Paris
Es verschworen sich ein Khakihemd und ein weißes Seidenkleid. Die Verabredung war geheim. Das Lächeln der Falten nicht zu übersehen. Abends dann fiel ein blaugrauer Schatten über beide und vom Aperitif ein funkelndes Tröpfchen auf das Weiße an die Stelle der untergeordneten Vulva. Fremde lachten die Armgänger an und natürlich, es war Paris, rauchte man zusammen, wie es sich so ergab.
Die aufdringlich enge Freundin mußte nach der gespielten vorübergehenden Trennung eingeschläfert werden und die Araber gaben dazu Datteln. Zu den Algeriern setzte man sich ins warme Gras und ein alles vergessendes Lachen schob das weiße Kleid auf einer Plastiktüte in den Trocadero-Brunnen. Nachtschwärmer folgten. Ein Gitarrenferrat seufzte Aragon, das Kleid war naß und solidarisch bis zu dem einzelnen Strohhutträger am Ende der bekannten Welt.
Der Treffpunkt war ein Studentenheim mit templerischen Stahlbetten in einer grauen Schachtel ohne Bad; und Hemd und Kleid sanken in das quietschende untere Bett. Da schwitzte die Stirn, Hände zitterten, eine Tablette wurde genommen, das klatschnasse Hemd entgürtet und eine trockene sanfte Nausikaa-Hand stillte die abebbende Entgrenzung. Ein Ehering fiel klingend zu Boden. Die Nachtluft kam kühl. Das Hemd wurde an den abgesplitterten Fenstergriff gehängt, daneben ein Spitzenbustier, dessen Strumpfhalterbändchen ruhig herabhingen. Erotisches versprühte das Verbotene allein, die Schuld, die doch aus so Richtigem kam, wie einen Sterbenden zu erfreuen. Das weiße Kleid legte sich mit Zärtlichkeit und Moschusduft ihm zu Ehren und bereit, allen Racheengeln zu trotzen für diese Richtigstellung am nächtlichen Himmel. Gerade im Häßlichsten blühte eine Ästhetik auf, die zu erschreiben kein Buch vermocht hatte. Das Eindringen war der humanistische Sieg über alle Vanitas, es stürzten Siechtum und Hinfälligkeit, Todesängste und Verbitterungen, ganze Lehrgebäude aus Worten des Maßes und der Einsicht in eine Schamspalte aus empfangender Liebe und jungenhafter Umklammerung. Die Form bekam das Glied noch einmal zurück, die es in beängstigenden Nächten der Lust anzunehmen sich gewöhnt hatte wie einen Usus im Zelt der Beduinen. Ein ganzes Leben lang war die Welt fremd geblieben nur um sich in diesem Augenblick des Ankommens zu zeigen, sich vertraut zu machen mit dem scheidenden Körper, auf den es nicht ankam unter Millionen von Körpern, der es aber verstanden hatte, sich einem weißen Kleid anzuvertrauen.
Das Croissant im erwachenden Paris opferte sich unter vier strahlenden, schuldbeladenstrahlenden grünen Augen zwei betörend süßen Milchkaffes. Und eine Apfelblüte öffnete sich schweigend am Uferbaum des alten Flußes. Da schwamm kein Mädchen mit rundem Gesicht, nur ein Staubkorn vom Arc de Triomphe. Nie fand sich ein Dichter bisher, dies zu beschreiben. Doch mit einem weißen Stofffetzen dichteten Enten vor der Stadt ihre Nistung für neues Geschnatter.
Sacré Coeur
Vermaledeites, verfluchtes Herz! Propf auf einem Vulkan, herausschleuderbar von roter Lava die nicht trocknen kann an der Luft und an der Kälte: Einziges Sakrileg du! Mit dir leben müssen und unter dir Magma, das Innerste, das der Erde, mir, zueigen in diesem Nichtshaben, Nichtstaugen, Nichtsgewinnen. Sacré! Sacré!
Mon Martre! Marter, Martha, du entschwandest nicht, wenn ich dich auch deckte mit Sand und Quaderstein, du bohrtest dich tiefer, der Druck stieg, ich kniete und wand mich die steile Treppe am mittigen Geländer wie Efeu! Ja - wie Efeu: ein Füßchen nach dem anderen setzte, zog ich mich, es mich, du mich, sinnenlos aufwärts - nicht die Büßer, fußlos ganz, am Petersdom, können so die Qual jeder einzelnen Stufe, der einzelnen Steinkante, der Kälte, der blutigen Schrammen ins Fleisch gebohrt bekommen haben wie ich. Und es tut mir nicht Leides! Deine sanfte Kuppe verschmolz mit meinen blutigen Knien und mit dem Magma, das unaufhörlich quoll, quillte und Quelle war einer sich selbst genügenden Lust. Wer erklärte deinen höchsten Punkt über der Stadt, an ihn schmiegten sich Künstler und die Jünger der Sorbonne, aus den Cafes kamen sie heraufgekrochen, unzählige Ameisen, ein lautes Lachen hier und verschmuste Pärchen da, mit blankkitzeligen Näbeln und Sonnencreme und meine sunglasses drückten. Und auf meinem Leid gingen sie, das sie schirmte und schützte vor dem Moloch. Dem inneren Moloch meines Vulkans und dem äußeren Moloch Stadt. Symbiose war wie des Gullivers und seiner Zwerge. Den Pfahl nahm ich auf. Stellvertretend.
Ich bohrte ihn in die Dirnchen, die süß spitzengewandet mir Schokolade gaben, an der noch Freiergeldgeruch von den Heimatländern kündete, etwas spießig vielleicht, aus Castrop-Rauxel, ja, wann ist man schon mal in Paris? Und an meinem Martre hingen sie wie Zecken und träumten vom Ausstieg in trocknergehängte Windelflügel an der roten Mühle. Und natürlich einen arbeitenden Mann, der sein Leben hingab, sie zu ehren.
Und mein Magma schmeckte ihnen süß, rauschig wie der gleichrote Mohn und nur berauscht fielen sie ab und ich kringelte mich um mein Herz in einer dunklen Ecke unter deiner Kuppel, sacré coeur.
Seine
Da liegt sie. Die Seine. Seinet sich durch die alte Stadt Pentagruels. Die Bouquinisten werfen ihre Bücher fort, küssen sich untereinander und springen. In den Fluß. In die Seine.
Ich liebe Voltaire. In seiner klugen Art, dem ironischen Pragmatismus. Gegen das Chaos anzutreten mit dem Lächeln der klassischen griechischen Statue. Bunt waren sie, die Chaosophen, die ihre Berufung zur Bändigung lebten. Vor und nach den Persern vergruben sie sie, denn nichts sollte ihre Gottheiten zu Gesicht bekommen. Unter dem Sand. Ja - unter dem Sand.
Ich baute Voltaire einen kleinen versteckten Altar unter dem Dach der Sorbonne. Das Versteckte ruht gut und lange. Bis die Zeit reif ist. Und an dem Knotenpunkt der heiligen Wege in Notre Dame legte ich eine Clematis nieder, beatmete sie und gab sie an die Seine zurück.
Für mich schwimmt sie dort. Unter dem Wasser. Unter dem vielen Wasser. Sie schlingt sich nun um die Ablagerungen der alten Stadt, den Ertrunkenen schmückt sie ein Grab. Sie lächelt für mich.
L´Opéra
Da sitze ich. In den unterirdischen Gewölben, Wasser glitscht und gluckert, meine Kerzen erhellen nur unwesentlich die Eremitage und das Springen der Ratten. Im Halbschatten meine Dämonen: sie grinsen mich an, ich aber kann mein Gesicht nicht bewegen. In das Wasser sehe ich nie.
Aus der Oberwelt gefiel mir einer, aber Entführung? Er sang starke männliche Rollen bis ich kicherte vor Verzweiflung. Dort nämlich, wo der Zentralpunkt der Bühne, steht mein Ohrensessel aus Bohème, dort ist die Akustik am besten. Einem Menschengesicht mit meiner Mestizenfratze zu begegnen, dieser ewigen Jüdin aus den Ahnen, Gott habe sie selig!, ist mir verwehrt. Bestenfalls einem reinigenden Feuer aus Verachtung wäre ich des Glaubens Preis.
Den steinernen Don Juan habe ich mir an die Seite gerückt mit seiner Maske aus Penis. Der Herr des Dunklen zeigt mir gelegentlich seine 503 Oberweltfrauen. Da lache ich zur Registerarie. Ich klebe mir bunte zu Boden gerollte Früchte aus den Halles in die eiternden Gesichtswunden: den Frühling, den Sommer, den Herbst und den Winter. Die Farben der Geschwüre harmonieren gut mit dem Fauligen der letzten Ernte. In den Schritt trete ich den Passanten vor dem Centre G.P., eine alte Apollonvise vergoldet mir diesen Freigang. Doch ich ruhe lieber. Höre die Schritte der Diven, das Auftreten der Tenöre. Wünsche mir eine homoerotische Oper, doch schmallippige Frauen in Hosenrollen wären mir Grauen. Lieber den Eber und Mars.
L´Arc de Triomphe
Tatsächlich - es gibt eine Börse, an der sich satte Gewinne machen lassen für all die Zuträger und Ausforscher, Vertrauensmißbraucher und Verräter. Ein Liebender ist der Aufkäufer für Wissen, das so geheim ist, daß er es jederzeit erfragen hätte können. Dennoch bin ich gerührt über den Aufwand. Dem Arg des Triumpfes schenke ich ein Ohr. Stary, stary night ...
Da turne ich über die Champs Elyées und habe die besten Noten und gute Chancen auf die Olympiade. Wer will aber schon eine Goldmedaille für sich? Nein, nein - mein Platz ist bei mir. Hier baue ich mir die Wiege, denn in meinem Bauch wächst ein Kleines. Ich bin fruchtbar und jeder Keim geht auf. Am 16. Mai sollte er gezeugt worden sein, eines Herrschers würdig. Nicht, was die Welt denkt, eines Mächtigen, nein - eines, der sich der Ohnmacht verschreibt, der Ohnmacht des Wortes.
Eines, der über uns hinausgeht. Dessen ihm von mir zugedachter Vater zu tun hatte, der sich doch eines schnellen Beischlafs bediente, denn fertig war er vor allem Samen. So spannte er den männlichen Bogen eines fremden Triumphs daß er glitte unter sein Königsdach. Konzepte entwickelt er da, ist erster und schnellster und keinem ist die Ohnmacht so mächtig wie ihm. Die Kraft liegt im Lassen. Man sieht ihn und weiß nicht. Ich flog als Taube. Lächelnd gurrte ich im Sushi. Seinen Namen verrate ich nicht. Noname.
Charité
Da werde ich also wieder liegen in Wehen, weiß in weiß eingedämpft, die Schmerzklimax immer wieder über den erträglichen Punkt hinauskrampfend, doch jede Wehe bringt dich deinem Kind näher und Vivien hatte nicht recht, daß es wie eine Vergewaltigung sei, und ich hatte nicht recht, daß, was lustvoll hineinkäme auch lustvoll herauskröche, neinnein, das Band, diese heilige legatio aus Mutter und Kind - nur aus Schmerz kann sie geboren sein, aus Verpflichtung im Schmerz auf ein ganzes Leben, auf alle Schmerzen des Lebens, auf alle Lebensäußerungen aus Schmerz.
Und darin liegt das Glück, in diesem eigenen Sterbekreuz, jeden Tag zur Ansicht nahe wie das Holzleiden des Isenheimer Altars im ursprünglichen Hospital, dieser Caritas den Leidenden, die im noch größeren und schmerzhafteren Leiden ihr Glück erkennen und sich klein ausnimmt, was da nicht mithält. Die Idylle der Hausgeburt kenne ich gut und wie so organisch im frühen Morgen mit dem ersten Amselschrei in deinen eigenen Schrei sich das Stimmchen mit seinem ersten Weltenton meldet, unerhört, nie da gewesen, bislang nur ein dumpfer Herzton aus einer Maschine. Und du antwortest stumm in das sich erhebende Gotteslob aller fremdsprachigen Vögel und dein Kleines Fleisch und Blut sieht dich an mit allem Wissen, daß noch frisch in ihm ist, um erst auf Erden zu verdummen auf Menschenniveau. Mit zusammengeschnürten Beinen verlaßt ihr das Haus in einen frischen Frühling und ist die Nabelschnur durchtrennt, gehört es dir nicht mehr, ist es nur anvertraut vom Schmerz, es vor Schmerz zu lassen und es im Schmerz zu halten. Denn eines Jeden ist sein eigener Schmerz. Ihn zu lassen, ihn auszuhalten, ihn mitzutragen, mater in marter, dolorosa. Charité ist eine Mutter, natürlich. Und eine Mutter ist ein Haus, ein Daheim oder ein Krankenhaus. Immer ist sie ein Haus im Unbehausten. Doch das Kind wird ein neues Haus bauen, das die Mutter nie betreten wird.
Bois de Boulogne
Die Ausgebootenen booteten über die Kanäle und Teiche in blassen russischen Kleidern und Sonnenschirmechen, wir auch. Die Bindestriche von Wasserfläche, niederen Ruderbooten, flachen Grasböschungen, kindshohen Gebüschlinien wurden nur durch die vertikalen vereinzelten Kugelkopfstrichmännchen oberkörpers durchstoßen. Eine friedliche Stille, Idylle und ich dachte an Claires Knie und eine Sommerflaute zu dritt und wie man abwarten könne, daß sich die Cheater gegenseitig betrögen und eine große Ruhe war. Wir lächelten einander an. Ich küßte dir die Hand und nahm auch ein Ruder. Das Schwanenpaar hatte graue Junge und die Wildgänse flogen. Nur so war das Bourgeoise vorrevolutionär zu ertragen. Die mannigfach unterschiedlichen Grüntöne eine Augensymphonie von mäßiger Anmut.
Rodin Museum
Hier lebtest also auch du, Weichgeherzter, Parasit deiner Parasiten und dichtetest in der zweiten dir vertrauten Sprache neben einem Zweiten, dir Vertrauten. Es wäre interessant, die franzözischen Gedichte zurück ins Deutsche zu übersetzen. Ich erinnere mich, als eine Suada in Italienisch mich anfiel und ich zurückübertrug ihren assoziativen Wahnsinn: wie sich da alles verengte, schmälerte, verblasste in das Korsett deutscher Wörter. Ja, Deutsch ist eine Samensprache - sie arbeitet nie mit voller Fülle, denn sie kann sie nicht erfassen. Der Gewinn jedoch ist, daß ihr jedes Wort bedeutungsschwer aufgeht, Fühler ausstreckt, sich entfaltet wie eine Wüstenblume, die monatelang, jahrelang dörrt und sich erst dem Regen öffnet. Nicht das Volk hat die Dichter und Denker hervorgebracht, sondern die Sprache selbst: Rache und Ach! Spucke sind ihr immanent in nur einem Wort der Selbstbezeichnung. Das gezeichnete Ich erfasst nichts, begreift nichts, aber es dehnt sich aus, tentakelt sich ins Gehirn, verspricht Ungesagtes gesagt zu haben, verspricht ein ständiges Werden und Wachsen, verpufft schließlich in seiner Bedeutungslosigkeit.
Da ist eine große Ähnlichkeit zu Rodin, der Samenbildhauerei liebte: den Gegensatz zwischen Stein und Andeutung, Ahnung. Zu keinem anderen Material ist es so schwer, die Form im Entstehen, diesen magischen Moment des Beginnens von Etwas, hineinzulegen. Der Maler nimmt nur eine Lasur und Schatten. Der Musiker arbeitet sich aus der Stille tastend zuerst mit Herztönen heran. Der Dichter läßt zwei Worte, die sich fremd sein müssen, nebeneinanderstehen. Der Bildhauer aber hat mit härtester und zugleich vorsichtigster körperlich schweißtreibender Arbeit dem Stein eine zarte gewölbte Fläche, eine halbe Wade nur, Frauenhaar oder ein Lid schlafend in der Hand Gottes abzuringen. Dem Stein herauszuschlagen. Zwei Sämänner also mit Worten und Steinen zärtelten hier.
Père Lachaise
In dieser Stadt in der Stadt ließ ich mein Kleines, das Größte in einem wundersamen Hügel unter dem Gras. Kulthof des Vorfriedens, den ich nicht nenne, des Vormärz und seiner Gespielen. Ich ging dort nicht selbig, doch mit Lilien und Rosen weiß, Levkojen und Tannenreisig unter den Engeln. Ich aber war der Maulwurf und kroch Oscar aus dem Mund und zwischen der Dichter Gewürm war ich die tonlose Taste. Freds Impromptu hämmerte in mir ein eisiges Kristall und Schnee lag noch. Einem wärmte ich zitternd den Hüftknochen und blieb. Die Lieben ähneln sich alle. Allen anderen Lieben. Ein Samenkorn an das andere gedrückt im Hügelgrab der Geschichte. Den Aufwand hatte ich nie verstanden, nur die Blüte im Halbmond bei geschlossenem Auge.
Mein Fell war mein Auge und welch Kürschners hätte ich bedurft! Als er kam, mir die Haut abzuziehen, sah ich ihn an und hielt die ungestachelte Brust hin. Aus den beiden nicht wieder vernähbaren Hälften ließ er sich Manschettenknöpfe drechseln für ein Sonntagshemd. Wochentags legte er mich am Eingang zur Gruft unter den Türvorleger und schritt jede Nacht über mich ein und aus. Gargoyles brachten mir aus den Regenrinnen von Notre Dame silbrige Wassertropfen unter den höhnenden Blicken der Engel. Ich trank sie gierig.
Tag der Veröffentlichung: 07.03.2009
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