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Frosch Ferdinand lebte am Sommersee, der direkt neben dem Frühlingssee und etwas links vom Wintersee lag. Den Herbstsee hatten die Menschen wohl vergessen.
Ferdinands Leben war nicht gerade sehr aufregend. Die meiste Zeit verbrachte er alleine, denn die anderen Frösche fanden es peinlich, dass er nicht so weit springen konnte wie sie.
Wenn alle anderen elegant und grazil von einem Seerosenblatt zum anderen hüpften, platschte Ferdinand stets nur Millimeter von dem Blattrand ins Wasser und musste den Rest paddeln. Kein eleganter Anblick, bei seinen großen Füßen. Alle lachten ihn deswegen aus: "Ferdinand", sagten sie, " bleib doch lieber gleich am Ufer. Ansonsten ertrinkst du noch vor unseren Augen !! Und dann lachten sie und hielten sich ihre dicken grünen Bäuche.
Sogar Ente Edgarda, die mit ihrem Mann und ihren sieben kleinen Kindern ebenso am See wohnte und selbst unter einem etwas schiefen Schnabel litt, meinte nur verständnislos: „Ach, Ferdinand, was bist du bloß für ein Frosch, wenn du noch nicht einmal richtig hüpfen kannst?“
Auch Libelle Larina umschwirrte Ferdinand, schüttelte ungläubig den Kopf, wenn er wieder mal ins Wasser geplumpst war, und propellerte dann weiter, um die Geschichte vom Frosch, der nicht hüpfen konnte, ihrer Familie und ihren Freunden zu erzählen.
Abends, wenn alle anderen Frösche sich zum Konzert trafen, wurde Ferdinand schon gar nicht mehr gefragt, ob er mitmachen wollte, obwohl er doch ganz wunderbar quaken konnte. So schallte jeden Abend unharmonisches Gequake über den stillen See, und Spaziergänger, die vor dem Zubettgehen mit ihren Hunden noch einmal Gassi gingen, hielten sich die Ohren zu.
Ferdinand war es leid, dass sich alle über ihn lustig machten, und zog sich immer mehr zurück. Sein Zuhause verlegte er an ein verlassenes Stück Ufer des Sees.
Um sich die Zeit alleine zu vertreiben, denn die war lang, sang er Stücke und Lieder von berühmten Komponisten wie Verdi und Puccini. Die Italiener lagen ihm am meisten. Ihre Arien handelten fast nur von der Liebe, und die Liebe, die stellte sich Ferdinand ganz wunderbar vor. Ein Glück verstand er kein Italienisch, ansonsten hätte er sich wohl vor ihr gegraust!
Nur die Seerosen und die Schilfgräser hörten ihm zu. Manchmal malte er sich aus, wie sie sich sogar in Ehrfurcht vor ihm verneigten, wenn er ein LIed zu Ende gesungen hatte. Dann musste er lächeln. Aber abends ging er immer noch allein in sein Bett aus Wasserlilienblätter. In seinen Träumen wimmelte es von Geigen, schönen Operndiven und italienischer Pasta und Spaghetti-Eis.
Eines Tages verirrte sich Krötendame Luisa in sein Gebiet und beobachtete ihn von einem Versteck aus beim Singen: Sie selbst wurde wegen ihres eher unförmigen Aussehens von den Frösche nicht besonders gern gemocht.
„Deine Stimme gefällt mir“, rief sie, als sie hinter einem großen grünen Blatt hervorhüpfte, „du hast wirklich Talent! Wenn du willst, dann bring ich dich ganz groß raus. So, wie du singst, wirst du ein Star, jeder Frosch auf der Welt sollte dich zu hören bekommen!“
Ferdinand wurde ganz rot vor Schreck. Er war es nicht gewohnt, einfach so angesprochen zu werden. Und dann wurde er noch nicht mal geschimpft, sondern in den höchsten Tönen gelobt! Na sowas! Aber er fand Gefallen an der Vorstellung, von nun an nicht mehr allein zu sein, also willigte er in den Vorschlag ein. Luisa schien wirklich lustige Ideen zu haben.
Von nun an leistete Luisa Ferdinand jeden Tag bei seinen Proben Gesellschaft, korrigierte hier einen Ton, riet ihm, dort etwas schneller oder mit mehr Gefühl, mehr timbre in der Stimme zu singen. Sie verstanden sich ausgesprochen gut. Und eines Abends, als die Sonne bereits tief am Horizont stand, sich die Wolken auf der Wasseroberfläche im Abendlich spiegelten und Ferdinand gerade Luft holen wollte, um eine Arie aus Nabucco zu quaken, da bemerkte er, dass Luisa ganz wundervolle grüne Augen hatte. Augen, in denen man versinken konnte. Und Ferdinand sang die Arie so schön wie nie zuvor.
Am nächsten Morgen, Ferdinand räkelte sich noch im seichten, lauwarmen Wasser und war noch nicht ganz wach, kam Luisa schon ganz aufgeregt auf ihn zugehüpft. „Ferdi, Ferdi, du hast deinen ersten Auftritt, am Waldsee! Dort lebt meine Cousine Hanna, der ich von deinen Sangeskünsten erzählt hab, und sie wollen dich unbedingt hören! Wir müssen uns gleich auf den Weg machen, das Konzert soll schon heute Abend stattfinden!“
Ferdinand freute sich unglaublich, war aber vor Aufregung ganz nervös. Wie würde er den Auftritt hinbekommen, was wenn er sich versingen würde oder einen Frosch im Hals hätte. Und ja, falls ihr fragt, auch bei Fröschen gibt es diesen Ausdruck, der genaus dasselbe bedeutet wie bei den Menschen, nämlich, dass man krächzt und ächzt und keinen Ton mehr trifft.
Als Ferdinand zusammen mit Luisa den Bachlauf zum Waldsee, der übrigens in Richtung Wintersee lag, entlanghüpfte, fiel er noch öfter als sonst ins Wasser. Aber jetzt lachte niemand. Luisa schaute ihn nur verständnisvoll an: "Mach dir keine Sorge, das wird schon." Und zur Beruhigung legte sie eine ihrer breiten Zehen vertrauensvoll an die seinen.
Zum Glück hatte Ferdinand seine Notenblätter Luisa anvertraut, die sie sich mit Schilfhalmen auf ihren Rücken geschnallt hatte und im Gegensatz zu ihm zielsicher die Blätter traf. Als der Nachmittag schon fortgeschritten war, erreichten sie endlich den Waldsee.
Dort empfingen ihn schon sämtliche Bewohner voller Freude. Luisas Cousine Hanna war schon vor dem Konzert so begeistert von ihm, dass sie Ferdinand um ein Autogramm bat.
Der war so viel Aufmerksamkeit gar nicht gewohnt und verpatzte bei seinem ersten Lied tatsächlich ein paar Noten. Doch dann fing er sich jedoch wieder und brillierte auf der Bühne, die aus einem großen dunkelgrünen Blatt bestand, das auf dem See schwamm. Als die Sonne unterging, hatte er bereits sein gesamtes Repertoire zum Besten gegeben, aber die Menge forderte Zugabe um Zugabe. Noch nie zuvor hatten die Bewohner des Waldsees einen Frosch so schön singen gehört wie Ferdinand, und sie hatten schon viel gehört!
Also besann Ferdinand sich auf die Seemannslieder, die er von seinem weltreisenden Großvater Fred , einem Feuerfrosch, vor langer Zeit gehört hatte, und brachte die Stimmung damit zum Überkochen. Luisa stand derweil am Rand der Zuschauermenge und betrachtete Ferdinand voller Stolz. Er war ein Star geworden. Und sie war verliebt. Als er sie von der Bühne anschaute, errötete sie ein bisschen, was bei ihrer schlammgrünen Krötenfarbe ein Glück nicht so leicht zu sehen war.
Da es spät geworden war, nahmen Ferdinand und Luisa erst am nächsten Morgen nach einem ausgiebigen Frühstück, das auf Kosten der Seebewohner ging, den Rückweg in Angriff. Als sie zu Hause ankamen, wurden sie bereits enthusiastisch begrüßt. Die Neuigkeit von Ferdinand als brillantem Solotenor hatte sich schneller verbreitet, als sie laufen konnten. Ihm wurden eingelegte Fliegen angeboten, und die anderen Frösche baten und bettelten, ein Beispiel seiner Kunst hören zu dürfen. Und könnte er nicht eventuell, vielleicht, wenn es ihm nicht zu viel ausmachen würde, einmal bei ihrem abendlichen Konzert auftreten? Als Stargast sozusagen?
Nachdem Ferdinand, ganz von dem Empfang überrascht, ein kleines Lied gesungen und beteuert hatte, er würde sehr gerne einmal bei einem ihrer Konzerte mitmachen, applaudierten die Frösche frenetisch und hüpften bald darauf einer nach dem anderen davon.
Alles war nun still, nur ein paar Grillen zirpten von der nahen Wiese herüber und manchmal gluckste das Seewasser vor sich hin. Da blickte Ferdinand Luisa in ihre grünen Augen und sagte leise: „Danke. Weißt du, manchmal ist man zu zweit einfach viel, viel stärker als allein.“
Luisa nickte versonnen, erwiderte seinen Blick, der mehr bedeutete als alle Worte, die man sagen kann, und dann hüpften sie, im Duett die Melodie der Mondscheinsonate quakend, gemeinsam in den Sonnenuntergang, wobei Ferdinand nur ein einziges Mal ins Wasser fiel. Und das ganz knapp.

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Texte: für das Umschlagfoto: Blub von aboutpixel.de
Tag der Veröffentlichung: 27.08.2008

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