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Sarah

 

„Sarah!“

Mein Erstaunen ist mir deutlich anzumerken, trotz der unmenschlichen Uhrzeit. Der Wecker hat zwei Uhr fünfzehn angezeigt, als es an der Tür geklingelt hat. Ignorieren hat genau so wenig genutzt wie den Summer zu drücken, denn die Haustür ist nachts immer verschlossen.  Aus diesem Grund stehe ich nun im Pyjama mit dem Haustürschlüssel in der Hand vor ihr. Vor Sarah.

„Eva, bitte, du musst etwas für mich tun. Ich kann sonst niemanden darum bitten. Uns bringt man nicht in Zusammenhang.“

Verwirrt sehe ich sie an. Sarah war mal für eine kurze Zeit meine beste Freundin. Wir kannten uns aus der Schule und im Zeltlager vor gefühlten hundert Jahren haben wir uns angefreundet und einen Sommer lang waren wir unzertrennlich. Bis... na ja, bis mir klar wurde, dass Sarah nicht immer die Wahrheit sagt. Erst glaubte ich, dass sie versuchte, anderen und vor allem mir zu imponieren. Irgendwann aber bemerkte ich, dass sie diese offensichtlichen Hirngespinste für wahr hielt. Sie lebte in ihrer eigenen Traumwelt. Anfangs versuchte ich, ihr zu helfen und die Dinge richtig zu rücken. Aber sie beharrte immer mehr auf ihren Lügen und, sorry, das war einfach nicht meine Welt. Am Ende mied ich sie und der Kontakt brach ab. Jemand hat mir erzählt, sie sei Journalistin geworden. Aber ob das stimmte? Keine Ahnung.

 

„Mensch, weißt du eigentlich, wie spät es ist? Woher weißt du denn, wo ich jetzt wohne?“

„Das ist nicht wichtig. Bitte bewahre diese Tasche für mich auf. Gib sie nicht weg. Erzähl keinem davon. Du hast mich seit vielen Jahren nicht gesehen, wenn dich einer fragt. Mehr kann ich dir nicht sagen. Es bringt dich in Gefahr.“

„Häh? Was ist das denn jetzt schon wieder für eine bescheuerte Geschichte? Versteckte Kamera oder so? Ehrlich gesagt, finde ich das echt nicht witzig.“

„Bitte Eva, tu es einfach. Es geht um …..“ 

Ein paar Häuser weiter bellt plötzlich ein Hund. Unser Licht im Treppenhaus geht nach 4 Minuten aus und nun ist es stockdunkel. Einen Bewegungsmelder vor der Tür, so was hochmodernes, hält mein Vermieter immer noch für überflüssigen Schnickschack. Noch immer von der Situation überfordert, suche ich mit der Hand den Lichtschalter. Endlich finde ich ihn und wende mich wieder Sarah zu. Aber sie ist nicht mehr da.

 

„Sarah?“ frage ich in die Dunkelheit.

„Sarah?“ rufe ich lauter und mache eine Schritt nach vor. Beinahe stürze ich über einen Nylon-Rucksack. Ich hebe ihn auf, als ich in der Ferne eine Wagen starten höre. Irritiert schließe ich die Tür hinter mir und suche mir meinen Weg zurück ins warme Bett.

 

Am nächsten Morgen fällt mein Blick als erstes auf den Rucksack, der auf dem Stuhl in meinem Schlafzimmer steht. Es war also kein Traum. Sarah war da. Ich schaue zum Radiowecker. Bin spät dran und muss mich echt ran halten, wenn ich es noch pünktlich zur Arbeit schaffen will. Den Rucksack werfe ich in meinen Kleiderschrank und komme mir dabei albern vor.

Während des Tages bin ich zu beschäftigt, um an Sarah und ihre Bitte zu denken. Erst auf dem Heimweg von der Arbeit geht mir die Begegnung wieder durch den Kopf. Sie hat blass ausgesehen. Vielleicht lag das nur an der funzeligen Beleuchtung im Treppenhaus. Aber bei einem bin ich mir ganz sicher. Sie hatte Angst. Sie wirkte unsicher und hat sich häufig umgesehen. Als hätte sie erwartet, verfolgt zu werden. Je länger ich jetzt darüber nachdenke, desto mehr tut sie mir leid. Ich vermute, dass hinter ihren Lügen und maßlosen Übertreibungen eine Art Komplex oder ein Zwang steckt. Vielleicht sogar eine Geisteskrankheit. Wer weiß. Ob ich mit ihren Eltern Kontakt aufnehmen sollte?

 

Die nächsten Tage verlaufen völlig ohne besondere Vorkommnisse. Es ist, wäre Sarahs Besuch ein Traum gewesen. Wahrscheinlich hätte ich den Rucksack erst beim nächsten Aufräumen des Kleiderschrankes wieder in die Hand genommen, aber dann es kommt anders. Am Abend klingelt mein Telefon mehrmals, aber es ist niemand dran. Seltsam. Ich denke an meinen nächtlichen Besuch. Ob es Sarah ist, die versucht, mich zu erreichen?

 

In meinem Wohnzimmer meiner Mansardenwohnung gibt es eine Abseite. Darin ist genug Platz, um kleine Kartons aufzubewahren. In einem davon sind Fotos aus meiner Schulzeit. Ich hole sie heraus und verbringe den Abend damit, in Erinnerungen zu schwelgen. Nach kurzer Zeit fallen mir die alten Bilder aus jenem Sommer in die Hände. Sie wurden im Zeltlager aufgenommen. Ein Foto zeigt Sarah und mich im See. Wir schwimmen um die Wette bis zum Floß in der Mitte. Man kann uns darauf kaum erkennen, so schlecht ist die Aufnahme. Was kann man von einer „Ritsch-Ratsch-Klick-Kamera“ schon erwarten?

Ein anderes Bild zeigt unsere Gruppe am Lagerfeuer. Ich erinnere mich, dass jemand Gitarre spielte. Wir sangen „Sound of Silence“ von Simon and Garfunkel. Und hier ist noch ein Foto. Oh nein, wie peinlich: Es gab einen Abend, an dem man sich wie ein Star verkleiden sollte. Die Betreuer hatten taschenweise Klamotten, Accessoires und Perücken mitgebracht. Ich ging als Janis Joplin mit einer übergroßen Nickelbrille, wüstem langen Haar und Stirnband. Sarah stand auf dem Bild neben mir. Sie sah aus wie Madonna bei ihrem Song „Frozen“. Ihr langes glattes Haar fiel seidig herab und sie trug ein eng anliegendes schwarze Oberteil zu einem weiten schwarzen Rock. Sehr gothic-mäßig und einfach umwerfend. Wie nicht anders zu erwarten, zog sie die Blicke aller auf sich. Die Jungen wischten sich sprichwörtlich den Sabber vom Mund.

 

Während ich noch in der Vergangenheit bade, unzählige Fotos um mich herum verteilt, klingelt das Telefon erneut. Bis ich mein schnurloses Telefon endlich zur Hand habe, was sich mal wieder gekonnt unter das Sofa verkrümelt hat, ist der Anruf beendet. Im Display steht nur „anonym“. Na toll.

 

Die Fotos verschwinden wieder im Karton und der Karton in der Abseite. Bis auf eines.  Das Janis-Madonna-Bild. Aus irgendeinem Grund, den ich nicht erklären kann, befestige ich es mit einem Magneten an meinem Kühlschrank. Wie zufällig sehe ich aus dem Küchenfenster, das zur Straße heraus geht, wo jeden Abend die Autos der Nachbarn geparkt sind. Heute steht noch ein weiterer Wagen dort. Und, zuerst denke ich, dass mir meine Phantasie einen Streich spielt, aber nein, ich irre mich nicht: es sitzen zwei Leute darin. Sie sehen zu mir herauf. Schnell gehe ich aus dem Raum und lösche das Licht.

In meinem Kopf zischen die Gedanken wie Raketen an Silvester umher. Es hat mir Sarah zu tun. Und ich bin es, die beobachtet wird. Die Anrufe ohne Verbindung. Was hat Sarah mir da aufgehalst? Ich habe nicht mal eine Ahnung, wer mir folgt. Merde, merde merde!

 

Okay Eva, denk nach! Ich zwinge mich, ruhig zu bleiben. Vielleicht habe ich nur zu viele Krimis gesehen. Wahrscheinlich spinne ich jetzt total. Die Leute im Auto suchen nur die richtige Hausnummer, weil sie hier fremd sind. Vorsichtig gehe ich ans Fenster. Ohne Licht natürlich. Ich sehe sie nicht mehr. Der Wagen ist weg. Erleichterung stellt sich ein. Alles klar, jetzt ist es amtlich: ich spinne. Sarahs Macke ist ansteckend.

Nur zur Sicherheit, dass ich mit dem Urteil über meinen Verstand falsch liege, nehme ich Sarahs Rucksack und lege ihn ohne ihn zu öffnen in die Abseite. Und weil das noch nicht reicht, rücke ich den Schreibtisch ein Stück nach links, um die Klappe zur Abseite zu verdecken.

Jetzt ein Glas Wein.

 

Eine halbe Flasche Rotwein später scheucht mich das Telefon vom Sofa. Und wieder ist der Anruf vorbei, bevor ich ihn entgegen nehmen kann. Die Anrufliste verrät mir nicht, wer es war, denn die Nummer wurde unterdrückt. Mit einer Mischung aus Wut und Bedrückung ziehe ich den Stecker aus der Telefondose, lege mich ins Bett und kann stundenlang nicht einschlafen.

 

Meine Chefin ruft mich zu sich.

„Es waren zwei Herren in dunklen Anzügen hier und haben ungewöhnliche Fragen gestellt.“

„Was für Männer und was für Fragen?“

„Über dich. Über deine Freunde, dein Umfeld.“

„Und was hast du gesagt?“

„Dass wir ein Arbeitsverhältnis haben. Und dass ich privates Getratsche am Arbeitsplatz nicht dulde. Ich habe die böse Chefin raus hängen lassen.“

„Und das haben sie dir geglaubt?“ Sie zuckt mit den Schultern.

„Ich weiß ja nicht, in was du da rein geraten bist, aber sei vorsichtig. Und wenn du Hilfe brauchst, weißt du ja, wo ich bin, Eva. Jederzeit. Ich vertraue Dir.“

„Danke!“

„Ich brauche wohl nicht zu erwähnen, dass sie mich um Diskretion gebeten haben.“

„Verstehe. Unser Gespräch hat also nie stattgefunden?“

„Welches Gespräch?“ Durch das coole Lächeln meiner Chefin scheint die Sorge um mich durch.

 

Jetzt ist es soweit. Ich fühle mich ständig verfolgt. Jedes Auto scheint mir verdächtig, jeder Unbekannte löst innerlich Alarm bei mir aus. Paranoia macht sich breit und mich fertig.

 

Einen Tag später legt mir meine Kollegin einen blauen Umschlag auf den Schreibtisch.

„Der ist heute für dich angekommen.“ Sie lächelt mich an.

„Danke“, sage ich und suche den Absender. Es ist keiner angegeben. Ich stecke ihn ein, um ihn später auf der Toilette zu lesen.

 

„Liebe Janis,

es tut mir leid, dass Du in die Sache involviert wirst. Und ich weiß genau, dass Du glaubst, dass ich einen Dachschaden habe. Wenn ich Du wäre, würde ich das auch vermuten.

Inzwischen hast Du bestimmt schon in den Rucksack gesehen, und weißt, was sich darin befindet. Ich kann nur sagen, dass es davon noch mehr Exemplare gibt. Oder gab. Ich bin nicht sicher, wie viele davon schon gefunden und vernichtet wurden. Eddie hat sie gut verteilt, aber seit er im Exil ist, hat er keinen Einfluss mehr auf die Verstecke der Datenkopien. Ich wusste mir keinen Rat mehr, denn mein ganzes Umfeld wurde schon abgeklopft, und die Einzige, die in den letzten 14 oder 15 Jahren keinen Kontakt mehr zu mir hatte und somit völlig unverdächtig ist, bist Du.

 

Ich bin auf dem Weg ins Ausland. Meine persönliche und berufliche Nähe zum whistle-blower birgt eine Gefahr für mich und für alle, die mich kennen.

 

Bitte such eine gute Heimat für die Festplatten. Und für den Fall, dass man Dir auf die Bude rückt, hinterlege ich etwas für Dich. In unserem Versteck von früher.

Ich melde mich wieder.

 Alles Liebe

 Madonna“

 

Mir wird schlecht und ich gebe mein Frühstück in Etappen an das Klärwerk ab.

 

Mein Kopf schwirrt. Ich kann keinen klaren Gedanken mehr fassen, geschweige denn arbeiten.

Meine Chefin, der ich von meiner Magenverstimmung berichte, schickt mich nach Hause. Ich rufe mir ein Taxi, aus Angst, ich könnte meinen Mageninhalt im öffentlichen Nahverkehr ausbreiten.

 

Zuhause angekommen, rücke ich den Schreibtisch weg. Im Rucksack, genau wie Sarah es beschrieben hatte, befinden sich mehrere Festplatten. Meine Hände zittern. Ich trau mich nicht an den PC. Wahrscheinlich ist jedes Kommunikationsmittel angezapft. Genau in diesem Moment klingelt das Telefon erneut.

„Hallo?“

„Ich bin's. Andrea. Ich wollte nur fragen, ob ich dich morgen zum Schwimmen abholen soll.“

„Andrea, hi! Gerne. Kann ich dich später zurückrufen? Super. Bis gleich.“

Es muss was passieren. So geht das nicht weiter.

 

An meine Chefin schreib ich schnell eine Mail, dass ich am folgenden Tag noch zu Hause bleiben werde. Ich greife meine Handtasche und meinen Haustürschlüssel, nachdem ich den Rucksack wieder versteckt habe, ziehe mir meine Jacke an und gehe in die Parallelstraße. Ein Auto, dass dem Wagen vom Vortag verdächtig ähnlich sieht, folgt mir wie zufällig.

Im Café an der Ecke bestelle ich einen Milchkaffee und benutze das einzige öffentliche Telefon, was ich im Umkreis von einem Kilometer kenne.

„Hi Andrea, hier bin ich wieder. Abholen wäre toll, allerdings hätte ich noch eine etwas ungewöhnliche Bitte........“

Sie ist irritiert aber einverstanden mit meinem Anliegen und wir verabreden eine Uhrzeit.

 

Während der nächsten beiden Tassen Kaffee versinke ich in Erinnerung. Sarah und ihre Familie, irgendwie waren sie immer geheimnisvoll. Ihr Vater war der Chauffeur eines hohen Politikers, ihre Mutter hat als Köchin in einem Diplomatenhaushalt angefangen und sich dann zur Hausdame hochgearbeitet. Sarah hat viel vom Berufsleben der Eltern mitbekommen, aber wenn sie dann von den Intrigen und Machenschaften erzählte, konnte ich, das naive Landei, kein Wort glauben. Bestechung, Bedrohung und Erpressung, nur um bestimmte Ziele durchzusetzen und Wählerstimmen einzufangen? Das klang für mich zu skrupellos für dieses demokratische Land. Schließlich waren wir nicht im Wilden Westen.  Aber jetzt? Rückblickend betrachtet, leuchtet mir in meiner Situation mit meiner gut dreißigjährigen Lebenserfahrung so Manches ein.  

Nach einer halben Stunden gehe ich seelenruhig nach Hause und habe ein beschwingtes Gefühl und sogar ein wenig Hunger. Dagegen kann ich was tun, denke ich. Der Herr Wagner wird’s schon richten. Ich stelle den Ofen an.

Aber die gerade noch gefühlte Erleichterung verflüchtigt sich, als es durchdringend an der Tür klingelt.

Oh Gott, was jetzt? Ich schließe die Augen, atme tief durch, schaue noch kurz in den Spiegel und gehe zur Gegensprechanlage, um ein zögerliches „Ja bitte?“ in den Hörer zu krächzen.

Nichts. Nur Rauschen. Geräusche von der Straße. Mein Herz klopft laut vor Angst. Lauter ist nur noch das Klopfen an der Wohnungstür.

„Eva? Bist du da? Ich bin's. Kathrin. Ich habe heute ein Paket für dich angenommen.“

Meine Knie werden weich für einen winzigen Moment. Dann sammle ich mich und öffne die Tür.

„Hallo Kathrin. Komm doch rein. Hast du schon was gegessen? Ich habe gerade eine Pizza im Ofen, die reicht auch für uns beide.“

Meine Freude über die Mieterin aus der Wohnung unter mir ist fast schon gespenstisch. Kathrin lebt allein. Sie arbeitet viel von zu Hause aus. Darum ist sie bei allen Post- und Paketboten äußert beliebt. Sie lächelt mich an und reicht mir einen Karton.

„Leider habe ich schon gegessen. Und morgen ist der Abgabetermin für meinen Auftrag und er ist noch nicht mal annähernd fertig. Tut mir sehr leid, Eva. Aber ein anderes Mal bestimmt.“

„Schade.“ Ich bin enttäuscht. Etwas Gesellschaft und Ablenkung hätten jetzt gut getan.

„Ja, sehr schade. Aber es geht heute nicht. Bis bald. Einen schönen Abend noch für Dich.“

 

Ein Paket. Natürlich habe ich mir nichts anmerken lassen, als Kathrin geklingelt hat, aber ich bin einigermaßen verwirrt. Wer schickt mir ein Paket? Bei dem Absender werde ich stutzig. Ein weiblicher Name, der mir nichts sagt, aber eine Adresse, die mir vertraut ist. Nachdem ich den Karton ausgiebig beäugt und schließlich als ungefährlich eingestuft habe, öffne ich ihn. Und bin überrascht.....

 

Am nächsten Tag hupt vor der Tür Andrea, die mich zum Schwimmen abholt. Mit einer großen Badetasche bewaffnet laufe ich zu ihrem Auto. Natürlich nicht, ohne einen beiläufigen Blick über die Schulter zu werfen. Da sind sie wieder, meine ständigen Begleiter.

Bis zum Schwimmbad fahren sie hinter uns her. Wir gehen scherzend und lachend hinein. Andrea spielt ihre Rolle echt gut. Ich bin wahrscheinlich viel nervöser als sie.

 

In der Umkleidekabine ist es warm, als ich mich in die Tarnung aus dem Paket werfe. Eine blonde Perücke mit Pagenkopf. Echthaar. Steht mir gut, sagt Andrea. Hose, Jacke und Schuhe noch wechseln, dann die Brille aufsetzen und mit der kleineren Tasche, die sich in der Badetasche befand wieder raus. Jetzt steige ich in den Kombi von Andreas Ehemann, der hier seit gestern geparkt war und fahre los. Und siehe da, es folgt mir niemand.

 

Nach einer knappen Stunde erreiche ich mein Ziel. Auf dem Gelände am See hatte sich nur wenig verändert. Seltsamerweise erscheint mir die Ebene, auf der die Zelte in meiner Jugend standen, viel kleiner. Als ich den Waldrand und das alte Haus erreiche, wird mir mulmig. Was, wenn es eine Falle ist? Aber ich bin allein und mache mich ans Werk.

 

Die Abdeckung des Brunnens ist aus Metall. Ein schweres Gitter. Die Gitterlöcher sind groß genug, um den Arm hindurch zu stecken. Ich taste die Brunnenwand ab. Irgendwo hier muss es gewesen sein. Ein großer Stein war lose und ließ sich entfernen. Dahinter war das perfekte Versteck für Zigaretten. Jedenfalls damals. Ja, hier ist es. Ich ruckele vorsichtig den Stein raus und lege ihn oben auf den Brunnenrand. Nun fasse ich noch mal in die Öffnung und nehme vorsichtig eine kleine Plastiktüte an mich.

 

Wenige Stunden später sitze ich im Flieger, der mich auf einen anderen Kontinent bringt. Vom See zum Flughafen war es nur noch ein Katzensprung. Das neue Handy mit der Prepaidkarte habe ich benutzt, um Andrea zu sagen, dass alles geklappt hat. Selbstverständlich liegt mein Altes noch in meiner Wohnung. Meiner Chefin und Kathrin, meiner Nachbarin werde ich einen Brief schreiben. Man weiß ja nie, wer alles mithört und -liest. Der falsche Pass hat bei der Kontrolle keinerlei Probleme verursacht und auf dem Bild sehe ich mir ziemlich ähnlich.

 

Mein MP3-Player spielt gerade „Frozen“, als die Flugbegleiterin meinen Sekt bringt und freue ich mich auf ein Wiedersehen mit Sarah.

 

 

 

 

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Texte: Alle Rechte vorbehalten
Bildmaterialien: bookrix.de
Tag der Veröffentlichung: 11.02.2014

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