Das Endoplasmatische Reticulum
oder: Warum ich Bio abgewählt habe
Wir kennen es alle:
Allein eine unauffällige, gelbe Tür im Schulhaus
Sie ruft Panik hervor
Und überschüttet uns mit schlechten Erinnerungen
Ich rede nicht von denen, mit denen meine Zehen schon mal ein Rendezvous hatten.
Sondern von denen, hinter denen wir Skelette von Hugo und Herzen aus Plastik wissen!
Wie viel Zeit meines Lebens habe ich wohl damit verbracht,
Die sinnlosen Namen, Strukturen und Skizzen vor dieser grausamen Tür in mein Hirn zu brennen?!
Endlos viele. Freiwillig!
Man glaubt es kaum. Dieser Art von Folter habe ich mich aus freiem Willen unterzogen.
Ich tat es aus Angst.
War jung und brauchte das Geld... ähh... die guten Noten.
Wollte der Bloßstellung mich nicht kampflos ergeben.
So saß ich nun zu Hause.
Den extemporalen Wetterbericht auf Schneesturm glaubend
Und paukte und lernte mit rauchendem Kopf,
Glühender Feder und – Augen kurz vorm Tiefschlaf
Und dann, vor der Tür.
Die 5-Minuten-Pause sinnvoll nutzend
Schnell das Zeug zurück in den Kopf -
Und auf Verspätung des Lehrers hoffend.
Er ist pünktlich.
Mit schwitzenden Fingern trau ich mich gar nicht,
Mein Bio-Heft aus Versenkung zu holen
als der Lehrer – den Nachbarn ausfragt.
Die Abfrage vorbei, die Zelle soll uns nun interessieren.
Ich male in meinen Eier-förmigen, runden Kreis
munter rote Sommersprossen hinein. Ribosomen.
Der Golci-Apperat wird gekringelt,
Das unausprechliche, mysteriöse ER gekrakelt
Und die DNA geschleift.
Doch mit der ausgeteilten Kopie hat mein Wunderwerk wenig gemein -
Eher mit Hundertwasser, oder Van Gogh
Doch – oh nein! - die Kopie ist von den Masern befallen!
Lauter schwarze Punkte – selbst in den Ecken.
Obwohl - , nein, stell ich fest, nur wie immer eine schlechte Kopie.
Zu Hause denk ich verdrossen
- Masern hin oder her -
Eine Ex gibt es eh nicht, wie immer,
Und die Wahrscheinlichkeit einer Abfrage liegt bei jämmerlichen 3%.
Wieder vor der Tür
Alle sind aufgekratzt, „Eine Ex! Eine Ex!“
Lass mich anstecken
Doch – kann nicht lernen, denk immer nur über schwarze Masern nach - Sind Masern nicht rot?
Am Stundenanfang. Der Lehrer will ausfragen.
Puh, ich atme auf, keine Ex -
Doch denkste Puppe – verdammte Stochastik! – die 3% Wahrscheinlichkeit sind genug!
Verdammt!
„Erzähl mir doch mal was über die Zelle“,
Was? Etwa ein Schauermärchen?
Nein, wohl eher nicht.
Ich versuche mich wieder zu konzentrieren. Erfolglos.
Stöhnen, Schulter zucken,
Und dem Lehrer möglichst nicht in die Augen gucken.
„Hm.... Dann sag mir doch mal, was ist den das ER?“
Keine Ahnung, Panik kommt auf. Erinnerung, wo bist du?
Was lateinisches mit E und R.
Essbare Ratten? Entenfressendes Rattan?
Nein, nein – Lateinisch! Latein!
„Fuga salutem petere“ fällt mir nur ein,
Das Heil in der Flucht suchen.
Würd' ich nun auch gerne tun.
Warum ist mir das in der letzten Schulaufgabe nicht eingefallen?
Bio, Bio, Bio! Konzentration! „Äääähh“, stammle ich.
„Denk nach!“, ruft die andere Hälfte meiner gespaltenen Persönlichkeit in mir. „Denk nach!“
Fachbegriff. Lang. Böse.
Wie „Frühsommer Meningoenzephalitis“? -FSME? Nein, das war's nicht.
Was war es dann?
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Neben mir zählt jemand plasmatische Rhinozerose. ---
Und wird des Einsagens beschuldigt. Häh? Was?
Ich gebe auf. Räume das Feld. Ziehe von dannen.
Wohl wissend: Die Zeiten der Folter sind vorbei:
Physik, Informatik, alles okay.
Aber kein Bio – Ich bin frei!!
Tag der Veröffentlichung: 05.03.2011
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Ich widme dieses Gedicht allen Schülern, die Bio genauso hassen wie ich.