Cover

Volle Ladung

 

                                                       

 

Die Sonne scheint durch das große Fenster der Raums. Die Kinder der Tigergruppe haben heute gebastelt, denkt Elfi, als sie die Papierfetzen aufs Kehrblech fegt. Während sie die niedrigen Tische von Krümeln und Klecksen befreit, denkt sie wehmütig daran, dass ihre eigenen Kinder fast alle schon aus dem Haus sind. Elfi hat sogar schon Enkelkinder. Zwei ganz bezaubernde Mädchen und einen prächtigen kleinen Neuzugang namens Ken. Sie lächelt bei dem Gedanken an den kleinen Jungen, der sich erst seit wenigen Tagen unsicher wackelnd wie ein Tanzbär auf zwei Beinen fortbewegt.

Ungefähr so wie der Mann auf der anderen Straßenseite, denkt, Elfi, der stark schwankend die Kneipe mit dem heimeligen Namen „Storchennest“ verlässt. Er hat große Mühe, gerade zu gehen.

Wie kann man sich schon so früh am Tag so volllaufen lassen. Was für eine Schande!

Gewissenhaft putzt Elfi die Flächen, um abschließend den Fußboden zu wischen. Dann beendet sie ihre Arbeit für heute.

 

Auf dem Heimweg kommt sie an einer Bank vorbei, ganz in der Nähe der Gastwirtschaft. Darauf liegt ein Mensch. Es ist der Mann von vorhin. Jetzt hat der Kerl es nicht mal bis nach Hause geschafft. Du meine Güte. Seine arme Frau! Er macht sie ja lächerlich im ganzen Ort. Wenn das meiner wäre....

 

Je näher Elfi der Bank kommt, desto vertrauter wirkt das Bild auf sie. Die Hose dieser Schnapsleiche sieht aus wie die Hose ihres Angetrauten Gerd, die sie schon unzählige Male gewaschen und gebügelt hat. Und diese Schuhe...... Elfi wird ganz blümerant zu Mute..... diese Schuhe stehen üblicherweise im Schuhschrank links neben ihren schicken schwarzen Pumps.

Bitte lass es einen Traum sein. Langsam schleicht sie um die Bank herum, um das Gesicht des Volltrunkenen zu sehen. Es bestätigt ihre schlimmsten Befürchtungen.

 

„Das darf doch nicht wahr sein! Ich denke, du arbeitest, dabei versäufst du unser sauer verdientes Geld in dieser Spelunke. Am Nachmittag!“ Es ist egal, wie sehr Elfi schimpft, Gerd hört sie nicht. Seine lauten Schnarchgeräusche übertönen alles, was sie sagt. Der Alkohol hat ganze Dienste geleistet und so hilft kein Rütteln und kein Rufen.

 

Elfi weiß sich keinen Rat. Sie geht nach Hause, weiht ihren Jüngsten ein und bittet ihn um Hilfe. Da weder Elfi noch Klaus einen Führerschein haben, muss es irgendwie ohne das Auto gehen. Klaus sieht sich ständig um, aus Angst, dass einer seiner Freunde ihn sehen könnte. Mein Gott, wie erniedrigend...

Am Ziel angekommen, stellt er die Schubkarre so nah wie möglich  an die Bank heran, auf der sein Vater seinen Rausch ausschläft.

„Auf drei“, sagt Elfi und zählt vor. Während Klaus an der Beinen reißt, versucht sie den Oberkörper ihres Mannes anzuheben, aber weder sie noch ihr fast erwachsener Sohn bewegen Gerd in erwähnenswerte Höhe. Der fast zwei Meter große Mann, so dünn und schlaksig er auch sein mag, ist äußerst unhandlich und schwer wie ein Sack Zement.

„So geht das nicht, Mama.“

Und jetzt? Elfi ist der Verzweiflung nahe. Sie kämpft mit den Tränen. Die Gardine des Hauses neben dem „Storchennest“ wackelt. Das Fenster ist geöffnet. War das nur der Wind?  Oder wird morgen in Windeseile im Dorf herumerzählt, dass ihr Mann ein Säufer ist? Elfis Mut sinkt.

Klaus kratzt sich grübelnd am erst spärlich vorhandenen Bart. Eine zündende Idee lässt auf sich warten. Elfi schaut auf Gerd. Dieser Mann, der  hier so hilflos liegt, ist und bleibt die Liebe ihres Lebens. Sie erinnert sich daran, dass er sie vor mehr als zwanzig Jahren immer zum Tanzen abgeholt und auf der Querstange seiner Fahrrads mitgenommen hat. Pausenlos brachte er sie zum Lachen. Und das tut er bis heute noch. Eine Welle von Liebe und Dankbarkeit überkommt sie. Er ist ein guter Mann und wenn er sich ein- oder zweimal im Jahr betrinkt, ist das doch kein Drama. Jedenfalls solange er seinen Rausch nicht auf der Parkbank ausschläft.

 

Plötzlich schnarcht und grunzt Gerd laut im Schlaf und dreht sich mit einer ungelenken Bewegung auf die andere Seite. Beinahe wäre er auf den Asphalt gestürzt. Aber nur beinahe, denn dort steht sie ja  - die Schubkarre.

Elfi und Klaus sehen sich an und können das Lachen nicht unterdrücken. Sie lachen befreiend, bis ihnen die Tränen auf den Wangen herunterlaufen.

Als sie wieder zu Atem kommen, sagt Klaus:

„Siehste Mama, manche Dinge regeln sich von ganz allein.“

Sie ruckeln noch kurz den besoffenen Mann in die richtige Position und schieben ihn nach Hause.

Eigentlich ist es doch egal, was die Nachbarn denken.

Impressum

Texte: alle Rechte liegen bei mir
Bildmaterialien: www.piqs.de
Tag der Veröffentlichung: 11.11.2013

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für E. und G. F. - zwei wundervolle Menschen

Nächste Seite
Seite 1 /