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Mir geht es gut.
Ich sitze in einem hellen Zimmer und höre Musik. Die frische Luft mit dem Blütenduft die durch mein
Fenster rein kommt, füllt meine Lunge.
Ich habe einen wundervollen Freundeskreis und auch einen sehr guten Chef. Meine
Kollegen sind die besten und meine Arbeit, als Tierpflegerin, bereitet mir eine
menge Spaß.
Doch das war nicht immer so. Wenn ich vor einigen Jahren angefangen hätte
dieses Tagebuch zu schrieben, würden diese Zeilen ganz anders klingen.

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Der Raum ist dunkel.
Da fühle ich mich wohl, ich brauch kein Licht, keine Sonne, keine Blumen keine
frische Luft. Ich bin in meinem Zimmer.
Ich sollte meine Hausaufgaben machen, aber dazu habe ich keine Lust.
Gleichungen! Wofür brauche ich die?
Zum Schokolade einkaufen bestimmt nicht.
Nein, ich glaube ich lege mich etwas in mein Bett und höre Musik.
Vielleicht gehe ich morgen auch nicht zur Schule. Meine Noten sind sowieso
schlecht.
Ich schreibe einfach nur ein paar Gedichte dann geht es mir besser.

Seitdem mein Vater vor einem Jahr gestorben ist, schreibe ich.
Anders kann ich nicht mit dem Schmerz umgehen.
Meine Mutter hört mir nicht zu, sie trinkt den ganzen Tag.
Ein paar mal musste ich ihr schon ins Bett legen weil sie nicht mehr wusste wo sie ist.

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Meine Lehrjahre sind scheiße.
Mein Ausbilder sagt mir immer, ich soll froh sein, dass ich eine Ausbildungsplatz habe, bei den Noten die ich auf meinem Abschlusszeugnis hatte.
Er sagt, ich soll mit einem Lächeln meine Arbeit verrichten und mehr Interesse
zeigen.
Wie soll ich den Interesse zeigen wenn ich dauernd nur zum Kaffee kochen,
Dokumente kopieren und anheften abgestellt werde?
Mir ist es egal, Hauptsache ich bekomme jeden Monat meinen Lohn damit ich
meine Wohnung finanzieren kann. Mehr brauch ich nicht, etwas zu essen, ein
Bett, eine Lampe und viele schwarze Vorhänge, ein kleiner Schrank - dann
fühle ich mich wohl.
Ich will nur nicht wieder zu Hause bei meiner Mutter wohnen. Reden kann man mit
ihr gar nicht mehr, ihr bester Freund ist der Alkohol, der sie
fest im griff hat. Ich habe so eine Wut auf meine Mutter.
Die Lehrer in der Berufsschule sagen, ich soll mich zusammenreißen, ich soll
mich nicht so hängen lasen.
Die haben ja keine Ahnung. Es bringt doch nichts,
warum soll ich mich zusammen reißen?
Wozu?
Für wen?
Für mich??
Wer bin ich denn?
Keiner mag mich, keiner kennt mich.
Die wichtigste Personen in meinem Leben waren meine Eltern. Mein Vater hat mich
verlassen, wegen einem geisterfahrer der ihn auf der Autobahn erwischt hat. Woraufhin meine Mutter für mich auch gestorben ist, bildlich gesehen.
In der Schule wurde ich gehänselt und jetzt möchte ich einfach nur in Ruhe gelassen werden.
Ich habe nur mich, und ich bin ein niemand.

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Ich habe heute meine erste Abmahnung bekommen.
Sollte ich nicht irgendwas empfinden?
Das einzige was ich fühle ist - Nichts.
In der Abmahnung steht, dass ich zu schlechte Noten in der Schule habe, und das
ich nicht auf den Wissenstand einer Auszubildenden im zweiten Lehrjahr bin.
Na ja egal, ich wäre so wieso lieber zu Hause. Das einzige was mir Freude
bereitet sind meine Gedichte.
Ich hatte Überlegt mir eine schwarze Katze zu besorgen, aber ich kann ihr
nichts bieten. Meine Wohnung ist nur ein Raum und es steht nichts drin. Fische
währen da idealer für mich, aber Fische sind langweilige Tiere.

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Das dritte Lehrjahr hat angefangen. Ich musste vom Betrieb aus einen Test
machen. Zwei Monate nach dem ich eine schlechte Zwischenprüfung hatte.
Ich bin durchgefallen und halte nun die zweite Abmahnung in der Hand.
Manchmal erwische ich mich mit dem Gedanken einfach mal über die Straße zu
gehen ohne darauf zu achten ob ein Auto kommt.
In Letzter Zeit verbringe ich meine Abende damit. dass ich weine.
Aber warum weine ich?
Ich weiß es nicht.
Mein Leben ist kein Leben. Es ist nichts Wert. Es gibt keinen der traurig sein
wird wenn ich weg bin. Es würde ja nicht mal irgendwem auffalen.
Eine die mit mir im gleichen Lehrjahr ist, fragt manchmal nach mir. Sie will wissen wie es mir geht.
Meistens lüge ich sie an. Ich versuche zu lachen oder grinsen und sage das es
mir gut geht. Sie fragt mich dann ob ich nach der Arbeit Zeit habe und wir was unternehmen können.
Ich weiß nicht was ich davon halten soll, ich will alleine sein.
Vielleicht will sie mich ja nur kennen lernen um später dann mit den anderen
über mich herziehen zu können.
Das hatte ich schon mal.
Vielleicht hole ich mir einen Hund.
Nein, das geht auch nicht, mit dem muss ich ja gassi gehen, da muss ich ja dann
aus meiner Wohnung raus.
Kann mich denn nicht endlich ein Auto überfahren? Dann bin ich bei meinem
Vater.

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Ich habe meine Ausbildung fertig. Nennt man das ein Wunder?
Doch jetzt bin ich arbeitslos. Die ganzen Gänge zum Arbeitsamt nerven
mich. Andauernd wollen die irgendwas ausgefüllt haben und angeblich vergesse
ich immer etwas ab zu geben.
Die sollen mir Geld geben damit ich die Wohnung halten kann und fertig.
Mein Versuch mich von einem Auto Überfahren zu lassen, war auch nicht
fruchtbar, wie man sieht.
Ein Fahrrad hätte mich einmal fast erwischt, aber auch nur fast.
Ich weine nicht mehr so viel, mir ist alles einfach nur egal.
Ich wache immer irgendwann auf, mach mir was zu essen und gehe wieder ins Bett.
Endlich habe ich meine Ruhe.
Manchmal spiele ich mit einem Messer, ich streife die Messerspitze über mein Handgelenk.
Es heißt man soll nicht von links nach rechts schneiden, sondern von oben nach
unten.
Wie soll das gehen?
Dann muss ich doch meine Ader genau treffen. Die finde ich doch nie.
Wie oft werde ich mich dann schneiden müssen?
Vielleicht ist eine andere Methode schmerzfreier! Ich könnte ja einen Unfall im
Bad haben.
Der Föhn könnte ins Wasser geraten.
Ich habe keinen Föhn.
Den müsste ich mir dann extra kaufen, also muss ich dann
einmal mehr unter Menschen gehen.
Okay. was ist mit Schmerztabletten? Das ist es!
Ich glaube meine Mutter hat jede Menge davon, dazu müsste ich sie einfach nur
besuchen. Sie bekommt es ja nicht mit.
Nein, das will ich auch nicht, ich will sie nicht sehen.
Wenn ich es mir recht Überlege habe ich doch zu viel angst vor dem Tod.
Nicht vor das was danach kommt, das ist mir egal. Aber vor dem wie habe
ich Angst.
Wird es schmerzhaft ?
Ich will mir nicht wehtun. Ich hatte genug Schmerzen.
Was soll ich nur tun? Ich weine wieder, diesmal weiß ich auch warum.
Ich habe angst vorm sterben, aber auch vorm Leben.

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Ich habe beschlossen zu meinem Vater ans Grab zu gehen. Es ist das erste Mal
seit der Beerdigung.
Ich war da um ihm zu sagen das ich bald kommen werde.
Dort traf ich das Mädchen aus meiner Ausbildung. Sie hatte auch Blumen für
das Grab ihrer Eltern dabei. Ich wusste nicht das sie auch eine Waise ist.
Ihre Eltern sind Sieben Monate nach meinem Vater gestorben.
Sie hat versucht mit mir ins Gespräch zu kommen. Es war erst sehr unangenehm.
Aber dann merkte ich dass es mir gut tut.
Wir werden uns nächste Woche wieder am Friedhof treffen. Ich habe gemerkt dass
es doch gut tut mit jemanden darüber zu reden.

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Seit einiger Zeit treffe ich mich regelmäßig mit Kim. Warum ist sie so Glücklich ohne ihre Eltern und ich nicht? Ich glaube sie hat Ziele, wenn ich das richtig herausgehört habe. Mein Ziel ist es bei meinem Vater zu sein. Aber ein richtiges Ziel ist das ja auch nicht.Ich glaube ich will sie näher kennen lernen und mir ihr darüber reden wie es ist ohne Eltern und alleine zu sein.

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Kim hat mich heute mit zu einer Therapierunde genommen.
Ich habe Respekt davor das sie mit so vielen offen über ihre Schmerzen reden
kann.
Ich kann das nicht.
Ich habe so lange sowenig gesprochen, da fällt es mir schwer.
Sie war einmal bei mir und hat die Tabletten gesehen die ich gesammelt habe.
Sie hat aber nichts gesagt. Ich fand das peinlich.
Auch wenn mir das reden mir ihr schwer fällt, es tut mir gut. Es ist
entlastend. Ich weiß jetzt was es bedeutet wenn jemand sag dass einem ein Stein vom Herzen fällt. Ich hatte auch einen die ganze Zeit unbemekrt mit mir rumgetragen. Der Stein bröckelt langsam.

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Kim war mit mir bei einem Therapeuten, er hat alleine mit mir gesprochen und nur
Kim war dabei.
Ich glaube der Mann kann mir helfen. Ich werde weiterhin hingehen.
Seitdem ich Kim kenne, hat mein Leben einen Sinn.
Ich bin immer gespannt was noch auf mich zukommt, und freue mich mittlerweile
auf Kims Besuche.

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Mir geht es gut.
Ich sitze in einem hellen Zimmer und höre mein Lieblingslied. Die frische Luft mit dem Blütenduft die durch mein
Fenster rein kommt, füllt meine Lunge.
Ich habe einen wundervollen Freundeskreis und auch einen sehr guten Chef. Meine
Kollegen sind die besten und meine Arbeit als Tierpflegerin bereitet mir eine
menge Spaß.
Morgen kommt Kim und wir gehen ins Kino.
Die lange Zeit die ich gelitten habe ist vorbei und wirkt auf mich nur noch wie
ein schrecklicher Alptraum aus dem ich erwacht bin.
Ich bin umgezogen, habe keine schwarzen Vorhänge mehr.
Ich habe eine zweite Ausbildung gemacht - die auch zu mir passt. Ich bin dankbar
für die Chance die ich im Zoo bekommen habe.
Das einzige Problem was ich habe, ist meine Mutter.
Sie ist jetzt in einer Entzugsanstalt. Irgendwann muss ich auch mit ihr ein
Gespräch führen. Davor graut es mir noch. Aber ich glaube ich werde bald bereit sein um auch mit ihr reden zu können. Ob sie von ihrer Sucht wegkommt, ist leider noch unklar.

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Mein Leben hat einen Sinn, ich will nämlich einen Freund haben. Ich habe da
auch einen Tierpfleger gesehen der mir sehr gefällt.
Mal sehen ob wir zusammenpassen. Drückt mir die Daumen . . .

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 19.06.2010

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