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Hilfe – mein Mann ist Rentner – 1. Tag

So also beginnt der neue Lebensabschnitt. Mir ist übel und mein Kopf fühlt sich an, als ob Hamster in ihm Ping-Pong spielen.

Neben mir ist ein lautes Schnarchen zu hören. Dann wieder nichts. Totenstille.
Erstickt er jetzt? Atemstillstand am ersten Tag seines vorgezogenen Rentnerdaseins?

Von wegen. Ein ohrenbetäubendes Seufzen mit nachfolgendem Grunzen beendet den Sterbevorgang und holt meinen Angetrauten wieder ins Leben zurück. Mehr als deutlich ist klar, dass er noch sehr lebendig ist. Er heißt übrigens Anton, dieser Radaubruder in meinem Bett.

Ich halte das nicht mehr aus. Dieser Lärm bringt meinen Kopf gleich zum Explodieren. Ich muss hier raus.

Ich schlage die Bettdecke – cremefarbener Satin mit roten Mohnblüten – die Blüte als Zeichen des Schlafs, die Farbe als Zeichen der Leidenschaft – ich liebe solche geheimen Botschaften, die nur ein Insider erkennt – zurück, schlüpfe in meine eleganten Designer-Puschen und wanke zur Toilette.

Ein Blick in den Spiegel verrät mir, dass ich genauso ausschaue wie ich mich fühle. Wenn weiß keine Farbe wäre, dann hätte ich keine.

Schnell greife ich zum Aspirin und schmeiß die Tablette in meinen Zahnputzbecher und halte ihn unter den Wasserhahn. Mist, ich hätte die Bürste entfernen sollen. Na egal, rühr ich halt mit ihr um.

Das Aspirin löst sich und es bildet sich ein kleiner Wirbelsturm aus Blasen, während das Wasser immer milchiger wird.

Mit einem angewiderten Gesicht schütte ich den Helfer in der Not in mich hinein. Das war wohl gestern doch etwas zuviel Champagner.

Die Firma „Elox Marmy“ hat sich überaus spendabel gezeigt. Schließlich war Anton so was wie das Aushängeschild ihres Konzerns im Süden Deutschlands. 60 Leute feierten Abschied im „Grünen Haus“ hoch über dem Rhein bei Koblenz.

Was muss mein Mann für ein toller Hecht gewesen sein, der im großen Meer der potentiellen Kunden seinen Konkurrenten die besten Happen wegschnappte.

Fünf Manager sangen ein Loblied auf seine Verdienste, während Anton sich im Glanz seiner eigenen Größe sonnte.

So etwas hätte ich auch gerne selbst erlebt. Diese Huldigungen für geleistete Arbeit. Aber was war denn mein fassbares Lebensergebnis? Die frisch geputzten Fenster sehen nach einer Woche wieder schmutzig aus und meine Sammlung an Kochrezepten erben keine Kinder – mangels Nachkommen – aber das ist eine andere Geschichte.
Jetzt schlurfe ich in unsere gelb gestrichene Küche. Die Chromteile blinken, als ich den Himmel aus Halogenstrahlern einschalte. Ich drücke auf den Startknopf der Jura-Kaffeemaschine und höre befriedigt dem Mahlen der Kaffeebohnen zu. Das ist meine liebste Morgen-Musik. Wenig später sprudelt mein Muntermacher in den silbernen Becher. Nach ein paar Schlucken werden meine Lebensgeister wach.

Ach herrje – jetzt habe ich ihn den ganzen Tag an der Backe, denke ich, während ich meine Arme nach oben strecke, um durch diese Dehnung die Starre aus dem Nacken zu vertreiben.

Anton, der agile, laute, powervolle Anton, mein seit 25 Jahren angetrauter Gatte, dieses Musterexemplar eine gewinnorientierten Geschäftsführers, dessen Terminkalender die Dicke eines Otto-Kataloges hat, dieser hektische, immer unter Strom stehende Alpha-Wolf, soll nun von diesem denkwürdigen Tag an, dank eines neuen Managements, wegrationalisiert als Teil einer Aktion Silberlocke, seine wertvollen Stunden mit mir verbringen.

Meine Freundin Gerda warnte mich noch letzte Woche: „Pass auf – seit mein Holger zu Hause ist hat er einen Klops im Kopf“.

Ich wollte keine näheren Erläuterungen von ihr, was sie so unter dieser Diagnose versteht, denn meine Vorahnungen, was mir jetzt bevorsteht, reichen fürs Erste.

„Schatz, wo bist du“ – höre ich ein klägliches Jammern aus unserem Schlafzimmer. „Ich mach dir einen Kaffee“, rufe ich, während ich den Startknopf der Kaffeemaschine zum zweiten Mal betätige.

Unsere beiden Tassen jonglierend betrete ich den Schlafraum. Meine Güte, stinkt das hier nach Alkohol.......

Anton liegt zerknautscht auf seinem Kopfkissen. Die Gesichtsfarbe variiert zwischen rot und grün. So sehen manche Penner in der Fußgängerzone auch aus.

Mit einem geöffneten Auge beobachtet er, wie ich mich seinem Kopfteil nähere, während das andere im Nirwana der Kissenfalten verschwunden ist.

Ich setze mich auf die Bettkante und halte ihm die Tasse hin. „Hier, für dich. Willkommen im Club der Rentner“, sage ich.

„Oh Gott, wie sich das anhört....“, seufzt er, während Anton sich langsam aus dem Kissen schält und aufrichtet. Er greift nach der Tasse und trinkt den ersten Schluck.

„Wie spät ist es denn?“ „Viertel vor zwölf“, erwidere ich.

„Oh, wie schön. Herrlich, so lange auszuschlafen. Da kann ich mich direkt dran gewöhnen“, sagt er und grinst.

„Ich aber nicht“, denke ich grimmig, während ich den Rollladen am Fenster nach oben rattern lasse. Ein greller Sonnenstrahl trifft sein Gesicht.


„Jetzt aber raus aus den Federn. Zeit zu duschen. Du schaust aus wie achtzig und stinkst wie ein Iltis“. Mit Schwung ziehe ich ihm die Bettdecke weg.

.....und während er sich die Spuren der letzten Nacht von seinem Körper duscht, steige ich in Gedanken in ein Taxi, um für immer aus seinem Leben zu verschwinden.

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Tag der Veröffentlichung: 06.07.2009

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