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French Prayer

Prolog



Ich brachte die letzten Stufen der Turmtreppe hinter mich und betrat die hölzerne Empore.
Dann setzte ich mich auf einen Stuhl genau in der Mitte, so, dass ich alles gut im Blick hatte.
Meine Ellebogen stützte ich auf die Brüstung, schlug das Buch in meiner Hand auf und begann zu lesen:

„Raoul, ich weiß, dass deine Mutter etwas gegen meine Familie hat, aber…“ begann ich.
„Eveline, sie würden dich wegjagen, vertreiben oder Sonstiges mit dir anstellen.“ unterbrach er mich und presste mir seinen Finger auf die Lippen, „Du kannst nicht hierbleiben, hier können sie uns hören.“ Er stieß mich sanft in Richtung der hölzernen Kellertür, „Wir treffen uns morgen um 11Uhr an der Brücke.“ Zischte er. Nun öffnete Raoul die Tür und ich trat rasch ins Freie. „Warte! Eveline du musst wissen:…“



Ich schrak auf als ich hörte wie die große hölzerne Kirchentür geöffnet wurde.
Die Kirche war fast immer offen für Leute die Ruhe im Gebet suchten oder nicht zum Gottesdienst kommen konnten.
Ich warf einen Blick über die Brüstung und sah einen Jungen, dessen hellbraune Haare ein wenig verwuschelt, Jeans leicht zerschlissen und Lederjacke dreckig waren.
Ich schätzte, dass er ungefähr in meinem Alter war, obwohl er mir einiges größer vorkam.
In seinem Gesicht lag ein nichtssagender Ausdruck, den ich bisher noch nie bei einem Menschen beobachtet hatte. Seine Augen waren einfach stur nach vorn gerichtet sein Mund zeigte keine Regung, er war einfach ein grader Strich. Man konnte kein einziges Gefühl von seinem Gesicht ablesen. Ich duckte mich leicht damit er mich nicht erwischen konnte, wie ich jeden seiner Schritte mit neugierigem Blick verfolgte. Doch er drehte sich nicht um.

Mittlerweile hatte er mit seinen zielstrebigen Schritten den Altar erreicht.
Er blieb stehen und einen Moment lang dachte ich, einen Funken Bewunderung in seinen Augen zu sehen, als sein Blick das prächtige Wandbild streifte. Doch als ich das zweite Mal
hinsah lag wieder dieser Ausdruck auf seinem Gesicht.
Plötzlich kniete er sich nieder, schloss die Augen und faltete die Hände. Er betete.
Ich hätte es nicht erwartet, denn von seinem Anblick her würde ich ihn in die Kategorie einordnen, die sich nichts aus Kirche, Glauben und Gott machte.

Nach einer Weile richtete er sich auf, entschlossen ging er die wenigen Schritte zu dem großen Holzkreuz, das rechts neben dem Altar seinen Platz hatte, ich konnte nicht erkennen was er hinter diesem Kreuz machte, aber ich hörte leise Papier knistern.
Nun trat er hinter dem hölzernen Werk hervor, blickte noch einmal um sich und verließ mit eiligen Schritten die Kirche.

Ich starrte noch eine Weile nach vorne, dann widmete ich mich noch einmal dem Satz meines Buches, bei dem ich unterbrochen worden war:

Nun öffnete Raoul die Tür und ich trat rasch ins Freie.
„Warte! Eveline du musst wissen: Ich liebe dich.“




1.Kapitel


Als ich nach draußen trat atmete ich erst einmal die frische Frühlingsluft ein und lief dann durch die gepflasterte Einfahrt unseres Häuschens auf den Hintereingang, der prächtigen Kirche zu, wo mein Vater Pfarrer war, der direkt zur Turmtreppe führte, ich eilte die alten Stufen hoch und erreichte die hölzerne Empore, von der man durch die ganze Kirche sehen konnte..
War er schon da?

Es war die Frage die ich mir jeden Tag in den letzten zwei Wochen gestellt hatte, wenn ich die Empore erreichte und die Antwort bekam ich so schnell, schon nach einem Blick über die Brüstung wusste ich es. Nein.

War die häufigste Antwort. Auch heute war es der Fall und ich setzte mich wie immer auf denselben Stuhl in der Mitte und begann zu warten. Ich erkundete die Kirche so mit meinen Blicken, als ob ich sie das erste Mal zu Gesicht bekäme: Die bunt bemalten hohen Fenster an den beiden Seiten, die ganze Geschichten erzählten, die vielen Bankreihen mit den Ablagen für die dicken roten Liederbücher, der Mittelgang der mit einem bläulichen Teppich ausgelegt war und das prächtige Wandbild, auf dem man sehen konnte wie Jesus, dem Sterben nahe, am Kreuz hing, über dem hölzernen Altar.
Diese Kirche war ein wunderbarer Ort für mich, es war ein Platz der Ruhe und Geborgenheit, die ich sonst nirgendwo fühlte. Keine andere Kirche hat mir jemals diese Gefühle vermittelt,
aber es konnte auch daran liegen, dass ich praktisch hier aufgewachsen war.
Meine Mutter hatte mir erzählt, dass ich schon als kleines Mädchen am liebsten hier gewesen bin. Ich glaube ich habe einen Großteil meines Lebens in dieser Kirche verbracht.
Mehr Zeit verbrachte ich hier als, wie andere Mädchen in meinem Alter, im Shopping Center oder in irgendwelchen Vereinen.
Ich hatte nie das Bedürfnis gehabt Tanzen oder Reiten zu lernen, ganz im Gegensatz zu meiner Zwillingsschwester, die dieses mit Begeisterung tat.
Das Einzige was ich wollte war, dass meine Eltern mir eine Geige kauften, eine schöne weiß lackierte Geige. Ich wollte keinen Unterricht indem ich lernte wie man sie spielte, trotzdem hatten meine Eltern mir die eine oder andere Stunde aufgedrückt. Letztendlich habe ich mir jedoch den Großteil selbst beigebracht.

Ich vernahm ein leises Quietschen, womit ich wusste, dass er kam. Die große, schwere Kirchentür wurde nämlich seit Jahren nicht geölt und so konnte man, egal wie vorsichtig man versuchte sie zu öffnen, das Quietschen nicht vermeiden. Ich schaute erwartungsvoll über die Brüstung auf den Mittelgang auf ihn hinunter und konnte sehen wie er in Richtung Altar marschierte. Marschieren war nicht übertrieben, denn er ging schon fast so wie ein Roboter:
Das Gesicht gerade nach vorn und dann Schritt für Schritt schnurstracks Richtung Altar.
Ich wusste auch nicht was meinen Blick so an ihm fesselte, dass ich nicht einmal blinzelte um keinen seiner Schritte zu verpassen, denn schließlich tat er seit zwei Wochen nichts anderes als jeden Tag, außer Sonntags, zum Altar zu marschieren, zu beten, irgendetwas hinter dem Holzkreuz zu tun, was ich bis jetzt noch nicht rausgefunden habe, und schließlich wieder zurück zu marschieren.
Ich unterdrückte einen Seufzer, damit er mich nicht entdeckte.
Stimmt, es war eine gute Frage. Hatte er mich jemals bemerkt? Wusste er, dass ich da war und ihn beobachtete?

Ich war mir nicht sicher, denn sein Blick war ja meist nur stur nach vorne gerichtet und er sah nicht nach oben.
Ich beantwortete es mir selbst. Nein.


Ich hörte wie sich die Kirchentür mit einem knarrenden Geräusch schloss. Er war weg.

Fuhr es mir durch den Kopf, ich wusste nicht wo er jetzt hinging ich hatte ihn kein einziges Mal verfolgt, ich bin auch nicht die wenigen Schritte zu dem kleinen Turmfenster gegangen, um ihm nachzusehen. Mein Verstand drängte mich dazu es zu machen, ich denke jeder Mensch hätte es getan, aber mein Herz sträubte sich dagegen. Es befahl mir sitzen zu bleiben und zu warten bis ich mir sicher sein konnte, dass er weg war. Dann stand ich meistens auf und lief über den Platz, hinter der Kirche, nach Hause und setzte mich an die Hausaufgaben.
Auch heute machte ich es wie gewohnt: Nachdem ich die Haustür hinter mir geschlossen hatte, ging ich langsam die Treppe in die 2.Etage hoch. Schritt für Schritt, ruhig und entschlossen.
Als ich, mein Zimmer erreichte, setzte ich mich an den weiß lackierten Schreibtisch.
Weiß. Ja ich mochte diese Farbe, obwohl man es nicht wirklich Farbe nennen konnte.
Weiß war die Mutter aller Farben, sie hatte alles verschieden Farbtöne in sich, trotzdem war sie schlicht und nicht auffällig. Ich hatte das Gefühl ich war wie sie.
Fast die Ganze Einrichtung meines Zimmers war weiß: Der Schreibtisch, die Geige, der große alte Schrank, das Bett und ein großer Anteil der Dekoration. Da meine Mutter darauf bestanden hatte das ich wenigstens etwas buntes hinein brachte, hatte ich mich für einen grün gemusterten Bettbezug und etwas gleichfarbiger Deko entschieden.
Meine Schultasche war ein grüner Rucksack, der schon länger in meinem Besitz war. Ich schleuderte ihn auf mein Bett und lies mich dann neben ihm fallen.
Warum muss denn immer alles so schwer sein?

Fragte ich mich. Ich wusste es nicht und konnte mir auch keine Antwort dafür geben, dass ich solche Probleme in der Schule hatte.
Nein es waren nicht alle Fächer die mir Probleme bereiteten, in Deutsch, Französisch, Kunst,
Sport und Musik stand ich stets gut. Doch in Mathe, Bio, Physik, Chemie, Erdkunde, Politik und Englisch schrieb ich meist nur Vieren und Fünfen.
Doch so war mein letzter Notendurchschnitt auf dem Zeugnis 3,6 und das musste sich schleunigst ändern.
Schließlich raffte ich mich auf und setzte mich an meinen Schreibtisch, er stand direkt vor dem bodentiefen Fenster, so hatte ich einen schönen Ausblick auf die Kirche und die Altstadt konnte ich auch von weitem bewundern. Deswegen war ich, wenn ich hier saß, eher mit Träumen als mit irgendwelchen Gleichungen beschäftigt.
Träume,…ja Träume bedeuten mir viel. Ich hatte schon seit meiner Kindheit besondere Träume gehabt, ich hatte das Gefühl als wollten sie mir etwas mitteilen, dies hatte ich bis jetzt niemandem erzählt und das würde auch so bleiben.

Die Hausgaben hatten eine gute Stunde gedauert und nun packte ich meine Schulsachen zusammen und legte sie in das weiße Regal,
dann schaute ich auf die Uhr, es war erst kurz vor sechs, es war also noch genug Zeit ein wenig auf meiner Geige zu üben.
Ich nahm sie von dem Ständer und legte sie auf meine linke Schulter, schloss die linke Hand um den Geigenhals und nahm mit der rechten den Bogen.
Ich fing an zu spielen, ruhig, langsam und konzentriert. Die Töne drangen in meine Ohren, die Melodie setzte sich in meinem Kopf fest und ich schloss die Augen.
Der Bogen fuhr noch immer behutsam über die straf gespannten Saiten.
Die Klänge nahmen langsam ab und ich legte den Bogen beiseite.
Ich setzte mich auf mein Bett und meine Finger berührten, fast wie von selbst, den weißen Holzkörper, sie strichen vorsichtig über die geschwungenen Kanten des Instrumentes.
Das waren Momente in meinem Leben, wo ich mich wohl und geborgen fühlte.
Es waren die Schönsten um genau zu sein.


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Tag der Veröffentlichung: 10.06.2011

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