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Aristocat sucht Personal !




So oder ganz ähnlich hätte meine Katze wohl eine Anzeige formuliert, wenn sie nicht im Tierheim gesessen, sondern sich selbst aktiv eine Bleibe gesucht hätte.
Wir, meine Schwester und ich, waren genau dort, um nach einer neuen Katze Ausschau zu halten. Unsere erste Samtpfote, die wir im Kindergartenalter bekommen hatten, war mehr als ein Jahr zuvor im Alter von 16 Jahren und 10 Monaten an Nierenversagen gestorben. Wir brauchten eine lange Zeit, um das zu verarbeiten. Aber nun war es so weit. Wir waren bereit, eine neue Bindung mit einer Fellnase einzugehen.

Es gab so viele schöne und freundliche Katzen in diesem Tierheim. Sofort wurden wir umzingelt von den aufgeweckten und forschen Tieren. Und sie hatten auch gleich unsere Aufmerksamkeit. So viele Stubentiger, die gern wieder bei Menschen leben möchte....
Eine kleine schildpattfarbene Katze, vielleicht knappe sechs Monate alt, saß auf der Erhöhung eines Kletterbaumes und fauchte uns pausenlos an.
„Diese wird es wohl nicht“, sagte ich zu meiner Schwester.
Sehr schade, denn sie war eine kleine Schönheit. Bernsteinfarbene Augen. Kleine pinselartige Härchen an den dunkelbraunen Ohren. Aber ganz offensichtlich waren wir ihr nicht sympathisch.
Nach einiger Zeit kam die Leiterin des Tierheims und fragte uns, was wir suchten und in welche Umgebung unsere neue Katze käme,ob wir berufstätig sind, ob die Katze Freigang hätte und so weiter. Die üblichen Fragen eben. Nachdem sie sich ein Bild von uns gemacht hatte, teilte sie uns mit, dass genau die kleine fauchende Kratzbürste, übrigens eine Persermischlingskatze, sehr gut zu uns passen würde. Ich konnte es mir kaum vorstellen, aber sie war so zauberhaft, dass wir es mit ihr versuchen wollten. Ihr Name war Mandy, ihr Schicksal war unklar. Vermutlich war sie ausgesetzt, jedenfalls befand sie offensichtlich in Trauer und war nur schwer zugänglich.

Als wir sie abgeholten, saß sie völlig unbeteiligt, aber sehr würdevoll in dem Katzenkorb, der mit einem Metallgitter, durch kurze Ledergurte gesichert, verschlossen wurde. Der Korb wirkte riesig und sie so winzig. Sie musste sich sehr verloren gefühlt haben. Trotzdem schaute sie tapfer mit ihrem erhabensten Blick den kommenden Ereignissen entgegen, so als müsste sie die Etikette an einem königlichen Hof wahren. Das war ein Schlüsselmoment. Ich gab ihr den Namen „Elisabeth“ und ab sofort wurde sie „Lissy“ genannt. Das schien ihr zu gefallen, denn sie reagierte gleich darauf.
Den ersten Abend verbrachte Lissy viele Stunden hinter dem Sofa. Später schlich sie vorsichtig schnuppernd durch die Wohnung und zum Schluss legte sie sich bei mir auf den Schoß. Es gab noch keine Fernbedienungen für TV-Geräte und so musste ich notgedrungen die gesamte Eröffnungsfeier der Olympiade ansehen. Jede kleine Bewegung oder eine Programmänderung hätte sie aufgeschreckt und das galt es natürlich zu vermeiden. Da die Übertragung des Olympiastarts mehrere Stunden dauerte, hatten wir viel Zeit uns kennen zu lernen. Und bald fasste sie Vertrauen zu ihren neuen Menschen.

Lissy schlich sich in alle Herzen, obwohl sie durchaus ihren eigenen Willen hatte. Sie bestimmte, wie lange sie gekrault wurde, sie gab zu verstehen, was ihr schmeckte (und was nicht!) und sie schlief an Ende sogar in meinem Bett. Dass sie an chronischem Katzenschnupfen erkrankt war, wussten wir von Anfang an. In den ersten Jahren hatte sie sehr häufig gesundheitliche Probleme. Zwei Mal in ihrem langen Leben war sie so ernst erkrankt, dass sie am Tropf liegen musste, um dem Tod von der Schippe zu springen.

Unzählige Mäuse brachte sie uns mit. Die Katzenklappe in der Tür zum Keller ermöglichte ihr, zu kommen und zu gehen, wann es ihr beliebte. Und sie genoss diese Freiheit. Einmal hat sie eine lebendige Maus durch die Katzentür mit hinein genommen und im Keller in meinem Wischeimer zwischen geparkt. Die Maus hatte keine Chance raus zu kommen, weil die Wände des Eimers zu glatt waren. Lissy ging in die Wohnung, um einen kleinen Imbiss einzunehmen und wollte sich dann vermutlich gerade auf Ohr legen, als mein Schrei des Entsetzens durchs Haus dröhnte. Nach einer kurzen Diskussion sah sie es ein: nach dem Motto „erst die Arbeit, dann das Vergnügen“ brachte sie erst die Maus zur Strecke, bevor sie für den Tag Feierabend machte.

Sie genoss, dass sie von uns umsorgt und geliebt wurde. Eines Tages stand das Dachfenster offen und sie nutze die Gelegenheit für einen kleinen Spaziergang auf dem Haus. Lissy war immer sehr vorsichtig und brachte sich nie in Gefahr. Eben ganz Katze: immer elegant und sicher bei jedem geschmeidigen Schritt mit ihren dunkelbraun-rot-beige getupften Pfötchen. Und so wurde es zur Routine, dass sie auf dem Dach noch mal kurz Luft schnappte, bevor sich sich schlafen legte, sofern das Wetter mitspielte. Irgendwann hörten auch die Nachbarn auf, zu klingeln und uns darauf hinzuweisen, dass unsere Katze auf dem Schornstein sitzt. Das war von nun an normal. Lissy fühlte sich wie die Königin der Siedlung und verschaffte sich einen Überblick über ihr Reich.

In einer heißen Sommernacht brachte sie einen lebendigen Vogel mit vom Dach ins Schlafzimmer. Wer schon mal schlaftrunken einen völlig verängstigten Vogel nachts um halb drei in seiner Wohnung mit seiner Katze um die Wette gejagt hat, hegt keinen Zweifel mehr, dass Katzen echte Raubtiere sind.

Lissy wurde 17 Jahre und (ca.) 9 Monate alt. Am Ende hatte auch sie die typischen Beschwerden, die Katzen im Alter bekommen. Das Nierenleiden wurde immer schlimmer. Sie wurde schwächer und zog sich in meinen Kleiderschrank zurück. Dort schlief sie fast nur noch. Nächtelang weinte und maunzte sie. Irgendwann war für mich klar, dass sie nicht länger leiden durfte. Der Weg zum Tierarzt fiel mir sehr schwer. Meine Schwester, die längst nicht mehr im Haus wohnte, kam, um uns zu begleiten. Wir haben es uns nicht leicht gemacht mit der Entscheidung über Leben und Tod.
Lissy ging nicht allein. Die zwei wichtigsten Menschen in ihrem Leben waren bei ihr bis zum Schluss und sie wusste, dass sie von Herzen geliebt wurde. Wir begruben sie im Garten.

Ich hegte zwei Tage lang Zweifel, ob ich die Hoffnung zu früh aufgegeben hatte. Aber die Antwort kam prompt.
In der folgenden Nacht träumte ich vom meiner Katze und sie gab mir völlig ohne Worte zu verstehen, dass nun alles gut war. Unter Tränen, aber erleichtert wachte ich auf und dankte ihr für die Nachricht.

Später setzte ich eine Rose auf ihr Grab und es kam dafür nur eine Rosenart in Frage: Queen Elizabeth.

Impressum

Texte: Alle Rechte liegen bei mir
Bildmaterialien: Alle Rechte liegen bei mir
Tag der Veröffentlichung: 08.05.2012

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
für Lissy

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