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Das Runde und das Eckige

 

 

Wenn Du immer so lustlos bei der Sache bist, ist es doch kein Wunder, dass die anderen dich auslachen und auf dich sauer sind. Du solltest ein wenig mehr Einsatz zeigen. Das bedeutet, dass man immer bereit ist, das Schlimmste zu verhindern. Keiner will ein Gegentor kassieren, nur weil dem Torwart gerade langweilig ist und er in der Nase bohrend an der Pfosten gelehnt im Tor sitzt und dem Spiel zusieht. So geht das wirklich nicht, Tobias.“

 

Das hat er zu mir gesagt, bevor das Spiel begonnen hat. Und ja, er hatte recht. Neulich hatte ich mich kurz hingesetzt, aber nur, weil mein Bein so weh getan hat. Aber in der Nase habe ich nicht gebohrt. Habe mich nur innen drin gekratzt. Immer wenn der Trainer mich Tobias statt Toby nennt, ist es ernst. So viel ist klar. Er hat allein mit mir gesprochen, damit die anderen Spieler nicht auf mir herum hacken. Das ist nett von ihm. Und ich will ja auch besser werden und alle Bälle fangen. Aber irgendwie kann ich das einfach nicht so gut. Als Stürmer war ich sehr schlecht, aber als Torwart bin ich fast noch schlechter. Wenn das überhaupt geht.

 

Jetzt stehe ich hier und werde nicht gebraucht. Meine Mannschaftskollegen sind richtig klasse. Das ist auch gut so. Sonst würde ich alle noch mehr enttäuschen als ich es jetzt schon tue. So ein Mist. Am liebsten wäre ich jetzt bei Oma. Mit ihr kann ich viele interessante Sachen machen. Sie näht und strickt und kann sogar Körbe flechten. Und bald will sie neue Seife herstellen. In verschiedenen Duftrichtungen. Lavendel, Rose und Flieder. Das ist gar nicht leicht, aber total faszinierend. Das hat sogar mit Chemie zu tun und auch mit Handwerk. So was macht mir viel mehr Spaß…

 

Das Spiel läuft gut für uns. Wir, also meine Kameraden, haben schon zwei Tore geschossen und unsere Gegner kein einziges, während ich hier von einem Bein auf das andere hüpfe, denn….oh Manno, so eine blöde Situation. Das ist echt peinlich……

Ich muss mal! Ganz dringend! Und es gibt nicht viel, was eine noch größere Blamage ist als ein Torwart, der nicht im Tor steht und das ist ein Torwart, der sich in die Hose pinkelt.

 

Die nächste Minute ist um. Mist, jetzt geht es nicht mehr….. Ich laufe in die Waschräume zur Toilette. Oh Gott, endlich ein Klo. Danke!

Mann, tut das gut! So, jetzt sieht die Welt schon besser aus. Während ich hoffe, dass keiner gemerkt hat, dass ich weg war, bricht draußen ein Mordslärm aus.

 

Erst Jubel und dann ein Tohuwabohu .. oh-oh ...Ich ahne Böses….Mit einem mulmigem Gefühl wasche ich mir die Hände und schleiche von Schuld gebückt zurück auf den Platz. Das stehen sie, meine Freunde und der Trainer. Stinksauer und unendlich traurig sehen sie aus, während sich unser Gegner fast kugeln vor Lachen. Das Spiel ist inzwischen abgepfiffen und nun stehen sie Schlange, um mich zu beschimpfen.....

Aber ich halte das aus, irgendwie halte ich das bestimmt aus.

Mensch Toby, du alte Lusche, wo warst du denn? Die anderen haben ein Tor geschossen. Du hast ja nicht mal versucht, den Ball zu halten! Was soll das denn, du Penner!“

Du bist die letzte Pfeife, weißt du das überhaupt?“

Wir sollten uns so'n Pappbild von dir da rein stellen, das hält wahrscheinlich mehr Bälle als du!“

 

Meine Unterlippe fängt allmählich an zu zittern. Wut steigt in mir auf. Und Enttäuschung über mich selbst. Wieso bin ich so ein mieser Fußballer? Wie kann das sein? Meine Brüder sind echte Spitzenspieler. Und meine Schwester spielt irre gut. Nach ihr hat schon ein Talentsucher gefragt. Jetzt meckern alle gleichzeitig auf mich ein und werfen mir alle möglichen Ausdrücke an den Kopf. Ich höre gar nicht mehr hin. In diesem Moment passiert was seltsames. Mein Opa, der vor kurzer Zeit gestorben ist, spricht zu mir. Ich höre ganz klar seine Stimme und sie sagt:

Toby, das Leben ist wie die leeren Seiten in einem Fotoalbum. Und du musst sie einfach mit den schönen Dingen füllen.“

 

Meine Wangen sind ganz nass. Ich weine, ohne es zu merken. Warum tue ich mir das an? Nur weil ich denke, dass alle traurig sind, wenn ich es sage?

Noch bevor ich darüber nachdenken kann, öffne ich meinen Mund und die Worte rollen raus wie bunte Murmeln. Hart schlagen sie auf den Boden. Alle können sie hören.

Ich finde Fußball richtig doof und trete aus dem Verein aus. So!“

 

Mucksmäuschenstill sind sie jetzt alle und ich sehe ihnen trotzig in die Augen. Das fühlt sich plötzlich richtig gut an. Komischerweise ist es mir ganz egal, was die anderen sagen. Mama oder Papa, Tim und Tom und Tessa, meine Geschwister. Ich fühle mich als hätte ich ein schweres Kettenhemd ausgezogen, wie von einer Last befreit. Morgen fahre ich zu Oma und mache mit ihr herrlich duftende Seife. So!

 

 

 

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Tag der Veröffentlichung: 31.07.2014

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