Eines Tages gingen meine Frau und ich spazieren. Meine Frau hat diesen esoterischen Tick. Tarot, Astrologie, Karma, Buddhismus und so weiter. Das hat mich nie gestört. Sie ist eine zauberhafte, sanfte, verständnisvolle Frau und wenn ihr die Beschäftigung mit solchen Dingen wichtig ist und unsere Beziehung erfrischt, warum soll ich mich aufregen. Ich bin Finanzbeamter. Meine Lebenseinstellung ist mehr pragmatischer Art. Dinge müssen funktionieren auf einer sicheren, verstandesmäßig geregelten Basis. Vielleicht ist dies das Geheimnis, warum unsere Ehe so lange schon glücklich und zufrieden ist. Sie, das Gefühl, ich, der Verstand, wenn Sie verstehen was ich meine. Aber auf diesem besagten Spaziergang fing meine Frau auf einmal an mir diesen Vorschlag zu machen. "Ich kenne einen buddhistischen Astrologen, hast du nicht Lust einmal zu einer Sitzung zu gehen. Er kann Dir ein bißchen von deinen früheren und deinen zukünftigen Leben erzählen. Du mußt ja nicht daran glauben. Aber ich wäre schon daran interessiert, etwas über dein Karma zu erfahren." Ich weiß nicht, warum ich mich damals auf diesen Unsinn eingelassen habe. Vielleicht war ich müde von der Arbeit im Finanzamt, die Arbeit macht mir Spaß, hat aber diese Mischung aus Anspannung und Monotonie, man weiß eigentlich nie, wann es auf die eine Seite wechselt, man muß immer gleichzeitig auf beides vorbereitet sein und das kann mitunter an den Nerven zehren. Auf jedenfall willigte ich ein und an einem meiner freien Tage unter der Woche ging ich alleine zum Astrologen zwecks Erkundung meines Karmas. Der Mann war ein älterer Asiate mit ruhigen dunklen Augen, sprach sanft und eindringlich. Er erklärte mir ein wenig die karmischen Zusammenhänge in der Religion des Buddhismus, erfragte meine Geburtsdaten und schließlich begann er auf einem Stück Papier Zahlen-Kolonnen hin und her zu schieben, leise in sich hinein zu murmeln, zwischendurch blitzten seine Augen zu mir herüber, er wollte wohl sehen, daß ich auch ganz bei der Sache war. Mir war vom ersten Moment an komisch zu mute. Schon am Morgen beim Aufstehen dachte ich, was für einen Unsinn ich hier veranstalte, nur um meiner Frau zu beweisen, daß ich sie liebe, nur um Frieden und Ruhe zu Hause zu haben, weil ich von der Arbeit genervt bin. Der Astrologe beendete seine Rechnereien dann mit einem leichten "hmm", blickte mich freundlich an und eröffnete mir dann den unerhörtesten Wahnsinn, den man sich vorstellen kann. Er sagte mir also, daß ich in meinem letzten Leben ein General der Wehrmacht gewesen war, auf der einen Seite viele gute Dinge für meine mir unterstellten Soldaten getan hatte, dafür aber auch für viel Leid verantwortlich gewesen war. Deswegen sei mein Leben jetzt zwar angenehm, stagniere aber in gewisser spiritueller Weise. Nichts, weswegen man sich beunruhigen müsse, dieses Leben würde bis zum Ende in gesicherten und wohlsituierten Verhältnissen ablaufen. Und für mein nächstes Leben sagte er mir voraus als Kuh wiedergeboren zu werden. Sie können sich denken, daß in diesem Moment meine Kinnladen hinunterfielen und ich nur ausrufen konnte: "Bitte was haben Sie gesagt?" Er wiederholte das Gesagte in sanften, freundlichen Worten. "Sie werden eine Kuh." Ich verlor daraufhin vollends meine Fassung: "Entschuldigen Sie bitte, ich komme hierher, um meine Frau glücklich zu machen, um etwas Positives zu erfahren und Sie haben die Frechheit mir einen solchen Quatsch ins Gesicht zu schlagen? Werden Sie dafür bezahlt um andere Menschen fertig zu machen. Was bilden Sie sich eigentlich ein." Dann verließ ich türenschlagend den heiligen Ort der Wahrsagerei und mußte ersteinmal drei Stunden am Damm lang spazieren gehen. Ein unglaublicher Wust an Gedanken schoß durch meinen Kopf. Aha, ich bin also ein Kriegsverbrecher, einer, von dem unser Geschichtslehrer uns immer gewarnt hat und jetzt friste ich ein Leben im Finanzamt, um nach diesem so faszinierenden Leben als Kuh wiedergeboren zu werden. Und wie der Zufall es wollte ging ich an einer umzäunten Wiese vorbei. Auf der standen 4 braune, wiederkäuende Kühe und was taten sie, während ich wild gestikulierend, in mich hineinredend an ihnen vorbeihastete? Sie glotzten mich so unverschämt blöde an, daß ich buchstäblich wünschte augenblicklich im Boden zu versinken. Nie in meinem Leben bin ich so von der Aussage eines Menschen über mich erniedrigt worden. Und das an meinem freien Tag. Irgendwann fand ich den Weg nach Hause. Es war mittlerweile dunkel. Meine Frau empfing mich freudestrahlend an der Tür. Ich schlich mit gesenktem Kopf an ihr vorbei. Sie rief mir erstaunt ein "Was ist denn los?" hinterher, aber ich verschwand unter der Dusche, eine Dusche, die mindestens eine Stunde dauerte. Als meine Frau merkte, daß ich meine Körperpflege beendet hatte, rief sie mich mit süßer Stimme zum Abendessen. Und wissen Sie, was sie mir auftischte. Mein Lieblingsgericht: Argentinisches Rindersteak, schön blutig! Ich kann mich noch erinnern, wie ich die Treppe zum Salon runterging, mich an den Tisch setzte und als die guten Gaben auf dem Tisch serviert wurden, verlor ich zum zweitenmal an diesem Tag die Fassung, diesmal aber noch heftiger als vormittags beim Astrologen. Das Resultat waren zerschlagene Teller, die Steaks langsam die weißen Wände hinuntergleitend und eine Ehefrau, die vollkommen gelähmt einen Ehemann sah, wie sie ihn noch nie erlebt hatte. Nach dem Ausbruch schlug ich die Hände über meinem Kopf zusammen und sagte zu meiner Frau: "Und jetzt verstehst du vielleicht, warum ich im nächsten Leben eine Kuh sein werde." Dann ging ich ins Bett. Stunden später kam sie zu mir in unser Ehebett. Ich bat sie um Verzeihung, aber meine Frau war gar nicht böse, sie sagte mir einfach, sie liebe mich, so oder so, egal was irgendwann einmal vielleicht geschehen würde.
Mein Leben hat sich seit dieser Festellung über mein Leben nicht wesentlich geändert. Ich gehe weiterhin zur Arbeit, meine Frau und ich lieben uns und das Wort Karma kommt in unserer Ehe nicht mehr vor. Dennoch laufe ich ständig mit einem mulmigen Gefühl in der Gegend herum. Und manchmal, in der Nacht, habe ich diesen Traum von einer wiederkauenden Kuh, die mich blöde anglotzt. Wenn ich dann morgens irgendwie traurig aufwache, tröste ich mich mit dem Gedanke vielleicht als Kuh in Indien wiedergeboren zu werden. Ich habe gehört dort sind Kühe heilig und sterben glücklich an Altersschwäche.
Tag der Veröffentlichung: 24.01.2009
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