eine Feder aussah, die Wächter um drei Köpfe Längen überragte. Alle Wächter hatten eine freundliche Miene, was auf würdige Behandlung und gute Bezahlung schließen ließ. Sobald sie jedoch ihres Amtes walteten, also den Palast und deren Bewohner vor vermeintlichen Gefahren beschützten, bekamen ihre Augen ein gefährliches Funkeln, und jeder, der nicht guten Grund hatte sich hierher vorzuwagen, war seines Lebens nicht mehr sicher. Der Palast leuchtete von Marmor und Gold und hatte ein fast religiöses Angesicht. Aber hier wurde die Andacht der Wollust und der Weisheit gefeiert, als Zeichen der Macht des Fürsten über sein Land und über die Länder, die er noch unterwerfen würde. Al Mutamid strebte nach einem Königreich, in dem alle Untertanen reich und wohlhabend sein würden, in dem es einen ständigen Wettstreit um Erkenntnis gäbe und alle das Recht besaßen zu den Besten gehören zu können. Wenn er die harte Arbeit der Künstler betrachtete, die sich Tag um Tag um ihr Handwerk bemühten, so war er sich bewußt, daß alles, was von Bedeutung sein soll, mühsam erstritten werden muss. Sowie Herrschen eine Notwendigkeit von Geburt aus war, so war die Achtung vor dem Licht des Geistes sein Sakrament für den Erfolg. Aber erst seine Freundschaft mit dem Sklavendichter Ibn Hazm hatte ihm all das bewußt gemacht. Vorher hatte er mit grausamer Lust getötet und mit Ekel vor sich selbst geliebt. Jetzt war all seine Macht nur da, um die geistige Entwicklung des Menschen zu erheben. Deswegen waren wir hierher gekommen. Unser Leben lag nun ganz in seiner Hand.
Texte: Maris Sven Sperling Harster
Tag der Veröffentlichung: 05.03.2009
Alle Rechte vorbehalten