Edel sei der Mensch
- ein fast freiwiliges Geschenk
Dass ich mir für meinen verhassten Ex-Chef so viel Mühe machte, verstand ich eigentlich selbst nicht. Die Puppe hatte eine große Ähnlichkeit mit ihm, so viel stand fest. Allerdings waren die Haare noch zu lang. Ach, macht nichts. Den dicken Bauch hatte ich jedenfalls gut getroffen. Es war das Abbild des Mannes, der mich viele Jahre bezahlt hat. Unterbezahlt wäre wohl das passendere Wort. Der Mann, mit dem ich jede Woche, die Gott werden ließ, stundenlang in Besprechungen verbracht habe. Und der mir den Hof gemacht hat. Und mich anschließend mit Charme und Großzügigkeit und weltmännischem Getue in sein Bett gelockt hat.
„Ich werde mich trennen, Schatz. Bald sag ich ihr die Wahrheit. Ich bleibe nur bei ihr wegen der Kinder. Sie sind noch so klein.“ Einige Zeit war mir dieses Arrangement auch sehr recht. Aber irgendwann ist sogar mir klar geworden, dass ich nur ausgenutzt wurde. Für billigen Horizontalsport war ich mir zu schade, also beendete ich das Verhältnis, was die berufliche Zusammenarbeit mächtig erschwerte, um es mal vorsichtig zu formulieren.
Vorerst blieb ich in der Firma. Kurze Zeit später hat die neue Azubine meinen Platz beim Chef ausgefüllt und sein außereheliches Bett gewärmt. Und damit ging es los. Bei jeder Gelegenheit hat er mich vor anderen bloßgestellt. Kein Witz war zu platt, keine Bemerkung zu niveaulos, solange es nur auf meine Kosten ging.
Einige Kollegen gaben mir zu verstehen, dass sie sein Verhalten unmöglich fanden, aber ins Gesicht hat es ihm niemand gesagt. Solche Jobs liegen schließlich nicht auf der Straße.
Neben mir lag jetzt jedenfalls der Voodoo-Ratgeber. Ich las die Anleitung. Da stand, dass ich mich konzentrieren soll. Dann mal los. Nun, auf Kommando ging das nicht. Also legte ich mir eine CD auf. Nick Cave and the Bad Seeds war bestimmt das richtige. Okay, jetzt also noch mal. Ich atmete tief ein und langsam wieder aus. Kürzlich sah ich meinen Chef mit seiner Familie beim Einkaufen in der Fußgängerzone. Seine Frau trug Tüten von teuren Parfümerien und exklusiven Boutiquen. Die Kinder liefen gelangweilt hinter den Eltern her. Der große Sohn überragte meinen Chef um einen halben Kopf, die jüngere Tochter hatte fast die Größe der Mutter. Glücklicherweise hatte er mich und meinen Beagle nicht gesehen. Er verabscheute ihn. Wahrscheinlich hasste er alle Tiere. Das beruhte wohl auf Gegenseitigkeit.
Wieder atmete ich ein und aus und versuchte, meine Gedanken zum Stillstand zu bringen, aber irgendwas machte mich nervös. Die Lichterkette und der leuchtende Stern im Fenster irritierten mich. Ich zog beide Stecker aus der Dose.
Jetzt sollte es funktionieren. Augen schließen und ruhig atmen. Der Duft von Lebkuchen in einer Schale stieg in meine Nase. Ich war sogar mal so blöd und habe meinem Chef einen Weihnachtsstollen gebacken. Unfassbar.
Erneut schloss ich die Augen. Vor mir sah ich jetzt meinen Weihnachtsbaum, den ich am Vortag mit Holzfiguren, Engelshaar und Lametta geschmückt hatte. Weihnachten allein. Mal wieder, also wie immer. Es hatte sich im Grund nichts geändert. Was für ein trauriges Fest!
Beim nächsten Versuch war ich völlig ruhig. Mein Atem floss gleichmäßig. Mit geschlossenen Augen stellte ich mir den Mann vor. Er grinste mich an. Böse und voller Niedertracht. Gekränkte Eitelkeit brach aus jeder Pore seines verschwitzten Gesichts. Und da war noch was. Überlegenheit.
Jetzt öffnete ich die Augen, nahm die Puppe und sah sie eindringlich an. Dann griff ich zu einer Nadel und führte sie langsam ohne jede Eile zum Abbild meines Ex-Chefs. Wie einen Stift gab ich sie der Voodoopuppe in die rechte Hand. Mit dieser Hand schrieb der magischen Stellvertreter Zahlen und Buchstaben auf ein kleines Blatt Papier. So. Fertig.
„Komm Watson, es ist Zeit für die Bescherung!“ rief ich meinen vierbeinigen Freund.
„Der angesehene Geschäftsmann Dr. Langhorst überraschte das städtische Tierheim zum Weihnachtsfest mit einer großzügigen Spende in fünfstelliger Höhe“, las ich wenige Tage später laut aus dem Lokalteil der Zeitung vor.
„Na, was sagt man dazu, Watson?“ Ich schaute meinen Hund an und sah ihn lächeln.
Texte: susannahknopp alias Emma Nentwig
Tag der Veröffentlichung: 29.03.2012
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