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Borderline

 

 

 

 

 

 

Borderline

 

 

 

Ein Roman von Sabrina Wojcik

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

1.: Rose und Melissa

 

Ein klingelnder Wecker am frühen Morgen war schon immer die schlechteste Art für

Rose Elliott, aufzuwachen. An einem Tag wie diesem, der mit dicken Regenwolken begann,

erst recht. Aber so war der kalifornische Frühling.

Missmutig zog sie in der kleinen Wohnung die Jalousien hoch.

Da es außer dem Wohnzimmer, in dem Rose auch schlief, nur noch die Küche, das Bad und Melissas Zimmer gab, dauerte das nicht sehr lange.

Zuletzt ging sie in das kleine Zimmer ihrer Tochter Melissa, die noch selig schlief und sich auch nicht von der plötzlichen Helligkeit darin stören ließ.

Leise setzte sich Rose ans Bett der Kleinen und sah ihr noch einen Moment beim Schlafen zu.

Das kleine Gesicht mit der Stupsnase und den großen, blauen Augen, die noch geschlossen waren, war völlig entspannt, die langen, dunkelbraunen Haare lagen wirr auf dem Kissen.

Schließlich legte Rose eine Hand auf den kleinen Bauch und kitzelte ihn.

Lachend wachte Melissa auf, sie liebte es, so von ihrer Mutter geweckt zu werden.

Rose beneidete Melissa oft dafür, dass sie noch Kind sein durfte. Für Kinder war die Welt

noch voller Wunder und Freude. Alles war neu und aufregend, alles wollte man lernen.

„So, meine kleine Maus, jetzt aber raus aus den Federn“, sagte Rose lächelnd, hob Melissa auf und trug sie ins Bad. Melissa war jetzt fünf und sie schaffte vieles schon alleine, also ging das gemeinsame Waschen schon recht schnell, dann zogen sie sich an und gingen in die Küche, wo Melissa frühstückte, während Rose ihr einen Snack für den Kindergarten zubereitete und nebenbei drei Tassen Kaffee trank.

Anschließend wurden die Zähne geputzt, die Haare frisiert und dann war es auch schon sieben Uhr, Zeit, aufzubrechen.

 

Rose brachte Melissa jeden Morgen um halb acht in den Kindergarten und ging dann von acht bis zwei in einem Seniorenheim arbeiten, das praktisch um die Ecke lag.

Sie hatte kein Auto und dankte Gott jeden Tag dafür, dass sie mit ihrer Tochter nicht so weit laufen musste. Wären sie auf den Bus angewiesen, könnte Rose nicht so früh auf der Arbeit sein.

„Mommy, warum ist denn der Himmel heute so grau?“ fragte Melissa auf dem Weg.

Rose lächelte. Sie erklärte Melissa gerne, wie die Welt funktionierte.

Manchmal war sie sich selbst nicht so sicher, aber dann wurde einfach Google gefragt.

„Naja, die Wolken sind aus Wasserdampf. Wenn die Sonne scheint, gehen doch immer die Pfützen weg und im Sommer trocknen manchmal die Bäche aus.“

Melissa selbst konnte sich nicht erinnern, jemals einen ausgetrockneten Bach gesehen zu haben, aber vielleicht hatte sie einfach noch nicht genügend Sommer erlebt.

„Und das Wasser geht dann hoch in den Himmel?“ fragte sie zweifelnd.

„Weißt du, wenn ich Spaghetti koche dann, kommt das Wasser ja auch als Dampf aus dem Topf.“

Das wiederum hatte Melissa schon oft beobachtet und gerne die Gelegenheit ergriffen, an der beschlagenen Fensterscheibe zu malen.

„Und so ist das auch mit dem Wasser in den Pfützen. Nur langsamer, darum sieht man den Dampf nicht. Und wenn dann die Wolken zu schwer werden, regnet es“

„Und wenn sie wieder leer sind, dann scheint die Sonne wieder?“ fragte Melissa.

„Ja, mein Schatz, und der Wind pustet die ja auch mit weg.“

Das Mädchen vollführte ein paar Hopser. „Dann freue ich mich jetzt immer, wenn es windig ist“,

beschloss sie.

Rose lachte. „Genau. Solange du nicht weggeweht wirst.“

Sie kamen am Kindergarten an, einem freundlichen, weißen Gebäude mit einem großen Außengelände, das hoch und blickdicht umzäunt war.

Rose klingelte an der Tür und wartete, bis das Summen zu hören war. Melissa zog an der Tür und begann schon im Flur, ihren Rucksack abzusetzen und sich auszuziehen. Ihre Regenjacke trug sie an ihren Platz und hängte sie auf, ebenso ihre Tasche. Ihre Straßenschuhe stellte sie unter die Bank.

Rose suchte inzwischen Melissas Hausschuhe, die aus irgend einem Grund jeden Tag woanders standen. Melissa zog sie an und gab ihrer Mutter dann einen Kuss.

„Bis später, Mommy. Wann holst du mich denn?“ fragte die Kleine. Melissa ging nicht gerne in den Kindergarten, deshalb wollte sie immer genau wissen, wie lange sie dort bleiben musste.

Rose überlegte. „Ich muss nach der Arbeit noch schnell einkaufen, ich bin aber bestimmt um drei Uhr hier.“ Sie umarmte ihre Tochter. „Bis später, meine Süße. Ich hab dich lieb.“

„Ich hab dich auch lieb, Mommy“, erwiderte Melissa. Schon ging sie in ihren Gruppenraum, ohne zu murren. Sie wusste, dass es eben nicht anders ging.

Rose fragte sich manchmal, wie sie es verdient hatte, so ein braves und unkompliziertes Kind zu haben. Wenn Melissa nur nicht so schüchtern wäre.

 

Die Zeit, die Rose auf der Arbeit verbrachte, lief nach dem immer gleichen Schema ab.

Das Seniorenheim, in dem sie arbeitete, war ein recht gut organisiertes Haus.

Zwar war die Arbeit schwer und oft auch nervenaufreibend, aber dadurch, dass alles relativ routiniert verlief, hatten die Pfleger genügend Zeit für die einzelnen Bewohner.

Rose war eine ungelernte Kraft. Sie versorgte die Leute, die das meiste noch selbständig erledigten.

Sie gab Hilfestellung beim Waschen und Anziehen, beim Toilettengang und beim Essen.

Auch als Begleitung für Besorgungen oder Ausflüge wurde sie oft eingeteilt.

Viele Bewohner des Heims verlangten ausdrücklich nach Rose, weil sie sie nicht behandelte,

als seien sie zu groß geratene Kinder. Sie hatte Respekt vor ihnen und dem, was sie im Leben schon geleistet hatten.

Auch mit den meisten Kolleginnen kam sie recht gut klar, abgesehen natürlich von der üblichen Stutenbissigkeit. Eine Freundin hatte sie hier jedoch noch nicht gefunden.

Natürlich braucht alles seine Zeit und Rose arbeitete ja erst seit ein paar Monaten hier.

Vor einem halben Jahr hatte sie ihr Leben komplett auf den Kopf gestellt und obwohl sie jetzt alles alleine meistern musste, war sie doch zufrieden mit ihrer Entscheidung, ihren Mann zu verlassen.

Eric war furchtbar eifersüchtig auf Melissa gewesen und hatte Rose immer wieder vorgeworfen, dass sie mehr Zeit mit dem Kind verbrachte als mit ihm. Rose hingegen wusste kaum noch, wie sie sich zerteilen sollte, denn durch seine Eifersucht hatte Eric auch keine Lust, sich um seine Tochter zu kümmern, die ganze Arbeit blieb an Rose hängen.

Das schlimmste war aber für sie, dass ihr Mann sich überhaupt nicht für Melissa interessierte.

Melissa wurde immer älter und irgendwann fragte sie ihre Mutter, warum ihr Daddy sie hasste.

Und da wusste Rose, dass sie gehen mussten.

Sie suchte sich einen Job, fand gleich darauf eine Wohnung und ging mit ihrer Tochter fort.

Bisher hatte Eric dreimal angerufen, um Rose zu beschimpfen.

Nach Melissa hatte er nicht ein einziges Mal gefragt.

Er musste Unterhalt für sie zahlen, doch nicht so viel, wie Rose erwartet hatte.

Eric hatte es schon immer verstanden, seine Finanzen sehr bescheiden aussehen zu lassen, wenn es sein musste. Der Unterhalt von ihm alleine hätte niemals ausgereicht, um davon zu leben. Deshalb war Rose froh, ihre Arbeit zu haben.

Sie hatte einiges aufgegeben, sie hatte auch nur das Nötigste aus dem gemeinsamen Haus mitgenommen. Alles andere hatte sie billig erstanden oder gebraucht gekauft.

Es war, wenn man so wollte, das erste Mal, dass sie die Chance hatte, auf eigenen Beinen zu stehen.

Und das war ein sehr gutes Gefühl.

 

Um zwei Uhr hatte Rose Feierabend. Es hatte inzwischen aufgehört, zu regnen und die Wolkendecke schien sich langsam aufzulösen.

Schnell lief Rose zu dem kleinen Geschäft, das auf dem Weg zum Kindergarten lag. Sie kaufte Paprika, Hackfleisch, Reis und zwei Schokoriegel als Wegzehrung. Dann ging sie direkt zum Kindergarten, um Melissa abzuholen.

Schon im Flur kam ihr ihre Tochter entgegen gesprungen.

„Mommy, Mommy!“ rief sie schon von Weitem und flog in Rose's ausgebreitete Arme.

„Hey, mein Schatz!“ Rose hielt Mel eine Weile im Arm, ehe sie sie fragte, wie ihr Tag war.

„Ganz toll, Mommy! Ich habe eine neue Freundin!“ erklärte Melissa stolz.

„Wirklich? Das ist ja toll“, freute sich Rose. „Wer ist es denn?“

„Da ist ein neues Mädchen in unsere Gruppe gekommen, sie heißt Josie und ist ganz lieb. Mommy, darf ich Josie besuchen? Bitte, bitte!“ Flehend sah Melissa Rose an.

Rose dachte an all die Tage, an denen Mel traurig aus dem Kindergarten gekommen war. Sie war nun mal sehr schüchtern und brauchte immer ihre Zeit, um eine Freundschaft zu schließen.

Dass sie jetzt so aus dem Häuschen war, freute Rose.

„Natürlich. Ich werde morgen früh einen Zettel für ihre Mom hinlegen, sie kann dann zurückschreiben, wann es ihr am besten passt.“

Melissa strahlte, dann fiel ihr noch etwas ein: „Sie hat gesagt, dass ihre Eltern sich getrennt haben.

So wie du und Daddy. Aber heute morgen hat ihr Daddy sie gebracht.“

Rose wusste nicht genau, was sie sagen sollte, doch ihre Tochter kam ihr zuvor:

„Mein Daddy hat mich noch nie in den Kindergarten gebracht. Noch nicht mal ganz früher,

als wir noch bei ihm gewohnt haben. Warum, Mommy?“

Rose umarmte Melissa. „Mein Schatz, dein Dad hat einfach keine Zeit, du weißt doch, er muss viel arbeiten. Und ich habe früher nicht gearbeitet, da hatte ich also auch mehr Zeit. Aber ich bin sicher, dass dein Daddy jeden Tag an dich denkt.“

Das war nicht mal gelogen, Rose wusste, dass Eric oft an Melissa dachte.

Aber er empfand sie nur als Konkurrentin im Kampf um seine Frau. Für die er obendrein zahlen musste. Es war besser, wenn Rose gar nicht darüber nachdachte.

„Und ich bin ja auch noch da“, sagte Rose stattdessen, „und mich wirst du nicht so schnell los.“

Sie kitzelte Melissa, bis diese kaum noch Luft bekam vor lauter Lachen.

Gemeinsam gingen sie nach Hause und verzehrten unterwegs ihre Schokoriegel.

Dass sich einige Männer nach Rose umdrehten, merkte sie nicht.

Sie war eine hübsche Frau, der man ihre fünfunddreißig Jahre nicht ansah.

Die Pfunde, die sie während der Schwangerschaft zugenommen hatte, hatte sie längst wieder verloren. Ihre Haare, die sie für die Arbeit hochgebunden hatte, waren dunkelbraun, fast schwarz.

Ihre mandelförmigen Augen hatten fast die gleiche Farbe.

Was jedoch die Männerblicke anzog, war ihre Ausstrahlung. Rose wirkte trotz ihrer einfachen Jeans und ihres Baumwollpullovers attraktiv, sie war lebendig und sprühte förmlich vor Energie.

Dass sie die Blicke nicht bemerkte, lag zum einen daran, dass sie ganz auf Melissa konzentriert war.

Zum anderen lag es daran, dass ihr seit ihrer Jugend hinterhergeschaut wurde. Man könnte sagen, dass Rose so sehr an Bewunderung gewöhnt war, dass sie sie kaum noch wahrnahm.

Andernfalls wäre vermutlich eine eingebildete Zicke aus ihr geworden.

 

Während Rose das Abendessen vorbereitete, durfte Melissa immer etwas fernsehen.

Die Zeit verging immer wie im Flug zwischen dem Kochen und der täglichen Hausarbeit,

aber Rose fand es immer wieder erstaunlich, wie viel leichter ihr alles von der Hand ging,seit sie Eric verlassen hatte. Und das nicht nur, weil sie jetzt weniger Personen waren.

Sie hatte jetzt einen gewissen inneren Frieden und machte ihre Arbeiten lieber als früher.

Auch Melissa war wie ausgewechselt. Sie war jetzt fröhlicher, lebhafter.

Vielleicht erkannte sie langsam, dass es nie an ihr gelegen hatte, dachte Rose.

Sie aßen vergnügt zu Abend, Melissa erzählte unaufhörlich von ihrer neuen Freundin Josie,

dass sie genau so alt sei wie sie, dass sie auch am liebsten puzzelte und dass sie schon ihren Namen schreiben konnte.

Rose hörte interessiert zu und versuchte, dabei viel zu essen. In letzter Zeit hatte sie abgenommen

und langsam fand sie sich zu dünn. Bei einem Meter fünfundsechzig wog sie nur noch fünfundfünfzig Kilo.

Sie vermutete, dass das an der Arbeit lag. Sie verbrannte jetzt einfach mehr Kalorien.

Als sie fertig gegessen hatten, ging Melissa ins Bad, um sich zu waschen und umzuziehen.

Rose räumte inzwischen die Küche auf und folgte dann ins Bad, um sich die Zähne zu putzen und schnell zu duschen.

Melissa war schon fast fertig, sie bürstete gerade ihre langen braunen Locken durch.

Dann ging sie ins Wohnzimmer, wo sie ihre Bücher stehen hatte. Sie suchte sich eines heraus und setzte sich wartend auf die Couch. Jeden Abend las Rose ihrer Tochter vor, bevor sie sie ins Bett brachte. Früher war das nicht immer möglich gewesen, weil Eric deshalb manchmal unausstehlich wurde. Als Rose aus dem Bad kam, gingen sie gemeinsam in Melissas Zimmer, wo Rose ihr die gewünschte Geschichte vorlas. An diesem Abend war es Pu, der Bär.

Als Melissa fast einschlief, legte Rose das Buch zur Seite und streichelte ihrer Tochter nochmal übers Haar. „Gute Nacht, meine Süße“, sagte sie. Schläfrig antwortete die Kleine: „Nacht, Mommy.“ Rose ging ins Wohnzimmer, um ihr eigenes Nachtlager auf der Couch aufzuschlagen.

Seltsamerweise hatte es sie nie gestört, auf ein eigenes Schlafzimmer zu verzichten.

Immerhin sparte sie sich auf diese Weise einen zweiten Fernseher.

 

 

2.: Dave und Josie

 

Dave Simmons war der geborene Morgenmensch. Er stand meist schon vor dem Weckerklingeln auf, schmiss schon mal die Kaffeemaschine an und ging duschen. Noch bevor Josie aufstand, war ihre Kindergartentasche gepackt und ein Teller mit Pancakes stand auf dem Tisch, die zwar wenig appetitlich aussahen, dafür aber gut dufteten.

Er selbst frühstückte nur Kaffee und Orangensaft, eine Kombination, die er oft bereute.

Dave weckte Josie um sieben Uhr und half ihr, sich anzuziehen.

Morgens war Josie immer in einem umnebelten Zustand, in dem sie es kaum schaffte, ihre Augen offen zu halten. Früher waren er und seine Frau Sandra froh über ihre kleine Schlafmütze gewesen,

doch nun, da sie früh aus dem Haus mussten, war das eher lästig.

„Josie, komm, streck mal den Arm aus, damit er auch im Ärmel landet...ja Schatz, den anderen auch, gut...und jetzt die Hose...oh Mann, zum Glück ist kein Winter mehr, sonst würde das hier Stunden dauern“, schnaufte Dave, nicht zum ersten Mal.

Dann versuchte er, Josies dunkelblonden Haare zu entwirren, was ihm mit einiger Mühe und viel Wasser halbwegs gelang, dann machte er dem Kind einen Zopf, der etwas verunglückt aussah.

Wenigstens hatten sie jetzt morgens etwas mehr Zeit als in den Monaten zuvor.

Dave hatte so schnell keinen Kindergartenplatz für Josie bekommen und musste sie deshalb jeden Tag zu seinen Eltern bringen, die zwanzig Autominuten entfernt wohnten. Der Kindergarten lag zwei Straßen von Daves Wohnung entfernt. Das sparte enorm viel Zeit.

Trotzdem kam Dave immer auf den letzten Drücker auf die Arbeit.

Die Pancakes hatte Josie, wie so oft, nicht alle essen können. Dave stellte sie in den Kühlschrank und schnappte sich seine Tochter, um in den Kindergarten aufzubrechen. Unterwegs wurde Josie munter und plapperte drauflos. Sie war schon gestern so aufgeregt gewesen, weil sie gleich an ihrem ersten Tag eine Freundin gefunden hatte.

Melissa, ein Mädchen, das wohl auch noch nicht so lange in diesem Kindergarten war. Josie wollte sie unbedingt nach Hause einladen. Prinzipiell hatte Dave nichts dagegen, nur musste er früh genug Bescheid wissen, weil sein Haushalt nicht gerade das war, was man „vorzeigbar“ nannte. Er hatte nicht gewusst, wie viel Arbeit dahinter steckte, wenn man alles allein machen musste. Er war nie der Typ Mann gewesen, der nicht im Haushalt mit anpackt, doch es waren eben immer diese typischen Männerarbeiten gewesen, die er übernommen hatte: den Müll raus bringen, das Auto in Ordnung halten, Rasenmähen, solche Sachen eben.

Als Sandra ausgezogen war, hatte Dave erst lernen müssen, wo sich alles befand. Er wusste nicht, wo welche Töpfe hingehörten, welche Lappen für die Küche und welche fürs Bad waren, er hatte keine Ahnung vom Wäsche waschen oder bügeln und was er auf dem Herd zusammen schusterte, war alles andere als vollwertige Kost. Doch er hatte nicht aufgegeben, er hatte nur seine Anforderungen an ein sauberes Heim ein kleines bisschen angepasst.

Josie störte es nicht, sie freute sich, dass sie so oft zu McDonald's gingen und dass ihr Daddy nicht so rumschrie wie Mommy, wenn sie nicht so gut aufgeräumt hatte. Was machte es da schon, wenn ihre weißen Kleider manchmal rosa wurden und wenn ihre Haare nie so wirklich gekonnt frisiert wurden.

Im Kindergarten hielt Josie gleich Ausschau nach Melissa, die sie jetzt schon „Mel“ nannte.

„Schau, Daddy, das ist sie. Die mit dem roten Pulli.“ Energisch zog das eben noch so verschlafene Mädchen ihren Vater durch den ganzen Gruppenraum.

„Guten Morgen, Mel, das ist mein Daddy, er hat gesagt, du darfst mich besuchen, aber deine Mommy soll früh genug Bescheid sagen, damit er aufräumen kann“, verkündete Josie lautstark.

Mit hochrotem Kopf sah sich Dave um, die Erzieherinnen taten so, als hätten sie nichts mitbekommen, trotzdem ahnte Dave, dass das Getratsche anfangen würde, sobald er außer Hörweite war.

Melissa freute sich. „Super, meine Mommy hat auch ja gesagt, sie hat Miss Kelly einen Zettel dagelassen, der ist für deinen Daddy.“ Dave nickte. „Gut, dann hole ich mir mal bei Miss Kelly den Zettel ab.“ Er ging zu den Erzieherinnen, er wusste nicht genau, welche von ihnen Miss Kelly war, doch wenn sie schon wussten, dass er ein Schlamper war, sollten sie auch ruhig wissen, dass er ein vergesslicher Schlamper war. „Miss Kelly“, sprach er einfach beide Damen an, die linke antwortete:

„Ja, Mr. Simmons, hallo, Sie wollen bestimmt den Zettel abholen, den Mrs. Elliott dagelassen hat.“

Dave nickte. „Genau.“ Miss Kelly gab ihm den Zettel und Dave bedankte sich.

Dann verabschiedete er sich von Josie und eilte zu seinem Auto.

 

Er war mal wieder reichlich spät dran. Er musste zwar nicht weit fahren, aber um diese Zeit war der Verkehr in der Stadt immer die Hölle. Als er ankam, hatte er den Zettel bereits vergessen, den er achtlos auf den Beifahrersitz gelegt hatte.

Er lud das Auto aus und ging zu seinem Neun-Uhr-Termin, Mrs. Crenshaw.

Eine „reizende“ alte Dame, die in der Stunde, die er bei ihr war, nicht einmal aufhörte, sich darüber zu beschweren, dass er sie zu hart anfasste und dass die Übungen der letzte Schwachsinn waren, es brachte schließlich überhaupt nichts. Dave machte seinen Job jetzt schon lang genug, um zu wissen, dass man in solchen Fällen am besten gar nichts sagte. Es wäre nicht das erste Mal, dass er einen Patienten verlor weil er diesem die Meinung gesagt hatte. Er hatte gelernt, dass der Kunde immer König war, auch wenn er Unrecht hatte. Und als Sandra vor Josies Geburt aufgehört hatte, zu arbeiten, hatte er es sich auch nicht mehr leisten können, Patienten zu verlieren.

So sagte er Mrs. Crenshaw nicht, dass sie keine Wunder erwarten könne, wenn die Krankengymnastik einmal die Woche die einzige Bewegung war, zu der sie sich widerwillig aufraffte. Er sagte ihr auch nicht, dass er selbst bald Krankengymnastik brauchte, wenn er noch oft ihre Beine anheben musste, von denen jedes locker 50 Kilo wog.

Natürlich waren nicht alle Patienten wie Mrs. Crenshaw, die meisten waren nicht mal besonders alt, oft hatten sie Rückenprobleme, die durch die Arbeit verursacht wurden. Alles in Allem mochte Dave seine Arbeit als Physiotherapeut, aber auch wenn er sie gehasst hätte, hätte er weitergemacht. Wo sonst konnte er sich seine Termine so legen, wie er sie brauchte? Natürlich hatte er ein paar Patienten abgeben und seinen Terminplan komplett umwerfen müssen, als Sandra nicht mehr da war. Doch da er seine Stammkunden alle behalten konnte, war er ganz zufrieden damit.

Und die Patienten waren es auch. Dave war ein sehr guter Physiotherapeut, doch das allein war es nicht.

Die Männer mochten Dave, weil sie sich mit ihm über typisch männliche Themen unterhalten konnten. Dave interessierte sich für Autos, Sport, Politik und Videospiele. Er war auch ein guter Handwerker und konnte einige Erfahrungen austauschen.

Die Damen liebten Dave.

Er sah ziemlich gut aus, er war groß und schlank, dabei aber auch ziemlich kräftig. Dave hielt sich größtenteils mit seiner Arbeit fit, die oft ganzen Körpereinsatz forderte.

Seine kurzen, braunen Haare waren modisch geschnitten, sein Gesicht war männlich, aber mit genau der Portion herber Süße, die so viele Frauenherzen höher schlagen ließ.

Dass seine grünen Augen von langen, dichten Wimpern umrahmt waren, auf die manche Frau neidisch gewesen wäre, tat sein Übriges dazu, dass so viele seiner Patientinnen ihn anhimmelten, egal, wie alt sie waren. Und Dave, der insgeheim wusste, wie er auf Frauen wirkte, spielte den jugendlichen Charmeur, ohne dabei je die Grenzen zu übertreten.

 

Obwohl Dave jetzt deutlich weniger verdiente als früher, waren seine Befürchtungen, nicht mit dem Geld zurecht zu kommen, unbegründet. Da Sandra ja nun nicht mehr das Konto plünderte, um shoppen zu gehen, sah Dave erst, wie viel Geld sie Monat für Monat verpulvert hatte.

Eigentlich sparte er unterm Strich sogar noch, nur dadurch, dass seine Frau nicht mehr da war.

Es hatte eindeutig auch Vorteile, dass Sandra ausgezogen war.

Langsam gewöhnte sich Dave an sein neues Leben als Alleinerziehender Vater und er fand es eigentlich gar nicht so schlecht.

 

Als Dave bei seinem letzten Patienten fertig war, fiel ihm der Zettel wieder ein. Er las ihn im Auto.

„Hallo, Josie's Mom, wie Sie sicher schon gehört haben, haben sich unsere Kinder miteinander angefreundet. Wenn es Ihnen recht ist, könnten Sie Melissa am Freitag nach dem Kindergarten mit nach Hause nehmen. Ich würde sie dann um 18 Uhr bei Ihnen abholen. Bitte schreiben Sie zurück, ob es Ihnen passt, wenn nicht, können wir was anderes ausmachen. Gruß, Rose Elliott.“

Mom? Na, das konnte ja heiter werden, dachte Dave belustigt.

 

 

3.: Daves Einstand

 

Der kleine gelbe Zettel, der am nächsten Nachmittag auf Melissas Garderobe lag, war so unscheinbar, dass Rose ihn um ein Haar nicht entdeckt hätte.

„Hi, Mrs. Elliott, mir passt es am Freitag ausgezeichnet. Ich hoffe, Melissa isst gerne Spaghetti.

Sollte sie gegen irgend etwas allergisch sein, können Sie mir gerne Bescheid geben, hier meine Nummer:788-6553. Ich hole die Mädchen um halb zwei ab, natürlich müssen Sie den Erzieherinnen Bescheid geben, dass ich Melissa an diesem Tag mitnehmen darf. Ich freue mich, dass unsere Töchter so schnell Freundschaft geschlossen haben. Bis Freitag, Dave Simmons.“

Dave Simmons? Der Vater? Vielleicht war es ja auch eine Abkürzung für...nun ja, für was?

Rose war einen Moment lang irritiert. Der Gedanke, ihr Kind einem fremden Mann zu überlassen,

war ihr fremd. Immer waren es die Mütter gewesen, manchmal in einer kleinen Nebenrolle auch ein Vater, die die gemeinsam spielenden Kinder beaufsichtigten. Ein Mann alleine war einfach seltsam.

Einen Moment lang dachte sie daran, irgend einen Vorwand zu erfinden, um diese Verabredung abzusagen, doch dann besann sie sich. Wenn der Mann das Sorgerecht zugesprochen bekommen hatte, dann musste es dafür einen Grund gegeben haben. Und sie konnte das Melissa nicht antun,

sie hatte es schwer genug, überhaupt eine Freundin zu finden. Sie war so schüchtern, dass es schon ein besonders einnehmendes Wesen brauchte, das fest entschlossen war, sie zur Freundin zu gewinnen. So schnell wie mit Josie war das noch nie gegangen.

Und außerdem, dachte Rose, was ist denn schon dabei? Dann wird mein Kind eben von einem Mann beaufsichtigt. Er hat wenigstens eine Chance verdient.

Auf der Rückseite stand eine Adresse in der Stadt.

Sie faltete den kleinen Zettel und steckte ihn in ihre Jackentasche. Dann ging sie in den Gruppenraum, um ihre Tochter abzuholen und den beiden Erzieherinnen Bescheid zu sagen, dass Melissa am Freitag von Mr. Simmons abgeholt werden würde.

 

Die zwei Tage bis Freitag gingen ziemlich schnell vorbei, etwas Stress gab es schließlich immer

und die Zeit raste nur so dahin, besonders, wenn man eigentlich etwas anderes tun wollte, wie etwa die Wohnung aufzuräumen. Doch Dave schaffte es irgendwie, die größte Unordnung zu entfernen, und was er nicht aufräumte, landete in einer Kiste unter seinem Bett.

Die Wohnung war einfach zu groß und Dave wusste immer noch nicht so genau, wo gewisse Dinge ihren Platz hatten. Er war dankbar für die vielen Wandschränke, hinter deren Türen so Manches verschwand. Die größten Probleme aber bereitete ihm das Wäschewaschen. Er bekam es einfach nie hin, den Korb mit der Schmutzwäsche ganz zu leeren. Es kam so viel Nachschub, dass Dave oft erstaunt war, dass überhaupt noch etwas in den Schränken war.

Josie verschüttete oft etwas, sie zappelte einfach immer herum und dann passierte es. Manchmal musste sie sich drei oder vier mal am Tag umziehen. Auch ihre Bettwäsche sah immer verheerend aus. Das kam vermutlich daher, dass sie oft in Schuhen übers Bett turnte.

Josie redete in der ganzen Zeit von nichts anderem als ihrer Freundin Mel, die sie endlich besuchen kam. Sie war so aufgeregt, dass sie abends nicht zur Ruhe kam.

Dave war selbst etwas aufgeregt, war dies doch sein Einstand in die kleine Gemeinde der Kindergarten-Eltern. Als alleinstehender Mann hatte er es da deutlich schwerer.

Dies war eindeutig eine Situation, in der es half, einen Busen zu haben.

Doch er war bereit, er hatte schließlich seinen Charme und diese entzückende kleine Tochter.

 

Als er die beiden Mädchen am Freitag nach der Arbeit abholte, hatte er schon einen Haufen Pläne gemacht, wie er die zwei unterhalten wollte.

Brettspiele standen auf seiner Liste ebenso wie Verstecken und eine kleine Mini-Playback-Show.

Im Auto lachten Josie und Mel und erzählten Quatsch, wie es nur Kinder konnten, die Art Quatsch, wie sie Erwachsene überhaupt nicht witzig finden können, egal wie sehr sie sich bemühten.

Zu Hause wurde Dave dann von einer Enttäuschung in die nächste getrieben.

Die beiden jungen Damen verschanzten sich in Josies Zimmer und spielten mit dem Puppenhaus und dem Kaufmannsladen, dabei verwüsteten sie das Zimmer, das Dave zwei Stunden lang aufgeräumt hatte.

Dave schaute immer wieder ins Zimmer, um den Mädels eine seiner Ideen vorzuschlagen, doch nichts konnte sie aus dem Zimmer locken. Er hatte sich auf einen anstrengenden, aber lustigen Nachmittag vorbereitet, stattdessen saß er alleine im Wohnzimmer, zappte lustlos durch die Kanäle und schaute sehnsüchtig auf die Uhr. Um fünf Uhr stand er dann endlich von dem Sofa auf und machte sich in der Küche an die Arbeit. Spaghetti Bolognese waren so ungefähr das einzige Hauptgericht, das Dave immer hinbekam.

Als es in der ganzen Wohnung nach Bolognesesoße duftete, öffnete sich auch schon die Tür zum Kinderzimmer. Zwei verschwitzte kleine Mädchen, die alles mögliche am Leib trugen, das auch nur entfernt nach Prinzessin aussah, standen vor ihm und begehrten zu wissen, wann das Essen fertig sei. Dave lachte und holte seine Kamera aus dem Wohnzimmerschrank um die beiden zu fotografieren. Dann eilte er wieder an den Herd, um die Nudeln abzusieben. Schon hatten die Mädchen drei Teller auf den Tisch gestellt und es irgendwie geschafft, an drei Gläser zu kommen, die in den oberen Schränken standen. Dave wollte vor Melissa nicht mit Josie schimpfen, er war nur froh, dass mal wieder alles gut gegangen war.

Josie erstaunte ihn dann, indem sie erzählte: „Ich wollte schon die Gläser aus dem Schrank holen, aber Mel hat mir erklärt, dass das zu gefährlich ist. Man kann abrutschen und sich verletzen. Also hab ich die aus der Spülmaschine genommen. Daddy, warum hast du mir nie gesagt, dass das gefährlich ist?“ Dave wusste einen Moment lang nicht, ob er lachen oder ob er wütend werden sollte. „

Josie“, sagte er so ruhig wie möglich, „ich erkläre es dir doch jedes mal, wenn du da hoch kletterst. Zumindest jedes mal, wenn ich dich erwische. Du hörst mir nur nicht richtig zu.“

Schuldbewusst sah seine Tochter zu ihm hoch. Normalerweise hätte sie jetzt angefangen, zu diskutieren. Sollte es möglich sein, dass Melissa einen so guten Einfluss auf seinen kleinen Wildfang hatte?

„Jetzt ist ja nichts passiert“, sagte Dave versöhnlich, „wir essen jetzt jeder eine ordentliche Portion Spaghetti und dann könnt ihr euch ja vielleicht noch einen kleinen Film ansehen. Vielleicht einen mit Barbie.“

Die Mädchen riefen begeistert „Ja!“ und setzten sich an den Tisch. Das Essen verlief in guter Stimmung und die Kinder aßen erstaunlich viel. Das Spielen hatte sie hungrig gemacht.

Dave betete nun, dass es auch müde gemacht hatte, damit er Josies Zimmer aufräumen konnte, während die beiden Mädchen den Film sahen.

Tatsächlich blieben Melissa und Josie lange vor dem Fernseher sitzen, bis es an der Tür klingelte.

Dave hatte gerade versucht, die Reste der Verkleidungsparty zu beseitigen, doch nun ließ er die Kleider einfach aufs Bett fallen und ging an die Tür. Er drückte den Türöffner, ohne zu fragen, wer da war, es konnte ja schließlich nur Rose sein.

Als er dann die Wohnungstür öffnete, stand Rose schon davor.

„Hallo, Rose. Ich bin Dave.“ Er streckte ihr seine Hand entgegen und Rose schüttelte sie lächelnd.

„Hi, Dave“, sagte sie, „nett, Sie kennenzulernen. Ich hoffe, Mel hat sich benommen.“

Er merkte, dass er sich allmählich entspannte und lächelte zurück. „Aber ja“, antwortete er.

Beide sahen sich einen Moment lang an, ehe Schritte laut wurden.

Melissa kam auf ihre Mutter zu gerannt und Rose fing sie auf.

Sie freute sich, dass ihre Tochter so ausgelassen war. „Hey, mein Schatz! Hattest du Spaß?“

Das war eigentlich eine überflüssige Frage, Melissas Wangen glühten förmlich.

„Mommy, wir haben mit Josies Puppenhaus gespielt. Und mit dem Kaufmannsladen.

Wir haben uns verkleidet und Dave hat hinterher alles aufgeräumt, weil wir das Zimmer so durcheinander gebracht haben“, berichtete sie aufgeregt.

Rose blickte Dave fragend an. Er nickte lachend. „Ja, das meiste ist schon aufgeräumt.“

„Das tut mir Leid“, sagte Rose, „soll ich noch irgend etwas helfen?“

Abwehrend hob Dave die Hände. „Ach was, ist schon gut. Es war gar nicht so schlimm.“

Rose nickte lächelnd. „Okay. Aber das nächste Mal dürfen die beiden gerne Melissas Zimmer verwüsten.“

Dave freute sich. Anscheinend bekam er das alles doch ganz gut hin.

„Ich nehme Sie beim Wort! Sie haben ja jetzt meine Nummer, da können Sie einfach jederzeit Bescheid sagen, wann Sie Zeit haben.“ Rose holte aus ihrer Tasche einen kleinen Block und einen Kugelschreiber und notierte etwas darauf. Dann gab sie Dave den Zettel.

„Das ist unsere Nummer, Sie können auch gerne jederzeit etwas vorschlagen. Ich finde es toll,

dass sich unsere Kinder so gut verstehen.“ Da konnte ihr Dave nur zustimmen.

„Und ich finde es erstaunlich, was für einen guten Einfluss Melissa auf Josie hat. Sie ist wirklich sehr brav im Vergleich zu Josie.“ Den Ausdruck auf Roses Gesicht konnte er nicht gleich deuten.

Für einen Moment hatte er das Gefühl, dass er ihre Gefühle verletzt hatte, was natürlich Quatsch war. Es war doch ein Kompliment, wenn man die gute Erziehung lobte.

„Melissa ist manchmal etwas zu brav, sie spielt nicht viel draußen, sie räumt immer ihr Zimmer auf und ihren Dreck in den Mülleimer. Aber sie bockt nie dabei, sie protestiert nie. Sie tut es einfach.“

Dave musste kurz nachdenken, um zu erkennen, wo das Problem dabei lag. Wer wünschte sich denn nicht so ein pflegeleichtes Kind? In der Realität war es aber meistens nicht so und es war ja auch normal, dass Kinder ihre Grenzen erforschten. Eine Notwendigkeit, die Sandra nie verstanden hatte.

Sie hätte es nicht seltsam gefunden, wenn ihr Kind so gefügig gewesen wäre, sie wäre entzückt gewesen. Soviel weniger, um das man sich kümmern musste.

„Vielleicht“, meinte Dave, „färbt ja Josie auch ein bisschen auf Melissa ab. Sie ist nämlich wild genug für mindestens zwei Kinder.“

Kaum hatte er das gesagt, als Josie auch schon angeflitzt kam. Sie hatte eine Tüte Gummibären in der Hand, aus der einige unterwegs herausfielen. „Rose, Rose!“ rief sie. „Du musst unbedingt was von den Spaghetti probieren! Daddy macht die besten im ganzen Land!“

Auch Melissa schien der Meinung, denn sie zog ihre Mutter begeistert Richtung Küche.

„Mommy, iss ruhig was. Du bist sowieso viel zu dünn.“

Dave lachte. „Ich schätze mal, da haben Sie wohl keine andere Wahl. Das heißt, wenn Sie Zeit und Hunger haben“, fügte er hinzu.

Rose lächelte. „Ich gebe mich geschlagen. Und gegessen habe ich tatsächlich noch nichts.“

Dave eilte voraus, entfernte die Reste ihres Mahls und verfluchte sich dafür, dass er Josies Zimmer statt der Küche aufgeräumt hatte. Dann stellte er einen frischen Teller Pasta auf den Tisch, stellte den Parmesan daneben und schenkte Rose, die sich inzwischen gesetzt hatte, ein Glas Cola ein.

„Danke“, sagte Rose, bevor sie im wahrsten Sinne des Wortes reinhaute.

Dave konnte nur staunen, was ein so zartes Persönchen in so kurzer Zeit verdrücken konnte.

Rose hingegen war es fast peinlich, wie sie das Essen in sich rein stopfte, aber sie hatte den ganzen Tag noch nichts gegessen und diese Spaghetti schmeckten nun mal wirklich verdammt gut.

Die Kinder lachten gemeinsam über irgend etwas in Josies Zimmer und Dave versuchte,

eine Unterhaltung mit Rose zu führen, die jedoch ständig den Mund voll hatte und deshalb nicht viel sagte. Zum Glück dauerte das nicht zu lange, Rose war in Rekordzeit mit ihrem Teller fertig.

Sie setzte das Glas Cola an, von dem sie bisher nichts getrunken hatte und leerte es zur Hälfte.

„Das war wirklich gut. Es tut mir leid, ich esse sonst nicht so, ich war nur total ausgehungert.“

Sie lachte. Dave lachte mit ihr. „Es freut mich, dass es Ihnen geschmeckt hat.“

Wieder musste Rose lachen.

„Ja, das hat man bestimmt gehört, was?“

Dave prustete los. „Das haben Sie gesagt!“

Sie unterhielten sich noch eine ganze Weile, Rose bekam noch einen Kaffee von Dave und er holte eine Packung Waffeln aus dem Schrank, die wie von selbst verschwanden.

Fast als würden zwei Mäuse unter dem Tisch sitzen, die ab und zu ganz unauffällig ihre Händchen über den Tisch wandern ließen und kicherten, wenn sie eine Waffel ergattert hatten.

Inzwischen war es fast acht Uhr und Rose rief Melissa zu, sie solle langsam ihre Jacke und Schuhe anziehen. „Schon, Mommy? Aber es macht doch gerade so viel Spaß und morgen ist doch kein Kindergarten!“ Rose war überrascht, dass Melissa sich nicht klaglos fügte, doch obwohl sie sich insgeheim freute, gab sie nicht nach. Sie war selbst müde und wollte nur noch duschen und dann auf ihrem Lager im Wohnzimmer gemütlich einschlafen.

Dave sah die enttäuschten Kindergesichter und sagte vermittelnd: „Wir können ja bald wieder was ausmachen.“

Melissa stürmte sofort auf ihre Mutter ein: „Morgen, Mommy, ja? Dann kann Josie zu mir kommen. „Wir wissen doch gar nicht, ob es Dave und Josie morgen passt, außerdem wäre es besser, wenn du erst mal dein Zimmer aufräumst und mir einen Tag gibst um den Rest der Wohnung auf Vordermann zu bringen, du weißt ja, Samstag ist Putztag. Von mir aus am Sonntag.“

Das war zwar nicht genau das, was Melissa wollte, doch sie wusste, wenn sie jetzt bohrte,

verlor sie alles. Deshalb beschränkte sie sich darauf, Dave bittend anzusehen.

Der nickte zustimmend. „Von mir aus geht das klar, wir haben noch nichts vor. Soll ich Josie um drei bringen?“

Rose war einverstanden und schrieb ihm ihre Adresse auf den Zettel mit der Telefonnummer.

„Gut, dann sehen wir uns also übermorgen. Werdet ihr zwei das aushalten?“ scherzte Rose.

„Ich werde Mel vermissen“, beteuerte Josie. Rose und Dave lachten.

Sie verabschiedeten sich und Rose lief mit Melissa durch die fast dunklen Straßen nach Hause.

„Zum Glück sind die Tage wieder länger“, meinte Rose, als sie in ihre Wohnung eintraten.

Sie fühlte sich an diesem Abend wohler, irgendwie frischer als in den letzten Wochen.

Das kommt von der Gesellschaft Erwachsener. Und zwar in der Freizeit, dachte Rose.

Sie war froh, dass Mel jetzt eine Freundin hatte und sie selbst auch jemanden zum Quatschen hatte.

Auch, wenn es ein Mann war.

Dave brachte gerade Josie zu Bett, als er den gleichen Gedanken hatte.

Beiden war bewusst, dass sie nicht über ihre Ehen und Trennungen gesprochen hatten.

Irgendwie hatte das der Anstand geboten. Mit einer Frau hätte Rose vielleicht darüber gesprochen, mit einem Mann war das irgendwie anders. Doch es gab schließlich genügend Themen, die nicht zu intim waren. Sie hatten beide viel Kontakt mit alten und kranken Menschen, allein das bot viel Gesprächsstoff. Und selbstverständlich die Kinder. Für den Anfang reichte das wohl.

Man musste ja nicht gleich jedem seine ganze Lebensgeschichte erzählen.

Ohne es zu ahnen, waren sich Dave und Rose darüber einig, als sie an diesem Abend schlafen gingen.

 

 

4.: Die Sache mit Sandra

 

Die Samstage waren für Dave immer eine Tortur, er war sich aber auch ziemlich sicher, dass es für seine Tochter und seine Frau genauso war.

Jeden Samstag um drei Uhr musste er mit Josie zu Sandra fahren.

Sie lebte zwar in einem eigenen kleinen Appartment, jedoch in einer Art betreutem Wohnen.

Es gab einmal wöchentlich Therapiesitzungen und täglich die Möglichkeit, Beratungsgespräche zu führen.

Die Sache mit Sandra war ziemlich kompliziert.

Dave wusste nicht, ob es dafür überhaupt eine Bezeichnung gab, denn ihre Probleme waren äußerst vielschichtig. Sie war natürlich kaufsüchtig, aber sie war auch jähzornig, depressiv, kontrollsüchtig, extrem eifersüchtig und noch dazu hatte sie keinerlei Interesse an Josie, was Dave noch am schlimmsten fand. Wie wenig ihr tatsächlich an ihrer Tochter lag, offenbarte sich, als Dave ihr das Geld kürzte, weil es ihm reichte.

Einmal hatte sie sein Geld genommen, das er für eine größere Autoreparatur gespart hatte.

Damals hatte er zum ersten Mal durchgegriffen und alles persönlich zurückgebracht, was sie von diesem Geld gekauft hatte. Danach hatte wochenlang eisiges Schweigen geherrscht. Sandra hatte es immer verstanden, ihren Willen durchzusetzen und andere zu manipulieren, damit sie bekam, was sie wollte. Und dass sie es diesmal nicht gekonnt hatte, machte sie wütend.

Sie hatte darauf gesetzt, dass Dave nachgeben würde, wenn sie sich ihm vorenthielt, doch auch diese Maßnahme hatte nichts genützt. Das Auto wurde repariert und Dave nahm sich vor, Sandra nicht mehr so viele Freiheiten zu lassen, was das Geld betraf.

Das war der Tag, an dem er seine Eier wiederfand, die vorher an Sandras Rückspiegel gebaumelt hatten. Doch gleichzeitig war es auch der Anfang vom Ende gewesen. Sandras Krankheit hatte sich deutlich gezeigt, als ihr bewusst wurde, dass Dave ihr Spiel nicht mehr mitspielte. Je öfter Dave „Nein“ zu ihr sagte und es auch so meinte, desto depressiver wurde sie. Allerdings litt sie keineswegs still vor sich hin, sondern sie ließ Josie mitleiden, indem sie sie nur noch kritisierte und regelrecht anschnauzte. Es war, als sei Sandra die böse Stiefmutter aus dem Märchen .

Sie hatte ihre Rolle als Mutter nur so lange gespielt, wie sie ihren Willen bekam.

Irgendwann hatte es Dave dann gereicht. Er erwischte Sandra, wie sie die Spardose ihrer Tochter plünderte. Da gab er ihr eine Woche Zeit, sich eine neue Bleibe zu suchen und auszuziehen.

Sie versprach, sie würde sich Hilfe suchen, damit sie sich ändern konnte und eine normale Ehefrau und Mutter sein konnte. Irgendwo hatte Dave dann von diesem Wohnheim erfahren, in dem Menschen mit Problemen unter Betreuung lebten. Er brachte Sandra dort unter und half ihr, sich eine Therapeutin zu suchen. Sandra schien begriffen zu haben, dass sie Hilfe brauchte, denn sie zeigte sich kooperativ. Vielleicht hatte sie noch eine Chance, normal zu werden.

Dave hoffte es noch immer, doch bisher waren die kurzen Besuche in dem kleinen Appartment seine Frau eher unbehaglich verlaufen, Josie wollte nicht alleine bei ihr bleiben, deshalb musste Dave immer dabei bleiben. Er hatte leider nie das Gefühl, dass es Sandra wirklich um Josie ging, sie war immer viel zu konzentriert auf ihn und darauf, ihm zu gefallen.

 

Als Dave mit Josie in die Straße einbog, in der der „Wohnpark“ lag, fragte Josie:
„Wie lange bleiben wir eigentlich immer bei Mommy?“ Dave sah sie einen Moment lang an.

„Zwei Stunden, warum?“

Josie zuckte mit den Schultern. „Nur so. Es kommt mir immer lang vor.“

Sie überlegte einen Moment. „So, wie wenn Oma und Opa mal wieder ihre Fotos rausholen.“

Dave lachte. „Ja, das scheint Jahre zu dauern.“ Dann wurde er wieder ernst.

„Josie, ich weiß, das ist schwer zu verstehen für so ein kleines Mädchen. Du brauchst gar nicht so zu schauen, fünf ist schon groß, zumindest groß genug, um zu verstehen, wie die Welt funktioniert.

Aber nicht groß genug, um zu verstehen, wie Menschen funktionieren. Teufel auch, Erwachsene verstehen sich ja selbst kaum, geschweige denn ihre Mitmenschen und Kinder! Aber wir haben genug Erfahrung, um zu verstehen, dass manche Sachen einen durcheinander bringen können. Und deine Mutter hat viel durchgemacht in ihrem Leben. Davon ist sie krank geworden. Sie kann nichts dafür, dass sie so geworden ist, weil sie es zu spät gemerkt hat. Und damit du nicht irgendwann auch krank wirst, hat sich Mommy hier Hilfe geholt.“

Josie nickte. „Ich weiß, Daddy. Aber es ist so komisch hier. Wie in einem Krankenhaus.“

Dave wusste genau, was Josie meinte. Doch es ließ sich eben nicht ändern.

Sie hatten einen Parkplatz gefunden und stiegen aus dem Auto aus.

„Wenn du nicht an meiner Seite bleibst, musst du an der Hand gehen“, warnte Dave seine Tochter.

Sie mussten noch ein Stück laufen und Josie hatte die Angewohnheit, weder nach links noch nach rechts zu sehen, wobei sie nahende Autos überhaupt nicht wahrnahm.

Josie nickte. „Ist gut, Daddy.“ Sie sah hoch zur Sonne, die endlich wieder schien.

Schlagartig waren die Temperaturen von nassen fünfzehn Grad auf sonnige dreiundzwanzig Grad gestiegen. Schmetterlinge flogen über die sauberen Vorgärten und Bienen summten.

Schließlich waren sie da und Kühle empfing sie in dem modernen Gebäude.

Der große Raum, in dem sie standen, diente als Gemeinschaftsraum.

Männer und Frauen unterschiedlichen Alters spielten Tischtennis, Schach oder sahen fern.

Viele lasen auch. Es waren auf den ersten Blick fünfzehn Leute in diesem Raum.

Dave wusste, dass es hier dreißig Appartments gab. Sandra war anscheinend in ihrer Wohnung.

Dave nahm Josie nun doch an der Hand und führte sie die breiten Stufen hinauf in den ersten Stock, wo Sandra wohnte. Auf ihr Klopfen hin öffnete Sandra gleich die Tür.

Sie hatte sich ziemlich aufgedonnert. Ihre langen schwarzen Haare fielen in sanften Wellen über ihre Schulter, sie trug ein leichtes Sommerkleid, das ihre Figur betonte und durch den dünnen Stoff konnte Dave sehen, dass sie keinen BH trug. Sie bedachte ihn mit einem strahlenden Lächeln, das ihre weißen Zähne aufblitzen ließ.

Mit einer Spur Bedauern registrierte Dave, dass ihre Wirkung auf ihn nachgelassen hatte.

Früher hätte er jede noch so lahme Entschuldigung genutzt, um mit ihr für ein Viertelstündchen ins Schlafzimmer zu verschwinden. Irgendwie fühlte er sich aber in letzter Zeit unbehaglich, wenn Sandra so offensichtlich versuchte, ihn zu becircen.

„Dave, wie schön dass du da bist.“ Mit einem kurzen Blick auf Josie sagte sie: „Du natürlich auch.“

Sie ließ die eintreten und bot ihnen einen Platz auf dem kleinen Sofa an.

Das Appartment bestand aus einem Wohnzimmer mit einer offenen Küche, einem winzigen Bad mit Dusche und WC und einem kleinen Schlafzimmer mit schönem Ausblick auf den Garten hinter dem Haus. Sandra setzte sich auf den Sessel, der neben Dave stand.

Sie schob Josie ein Päckchen Kekse zu und schaltete den Fernseher ein.

„Nun, wie war eure Woche?“ fragte sie scheinbar beide, doch ihr Blick ruhte nur auf Dave.

„Oh, ganz gut“, antwortete Dave, „Josie hat im Kindergarten gleich eine Freundin gefunden und sie war gestern zum Spielen bei uns, morgen geht Josie zu ihr.“

Sandra sah zu Josie und fragte: „Na, war es denn schön?“

Josie sah sie mit strahlenden Augen an. „Toll war es! Und morgen wird es bestimmt auch toll. Noch toller, weil morgen bestimmt die Sonne scheint und dann kann Rose mit uns rausgehen.“

„Rose?“ fragte Sandra argwöhnisch.

„Na, die Mom von Melissa“, sagte Josie.

Sandras Kopf schnellte zu Dave herum. „So, die Mom von Melissa.“

Auch ohne, dass sie es aussprach, wusste Dave, was dieser Blick bedeutete.

Sie war eifersüchtig. Das kannte Dave schon zur Genüge aus ihrer Beziehung.

„Ja“, sagte er deshalb betont beiläufig, „ich habe sie gestern kennen gelernt und sie scheint wirklich anständig zu sein.“ Dieses Argument wirkte bei Sandra erfahrungsgemäß am ehesten.

Anständige Frauen klauten schließlich keine Männer, oder?

„Nun ja, es freut mich, dass du so schnell Anschluss gefunden hast, Josie.“ Damit war das Thema für Sandra abgehakt. Jedenfalls für den Augenblick.

Einen Moment lang herrschte unbehagliches Schweigen.

Dave räusperte sich. „Und bei dir ist alles okay?“ fragte er seine Frau. „Wie laufen die Sitzungen?“

Sandra war augenscheinlich erfreut, dass das Gespräch sich ihrer Person zuwandte.

„Oh, es läuft wirklich total gut im Moment. Dr. Sumner ist sehr zufrieden mit mir.“

Sie überlegte einen Moment. „Vielleicht kannst du ja auch mal an einer Sitzung teilnehmen. Dr. Sumner hat gesagt, das könnte mir helfen, meine Verhaltensweisen zu erkennen. Sie meint, es würde uns vielleicht beiden guttun. Als Ehepaar.“ Sie blickte ihn flehend an.

Unruhig rutschte Dave mit seinem Hintern auf dem Sofa hin und her.

„Meinst du nicht, dass das etwas zu früh ist?“ Er fuhr sich mit der Hand durch die Haare.

„Vielleicht wäre es jetzt noch nicht so gut. Du solltest erst....gefestigter sein.“

Sandra sah ihn böse an. „Du willst mir also nicht helfen. Und an unserer Ehe liegt dir wohl auch nichts mehr.“ Dave konnte nicht fassen, dass sie ihm vorwarf, er wolle ihr nicht helfen.

Nach all der Zeit, in der er sie bekniet hatte, sich endlich helfen zu lassen.

„Sandra“, sagte er in gefährlich ruhigem Tonfall, „ich weiß nicht, in welcher Welt du gelebt hast,

aber ich habe jahrelang mein Möglichstes getan, um unsere Familie zu retten. Wenn du nicht mal das nach all den Wochen in Therapie einsehen kannst, dann tut es mir leid.“

Sandra fuhr zurück, als habe er sie geschlagen.

„Dave!“ schrie sie auf. „Wie kannst du so etwas sagen! Natürlich weiß ich das. Ich bin die Landplage, die dein Leben zerstört hat und gerade rechtzeitig abgehauen ist, bevor sie auch Josies Leben zerstören konnte.“

Der schneidende Sarkasmus in ihrer Stimme ließ Josie erschrocken zusammenfahren.

„Sandra! Hör auf damit!“ Dave schrie sie nun fast an. „Du erschreckst Josie!“

Sandra lachte. „Und was machst du, wenn du mich so anschreist?“

„Daddy“, sagte Josie leise. So leise, dass niemand sie hörte.

„Dann provozier mich doch nicht erst! Was willst du denn damit bezwecken?“

Sandra ging aufgebracht auf und ab, während Josie von ihrer Mutter zu ihrem Vater und wieder zurück schaute. Sie hatte sich auf ihrem Platz ganz klein gemacht.

„Du willst mich einfach nicht verstehen, Dave! Du begreifst nicht, dass ich das alles nur tue, um uns eine Chance zu geben. Diese ganze Therapie und dass ich ausgezogen bin. Alles nur, um dir zu zeigen, dass wir es schaffen können. Gemeinsam. Und ich weiß nicht, warum du plötzlich so kalt zu mir bist. Warum du jetzt, wo ich endlich Hilfe angenommen habe, einen Rückzieher machst.“

Sie ging auf ihn zu und wollte ihn im Gesicht berühren, doch er wich ihr aus.

„Daddy“, sagte Josie wieder, doch diesmal laut genug, um Daves Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. „Daddy, können wir bitte nach Hause fahren?“ Dave sah Sandra an.

„Na, das ist ja typisch“, keifte sie ihn an. „Jetzt hast du sie wieder gegen mich aufgehetzt!“

„Sandra, hör dich doch nur mal an.“ Dave sprach jetzt ganz ruhig und Sandra wusste in diesem Moment, dass es vorbei war. Sie hatte es versaut. Dave würde nicht zu ihr zurückkommen.

Vielleicht wusste er selbst es noch nicht, doch seine Frau spürte, dass ihn nichts mehr an sie band.

„Ich werde jetzt mit Josie nach Hause fahren. Ich werde mich in der nächsten Woche bei dir melden und wir werden sehen, ob wir dich dann am Samstag besuchen oder nicht.“

Jedes Wort prasselte wie Hagelkörner auf Sandra nieder und sie konnte nichts anderes tun,

als erstarrt dazustehen und zuzusehen, wie ihr Mann und ihre Tochter mit gesenkten Köpfen aus der Wohnungstür gingen.

Noch lange Zeit, nachdem Dave und Josie bereits fort waren, stand sie reglos dort, die Augen weit aufgerissen, die Lippen fest aufeinander gepresst und die Fäuste geballt.

Irgendwann sank sie mit einem lauten Schluchzen zusammen und weinte, bis sie auf dem nackten Fußboden einschlief.

 

„Sie sehen ja grauenhaft aus“, begrüßte Rose am nächsten Tag Dave.

Josie war schon voraus in Melissas Zimmer geeilt.

„Danke“, brummte Dave. „Es war auch eine lange Nacht.“

Rose sah ihn prüfend an. „Wollen Sie noch reinkommen?“ bot sie an.

Dave überlegte kurz. „Naja, auf einen Kaffee vielleicht. Ich will ja nicht stören.“

„Ach, aber Sie stören doch nicht. Wenn Josie sich verletzen sollte ist wenigstens ihre Versicherungskarte schon hier“, sagte Rose grinsend.

Dave trat ein und sah sich flüchtig um. Rose hatte nicht viel Platz, doch sie hatte geschickt jeden Winkel ausgenutzt, um alles Mögliche unterzubringen.

Rose schloss die Tür und ging Dave voraus in die Küche. Sie schaltete die kleine Pad-Maschine an

und bereitete den Kaffee zu. Sie bot Dave einen Platz auf der winzigen Eckbank an.

Die Möbel sahen nicht gerade neu oder teuer aus. Dave fragte sich, ob sie das Nötigste aus ihrem früheren Zuhause mitgebracht hatte oder ob sie lieber alles gekauft hatte. Er tippte auf Letzteres.

Rose setzte sich und schob Dave seine Tasse Kaffee rüber.

„Ging es Josie nicht gut? In der Nacht meine ich.“ Das war das Naheliegendste für Rose.

Dave wusste nicht recht, was er darauf antworten sollte.

Schließlich sagte er: „Josie konnte nicht schlafen. Wir waren gestern bei ihrer Mutter und es....nun ja, es war nicht schön für Josie.“

Rose wusste genau, wie es war, wenn man niemandem erzählen konnte, was zuhause los war.

„Ja, ich kenne so was. Kinder reagieren heftiger auf solche....Situationen als wir Erwachsenen.“

Dave nickte. Er war froh, dass sie nicht nachgehakt hatte. Er schüttete sein Herz nicht gerne aus.

An diesem Morgen hatte er noch fieberhaft überlegt, ob er irgendeinen plausiblen Grund hatte,

Josies Verabredung abzusagen. Doch er wusste, dass er ihr damit das Herz brechen würde nach allem, was gewesen war. Außerdem hatte er so die Aussicht auf ein zweistündiges Nickerchen.

„Ja. Haben Sie Milch?“ fragte er. Rose deutete auf ein Körbchen auf dem Tisch.

„Ich habe immer ein bisschen portionierte Milch und Zucker hier drin.“

Dave nahm sich zwei Milchdöschen und leerte sie in seinen Kaffee. „Das ist ja praktisch.“

„Ja“, antwortete Rose, „wenn man in einem Altersheim arbeitet, kommt man an lauter nützliches Zeug. Ich habe einen ganzen Schrank voller Pralinchen und Pfefferminzschokolade. Ganz abgesehen von dem vielen Sekt und Wein den wir dort geschenkt bekommen.“

Dave lachte. „Ja, das ist bei uns ähnlich. Wenn man in meinen Wohnzimmerschrank schaut, könnte man denken, ich wäre Alkoholiker oder würde ständig feiern.“

„Ach, Quatsch! Ein Alki könnte niemals solche Vorräte ansammeln“, meinte Rose achselzuckend.

„Das ist auch wieder wahr. Das Gute daran ist, dass man immer mal ein Notgeschenk parat hat.“

Rose grinste. „Ja genau! Besonders all die Sachen, die man selbst nicht will.“

Einen Moment lang herrschte einvernehmliches Schweigen, dann gab es einen spitzen Schrei aus dem Kinderzimmer und Dave und Rose sprangen gleichzeitig auf.

Schon kam Josie aus dem Schlafzimmer gerannt. Ihr Mund war blutig und sie schrie wie am Spieß.

Erschrocken fing Dave sie auf. Rose holte gleich ein sauberes Tuch und hielt es unter kaltes Wasser.

„Ist ja gut, Josie. Zeig mal her.“ Dave nahm das Tuch entgegen und wischte Josies Gesicht damit ab. Ohne das Blut sah die kleine Wunde schon nicht mehr so schlimm aus.

Gleich beruhigte Josie sich. Melissa war jetzt hinter ihr und sah erschrocken zu.

„Was ist denn passiert, Mel?“ fragte Rose, während Dave den Schaden begutachtete.

Melissa überlegte kurz. „Ich weiß auch nicht genau. Sie war auf dem Bett oben und dann, als sie runter klettern wollte, ist sie irgendwie abgerutscht und hat sich den Mund an der Leiter aufgeschlagen.

„Oh, dieses verdammte Bett!“ rief Rose. „Ich hab gewusst, dass irgendwann was passiert!“

Dave, der vor Josie kniete, sah kurz zu ihr auf. „Naja, Josie ist eben ein Pechvogel.“

Er streichelte seiner Tochter den Rücken, bevor er aufstand. „So, jetzt trinkst du noch was und dann kannst du weiterspielen.“ Rose hatte bereits ein Glas mit Wasser gefüllt, das sie Josie gab.

„Danke“, piepste Josie und trank einen Schluck, der das restliche Blut aus ihrem Mund spülte und den Schrecken vertrieb.

Als wieder etwas Farbe in Josies Gesicht kam, zupfte Melissa sie am Ärmel.

„Wir können ja jetzt Barbie spielen.“

Und schon waren die beiden Mädchen wieder verschwunden.

„Es ist toll, dass Sie in so einer Situation wissen, was zu tun ist“, sagte Rose, nachdem sie sich wieder an den Tisch gesetzt hatten. Dave fühlte sich geschmeichelt.

„Mein Ex-Mann hätte jetzt da gestanden wie der Ochs vor dem Berg. Oder er hätte mich gerufen.“

Darauf wusste Dave zunächst nicht so recht, was er sagen sollte.

Darum meinte er ganz diplomatisch: „Ich schätze, das ist in den meisten Familien so. Bei uns war es eher umgekehrt.“

Das sollte ganz beiläufig klingen, doch Dave hatte mehr erzählt, als er vorgehabt hatte, ohne sich dessen recht bewusst zu sein. Rose hatte es trotzdem herausgehört. Zum ersten Mal fragte sie sich, was für eine Art Frau Josies Mutter eigentlich war.

Sie nahm ihre Kaffeetasse und trank einen Schluck, um nicht weiter auf das Thema eingehen zu müssen.

Dave nutzte die Gelegenheit, um das Thema zu wechseln. „Da hatten Sie also tatsächlich Recht.“

Rose sah ihn einen Moment lang irritiert an. Dave musste über ihren Gesichtsausdruck lachen.

„Naja, wegen der Versicherungskarte.“

Man konnte förmlich sehen, wie der Groschen bei Rose fiel und sie fing lauthals an zu lachen.

Dave konnte nicht anders, er musste mitlachen.

So steckten sie sich gegenseitig immer wieder mit dem Lachen an, bis sie beide mit schmerzenden Bauchmuskeln und Tränen in den Augen wie nasse Säcke auf ihren Plätzen hingen.

„Oh Mann!“ japste Dave. „Ich weiß nicht, wann ich zuletzt so gelacht habe.“

Rose trank einen Schluck, bevor sie sagte: „Wenn ich morgen Muskelkater habe, ist das nur deine Schuld.“

Dave tat empört: „Ich habe gar nichts gemacht!“

Nachdem man einen solchen Lachanfall geteilt hatte, konnte man unmöglich weiter beim „Sie“ bleiben, deshalb war es ganz natürlich für Dave, dass Rose ihn geduzt hatte.

Erst jetzt bemerkten sie, dass Melissa und Josie in der Tür standen und sie erstaunt beobachteten.

„Warum lacht ihr so?“ fragte Josie als Erste. Ihre Lippe war noch immer geschwollen.

„Rose hat vorhin was lustiges gesagt“, erklärte Dave seiner Tochter.

„Gar nicht wahr“, protestierte Rose. „Du hast was lustiges gesagt und ich kann in die Zukunft sehen.“ Fast hätten sie wieder losgelacht, doch sie konnten sich mit Mühe zusammenreißen.

Melissa und Josie sahen sich an und lachten dann selbst über ihre Eltern.

Rose schaute die beiden Mädchen an. „Was möchtet ihr denn eigentlich?“ fragte sie.

Melissa trat einen Schritt näher. „Wir wollten dich fragen, ob wir was Süßes kriegen.“

Mit gespielter Strenge fragte Rose: „Na, habt ihr beiden denn überhaupt euer Mittagessen aufgegessen?“

„Jaaa!“ riefen Melissa und Josie im Chor.

Rose stand seufzend auf. „Na, wenn das so ist, dann bekommt ihr natürlich was.“

Sie holte aus dem Küchenschrank ein Päckchen Schokoladenkekse und eine Tüte Chips.

„Melissa, du weißt Bescheid, ihr dürft nur am Tisch essen und mit vollem Mund wird nicht getobt.“

Melissa nickte und versprach, aufzupassen. Sobald sie die Sachen in den Händen hielten, liefen die beiden Kinder in Melissas Zimmer.

Bevor Rose sich wieder setzen konnte, sah Dave auf die Uhr.

„Oh“, sagte er überrascht, „ich bin ja schon seit einer Stunde hier. Ich sollte mal langsam gehen.“

Rose begleitete ihn zur Tür. „Wann willst du Josie abholen?“ fragte sie.

Dave überlegte. „Ist es dir recht, wenn ich sie gegen halb sieben hole? Oder ist das zu spät?“

Rose nickte energisch. „Doch, das ist okay. Du hast ja ein Auto, da seid ihr schnell zuhause.“

„Ja, ohne Auto würde es sich fast nicht lohnen nach Hause zu gehen“, stimmte Dave ihr zu.

Rose wusste nur zu gut, was er meinte. „Oh ja. Also, wenn ich Melissa nicht auf dem Weg von der Arbeit bei dir abgeholt hätte, wäre ich wohl mit dem Rad gefahren.“

Dave stutzte. „Ach, du hast kein Auto? Und am Freitag seid ihr noch nach Hause gelaufen?“

Rose nickte wieder. „Ja klar. Ich spare zwar gerade für ein kleines Auto, aber das wird noch ein paar Monate dauern, bis ich mir eins kaufen kann, das auch eine Zeit lang hält.“

„Warum hast du mir denn nichts gesagt?“ fragte Dave. „Ich hätte euch doch gefahren.“

Doch Rose konnte nur mit den Schultern zucken. „Ich weiß auch nicht. Daran habe ich gar nicht gedacht. Ich bin ja mittlerweile daran gewöhnt, zu laufen. Und es ist ja nur eine halbe Stunde.“

„Na, du bist gut. Nur eine halbe Stunde. Nächstes Mal fahre ich euch heim. Das ist doch kein Problem.“

Sie verabschiedeten sich. Als Dave nach Hause fuhr, dachte er darüber nach, wie bequem er doch geworden war. Dass Rose abends mit ihrer Tochter so weit lief und das normal fand, beschämte ihn etwas. Er war ja manchmal sogar zu faul, um irgendwohin zu fahren.

 

Als er dann zuhause angekommen war, schaute er erst mal nach, ob es nicht doch noch Wäsche zu waschen gab oder vielleicht ein paar Teller, die noch auf der Spüle standen.

Erst, nachdem er sich vergewissert hatte, dass alles in Ordnung war, legte er sich auf die Couch.

Zuerst dachte er, er könne nicht einschlafen. Seine Gedanken kreisten immer wieder um Sandra, darum, was sie alles gesagt hatte. Und vor allem um das, was Josie abends im Bett gesagt hatte:

„Mommy hat nur gesagt, dass sie das alles für dich macht. Nicht für mich.“

Dabei hatte ihr kleines Gesicht auf dem großen weißen Kopfkissen furchtbar verloren ausgesehen.

Dave hatte versucht, sie zu beruhigen und ihr zu sagen, dass ihre Mutter sie bestimmt auch gemeint hatte, doch in seinen Ohren hörte es sich an wie eine Lüge.

Josie hatte ihm ohnehin nicht geglaubt. Sie schlief schlecht, mitten in der Nacht hatte sie dann vor seinem Bett gestanden und ganz jämmerlich gesagt:

„Daddy, ich hab ins Bett gemacht. Kann ich bei dir schlafen?“

Dave hatte ihr erst mal geholfen, sich zu waschen und umzuziehen, dann hatte er die nasse Bettwäsche in die Badewanne getragen. Glücklicherweise hatte Josie noch immer die wasserdichte Unterlage unter ihrem Bettlaken, so dass die Matratze verschont geblieben war.

Es war schon nach drei Uhr, als Dave endlich wieder ins Bett kam. Josie schlief bereits.

Und dann hatte er noch etwa eine Stunde wach gelegen. Deshalb war er jetzt auch so müde.

Schon nach einer Viertelstunde war er fest eingeschlafen und er regte sich erst wieder, als der Wecker seines Handys um Viertel vor sechs klingelte.

Nach dem traumlosen Schlaf fühlte Dave sich erfrischt und er fuhr sofort los, um Josie abzuholen.

 

Inzwischen war Rose mit den beiden Mädchen auf dem Spielplatz gewesen, sie hatten aus alten Käseschachteln und ein bisschen Deko-Kram hübsche Schmuckdöschen gebastelt, sie hatten zusammen einen Film angeschaut und dann zusammen gekocht.

Nach dem Essen spielten Melissa und Josie wieder im Kinderzimmer und Rose spülte schnell das Geschirr und räumte die restlichen Bastelsachen weg.

Als Dave um Viertel nach sechs klingelte, war sie bereits mit allem fertig.

„Na, hast du es überlebt?“ witzelte Dave. Rose schnipste mit dem Finger. „Na klar, war doch easy.“

Dave lüpfte einen imaginären Hut und sagte näselnd: „Chapeau!“ Dabei bückte er sich soweit nach unten, dass seine Haare fast seine Füße berührten. Rose lachte. „Und jetzt einmal wenden, bitte!“

Ruckartig fuhr Dave hoch und sah fast schockiert drein, doch dann lachte er prustend los.

„Das hättest du wohl gerne! Ein Tritt zwei Dollar!“ „So, Eintritt zwei Dollar?“ konterte Rose.

„Also für deine Größe wirst du langsam ganz schön frech“, meinte Dave kopfschüttelnd, aber mit einem breiten Grinsen im Gesicht. Sie standen nun im Wohnzimmer.

„Weißt du, ein italienisches Sprichwort besagt, dass in den kleinsten Flaschen stets der beste Wein ist,“ meinte Rose achselzuckend.

„Setz dich doch“, fügte sie dann hinzu. „Ich sag den Mädchen Bescheid, dass du da bist.“

Sie ging ins Kinderzimmer und Dave setzte sich. Neben ihm stand ein CD-Ständer, der etwa hundert CDs fasste. Er schaute sich die Titel auf den CD-Rücken an und war überrascht, als er vornehmlich Alben aus allen möglichen Stilrichtungen des Rocks sah.

Da waren CDs von Nirvana, Marilyn Manson, den Deftones und Filter, Stone Sour und Incubus.

Fast machten sich die CDs mit Kinderliedern und Hörspielen absurd aus zwischen all diesen Bands.

Dave kannte sich selbst ein bisschen aus, er war zwar kein eingefleischter Metaller oder so, doch sein Musikgeschmack war immer sehr breit gefächert gewesen. Als Rose wieder eintrat, schaute Dave kurz auf. „Du hast einen Haufen guter Musik hier, ich muss schon sagen“, murmelte er.

Rose lächelte. „Ja, das ist mein Schatz. Da drüben stehen noch zwei Regale mit CDs.“

Dave erhob sich und schaute hinter sich auf die Stelle, auf die Rose deutete.

Tatsächlich standen da zwei Regale auf denen vielleicht fünfhundert CDs standen.

„Ich weiß grade nicht, was ich sagen soll. Ich glaube, ich bin tot und im Himmel.“ Dave starrte auf diese Masse von Musik. Rose lachte. „Ich sammle schon ziemlich lange. Ich habe noch nie eine CD weggeschmissen. Deshalb sind da so viele. Ich habe sie nach Phasen geordnet.“ Sie trat an das Regal und nahm ein paar CDs in die Hand. „Das war meine Michael Jackson-Phase. Ich hatte die alten ursprünglich alle auf Kassette, die CDs habe ich nachgekauft.“ Dave betrachtete die Alben. „Ich war damals zwölf, das war kurz nach den New Kids on the Block. Danach kam Techno.“

Danach musste Rose wohl einen Ausflug in die Welt des Hip Hop gemacht haben, denn da waren etliche CDs vom Wu-Tang Clan, von Notorious B.I.G., Tupac, Eminem, und vielen anderen.

„Diese Phase hat wohl etwas länger gedauert?“ fragte er.

Rose nickte. „Ja, diese Phase dauert noch an. Neben Rock und Metal ist Hip Hop eine meiner großen Lieben in der Musik. Aber früher habe ich eben hauptsächlich Hip Hop gehört.“

„Und dann bist du offensichtlich auf der dunklen Seite der Macht gewesen.“

Dave deutete auf ein paar Alben, die in die Gothic-Ecke passten.

„Ach, das war nur ganz kurz und auch nur rein musikalisch. Irgendwann ging es mir aber auf die Nerven. Dieses ständige Gejammer, das Leben ist so schlecht, niemand liebt mich, ich liebe mich nicht mal selbst, bu-hu-hu.“ Rose rieb sich mit den Fäusten die Augen wie ein kleines Kind, das weint. Dann lachte sie. „Und dann habe ich eben die Musik gehört, die ein bisschen mehr Biss hat.“ „Ja, das sehe ich“, staunte Dave. Das zweite Regal war fast ausschließlich mit Musik gefüllt, die „Biss hat“.

„Sag mal, kannst du mir vielleicht ein paar CDs ausleihen?“ fragte er Rose.

„Klar“, antwortete sie sofort. „Nimm dir so viele du willst und wenn du sie nicht mehr brauchst, kannst du sie mir wiedergeben.“

„Klasse.“ Dave begann gerade, die ersten CDs aus dem Regal zu nehmen, als Josie auf ihn zugeschossen kam.

„Daddy!“ rief sie und umklammerte seine Beine.

Dave streichelte ihr mit der freien Hand über den Kopf. „Na, Miss Josie? Wie geht’s deiner Schnute?“ fragte er lächelnd.

„Geht schon wieder, schau“, antwortete Josie und spitzte ihre Lippen.

Rose musste grinsen. Gleichzeitig dachte sie darüber nach, wann sich Eric je für Melissas Weh-Wehchen interessiert hatte. Ihr Grinsen wich einem traurigen kleinen Lächeln.

Melissa stand hinter ihr und zupfte sie am Ärmel. Rose drehte sich um.

„Mommy“, flüsterte Melissa, „Mommy, wir haben das Zimmer schon aufgeräumt.“

Rose runzelte die Stirn. „Warum flüsterst du denn? Das ist doch gut.“

Melissa schaute betreten zu Boden.

„Was ist denn los?“ fragte Rose misstrauisch.

Auch Dave war hellhörig geworden. „Josie?“

„Ja, Daddy?“ fragte Josie unschuldig.

„Weißt du, was los ist?“ fragte Dave.

Das Schweigen, das von den beiden kleinen Mädchen ausging war aussagekräftig genug.

Rose ging an Melissa vorbei ins Kinderzimmer. Zunächst sah sie nichts auffälliges, doch dann sah sie einen Zipfel Stoff, der in der Schranktür eingeklemmt war. Rose öffnete den Schrank und schrie erschrocken auf, als sie von einer Lawine aus Kleidungsstücken überrollt wurde.

„Melissa!“ schrie sie, „Was habt ihr gemacht?“

Mittlerweile war ihr Dave zu Hilfe gekommen, die Mädels schlichen noch im Flur herum.

„Josie! Komm sofort her!“ schrie nun auch Dave.

Als sie hörte, wie wütend ihr Vater war, lief sie lieber schnell zu ihm. Melissa folgte ihrem Beispiel.

Erschrocken sah sie, dass ihre Mutter und Dave knöcheltief in Pullovern, Hosen, Röcken, Blusen und Unterwäsche standen.

Nach dem ersten Schrecken hatte sich Rose wieder so weit unter Kontrolle, dass sie wieder einigermaßen normal mit ihrer Tochter reden konnte.

„Wer von euch beiden ist denn auf die Idee gekommen, alles auszuräumen und wer von euch war so schlau, alles einfach ins oberste Fach zu quetschen?“

Melissa hatte bereits Tränen in den Augen, bevor sie antwortete: „Ich wollte Verkleiden spielen. Und Josie wollte dann alles selbst aufräumen. Und ich dachte, das ist eine gute Idee.“

Rose musste fast schmunzeln, doch sie erlaubte es sich nicht. Streng sah sie Melissa an.

„Warum habt ihr mich nicht gefragt, ob ihr euch verkleiden dürft? Ich hätte euch doch was geben können, was viel besser ist als deine Klamotten. Nämlich deine Kostüme, die in meinem Schrank hängen. Und außerdem hättet ihr nicht einfach alles in den Schrank schmeißen dürfen, du weißt, dass die Wäsche zusammengelegt werden muss, oder?“

Melissa nickte betrübt. Josie versuchte, ihr zu Hilfe zu kommen.

„Es war meine Schuld, Rose“, schaltete sich Josie ein. „Ich habe ihr erzählt, dass ich meine Wäsche früher immer selbst wegräumen musste und Mommy hat immer gesagt, dass es ihr egal ist, wie die Schränke aussehen, solange das Zimmer ordentlich aussieht. Weil sie keine Lust hatte, mir meinen Kram hinterher zu räumen.“

Rose sah sie zweifelnd an, doch als sie Daves verschämten Blick auffing, wusste sie, dass Josie tatsächlich die Wahrheit sagte.

„Josie“, warf er nun auch schnell ein, „du weißt doch aber, was ich dir beigebracht habe. Und zu Hause klappt das doch mittlerweile wunderbar. Hast du es etwa vergessen auf dem Weg hierher?“

Josie schüttelte den Kopf. „Nein Daddy. Ich weiß es noch. Wenn man alles in den Schrank schmeißt, passt nicht so viel rein und außerdem muss man dann alles bügeln. Und das kannst du ja nicht so gut.“

Dave errötete, was Rose sehr amüsant fand. Doch sie wollte ihn jetzt nicht aufziehen, deshalb sagte sie, um ihm zu helfen:

„Außerdem, Josie, verbraucht Bügeln Strom und wenn es nicht sein muss, kann man sich doch diese langweilige Arbeit sparen. Ich muss jetzt auch alles schnell aufräumen, bevor die Sachen zu zerknittert sind. Ich bügle auch nicht gerne“

Josie sah sie schuldbewusst an. „Das wollte ich nicht.“

Rose ging in die Hocke und sah ihr ins Gesicht. „Wenn du mir versprichst, dass das nicht mehr vorkommt, bin ich dir nicht böse, okay?“

„Okay“, sagte Josie.

Melissa schmiegte sich an ihre Mutter. „Und mir?“

Rose sah sie an und musste lächeln, als sie Melissas kleines, flehendes Gesicht sah.

„Natürlich nicht, mein Schatz.“ Sie nahm sie in den Arm und Josie wandte sich an ihren Vater.

„Bist du denn noch sauer, Daddy?“

Dave streichelte ihr die Wange. „Nein, Süße.“

„Sollen wir jetzt noch helfen, aufzuräumen?“ schlug Josie vor. „Dann geht es schneller.“

Dave grinste. „So wie zu Hause, meinst du?“ Josie nickte.

Dave erklärte Rose und Melissa schnell, wie sie zu Hause die Wäsche zusammenlegten:

Während Dave das Wäschestück zusammenlegte, holte Josie schon das nächste aus dem Korb.

Also postierten sich Dave und Rose vor dem Schrank, während Josie und Melissa zwischen dem Wäschehaufen und ihren Eltern hin und her flitzten und ihnen die Sachen reichten, die verstreut lagen. Innerhalb kürzester Zeit war das Zimmer wieder aufgeräumt und der Schrank ordentlich bestückt.

Rose sah auf die Uhr. Sie hatten gerade mal zehn Minuten gebraucht.

„Und wenn man das immer schnell macht, solange die Wäsche noch warm ist, muss man nichts bügeln“, sagte Dave augenzwinkernd.

Rose lachte. „Naja, die Wäsche war zwar schon kalt, aber das meiste werde ich nicht aufbügeln müssen.“

„So, meine Kleine. Wir fahren jetzt heim, morgen ist wieder Kindergarten.“

Zu seiner Überraschung maulte Josie gar nicht. Wahrscheinlich wollte sie sich jetzt von ihrer besten Seite zeigen.

Rose und Melissa begleiteten die beiden an die Tür.

„Bis zum nächsten Mal, Josie“, sagte Rose und reichte der Kleinen die Hand. Josie lächelte.

Insgeheim hatte sie befürchtet, sie dürfe Melissa nicht mehr besuchen.

An Dave gewandt sagte Rose: „Mach's gut. Vielleicht können wir ja beim nächsten Mal alle zusammen etwas unternehmen.“

„Ja, gerne“, antwortete Dave erfreut, „das wäre bestimmt lustig.“ Und das meinte er auch so.

Er unterhielt sich gerne mit ihr, sie war lustig und versuchte nicht, ihn über Sandra auszuquetschen oder sich an ihn ran zu machen. Eine sehr angenehme Gesellschaft.

Sie verabschiedeten sich und Dave machte sich mit Josie auf den Weg nach Hause.

 

Es war tatsächlich schon spät genug, um sich bettfein zu machen.

„Mel“, sagte Rose, als sie zusammen im Badezimmer standen und sich ihre Schlafanzüge anzogen.

„Ja, Mommy?“

„Was hat dir Josie denn alles über ihre Mutter erzählt?“

Melissa überlegte kurz. „Sie hat nicht viel erzählt. Nur das mit dem Schrank und dass ihre Mommy sie nicht so richtig lieb hat wie eine Mommy. Sie hat gesagt ihre Tante Nell hat sie mehr lieb. Und die hat sie nur einmal gesehen.“

Rose lief es eiskalt den Rücken runter. Das hörte sich furchtbar an. Das arme Kind.

„Und was hast du ihr gesagt?“

„Ich habe gesagt, dass mein Daddy mich auch nicht richtig lieb hat, aber dafür hast du mich doppelt so viel lieb. Und dann hat Josie gesagt, dass ihr Daddy sie auch doppelt so viel lieb hat. Und dann hat sie nichts mehr gesagt.“

Rose war gerührt darüber, dass Melissa und Josie sie so sahen. Doch schließlich waren solche Momente der Lohn für alles, was man für seine Kinder tat.

War sie selbst nicht immer bemüht, es Melissa an nichts fehlen zu lassen? Und wenn sie an Dave dachte, der mit so vielem zurücksteckte, damit er für Josie da sein konnte.

Vielleicht versuchte man ja instinktiv, die mangelnde Zuneigung des anderen Elternteils auszugleichen.

„Du bist wirklich ein kluges Kind“, sagte Rose seufzend, bevor sie sich zur Tür wandte.

„Aber jetzt geht’s ab ins Bett!“ Sie las Melissa wie jeden Abend noch vor, doch sie war nicht ganz bei der Sache und war dankbar, als ihre Tochter nach kurzer Zeit einschlief.

Sie ging ins Wohnzimmer, schaltete den Fernseher ein und zappte ein wenig herum, bis sie auf eine Folge von „Die Wilden Siebziger“ stieß. Dann machte sie ihr Bett zurecht und legte sich hin.

Der Schlaf wollte sich nicht so bald einstellen, immer wieder dachte sie über Josies Mutter nach.

Und darüber, wie ähnlich ihre eigene Situation war.

Als die Uhr elf Uhr anzeigte, zwang sie sich zur Ruhe. Sie schaltete das Leselicht ein und den Fernseher aus und schnappte sich ihr Buch. In letzter Zeit war sie faul geworden, doch eigentlich war Rose eine Leseratte.

Sie hatte fast so viele Bücher gehabt wie CDs, doch sie hatte in dieser Wohnung nicht genug Platz gehabt, deshalb lagerten sie alle in Kartons verpackt bei ihrem Schwager James, Erics Bruder.

Sie hatte nur eine kleine Auswahl mitgenommen, ab und zu besuchte sie James und seine Frau Cleo,

dann suchte sie sich ein paar andere Bücher raus und legte dafür ein paar von zu Hause rein.

Auf diese Weise konnte sie alle ihre Bücher lesen und trotzdem nur ein Regal besitzen.

Wie immer, wenn Rose las, schlief sie schnell ein. Sie schaffte immer ihre zehn oder zwanzig Seiten, doch spätestens nach zwanzig Minuten schlief sie tief und fest.

 

Dave hingegen lag bis weit nach Mitternacht wach. Er hatte mit Josie ein ähnliches Gespräch geführt wie Rose mit Melissa. Er konnte sich keinen Reim darauf machen, was Melissa damit gemeint hatte, als sie sagte, dass ihr Daddy sie auch nicht richtig lieb hatte.

Vermutlich kümmerte er sich einfach nicht um seine Tochter, bezahlte womöglich keinen Unterhalt.

Rose hatte erwähnt, dass sie sparen musste, um sich ein Auto zu kaufen.

Manche Kerle waren eben so. Nicht besser als Ratten.

Was ihn aber eigentlich wach hielt, war der Gedanke, dass Josie wusste, dass sie Sandra egal war.

Als ihm dann irgendwann die Augen zufielen, schlief er sehr unruhig.

 

 

5.: Das Picknick

 

In der folgenden Woche sahen sich die beiden Mädchen drei mal. Sie verstanden sich immer besser und freuten sich, als sie einmal mit Dave und einmal mit Rose auf den Spielplatz gehen konnten.

Die Tage wurden immer wärmer und es gab gerade nichts schöneres für Melissa und Josie als draußen zu spielen.

Beide, Dave wie auch Rose, waren wirklich froh, dass sich gerade ihre beiden Töchter gefunden hatten.

Melissa war zwar immer noch sanfter und ruhiger als Josie, doch sie hatte mehr Selbstvertrauen entwickelt.

Dave kam mit Josie besser klar denn je. Sie hatte begriffen, dass sie bei ihrem Vater nicht um Anerkennung kämpfen musste wie bei ihrer Mutter. Er liebte sie so, wie sie war.

Da Sandra nicht ständig um sie herum war, hatte Josie eine ganz neue Form des Familienlebens kennengelernt.

Das machte sie sicherer. Trotzdem konnte sie nie ruhig auf ihrem Hintern sitzen.

Als Dave Josie am Mittwoch bei Rose abholte, verabredeten sie sich für Freitag nach der Arbeit zum gemeinsamen Wandern.

 

Die Sonne schien warm auf die kleine Picknick-Gesellschaft, die auf einer Decke saß und munter Sandwiches futterte. Josie und Melissa waren ganz verschwitzt und tranken gierig den mitgebrachten Saft.

Rose verteilte Salat in kleine Plastikschälchen und gab jedem eine Gabel dazu.

Sie hatten schon eine gute Strecke zurückgelegt und hatten nochmal so viel für den Rückweg vor sich.

Es war Daves Idee gewesen, zu wandern. Er kannte ein paar tolle Routen außerhalb der Stadt.

Rose war sich zunächst nicht sicher gewesen, ob das so eine gute Idee war, doch jetzt war sie froh, dass sie zugesagt hatte.

Die Kinder hatten einen Riesenspaß und Dave kannte von vielen Tieren und Pflanzen, die sie unterwegs sahen, die Namen und erklärte ihnen vieles.

Rose hielt sich ein wenig zurück, sie war in solchen Dingen nicht so bewandert.

Sie konnte mit etwas Glück eine Eiche und eine Birke erkennen.

Dave hingegen zeigte den beiden Mädchen (und Rose), woran man einen Kirschbaum erkennen konnte und er entdeckte sogar ein Nest in greifbarer Höhe, das er vorsichtig aus dem Gebüsch holte, um es den Kindern zu zeigen.

„Fasst die Babys nicht an, sonst riechen sie nach euch“, ermahnte er sie.

„Schaut mal, sie haben die Augen noch geschlossen. Aber jetzt setze ich es wieder an seinen Platz.“

Vorsichtig steckte Dave das Nest zurück zwischen die Zweige. Josie und Melissa waren begeistert.

Rose war ebenfalls beeindruckt. Sie ging gerne spazieren, doch sie hatte immer die eigentlichen Highlights übersehen.

Dave kannte die Gegend, die Jacks Peak Park hieß, ziemlich genau, wenn er auch lange nicht hier gewesen war. Man musste zwar ein Stück weit fahren, um los zu wandern, doch es lohnte sich.

Er zeigte den drei Damen die besten Aussichtspunkte, von denen man einen tollen Blick bis aufs Meer hatte. Rose war total begeistert, wenn sie auch etwas enttäuscht darüber war, so wenig beitragen zu können.

Wenigstens mit dem Essen hatte sie punkten können. Fast alles wurde gegessen. Rose packte das dreckige Geschirr und den Müll in eine kleine Tüte, die sie mitgebracht hatte und verstaute dann alles in ihrem Rucksack.

„Du denkst wirklich an alles, oder?“ bemerkte Dave. Er selbst hatte nur an Getränke gedacht.

Sie wären auf dem langen Marsch glatt verhungert, wenn Rose nicht gewesen wäre.

„Nicht immer, aber heute bin ich in geistiger Hochform“, erklärte Rose und zog mit einer energischen Bewegung den Rucksack zu.

Plötzlich hörten sie in der Stille der Natur Musik.

Schuldbewusst zückte Dave sein Handy. „Ich hätte nie gedacht, dass ich hier Empfang habe.“

Als er aufs Display schaute, verfinsterte sich seine Miene und er entfernte sich ein paar Schritte,

trotzdem konnte Rose noch verstehen, was er sagte.

„Sandra“, sagte er ins Handy. „Was gibt’s denn?“ Sein Gesicht hatte einen leicht ungeduldigen Ausdruck. „Ich habe dir gesagt, dass es noch zu früh ist“, sagte er. Einen Moment lang hörte er zu, dann sagte er mit etwas mehr Schärfe in der Stimme: „Sandra, nach dem, was letzte Woche passiert ist muss ich erst mal darüber nachdenken, ob ich das überhaupt noch will...Würdest du um Himmels Willen aufhören, so ein Theater zu machen? Ich bin gerade unterwegs und habe keine Zeit für deine Spielchen...Mit Josie...Wir sind wandern gegangen, aber das ist jetzt egal. Ich lege jetzt auf. Wir hören uns morgen. Josie will erst mal nicht zu dir kommen...Nein, ich rede ihr nichts ein. Du verstehst es einfach nicht. Sie fühlt sich von dir vernachlässigt. Du beachtest sie kaum wenn wir dich besuchen und beim letzten Mal hatte sie so einen Schock, dass sie ins Bett gemacht hat...Ach, jetzt hör doch auf, Sandra! Das ist mir echt zu blöd!“ Er legte wütend auf und schaltete das Handy dann ganz ab.

Josie und Melissa hatten von allem nichts mitbekommen, sie waren damit beschäftigt, Tierspuren ausfindig zu machen.

Doch Dave war klar, dass Rose, ob sie wollte oder nicht, das ganze Gespräch mitbekommen hatte. Oder zumindest seinen Part.

„Entschuldige“, sagte er. Er wusste nicht, was er sonst sagen sollte.

„Du musst dich nicht entschuldigen“, sagte Rose leise. „Das kommt mir alles bekannt vor.“

Dave sah sie nur an. Es war tröstlich, zu wissen, dass es jemanden gab, der ihn verstand.

„Wenn du willst, kannst du dich gerne bei mir ausquatschen“, bot Rose plötzlich an.

„Ich meine, nicht dass ich mich einmischen will, aber manchmal ist es ganz gut, wenn man einfach mal alles loswerden kann.“

Dave musste nicht überlegen. Er kannte Rose nicht besonders lang, aber er hatte das Gefühl, dass er ihr in diesem Punkt vertrauen konnte.

„Das klingt gut. Ich habe tatsächlich niemanden, mit dem ich über Sandra reden kann. Jedenfalls niemanden, der objektiv sein kann.“

„Klasse. Und im Gegenzug darf ich dich ebenfalls mit meinen Problemen zu müllen. Sieht so aus, als seinen wir Freunde, Señor.“ Sie reichte ihm die Hand und er schüttelte sie.

„Ich fühle mich geehrt“, sagte er grinsend.

„Und jetzt trommeln wir die Kinder zusammen und treten den Rückmarsch an.“

Schon drehte Rose sich um und rief nach Josie und Melissa, die sogleich angerannt kamen.

Sie liefen einträchtig nebeneinander her, diesmal in einem etwas schnelleren Tempo.

Immerhin waren sie jetzt von der leichten Mahlzeit gestärkt und außerdem hatten sie es jetzt eilig.

Josie und Melissa wollten später noch einen Film anschauen und Rose wollte mit Dave gemeinsam kochen, wenn er auch angedeutet hatte, dass es wohl zu einer Unterrichtsstunde werden würde.

 

Es war trotz des zügigen Marsches und der zügigen Heimfahrt bereits sechs Uhr, als die vier Wanderer endlich bei Dave eintrafen.

Sie waren vier Stunden unterwegs gewesen und die Erwachsenen waren mindestens genauso erledigt wie die Kinder.

Josie stellte gleich den Fernseher an und setzte sich mit Melissa auf die Couch.

Während sie sonst von einem Sitz zum nächsten rutschte und auch mal auf der Lehne saß oder auf dem Boden kniete, blieb sie diesmal ganz ruhig sitzen und fragte nicht mal nach Süßigkeiten.

„Schade, dass ich nicht jeden Tag solche Strecken mit ihr laufen kann“, meinte Dave mit einem Blick auf seine müde Tochter und brachte das dreckige Geschirr in die Küche.

„Ja, uns würde etwas mehr Bewegung auch gut tun. Woher weißt du denn so viel über Pflanzen und Tiere?“ fragte Rose, während sie hinter ihm herging.

Dave lachte. „Meine Großeltern haben mich oft mitgenommen, wenn sie spazieren gingen oder wenn sie im Garten gearbeitet haben. Und da sie mehr Zeit hatten als meine Eltern, die beide gearbeitet haben, haben sie mir alles erklärt, was ich wissen wollte.“

„Na, das ist doch schön. Meine Großeltern sind alle schon gestorben, bevor sie so richtig was mit mir anfangen konnten und meine Eltern waren nie sehr an Gartenarbeit interessiert.“

„Ja, ich fand es auch schön, meine Kindheit war wohl ganz in Ordnung. Soll ich dir schon mal die Auberginen geben?“ fragte Dave beiläufig. Rose nickte. Sie wollten die Auberginen füllen und dann im Ofen überbacken.

Eine Weile lang bestand ihre Unterhaltung nur aus Anweisungen zum Kochen.

Rose wusste wirklich viel, das Dave noch nie gehört hatte. Dass die Zwiebeln nicht so in den Augen brannten, wenn man sie vor dem Schneiden unter heißes Wasser hielt, zum Beispiel.

Oder dass Basilikum bitter wurde, wenn er zu lange mit gegart wurde.

„Und wer hat dir das Kochen beigebracht?“ fragte Dave plötzlich.

Rose reichte ihm die Schüssel und sagte zunächst nur: „Jetzt kräftig durchmischen.“

Dave stellte die Schüssel vor sich und mischte dann mit einer Hand die Zutaten.

„Ich habe das Kochen von meiner Mutter gelernt. Sie war Köchin in einem Hotel“, beantwortete sie erst jetzt Daves Frage.

„Oh, und was macht sie jetzt?“ fragte er arglos. Überrascht hob er den Kopf, als er Roses Stimme hörte, die plötzlich belegt war.

„Meine Mutter....und auch mein Vater liegen beide auf dem Friedhof. Es war ein Autounfall. Vor acht Jahren.“

Dave sah sie peinlich berührt an. „Das tut mir Leid, ich wusste nicht...“

Rose unterbrach ihn. „Ist schon gut. Woher solltest du das denn auch wissen?“

Um irgend etwas zu sagen, hielt Dave ihr die Schüssel hin und fragte: „Schau mal, ist das gut so?“

Einen Moment lang sah Rose ihn an, als hätte er chinesisch gesprochen.

Dann räusperte sie sich und sagte: „Zeig mal her. Sieht doch ganz gut aus. Und jetzt müssen wir probieren.“

Dave sah sie entgeistert an. „Roh?“ fragte er angeekelt.

„Natürlich roh. Wenn es gar ist, können wir nichts mehr am Geschmack ändern. Außer mit Ketchup. Hol mal zwei Teelöffel. Oder sag mir, wo sie sind, deine Hände sind ja noch voller Hackfleisch.“

Dave deutete auf eine der Schubladen, dann wusch er sich gründlich die Hände.

Er schaltete den Ofen ein und stellte die Temperatur auf zweihundert Grad.

Sie probierten die Masse und waren sich einig, dass sie gut schmeckte.

Nun füllten sie das Hackfleisch in die ausgehöhlten Auberginen, belegten sie mit Tomatenscheiben und bestreuten alles mit geriebenem Käse.

„Wow“, meinte Dave, „das war doch eigentlich ganz einfach.“

Rose nickte. „Hab ich dir doch gesagt. Und jetzt ab in den Ofen damit.“

Sie vermischte in einer Auflaufform das etwas Tomatenmark mit Wasser, Salz und Pfeffer und etwas Öl, dann legte sie die Auberginen in die Flüssigkeit und schob alles in den Ofen.

„So“, sagte sie dann. „Jetzt müssen wir warten.“

Dave räumte den Tisch ab, dann machte er sich daran, den groben Schmutz aus dem Geschirr zu spülen, bevor alles in die Spülmaschine kam. Unterdessen wischte Rose den Tisch und die Arbeitsfläche ab und reichte Dave noch ein paar Teile, die mit in die Spülmaschine konnten.

Nach nicht einmal fünf Minuten sah die Küche aus wie neu.

Sie sahen kurz nach den Mädchen, die immer noch vor dem Fernseher saßen und sich einen neuen Barbie-Film anschauten, dann kehrten sie in die Küche zurück.

„Für Kaffee ist es jetzt wohl zu spät“, meinte Dave nach einem Blick auf die Uhr. Es war kurz vor sieben.

„Um Gottes Willen, bloß kein Kaffee!“ Rose schüttelte energisch den Kopf, so dass ihr ihr Pferdeschwanz buchstäblich um ihre Ohren flog.

„Okay. Vielleicht Cola oder Limo? Ich hab auch Bier da und sonst nur noch Wasser“, bot Dave an.

Rose überlegte nicht lange. „Also, wenn du ein Bier mit mir teilst, trinke ich ein Radler.“

Damit war Dave absolut einverstanden. „Nach der Tour heute haben wir uns das verdient.“

Er holte zwei Biergläser aus dem Schrank mit der Glasfront. Sandra hatte die Küche damals ausgesucht. Noch bevor sie schwanger wurde, als sie die Wohnung gekauft hatten.

Dave hasste diese Glasfront. Sie musste ständig poliert werden.

Er teilte das Bier gerecht auf, dann füllte er die Gläser mit Limonade auf.

Dann servierte er galant zuerst Rose ihr Radler, bevor er sich setzte und sein Glas abstellte.

„Danke“, sagte Rose. Sie prosteten sich zu und tranken einen großen Schluck.

„Der erste Schluck ist immer der beste“, sagte Rose.

Darüber hatte Dave zwar noch nie nachgedacht, doch irgendwie stimmte es wohl.

„Nicht, dass ich so oft trinken würde“, erklärte Rose, „aber manchmal, so wie heute, habe ich richtig Lust auf ein Bier und dann schmeckt es auch einfach doppelt so gut.“

„Besonders der erste Schluck“, erinnerte Dave sie.

„Stimmt genau“, erwiderte sie ernst.

Kaum hatte sie das gesagt, als sie und Dave gleichzeitig anfingen, zu lachen.

„Oh, Mann, sind wir albern“, bemerkte Dave, als er sich wieder beruhigt hatte.

Rose wischte sich eine Träne aus dem Auge.

„Ist doch egal, das Leben ist schließlich ernst genug.“ Sie zuckte die Achseln.

Das lenkte Daves Gedanken wieder auf Roses Eltern.

„Wie....wie ist es denn passiert? Das mit deinen Eltern? Wenn ich fragen darf.“

Rose nahm einen Schluck aus ihrem Glas, wie um sich zu stärken.

„Es war eine neblige Nacht. Meine Eltern hatten eine Einladung erhalten. Zu einer Party. Auf dem Rückweg fuhr mein Vater zu schnell und er hatte auch etwas getrunken, nicht so viel, dass er unter normalen Umständen nicht mehr hätte fahren können, aber ein oder zwei Gläser Wein waren es schon. Und dann war da plötzlich dieser Radfahrer auf der Straße und mein Vater lenkte das Auto nach links. Er verlor die Kontrolle über das Auto und wir prallten frontal gegen einen Baum. Meine Eltern waren wohl sofort tot.“

Dave schaute sie verdutzt an. „Du warst auch dabei?“

„Ja“, meinte Rose, „habe ich das nicht gesagt? Die Feuerwehrmänner und Polizisten vor Ort haben gesagt, dass ich großes Glück hätte. Weil der Wagen auch anders in den Baum hätte rauschen können. Ich lag zwar eine Woche im Krankenhaus, aber ich war nicht lebensgefährlich verletzt.“

„Eine Woche. Dann konntest du gar nicht auf die Beerdigung gehen?“ fragte Dave mitfühlend.

„Genau. Das war furchtbar für mich, ich saß im Krankenhaus fest und konnte mich nicht von meinen Eltern verabschieden. Ich hatte auch erst am Tag zuvor erfahren, dass sie tot waren, weil mein Zustand es vorher nicht zugelassen hat, wie mir der Arzt erklärte.“

„Warst du damals schon mit deinem Mann zusammen?“

Rose überlegte kurz. „Nicht richtig. Wir hatten uns gerade erst kennen gelernt. Aber danach waren wir zusammen. Er hat mir damals sehr geholfen, mit allem fertig zu werden.“

Das klang, als hätte Rose einmal sehr an ihrem Mann gehangen.

Dave fragte: „Was ist passiert?“

Auch ohne, dass er es aussprach, wusste Rose, was er meinte.

„Melissa ist passiert. Anfangs freute er sich noch darüber, dass ich schwanger war. Doch irgendwann war er nur noch genervt, wenn ich ihm irgend etwas neues berichtete oder ihn einen Tritt spüren lassen wollte. Er mäkelte an allem rum. Ein Kind braucht ein Bett, es braucht Klamotten, es braucht Nahrung. Und das kostete schließlich alles Geld. Je größer Melissa dann wurde, desto schlimmer wurde es. Eric ignorierte Melissa fast völlig, wenn sie sich mit ihm unterhalten wollte, antwortete er nur das Nötigste und sehr einsilbig. Irgendwann hat mich Melissa gefragt, warum ihr Vater sie so sehr hasst. Und da bin ich gegangen. Wie hätte ich denn erklären sollen, dass Eric eifersüchtig war auf jede Minute, die Melissa ihm stahl. Jede Minute mit mir.“

Dave dachte einen Moment lang nach. „Nein, in dem Alter verstehen Kinder so was noch nicht. Josie versteht ja auch nicht, warum ihre Mutter so ist wie sie ist.“

Rose trank den letzten Schluck Radler aus dem Glas und fragte: „Und wie genau ist sie?“

Dave zuckte mit den Schultern. „Vor allen Dingen ist sie schwer depressiv. Und das behandelt sie gerne mit ausgedehnten Shopping-Touren. Sandra wandelt immer auf einem schmalen Grat zwischen Selbstzerstörung und Selbstdarstellung. Alles, was sie tut ist dramatisch. Sie ist nicht einfach so so geworden, das muss ich ihr zugute halten. Als sie drei war, trennte sich ihre Mutter von ihrem Vater. Sie hatte daraufhin ständig wechselnde Partner, von denen einer schäbiger als der andere war. Der letzte, den Sandra kennenlernte, vergewaltigte sie mehrfach. Da war sie vierzehn.

Eine Lehrerin merkte, dass mit ihr etwas nicht stimmte und Sandra erzählte ihr alles. Daraufhin zeigte sie den Typen an und sie zog zu ihrem Vater. Doch der war Alkoholiker und konnte kaum für sich selbst sorgen. Deshalb wohnte sie dann bei einer Tante, bis sie volljährig war. Und dann lernte sie mich kennen. Wir waren anfangs sehr glücklich. Sandra zog bei mir ein, als wir kaum zwei Monate zusammen waren. Erst dann bemerkte ich manchmal ihre Stimmungsschwankungen. Und die wurden mit der Zeit immer schlimmer. Ich merkte erst, dass sie wirklich krank ist, als wir schon verheiratet waren. Ich wollte ihr helfen, doch sie glaubte nicht, dass etwas mit ihr nicht stimmte. Und als wir dann Josie bekamen war Sandra total überfordert. Sie kam mit dem Geschrei nicht klar. Josie schrie nicht viel, aber das bisschen ließ sie jedes Mal nervös werden. Josie war ihr lästig. Sie hinderte sie daran, sich zu amüsieren. Dann fing sie an, Josie bei meinen Eltern abzugeben, wenn sie einkaufen ging. Sie übertrieb total, sie ruinierte uns fast. Ich hatte nichts Gespartes mehr. Irgendwann habe ich angefangen, mich zu wehren. Und dann wurde es richtig schlimm. Sie terrorisierte uns regelrecht mit ihren Ausbrüchen. Wann immer sie ihren Willen nicht bekam, rastete sie aus. Josie hatte schon richtig Angst vor ihr. Und dann sagte ich ihr eines Tages, dass es vorbei wäre, wenn sie sich nicht helfen lassen würde. Und da ging sie in dieses Therapiezentrum. Doch bisher hat es nicht wirklich viel geholfen.“

Dave hatte von dem langen Erzählen einen ganz trockenen Mund, doch sein Glas war leer.

Er schaute Rose an und bevor sie irgend etwas sagen konnte, fragte er: „Teilen wir uns noch eine Flasche?“

Rose nickte. „Gerne. Ich habe heute einen furchtbaren Durst.“

Komischerweise spürte sie von dem Alkohol auch noch gar nichts. Normalerweise reichte ihr ein Glas, um angeheitert zu sein und ein zweites, um betrunken zu werden.

„Normalerweise besucht ihr sie jeden Samstag, oder?“ hakte Rose nach.

„Ja, aber morgen nicht. Letzte Woche war es nicht gerade toll und du hast Josie ja am Sonntag gesehen. Sandras Therapeutin hat ihr angeblich gesagt, dass es hilfreich sei, wenn ich zu einigen Sitzungen mitkäme. Ich habe ihr dann gesagt, dass ich finde, dass es noch zu früh ist. Daraufhin ist Sandra ausgeflippt und hat mir vorgeworfen, ich will ihr nicht helfen. Josie wollte dann gehen, Sandra ist überzeugt, dass ich Josie etwas einrede. Sie ist so fixiert auf mich, dass sie nicht merkt, wie sehr sie Josie ins Abseits stellt.“

„Ich weiß, was du meinst. Eric ist auf seine Weise genauso. Nur dass er sich einen Dreck darum schert, was ich Melissa einreden könnte. Es ist so, als würde sie für ihn einfach nicht existieren.“

Dave seufzte. „Ich verstehe das nicht. Ich meine, ich bin bestimmt nicht der beste Vater der Welt, aber egal, wie anstrengend es auch sein kann, ich versuche es wenigstens so gut ich kann. Und ich weiß, dass es bei dir genauso ist. Was macht einen Menschen so blind für sein eigenes Kind?“

Einige Zeit lang waren beide in ihre Gedanken vertieft, sie starrten in ihre Gläser und wussten nicht so recht, wie sie wieder in den Alltag hineinfinden sollten.

Das Schicksal kam ihnen mit einem verlockenden Duft zu Hilfe.

„Ich glaube, wir können bald essen“, sagte Rose.

„Okay“, meinte Dave, „willst du schon mal den Mädels Bescheid sagen? Ich fange dann schon mal an, den Tisch zu decken.“

„Aye, aye, Captain“, flachste Rose und machte sich auf den Weg ins Wohnzimmer.

Das Essen verlief in guter Stimmung, jedoch ziemlich ruhig. Die beiden Mädchen waren ziemlich müde und deshalb ungewöhnlich schweigsam.

Nach dem Nachtisch, einer halben Wassermelone, stellte Dave das restliche Geschirr in die Spülmaschine und stellte sie an.

„So, mein Schatz, wir gehen jetzt nach Hause. Bevor es zu spät wird“, sagte Rose an Melissa gewandt.

Dave protestierte: „Nein, nein. Ich habe doch gesagt, dass ich euch nach Hause fahre.“

Rose wollte abwinke, doch Dave bestand darauf.

Er holte aus Josies Zimmer einen Kindersitz, der immer in Sandras Auto gelegen hatte.

„Gut, dass ich den aufgehoben habe“, meinte er.

Nachdem sie erst mal alle im Auto untergekommen waren, waren sie innerhalb einer Viertelstunde bei Rose angekommen.

„Siehst du“, erklärte Dave, als er vor dem Haus hielt, „so seid ihr mehr als dreimal so schnell zu Hause. Und für mich ist es doch weniger anstrengend, einmal hin und einmal zurück zu fahren, als für euch, zu laufen.“

Das leuchtete Rose ein und sie bedankte sich noch mal bei ihm.

„Nichts zu danken. Macht's gut, ihr zwei. Wir telefonieren, ja?“ meinte Dave.

Dann fügte er hinzu: „Außerdem habe ich auch zu danken. Für das Gespräch.“

Rose lächelte. „Ja. Das hat mal ganz gut getan, was?“

„Ja.“ Dave nickte lächelnd. „Okay, ich fahre, bevor Josie im Auto einschläft. Bis dann.“

„Bis dann.“ Rose hob die Hand zum Gruß und ging mit Melissa Richtung Eingang.

Dave hob ebenfalls die Hand und fuhr dann davon.

 

6.: Die Therapie

 

Sandra Simmons saß auf einer Ledercouch in einem kühlen, modern eingerichteten Raum.

Die Möbel waren praktisch und bequem, sie waren auch elegant, doch eher schlicht.

Außer ein paar Grünpflanzen und ein paar Bildern mit geometrischen Formen gab es hier keine Dekoration. Dr. Sumner verzichtete bewusst darauf. Zuviel Dekoration lenkte die Patienten womöglich von der Therapie ab.

Dr. Sumner selbst saß in einem komfortablen Sessel Sandra gegenüber.

Auf dem Schoß hatte sie einen Notizblock und einen Kugelschreiber liegen.

„Also haben Sie ihren Mann und ihre Tochter am Wochenende nicht gesehen?“ fragte sie gerade.

Sandra nickte heftig. Sie hatte die Haare zu einem straffen Zopf frisiert, der ihr Gesicht jung und verletzlich aussehen ließ. Dass sie kein Make-Up aufgelegt hatte, verstärkte diesen Eindruck noch.

Es war ihr selbst nicht bewusst, doch sie bemühte sich bei Dr. Sumner immer um einen Eindruck von Unschuld und Reue.

Sie zog sich knielange Röcke und weiße Blusen an oder Jeans und T-Shirts, nichts aus dem Teil ihres Schranks, der für Dave vorgesehen war.

„Ich habe Dave am Freitag angerufen. Ich wollte ihn nochmal darum bitten, mich zu einer Sitzung zu begleiten. Aber er war ziemlich kurz angebunden, er sagte, er habe jetzt keine Zeit für so was und er wüsste gar nicht, ob er das überhaupt noch will.“

Die Art und Weise, wie sie an ihren Fingernägeln herum zupfte, verriet Dr. Sumner, dass hinter dieser Aussage mehr steckte. Sie hatte schon vor längerer Zeit gemerkt, dass Sandra ihr etwas vormachte. Deshalb hatte sie auch gesagt, es wäre hilfreich, wenn Dave mitkäme. Sie wollte auch den Rest der Geschichte hören. Sie glaubte, nur die Hälfte gehört zu haben.

Auch diesmal war Dr. Sumner davon überzeugt, dass irgend etwas Sandras Mann dazu gebracht haben musste, so kurz angebunden zu sein.

Als Sandra in der letzten Woche zu ihrer Therapiestunde gekommen war, hatte sie erzählt, dass ihr Mann eine Frau kennen gelernt hatte und dass er Josie mit ihrem Kind spielen ließ, damit er sie treffen konnte.

Sandra war auch überzeugt davon, dass Dave Josie irgendwelche Flöhe ins Ohr setzte, damit sie nicht mehr zu ihr kommen wollte.

Dr. Sumner glaubte nicht, dass Sandra log. Sandra glaubte das, was sie sagte.

Ihre Erfahrung sagte ihr, dass Sandra sich selbst etwas vorgaukelte, damit sie nicht mit ihren eigenen Fehlern konfrontiert wurde. Sie verlor oft die Kontrolle über sich oder glaubte zumindest, vielem nicht gewachsen zu sein. Das kompensierte sie mit ihrer Kaufsucht, die ihr ein Gefühl von Kontrolle und Macht gab. Schuldgefühle wegen ihrer Einkäufe hatte sie zwar, doch die wandelte sie in Aggressionen gegen ihren Mann und ihre Tochter um.

Sie blendete ihre eigene Schuld vollkommen aus und beklagte sich nur, weil ihr Mann sie für verrückt hielt und ihre Tochter sie nicht liebte.

Natürlich machte Dr. Sumner die Vergewaltigung ihrer Patientin in ihrer frühen Jugend dafür verantwortlich. Und die mangelnde Zuwendung und psychologische Betreuung in der Zeit danach.

Sandra war einfach nicht fähig, wirklich zu lieben. Sie glaubte, Dave zu lieben.

Dr. Sumner wusste es besser. Sandra wollte Dave einfach besitzen.

Es tat ihr weh, dass er sie nicht mehr wollte, so wie sie war.

Er war die Sicherheit, die sie brauchte, er kannte sie und ihre Geschichte und liebte sie trotzdem.

Da er sie wegen Josie nun nicht mehr genug liebte, um mit ihr zusammen leben zu können, war für Sandra eine Welt zusammengebrochen.

Dave hatte eigentlich vernünftig reagiert, als er eine gemeinsame Sitzung abgelehnt hatte.

Da sie aber an die Schweigepflicht gebunden war, hatte Dr. Sumner keine andere Möglichkeit gesehen.

„Sandra, haben Sie schon mal die Möglichkeit in Betracht gezogen, dass Dave tatsächlich gerade beschäftigt war, als Sie ihn anriefen?

Sandra sah sie an, als hätte sie die Frage nicht verstanden.

„Womit sollte er denn beschäftigt sein? Er hat gesagt, er sei gerade unterwegs. Vermutlich mit dieser Rose. Ha!“ Sie lachte auf. Es war ein kurzes, hartes Lachen, das verbittert klang.

„Ich wette, er lacht sich ins Fäustchen, weil er mich reingelegt hat. Denkt er!“

Dr. Sumner notierte etwas in ihren Notizblock und sah Sandra dann freundlich an.

„Ich denke, es wäre ganz gut, wenn wir uns öfter sehen. Ich hätte noch einen Termin frei morgen Nachmittag. Wenn Sie möchten, natürlich“, schlug sie ihr vor.

Sandra überlegte kurz.

„Gibt es einen besonderen Grund für diesen Vorschlag?“ fragte sie misstrauisch.

„Selbstverständlich, Sandra. Sie wollen doch sicherlich schnell wieder gesund werden, damit Sie wieder mit Ihrem Mann vereint sind?“ fragte sie.

„Ja, natürlich!“ rief Sandra aus. „Ich würde also schneller Fortschritte machen und somit würde ich schneller wieder nach Hause kommen.“

Dr. Sumner nickte. Sie sagte Sandra nicht, dass sie die zusätzlichen Sitzungen unbedingt brauchte, damit sie einigermaßen unter Kontrolle war.

Sie sagte ihr auch nicht, dass sie vorhatte, ihr jeden Tag eine Sitzung zu verpassen.

Oder dass sie die außerhalb ihrer Sprechzeiten einplanen würde, wenn es nicht anders ging.

Dr. Sumner schrieb weiter in ihren Notizblock und lächelte unverbindlich.

Dr. Sumner machte sich Sorgen.

 

Sandra ging nach der Therapie nicht gleich in ihre Wohnung, sie hasste es, dort zu sein. Es war ein deprimierender Ort, an den sie so gar nicht passte.

Sie ging ein wenig durch die Stadt und schaute sich die Schaufenster an.

Shoppen konnte sie nicht, sie bekam ihr Geld eingeteilt.

Sie hatte zwanzig Dollar für jeden Tag.

Wenn sie etwas kaufen wollte, das teurer war, musste sie genau sagen, was es war und hinterher eine Quittung vorlegen.

Sie war erst heute morgen bei ihrer Betreuerin gewesen, um wegen ihrem tropfenden Wasserhahn vorzusprechen.

Dana war mit ihr in ihre Wohnung gekommen, hatte sich die Sache angesehen und ihr dann fünfzig

Dollar in die Hand gedrückt, um sich einen neuen zu kaufen.

Sandra wollte kein Modegeschäft oder Schuhgeschäft betreten, sie wusste, dass sie sonst ihr ganzes Geld ausgeben würde. Und dieser Wasserhahn nervte sie ganz furchtbar.

Sie kam an einem kleinen Baumarkt vorbei, den sie betrat.

Sie fragte einen Mitarbeiter, der ihr nicht nur ganz hilfsbereit zeigte, wo sie die Wasserhähne finden konnte, sondern auch noch gleich erklärte, was für Unterschiede es gab und welche Modelle empfehlenswert waren.

Obwohl sie sonst einen ausgeprägten Sinn dafür hatte, bemerkte Sandra nicht einmal, dass der junge Mann versuchte, mit ihr zu flirten.

„Also, ich denke, ich nehme dann den hier. Wenn Sie sagen dass der zu meinem Boiler passt“, sagte Sandra gelangweilt. Wasserhähne interessierten sie nicht die Bohne.

Genauso wenig wie Männer, die selbige verkauften.

Als der Verkäufer merkte, dass diese hübsche Kundin mit den langen schwarzen Haaren offensichtlich nicht an ihm interessiert war, klang er sogleich wieder ganz geschäftsmäßig.

„Gut, wenn Sie noch etwas brauchen, können Sie ja gerne Bescheid sagen.“

Er wartete die zwei Sekunden ab, um zu sehen, dass er nicht mehr gebraucht wurde und ging fort.

Sandra ging mit dem Wasserhahn an die Kasse. Sie hoffte, dass die fünfzig Kröten reichen würden.

Sie hatte gar nicht geschaut, was er kostete, sie war es gewohnt, einfach zu kaufen ohne nach Preisen zu fragen.

„Das macht dann neunundzwanzig fünfundneunzig“, sagte die Kassiererin.

Sandra bemühte sich, sich ihre Erleichterung nicht anmerken zu lassen.

Sie bezahlte und ging dann hinaus auf die Straße.

Ihre Baumarkt-Tüte in der Hand stand sie da und befühlte das restliche Geld in ihrer Tasche.

Sie wusste, dass Dana Konsequenzen ziehen würde, wenn sie das Restgeld ausgab.

Vielleicht würde sie ihr nur das Geld für einen Tag streichen, vielleicht bekam sie aber auch eine Strafarbeit.

Doch das Geld in der Tasche war einfach so...magisch.

Sie könnte eine Bluse kaufen.

Sie könnte Unterwäsche kaufen.

In einem Ramschladen könnte sie vermutlich für die zwanzig Dollar sogar beides bekommen.

Sie beschloss, das Schicksal entscheiden zu lassen.

Wenn sie in den Auslagen der Geschäfte auf ihrem Heimweg etwas entdeckte, dann würde sie reingehen.

Schon nach zehn Metern hatte es Sandra in ein kleines Modegeschäft verschlagen, wo ein hübsches Kleid im Schaufenster hing.

Es kostete neunzehn fünfundneunzig und stand ihr ausgezeichnet.

Es war hellblau mit feinem Blütenmuster. Sandras Figur kam darin toll zur Geltung.

Wenn Dave mich so sehen könnte, würde er diese andere Schlampe vergessen und dann käme er bestimmt sofort zu mir zurück, dachte sie, während sie fast grimmig in den Spiegel sah.

Sie hatte keinen Anhaltspunkt für solche Gedanken, weder wusste sie etwas über Daves Freundschaft zu Rose, noch hatte er sich von Sandra getrennt.

Dennoch hielt sie an dem Gedanken fest.

Sie bezahlte das Kleid und ging dann beschwingt nach Hause.

Ihr Kühlschrank war nicht gerade voll, doch sie briet sich zwei Eier, in die sie dann gebutterten Toast stippte.

Für viel mehr reichte ihr Appetit sowieso nicht.

Sie überlegte einen Moment lang, ob sie jemanden anrufen sollte, doch sie wusste nicht, wen.

Dave konnte sie nicht anrufen, er sollte ja nicht denken, sie laufe ihm hinterher.

Während sie so nachdachte, welche ihrer Freundinnen sie anrufen könnte, fiel ihr auf, dass sie keine richtigen Freundinnen hatte.

Sie hatte viele Bekannte, mit denen sie shoppen und ausgehen konnte, doch sie hatte mit keiner von ihnen Kontakt, seit sie hier wohnte.

Sie glaubte nicht, dass sie mit einer von ihnen über ihre Situation reden konnte.

Ein wenig frustriert dachte sie, dass sie keine richtigen Freunde mehr hatte, seit sie Josie bekommen hatte.

Sie schaltete den kleinen alten Fernseher ein, der in einer Ecke ihres kleinen Wohnzimmer stand.

Dann zog sie sich ein paar Leggings und ein langes Shirt an und legte sich auf die Couch.

Sie schaute gerne diese Soaps, die abends liefen.

Die waren so vollgestopft mit menschliche Katastrophen, dass sie ihre eigenen Probleme dabei vergessen konnte.

Der Abend verstrich und Sandra bewegte sich nur, um mit der Fernbedienung umzuschalten.

Es war noch nicht einmal halb zehn, als sie einschlief.

Der Fernseher lief die ganze Nacht hindurch.

 

 

7.: Doppeltes Glück für Rose

 

Melissa und Josie saßen gemeinsam in einer Ecke im Kindergarten und spielten mit der kleinen Küche.

„Möchtest du noch einen Kaffee, Rose?“ fragte Josie mit schlecht verstellter Stimme.

„Aber gerne, Dave!“ antwortete „Rose“.

„Bitteschön.“ Josie schenkte aus der Plastikkanne den Kaffee ein und Melissa trank ihn.

„Wollen wir vielleicht nächste Woche etwas unternehmen?“ fragte „Dave“.

Melissa überlegte. „Ja, wir könnten ins Schwimmbad gehen.“

Josie schaute sie an und sagte dann mit normaler Stimme: „Hey, das ist eine gute Idee!“

„Im Spiel?“ fragte Melissa sicherheitshalber.

„Nein, Melli. Ich meine in Echt. Glaubst du, Daddy und deine Mom sagen ja? Oder sagen sie dass es noch nicht lange genug warm war?“

Das war das Argument, mit dem Dave normalerweise immer auftrumpfte, wenn der Sommer gerade erst begonnen hatte.

„Hmm. Ich finde, es war jetzt schon ganz schön lange warm. Bestimmt schon seit zwei Wochen“, meinte Melissa.

„Miss Kelly weiß bestimmt, ob man schon ins Schwimmbad gehen kann. Miss Kelly!“

Josie sprang auf und ging zu der jungen Erzieherin. Melissa trottete hinterher.

„Was gibt es denn, Josie?“ fragte diese.

„Meinst du, dass wir schon ins Schwimmbad gehen können?“

Miss Kelly runzelte die Stirn. „Ins Schwimmbad? Wir gehen nicht ins Schwimmbad.“

Josie schüttelte energisch den Kopf. „Ich meine doch mit unseren Eltern.“

„Ach so“, lachte Miss Kelly. „Ich denke schon. Warm genug ist es.Aber eure Eltern müssen das entscheiden.“

Es war ja nicht so, dass sie neugierig war, sie wollte es eben nur schrecklich gerne wissen, deshalb fragte sie die Kinder: „Sagt mal, ihr spielt oft zusammen, oder?“

Melissa und Josie nickten.

„Und eure Eltern, sind die die ganze Zeit dabei?“

Josie überlegte, doch Melissa antwortete schnell: „Einer von beiden ist immer dabei, manchmal machen wir aber auch was alle zusammen.“

„So, also verstehen sich deine Mom und dein Dad gut, oder?“ fragte Miss Kelly, dabei wanderte ihr Blick von Melissa zu Josie.

Die beiden Mädchen kicherten. „Ja, sie mögen sich gerne. Das ist toll weil wir dann immer zusammen sein können. Wir sind beste Freundinnen und Daddy und Rose sind beste Freunde“, sagte Josie dann.

„Okay. Das ist fein. Es ist schön, dass ihr so gute Freundinnen seid.“

Damit waren die Mädchen entlassen.

Miss Kelly war nicht die einzige, die gerne Näheres wissen wollte.

Viele der Kolleginnen tuschelten, es wurde angedeutet, dass Melissa und Josie deshalb so oft zusammen waren, weil ihre Eltern was miteinander hatten.

Miss Kelly und Miss Mary, die beide diese Gruppe, die Bärengruppe, betreuten, waren sich da nicht so sicher, sie hatten noch keinerlei Anzeichen bemerkt, die für eine Affäre sprachen.

Wenn Dave und Rose ihre Kinder gleichzeitig abholten, gab es weder heimliche Berührungen, noch verliebte Blicke, noch nicht einmal gerötete Wangen.

Sie vermuteten beide, dass Dave und Rose genau das waren, was Melissa und Josie sagten: Freunde.

Sie hatten mit beiden jeweils ein Gespräch geführt, bevor die Kinder im Kindergarten aufgenommen wurden und wussten in etwa Bescheid darüber, dass sich Rose von ihrem Mann hatte scheiden lassen, weil er sich nicht um Melissa kümmerte. Dass das stimmte, konnten sie an Melissas Verhalten in den ersten Wochen im Kindergarten ablesen.

Sie war auf niemanden zugekommen, hatte nur alleine gespielt oder sich ein Buch angeschaut.

Wenn sie glaubte, dass niemand es sah, hatte sie auch am Daumen gelutscht.

Erst, als Josie in die Gruppe kam, hatte sie angefangen, sich zu öffnen.

Was Miss Kelly immer wieder erstaunte, war die Fröhlichkeit und die Frechheit, mit der Josie auftrat, obwohl sie ihres Wissens ein ähnliches Schicksal wie Melissa hatte.

Soweit sie wusste, war Daves Frau in irgendeinem Wohnheim für psychisch erkrankte Frauen, weil sie kaufsüchtig, depressiv und gefühllos gegenüber ihrer Tochter war.

Menschen, die aus so einer Ehe kamen, verliebten sich nicht einfach neu.

Nicht, wenn es ihnen schwergefallen ist, den Partner zu verlassen.

Und den Eindruck hatte man bei Dave und Rose gleichermaßen.

Was Miss Kelly erstaunte war, wie unterschiedlich zwei Kinder reagieren konnten.

Es war für alle ein Segen, dass ausgerechnet diese beiden Mädchen zueinander gefunden hatten.

Josie riss Melissa mit sich, sie brachte sie zum Lachen und machte sie irgendwie lebendiger.

Melissa hingegen mit ihrem ruhigen Wesen und einer Vernunft, die ihrem Alter weit voraus war, bremste Josie ein wenig, wenn sie eine Dummheit machen wollte oder frech war.

Miss Kelly war sicher, dass Josie ziemlich anstrengend wäre, wenn es Melissa nicht gäbe.

Eine Weile beobachtete sie noch die beiden Mädchen, die miteinander spielten und wandte sich dann einem Kind zu, das mit der Schere noch nicht richtig umgehen konnte.

 

Rose schloss die Wohnungstür auf und trat ein, Melissa folgte ihr. Beide hatten ihr „Gepäck“ zu tragen: Rose trug zwei relativ schwere Taschen bei sich, außerdem hatte sie einen Rucksack auf dem Rücken. Melissa trug auf dem Rücken ihre Kindergartentasche und in jeder Hand eine Plastikschale mit Obst, das Rose gekauft hatte.

Beide waren nass geschwitzt. Es war mittlerweile Juni und die Hitze war mittags am Schlimmsten.

Unterwegs hatte Rose nachgerechnet, wie lange sie noch zu Fuß gehen mussten.

Sie hatte vor, wenigstens dreitausend Dollar zu investieren, damit sie sicher sein konnte, dass das Auto noch in Ordnung war.

Sie hatte bereits zweitausendeinhundert Dollar gespart.

Sie hatte dafür ein System: Bei jedem Einkauf, den sie machte, bekam sie Kleingeld zurück.

Das behielt sie im Portemonnaie, sie bezahlte immer mit Scheinen.

Wenn sie dann zu Hause war, legte sie das Kleingeld in ihre Spardose.

Am Ende des Monats tauschte sie das Geld dann auf der Bank gegen Scheine ein und legte es zu Hause wiederum in eine andere Spardose.

Da sie nicht so viel auf einmal transportieren konnte, musste sie fast täglich einkaufen gehen.

Und da läpperte sich einiges zusammen. Und das fast, ohne dass man es merkte.

Bestimmt würde sie sich mit diesem System schon in sechs Wochen ein Auto leisten können.

Und danach konnte sie das Sparsystem nutzen, um die Kaution für eine größere Wohnung und vielleicht ein paar neue Möbel zusammen zu sparen.

Sie hatte in letzter Zeit das gute Gefühl, dass sie alles im Griff hatte.

„Mel, ich weiß, du willst gerne ins Schwimmbad gehen, aber unter der Woche ist mir das ein bisschen zu stressig. Bis wir am Schwimmbad sind, ist es schon so spät, dass wir gar nicht lange bleiben können, weil wir ja auch noch nach Hause laufen müssen“, erklärte sie ihrer Tochter, während sie die Taschen auf den Boden stellte und die Tür schloss.

„Ich weiß, Mommy. Ich meine ja auch mit Dave und Josie zusammen.“, sagte Melissa und fügte schnell hinzu: „Das war aber Josies Idee.“

Rose seufzte. „Dann muss sie ihren Vater fragen. Ich möchte Dave nicht ausnutzen, nur damit wir leichter von A nach B kommen.“

Melissa nickte stürmisch. „Ja ich weiß, Mommy. So was macht man nicht. Aber Josie will Dave sowieso fragen und ich wollte dich nur schon vorher fragen, ob du einverstanden bist.“

Rose lächelte und stupste ihre Tochter leicht an die Nase. „Dann ist es okay. Von mir aus gerne.“

Es war ewig her, seit sie schwimmen war. Sie hatte diesen Sommer auch noch gar nicht daran gedacht. Doch nun hörte es sich verlockend an.

 

Als sie gerade ihre Einkäufe alle weggeräumt hatten, klingelte das Telefon.

Es war Dave, der ganz aufgeregt klang.

„Rose, sag mal, du willst dir doch ein Auto kaufen. Hast du zweitausend Dollar?“

Rose wusste erst nicht, was sie sagen sollte. „So, jetzt noch mal ganz langsam. Zweitausend Dollar hab ich, aber wo hast du auf einmal ein Auto für mich aufgetrieben?“

Dave lachte. „Na, da kannst du mal sehen, das geht manchmal ganz schnell. Also, es ist Folgendes: Mein Chef hat seinen kleinen Ford zu verkaufen, er ist eigentlich noch gut in Schuss und noch nicht alt, aber letzte Woche ist ihm jemand rein gefahren. Es ist nichts weiter als eine Delle, die man leicht wieder nach außen drücken kann, ohne das der Lack bricht. Ich weiß, wie das geht, aber mein Chef weiß nicht, dass ich das weiß. Und weil er von der Versicherung fünftausend Dollar bekommt, hat er beschlossen, das Auto zu verkaufen und sich einen neueren anzuschaffen.

Ich hab ihm erzählt, dass ich eine Freundin habe, die ein Auto braucht und er hat mich gefragt, was ein annehmbarer Preis wäre. Ich denke, eigentlich wäre er noch dreitausend wert, vielleicht auch mehr. Aber ich hab zweitausend gesagt und er fand, dass das ein ziemlich guter Preis wäre.

Also, willst du es dir ansehen? Ich könnte dich abholen und du könntest schon heute ein Auto haben.“

Rose hatte schweigend zugehört, sie war einfach sprachlos. „Wow, ich weiß nicht, was ich sagen soll. Danke! Ich...natürlich können wir sofort los. Ich mache mich eben frisch und wir sehen uns dann gleich“, sagte sie, als sie endlich wieder sprechen konnte.

Sie legte auf und erzählte Melissa von diesem unglaublichen Glücksfall.

„Mommy, das ist ja klasse! Dann können wir doch noch unter der Woche schwimmen gehen“, war Melissas Reaktion.

Schnell zog sich Rose um, kämmte Melissas Haare noch mal durch und holte das Geld.

Schon hupte Dave draußen.

Rose und Melissa stiegen ins Auto und sie fuhren los.

 

„Das ist echt toll, Dave! Ich kann's gar nicht glauben“, sprudelte es aus Rose heraus.

„Ich habe erst heute auf dem Heimweg das ewige Laufen verflucht, besonders bei der Hitze.“

Dave lächelte und meinte dann achselzuckend: „Na, dann freue ich mich, dass ich dir helfen konnte. Für was hat man denn sonst Freunde?“

Rose war ganz nervös. „Wie ist dein Chef denn so?“ fragte sie.

Dave überlegte kurz. „Ich denke er ist ganz in Ordnung. Man könnte glauben, dass er schwul ist, er ist ziemlich feminin und interessiert sich auch nicht für typisches Männer-Zeug. Aber er ist verheiratet und hat vier Kinder.“

„Ein Glück, dass er sich auch nicht für Autos interessiert“, meinte Rose grinsend.

Sie waren schon angekommen. Es war eine nette, saubere Wohngegend.

Sie standen vor einem großen Haus mit drei Stockwerken und einem riesigen Garten.

Davor standen unter einem Carport zwei Chevrolets.

Ein roter Ford Escape stand etwas abseits, die Delle war deutlich zu sehen.

„Das ist er?“ fragte Rose. „Der ist ja riesig!“

Dave nickte und grinste. „Schau ihn dir schon mal an, ich geh Donnie holen.“

Er ging zu der Haustür und klingelte.

Inzwischen schaute Rose sich das Auto an. Dave hatte Recht, es sah wirklich noch sehr gut aus, wenn man mal von der Delle absah.

Es war nicht viel älter als sechs oder sieben Jahre und sah auf den ersten Blick gepflegt aus.

Rose konnte es noch immer nicht fassen, dass dieses tolle Auto so gut wie ihr gehörte.

Da kam Dave mit Donnie. Tatsächlich wirkte er sehr feminin, doch sein Händedruck war kräftig.

„Hallo, Rose, ich bin Donnie“, stellte er sich vor.

„Hallo“, antwortete Rose. Sie mochte den kleinen, schlanken Mann auf Anhieb gern.

„Dave hat mir erzählt, dass Sie ein Auto brauchen. Und was passiert ist, hat er Ihnen ja sicherlich schon erzählt.“ Donnie deutete auf die Delle.

Rose nickte. „Ja, es gab einen Unfall und Sie haben sich ein anderes Auto geholt.“

„Genau. Also,wenn Sie möchten, können Sie gerne mal mit dem Kleinen fahren und selbst sehen, ob er was für sie ist. Und dann gehen wir rein, trinken ein Glas Eistee und erledigen das Geschäftliche. Und wenn Sie ihn doch nicht wollen, trinken wir eben nur den Eistee.“ Er lachte.

„Also, bis jetzt gefällt er mir ganz gut“, meinte Rose.

Donnie reichte ihr den Schlüssel. Wollen wir? Dave kann mit den Mädchen schon mal rein gehen und sich einen Eistee holen. Brenda weiß Bescheid.“ Er nickte Dave zu, der Melissa und Josie zu sich rief und mit ihnen rein ging.

Rose öffnete das Auto und stieg auf der Fahrerseite ein, Donnie ließ sich auf dem Beifahrersitz nieder.

Sie stellte den Sitz und die Spiegel richtig ein, dann ließ sie den Motor an und fuhr los.

Anfangs ruckelte es noch etwas, sie war etwas aus der Übung, doch als sie erst mal ein Gefühl für den Wagen bekam, fuhr sie aus der Stadt raus, um auch die höheren Geschwindigkeiten zu testen.

„Wie lange kennen Sie Dave schon?“ fragte Donnie neugierig.

„Noch nicht lange, etwa einen Monat. Unsere Kinder haben sich im Kindergarten angefreundet.“

Donnie dachte einen Moment nach. Dann fragte er: „Wissen Sie über Sandra Bescheid?“

„Ja“, antwortete Rose, während sie abbog.

„Es ist schon schlimm, Dave und Josie können einem manchmal Leid tun.“

Donnie konnte ihr nur beipflichten. Er arbeitete nun seit vielen Jahren mit Dave und er hatte hautnah miterlebt, wie seine Frau die Ehe und fast das Kind zerstört hatte.

Er wusste, dass es Dave stark mitgenommen hatte, sich vorerst von Sandra zu trennen.

„Wissen Sie“, sagte er plötzlich, „ich denke nicht, dass er nochmal mit Sandra zusammen kommt.“

Rose zuckte mit den Schultern. „Das kann ich nicht so gut beurteilen, aber so wie es jetzt ist, glaube ich das auch nicht. Aber vielleicht hilft die Therapie ja und sie ändert sich.“

Donnie wiegte seinen schmalen Kopf hin und her.

„Sie kennen Sandra nicht persönlich. Jemand wie sie ändert sich nicht. Sie wird nur irgendwann aufgeben, die Therapie schmeißen und sich einen anderen Mann suchen, in den sie ihre Krallen schlagen kann.“

„So schlimm?“ fragte Rose mit einem kurzen Seitenblick.

„Schlimmer“, meinte Donnie. Etwas schien ihm auf dem Herzen zu liegen.

Er rutschte unruhig hin und her, zupfte an einem Fingernagel herum und blickte Rose immer wieder an. Schließlich fasste er sich ein Herz und fragte: „Ich will nicht unhöflich sein, aber ich frage mich, wie Ihr Verhältnis zu Dave genau ist.“

Rose war einen Moment lang sprachlos, dann prustete sie vor Lachen.

„Sie wollen wissen, ob ich an Dave interessiert bin, nicht wahr?“ Sie schüttelte den Kopf.

Mit so einer Reaktion hatte Donnie nun wirklich nicht gerechnet.

Rose erklärte: „Verstehen Sie mich nicht falsch, das ist durchaus keine lächerliche Frage, ich bin eine alleinstehende Frau und er ein so gut wie alleinstehender Mann. Es wäre vermutlich leicht, ihn um den Finger zu wickeln. Und er ist durchaus ein gut aussehender Mann, das habe sogar ich bemerkt. Ich bin nur nicht an einer Beziehung interessiert. Und Affären sind auch nicht mein Ding, also...“ sie zuckte mit den Schultern.

„Sie sind also nur Freunde?“ fragte Donnie.

„Genau. Freunde. Und ich denke mal, dass das auch in Daves Sinn ist.“

Donnie wirkte erleichtert. „Ja. Es ist gerade eine schwere Zeit für ihn. Und ich mag Dave, deshalb auch meine Frage.“

Rose schaute ihn kurz an und sagte dann: „Dave braucht gute Freunde, die sich Sorgen um ihn machen, deshalb finde ich das okay. Sie kennen mich schließlich nicht. Und Sie waren nicht besonders taktlos.“ Sie lächelte bei dem letzten Satz.

„Wissen Sie was, Rose? Ich mag Sie. Ihnen kann ich mit gutem Gewissen den Kleinen anvertrauen.“ Donnie grinste.

„Es wäre mir eine Ehre“, sagte Rose feierlich.

Sie bogen in die Straße ein, in der Donnie wohnte und hielten an.

Als sie im Haus waren bemerkte Rose, dass im Erdgeschoss des Hauses Donnies Praxis eingerichtet war. Sie hatte einen separaten Eingang.

Dave saß mit den beiden Mädchen und Brenda, Donnies Frau, auf dem großen Balkon vor dem Wohnzimmer. Sie hatten jeder einen riesigen Becher Eis mit Sahne und Obst.

„Na, was ist denn hier los? Bekomme ich etwa nichts?“ rief Donnie.

„Nein, du bist auf Diät!“ rief seine Frau lachend.

Im Gegensatz zu dem schmächtigen Donnie war Brenda ziemlich korpulent.

Sie war aber ziemlich hübsch, hatte lange dunkle Locken und ein verschmitztes Gesicht.

„...sagte sie und schaufelte sich einen großen Löffel Eis in den Mund“, erwiderte Donnie grinsend.

„Im Eisfach stehen eure Becher. Donnie, holst du die mal? Setzen Sie sich doch“, sagte sie zu Rose und deutete auf einen freien Stuhl.

Donnie ging in die Küche, um das Eis zu holen.

„Sie haben aber einen tollen Ausblick hier“, sagte Rose bewundernd.

Auf dieser Seite des Hauses sah man nichts als Wiesen und kleine Wäldchen.

Man konnte direkt glauben, man sei auf dem Land.

In der Abendsonne glitzerte ein Bach, der sich an einem Feld vorbei schlängelte.

Überall sah man rote und blaue Farbtupfer: kleine, bunte Blumen, die überall wuchsen und von den Bauern hier als Unkraut angesehen wurden.

Ein Traktor zog gemächlich seine Bahnen und sprühte Wasser auf die Frucht, die da wuchs.

„Sie sollten mal sehen, wie weit man vom Dachgeschoss aus sehen kann“, sagte Brenda stolz.

„Ganz weit hinten kann man das Meer sehen. Und wenn der Wind von Westen kommt, können wir Salz und Teer in der Luft riechen.“

Rose seufzte. „Ach, das klingt schön. Bei uns ist dafür zu viel Verkehr und dann ist da noch das Industriegebiet.“

Brenda meinte mitfühlend: „Das kenne ich, wir haben früher auch in der Stadt gewohnt. Als Donnie sich dann selbständig machen wollte, haben wir durchgerechnet, was es kostet, mitten in der Stadt eine Praxis zu öffnen. Die Mieten sind sehr hoch und es gibt sehr viel Konkurrenz. Hier in den abgelegeneren Stadtteilen ist die Miete für ganze Häuser relativ günstig. Natürlich müssen wir immer extra in die Stadt fahren, um einzukaufen. Hier gibt es nur kleine, teure Geschäfte. Aber wir haben wirklich Glück gehabt. Unser Vermieter ist schon älter. Seine Frau ist tot und er hat keine Kinder. Wir haben mit ihm eine Art Mietkauf vereinbart. Wir bezahlen vorerst eine günstige Miete, dafür kümmern wir uns selbst um sämtliche Reparaturen. Die Steuern bezahlt aber er. Wenn wir wollen, können wir jederzeit einen Kaufvertrag mit ihm abschließen und er rechnet uns siebzig Prozent der Miete an, die wir bezahlt haben, seitdem wir drei Jahre hier gewohnt haben. Ziehen wir aus, verlieren wir alles. Aber ich gehe bald wieder arbeiten, sobald Billy, unser Jüngster, in den Kindergarten kommt.“

Während sie redete, aß Brenda ihr Eis weiter. Melissa und Josie spielten im Wohnzimmer mit einem Kätzchen. Dave hörte interessiert zu, Rose ebenfalls. Da kam Donnie mit dem Eis wieder.

„Ich habe Rose und Dave gerade erzählt, was für ein Glück wir mit dem Haus hatten“, berichtete Brenda ihrem Mann.

„Ja, das war wirklich Glück. Wir wohnen jetzt seit fast zehn Jahren hier, drei unserer vier Kinder haben wir hier bekommen. Wenn Brenda Ende des Jahres wieder arbeiten gehen kann, machen wir hier alles dingfest. Das Haus ist gut in Schuss, es gibt einen riesigen Garten, es ist genug Platz für unsere Familie und meine Praxis, der Mietpreis ist relativ gering, weil er in den letzten zehn Jahren nie erhöht wurde und die Raten werden kaum höher sein, weil wir ja mit der Miete der letzten sieben Jahre bereits eine gute Anzahlung geleistet haben. Und die Nebenkosten halten sich in Grenzen.“

Dave berührte Rose am Arm. „Rose, frag mal Donnie, warum er sich das Haus bis jetzt nicht leisten konnte.“

Rose sah ihn verdutzt an. „Was? Wieso denn? Das geht mich doch gar nichts...“ sie verstummte.

Donnie lachte lauthals. „Du Hund, du!“ rief er und zeigte auf Dave.

Nun war Rose verwirrt. „Ich verstehe nicht ganz, was...“, weiter kam sie nicht.

„Gut, wenn du nicht fragen willst, frag ich für dich“, bot Dave grinsend an. Er wandte sich an Donnie: „Sag, Donnie, weshalb konntest du dir das Haus nicht leisten? Geht es deiner Praxis etwa schlecht?“ er legte den Arm um Donnies Schulter und machte ein trauriges Gesicht, das so übertrieben war, dass Rose sich ziemlich sicher sein konnte, dass Dave nur Spaß machte.

„Also gut, Donnie, gestehen Sie: weshalb können Sie sich das Haus noch nicht leisten?“

„Damit zieht mich Dave immer wieder auf, als ob es etwas komisches wäre. Eigentlich muss er froh sein, dass ich nicht jemanden einstelle, der meine Selbstlosigkeit eher zu schätzen weiß als er.“

Donnie grinste und boxte Dave auf die Schulter.

„Ich erkläre es Ihnen: Ich sehe mich selbst als Angestellten in meiner Praxis. Der Chef ist der Kunde. Weil ich also nicht der Chef bin, sondern nur ein leitender Angestellter, teile ich mir selbst nicht viel mehr Lohn ein als den anderen Angestellten auch. Ich bekomme ein Grundgehalt weil ich die Praxis leite und ich bekomme meine Stunden bezahlt wie jeder andere auch. Der Rest ist auf dem Firmenkonto und kommt in gewissem Sinn dem Chef zugute, nämlich dem Patienten. Indem ich an meinem Gehalt spare, kann ich immer gute und neuartige Geräte kaufen. Ich kann meine Mitarbeiter besser bezahlen, was der Motivation zugute kommt. Das wiederum spürt wiederum der Patient, weil er besser behandelt wird. Ich war lange Zeit ein schlecht bezahlter Angestellter, ebenso wie Dave. Deshalb habe ich mir geschworen, dass ich als Chef nie so gierig werde, dass ich darüber mein Personal vergesse. Geht es der Praxis gut, geht es uns allen gut.“ Er sagte das so bescheiden, als wäre es das Natürlichste auf der Welt.

Für Rose klang es ganz so, als hätte Donnie diese Geschichte schon mehrmals wiedergegeben.

Anscheinend zog Dave ihn wirklich oft damit auf. Sie schaute ihn tadelnd an.

„Und wieso ziehst du ihn damit auf? Das ist das Tollste, das ich je gehört habe. Wenn jeder Chef so wäre, jeder Mensch so wäre, dann wäre diese Welt um Einiges besser.“

Dave zuckte nur mit den Schultern. „Das ist der einzige Weg, wie ich ihn dazu bringen kann, darüber zu reden. Ich will es nur publik machen.“

Donnie wandte sich Rose zu. „Genug von mir. Sagen Sie, Rose, was halten Sie denn von dem Kleinen? Gefällt er Ihnen? Ist der Preis okay? Ich weiß, er sieht ziemlich scheußlich aus. Nicht nur dass er rot ist, jetzt hat er auch noch diese Beule.“ Er sah fast zerknirscht aus.

Rose lachte. „Die Farbe gefällt mir. Ich finde, rot ist niemals out. Und das Auto ist toll, es hat viel Platz und lässt sich super fahren. Und der Preis ist vollkommen okay. Ich habe das Geld sogar bei mir, wir können gleich Nägel mit Köpfen machen.“

Dave lächelte zufrieden. Er war froh, dass er Rose hatte helfen können. Ohne Auto in dieser Stadt war man aufgeschmissen. Jeden Tag Bus zu fahren war teuer. Und er wusste, dass Rose fast jeden Tag mit Melissa Einkäufe nach Hause trug. Natürlich würde er auch mal einkaufen fahren, doch instinktiv wusste er, dass Rose das nicht wollen würde. Dazu war sie zu stolz.

So hingegen war sie unabhängig, sie konnte alles selbst erledigen und sparte jede Menge Zeit, weil sie nicht mehr so oft einkaufen musste und überall schneller hinkam.

„Wollen wir einen Vertrag aufsetzen?“ fragte Donnie. Es klang, als wäre das für ihn unwichtig.

„Also, im Grunde könnten wir einen machen, der Sie schützt, Donnie“, sagte Rose.

„So einen wo drin steht, dass ich das Auto kaufe, wie ich es gesehen habe. Also schließt das eine Stornierung eines Kaufs aus.“

Donnie sah sie an. „Wollen Sie das Auto denn zurück geben?“

Rose sagte fast entrüstet: „Selbstverständlich nicht, ich liebe es ja jetzt schon!“

Da mussten sie alle lachen.

„Gut, dann hole ich jetzt die Papiere, Sie geben mir das Geld und dann ist alles unter Dach und Fach. Ich glaube Ihnen auch ohne Vertrag.“

„Und nach allem, was ich jetzt über Sie weiß, bin ich mir sicher, dass ich den Kauf auch nicht bereuen werde. Wenn das Auto nicht in Ordnung wäre, würden Sie es mir sagen.“

„Fein“, rief Donnie. Er eilte aus dem Zimmer, um die Autopapiere zu holen.

Rose nestelte derweil den Umschlag mit dem Geld aus ihrer Handtasche.

Josie und Melissa kamen angeflitzt. Melissa trug das Kätzchen auf dem Arm.

„Mommy, kaufst du das Auto? Es sieht so cool aus!“ rief sie.

Rose musste lachen. „Ja, mein Schatz, ich kaufe es. Donnie holt schon die Papiere. Wir fahren damit nach Hause und morgen melde ich es gleich auf mich an.“

„Klasse! Dann fahren wir doch noch ins Schwimmbad!“ jubelte Melissa.

„Weißt du was, Mel, wir fahren nicht ins Schwimmbad. Ich habe eine bessere Idee. Am Wochenende könnten wir doch an den Strand fahren. Wir könnten morgens losfahren, dort picknicken oder im Lokal was essen und den ganzen Tag dort verbringen. Wir vier. Und vielleicht wollen Sie ja auch mitkommen?“ lud Rose Brenda ein.

Sie schüttelte den Kopf. „Tut mir Leid, dieses Wochenende sind wir auf einer Hochzeit, aber ein andermal gerne.“

Dave war ganz begeistert. „Am Strand war ich schon seit Jahren nicht mehr. Es war einfach zu weit. Und Josie war noch so klein, ich hatte immer Angst, dass etwas passiert. Aber jetzt ist das schon anders. Ein Tag am Strand wäre perfekt!“

„Ja, hoffentlich bleibt das Wetter so, damit es sich auch lohnt. Ich will nicht im Regenmantel am Strand spazieren gehen“, meinte Rose.

„Oh, es soll am Wochenende noch heißer werden. Da kann man froh sein, wenn man am Strand ist“, schaltete sich Donnie ein, der mit den Papieren zurück war.

Er überreichte sie Rose, die ihm ihrerseits den Umschlag überreichte.

Sie schüttelten einander die Hände und Donnie sagte: „Gute Fahrt mit meinem Kleinen.“

Rose lächelte. Sie konnte kaum glauben, dass sie nun ein Auto besaß.

„Danke“, sagte sie nur. Es war das Einzige, das ihr im Moment einfiel.

„So, jetzt essen Sie erst mal Ihr Eis fertig“, meinte Donnie verlegen.

Sie plauderten noch eine Weile und die Kinder spielten mit der Katze.

„Wo sind eigentlich Ihre Kinder?“ fragte Rose. Sie hatte von den vier Kindern noch nichts gesehen.

Brenda antwortete: „Die beiden großen sind im Schwimmbad und die beiden Kleinen bei meiner Mutter. Um sieben Uhr sollten alle wieder da sein.“ Sie sah auf die Uhr.

„Oh, dann dauert es ja nicht mehr lange. Ich muss langsam anfangen, das Abendessen vorzubereiten. Sagen Sie, wollen Sie nicht mit uns essen? Haben Sie noch so lange Zeit?“

Sie blickte Rose an, dann Dave. Dave nickte und schaute dann Rose an.

„Naja, wenn es Ihnen nichts ausmacht und Sie genug Platz haben, würden wir gerne mitessen. Vielleicht kann ich Ihnen ja in der Küche zur Hand gehen“, sagte Rose, ohne zu zögern.

Gleich darauf biss sie sich auf die Lippen und schaute Dave an.

„Natürlich, wenn es dir recht ist“, sagte sie schnell.

Dave lachte und sagte: „Na klar. Ich hab nämlich so langsam Hunger und unsere gute Brenda hier ist eine hervorragende Köchin. Zusammen könnt ihr da drin bestimmt etwas tolles zaubern.“

Er deutete mit dem Daumen hinter sich auf die Wohnung.

Dann überlegte er kurz und sagte: „Außerdem ist es jetzt egal, ob es mir recht ist. Du hast ja jetzt dein eigenes Auto.“ Er zwinkerte ihr zu.

Daran hatte sie gar nicht gedacht, der Gedanke war noch zu neu.

„Stimmt ja“, sagte sie und schlug sich mit der flachen Hand leicht gegen die Stirn.

Sie lachten und dann stand Brenda auf. „So“, sagte sie. „Gehen wir's an.“

Rose erhob sich ebenfalls und ging hinter Brenda her.

In der Küche wurde ihr eine Schürze gereicht. „Damit Ihre Kleidung nicht schmutzig wird.“

Brenda öffnete den prall gefüllten Kühlschrank und holte ein Pfund Putenbrust heraus, die sie wortlos an Rose weiterreichte.

Dann holte sie Tomaten, eine Gurke, etwas Schafskäse, Oliven und Peperoni heraus, sie stellten alles auf die Arbeitsplatte.

Zuletzt holte Brenda aus dem untersten Fach einen Beutel mit verschiedenen Blattsalaten heraus, die bereits geputzt und zerkleinert waren.

„Das meiste stammt aus unserem Garten“, sagte Brenda, während sie aus einer Schublade zwei große Schneidbrettchen und aus einer anderen zwei scharfe Messer holte.

„Ein eigener Garten ist schon was tolles“, stimmte Rose zu. Sie dachte einen Moment nach.

Schließlich griff sie nach den Tomaten und begann, sie zu achteln.

„Ich möchte mir bald eine andere Wohnung mieten, im Moment habe ich kein eigenes Schlafzimmer“, erzählte Rose. „Vielleicht finde ich ja etwas mit einem kleinen Garten. Oder ich miete einen Garten.“

Brenda überlegte kurz. „Wissen Sie was“, sagte sie dann, „ich glaube, ich hätte da was für Sie.“

Rose sah sie an. „Kennen Sie jemanden, der einen Garten zu vermieten hat?“ fragte sie hoffnungsvoll. Das wären ja zwei tolle Geschäfte an einem Tag!

Brenda schüttelte den Kopf. „Ein kleines Haus mit Garten, südlich von hier.“

Rose schüttelte den Kopf. „Ein Haus kann ich mir nicht leisten. Ich habe nur einen Teilzeit-Job und mein Exmann bezahlt zwar Unterhalt für Josie, aber das reicht trotzdem nicht aus.“

Brenda fragte: „Wie viel könnten Sie denn an Kaltmiete aufbringen?“

Rose kam die Frage komisch vor, doch sie rechnete trotzdem nach.

Sie hatte alles in allem siebzehnhundert Dollar im Monat, davon brauchten sie zum Leben etwa dreihundert, für Benzin, Versicherung und Autosteuern kamen bestimmt nochmal zweihundert dazu. Sie sparte jeden Monat hundert Dollar in Melissas College-Fond, das machte schon sechshundert. Hundertfünfzig Dollar bezahlte sie noch die nächsten zwanzig Monate für ihre Küche ab. Hundert Dollar im Monat musste man rechnen für Klamotten oder Sachen für die Wohnung. Das machte dann schon achthundertfünfzig Dollar, die sie jeden Monat bezahlen musste.

Wenn man ein Haus bewohnte, musste man sicherlich mit dreihundert Dollar Nebenkosten rechnen.

Je nachdem, wie groß es war. Mehr als fünfhundertfünfzig Dollar konnte sie also nicht bezahlen.

Dafür bekam man kein Haus.

Sie bezahlte für ihre Zwei-Zimmer-Wohnung schon dreihundertfünfzig.

Rose zog die Nase kraus. „Ach, das reicht niemals. Fünfhundertfünfzig Dollar. Wenn ich dafür eine große Drei-Zimmer-Wohnung bekomme, ist das schon viel. Oder eine kleine Vier-Zimmer-Wohnung.“

Brenda lächelte. „Donnie hat ein Haus, das leer steht. Eigentlich gehört es seiner Mutter. Sie wohnt jetzt in einem Seniorenheim, weil sie vor einem halben Jahr einen Schlaganfall erlitten hat. Es geht ihr zwar ganz gut, aber sie ist oft sehr verwirrt und braucht deshalb Betreuung. Donnie kann entscheiden, was mit dem Haus passiert. Das Heim wird von der Krankenkasse und dem Gesparten seiner Mutter bezahlt, ewig halten wird das aber nicht. Wenn Donnie das Haus vermietet, braucht er sich darüber keine Sorgen machen. Und da reichen fünfhundert Dollar völlig.“

Rose musste sich einen Moment lang an der Arbeitsplatte festhalten, weil ihr schwarz vor Augen wurde. Als sie wieder klar sehen konnte, war sie sich fast sicher, dass das eben nur eine Art Traum war, hervorgerufen durch die kurze Ohnmacht.

„Geht's Ihnen gut?“ fragte Brenda. „Sie waren eben ganz weiß im Gesicht.“

Rose schüttelte den Kopf. „Es geht schon wieder. Haben Sie vielleicht ein Glas Wasser?“

„Natürlich“, sagte Brenda und holte sofort ein Glas aus dem Schrank.

Sie goss kaltes Mineralwasser ein und reichte es Rose, die gierig trank.

„Bestimmt die Hitze“, sagte sie dann. Es ging ihr schon wesentlich besser.

„Also, wann wollen Sie sich das Haus ansehen?“ fragte Brenda.

Rose starrte sie an. „Wirklich?“ fragte sie.

„Also, ich bespreche es natürlich nochmal mit Donnie, aber ich denke schon, dass er einverstanden ist. Sie haben es ja selbst gehört: Er bereichert sich nicht gerne an anderen, er nimmt nur das, was er braucht. Deshalb bin ich mir ziemlich sicher. Wenn Sie wollen, kann ich ihn sofort fragen.“

Sie wusch sich die Hände, ehe Rose etwas sagen konnte.

In der Tür drehte sie sich nochmal um und sagte: „Vielleicht könnten Sie ja in der Zwischenzeit das Putenfleisch anbraten, Olivenöl ist in dem Schrank rechts oben und die Pfannen sind unter dem Ofen in der Schublade.“ Damit ging sie hinaus.

Rose stand einen Augenblick lang wie betäubt. Das konnte nicht wahr sein.

So viel Glück konnte sie nicht haben.

Während sie eine Pfanne auf den Herd stellte und das Öl hineingoss, dachte sie:

Donnie wird bestimmt nein sagen. Das macht doch kein Mensch. Und wieso sollte er es überhaupt vermieten? Vielleicht will er ja selbst einziehen. Gleich kommt Brenda und sagt es mir.

Tatsächlich kam Brenda kurz darauf durch die Tür, Donnie folgte ihr.

Rose wollte gerade die in Mehl gewendeten Streifen Putenbrust in das Öl legen.

Als sie die Gesichter der beiden sah, verharrte sie in ihrer Bewegung.

„Rose, Sie können sich das Haus schon morgen ansehen, wenn Sie wollen“, verkündete Brenda.

Sie grinste über das ganze Gesicht und auch Donnie sah sehr erfreut aus.

„Das ist die beste Idee, die Brenda je hatte. Ich wusste bis jetzt nicht, was ich mit dem Haus machen sollte. Ich habe hier die Praxis und auch mehr Platz mit den vier Jungs, deshalb können wir das Haus meiner Mutter nicht selbst nutzen. Und ich habe noch gar nicht darüber nachgedacht, es zu vermieten. Auch weil ich anfangs gehofft hatte, meine Mutter würde sich wieder vollständig erholen.“

Rose war ganz perplex. „Oh mein Gott! Das wäre ja traumhaft!“

Dave und die Mädchen kamen in die Küche. Sie hatten nichts von dem Gespräch mitbekommen.

„Sollen wir schon mal den Tisch decken?“ bot sich Dave an.

„Das ist eine gute Idee“, sagte Donnie. „Und vielleicht stellst du ja auch Sektgläser auf den Tisch. Ich glaube, ich muss mal mit meiner zukünftigen Mieterin anstoßen.“

Dave schaute sichtlich verwirrt von einem zum anderen. „Mieterin? Das verstehe ich nicht.“

Donnie legte einen Arm um Daves Schulter.

„Wenn es Rose gefällt, kann sie das Haus meiner Mutter mieten.“

„Mir gefallen? Ich muss es gar nicht sehen. Es wäre ein Haus. Mit einem Garten!“ rief Rose.

Melissa jubelte: „Ein Haus! Ein Haus! Das wäre so schön!“

Dave war sprachlos.

Als er sich wieder gefangen hatte, meinte er: „Na, das ist wohl eindeutig dein Glückstag, oder?“

Rose lachte. „Ja, das glaube ich auch.“

Da klingelte es an der Tür.

„Oh, das wird meine Mutter sein, die Joey und Billy bringt. Ich geh mal schnell“, sagte Brenda.

Sie ging hinaus. Rose hatte inzwischen den Salat fertig. Donnie schnitt noch schnell etwas Brot, während Dave mit den Kindern den Tisch deckte. Dann ging er mit ihnen ins Bad, damit sie sich die Hände wuschen. Sie hatten schließlich den ganzen Nachmittag die Katze gestreichelt.

Brenda kam wieder hoch. Vor ihr lief ein etwa sechsjähriger Junge, der einen Schulranzen aufhatte.

An der Hand führte sie einen etwa Zweijährigen. Beide Kinder sahen ihr sehr ähnlich, sie hatten dunkle Haare und Augen, sie waren jedoch ziemlich schlank.

Sie spielten gleich mit Melissa und Josie fangen.

Während Rose den Salat auf den Esstisch stellte, legte Brenda noch schnell ein paar Scheiben Käse und Salami auf einen Teller und stellte diesen dann ebenfalls auf den Tisch.

Als alle ihren Platz am Tisch gefunden hatten, kamen die beiden älteren Söhne, der zwölfjährige Chris und der neunjährige Josh, die Treppe hoch gestürmt.

„Hallo!“ grüßten die beiden Jungs fröhlich. „Im Schwimmbad war es total voll“, erzählte Chris.

„Kinder, das sind Rose und ihre Tochter Melissa“, sagte Donnie.

Alle vier sagten „Hi“.

„Rose hat mir den Kleinen abgekauft und vielleicht wird sie Grandmas Haus mieten.“

Josh sah seinen Vater erstaunt an. „Und was ist, wenn Grandma doch wieder gesund wird?“ fragte er.

Donnie wusste nicht genau, was er sagen sollte. Er wusste, wie sehr sein Sohn an seiner Großmutter hing. Er wollte ihm eigentlich nicht sagen, dass es kaum Hoffnung auf Besserung gab.

Da schaltete sich Rose ein: „Wenn es ihr gut genug gehen sollte, dass sie wieder einige Zeit allein bleiben kann, kann sie gerne mit uns zusammen wohnen. Weißt du, ich arbeite in einem Altersheim, ich könnte mich also gut um sie kümmern in meiner Freizeit.“

Da lächelte Josh beruhigt. „Das Haus wird Ihnen bestimmt gefallen“, sagte er.

Rose lächelte ebenfalls. „Das denke ich auch“, sagte sie.

Endlich saß jeder am Tisch und sie konnten anfangen, zu essen. Der Salat schmeckte vorzüglich.

Es war halb neun, als sie fertig wurden. Es gab so viel zu erzählen, dass sie alle langsam aßen.

Die Kinder wurden müde, deshalb mussten Dave und Rose nach Hause fahren.

Rose verabredete sich mit Brenda für den nächsten Tag um vier.

„Kannst du mir gleich sagen, wo es ist? Dann kann ich vielleicht einen Umweg fahren und schon einen Blick darauf werfen“, bat Rose.

Donnie schrieb ihr die Adresse auf.

„Wir treffen uns dann dort“, sagte Rose, „das ist praktischer.“

Brenda war einverstanden.

Donnie konnte nicht mitkommen, weil er donnerstags immer bis sechs Uhr arbeiten musste.

Sie verabschiedeten sich.

Rose bedankte sich draußen nochmal bei Dave.

„Das ist unglaublich und das habe ich nur dir zu verdanken“, sagte sie.

Dave winkte ab. „Das war doch gar nichts. Ich habe nur vermittelt. Aber bedanken musst du dich eigentlich bei dem Idioten, der Donnie in den Kleinen rein gefahren ist. Nenn es Schicksal.“

Rose fiel etwas ein. „Sag mal, würdest du denn nicht auch lieber in einem Haus wohnen? Deine Wohnung ist toll, aber wenn du willst, lass ich dir bei dem Haus den Vortritt. Du kennst Donnie und Brenda schließlich schon ziemlich lange.“

Dave lächelte. „Mach dir darüber keine Sorgen. Ich bleibe vorerst in meiner Wohnung. Ich habe sie gekauft, als die Preise ganz unten waren. Außerdem war sie ziemlich schäbig, deshalb habe ich sie für einen Spottpreis bekommen. Ich habe alles selbst renoviert, deshalb hat es sich richtig gelohnt.“

Rose war erleichtert. Sie hätte Dave wirklich den Vortritt gelassen, aber es wäre ihr sehr schwer gefallen.

 

Eric Simmons war ein ausgeglichener, ruhiger Mensch.

Er flippte nie aus, er stritt nicht. Er diskutierte oder ließ es, wenn es sich nicht lohnte.

Selten war er je wirklich wütend geworden.

An einige Male konnte er sich genau erinnern.

Da war der Tag, als seine Eltern ihm sagten, dass sie sich scheiden ließen.

Er war dreizehn Jahre alt gewesen.

Dann der Moment, als Rose Melissa das erste Mal an die Brust legte.

Er musste sich damals sehr zusammenreißen, was ihm auch nur gelang, weil er Rose liebte.

Und dann natürlich, als Rose sich von ihm trennte.

Sie hatten am Abend vorher Besuch gehabt, sie hatten Wein getrunken und etwas gegessen.

Rose war gerade in der Küche beschäftigt, als Melissa Hilfe brauchte.

Ihr war ein kleines Malheur passiert, sie hatte beim Toilettengang über den Rand gepinkelt.

Nun brauchte sie ein neues Nachthemd oder einen Schlafanzug.

Rose rief Eric in die Küche und bat ihn, Melissa ein paar frische Sachen zu geben und ihr zu helfen, im Bad sauber zu machen.

Er ging daraufhin zu Melissa ins Bad, die ihn ganz merkwürdig ansah.

Irgendwie überrascht, weil er ihr wirklich helfen wollte.

Er hatte nach dieser Wut am Tag ihrer Geburt nie versucht, eine Beziehung zu ihr aufzubauen.

Er wusste, dass das falsch war, doch er hatte Angst, er könnte wieder wütend werden, wenn er sich mit Melissa beschäftigte.

Er sagte ihr an jenem Abend, dass sie ihre Schweinerei wegmachen sollte, dann ging er in ihr Zimmer, öffnete sämtliche Schubladen und Schranktüren, bis er endlich die Schlafsachen fand und brachte seiner Tochter, die weinend den Fußboden und die Toilette sauber machte, einen Schlafanzug.

„Na, wenigstens kannst du schon putzen, bist du also doch für etwas gut“, waren die letzten Worte, die er an Melissa richtete.

Er wandte sich ab und ging wieder zu seinen Gästen, denen er lauthals verkündete, er habe nur eben seiner Tochter geholfen.

Rose ging, nachdem sie die Küche wieder in Ordnung gebracht hatte, in Melissas Zimmer und fand sie weinend auf dem Bett vor.

Melissa erzählte ihr alles und fragte sie dann, warum ihr Daddy sie hasst.

Rose kam daraufhin nicht wieder zu ihm und den anderen zurück.

Sie lag erst bei Melissa im Bett und tröstete sie, so gut es ging.

Als Melissa dann eingeschlafen war, hatte sie sich im Schlafzimmer hingelegt.

Sie hatte sich nicht einmal umgezogen.

Eric fand sie schlafend vor, als er gegen Mitternacht ins Bett ging.

Er dachte sich nicht viel dabei, manchmal bekam Rose Kopfschmerzen, dann brauchte sie Ruhe.

Er schlief die ganze Nacht neben seiner Frau, die bereits beschlossen hatte, sich von ihm zu trennen.

Für ihn kam es unerwartet.

Wie er herausfand, hatte Rose im Gegensatz zu ihm schon öfter über Trennung nachgedacht.

Er verstand nicht, was sie von ihm wollte.

Sie sagte, er schade Melissa. Dabei tat er ihr doch gar nichts.

Er mochte nicht der beste Vater der Welt sein, doch er war auch kein Ungeheuer.

Sicherlich kümmerte er sich nicht gerade sehr um Melissa, er wusste es ja selbst.

Doch ändern konnte er daran nichts. Wollte er auch gar nicht.

Er hatte immer geahnt, dass dieses Kind sich nicht damit zufrieden geben würde, nur einen Teil seiner Frau zu haben, sie wollte sie ganz für sich alleine.

Und Rose wollte tatsächlich mit Melissa fort.

Eric war mehr als wütend, er war rasend. Es war vielleicht der einzige wirkliche Streit, den er und Rose je hatten.

Schließlich war sie gegangen.

Und nun hatte er gehört, dass sie mit irgend einem Typen angebändelt hatte.

Zwar wusste niemand etwas Genaues, doch Rose war oft mit einem Mann gesehen worden.

Und sie hatte plötzlich ein schickes neues Auto.

Das konnte ja schließlich nur bedeuten, dass sie einen Freund hatte.

Und mit dem wollte Melissa anscheinend ihre Mutter teilen.

Eric war bei den ersten Berichten noch gelassen geblieben, doch als er das Gerücht über Rose und ihren Freund immer öfter hörte, wurde er wütender und wütender.

Seine Frau! Mit einem anderen Mann!

Eric hatte plötzlich einen Verdacht, zunächst war es nur ein flüchtiger Gedanke, doch bald war er sich sicher, dass er Recht hatte.

Was, wenn Rose diesen Mann schon vor ihrer Trennung gekannt hatte?

Wenn sie sich gar nicht wegen Melissa von ihm getrennt hatte, sondern für diesen Kerl?

Sie musste ihn auf jeden Fall schon länger kennen, denn heute hatte eine Kundin von Eric ihm erzählt, dass sie Rose gesehen hatte, als sie sich augenscheinlich ein Haus ansah.

Eine fette Frau, wahrscheinlich die Maklerin, hatte Rose und einem Mann das Grundstück gezeigt und sie waren auch rein gegangen.

Rose wollte also mit ihrem Kerl zusammenziehen!

Es war für ihn unbegreiflich.

Vor wenigen Monaten hatten sie noch Seite an Seite geschlafen.

Und nun sollte ein anderer Mann jeden Morgen neben ihr aufwachen.

Eric wusste, dass er irgend etwas unternehmen musste.

Er wusste noch nicht, was er tun würde, aber er wusste, dass es Rose und vor allem diesem Typen mit Sicherheit nicht schmecken würde.

 

 

8.: Helens Haus

 

Die Kundin, die Rose bei der Hausbesichtigung gesehen hatte, hatte sich nicht getäuscht. Natürlich war ein Mann dabei, als sie sich mit Brenda traf. Dave.

Er hatte sie angerufen und gefragt, ob er auch mitkommen dürfe.

Donnie hätte nichts dagegen, hatte er erklärt.

Rose war einverstanden gewesen, sie gab ihm die Adresse und sie trafen sich alle dort.

Die Straße, in der das Haus stand, war ruhig und schattig, kleine, nette Einfamilienhäuschen standen in Reih und Glied, manche hatten prächtige Rosenbüsche in ihren Vorgärten und Rhododendren, manche hatten aber auch nur ein paar Buchsbäumchen und den obligatorischen Rasen neben der Einfahrt.

Das Haus, vor dem sie hielten, war von Rosenbüschen umgeben.

Ein kleiner Feigenbaum stand in der Mitte des Rasens.

An die Einfahrt grenzte eine Garage, von der eine Verbindungstür in den Waschraum führte.

Das Haus hatte ein Obergeschoss und war weiß verputzt.

Es gab eine kleine Veranda vor der Eingangstür.

Brenda führte sie zunächst um das Haus herum in den Garten, wo Rose für sich bereits beschloss, dass dieses Haus genau richtig war. Melissa war anscheinend der selben Meinung, weil sie mit Josie gleich hin und her flitzte und alles anschaute und anfasste und an allem roch.

Der Garten war unterteilt in zwei umzäunte Gemüsegärten und einen riesigen Blumengarten, der einen kleinen Holzpavillon umschloss.

Eine Stufe führte auf die Terrasse, die mit Holzbohlen ausgelegt war.

Überall standen Kübel und Töpfe mit Rosen, Calla und Amaryllis.

An der Hauswand stand eine Essgruppe aus Weidegeflecht und Bambus.

Rose blickte sich begeistert um. „Wow, der Garten ist ja herrlich!“

Brenda freute sich. „Ja, Helen, Donnies Mutter ist ein richtiges Genie, was Pflanzen angeht. Sogar besser als Dave, der auch schon wirklich viel weiß. Er kann dir ja vielleicht helfen, dir ein paar Tipps geben, damit es Helens Pflanzen immer gut geht. Ich weiß, dass sie hier ein paar Blumen hat, die ein bisschen schwierig sind. Ich kenne mich da jedenfalls nicht aus.“

Rose schaute Dave an: „So, du bist also ein echter Experte? Dann bist du schon engagiert, ich habe nämlich gerade so viel Ahnung vom Gärtnern, dass ein paar meiner Zimmerpflanzen tatsächlich überleben.“

Dave sah sie erst schockiert, dann amüsiert an. „Na, da wird mir wohl nichts anderes übrig bleiben, als dir zu helfen. Ich will ja nicht, dass du Helens Pflanzen kaputt gehen lässt.“

Brenda ging auf die Terrasse zu und sagte: „So, dann mal herein in die gute Stube. Bevor wir hier schmelzen.“

Sie gingen alle in das Haus, das nach der brütenden Hitze draußen angenehm kühl war.

Sie standen in der Küche, in der auch ein Esstisch untergebracht war.

Die Möbel waren noch nicht allzu alt, Rose schätzte sie auf fünf Jahre.

Die Schränke waren aus einem hellgrauen Holz, das Rose nicht zuordnen konnte.

An den Hängeschränken waren die Fronten aus Milchglas, das Waschbecken war aus dunkelgrauem Material mit Lotus-Effekt.

Der Herd und der Ofen waren extra breit und die Abzugshaube hatte Filter aus Edelstahl.

Der Kühlschrank war sehr modern, mit Eiswürfelbereiter und Wasserspender.

Rose sah sich bewundernd den Ofen an, auf dem man so viele Möglichkeiten hatte.

Wie oft hatte sie sich über ihren kleinen Herd geärgert.

Aber dieses Baby hatte sechs Flammen und man konnte darauf nicht nur kochen, sondern zaubern.

„Er ist riesig, nicht wahr? Wenn wir unser Haus kaufen sollten, muss ich auch so einen haben. Mit meinen vier Jungs brauche ich unbedingt sechs Flammen.“

Rose nickte. „Oh, das glaube ich. Mir sind schon für uns zwei Persönchen die vier Flammen zu klein.“

Brenda lachte. „Ja, Manchmal will man sich eben richtig austoben und kann nicht.“

„Mommy, stell dir vor, so groß war bestimmt auch der Ofen von der Hexe im Märchen“, warf Melissa mit scheuer Bewunderung ein.

Rose lächelte. „Aber der war bestimmt nicht so schön und so modern.“

„Sollen wir uns jetzt den Rest ansehen?“ schlug Brenda vor.

Sie gingen durch eine kleine Tür in die Waschküche.

Die Waschmaschine und der Trockner sahen zwar nicht mehr ganz so neu aus, waren aber beide sehr gepflegt.

Ein paar leere Wäschekörbe stapelten sich in einer Ecke, in einer anderen stand ein Regal mit Gummistiefeln, darüber hing eine Garderobe, an der Regenjacken und Strohhüte hingen.

„Wir müssten natürlich noch alles ausräumen, bevor du einziehen könntest“, meinte Brenda mit einem Blick auf die Gummistiefel.

„Was werdet ihr denn mit den ganzen Sachen machen? Den Möbeln meine ich“, fragte Rose.

„Die Küche wollten wir auf jeden Fall drin lassen. Über den Rest müssen wir erst entscheiden. Vielleicht möchtest du ja das ein oder andere behalten?“

Rose nickte. „Bestimmt. Mit meinen paar Möbeln könnte ich das Haus nie füllen. Und ich weiß jetzt schon, dass es perfekt ist. Mehr als perfekt, es ist unglaublich!“

Brenda lachte. „Na, dann freue ich mich schon auf dich als Mieterin. Du kannst ja die Möbel, die du behalten willst beim nächsten Mal mit Aufklebern markieren.“

Eine Frage keimte in Rose auf. Sie wollte erst mehr vom Haus sehen, bevor sie sie stellen konnte.

„Wohin führt diese Tür?“ fragte sie stattdessen.

„Oh, die führt in die Garage. Willst du mal sehen?“ Brenda ging schon voraus und öffnete die Tür.

Es war dunkel, doch Brenda fand nach kurzem Tasten an der Wand den Lichtschalter.

Die Garage war sauber und aufgeräumt. An den Wänden waren Regale angebracht, in denen Werkzeuge, Schrauben, Motorenöl und Gartengeräte untergebracht waren.

An einer Wand war eine hochklappbarer Werktisch montiert.

Dave war sofort Feuer und Flamme. „Helen kannte sich wie es aussieht nicht nur im Garten aus“, sagte er begeistert.

Brenda erklärte: „Die Werkzeuge gehörten Donnies Vater, Steve. Er ist vor elf Jahren gestorben.“

„Ja, ich weiß noch“, sagte Dave. „Das war kurz bevor Donnie die Praxis eröffnet hat.“

Sie verließen die Garage wieder und gingen rasch durch Waschraum und Küche ins Wohnzimmer.

Rose war wieder erstaunt, wie neu die Möbel waren. Ein großes Sofa mit grauem Webstoff stand in der Mitte des Raums, die passenden Sessel standen seitlich davon.

Der Fernseher war zwar nicht besonders groß, aber es war ein modernes Full-HD-Gerät.

Auf einem Regal stand die Anlage, die nicht besonders groß war.

Die anderen Regale waren gefüllt mit CDs, einige wenige auch mit DVDs.

Überall standen Grünpflanzen. Zimmerpalmen, ein Ficus, ein Gummibaum, verschiedene Hängepflanzen, und etliche Orchideen in allen Farben, Größen und Variationen.

„Wow“, sagte Rose, „das ist ja wie ein Garten drinnen.“

„Ja, das ist schön. Mir wäre es etwas zu viel, aber Helen hatte kein anderes Hobby als Blumen. Momentan kümmern Donnie und ich uns abwechselnd um die Pflanzen.“

„Naja, ich glaube auch nicht, dass ich mit so vielen fertig werde“, gestand Rose. Sie fügte hinzu:

„Aber die, die pflegeleicht sind, kann ich natürlich hier behalten. Dann müsst ihr nicht so viele bei euch unterbringen.“

Dave meldete sich zu Wort: „Und die, die ihr nicht wollt, könnt ihr gerne mir abdrücken. Und vielleicht möchte Helen ja noch ein paar für ihr Zimmer haben.“

Brenda nickte. „Ja, das ist eine schöne Idee.“

Rose begutachtete die Fenster genauer.

Sie reichten bis auf einen guten halben Meter über den Boden herunter.

Die Fensterbänke waren voll gestellt mit Pflanzen, doch Rose glaubte, etwas gesehen zu haben.

„Sag mal Brenda“, fragte sie, „Sind in den Fensterbänken Truhen?“

Brenda nickte. „Ja, eigentlich sind sie auch zum Sitzen gedacht und früher hatte sie da wohl Donnies Spielsachen drin. Aber so kann man die ja nicht öffnen. Man müsste ja jedes Mal alles abräumen.“

„Oh, ich denke ich kann die Truhen gut gebrauchen. Wenn die Pflanzen erst mal weniger sind, wird das gehen. Und an welchem Ort könnte man besser lesen oder telefonieren als auf einer Sitzbank am Fenster?“

Rose hatte schon genaue Vorstellungen von ihrem Leben hier.

Brenda nahm es erfreut zur Kenntnis.

Es war Donnie und ihr wichtig, dass derjenige, der hier einzog, das Haus mochte.

Und bei Rose war das ganz offensichtlich der Fall.

Es gab noch ein paar Bücherregale, die eine ganze Wand ausfüllten.

Sie waren voll mit Büchern aller Art, es mussten sicher an die fünfhundert Bücher sein.

„Also, die Bücher könnt ihr gerne hier lassen“, meinte Rose grinsend.

Doch Brenda nahm sie beim Wort. „Gerne! Da bin ich schon mal erleichtert. Donnie liest nur Fachliteratur und die Tageszeitung und ich habe einfach keine Zeit zum Lesen. Vielleicht kann ich mir hin und wieder eins mitnehmen. Aber eher nicht.“

Rose freute sich riesig. Bücher waren neben der Musik ihre große Liebe.

Als Nächstes zeigte Brenda ihnen das Badezimmer.

Es hatte eine Badewanne, in der man auch duschen konnte.

Das WC war sauber, das Waschbecken ebenfalls.

Die Bodenfliesen waren weiß, die Wandfliesen ebenfalls, doch sie wurden von einer blauen Bordüre verziert. Am Fenster hing eine kurze Gardine in weiß mit blauer Stickerei.

Als Brenda das Licht einschaltete, entrang sich Rose ein „Oh!“.

In die Decke waren viele kleine Spots eingelassen und der Spiegel über dem Waschbecken wurde von zwei flexiblen Wandlampen angestrahlt.

Brenda sagte augenzwinkernd: „Die Wanne kann auch sprudeln.“

„Oh, Mommy, das ist toll!“ rief Melissa aus. Sie war hellauf begeistert von dem Haus.

Brenda führte sie nun eine Treppe hoch.

Im oberen Stockwerk war ein Flur, der mit dunkelblauem Teppichboden ausgelegt war.

Auf jeder Seite waren zwei Türen.

„Hier haben wir die Schlafzimmer und ein zweites Bad. Das dritte Schlafzimmer kannst du ja als Gästezimmer nutzen. Oder als Büro. Oder eine Kombination von beidem“, schlug Brenda vor. Sie war auch ganz aufgeregt. Sie liebte es, ein neues Projekt anzufangen.

Und diesmal war das Projekt so groß und mit so vielen Baustellen!

Punkt eins war natürlich die Räumung von Helens Haus.

Als nächster Punkt stand auf der Tagesordnung, Rose zu helfen.

Sie schien alles allein machen zu wollen, doch Brenda wusste, dass man oft Hilfe brauchte.

Der Schlüssel war Diskretion.

Solange Rose niemanden um Hilfe bitten musste, sondern einfach geholfen bekam, wahrte sie ihr Gesicht. Und dann ließ sie sich auch helfen.

Der wichtigste Punkt auf Brendas Liste war, Dave und Rose zusammen zu bringen.

Im Grunde schloss dieser Punkt sogar den zweiten ein, denn wenn diese beiden zueinander finden sollten, war beiden geholfen.

Leider schienen die beiden selbst nichts von diesem Umstand zu bemerken.

Umso mehr Hilfe benötigten sie wiederum dabei, es zu merken.

Sie zeigte zuerst Helens Schlafzimmer.

„Sie hat hier kaum geschlafen, seit ihr Mann tot war. Und das, obwohl sie sich neue Möbel gekauft hat. Er ist ganz plötzlich gestorben. Er war gerade fünfundfünfzig geworden, eines Tages ging er in den Supermarkt, um ein paar Sachen zu besorgen. Er hatte einen Herzinfarkt. An diesem Tag war nicht besonders viel los, niemand bemerkte es, als Steve zusammenbrach. Als ein Mitarbeiter des Supermarkts ihn fand, war er noch nicht tot, doch der Notarzt konnte nichts mehr machen. Es hat Helen schwer getroffen. Donnie natürlich auch, doch er hatte ja uns. Sie hat seither diesen Blumentick entwickelt. Die Pflanzen sind ihre Kinder“, erzählte Brenda.

Rose blickte sich ein wenig betrübt um. „Hat Helen das ganze Haus neu eingerichtet, als ihr Mann starb?“ fragte sie.

„Nein, zunächst nur das Schlafzimmer. Als sie sich dann daran gewöhnt hatte, Witwe zu sein, hatte sie Raum für Raum umgestaltet. Wie um ein komplett neues Leben anzufangen.“

„Wie alt ist sie denn? Ich dachte zunächst an eine alte Frau, aber so alt kann sie ja noch gar nicht sein.“

Brenda schüttelte den Kopf. „Gerade fünfundsechzig geworden.“

„Ich hab mir so was gedacht“, sagte Rose, „weil die Möbel ziemlich neu sind. Niemand, der richtig alt ist, schafft sich noch Möbel an, wenn es nicht unbedingt sein muss. Dass sie in diesem Alter schon ein Pflegefall ist, ist ziemlich hart.“

Brenda nickte. „Ja, es ist besonders für Donnie ziemlich hart. Manchmal sagt er, dass es eine Gnade war, dass sein Vater so schnell gestorben ist. Seine Mutter zu sehen, die manchmal weder weiß, wo sie ist, noch wer gerade mit ihr spricht, ist jedes Mal sehr schwer für ihn.“

„Ja, das sind traurige Fälle, ich kenne das von der Arbeit. Und das Schlimme ist, dass man als Pflegerin nicht genug Zeit hat, sich um jeden ausreichend zu kümmern.“

„Aber zum Glück gibt es Seniorenheime“, meinte Brenda, „ich wüsste nämlich überhaupt nicht, wie ich Helen zu Hause pflegen sollte, so gern ich es auch wollte.“

Sie verließen das Schlafzimmer und gingen nach nebenan in Donnies altes Kinderzimmer.

Ein schlichtes Bett aus hellem Holz stand an der Wand, daneben ein Schreibtisch und ein Kleiderschrank an der gegenüberliegenden Wand. Rose vermutete, dass dieses Zimmer als Gästezimmer genutzt worden war.

Brenda zeigte ihnen nun noch das zweite Bad, es gab zwei Waschbecken, eine Duschwanne wie die im unteren Bad und neben der Toilette ein Bidet.

„Was ist das, Mommy?“ fragte Melissa. „Ist das ein Waschbecken für Kinder?“

Brenda und Rose lachten.

„Damit kann man sich den Popo abwaschen. Nachdem man auf der Toilette war“, sagte Brenda.

Melissa und Josie sahen sie ungläubig an.

„Igitt“, sagte Josie, „sag bloß, dass da drin dann alles landet, was am Popo kleben bleibt.

„Man soll schon vorher ein paar mal drüber wischen“, erklärte Rose.

Dave schüttelte den Kopf. „Was für ein Schnickschnack“, sagte er nur.

„Schnickschnack hin oder her, es ist da und dann kann man es ja auch ruhig nutzen“, meinte Rose.

Sie gingen in das letzte Zimmer, in dem Helen ihre Nähmaschine untergebracht hatte.

Es standen zwei Schneiderpuppen vor dem Fenster, auf einem Tisch lagen Scheren, Nadeln, Garnspulen und verschiedene andere Sachen in kleinen Kästchen. Auf einem Regal standen Ordner mit Schnittmustern.

Anscheinend hatte Helen auch ein Händchen fürs Nähen gehabt.

Sie waren mit der Besichtigung am Ende.

Bevor sie sich trennten, machten sie ein weiteres gemeinsames Treffen aus, bei dem Rose entscheiden sollte, was sie im Haus behalten wollte. Hinterher wollten sie den Mietvertrag unterschreiben.

Als sie mit Melissa heimfuhr, redeten sie die ganze Zeit darüber, wie toll dieses Haus war und was sie alles damit machen wollten. Sie diskutierten darüber, welche der Möbel gut waren und welche der eigenen Möbel sie wo unterbringen konnten.

Den ganzen Abend waren sie so aufgeregt, dass Melissa erst um zehn Uhr schlafen konnte.

Rose hingegen legte sich hin, nachdem sie sicher war, dass ihre Tochter nicht mehr aufstehen würde und schlief sofort ein. Sie machte nicht einmal den Fernseher an.

 

 

9.: Schein und Sein

 

Dave war mit Josie gerade zu Hause angekommen, als das Telefon klingelte. An der blinkenden Anzeige konnte er sehen, dass schon vorher Anrufe eingegangen waren.

Selbstverständlich war es Sandra.

Dave hatte es schon geahnt, bevor er ihre Nummer auf dem Display sah.

„Hi, Sandra, was gibt’s?“ fragte er betont sachlich.

Sandra antwortete erst nach ein paar Sekunden.

„Dave, hallo. Ich...ich wollte mich nur mal melden.“ Ihre Stimme klang irgendwie angespannt.

„Ja, schön, von dir zu hören“, sagte Dave. Er wusste nicht, was er sonst hätte sagen können.

„Wie geht es euch?“ fragte seine Frau.

Dave überlegte einen Moment, ob sie diese Frage nur stellte, damit er sie das selbe fragte.

Andererseits mochte er auch nicht gleich so schlecht von ihr denken.

„Uns geht’s gut, wir waren den ganzen Nachmittag unterwegs und sind eben erst heim gekommen.“

„Ja, das habe ich gemerkt, ich habe vorhin schon angerufen. Und auf dem Handy habe ich dich nicht erreicht.“ Den vorwurfsvollen Unterton konnte sie sich nicht ganz verkneifen.

Dave hatte kein Handy klingeln gehört, solange er unterwegs war, aber vielleicht hatte er auch keinen Empfang gehabt.

„Gibt es denn etwas Wichtiges?“ fragte er.

„Nun ja“, murmelte Sandra, „eigentlich ist alles beim Alten. Nur dass ich im Moment mehr Therapiestunden in der Woche habe, damit es mir schneller besser geht. Dr. Sumner ist wirklich toll, sie weiß ja, dass ich schnell wieder zu euch nach Hause kommen will und dabei will sie mir helfen.“

Dave wusste nicht warum, aber er hatte das Gefühl, dass dahinter mehr steckte. Therapeuten waren üblicherweise ziemlich ausgebucht. Es war oft nicht leicht, Termine zu bekommen.

Und dass Sandras Ärztin ihr so viele Sitzungen gab, bedeutete entweder, dass Dr. Sumner eine lausige Psychiaterin war, zu der niemand gehen wollte, oder dass Sandra einfach so viele Sitzungen nötig hatte. Inzwischen kannte er seine Frau gut genug, um zu wissen, welche dieser Möglichkeiten wahrscheinlicher war.

„Tatsächlich“, sagte er. Er war selbst erstaunt, wie enthusiastisch er klang. „Das klingt ja gut. Sag ihr einen schönen Gruß von mir, ich danke ihr, dass sie sich so gut um dich kümmert.“

„Ja, das ist total nett von ihr. Sie hat mich übrigens gefragt, ob du sie mal anrufen könntest. Sie hat ein paar Fragen wegen der Versicherung. Sie hat auch gesagt, sie könnte es schon verstehen, dass du nicht mit zu ihr kommen willst. Sie hat es mir erklärt. Sie hat gesagt, dass ich lernen muss, dir Freiraum zu geben. Dir Zeit zu geben, mir wieder vertrauen zu können. Und das werde ich versuchen, Schatz“, versicherte sie ihm. „Ich hoffe, du weißt aber, dass ich das auch erst lernen muss“, fügte sie schnell hinzu.

Dave atmete tief durch. Er wusste nicht genau, wie er auf diese Fernanalyse reagieren sollte.

„Ich werde sie anrufen“, sagte er. Mal sehen, was sie von mir will, diese Dr. Sumner.

„Danke“, antwortete Sandra, „ich habe übrigens heute ein Formular unterschieben, das Dr. Sumner berechtigt, mit dir über mich und meine Therapie zu sprechen. Sie meinte, wenn du doch irgendwann mal mitkommen wolltest, wäre es so üblich.“

Dave wurde stutzig. Da konnte etwas nicht stimmen. So etwas hatte er noch nie gehört.

„Kommt ihr am Samstag?“ fragte Sandra plötzlich. „Ich vermisse euch. Beide.“

Dave wusste nicht, was er sagen sollte. Schließlich antwortete er: „Ich muss mit Josie darüber reden. Möchtest du mal mit ihr sprechen?“

Etwas zu hastig antwortete Sandra: „Klar, natürlich, gib sie mir mal.“

Dave rief Josie, die in ihrem Zimmer spielte.

Er hielt die Sprechmuschel zu, als er ihr zuflüsterte: „Das ist Mommy.“

Josies Gesicht verzog sich. „Will sie mit mir reden?“ fragte sie ebenfalls flüsternd.

Dave nickte. „Wir machen den Lautsprecher an, aber verrate es ihr nicht.“

Josie nahm den Hörer und drückte auf den Knopf mit dem Lautsprecher-Symbol.

„Hallo, Mommy“, sagte sie. Sie sah Dave dabei etwas unsicher an.

Ihr Vater zwinkerte ihr aufmunternd zu, als Sandra „Hallo“ sagte.

„Wie geht es dir, meine Kleine?“ fragte sie. „Hast du schon viele Freunde im Kindergarten?“

Josie erzählte: „Alle Kinder sind lieb, aber am liebsten hab ich Melli. Sie ist meine beste Freundin. Und jetzt zieht sie bald um, dann wohnt sie näher bei uns. Dann kann ich mit Daddy hinlaufen.“

Sandra sagte: „Das freut mich, vielleicht lerne ich sie ja auch mal kennen.“

Dave konnte nichts Falsches aus ihrer Stimme heraushören.

„Ja, vielleicht“, antwortete Josie erfreut. „Vielleicht magst du ja auch Rose, dann könnt ihr Freundinnen werden.“

Es folgte eine ziemlich lange Stille.

Sandra räusperte sich. „Rose? Ist das Mellis Mutter?“

Dave wusste, dass dieser Name Sandra bestimmt noch bestens in Erinnerung war. Sandra vergaß weder Namen noch Gesichter von Frauen aus Daves näherem Umfeld.

Josie sah angestrengt auf den Boden. Sie hatte die Veränderung bemerkt und wusste, dass sie einen Fehler gemacht hatte.

„Ja, Mommy“ antwortete sie schließlich.

„Melli ist also Melissa, richtig?“ hakte Sandra sicherheitshalber noch mal nach.

„Ja. Das ist ihr Spitzname. Weil ihr Name so lang ist“, erklärte Josie.

„So, ihr spielt also oft zusammen. Das ist schön. Und was macht ihr sonst so? Zusammen mit Melissa meine ich?“

Josie sah kurz ihren Vater an, der nur mit den Schultern zuckte.

Es gab nichts zu verheimlichen an seiner Beziehung zu Rose.

„Zum Beispiel wandern oder auf den Spielplatz gehen.“

Sandra senkte die Stimme ein wenig. „Josie, sag mal, hast du vielleicht mal was Komisches gesehen wenn ihr alle vier was unternommen habt? Zum Beispiel dass diese Rose deinen Daddy umarmt oder küsst? Sie verstehen sich doch gut, oder?“

Dave war schockiert über ihre Unverfrorenheit. Was fällt ihr ein! dachte er.

Josie antwortete aufrichtig: „Sie verstehen sich gut, aber sie küssen sich nicht. Daddy küsst doch nur dich!“ Sie klang fast schon entrüstet.

Sandra lachte. Es klang etwas gekünstelt. „Manche Leute küssen ihre Freunde auf die Wange.“

„Nein, Rose und Daddy nicht. Sie reden nur miteinander. Ich gebe dir jetzt Daddy wieder.“

Josie hatte genug davon, ausgehorcht zu werden.

„Okay, Kleines“, sagte Sandra noch, „bye.“

Doch Josie hatte den Hörer schon an Dave weitergereicht.

Er schaltete den Lautsprecher aus und atmete erst mal tief durch.

Er wollte jetzt nicht ausflippen.

„Na, hat Josie dir erzählt, was für eine gute Tat Donnie mal wieder getan hat?“ sagte er übertrieben fröhlich. Dabei dachte er grimmig: Angriff ist die beste Verteidigung.

„Nein, nur von ihrer Freundin Melissa“, antwortete Sandra.

„Ja, Donnie hat Melissas Mutter seinen Kleinen verkauft. Er hatte einen kleinen Unfall und weil er sowieso den Wagen wechseln wollte, hat er sich einen Chevrolet zugelegt und Rose hat den Kleinen spottbillig bekommen. Wegen der Beule.“

Sandra schwieg nicht so lange wie vorhin. „Tatsächlich? Ja, Donnie ist einfach zu gut für diese Welt. Wenn er niemandem helfen kann, ist er nur ein halber Mensch.“ Es klang spöttisch.

Dave wusste, dass Sandra Donnie nie hatte leiden können.

Sie hatte sein Engagement immer belächelt und ihn aufgezogen, er sammle Punkte für den Himmel.

„Ja genau. Und stell dir vor, er vermietet ihr auch noch das Haus seiner Mutter. Ich glaube, du hast Helen mal kennengelernt. Rose hat mich erst gefragt, ob ich Interesse hätte, weil da so ein großer Garten dabei ist und sie weiß, dass ich Gartenarbeit mag. Aber wir haben ja unsere Wohnung, nicht wahr?“

Er fand, dass er überraschend optimistisch klang.

Sandra freute sich, dass er ihr so viel erzählte.

Wenn er ihr das alles erzählte und Josie auch sagte, dass sie nichts Verdächtiges gesehen hatte, dann war da wahrscheinlich auch nichts im Busch. Für den Moment konnte sie das leicht glauben.

Die Zweifel würden erst später wieder kommen, wenn sie auf der Couch lag und versuchte, einzuschlafen.

„Ja, wir haben unsere Wohnung. Und wir haben dort schließlich alles, was man braucht“, sagte sie.

Dave sah sich um. Er hatte alles, was er brauchte, das stimmte.

Doch das hatte er auch ohne Sandra.

Er liebte sie, sie war eine Frau, von der man nicht so leicht loskam.

Sie war leidenschaftlich und charmant, dazu war sie heiß wie der Teufel.

Ja, er liebte sie, auf eine andere Art als früher zwar, doch er liebte sie noch.

Aber er brauchte sie nicht. Sandra brauchte aber ihn.

Nicht, weil sie alleine nicht lebensfähig wäre, doch sie brauchte ihn, um sich sicher zu fühlen.

„Ich sage dir morgen Bescheid, ob Josie dich besuchen will. Aber ich bin da guter Hoffnung.“

Zuerst wollte Dave aber noch Dr. Sumner anrufen und ein vermutlich längeres Gespräch mit ihr führen. Und er war sich ziemlich sicher, dass es sich dabei nicht bloß um die Versicherung drehen würde.

„Ja, ist gut“, antwortete Sandra, „du kannst mich gegen Abend anrufen, ich habe um fünf Uhr noch eine Sitzung, die dauert eine Stunde. Bis ich zu Hause bin, ist es sicher halb sieben.“

„Gut, Sandra, dann hören wir uns morgen wieder. Ich muss jetzt das Abendbrot vorbereiten, es ist sowieso schon so spät. Morgen ist ja wieder Kindergarten, da muss Josie früh ins Bett.“

Sandra antwortete: „Ja, ich weiß. Okay. Dann bis morgen. Gute Nacht.“

„Gute Nacht.“ Dave legte auf.

Nachdenklich ging er in die Küche, wo er einen Tomatensalat mit Mozzarella und Basilikum machte, dazu schnitt er etwas Brot und rief dann Josie zum Essen.

„Ist alles okay bei dir?“ fragte er sie, als sie am Tisch saßen.

Josie, die gerade ein Stück Mozzarella aufgespießt hatte, sah ihn an.

„Ja. Ich weiß nur nicht, warum Mommy immer so was sagt.“

„Naja“, antwortete Dave, „sie hat sich aber erstaunlich gut gehalten. Sie hat gefragt, ob wir sie diesen Samstag besuchen kommen.“ Er wartete Josies Reaktion ab.

Es überraschte ihn, dass sie sofort sagte: „Ja, von mir aus können wir fahren. Am Anfang, als ich ihr vom Kindergarten erzählt habe, hat sie mir richtig zugehört. Vielleicht wird Mommy ja doch gesund. Würdest du dich da nicht auch freuen, Daddy?“

Ja, würde er sich auch freuen? Er sah schon dem Besuch am Samstag mit gemischten Gefühlen entgegen. Nach allem, was passiert war, wusste er nicht, ob er Sandra so einfach wieder zu Hause haben wollte. Vor allen Dingen musste er jetzt erst mal abwarten, was Dr. Sumner ihm zu sagen hatte.Aber er sprach schließlich mit seiner fünfjährigen Tochter, die noch Zeit genug hatte, alle Leiden dieser Welt kennenzulernen.

Deshalb sagte er schlicht: „Natürlich, mein Schatz.“

 

„Praxis von Dr. Sumner, Sie sprechen mit Darla Robinson“, sagte die Sprechstundenhilfe.

Dave antwortete: „Ja, guten Morgen, mein Name ist Dave Simmons. Dr. Sumner hat mich gebeten, sie anzurufen. Meine Frau Sandra ist ihre Patientin.“

Etwas raschelte, bevor Darla Robinson sagte: „Ja, Mr. Simmons, ich habe hier eine Notiz vorliegen. Wenn sie gerade keinen Patienten hat, soll ich Sie durchstellen. Sie hat noch etwas Zeit, bevor der erste Patient eintrifft. Ich stelle Sie jetzt durch.“

„Danke sehr.“

Dave hörte ein Knacken in der Leitung, dann dudelte Mozarts Kleine Nachtmusik im Hörer, bis am anderen Ende der Leitung endlich jemand abnahm.

„Mr. Simmons, wie nett dass Sie gleich angerufen haben“, meldete sich Dr. Sumner.

„Ja, keine Ursache. Sandra sagte mir, dass Sie eine Frage zur Versicherung hätten?“ fragte Dave.

Er wollte nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen, vielleicht war seine Vermutung ja auch falsch.

„Das ist richtig. Sandra hat Ihnen sicherlich erzählt, dass sie sich ein Kleid gekauft hat mit dem restlichen Geld, das ihre Betreuerin ihr für einen neuen Wasserhahn gegeben hat?“ Dr. Sumner hörte sich nicht gerade so an, als glaube sie selbst daran.

„Nein, ehrlich gesagt, nicht“, antwortete ihr Dave ehrlich. „Was genau ist passiert?“

Dr. Sumner erzählte ihm von Sandras kaputten Wasserhahn und den fünfzig Dollar, die sie für den neuen bekommen hatte. Dana, ihre Betreuerin hatte dann später die Quittung entgegen genommen und sie nach dem Restgeld gefragt. Da Sandra nichts mehr übrig hatte, wurde ihr für zwei Tage das Geld verwehrt, das sie jeden Tag bekam. Dieses Geld kam von der Krankenkasse, da damit ja auch die Lebensmittel, Kleidung, Waschmittel et cetera bezahlt wurden. Nun musste die Krankenkasse dieses Geld zurückerstatten, da es technisch gesehen Sandra und Dave zustand.

„Deshalb sollten Sie sich schnellstmöglich mit der Versicherung in Verbindung setzen“, schloss Dr. Sumner endlich.

Dave verstand es einfach nicht. Eine Frau konnte unmöglich zwanzig Dollar täglich alleine verbrauchen. Da musste es doch drin sein, sich vom eigenen Geld Klamotten zu kaufen.

„Dr. Sumner, ich möchte Sie ganz offen etwas fragen“, begann Dave.

„Nur zu.“

„Sie haben Sandra eine Erklärung unterzeichnen lassen, damit Sie mit mir über sie sprechen dürfen. Ich würde wirklich gerne wissen, warum.“

Es entstand eine kleine Pause. Dann sagte Dr. Sumner: „Ich bin mir ziemlich sicher, dass Sandra mich anlügt. Ich meine oft. Sie erfindet Sachen, ist von ihnen selbst so überzeugt, dass man es nicht einmal mehr lügen nennen kann. Sandra hat eine Form von Pseudologie, das ist das sogenannte zwanghafte Lügen. Sandra baut sich eine Traumwelt auf, in der sie selbst die dramatische Hauptfigur ist. Das könnte durch ihre Vergewaltigung ausgelöst worden sein.“

Dave fand es beruhigend, dass Dr. Sumner so sachlich von diesen Dingen sprach.

Er wusste auf Anhieb, was sie meinte. Sandra übertrieb oft, wenn sie etwas erzählte, sie schmückte aus und erfand teilweise Sachen dazu und behauptete hinterher, es sei tatsächlich so gewesen.

Wenn sie ausgingen, war Sandra in ihrem Element. Sie plauderte angeregt mit allen möglichen Leuten und gestikulierte dabei wild. Sie blühte auf und schillerte geradezu.

Es war schon passiert, dass jemand auf ihn zukam und etwas fragte wie: „Es war doch bestimmt furchtbar, als ihr damals mit diesem Schiff gekentert seid?“ oder: „War es sehr aufregend, als ihr bei einem Konzert von Thirty Seconds to Mars in Santa Cruz auf die Bühne gelassen wurdet?“

Er musste wohl bei diesem Schiffsunglück seine Erinnerung verloren haben, denn das war ihm alles gänzlich neu.

„Nun ja, es kommt mir jedenfalls logisch vor. Wie genau kann man ihr denn da helfen?“

Dr. Sumner seufzte. „Das ist ja das Problem. Wenn ich nur die halbe Wahrheit kenne, kann ich ihr nicht helfen. Weil ich selbst nicht weiß, was echt und was gelogen ist. Sie ist sehr überzeugend. Das war auch der Grund, warum ich Sie gerne bei den Sitzungen dabei haben wollte, aber natürlich war das etwas ungeschickt.“

Dave überlegte einen Moment. „Vielleicht wäre es das beste, wenn ich einmal alleine zu Ihnen komme. Ich habe keinen Grund zu lügen, Sie können mich gerne alles fragen.“

Dr. Sumner zögerte nur einen winzig kleinen Moment, bevor sie sagte: „Ja, wann hätten Sie Zeit?“

Dave dachte nach, wie er das machen könnte. Er könnte nach Feierabend zu ihr gehen und Josie etwas später vom Kindergarten abholen.

„Also, ich hätte immer ab zwei Uhr Zeit.“

Er hörte das Rascheln von Papier, vermutlich blätterte Dr. Sumner gerade in ihrem Terminkalender.

„Ich habe am nächsten Dienstag um halb drei etwa eine Stunde Luft. Das müsste fürs Erste reichen.“

Dave nickte automatisch. „Ja, das geht in Ordnung. Ich bin dann um halb drei bei Ihnen.“

Sie verabschiedeten sich und Dave notierte sich den Termin in seinem eigenen Terminkalender.

Er hatte nicht mehr viel Zeit, deshalb rief er Josie, die inzwischen gefrühstückt hatte.

 

10.: Zweifel

 

Nachdem er Josie in den Kindergarten gebracht hatte, brach er zu seinem ersten Patienten auf,

einem älteren Herrn, der gerne mal einen Schwank aus seiner Jugend erzählte.

Alles in allem ein amüsanter Kerl, der bei weitem angenehmer war als Daves nächster Termin.

Mrs. Gardener war eine vornehm tuende alte Dame, die ihn ständig anschnauzte, er solle sie nicht so hart anpacken.

Die beiden Patienten, die danach kamen, waren ihm noch relativ fremd, deshalb sah er ihnen recht neutral entgegen.

Seine letzte Patientin an diesem Tag war Rhonda Shyburg.

Sie hatte früher einmal als Edelprostituierte gearbeitet und muss wohl sehr erfolgreich gewesen sein.

Sie war seine einzige Patientin, die ihre Stunden bei ihm selbst bezahlte.

Ihr Haus war riesig, es hatte zwar nicht sehr viele Schlafzimmer, dafür waren alle Räume groß und es gab vier Badezimmer.

Rhonda bekam ihre Massagen und ihr Rückentraining immer in ihrem Poolhaus.

Sie hatte ihm einmal erzählt, dass sie hier früher wilde Partys gefeiert hatte, die nicht selten in heiße Orgien ausgeartet waren.

Dave fand Rhonda klasse. Sie hatte diesen rauen Charme, den sich viele Prostituierte zulegten, doch sie war vor allen Dingen sehr scharfsichtig und klug.

„Na, mein Hübscher, was für eine Laus ist dir denn diesmal über die Leber gelaufen“, begrüßte sie Dave.

Er war von Rhondas Haushaltshilfe, einer jungen Latina, zum Poolhaus geführt worden, wo Rhonda bereits auf ihn wartete.

„Ach, Rhonda, was soll ich sagen. Immer Ärger mit den Frauen“, antwortete Dave.

„Mach dir nichts draus, Junge, dafür werden wir schließlich geboren. Was glaubst du, wie viele Männer wegen mir Ärger bekommen haben?“ Sie lachte schallend.

Dave lachte mit ihr. Das konnte er sich nur zu lebhaft vorstellen.

„So, meine Dame, dann mal immer rauf auf die Liege.“

Rhonda hatte in ihrem Poolhaus eine richtige Massageliege, wie Donnie sie auch in der Praxis hatte.

Es war deshalb für Dave wesentlich leichter, all die Übungen mit Rhonda zu machen.

Sie hatte einen ziemlich kaputten Rücken.

Manchmal scherzte sie, dass das kein Wunder sei, hatte sie doch fast ihr ganzes Leben auf dem Rücken zugebracht.

„Obwohl man das so ja nun auch nicht sagen kann“, fügte sie dann immer augenzwinkernd hinzu. Für gewöhnlich trank Dave noch ein Gläschen Eistee mit Rhonda, wenn er mit ihr fertig war.

„Nun erzähl mal, mein Junge, wo drückt denn der Schuh? Ich dachte, deine Frau macht diese Therapie? Läuft's denn nicht so gut?“ fragte sie, während sie ihm sein Glas gab.

„Weißt du eigentlich, dass du meine einzige Patientin bist, die mir immer etwas zu trinken anbietet?“ fragte Dave unvermittelt zurück.

„Na, da haben wir es ja: Liebe geht also doch durch den Magen“, flötete Rhonda.

Dave grinste. „Das ist nicht der einzige Grund, warum du meine Lieblingspatientin bist. Du bist wirklich eine sehr kluge Frau, nicht nur klug, sondern fast weise. Und deshalb habe ich so großen Respekt vor dir und deiner Meinung“, sagte er.

Rhonda wurde ein wenig rot und winkte ab. „Ach Gott, das wird doch jetzt kein Heiratsantrag? Jungchen, für meinen Geschmack bist du noch etwas unreif.“

„Rhonda, du weißt, was ich meine. Du bist eine Freundin für mich. Ich kann mit dir quatschen.“

„Ich bin dein Homie“, schloss Rhonda gelassen.

Dave starrte sie einen Moment lang nicht besonders intelligent an, dann prustete er los: „Ganz genau! Du bist mein Homie!“

Er trank einen Schluck Eistee, um den letzten Rest eines Lachens die Kehle hinunter zu spülen und sagte dann: „Und weil du mein Homie bist, kann ich dir auch sagen, was ich heute über meine Frau erfahren habe. Sie scheint eine zwanghafte Lügnerin zu sein, ihre Ärztin muss mit mir sprechen, weil sie nicht weiß, welche von Sandras Aussagen wahr sind und welche gelogen. Und weil sie das nicht einschätzen kann, weiß sie auch nicht, wie verrückt sie wirklich ist oder wie sie ihr helfen könnte.“

Rhonda hatte zugehört, nun musste sie selbst einen Schluck trinken, bevor sie antwortete.

„Und du hoffst, dass ihr das dann weiterhilft, nicht wahr? Wenn du mit ihrer Ärztin sprichst, meine ich. Ich kenne deine Frau nicht persönlich, aber ich kenne viele, die wie sie sind. Und ich denke dass sich verdammt wenige ändern können.“

Dave nickte. „Ja, das befürchte ich auch bei ihr. Ich meine, sie ist meine Frau. Aber ich bin zuerst mal Josies Vater und dann erst Sandras Mann. Ich kann nicht mit ihr leben, wenn es bei ihr nicht auch so ist.“

„Wirst du dich also von ihr trennen?“ fragte Rhonda direkt.

Dave zuckte zusammen. Trennung. Das Wort hörte sich bedrohlich an. Nicht nach etwas, das Dave und Sandra hätte passieren können, aber etwas, das viele Menschen heimsuchte.

Dass es sie nun doch getroffen hatte, war nicht mehr länger zu verleugnen.

„Ich denke darüber nach. Vielleicht ist es die einzige Möglichkeit. Die einzig vernünftige“, sagte er schließlich. Insgeheim wusste er, dass er nichts unternehmen würde, bevor er nicht mit Dr. Sumner gesprochen hatte. Aber er würde sehr wachsam sein, wenn sie morgen bei Sandra waren.

„Denke gut darüber nach“, sagte Rhonda. „Und hör erst mal, was dir diese Psycho-Tante sagt.“

Es war, als hätte sie seine Gedanken gelesen.

Dave nickte. „Das werde ich natürlich. Siehst du, dafür braucht man einen Homie wie dich. Du bist wirklich neutral und kannst mir gute Ratschläge geben. Ich bin doch noch so jung und unreif“, scherzte er.

„Na, aber dafür bist du doppelt so frech wie es in deinem Alter erlaubt sein sollte“, schalt Rhonda ihn lachend.

 

Als Dave abends mit Josie am Tisch saß, um zu essen, dachte er über seine Ehe mit Sandra nach.

Im Geiste führte er eine Pro-Kontra-Liste und er musste sich eingestehen, dass außer seinen eigenen Gefühlen für seine Frau kein vernünftiger Grund existierte, weiterhin mit ihr zusammen zu bleiben.

Dennoch wusste er, dass er noch nicht entschlossen genug war, um sich von ihr zu trennen.

So viele Fragen blieben offen, bis er mit Dr. Sumner gesprochen hatte.

Er konnte Sandra nicht im Stich lassen, solange er nicht sicher war, dass er alles versucht hatte.

Dave beobachtete seine Tochter und fragte sich, ob er das Richtige tat.

 

 

11.: Das Gerücht

 

Melissa musste am Freitag etwas länger auf ihre Mutter warten als sonst. Rose wollte schon mal für den Sonntag einkaufen und die Wahl fiel ihr wirklich schwer.

Sie hatte es als Kind immer geliebt, mit ihren Eltern an den Strand zu fahren.

Ihre Mutter hatte kleine Leckereien vorbereitet und es war Rose immer vorgekommen, als würden diese Tage nur aus Wasser, Sonne und Essen bestehen.

Rose hatte vor, einige ihrer Favoriten für den Strand zuzubereiten:

Arancini, diese kleinen gefüllten Reisbällchen mit der knusprigen Panade.

Und natürlich Cipolline, dünne, gebackene Teigtaschen mit einer Füllung aus Tomatensoße, Salami, Käse und natürlich Zwiebeln.

Außerdem wollte sie ein paar Sandwiches machen und ein paar Süßigkeiten und Obst einpacken.

Als sie alles Nötige hatte, fuhr sie schleunigst zum Kindergarten, um Melissa abzuholen.

Sie hatten einiges zu tun, Melissa half Rose, den Milchreis für die Arancini zu kochen und den Teig für die Cipolline vorzubereiten.

Es war eine ganz schöne Arbeit, doch am Abend war alles vorbereitet, so dass sie noch Zeit hatten, sich einen Film anzusehen und sich dabei die Fußnägel zu lackieren.

Melissa konnte sich nicht daran erinnern, jemals am Strand gewesen zu sein. Rose war einmal mit ihr hingefahren, als sie noch ziemlich klein war, danach hatte sie keine Lust mehr dazu gehabt.

Ohne Eric hatte es ihr keinen Spaß gemacht.

Sie war lieber ins Schwimmbad gegangen, wo auch viele ihrer sogenannten Freundinnen immer mit ihren Kindern waren, damit sie wenigstens jemanden hatte, mit dem sie quatschen konnte.

Dass diese Frauen nicht wirklich ihre Freundinnen waren, hatte sie erst gemerkt, als sie Eric verließ. Keine konnte verstehen, warum sie sich von ihm trennte.

Eine von ihnen, Mary Cannon, hatte sogar gesagt: „Ich weiß gar nicht, was du überhaupt willst. Meinst du etwa, Eric ist der einzige Mann, der sich nicht um sein Kind schert? Schätzchen, es gibt so viel Schlimmeres! Wenigstens liebt er dich und bringt nicht von jeder seiner Geschäftsreisen eine neue Geschlechtskrankheit mit.“

Manchmal fragte sie sich, wie sie so lange mit diesen Frauen hatte befreundet sein können, ohne zu bemerken, wie hohl sie eigentlich waren.

Dagegen hatte James, Erics Bruder, ganz überraschend reagiert. Er hatte sie in den Arm genommen und gesagt: „Mädchen, das war längst überfällig. Eric ist ein Arschloch und wenn wir nicht die gleiche Mutter hätten, wüsste ich noch so einige Ausdrücke mehr für ihn.“

Bei diesem Gedanken fiel ihr ein, dass sie schon lange nichts mehr von James und Cleo gehört hatte. In der letzten Zeit war so viel passiert, dass sie gar nicht daran gedacht hatte, mal anzurufen.

„Melissa, weißt du was? Wir rufen gleich mal Onkel James und Tante Cleo an“, sagte Rose.

Melissa jubelte. „Ja, Mommy! Ich hole schon das Telefon von der Station!“

James und Cleo waren Melissas Paten und sie plauderten gerne mit ihr.

Rose wählte die Nummer und wartete.

„Elliott“, meldete sich Cleo.

„Hey, Cleo, hier ist Rose“, antwortete Rose.

„Oh, Rose. Warte mal.“

Sehr begeistert hörte sich Cleo nicht gerade an.

„So, jetzt kann ich reden. Hör mal, ich kann nicht lange. James ist stinksauer auf dich.“

Rose runzelte die Stirn. „Wieso das denn?“

„Naja, also ich habe ja nichts davon geglaubt, aber es geht das Gerücht um, dass du Eric für einen anderen Mann verlassen hast und nicht wegen Melissa.“

„Wer erfindet denn so eine Scheiße?“ rief Rose. In diesem Moment war es ihr egal, dass ihre Tochter gerade zuhörte.

„Wer genau kann ich dir nicht sagen, aber es wurde vieles zu Eric getragen und der ist jetzt natürlich auf Hundertachtzig. Das Schlimme ist, dass James es mittlerweile glaubt. Er hat gesagt, wenn er es nur von Eric gehört hätte, würde er kein Wort glauben. Aber er hat es schon von mehreren Leuten gehört.“

„Aber es gibt doch keinen anderen Mann. Nicht jetzt und nicht früher!“ bekräftigte Rose.

Cleo sagte: „Ich glaube dir ja, aber anscheinend gibt es da jemanden, mit dem dich die Leute gesehen haben. Vielleicht ein Bekannter oder Verwandter? Oder dein Vermieter? Jemand hat dich auch gesehen, als du dir anscheinend ein Haus angeschaut hast.“

Plötzlich dämmerte es Rose. „Dave. Bestimmt meinen die Dave!“ Sie lachte.

„Warum lachst du denn?“ fragte Cleo verwirrt.

„Dave ist der Vater von Melissas Freundin Josie. Wir haben uns angefreundet und er hat mich mit seinem Chef bekannt gemacht, der mir sein Haus vermieten will. Das ist alles“, erklärte Rose.

„Ach, das erklärt natürlich einiges“, sagte Cleo. „Dann war er wohl zur Unterstützung dabei als du dir das Haus angesehen hast.“

„Ja genau. Und sein Chef hat mir auch sein Auto verkauft. Er hat sich nach einem kleinen Unfall ein anderes zugelegt und mir wegen des Schadens einen super Preis gemacht.“

Cleo war erfreut. „Na, dann kannst du uns ja mal wieder besuchen, nicht wahr?“

„Na, erst mal muss James beruhigt werden“, meinte Rose. Sie war ein wenig enttäuscht, dass gerade James an solche Gerüchte glaubte.

Sie telefonierten noch ein paar Minuten, Melissa redete auch noch kurz mit ihrer Tante und dann legten sie auf.

„Mommy, warum hast du denn so geschimpft?“ fragte Melissa neugierig.

Im Allgemeinen hielt sich Rose in Melissas Beisein lieber zurück mit den Schimpfwörtern.

„Weißt du, mein Schatz, es gibt eben Leute, die können es nicht lassen, ihre Nasen in fremde Angelegenheiten zu stecken.“

„So wie Dave, als er Donnie gesagt hat, dass du ein Auto brauchst?“ fragte Melissa.

„Weißt du, es gibt zwei Arten von Einmischen. Die Gute ist, wenn man jemandem hilft. Und die Schlechte ist, wenn man jemandem schadet. Und wenn man dazu noch lügt oder einfach etwas behauptet, von dem man nicht weiß, ob es wahr ist, ist es um so schlimmer.“

„Und warum glauben Onkel James und Tante Cleo das auch noch? Sie hätten dich ja auch mal fragen können ob das wahr ist“, meinte Melissa.

„Ja, ich weiß, Mel“, seufzte Rose. „Das Problem ist, dass die meisten Menschen sich darüber gar keine Gedanken machen. Sie erzählen gerne über solche Sachen und es wäre ja langweilig, wenn es nichts zu tratschen gäbe.“ Sie konnte den bitteren Unterton nicht ganz unterdrücken.

Melissa wollte noch etwas wissen: „Und was genau haben die Leute denn gesagt? Irgend was mit Dave?“

Rose überlegte, wie sie das Melissa am besten erklären konnte.

„Als wir uns das Haus angesehen haben, hat uns irgend ein Bekannter deines Vaters gesehen. Und bei anderen Gelegenheiten, wenn wir mit Dave unterwegs waren, hat uns anscheinend auch jemand gesehen. Und diese Leute haben das dann immer deinem Daddy und auch Onkel James erzählt. Und weil alle dachten, Dave würde mit uns zusammen ins Haus einziehen wollen, haben dein Daddy und Onkel James geglaubt, ich hätte Dave schon gekannt, als wir noch bei Daddy gewohnt haben.“

„Und was wäre daran so schlimm? Du kennst doch viele Leute“, hakte Melissa nach.

„Naja, weißt du, sie dachten, ich wäre in Dave verliebt. Und wenn man verheiratet ist und sich in jemanden anderen verliebt und den dann heimlich trifft, dann betrügt man seinen Mann. Und das macht man nicht. Man muss immer erst reinen Tisch machen, bevor man etwas Neues anfängt.“

Melissa verstand nicht wirklich, was es bedeutete, doch sie verstand, dass alle gedacht hatten, ihre Mutter hätte etwas Schlechtes getan.

„Weißt du was, Mommy“, tröstete sie Rose, „alle, die so was von dir denken sind blöde Kackeier.“

„Melissa!“ schimpfte Rose automatisch, doch dann lächelte sie und streichelte ihrer Tochter über den Kopf.

„Lass uns den Film ansehen, Schatz“, sagte sie, „es ist schon spät und morgen haben wir viel vor.“

„Okay“, antwortete Melissa und kuschelte sich an Roses Seite.

Lange, bevor der Film zu Ende war, schlief Melissa ein. Rose trug sie in ihr Bett, dann bereitete sie ihr eigenes Bett vor. Sie konnte es kaum erwarten, endlich ein eigenes Schlafzimmer zu haben.

So viel Platz! Sie konnte so viel machen, wenn sie erst in dem Haus wohnten.

Sie ging im Geiste nochmal das ganze Haus ab und überlegte, was sie ändern wollte und was nicht.

Tausend Sachen gingen ihr durch den Kopf, bis sie endlich einschlief.

 

 

12.: Ein guter Tag mit Ausnahmen

 

Der Samstagmorgen begann schon drückend schwül und versprach ein Gewitter.

Dave war kaum angezogen, als er schon wieder geschwitzt war.

Da Widerstand offenbar zwecklos war, zuckte er mit den Achseln und dachte sich, dass er schließlich nicht der einzige Mensch war, der sich heute nassschwitzte.

„Hoffentlich ist morgen besseres Wetter“, sagte er zu Josie, die gerade ihre Frühstücksflocken aß.

„Wieso? Es regnet doch nicht“, sagte sie mit vollem Mund.

„Aber ich gehe jede Wette ein, dass es heute noch ein Gewitter gibt. Na, hoffentlich nicht erst nachts, sonst ist das Meer morgen erbärmlich kalt.“

Josie verzog den Mund. Sie wollte gerne baden. Wenn das Wasser zu kalt war, konnten sie nichts anderes machen als Muscheln zu sammeln und Sandburgen zu bauen.

Als sie mit dem Essen fertig war, wischte sie den Tisch ab, stellte ihre Schüssel in die Spüle und ließ heißes Wasser rein laufen, damit die Reste sich nicht anklebten.

Dave hatte entdeckt, dass Josie solche Sachen gerne machte. In letzter Zeit wollte sie alles selbst machen. Sie wollte Blumen gießen, Staub wischen oder auch den Müll raus bringen.

Es war erstaunlich, wie viel sie auch tatsächlich schon konnte, wenn sie sich nur traute.

Und wenn man sie ließ, natürlich. Sandra hatte keine Geduld gehabt mit solchen Sachen.

Mit fast drei Jahren konnte Josie gerade mal so mit der Gabel essen und aus einem Becher trinken.

Für Sandra war es eben einfacher gewesen, sie zu füttern, als später den Tisch und den Hochstuhl abzuwischen. Und es war einfacher, ihr eine Flasche zum Trinken zu geben, als ab und zu die Pfütze aufzuwischen, wenn sie einen Becher benutzte und etwas daneben ging.

Doch letztendlich hatte Josie ziemlich gut aufgeholt, allerdings war jeder in der Familie daran beteiligt gewesen außer Sandra.

Das brachte ihn wieder auf den Gedanken, dass sie gleich los mussten.

Sie wollten um halb elf bei Sandra sein und es war schon fast zehn Uhr.

„Josie, bist du soweit?“ fragte er. Josie hatte ihre Puppe im Arm und war startklar.

Dave schnappte sich sein Portemonnaie und die Schlüssel und sie gingen raus.

Es waren schon fast dreißig Grad und die drückende Schwüle lastete auf der ganzen Stadt.

Wo sonst reger Verkehr herrschte und massenhaft Fußgänger unterwegs waren, war heute kaum jemand zu sehen. Selbst die Blumen und Bäume schienen irgendwie matt zu sein.

Wenigstens kamen sie so schneller voran und fanden gleich einen Parkplatz, wenn auch in der prallen Sonne.

Dave wusste nicht wieso, doch er war auf einmal nervös.

Auch Josie schien sich auf einmal unwohl zu fühlen. Sie nahm ihren Vater an der Hand.

So gingen sie auf das Wohnheim zu. Im Innern ging es entgegen aller Erwartungen zu wie in einem Taubenschlag. Da es draußen zu heiß war, hatten sich die Bewohner in den kühlen Aufenthaltsraum zurückgezogen.

Ein paar von ihnen beobachteten Dave und Josie aufmerksam. Es war wohl aufgefallen, dass sie einen Samstag ausgelassen hatten, vermutete Dave.

Als sie vor Sandras Tür standen, öffnete diese sich, noch bevor sie klopfen konnten.

„Hallo, wie schön, euch zu sehen!“ rief Sandra. Sie trug das Kleid, das sie von dem unterschlagenen Restgeld gekauft hatte. Sie sah sehr hübsch damit aus und Dave lächelte sie unwillkürlich an.

„Hallo, Sandra“, sagte er fast mit einem Anflug von Herzlichkeit. Die Nervosität war verschwunden.

„Hi, Mommy“, sagte nun auch Josie schüchtern. Sandra streichelte ihr über den Kopf.

„Hallo, meine Kleine“, sagte sie.

Sie zögerte einen Moment, bevor sie sagte: „Kommt doch rein. Es ist schrecklich heiß heute, nicht wahr? Ich habe leider keine Klimaanlage in meiner Wohnung, aber ich habe Deckenventilatoren und Jalousien an den Fenstern.“

Sie betraten die Wohnung und setzten sich an den Wohnzimmertisch.

Sandra nestelte nervös an ihrem Kleid und fragte dann: „Wollt ihr was trinken?“

Dave und Josie nickten. „Für mich ein Wasser. Und du, Josie?“ fragte Dave seine Tochter.

„Was hast du denn sonst noch da?“ fragte Josie ihre Mutter.

Sandra überlegte kurz. „Ich glaube, ich habe noch Orangensaft und Kool-Aid mit Kirschgeschmack.“

Josie sagte sofort: „Dann das Kool-Aid, bitte.“

Sandra stand auf und ging in ihre winzige Küche, um die Getränke zu holen.

Sie war froh, etwas zu tun zu haben.

Im Wohnzimmer war es etwas schummrig wegen der zugezogenen Jalousien.

Dave konnte einen leichten, aber unangenehmen Geruch wahrnehmen.

Er konnte allerdings nicht erkennen, was es war.

Sandra kehrte mit einem Tablett zurück, auf dem drei Gläser standen.

„Also, ich hoffe, wir essen zusammen. Ich habe eine Lasagne im Ofen“, sagte sie, während sie das Tablett abstellte.

„Aber natürlich“, beeilte sich Dave, zu antworten. Dabei sah er Josie an, die ebenfalls nickte.

Natürlich würden sie an dem niedrigen Wohnzimmertisch essen müssen weil es keinen Esstisch gab, doch das hatten sie auch früher schon getan.

Sandra fragte Josie, ob sie sich schon auf die Vorschule freute.

„Klar, Mommy“, berichtete Josie begeistert. „Wir werden ganz viel lernen und Experimente machen. Ich will dann immer mit Melli an einem Tisch sitzen. Die hilft mir immer, wenn ich was nicht verstehe.“

Dave lachte. „Ja, aber das heißt nicht, dass du nichts lernen musst.“

Sandra sah ihn an. „Ein bisschen Hilfe hat noch niemandem geschadet.“

„Natürlich“, stimmte Dave ihr zu. „Solange Josie dadurch alles besser versteht.“

„Ach, Daddy, du weißt doch, dass Melli mir die Sachen gut erklären kann“, sagte Josie.

„Das war doch nur Spaß, mein Schatz“, beschwichtigte Dave sie.

Sie tranken aus ihren Gläsern.

Wieder nahm Dave diesen Geruch wahr.

„Ich gehe mal auf die Toilette“, sagte er und stand auf.

„Sieh dich aber nicht um“, meinte Sandra. „Ich muss noch aufräumen.“

Dave winkte ab. „Keine Bange“, antwortete er, „zuhause ist auch alles noch in Unordnung.“

Er ging in das kleine Bad, das neben der Küche lag.

Auch dort herrschte ein eigenartiger Geruch, doch Dave konnte keine Ursache erkennen.

Die Toilette war sauber, das Waschbecken und die Dusche ebenfalls.

Dann aber öffnete er den Mülleimer.

Es kam ihm ein Geruch entgegen, der ihn würgen ließ.

Da lagen gebrauchte Binden und Tampons, auf denen Maden herumkrochen.

Fliegen schwirrten summend von einem Blutfleck zum nächsten.

Dave ließ den Deckel schnell wieder fallen.

Er musste plötzlich nicht mehr auf die Toilette, doch er zwang sich, ein paar Tropfen zu lassen, damit er nicht gleich wieder musste.

Dann wusch er sich sehr gründlich die Hände und ging wieder hinaus ins Wohnzimmer.

Er ließ sich nichts anmerken, doch er hatte plötzlich auch keinen Appetit mehr.

Er wollte gar nicht darüber nachdenken, was Sandra noch so alles verstecken mochte.

Mittlerweile war der Geruch, den er vorhin gerochen hatte, einem Geruch nach Bolognesesoße und Käse gewichen.

„Gleich können wir essen“, verkündete Sandra.

„Es riecht schon voll gut, Mommy“, sagte Josie. Sie hatte schon Hunger.

Dave hingegen konnte nur hoffen, dass die Hitze des Ofens alle Keime, die möglicherweise auf dem Essen waren, getötet hatte.

Obwohl er zunächst überhaupt keinen Appetit hatte, schmeckte ihm Sandras Lasagne dann doch überraschend gut.

Auch Josie aß mit gutem Appetit. Nur Sandra stocherte auf ihrem Teller herum und schob die Lasagne von einer Ecke in die andere.

„Du isst ja gar nichts“, bemerkte Dave mit einem Blick auf ihren Teller.

„Ja, irgendwie habe ich keinen Hunger“, antwortete Sandra. „Ich bin etwas nervös.“

Dave fragte: „Wieso denn? Weil wir hier sind?“

„Naja, auch“, druckste seine Frau herum. „Aber eigentlich, weil ich an einem neuen Schritt in meiner Therapie angelangt bin. Dr. Sumner sagt, dass ich mit euch über mich und meine Krankheit sprechen muss. Zunächst einmal mit dir, Dave. Und wenn wir beide unsere Fronten geklärt haben, spreche ich auch mit Josie.“

Dave runzelte die Stirn. „Wie ist das gemeint, sollst du das über einen längeren Zeitraum machen oder soll es eine große Aussprache geben?“

„Das müssen wir selbst entscheiden. Und ich würde sagen, dass es nur fair ist, dich das entscheiden zu lassen.“

Dave überlegte. „Vielleicht machen wir es wirklich so, dass wir uns aussprechen. Gib mir diese Woche Zeit, um mir genau zu überlegen, was ich dir sagen will und dann komme ich nächste Woche alleine her. Wenn dir das so recht ist.“

Sandras Augen leuchteten auf bei der Aussicht, ihren Mann einen Tag lang nur für sich alleine zu haben. Natürlich war sie mit seinem Vorschlag einverstanden.

Jetzt, da dieser Punkt so zu ihrer Zufriedenheit geklärt war, bekam sie Appetit.

Dave wusste natürlich, dass sich Sandra jetzt allerlei Hoffnungen machte und dass sie wahrscheinlich schon Pläne schmiedete, wie sie ihn um den Finger wickeln konnte.

Er hatte allerdings etwas ganz anderes im Sinn. Im Grunde kam es nun erst mal darauf an, was bei seinem Termin mit Dr. Sumner herauskam.

Und dann konnte er sich überlegen, was er tun wollte. Ob er Sandra die Chance gab, es besser zu machen oder ob er einen Schlussstrich zog.

Da war es am besten, wenn Josie nicht dabei war. Vielleicht konnte er sie bei Rose lassen.

Nach dem Essen bot Dave an, Sandra beim Abwasch zu helfen, doch sie lehnte dankend ab.

„Das geht ja ganz schnell. Ich weiche jetzt sowieso alles erst mal ein.“

Sie trug die leeren Teller in die Küche und ließ ein wenig Wasser hineinlaufen.

Dave wusste nicht so genau, was sie nun tun sollten.

Er fragte Josie: „Hast du eine Idee, was wir unternehmen könnten?“

Josie überlegte nicht lange. „Wir könnten Eis holen und uns dann hier noch etwas im Fernsehen anschauen.“

Dave nickte. „Okay, wenn Mommy einverstanden ist, machen wir das.“

Sandra kam eben aus der Küche. „Womit einverstanden?“ fragte sie.

„Josie möchte gerne Eis holen“, antwortete Dave.

„Oh, klar, das können wir machen. Ganz in der Nähe ist eine kleine Eisdiele. Wir könnten zusammen hinlaufen“, schlug sie vor.

Also brachen sie gemeinsam auf.

Tatsächlich brauchten sie zu Fuß nicht einmal zehn Minuten, um die Eisdiele zu erreichen.

Sie bestellten sich große Eisbecher mit vielen Früchten, Sahne und Soße.

Dann liefen sie wieder zurück zu Sandras Appartment und aßen dort ihr Eis, während sie sich im Fernsehen einen Disney-Film ansahen. Draußen tobte das Gewitter, das Dave Josie versprochen hatte.

Sie sprachen nicht viel und bald nach dem Film brach Dave mit Josie auf.

Es war alles in allem kein schlechter Tag gewesen.

Auch Sandra hatte ein gutes Gefühl. Sie räumte die leeren Eisbecher in die Küche.

In den Müll passten sie nicht mehr rein, den hatte Sandra in der ganzen Woche noch nicht geleert, ebenso wie den im Bad. Sie hatte am Morgen oberflächlich aufgeräumt, in der Hoffnung, dass niemand sah, wie dreckig es eigentlich war.

Den Fußboden hatte Sandra schon seit Wochen nicht geputzt.

In ihrer Küche klebte alles, weil sie die Abzugshaube nie benutzte.

Sandra kehrte ins Wohnzimmer zurück.

Die Teller und die Eisbecher standen auch am nächsten Tag noch in der Küche.

Und am Tag darauf ebenfalls.

 

 

13.: Am Strand

 

Der Morgen war noch angenehm frisch nach dem Gewitter, das bis zum späten Abend getobt hatte.

Rose hatte Dave und Josie mit dem Auto abgeholt.

Sie waren um kurz nach neun losgefahren, damit sie noch einen guten Platz bekamen.

Dave hatte seinen Sonnenschirm mitgenommen, damit sie nicht den ganzen Tag in der prallen Sonne sitzen mussten.

Rose hatte zwei riesige Taschen dabei. In der einen war das Essen, das sich noch ein paar Stunden warmhalten würde, in der anderen die Getränke und vier Kühlakkus.

Außerdem hatte jeder eine riesige Picknick-Decke mitgenommen, Sonnencreme, Sandspielzeug und Schwimmhilfen für die Kinder und natürlich etwas Kleingeld, damit sie später ein Eis kaufen konnten.

Melissa und Josie saßen hinten auf ihren Kindersitzen und waren furchtbar aufgeregt.

Sie hatten keine Vorstellung davon, wie das Meer war.

Sicher, sie hatten Bilder gesehen und man konnte es oft im Fernsehen betrachten, doch dort zu sein war bestimmt etwas ganz anderes.

Sie fuhren auf der Del Monte Avenue raus aus Monterey, dann parkten sie am Ende des Del Monte Strands, wo nicht so viel Getümmel war.

Es war kurz vor zehn Uhr und es war zwar noch bequem ein Parkplatz zu finden, doch es waren schon mehr Autos da, als sie erwartet hatten.

Der Strand war lang, es war kein Problem, ein geeignetes Plätzchen zu finden.

Viele Senioren lagen auf ihren Handtüchern. Sie nutzten die frühe Stunde, um der größten Hitze zu entgehen.

Ein paar Familien mit kleinen Kindern gab es auch schon, doch der größte Teil der Besucher bestand aus jungen Paaren.

Während Dave und Rose ihren Platz vorbereiteten, betrachteten Melissa und Josie andächtig das Meer.

Es war schon wesentlich wärmer geworden, doch mit dem frischen Seewind, der ständig wehte, war es viel angenehmer als in der Stadt, wo immer eine drückende, staubige Hitze herrschte.

Die Luft roch angenehm nach dieser Mischung aus Salz, Teer und Algen und das Meer glitzerte hell im Licht der Morgensonne.

„Mommy, das ist so schön! Es ist ja so riesengroß!“ rief Melissa, als Dave und Rose alles hergerichtet hatten.

Und Josie hüpfte aufgeregt hin und her, dabei warf sie schon ihre Sandalen von den Füßen und zog ihr Kleid aus, unter dem sie ihren Badeanzug trug.

„Wo sind die Schwimmflügel, Daddy? Ich will gleich schwimmen gehen.“

Sie wollte schon anfangen, die Tasche zu durchwühlen, als Dave sie bremste.

„Moment mal, was soll das denn werden? Erstmal schauen wir, wie warm das Wasser ist. Und ob es irgendwo eine gefährliche Strömung gibt, denn dann dürft ihr auf keinen Fall allein ins Wasser.“

Josies freudiger Eifer fiel in sich zusammen wie ein Kartenhaus.

„Das ist aber blöd und gemein!“ schrie sie.

Dave zuckte zusammen und blickte sich peinlich berührt um.

„Josie, es gibt keine Widerrede. Und wenn du so ein Theater machst, darfst du gar nicht ins Wasser.“ Er sprach ruhig und bestimmt, doch innerlich war er wütend auf Josie, weil sie sich so aufführte und er fürchtete, dass seine Drohung keine Wirkung zeigte und sie so weitermachte.

Einen Augenblick lang sah es so aus, als würde sich seine Befürchtung bewahrheiten.

Josie reckte energisch das Kinn vor und holte tief Luft, doch sie kam nicht dazu, noch weiter herumzuschreien, denn Rose kam Dave zu Hilfe.

„Wenn du nicht sofort aufhörst fahren wir sofort zurück, Josie. Es ist mein Ernst. Dein Vater tut nur, was getan werden muss, damit niemand in eine gefährliche Situation kommt. Und wenn du das nicht einsehen kannst, bist du wohl noch nicht vernünftig genug, um im Meer zu baden.“

Sie blieb ebenfalls ruhig, doch war es bei ihr nicht gespielt.

Sie schaute das Kind an, das immer noch ein wenig wütend war.

Josie konnte in Rose's Augen keinen Zorn erkennen, doch sie wusste, dass Rose nicht bluffte.

Plötzlich fühlte sie sich klein und hilflos und begann, zu weinen.

Dave schloss sie sofort in die Arme.

„Du musst nicht weinen, es ist niemand böse auf dich. Wenn du versprichst, dass du ab jetzt auf das hörst, was wir sagen, ist alles gut. Wie Rose sagt tue ich nur meine Pflicht. Ich will einfach nicht, dass etwas passiert. Wenn man gut aufpasst, ist das Meer der beste Freund. Aber wenn man nicht aufpasst, kann es sehr gefährlich werden.“

Josie hatte aufgehört, zu weinen und nickte. „Okay, Daddy. Ich hab schon verstanden. Ich verspreche, dass ich ab jetzt ganz lieb bin.“

Dave küsste sie auf die Wange und wischte ihr dann die Tränen ab.

Josie sah schüchtern zu Rose hinüber, die sie freundlich anlächelte und ihr den Rücken streichelte.

Wie Dave gesagt hatte, gingen sie erst mal alle mit einem Fuß ins Wasser, um zu prüfen, wie kalt es war.

Durch das Gewitter war es noch ziemlich kalt und Josie verzog das Gesicht.

„Steckt mal eure Hand rein und leckt sie danach ab“, schlug Rose vor.

Sie bückten sich alle vier und Dave zwinkerte Rose zu, während sie die Hände ins Wasser tauchten.

Die beiden Mädchen hatten noch nie Meerwasser geschmeckt und nun sahen sie beide so erwartungsvoll aus, dass es zu komisch war.

„Igitt, das ist ja salzig!“ Josie spuckte aus.

Auch Melissa war alles andere als begeistert. Angewidert verzog sie den Mund.

Dave und Rose lachten. „Lecker, was?“ zog Dave die Mädchen auf.

„Ihr seid gemein“, beschwerte sich Melissa. „Ihr habt uns nicht gewarnt, wie eklig es schmeckt.“

„Wartet mal ab, wie es in den Augen brennt, wenn ihr tauchen wollt“, meinte Rose.

„Ich hab meine Taucherbrille eingepackt“, verkündete Josie.

Melissa sah ihre Mutter unsicher an. „Hast du meine denn nicht eingepackt?“ fragte sie.

„Nein“, meinte Rose, „ich hab gedacht, du machst das selbst.“

Melissa sah betrübt auf das Wasser zwischen ihren Zehen hinab.

„Ich hab dich nur geärgert, mein Schatz, natürlich hab ich sie eingepackt“, grinste Rose.

„Ach, Mommy“, lachte Melissa, „heute legst du mich die ganze Zeit rein.“

Dave hatte inzwischen mit einem älteren Herrn geplaudert, der jeden Tag zum Schwimmen herkam und die ganze Gegend wie seine Westentasche kannte. Er hatte ihm versichert, dass dieser Strand auch für Kinder und Nichtschwimmer geeignet war. Es gab keine allzu hohen Wellen, wenn es nicht gerade stürmte. Gefährliche Strömungen oder Strudel gab es hier auch nicht und das Wasser war ziemlich flach, wenn man nicht gerade zwei Kilometer weit raus ging.

„Also, ihr zwei, das heißt, ihr dürft auch ein bisschen alleine planschen. Aber es wird nicht gezankt, geschubst, getunkt oder an den Beinen gezogen. Ihr lasst eure Schwimmflügel an und bleibt in Sichtweite. Und natürlich warten wir noch ein Stündchen, damit das Wasser wenigstens ein bisschen wärmer wird.“

Das fanden die Kinder fair.

Zunächst einmal zogen sich nun auch die anderen um. Alle hatten ihre Badesachen unter der Kleidung. Rose verstaute ihre gesamten Klamotten in einer Tüte, damit sie nicht voller Sand waren, wenn sie sie wieder anziehen wollten.

Dave kam nicht umhin zu bemerken, dass Rose eine sehr hübsche Figur hatte.

Als er sich bei dem Gedanken ertappte, schämte er sich und schaute eine Weile auf das Wasser hinaus.

Melissa und Josie hatten sich ihre Eimer und Förmchen geschnappt und hatten sich am Rand des Wassers niedergelassen, wo der Sand schön feucht war, um eine Sandburg zu bauen.

Rose schaute ihnen zu. Ihr kam gar nicht in den Sinn, dass Dave ihre Figur bemerkt haben könnte, sie selbst war sich aber stärker als sonst seiner Männlichkeit bewusst und wusste nun auch nicht so recht, wie sie diese plötzliche Schüchternheit loswerden konnte.

Dave war schließlich immer noch Dave, auch wenn er nur eine Badehose trug.

Nach ein paar Minuten, die sie schweigend dagesessen hatten, räusperte sich Rose.

Ihr war eingefallen, dass Dave seine Frau besucht hatte und sie ergriff dankbar diesen Strohhalm, um eine Unterhaltung zu beginnen.

„Wie war es eigentlich gestern mit deiner Frau?“ fragte sie ihn.

Dave schaute sie an und sah ganz plötzlich nur noch Rose, wie sie immer war.

„Es war überraschend gut. Aber ich hab dir ja noch gar nicht erzählt, dass ich mit ihrer Ärztin geredet habe, oder?“

Rose schüttelte den Kopf. „Nein, aber wir haben uns ja auch seit Donnerstag nicht gesehen.“

„Ja, genau, am Donnerstag Abend hat mich Sandra angerufen, sie hat gesagt, ich solle mal bei ihrer Ärztin anrufen, es ginge um irgend etwas mit der Versicherung. Das war allerdings nur ein Vorwand, um mit mir über Sandra zu reden. Sie hat gesagt, dass sie überzeugt ist, dass Sandra die Realität manchmal komplett ausblendet und sich einfach selbst etwas ausdenkt, das sie dann wirklich glaubt. Ich weiß nicht mehr, wie der Fachausdruck hieß, aber ich soll jedenfalls am Dienstag zu ihr kommen und ihr meine Version der Geschichten erzählen, damit sie weiß, was überhaupt wahr und was gelogen ist.“

Rose war einen Moment lang sprachlos. „Du meinst, deine Frau lügt zwanghaft und weiß es nicht mal?“

Dave nickte. „Ja, so scheint es wohl zu sein. Und als wir gestern bei ihr waren, ging eigentlich alles gut, aber ich habe im Bad einen Geruch bemerkt und habe dann geschaut, was es sein könnte. Und da habe ich im Mülleimer einen Haufen...naja, Monatshygiene für Frauen gesehen, alles war voller Fliegen und Maden. Es war die ganze Zeit über dunkel in der Wohnung, weil Sandra wegen der Hitze die Jalousien runter gelassen hatte. Ich weiß also nicht, wie dreckig oder sauber es sonst in der Wohnung war, aber das war eklig. Und von irgendwoher kam noch so ein Geruch, wahrscheinlich aus der Küche. Ich hatte dann gar keinen Hunger mehr.“

Dass er trotzdem eine große Portion Lasagne gegessen hatte, ließ er lieber weg.

„Oh, also das ist ja wirklich...eklig...da hätte ich auch nichts mehr runter gekriegt. Aber vielleicht hat sie einfach keine Zeit gehabt, den Müll raus zu bringen und der Rest der Wohnung war in Ordnung, wer weiß?“ meinte Rose.

Dave schüttelte den Kopf. „Das glaube ich nicht. Sandra hat früher immer auf peinliche Sauberkeit geachtet, ich denke, ich sollte das Dr. Sumner erzählen, vielleicht weiß sie, was los ist.“

„Ja“, sagte Rose, „vielleicht ist das wirklich das Beste. Wenn du mit ihr redest, kann sie vielleicht herausfinden, woran das liegt.“

„Hoffentlich. Ich weiß wirklich nicht, was ich sonst machen soll“, seufzte Dave.

Rose sah ihn prüfend an. „Wie meinst du das?“ fragte sie.

„Ich weiß auch nicht. Ich bin es einfach leid. Ich habe das Gefühl, es wird immer schlimmer mit Sandra. Und ich will das Josie nicht antun. Gestern hat Sandra sie schön mit einbezogen, aber ich kaufe es ihr einfach nicht ab. Sie will nur mich, Josie ist nur eine lästige Beigabe.“

Rose starrte ihn einen Augenblick lang an. „Willst du dich von ihr trennen?“ fragte sie.

Da war es wieder. Trennung. Doch tief im Innern wusste er bereits, dass diese Entscheidung bereits gefällt war. Alles, was er jetzt noch tat, um seine Ehe zu retten, war nur der Versuch, sich selbst gegenüber eine Fassade aufrecht zu erhalten. Und obwohl er es wusste, konnte er es nicht zugeben.

Nicht einmal vor sich selbst.

„Ich weiß es noch nicht genau. Ich will erst mal abwarten, was die Ärztin sagt.“

Rose nickte. Sie kannte diese Situation selbst zu genau.

Es war nicht leicht, einen Schlussstrich zu ziehen.

„Und am nächsten Samstag treffe ich mich allein mit Sandra“, erzählte Dave weiter.

„Ihre Ärztin hat ihr geraten, sich und uns mit ihrem Verhalten zu konfrontieren. Am Samstag haben wir eine große Aussprache. Könntest du da auf Josie aufpassen?“

„Natürlich“, sagte Rose. „Weißt du denn schon, was du ihr sagen willst?“

„Wenn ich weiß, ob es noch Hoffnung gibt oder ob es sich überhaupt lohnt, zu hoffen, weiß ich auch was ich ihr sagen muss.“

„Ja, du wirst schon selbst wissen, was das Richtige für dich und Josie ist“, meinte Rose lächelnd.

Dave lächelte zurück. „Ja, genau.“

„Ich wollte dir auch noch was erzählen“, wechselte Rose plötzlich das Thema.

„Ja?“ fragte Dave. Er war froh, dass Rose immer genau wusste, wann ein Thema abgeschlossen werden sollte.

Sie erzählte ihm von ihrem Telefonat mit ihrer Ex-Schwägerin.

„Und das Schlimmste daran ist, dass das noch jeder glaubt, ohne auf die Idee zu kommen, mich mal anzurufen und danach zu fragen“, schloss sie. Es regte sie immer noch auf.

Dave war ebenfalls empört. „Jetzt stell dir mal vor, was für einen Schaden solche Menschen anrichten, ohne auch nur darüber nachzudenken. Ich meine, du bist ja schon geschieden, deshalb könnte es dir theoretisch egal sein, was dein Exmann von dir denkt. Aber solche Geschichten verbreiten sich ja immer wie ein Lauffeuer. Und dann denkt jeder, dass du deinen Mann Gott weiß wie lange betrogen hast, bevor du dich von ihm getrennt hast.“

Rose nickte. „Genau. Wie zum Beispiel James und Cleo. Es ist schon seltsam genug, mit dem Bruder meines Exmannes befreundet zu bleiben, aber das war schließlich jahrelang auch meine Familie. Meine Eltern leben nicht mehr, Geschwister habe ich keine. Erics Mutter war auch immer sehr nett zu mir, doch sie kann die Schande nicht ertragen, dass ich ihren Sohn verlassen habe. Aber wenigstens ruft sie ab und zu an, um nach Melissa zu fragen. Cleo und James sind alles, was Josie und ich noch an Familie haben.“

„Wenigstens konntest du Cleo erklären, wie es wirklich war. Und sie kann es dann James erzählen.“

„Ja, richtig. Und wahrscheinlich werden sie es auch an Eric weitergeben. Was vollkommen okay ist. Es ist nicht so, dass es wirklich wichtig ist, was er von mir denkt, denn ich weiß dass es nicht stimmt und ich weiß auch, was ich von ihm denke. Aber ich kann es einfach nicht auf mir sitzen lassen, die Böse zu sein, wenn ich es nicht bin“, sagte sie nachdrücklich.

Noch bevor Dave etwas sagen konnte, stand Rose auf und sagte: „Komm, schauen wir mal, was die Mädels so gebaut haben. Von hier aus sieht es ja ganz schön groß aus.“

Rose wusste eben immer, wann ein Thema abgeschlossen werden sollte.

Dave stand ebenfalls auf und folgte ihr. Wie lange hatten sie jetzt schon so dagesessen? Er hatte kein Zeitgefühl mehr, doch er schätzte, dass es nicht mehr als eine halbe Stunde gewesen war.

Tatsächlich hatten sich Josie und Melissa richtig ins Zeug gelegt.

Sie hatten eine Burg gebaut, die fast so groß war wie die beiden selbst.

„Wow, wie habt ihr das denn gemacht?“ Dave war ehrlich erstaunt darüber, wie toll die Burg aussah. Sie hatte eine recht große Plattform als ersten Stock, darüber eine etwas schmalere und zum Abschluss ein Türmchen. Neben dem Hauptgebäude befanden sich noch kleinere Türmchen.

Steine und Muscheln markierten die Fenster und Türen.

„Wir wollen noch einen Burggraben machen, aber die Burg steht zu weit vom Wasser weg“, erklärte Josie ihm. „Vielleicht kannst du uns helfen, wir haben vorher nicht dran gedacht.“

Bittend sah sie ihn an. Dave musste nicht lange überredet werden.

Gemeinsam zogen sie mit den Schaufeln einen Graben um die Burg herum. Dann legten sie eine kleine Rinne an, die zum Wasser führte. So kam bei jeder Welle etwas mehr Wasser in den Graben.

Melissa und Josie waren glücklich, dass sie nun ihren Graben hatten.

„Hast du eine Ahnung, wie spät es ist?“ fragte Rose plötzlich.

Dave schüttelte den Kopf und zeigte ihr sein nacktes Handgelenk.

„Ich glaube, ich hab meine Uhr zu Hause vergessen“, sagte er. „Ich schau mal eben auf mein Handy.“

Er schlenderte zu ihrem Platz zurück und durchsuchte seine Tasche, bis er sein Handy gefunden hatte. Es war tatsächlich schon nach elf! Dave war ehrlich erstaunt, wie schnell die Zeit verging.

Er ging wieder zu den Kindern und Rose zurück.

„Stell dir vor, es ist schon kurz nach elf“, berichtete er.

„Wirklich?“ fragte Rose erschrocken. „Sind wir schon mehr als eine Stunde hier? Kommt mir gar nicht so vor. Vielleicht sollten wir jetzt mal ein bisschen schwimmen gehen, bevor wir was essen“, schlug sie vor.

Josie und Melissa waren natürlich begeistert.

Sie holten schnell ihre Schwimmflügel und streckten dann vorsichtig ihre Zehen ins Wasser.

Rose machte ihnen vor, wie sie sich schnell an die Kälte des Wassers gewöhnen konnten.

Sie watete langsam, aber ohne zu zögern ins Wasser und schöpfte im Gehen ständig Wasser auf ihre Beine, ihre Arme und über ihre Brust. Dann ließ sie sich langsam im Wasser nieder, bis sie hockte.

Die beiden Mädchen machten es ihr unter Gequietsche und Gelächter nach.

Dave hingegen watete einfach ein Stück weit ins Wasser uns ließ sich dann eiskalt ins Wasser fallen.

Schnaubend kam er wieder hoch. „Oh, Scheiße, ist das kalt!“ rief er aus.

Josie und Melissa kicherten, Rose musste sich ebenfalls das Lachen verkneifen.

„Das kommt davon, du Angeber!“ rief sie und spritzte ihn nass.

„Na, warte!“ lachte Dave. „Früher oder später werde ich dich tunken und dann wirst du um dein Leben betteln.“

„Starke Worte, mein Lieber, aber dafür musst du mich erst mal kriegen“, antwortete Rose.

Kaum hatte sie das gesagt, als sie auch schon abtauchte und eine Weile nicht mehr zu sehen war.

„Oh, Mann! Hoffentlich weiß sie, dass es hier Haie gibt“, meinte Dave.

Josie und Melissa sahen ihn erschrocken an.

„Nein, nein!“ beruhigte er die Kinder sofort. „Doch nicht so nah am Strand.“

Da tauchte Rose etwas weiter draußen wieder auf.

„Ich wusste nicht, dass du eine Meerjungfrau bist“, witzelte Dave.

Rose schwamm mit kräftigen Zügen zurück.

„Alles Trainingssache. Früher konnte ich bis zu den Bojen tauchen.“ Sie wies auf die Kette aus Bojen, die etwa hundert Meter weit draußen schwamm. Sie markierten die Grenze zum tieferen Wasser, wo es unter Umständen Haie geben konnte. Meist waren das Hornhaie oder Hammerhaie, es gab aber auch Blauhaie und ganz selten Weiße Haie.

Josie und Melissa planschten wild im seichten Wasser, zwischendurch versuchten sie, ein paar Schwimmbewegungen unterzubringen. Rose und Dave hingegen schwammen ruhig nebeneinander her, ab und zu drehten sie sich nach den Kindern um. Als sie an den Bojen angekommen waren, war Dave schon aus der Puste.

„Warte mal, bevor wir zurückschwimmen. Ich brauch eine Pause.“

Rose sah ihn grinsend an. „Jetzt schon? Ich bin schwer enttäuscht.“

„Der Satz, den jeder Mann am meisten fürchtet“, scherzte Dave.

Er verschnaufte noch kurz, dann sagte er: „Okay, los geht’s.“

Sie schwammen zurück. Auf halber Strecke hörten sie Melissa schreien.

Sofort legten sie einen Zahn zu. Dave bemühte sich zwar, schneller zu schwimmen, doch Rose war schon lange vor ihm im flacheren Wasser und lief auf die beiden Mädchen zu.

Dave hatte Salzwasser in den Augen und konnte nicht genau erkennen, was da vorne los war.

Endlich hatte auch er wieder Boden unter den Füßen und er lief so schnell es ging zu den anderen.

„Was ist passiert?“ rief er und seine Stimme hörte sich in seinen eigenen Ohren seltsam hohl an.

Rose drehte sich zu ihm um und beruhigte ihn.

„Es ist alles in Ordnung. Melissa hat nur Wasser in die Augen bekommen und hat dann versucht, es mit noch mehr Wasser raus zu spülen.“

Erleichtert atmete Dave auf. „Oh, Gott sei Dank. Ich habe schon gedacht, es wäre was passiert.“

Er war vollkommen außer Atem.

Melissa protestierte: „Aber es ist ja auch was passiert, Dave. Meine Augen brennen.“

Rose sah sie amüsiert an. „Sollen wir vielleicht an den Platz gehen und etwas trinken?“ fragte sie.

Alle waren einverstanden. Sie setzten sich kurz hin, Melissa trocknete sich die Augen mit einem Handtuch ab und Dave trank einen Schluck Wasser.

„Haben wir nicht schon Mittag? Ich hätte jedenfalls schon ein bisschen Hunger“, sagte er.

„Na, von mir aus können wir essen“, meinte Rose, „dann ist es wenigstens noch schön warm.“

Dave war schon ganz gespannt. Rose hatte nur gesagt, dass sie Essen machen wollte, wie es ihr ihre Mutter beigebracht hatte.

Als dann all die kleinen Leckereien vor ihm lagen, wusste er gar nicht, wo er anfangen sollte.

Zuerst probierte er die kleinen Kugeln aus Reis. Zu seiner Freude waren sie gefüllt mit Soße, Schinken, Ei und Käse.

„Das ist ja lecker! Du musst mir unbedingt verraten, wie die gemacht werden. Wie heißen die?“

Rose freute sich, dass es schmeckte und antwortete: „Arancini heißen die. Die sind ganz einfach. Wir machen sie einmal zusammen, dann weißt du genau, wie es geht. Eigentlich sind die aber auch größer“, erklärte sie noch, „da macht einer normalerweise schon satt. Ich hab die nur für den Strand so klein gemacht.“

Dave starrte auf die faustgroße Kugel aus Reis, die auf seinem Teller lag.

„Klein?“ fragte er zweifelnd.

Rose lachte. Sie selbst hatte sich eine Cipollina genommen.

„Kommt deine Familie aus Italien, oder woher kennst du diese Rezepte?“ fragte Dave neugierig.

„Nein“, antwortete Rose, „es kann sein, dass meine Mutter Vorfahren irgendwo in Spanien hatte, die Familie meines Vaters war aber aus Irland. Mein Mädchenname war O'Connor. Meine Mutter hatte aber ein Faible für die italienische Küche. Sie hatte als Kind eine Nachbarin, die ihr alles beigebracht hat.“

„Auf jeden Fall hat es sich gelohnt, die Dinger sind echt gut.“ Dave war bereits mit dem Arancino fertig und schnappte sich nun eine Cipollina.

Die Kinder hatten jeder einen Arancino gegessen und sich eine Cipollina geteilt.

Rose aß noch ein Sandwich mit Parmaschinken und Rucola.

Auch Dave griff bei den Sandwiches herzhaft zu. Er aß ebenfalls eines mit Schinken und Rucola und hinterher noch eines mit Thunfisch, Eiern und Remoulade.

Hinterher aßen sie das Obst, das Rose mitgebracht hatte.

Dave rieb sich den Bauch. „Also jetzt passt wirklich gar nichts mehr rein“, sagte er.

„Hauptsache, es hat geschmeckt“, meinte Rose grinsend.

„Jetzt wäre ein Nickerchen gut.“

„Ja, schwimmen kannst du mit dem vollen Bauch sowieso nicht. Schlaf ruhig ein bisschen, ich beschäftige mich mit den Kindern. Wir könnten Muscheln und hübsche Steine suchen.“

Das musste man weder Dave noch den Mädchen zweimal sagen.

Melissa und Josie schnappten sich ihre Eimer, Rose zog sich schnell ihre Shorts an.

Dave sah den drei Damen nach, während sie zum Wasser gingen, um sich nach Muscheln umzusehen. Er ertappte sich selbst dabei, wie er auf Roses Hintern starrte, der in diesen Shorts wirklich sehr gut zur Geltung kam. Irgendwie war es ihm noch nie aufgefallen, dass Rose eine wirklich hübsche Frau war.

Normalerweise trug sie die Haare aber auch immer zu einem Zopf gebunden und sie trug meistens Jeans und Turnschuhe. Jetzt dagegen trug sie die langen Haare offen, ihre Hosen reichten kaum eine Handbreit über ihren Po und sie trug nur dieses Bikinioberteil dazu.

Aus der Entfernung sah es aus, als wären Melissa und Josie mit einem jungen Mädchen unterwegs.

Dave versuchte, sich auf das Meer zu konzentrieren. Er wollte Rose nicht so ansehen.

Es erschien ihm irgendwie falsch. Immerhin waren sie Freunde. Und Freunde starrten sich nicht gegenseitig auf den Arsch.

Das wichtigste aber war, dass sie ihm vertraute. Sie sollte gerade bei ihm nichts zu befürchten haben.

Dass er außerdem noch immer verheiratet war, fiel ihm als letztes ein. Aber immerhin war das ein Gedanke, der ihn ablenkte. So saß er im Schatten des Sonnenschirms, schlürfte sein Wasser und brütete vor sich hin, bis ihm dann doch noch die Augen zufielen.

Er wachte erst auf, als er Josie rufen hörte: „Daddy! Wir haben ganz viele Muscheln!“

Dave hatte fast eine Dreiviertelstunde geschlafen.

Josie und Melissa hatten ihre Eimer gut gefüllt wieder mitgebracht.

„Rose weiß alle Plätze, wo man Muscheln finden kann. Und sie hat uns eine kleine Höhle gezeigt, in der es ganz hübsche Steine gibt“, sagte Josie noch, bevor sie mit Melissa loszog, um die Sandburg zu verschönern.

„Na, da musst du dich aber wirklich gut hier auskennen“, meinte Dave überrascht.

„Als Kind war ich im Sommer fast jeden Tag mit meinen Eltern hier. Mein Vater war Lehrer und hatte in den Ferien nicht viel zu tun. Und meine Mutter hat hier praktisch nebenan im Hotel gearbeitet und hat ihre Pausen immer mit uns verbracht.“

Dave sagte nachdenklich: „Das hört sich schön an. Meine Eltern haben nie so viel Zeit für mich gehabt. Mein Vater war Automechaniker und meine Mutter ist immer noch Floristin. Sie muss jetzt noch ein Jahr lang arbeiten, dann geht sie auch in Rente. Sie hat damals einen Blumenladen geführt und den ganzen Tag gearbeitet. So konnten meine Eltern ihr Haus schneller abbezahlen. Meine Schwester und ich sind mehr oder weniger bei unseren Großeltern aufgewachsen.“

Rose sagte überrascht: „Ich wusste gar nicht, dass du eine Schwester hast.“

Dave schüttelte den Kopf. „Ich habe auch keinen Kontakt mehr mit ihr. Sie ist sozusagen das schwarze Schaf der Familie. Man erwähnt sie nicht beiläufig in einem Gespräch, weil man sonst über sie reden muss. Aber dir kann ich es ja erzählen“, fügte er schnell hinzu, bevor er fortfuhr.

„Nell ist zwei Jahre jünger als ich. Sie war schon als Kind schwierig, ich denke mal, ihr haben unsere Eltern gefehlt. Als sie dann in die Pubertät kam, wurde es echt heftig. Sie hat angefangen zu klauen, um die Sachen weiter zu verkaufen. Nicht so Kleinigkeiten, wie Kinder sie manchmal stehlen, ein paar Kaugummis oder einen Schokoriegel. Nell klaute CDs, Videos, Klamotten, es kam ihr auf nichts an, außer dass es eine Gelegenheit gab. Dann überlegte sie, wem sie ihre Beute verkaufen konnte. Oder ob sie sie selbst behalten wollte. Irgendwann flog alles auf und sie musste in den Ferien in ein Mädchen-Bootcamp. Das brachte aber nur eines, nämlich neue Kontakte außerhalb der Stadt zu anderen kriminellen Mädchen ihres Alters.

Mit zwanzig hatten Nell und ihre Freundinnen einen florierenden Schwarzmarkt aufgebaut, der das ganze County mit Hehlerwaren versorgte.“

Rose fragte: „Und ihr wusstet die ganze Zeit, was sie macht?“

Dave lachte. „Das war der größte Coup von allen. Nell hat uns damals erzählt, sie würde in einem Versicherungsbüro arbeiten. Wann immer jemand von uns sie auf der Arbeit anrief, stellte man uns zu ihr durch. Wenn wir aber zu dem Büro gingen, in dem sie angeblich arbeitete, teilte man uns immer bedauernd mit, dass sie gerade außer Haus sei. Sie hatte ein ganzes Büro geschmiert, damit ihre Familie nichts von allem bemerkt. Blöd war es natürlich nur, dass sie irgendwann verhaftet wurde und jeder davon erfuhr. Seither hat niemand mehr Kontakt zu ihr. Sie müsste mittlerweile wieder auf freiem Fuß sein, wenn sie sich gut geführt hat. Aber bei Nell weiß man nie.“ Er zuckte mit den Schultern.

Rose hatte überlegt, ob sie davon wohl in den Nachrichten gehört hatte.

„Wann ist sie denn verhaftet worden?“ fragte sie.

„Das war zweitausendeins. Im Frühling.“

„Dann war ich wahrscheinlich gerade in Spanien, als das passiert ist. Ich war damals ein Jahr lang dort“, meinte Rose.

„Oh“, sagte Dave, „ich muss sagen, du überraschst mich heute. Was hast du denn in Spanien gemacht?“

Rose lachte. „Ich habe einen spanischen Freund gehabt. Ich hatte ihn auf dem College kennengelernt und wir wollten uns nicht trennen, als er wieder nach Spanien musste. Wir wollten sogar heiraten. Aber als wir dann hier lebten, war alles anders. Seine Familie dachte, alle amerikanischen Frauen wären Flittchen. Niemand akzeptierte unsere Beziehung. Irgendwann war der Druck einfach zu groß und Julio trennte sich von mir. Danach habe ich noch drei Monate alleine in Spanien gelebt, bis ich alles für meine Rückkehr vorbereitet hatte.“

„Wenn dieser Julio schlau gewesen wäre, hätte er dich nicht gehen lassen, sondern wäre mit dir wieder nach Amerika gegangen“, sagte Dave.

„Ja, wahrscheinlich war die Liebe dann letztendlich doch nicht so groß, wie er gedacht hatte. Julio ist mein Was-Wäre-Wenn.“

„Was bitteschön ist ein Was-Wäre-Wenn?“ fragte Dave.

„Ich habe gehofft, dass du das fragst“, sagte Rose grinsend. „Ich habe eine Theorie. Nämlich, dass jeder Erwachsene, der ein einigermaßen durchschnittliches Leben mit durchschnittlich vielen Verflossenen führt, eine große Liebe hat, die er nie vergisst. Von der er immer denken wird: Was wäre gewesen, wenn? Und bei mir ist das Julio. Wenn er mit mir nach Amerika zurückgegangen wäre, wären wir jetzt vermutlich verheiratet und Melissa hieße vielleicht Dolores oder Penelope. Und wenn seine Familie mich akzeptiert hätte, wäre ich jetzt vermutlich immer noch in Spanien.“

Dave dachte einen Moment lang, ob er auch ein Was-Wäre-Wenn hatte.

Eigentlich fiel ihm da nur Susan ein, mit der er damals Schluss gemacht hatte, weil er sich in Sandra verliebt hatte.

Doch er fragte sich eigentlich nie, was gewesen wäre, wenn.

„Na, dann muss ich wohl die große Ausnahme sein.“

Rose lachte. „Komm, lass uns lieber noch ein bisschen schwimmen gehen, du Ausnahme.“

Sie gingen zu den Mädchen, die ihre Sandburg inzwischen so sehr dekoriert hatten, dass kaum noch was von dem Sand zu erkennen war.

Zusammen gingen sie wieder ins Wasser, die Kinder waren inzwischen etwas mutiger und Rose und Dave versuchten, ihnen das Schwimmen beizubringen.

Noch lange tobten sie in den Wellen, bis die Sonne schon Richtung Horizont herabsank.

Als Rose und Dave bemerkten, wie spät es schon war, packten sie eiligst zusammen und fuhren mit den Mädchen wieder in die Stadt.

Dort war es drückend heiß, der Teer der Straßen strahlte eine enorme Hitze ab und sie waren alle froh, als sie endlich wieder zu Hause waren.

Eigentlich wollte Rose nur Dave und Josie zu Hause abliefern und dann gleich heim fahren.

„Rose, du hast doch bestimmt noch ein paar von deinen leckeren Sachen übrig, kommt doch schnell noch mit rein und wir vernichten zusammen die Reste“, bettelte Dave.

„Du bist schlimmer als die Kinder“, schalt Rose, doch sie stieg schon aus dem Wagen und holte die Tasche aus dem Auto.

Melissa und Josie waren zwar ziemlich müde, doch sie hatten nach dem Tag am Meer noch ordentlichen Hunger und es war um so schöner, am Tisch noch einmal gemeinsam den Tag aufleben zu lassen.

Sie saßen noch bis halb neun zusammen, aßen, tranken und redeten über das, was sie gesehen und erlebt hatten.

Ein Außenstehender hätte meinen können, eine Familie vor sich zu haben, die gemeinsam zu Abend aß.

 

 

14.: Lügen über Lügen

 

„Hi, Rose, hier hinten bin ich“, rief Brenda. Rose war mit ihr verabredet, um im Haus alles zu markieren, das drin bleiben konnte.

Rose ging mit Melissa um das Haus herum, wo Brenda auf einem Stuhl saß.

„Ich bin schon etwas früher gekommen, um zu gießen“, erklärte sie.

„Hi. Na, ich hab dich ja gefunden“, antwortete Rose.

Melissa gab Brenda schüchtern die Hand. Ohne Josie war sie nicht ganz so mutig.

„Ich habe Aufkleber mitgebracht“, sagte Rose, „gelbe und blaue.“

Brenda lachte. „Ich hab rote und grüne mitgebracht.“

„Na, dann nehmen wir doch rot für die Sachen, die du haben willst, gelb für die, die ich behalten will und wir könnten grün für die nehmen, die Helen in ihrem Zimmer im Seniorenheim gebrauchen kann und die blauen für das, was niemand von uns haben will“, schlug Brenda vor.

Rose war einverstanden. Sie gingen ans Werk und Rose wartete immer zuerst ab, ob Brenda die Möbel und anderen Sachen für sich oder Helen beanspruchte.

Brenda wollte gar nicht viel: In der Küche fand sie ein Service, das zu ihrem eigenen passte, außerdem einen Messerblock. Im Wohnzimmer klebte sie nur auf die kleine Stereoanlage einen ihrer Sticker, außerdem klebte sie einige davon im Nähzimmer auf die Schneiderpuppen und die Nähmaschine. Im Schlafzimmer war nichts für sie dabei, dafür aber jede Menge für Helen.

Rose selbst fand schon im Wohnzimmer, dass es eigentlich Unsinn war, auf alles einen Aufkleber zu platzieren, wenn sie die meisten Sachen sowieso behalten wollte. Ihre eigene Einrichtung war sehr spartanisch, so dass sie wirklich froh war, sich keine neuen Möbel kaufen zu müssen.

Blaue Aufkleber zierten die Waschmaschine und den Trockner, die CDs und einige der Filme.

Die persönlichen Sachen Helens wollte Brenda in den kommenden Tagen einpacken und dann auf ihrem Dachboden unterbringen, nachdem Donnie entschieden hatte, welche Sachen er für sich behalten wollte.

Zum Schluss begutachteten sie gemeinsam die Pflanzen.

Es gab jede Menge kleine und größere Palmen, Farne, Agaven und Orchideen. Dazwischen einige Blumen, die Rose nicht einmal kannte, Brenda erklärte ihr aber gleich, wie sie hießen und ob sie leicht zu pflegen waren.

„Das hier ist eine Guzmanie, die ist ein bisschen schwieriger, sie mag es hell, aber nicht zu heiß und sie braucht immer Wasser. Das daneben ist eine Anthurie oder auch Flamingoblume. Sie braucht es ebenfalls ziemlich hell, aber ruhig etwas wärmer, sie braucht auch immer Wasser.“

Sie deutete auf eine kleine Palme.

„Das ist ein Drachenbaum. Er mag weniger Wasser und fühlt sich überall wohl.Und hier das Einblatt mag zwar kein direktes Sonnenlicht, aber es braucht auch nicht so oft Wasser. Und ich glaube, es reagiert darauf, wenn man regelmäßig mit ihm redet. Wirklich“, betonte Brenda.

Rose lächelte und sagte: „Also, das halte ich auch für möglich. Nur weil Pflanzen kein Gehirn haben, können sie doch wohl Gefühle haben.“

Brenda nickte. „Und das ist wohl der ultimative Beweis dafür, dass Gefühle nicht vom Gehirn erzeugt werden durch irgendwelche Botenstoffe, die hin und her flitzen.“

Rose lachte. „Ja, stimmt. Ich meine, wenn das Gehirn dafür zuständig wäre, dann würde man nicht so oft ins Klo greifen, was Männer angeht.“

Auch Brenda musste lachen. „Ja, obwohl ich ja Glück hatte. Ich kam mit Donnie zusammen, da war ich fünfzehn und er sechzehn. Er war mein erster fester Freund und ich seine erste feste Freundin. Aber so ein Glück kann eben nicht jeder haben. Manche Menschen müssen eben viele Frösche küssen, um den Prinzen zu finden.“

Sie sah Rose dabei an, doch sie stellte keine Fragen, obwohl sie gerne gewusst hätte, warum sich Rose von ihrem Mann getrennt hatte und vor allem, warum die Ehe so schnell geschieden wurde.

„Oh, wem sagst du das. Ich musste auch ein paar Frösche küssen. Vor meiner Ehe hatte ich drei ernsthafte Beziehungen. Und meine Ehe hat ja auch nicht gehalten.“

Das waren die Worte, auf die Brenda nur gewartet hatte. Nun musste sie einfach fragen.

„Ich will nicht neugierig erscheinen, aber warum hast du dich denn von deinem Mann getrennt?“

Rose, der diese offene Frage besser gefiel als das Tuscheln hinter vorgehaltener Hand, antwortete: „Du musst wissen“, sagte sie, „dass ich ein sehr schönes Familienleben hatte. Meine Eltern haben sich gleichermaßen um mich gekümmert, obwohl sie beide gearbeitet haben. Als ich fünfundzwanzig war, fuhr ich mit ihnen gemeinsam zu Verwandten. Auf dem Rückweg hatten wir einen Unfall. Meine Eltern starben beide und ich überlebte mit schweren Verletzungen. Ich kannte Eric damals schon, aber fest zusammen waren wir erst, als ich aus dem Krankenhaus kam. Er war mir eine große Stütze, aber vor allem hatte er eine Familie, in der ich mich gut aufgehoben fühlte, nachdem ich meine eigene Familie verloren hatte. Eric war immer mein Beschützer, doch er war auch sehr besitzergreifend. Als ich schwanger wurde, veränderte er sich. Es fing damit an, dass er nicht mit zum Arzt wollte. Ich dachte, dass es ihm einfach unangenehm war. Als er dann anfing, abweisend zu werden, wenn ich über das Baby sprach oder Kleidung kaufte. Da dachte ich, er hätte nur Angst vor der Verantwortung und brauche Zeit. Ich bat ihn, bei der Geburt dabei zu sein, weil meine Mutter nicht dabei sein konnte, da ist er fast ausgeflippt. Später hat er sich dann entschuldigt und gesagt, er würde mir beistehen. Doch nach der Geburt wurde es noch schlimmer. Er weigerte sich, Melissa die Windeln zu wechseln oder sie zu baden, sie auch nur auf dem Arm zu halten, verdarb ihm den ganzen Tag. Immer hielt er mir vor, dass ich für ihn keine Zeit mehr hätte, seit das Baby da war. Dass er nachts nicht schlafen konnte, weil Melissa schrie und dass alles so viel kostet, was ein Baby so braucht. Jahrelang hörte ich von ihm nur solche Vorwürfe, so als hätte ich ganz alleine entschieden, ein Kind zu bekommen. Und dann gab es einen Abend, an dem ich Mel weinend in ihrem Zimmer vorgefunden hatte. Ich hatte Eric gebeten, ihr zu helfen, sie hatte über den Toilettenrand gepinkelt und brauchte einen neuen Schlafanzug, außerdem mussten die Toilette und der Boden abgewischt werden. Wir hatten an dem Abend Gäste und ich war in der Küche beschäftigt. Eric hat Melissa einen neuen Schlafanzug gebracht, doch er hat sie alles alleine aufwischen lassen und hat ihr noch dazu gesagt, sie sei ja wenigstens zum Putzen gut. Melissa fragte mich an diesem Abend, warum ihr Daddy sie so hasst. Und dann gab es keine andere Möglichkeit mehr für mich. Ich hatte es mir ja ohnehin schon viel zu lange mit angesehen. Und Melissa litt furchtbar unter der Situation.“

Brenda hatte ihr schweigend zugehört, nun sagte sie: „Mach dir keine Vorwürfe. Du hast deinen Mann eben geliebt und bestimmt gehofft, dass er sich noch ändert. Ich sehe es ja an Dave, wie schwer es ist, loszulassen. Er hofft immer noch, dass Sandra sich ändert, aber ich persönlich glaube nicht, dass das passieren wird. Niemand glaubt daran außer Dave und Josie. Sandra ist krank, sie war es schon lange, bevor sie Dave traf. Sie will sich auch nicht helfen lassen und wenn sie erkennt, dass sie Dave nicht mehr zurückbekommt, wird sie sofort ihre Therapie abbrechen, sie wird höchstens warten, bis sie einen Job und eine Wohnung hat. Oder einen Kerl, der sie unterstützt. Wie ich Sandra kenne, geht Letzteres schneller.“

Rose schüttelte den Kopf. „Ja, Dave hat es eigentlich noch schlimmer getroffen als ich. Eric hatte wenigstens keine anderen Macken. Eigentlich war er ein guter Mann, er war treu, ehrlich, witzig und hatte was im Kopf. Nur Melissa war immer ein rotes Tuch für ihn.“

„Oh, Sandra ist auf den ersten Blick auch toll“, entgegnete Brenda. „Sie ist wie der Teufel. Du erkennst erst, was sie wirklich ist, wenn du sie näher kennst und schon längst magst. Ich weiß noch, als ich sie kennenlernte. Sie war gerade mit Dave zusammengekommen, zwanzig Jahre alt, bildschön, mit langen schwarzen Haaren und großen dunklen Augen. Sie sah aus wie eine Latina. Dabei stammt ihre Mutter aus Virginia, aus irgendeinem Kaff, in dem jeder mit jedem Verwandt ist. Sie war charmant und witzig, sie interessierte sich sehr für Donnies Sicht der Dinge, sie bewunderte uns für unsere glückliche Ehe und für unseren Sohn. Und wir waren wirklich überzeugt davon, dass sie so nett war, wie sie tat. Wir beglückwünschten Dave für seinen tollen Fang. Als sie mit ihm zusammen wohnte, wurde sie uns gegenüber schon distanzierter. Und als Dave Sandra geheiratet hatte, merkten wir erst, dass sie sich nur mit uns angefreundet hatte, weil sie wusste, dass Dave viel auf unsere Meinung gab. Sobald sie ihn fest in ihren Klauen hatte, brauchte sie uns ja nicht mehr. Wie wir später von Dave erfuhren, hat sie hinter unserem Rücken über Donnie gelacht, weil er, wie sie sagte, zu dumm sei, um jemals reich zu werden. Sie verstand es nicht, dass es auch Menschen gibt, die mit dem zufrieden sind, was sie wirklich brauchen. Ein Haus, ein oder zwei Autos, genügend Geld, um alle Rechnungen zu bezahlen und gut leben zu können. Mehr brauchen wir ja nicht. Sandras Motto dagegen war schon immer: Viel hilft viel. Sie ist gierig und egoistisch und wenn sie ihren Willen nicht bekommt, wird sie zur Furie.“

Rose dachte darüber nach. „Ich glaube, Dave schließt gerade mit ihr ab. Er kann es wahrscheinlich noch nicht akzeptieren, doch im Grunde weiß er, dass er sich von ihr trennen wird.“

Brenda nickte. „Ja, wenn er schlau ist. Natürlich ist es schwer nach all den Jahren, doch es ist das Beste für alle Beteiligten. Sogar für Sandra. Für sie muss es ja auch schwer sein, in so einem Wohnheim zu stecken, getrennt von der Familie und sie weiß nicht, was noch passiert.“

„Ja“, stimmte Rose ihr zu, „so lange sie noch Hoffnung hat, dass sie ihre Ehe noch retten kann, wird sie alles nur für Dave tun. Wenn Sandra auch einen Schlussstrich ziehen kann, hat sie immer noch die Möglichkeit, die Therapie für sich selbst zu machen. Sonst wird das nichts.“

Brenda wandte sich wieder den Pflanzen zu.

„Also, ich nehme ein paar mit, wenn Dave nicht so viele nehmen kann, kümmere ich mich darum, noch ein paar bei Freunden unterzubringen.“

Rose nickte. „Ja, es wäre schade, wenn die alle wegen meiner Unfähigkeit eingehen. Aber die, die was aushalten, behalte ich gerne.“

„Sollen wir jetzt zu uns fahren? Donnie hat jetzt gleich Feierabend, dann kannst du gleich den Mietvertrag unterzeichnen.“

Rose klatschte in die Hände. „Oh ja, lass uns das gleich erledigen, damit ich meinem Vermieter kündigen kann. Ich kann es kaum erwarten, hier zu wohnen.“

„Was denkst du, wann du hier einziehen kannst?“ fragte Brenda. „Ich meine, vielleicht willst du ja vorher renovieren. Und in deiner jetzigen Wohnung wirst du vielleicht auch noch was machen müssen.“

Rose schüttelte den Kopf. „Nein, in meiner Wohnung mache ich nichts, ich wohne nicht mal ein halbes Jahr darin, es war von Anfang an nur als Notlösung gedacht, deshalb habe ich dort nur das Nötigste gemacht. Und hier sehe ich einfach keinen Grund. Die Wände sehen alle noch gut aus, ich werde höchstens ein paar Sachen umstellen, damit auch noch ein paar meiner Möbel reinpassen, aber ich glaube, alles in allem werde ich in einem Monat startklar sein.“

„Gut“, erwiderte Brenda, „Donnie hat noch kein Einzugsdatum eingetragen, dann kann er ja den ersten August eintragen. Und wenn du schon vorher einziehen kannst, ist das ja auch kein Problem.“

 

Sie fuhren jeweils mit dem eigenen Auto zu Brenda nach Hause. Donnie wartete bereits auf sie.

„Na, habt ihr alles erledigt?“ begrüßte er die drei.

„Aber sicher“, antwortete Brenda.

„Donnie, ich weiß gar nicht, was ich sagen soll“, sprudelte es aus Rose heraus.

„Ich bin euch beiden so dankbar, dass ich nicht nur dieses tolle Haus mieten kann, sondern auch noch so viele Sachen behalten kann.“

„Ach, ist schon gut“, brachte Donnie heraus. Er wand sich vor Verlegenheit.

„Ich habe den Vertrag schon fertig, wir müssen nur noch das Einzugsdatum eintragen und unterschreiben.“

Sie setzten sich an den langen Küchentisch. Über ihnen spielten die Kinder, was man an dem Getrampel und Geschrei hören konnte, das durch die Decke zu ihnen drang.

„Melissa, willst du vielleicht mit Joey und Billy spielen? Sie sind oben im Zimmer und spielen mit der Ritterburg“, meinte Brenda.

Melissa sprang sofort auf und lief die Treppe nach oben, um mit den beiden Jungs zu spielen, die sie schon beim letzten Mal kennengelernt hatte.

Brenda machte für jeden einen Kaffee, während Donnie die Seiten des Vertrags sortierte.

Plötzlich setzte er eine ernste Miene auf. „Rose, da gibt es etwas, das wir mit dir besprechen müssen, bevor wir den Vertrag durchgehen.“

Jetzt kommt's, dachte Rose, jetzt sagt er mir, dass irgendwas am Haus nicht in Ordnung ist. Oder dass er die Miete doch nicht so günstig machen kann.

„Gestern war ein Bekannter meiner Mutter bei mir“, begann Donnie. „Er hat mich gefragt, ob es wahr ist, dass ich Mutters Haus vermieten will. Ich hab ihm geantwortet, dass bald jemand einziehen wird und daraufhin hat er mir geraten, das lieber sein zu lassen, weil er gehört hat, dass die Mieterin, also du, eine ganz üble Person ist, die ihren Mann betrogen und verlassen hat und ihm jetzt sein Kind vorenthält.“

Rose hatte das Gefühl, jemand habe ihr mit voller Wucht in den Bauch geboxt. Einen Moment lang bekam sie kaum Luft und kalter Schweiß brach auf ihrer Stirn aus.

„Ich dachte, du solltest das wissen, bevor du den Vertrag unterschreibst“, sagte Donnie.

Rose sah ihn an, als hätte er Chinesisch gesprochen.

„Du hast so etwas über mich gehört und trotzdem lässt du mich einziehen?“ fragte sie verdutzt.

„Aber natürlich“, lachte Donnie. „Dachtest du etwa, wir würden so was glauben? Ich habe eine verdammt gute Menschenkenntnis und ich glaube, du bist nicht der Typ für solche Geschichten.“

„Nein“, schaltete sich Brenda ein, „wir haben das von Anfang an nicht geglaubt. Außerdem soll sich der Mann, mit dem du zusammen bist, mit dir zusammen das Haus angesehen haben. Und da außer Dave kein Mann dabei war, konnte das nicht stimmen. Und wie du mir erzählt hast, gab es viele Gründe für die Trennung und auch gute Gründe, warum dein Exmann sein Kind nicht sieht.“

Donnie sah sie fragend an, da wiederholte Rose in kurzen Sätzen ihre Geschichte, die sie vorhin schon Brenda erzählt hatte.

„Das ist einfach unglaublich!“ rief Donnie ärgerlich aus. „Wie kann man sein Kind so behandeln!“

Rose fragte: „Du hast gesagt,dass ich von dieser Sache wissen sollte, bevor ich den Vertrag unterschreibe. Wieso?“

„Der Mann, der mir das erzählt hat, wohnt in deiner näheren Umgebung. Er wird vielleicht nicht der einzige sein, der das gehört hat. Ich möchte nicht, dass du in das Haus ziehst und dich dann dort nicht wohl fühlst.“

Rose dachte einen Moment lang nach. Dann sagte sie entschlossen: „Ist mir egal, was die Leute denken. Schlimmstenfalls wird keiner der Nachbarn mit mir reden. Bestenfalls lernen sie Melissa und mich kennen und sehen, dass diese Gerüchte nicht stimmen.“

Donnie nickte. „Gut. Dann können wir ja jetzt die Einzelheiten durchgehen.“

Er gab Rose eine Kopie des Vertrags und gemeinsam gingen sie ihn Punkt für Punkt durch.

Alles in Allem war alles so, wie sie besprochen haben. Rose musste selbst den Strom und das Gas anmelden, ebenso das Kabelfernsehen, falls sie das wollte.

Als Einzugsdatum trugen sie den ersten August ein.

Nur mit der Miete war Rose durchaus nicht einverstanden.

„Es waren aber fünfhundert ausgemacht!“ rief sie.

Donnie zuckte mit den Schultern. „Wir haben ein bisschen rum gerechnet. Und dabei kam heraus, dass wir für die Pflege meiner Mutter nur vierhundert Dollar aufwenden müssen. Und fünfzig Dollar kosten die Versicherungen monatlich. Also reichen vierhundertfünfzig vollkommen.“

Rose war perplex. „Gut, aber dann werde ich für alle eventuellen Reparaturen aufkommen“, sagte sie schließlich. Das klang so eisern, dass Donnie ihr gar nicht erst widersprach.

„Na gut. Aber das wird nicht in den Vertrag aufgenommen. Das ist dann freiwillig.“

Rose unterschrieb den Vertrag, Donnie hatte bereits vorher unterschrieben.

Jeder bekam eine Kopie, damit war das Geschäft besiegelt.

Sie unterhielten sich noch eine Weile, bevor Rose Melissa zum Aufbruch rief.

 

Es war schon fast acht Uhr, als sie in der Wohnung ankamen.

Nachdem sie nun wusste, dass sie bald ausziehen würden, betrachtete Rose alles mit einem anderen Blick. Sie ging im Geiste schon durch, wo sie Löcher gebohrt hatte, die sie beim Auszug zu spachteln musste oder welche Ecken mal wieder richtig geputzt werden mussten.

Eigentlich sollte die Wohnungsabgabe kein Problem werden. Schließlich wohnten sie erst seit vier Monaten hier und die Wohnung sah, wenn überhaupt, höchstens besser aus als beim Einzug.

Sie aß noch mit Melissa gemeinsam zu Abend, die sich schon auf ihr neues Zimmer freute.

Außerdem hatte sie sich schon immer ein Haustier gewünscht und sie hoffte insgeheim, dass ihre Mutter ihr eines erlauben würde, wenn sie erst in dem Haus mit diesem großen Garten wohnten.

Rose hingegen stellte sich schon vor, wie sie den Garten nutzen würde. Alle Obst- und Gemüsesorten, die sie gerne aßen, wollte sie anbauen. Das würde ihr sicherlich Spaß machen und es würde ihr noch dazu einen Haufen Geld sparen.

Sie war froh, dass Dave ihr helfen wollte. Sie musste sich irgend etwas überlegen, um ihm zu danken. Vielleicht Karten für ein Baseball- oder Footballspiel oder ein Konzert.

Als sie an diesem Abend Melissa ins Bett brachte, sagte diese: „Mommy, heute Abend brauchst du mir nichts vorlesen. Erzähl mir lieber was über das Haus.“

Und Rose erzählte von all den Sachen, die sie dort tun würden. Sie würden einen kleinen Pool kaufen, damit Melissa immer planschen konnte, wenn sie Lust hatte. Sie würden nie wieder Obst oder Marmelade kaufen. Melissa würde eine Schaukel und ein Häuschen mit Rutsche bekommen.

Und ein Trampolin. Rose wollte sich ihre Bücher bei James und Cleo abholen, jetzt hatte sie endlich genug Platz dafür. Als sie noch mit Eric zusammenlebte, kannte sie solche Probleme wie Platzmangel nicht. Erst, als sie mit Melissa ausgezogen war, lernte sie, welch ein Luxus Stauraum war.

Als Melissa schon längst schlief, lag Rose hellwach auf ihrer Couch und freute sich diebisch auf ihr eigenes Schlafzimmer.

 

 

15.: Ein schwerer Entschluss

 

So wirklich wohl fühlte sich Dave nicht, als er Dr. Sumner gegenüber auf einem Sessel saß.

„Geht es Ihnen gut?“ fragte Dr. Sumner. „Sie sehen aus, als ob Sie sich tausend Meilen weit fort wünschten.“

Dave versuchte, zu lächeln, doch so ganz gelang ihm das nicht.

„Ertappt“, sagte er. „Ich war noch nie bei einer Psychiaterin und weiß gar nicht, was ich jetzt machen soll.“

Dr. Sumner lächelte. „Machen Sie sich keine Sorgen, Mr. Simmons. Wir werden im Grunde genommen nur ein bisschen plaudern. Wir haben ja bereits am Telefon darüber gesprochen, weshalb ich Sie hergebeten habe. Ihre Frau ist zwar immer sehr gesprächig, doch leider werde ich Ihre Hilfe benötigen, um herauszufinden, was wahr und was gelogen ist. Außerdem ist es generell vorteilhaft, auch mal die andere Seite zu hören. Ich bin keine Anwältin oder Richterin, die sich beide Parteien anhört, um sich ein Urteil zu bilden. Ich bin nur hier, um zu helfen.“

Dave war schon etwas beruhigter. „Gut, dann legen wir mal los.“

„Mr. Simmons, Sandra erzählte mir, dass Sie beide schon seit fast zwölf Jahren zusammen sind. Wann ist Ihnen das erste Mal aufgefallen, dass etwas mit Sandra nicht stimmt?“

Dave überlegte gut und erinnerte sich an einen Abend, als sie noch nicht zusammen wohnten.

„Ich glaube, ein paar Sachen sind mir schon recht früh aufgefallen. Als wir etwa vier oder fünf Monate zusammen waren, übernachtete ich bei ihr. Ich wachte nachts auf und sie war nicht im Bett, aber auch nicht nebenan im Bad. Ich hatte sowieso Durst und stand deshalb auf, um nach ihr zu sehen. Ich fand sie in der Küche, wo sie sämtliche Geräte kontrollierte. Sie hatte schon im Wohnzimmer alles abgeklappert und im Badezimmer ebenfalls. Auch in der Küche war sie schon gewesen, doch sie traute sich selbst nicht, sie dachte, sie hätte sich nur eingebildet, dass alles ausgeschaltet war.“

Dr. Sumner notierte sich etwas auf ihrem Block und fragte dann: „War das das erste Mal, dass sie das in Ihrer Gegenwart tat?“

„Es war das einzige Mal, bei dem ich sie erwischt habe. Ich weiß aber nicht, ob sie sich sonst nur zusammengerissen hat, oder ob ich es einfach nie mitbekommen habe. Ich weiß ja nicht einmal, ob sie sonst überhaupt das Bedürfnis hatte, das zu tun. Aber eins ist sicher. Es war das letzte Mal, dass ich bei ihr geschlafen habe. Danach haben wir immer bei mir geschlafen und jeden Abend habe ich einen kleinen Rundgang gemacht, um nachzusehen, ob alles ausgeschaltet ist.“

„Wenn Sie nach dem Rechten geschaut haben, hat Ihnen Sandra also vertraut?“ fragte Dr. Sumner.

„Absolut. Sie hat dann geschlafen wie ein Baby.“

„Wie äußerten sich Sandras Probleme denn noch?“

Dave brauchte darüber nicht lange nachdenken. „Sie spionierte mir hinterher, wenn ich zu Patienten fuhr. Ich habe sie oft gesehen und sie irgendwann zur Rede gestellt. Sie stritt natürlich alles ab und meinte, sie sei bestimmt zufällig in der gleichen Gegend gewesen, doch irgendwann gab sie es zu und sagte, sie könne den Gedanken nicht ertragen, dass ich so viele Frauen massiere. Sie musste sich selbst davon überzeugen, dass es tatsächlich meistens ältere Leute sind und keineswegs blonde Supermodels. Und sie brauchte immer große Auftritte. Sie konnte nicht einfach losziehen und Spaß haben, sie musste immer die Schönste sein und die meisten Blicke auf sich ziehen. Das war ihr wichtiger. Als wir verheiratet waren, wurden diese Dinge immer schlimmer. Es war fast, als würde sie jetzt alle Zügel fahren lassen, weil sie sich meiner sicher sein konnte. Sie verdiente nicht schlecht, da war es noch nicht so schlimm, dass sie so viel Geld ausgab. Als sie dann schwanger wurde, blieb sie sofort zuhause. Sie zügelte sich aber nicht, weil jetzt ein Gehalt fehlte, sondern gab noch mehr aus. Sie kaufte allerdings fast nur Kleidung für sich selbst. Sie hatte so viel Schwangerschaftskleidung, dass sie damit zehn Frauen hätte ausstaffieren können. Für Josie besorgte fast alles ich, den Rest bekamen wir geschenkt.“

Wieder notierte sich Dr. Sumner alles Wichtige.

„Hatten Sie das Gefühl, dass Ihre Frau sich auf das Kind freute?“

„Solange sie schwanger war, stand sie ja im Mittelpunkt. Als Josie dann auf der Welt war, änderte sich das natürlich. Und als Josie dann anfing zu laufen und auch mal Unordnung zu machen, war sie überfordert, sie dachte, dass Josie das alles machte, um sie zu ärgern.“

„Wie war Sandra Ihnen gegenüber?“ fragte Dr. Sumner.

„Sie war immer sehr anhänglich, sie war ständig um mich herum. Sie tat alles, um mir zu gefallen. Sie kochte nur, was mir schmeckte, sie bereitete mir Essen für die Arbeit vor. Sie war meistens freundlich und liebevoll zu mir.“

„Meistens?“ hakte Dr. Sumner nach. Sie hörte wirklich alles.

Dave zögerte. „Sandra ist ein sehr materieller Mensch. Sie misst ihr Glück an dem, was sie besitzt. Wenn ich ihr etwas verweigert habe, das sie haben wollte, dann hatte sie so ihre Methoden. Sie dachte sich immer etwas Neues aus, um es mir heimzuzahlen. Aber immer so unauffällig, dass ich es ihr nicht beweisen konnte. Sie wollte mal einen Schal haben, der sollte fünfundsiebzig Dollar kosten. Ich habe ihr gesagt, dass wir von fünfundsiebzig Dollar Schals, Mützen und Handschuhe für die ganze Familie kaufen könnten. Zunächst mal hat sie nur ein paar Bemerkungen fallen lassen über die Qualität und die Haltbarkeit des Schals, dann verlegte sie sich aufs betteln. Sie bot mir sogar an...“ er stockte und sah Dr. Sumner unsicher an.

„Was bot sie Ihnen an, Mr. Simmons?“

„Sie bot mir an, etwas Ausgefallenes im Bett für mich zu machen, wenn sie dafür den Schal bekäme. Die Details erspare ich uns lieber.“ Dave lächelte schief.

„Gut, das ist auch nicht wichtig. Wichtig ist, dass Ihre Frau Ihnen solch ein Angebot gemacht hat. Darf ich fragen, ob sie ihn letztendlich bekommen hat?“

„Oh, ich kann mit Stolz von mir sagen, dass ich mich nicht darauf eingelassen habe. Das hat Sandra natürlich ziemlich erbost und sie strafte mich abwechselnd mit Schweigen und Wutausbrüchen. Irgendwann entdeckte sie wieder etwas, das sie unbedingt haben wollte und sie stellte den Frieden wieder her. Natürlich war ich sehr enttäuscht, dass sie mich am Tag nach der Versöhnung gleich mit dem nächsten Wunsch bombardierte, doch da es etwas Praktisches war, ich glaube irgend eine Küchenmaschine, habe ich ja gesagt.“

Dr. Sumners Stift musste förmlich glühen, so schnell schrieb sie mit.

„Wie stand es mit den Lügen?“

„Naja, das war wieder so eine Sache. Ich weiß nicht, warum, doch sie schnitt immer unglaublich auf. Sie erzählte Leuten, die sie nicht so gut kannten, Geschichten,als wären sie ihr selbst passiert. Es waren die unterschiedlichsten Dinge, die sie in den Nachrichten oder bei einer Freundin aufgeschnappt hatte. Mal ging es um eine Frau, der sie das Leben gerettet haben soll, mal um eine Fledermaus, die sich in ihren Haaren verfangen haben soll. Es waren unnötige Geschichten, die sie einfach erzählte, um interessanter zu erscheinen, so kam es mir vor. Das war aber nicht das Einzige. Sie log auch, wenn es um die Preise ihrer Kleidung oder ihrer Schminke ging. Sie zwackte wahrscheinlich etwas vom Haushaltsgeld ab, wenn sie dachte, dass ich ihr nicht erlauben würde, das zu kaufen, was sie wollte. Ich habe ein paar mal Quittungen gefunden für Kleider, die über zweihundert Dollar gekostet haben. Ich wusste aber noch ganz genau, dass sie mir erzählt hatte, sie hätte nur fünfzig Dollar ausgegeben. Sandra belog auch meine Eltern. Sie fragte oft, ob sie auf Josie aufpassen könnten, weil sie einen Termin beim Arzt hätte. Dabei hatte sie keinen Termin, sie wollte nur kein Kind im Schlepptau haben, wenn sie shoppen ging. Einmal hat mich meine Mutter angerufen und gefragt, ob Sandra denn genug esse, weil sie so oft krank war in letzter Zeit. Da habe ich es erst gemerkt.“

„Wie haben Sie denn Ihr Leben jetzt gestaltet? Sicherlich ist es doch nicht gerade einfach, so plötzlich alleine mit einem Kind dazustehen“, fragte Dr. Sumner.

„Ich habe nur noch Termine bis zwei Uhr, damit ich Josie nicht allzu lange im Kindergarten lassen muss. Das wird sich wahrscheinlich nach den Ferien ändern, wenn Josie in der Vorschule ist. Sie haben dann auch nachmittags noch Programm. Zu Hause war es anfangs ziemlich schwierig, bis ich den Dreh raus hatte mit der Haushaltsführung. Ich bin auch kein besonders guter Koch, obwohl ich es jetzt gerade lerne. Aber die Wohnung ist, wenn schon nicht sehr ordentlich, so doch wenigstens sauber. Josie hat einen geregelten Tagesablauf und eine Freundin, mit der sie durch dick und dünn geht.“

Es war, als hätte Dave ein Stichwort gesagt.

„Mr. Simmons, die Freundin Ihrer Tochter, ist das zufällig ein Mädchen namens Melissa?“

„Ja, genau. Wie ich sehe, hat Sandra Ihnen bereits von ihr erzählt. Und von ihrer Mutter Rose ebenfalls, nehme ich an.“

Dr. Sumner nickte. Sie war wirklich froh, dass sie Dave hergebeten hatte.

„Sandra denkt, ich hätte ein Verhältnis mit ihr, stimmt's?“ fragte Dave direkt.

„Sie ist sich natürlich nicht sicher, doch sie denkt, Sie würden ihre Töchter nur miteinander spielen lassen, um sich zu treffen.“

„Ich denke mal, wenn ich Ihr Patient wäre und meine Frau hätte sich an meiner Stelle mit Rose angefreundet, wäre es das normalste der Welt. Da ich aber ein Mann bin, ist die Sache natürlich schwieriger. Josie und Melissa haben sich im Kindergarten angefreundet, Rose hat mir ihre Tochter anvertraut, obwohl ich ein Mann bin und obwohl sie mich nicht persönlich kannte, bis sie Melissa bei mir abholte. Das hat mir imponiert. Ich habe Respekt vor Rose und ich mag ihre Gesellschaft, ebenso, wie ich die Gesellschaft meines Chefs und seiner Frau mag. Keiner von uns beiden denkt dabei an etwas anderes.“

Dr. Sumner sah ein leichtes Flackern in Daves Augen, für einen Moment schien er sich selbst nicht ganz sicher zu sein, ob das, was er sagte, auch tatsächlich stimmte.

Aha, dachte sie, er sagt fast die Wahrheit. Nur fast. Anscheinend denkt er doch nicht nur rein freundschaftlich an Rose, aber es ist ihm vielleicht nicht ganz bewusst. Er hat Schuldgefühle und unterdrückt seine Gefühle deshalb.

„Wie ist es mit den beiden Mädchen. Ich weiß, dass Josie ein kleiner Wirbelwind sein muss, wie ist das mit Melissa?“

Dave lächelte. „Melissa ist ein sehr ruhiges, schüchternes Mädchen, das Josie ganz gut bremst, wenn sie mal wieder etwas anstellen will. Und Melissa war ein wenig zu ruhig. Sie hatte keine Freunde, weil sie nicht auf andere Kinder zuging. Sie müssen wissen, dass Melissas Vater sie ihr ganzes Leben lang ignoriert hat, weil er eifersüchtig auf sie war. Sie hatte das Gefühl, dass sie daran Schuld war, dass ihr Vater sie nicht liebt. Ich denke mal, Josie hat sie ganz gut aus der Reserve gelockt.“

„Das freut mich. So haben beide etwas davon, miteinander befreundet zu sein. Dieses Glück hat nicht jeder. Auch Ihre Freundschaft zu Rose ist etwas Gutes, zumal sie ja ganz ähnliche Probleme in der Familie zu haben scheinen. Es ist immer gut, wenn man jemanden hat, der einen versteht, egal ob Mann oder Frau.“ Dr. Sumner lächelte bei den letzten Worten.

„Wie haben Sie denn ihren letzten Besuch bei Ihrer Frau empfunden? Sandra war ganz begeistert, weil es ein schöner Tag für sie war“, wechselte sie plötzlich das Thema.

Dave runzelte die Stirn. „Ja, alles in allem war es ein schöner Tag, Sandra hat gekocht, wir haben Eis geholt und uns zusammen einen Film angesehen. Sie hat sich tadellos verhalten, auch Josie gegenüber. Allerdings ist mir etwas aufgefallen. Die Wohnung war wegen der Hitze abgedunkelt. Das war kurz vor dem Gewitter. Ich kann deshalb nicht sagen, ob es sauber war. Es schien jedenfalls so. Aber in der ganzen Wohnung herrschte ein leichter Geruch wie von etwas, das vor sich hin gammelt. Und im Bad roch es noch schlimmer. Mir schien es aus dem Mülleimer zu kommen. Und als ich ihn öffnete, wurde mir fast schlecht. Da krochen Fliegen und Maden über gebrauchte Tampons und Binden. Ich weiß nicht, wie lange das alles bei dieser Hitze schon in dem Mülleimer gelegen hatte, es war jedenfalls wirklich eklig.“

„Haben Sie Sandra darauf angesprochen?“ fragte Dr. Sumner, die plötzlich alarmiert wirkte.

„Ich wusste nicht, wie“, gab Dave zu.

„Ich werde mit Dana sprechen, sie soll gleich morgen früh einen Abstecher bei Sandra machen und mal schauen, wie es dort aussieht. Mr. Simmons“, versprach Dr. Sumner.

„Ich habe da noch eine Frage, die mir wichtig ist“, sagte sie dann. „Sandra hat mir erzählt, dass Sie am Samstag alleine zu ihr fahren, wegen der großen Aussprache, die ich ihr nahegelegt habe.“

„Ja, das stimmt.“

„Was genau wollen Sie ihr sagen?“

Dave überlegte. „Ehrlich gesagt weiß ich das noch nicht so genau. Ich hatte gehofft, da könnten Sie mir weiterhelfen.“

Dr. Sumner zog eine Augenbraue hoch. „Inwiefern?“

„Wissen Sie, ich liebe meine Frau trotz allem immer noch, doch ich kann nicht mit ihr zusammen bleiben, wenn sich ihr...Zustand nicht ändert. Ich muss wissen, ob es noch Hoffnung gibt. Ich will das Josie nicht antun, ewig auf ihre Mutter zu warten, zu hoffen, dass alles gut wird, wenn es keine Hoffnung mehr gibt.“

Dr. Sumner hatte geahnt, dass so etwas kommen würde. Im Geiste schlug sie de Hände über dem Kopf zusammen und raufte sich die Haare. Doch es hatte ja keinen Zweck.

„Mr. Simmons, es gibt eigentlich nur eine Methode, Ihrer Frau zu helfen. Und das sind Psychopharmaka. Sie will sich nicht helfen lassen. Sie lässt mich nicht an sich heran. Und Medikamente lehnt sie strikt ab. Sie sagt, davon würde sie nur weich in der Birne, um sie zu zitieren. Und wie ich schon sagte, ist das die einzige Möglichkeit. Ich bin mit meinem Latein am Ende und unser Gespräch heute hat mir gezeigt, dass Sandra so viele Neurosen aufgebaut hat, dass es sicherlich Jahre dauern wird, bis man sie wieder als normal bezeichnen kann. Zumal sie durch ihre Lügen und ihren Glauben daran schwer therapierbar ist.“

Dave fuhr sich mit der Hand durchs Haar. „Jahre!“ stieß er aus. Er hatte einiges erwartet, doch nicht so viel. Monate, vielleicht ein Jahr, das konnte er verkraften. Es war gar nicht absehbar, ob und wenn ja, wann Sandra gesund werden würde. Zumindest gesund genug, um sie wieder auf ihre Familie loszulassen.

„Dann bleibt mir wohl nichts anderes übrig“, sagte Dave niedergeschlagen.

Dr. Sumner nickte teilnahmsvoll. „Ich kann Sie durchaus verstehen. Sie müssen Sandra sehr lieben, immerhin sind Sie trotz all der Probleme seit so vielen Jahren mit ihr zusammen. Und wenn es nicht um Josies Wohl ginge, würden Sie sicherlich anders handeln. Sie müssen kein schlechtes Gewissen Sandra gegenüber haben. Sie können schließlich nichts dafür. Und Sie müssen sich auch keine Sorgen machen. Ich werde Sandra auffangen und ihr helfen, mit der endgültigen Trennung fertig zu werden. Wer weiß? Vielleicht lässt sie sich ja dann helfen.“

Dave bezweifelte das sehr, doch er glaubte nicht, dass es nötig war, das Dr. Sumner zu sagen.

Es schien, als hätte sie selbst so ihre Zweifel.

„Wenn Sie noch irgendwelche Fragen haben oder noch irgend etwas loswerden wollen, können Sie das gerne noch tun“, sagte sie nun. „Sie haben noch ein paar Minuten Zeit.“

„Ehrlich gesagt weiß ich im Moment gerade nicht, was es sonst noch gibt. Ich glaube, das muss sich erst alles mal setzen. Kann ich Sie vielleicht anrufen, falls mir noch etwas einfällt oder falls ich noch einen Rat brauche?“ fragte Dave.

Dr. Sumner nickte. „Selbstverständlich. Am besten in der Mittagszeit, wenn keine Patienten da sind. Ich esse immer hier in der Praxis. Oder abends ab achtzehn Uhr, wenn ich Feierabend habe. Meistens bin ich noch etwa eine Stunde hier, um meine Notizen sauber abzuschreiben und zu ergänzen.“

Dave stand auf. „Sehr gut, danke. Im Grunde steht der Entschluss ja jetzt fest, nur die Art und Weise muss ich noch überdenken.“

Sie gaben einander die Hand und verabschiedeten sich voneinander.

Dave ging etwas steifbeinig aus dem Sprechzimmer und Dr. Sumner war sich sicher, dass er erst mal eine Weile daran zu knacken haben würde.

Sie seufzte. Es würde also noch richtig schwer werden mit Sandra Simmons.

Das war zu erwarten gewesen.

Sie kannte viele solcher Fälle, manche schlimm, manche weniger.

Der Partner hält es trotz der Missstände lange Zeit aus, bis er irgendwann entweder den Schritt wagt und sich trennt oder daran zugrunde geht.

Oft hatte sie das bei Drogenabhängigen und deren Angehörigen erlebt.

Man nannte das Co-Abhängigkeit und war im Grunde unabhängig von den genauen Umständen.

Es war im Grunde egal, ob der Partner trank, fixte oder einfach ein Arschloch war.

Aus irgend einem Grund hält man so lange zu ihm, bis irgend etwas passiert, das einem zeigt, dass man auch ohne den Partner überleben kann. Und dass man nicht für ihn verantwortlich ist.

In Daves Fall war das eben Sandras Auszug, als er entdeckte, dass er auch prima ohne sie klarkam.

Und da sich an Sandras Verhalten nicht viel geändert hatte in den letzten Monaten, hatte er aufgegeben. Das Gespräch heute war nur der Schubs, den er gebraucht hatte.

Es war ein einziges Resümee aus alten Tagen gewesen, jede Geschichte ein Beispiel für all die vielen Geschichten, die nicht erzählt werden konnten. Und das waren meistens die schlimmsten.

Dr. Sumner sah auf die Uhr, dann ging sie an die Tür und rief den nächsten Patienten herein.

Sie wünschte sich gerade nichts mehr als eine Zigarette, doch die musste warten, bis sie Feierabend hatte. Sie fand es nicht schön, nach Zigarettenrauch zu riechen, wenn sie noch Patienten hatte.

Doch vielleicht konnte sie ja bei Gelegenheit mal eine Ausnahme machen.

 

Dave fuhr nicht direkt zu Josie in den Kindergarten, er brauchte noch ein paar Minuten für sich.

Es gab da einen Ort, den er gerne aufsuchte, wenn er nachdenken musste oder einfach mal abschalten musste.

Er fuhr raus aus der Stadt und lenkte den Wagen in Richtung der Obstplantagen, vorbei an den kleinen Betrieben, die die erntefrischen Früchte verarbeiteten und rauf auf den Feldweg, der ihn zu seinem Refugium führte.

Die kleine Hütte stand ungenutzt etwas abseits der Orangenhaine. Schon oft war er hierher gekommen. Seltsamerweise immer wegen Sandra. Vielleicht war es aber auch gar nicht so seltsam.

Dave stieg aus dem Wagen und lief die paar Meter zu der Hütte. Prüfend öffnete er die Tür, die quietschend und ächzend aufging. Das Holz war vom Wetter ganz verwaschen und ausgebleicht, doch drinnen war es angenehm kühl und es roch nach guter, fetter Erde.

Der alte Schemel, der in der Ecke stand, war mit den Jahren morsch geworden und Dave konnte sich nicht mehr, wie früher, darauf setzen.

Also setzte er sich einfach auf den Boden und ließ die Stille und Abgeschiedenheit auf sich wirken.

Plötzlich schluchzte er auf. Sein Kopf war zum bersten voll mit Gedanken an seine Ehe und was daraus geworden war. Er fragte sich, ob er mit Sandra leben könnte, wenn sie kein Kind hätten und wenn er ganz ehrlich zu sich war lautete die Antwort darauf nein.

Und er schämte sich für diesen Gedanken, doch er war froh, dass er Josie als Grund hatte.

Er wäre ungern das Arschloch, das seine kranke Frau während ihrer Therapie verlassen hat.

Und doch fühlte er sich genau so.

Nach einer Weile wischte er sich die Tränen mit dem Handrücken ab und atmete tief durch.

Er fasste sich wieder so weit, dass er den Rückweg antreten konnte.

Er fuhr über die Felder wieder zurück in die Stadt und direkt zum Kindergarten.

Als er Josie auffing, die sich wie immer zur Begrüßung in seine Arme stürzte, war nichts mehr von den Tränen zu sehen, die er gerade noch geweint hatte.

 

 

 

16.: Aufgeflogen

 

Es war Viertel vor zwölf, als es bei Sandra an der Tür klingelte.

Sie lag noch im Bett, das ein wenig muffig roch. Sie hatte die Bettwäsche erst einmal gewaschen, seit sie hier lebte. Anfangs, als Dave noch mit ihr hier im Bett öfter mal einen Quickie hinlegte, während Josie sich draußen einen Cartoon ansah.

Missmutig schlurfte Sandra zur Wohnungstür und blickte durch den Spion.

Als sie Dana draußen stehen sah, war sie auf einen Schlag hellwach. Schnell fuhr sie sich mit den Händen durch die Haare, rieb sich noch einmal über die Augen und öffnete dann die Tür.

Dr. Sumner hatte veranlasst, dass Dana unangemeldet auftauchte, sie sollte sich unauffällig ein bisschen umsehen und beim geringsten Anlass die Wohnung gründlich auf ihre Sauberkeit überprüfen. Dana kannte dieses Prozedere bereits. Sie fragte nie, weshalb sie das tun sollte. Es gab eigentlich auch nichts zu fragen. Meistens waren es die Angehörigen der Bewohner, die die Ärzte oder die Betreuer auf etwas aufmerksam machten. Bei dem einen war es ein schwacher Geruch nach Gras im Appartment, bei dem anderen eben ein Schweinestall.

„Hallo, Sandra“, trompetete Dana, die auf den ersten Blick sah, dass Sandra eben erst aus dem Bett gekrochen war.

„Hallo, Dana“, flötete Sandra. Sie bemühte sich sehr, einen frischen Eindruck zu machen.

„Was führt dich denn hierher?“

„Oh, weißt du, ich habe heute auswärts zu tun und bin deshalb nicht im Büro, um allen ihr Geld für heute zu geben. Deshalb komme ich bei dir vorbei, um es dir gleich zu geben.“

Sandra blieb unschlüssig stehen. Sie konnte Dana schlecht draußen stehen lassen, wenn sie ihr Geld geben wollte, doch sie wollte sie nicht so gerne in die Wohnung lassen. In den letzten Tagen war die Wohnung nicht gerade sauberer geworden. Sie hatte eigentlich heute loslegen wollen mit dem Großputz, mit dem sie sich auf Daves Besuch am Samstag vorbereiten wollte.

Widerwillig gab sie den Weg frei für Dana, die sie erwartungsvoll ansah.

„Na, dann komm mal rein. Ich bin zwar noch nicht vorzeigbar, aber irgendwie geht es mir heute auch nicht so besonders gut.“

Dana trat ein. „Na, ich werde dich ja nicht lange aufhalten und wenn du wirklich krank werden solltest, brauchst du die Kohle ja vielleicht auch für Medikamente.“

Danas Blick fiel auf die Anrichte in der Küche, auf der sich Müll und Geschirr türmten.

„Oh mein Gott, Sandra, was ist denn hier los?“ fragte sie.

Na, das war wohl ein Volltreffer.

„Wie ich schon sagte, ich war krank. Ich konnte noch nicht aufräumen“, erklärte Sandra sofort.

„Hast du nicht gesagt, dir ginge es nur heute nicht so gut? Das sieht aus, als hättest du seit mindestens einer Woche nicht aufgeräumt.“

Sie ging ein paar Schritte durch das Wohnzimmer durch und stand schon vor der Küchenzeile.

„Und wie das riecht! Sandra, so geht das nicht. Was du zu Hause machst ist nicht mein Problem, aber hier gibt es Regeln.“

„Zu Hause war immer alles sauber!“ schrie Sandra sie an, als würde das alles erklären.

„Beruhig dich doch, Sandra“, beschwichtigte Dana sie. „Es ist nicht so dramatisch, wie es sich anhört. Du bekommst zwei Tage Zeit, in denen du alles auf Vordermann bringst, dann wirst du noch für etwa zwei bis drei Monate öfter mal unangemeldeten Besuch von mir bekommen, bis ich sicher sein kann, dass du alles im Griff hast.“

Sandra hatte sich wieder gefasst. Sie hatte schon befürchtet, dass sie wieder das Geld gestrichen bekommen würde.

„Gut, ich wollte heute sowieso richtig sauber machen“, sagte sie, während Dana den Rest der Wohnung inspizierte.

Was sie nicht sagte war, dass sie Grund zu der Hoffnung hatte, nach diesem Wochenende wieder nach Hause zu können.

Dave würde schon einsehen, dass er sie brauchte und liebte, da war sie sich fast sicher.

Und zu Dr. Sumner konnte sie ja trotzdem gehen.

Dana gab ihr das versprochene Geld, wegen dem sie ja angeblich gekommen war und kündigte ihren Kontrollbesuch für Freitag Mittag an.

 

Während Sandra sich daran machte, tonnenweise Müll aus ihrer Wohnung zu schaffen und alles auf Hochglanz zu polieren, ging Dana schnurstracks in ihr Büro und rief Dr. Sumner an, um ihr Bericht zu erstatten. Sie konnte kaum in Worte fassen, wie schockiert sie über den Zustand der Wohnung war. Das Schlimmste war, dass Sandra immer gepflegt war und Dana nie vermutet hätte, dass sie fähig wäre, in so einem Dreck zu leben.

„Ich werde mit Sandra darüber sprechen“, versprach Dr. Sumner.

Sie konnte sich schon denken, dass Sandra die Wohnung hatte verkommen lassen, als sie keinen Besuch von ihrem Mann bekam. Vermutlich hatte sie zu Hause nur so genau auf Sauberkeit geachtet, weil sie ihrem Mann gefallen wollte.

Dr. Sumner seufzte. Es gab Momente, in denen mochte sie ihre Arbeit überhaupt nicht.

Dies war so ein Moment.

 

 

17.: Vorkehrungen

 

Mr. Jackson, Roses Vermieter, war gar nicht erfreut, als Rose am Donnerstag Nachmittag bei ihm auftauchte. Die Kündigung nahm er mit einem Gesichtsausdruck entgegen, der Rose ein wenig an Statler und Waldorf, die grantigen alten Männer aus der Muppet-Show erinnerte.

„Is' verdammt schade, dass Sie so schnell wieder Leine zieh'n“, meinte er.

„Ich weiß, Mr. Jackson, ich habe nicht lange bei Ihnen gewohnt, aber ich habe die Gelegenheit meines Lebens bekommen.“

Sie erzählte dem alten Mann kurz, weshalb sie kündigte und er nickte verstehend.

„Frag'n se doch mal Ihr'n neuen Vermieter ob er nich' auch noch was für mich frei hätte“, sagte er, dann brach er in ein rasselndes Gelächter aus, das abrupt zu einem Husten wurde.

Fast tat er Rose ein wenig Leid. Mr. Jackson war immer nett und hilfsbereit, wenn er auch eine raue Art hatte.

Sie versprach, sich nach einem Nachmieter umzuschauen und erklärte, dass sie sich bei ihm wegen der Wohnungsabnahme noch melden würde.

Sie verabschiedete sich von ihm und ging dann die zwei Blocks nach Hause.

Es war mal wieder ein sehr schwüler Tag und Rose hatte noch viel zu erledigen.

An solchen Tagen war sie sehr froh darüber, endlich wieder ein Auto zu haben.

Sie hatte sich schnell an den Kleinen gewöhnt und es machte ihr Spaß, mit ihm zu fahren.

Im Kindergarten traf sie auf Dave, der gerade Josie abholte.

„Hey, gut, dass ich dich treffe“, rief er, als er sie sah.

„Selber hey“, antwortete Rose. „Rate mal, was ich eben gemacht habe?“

Dave kam gar nicht dazu, zu antworten, Rose rief schon: „Ich habe die Wohnung gekündigt!“

„Oh, dann kann's ja bald losgehen“, freute sich Dave mit ihr. „Sag mal, habt ihr morgen Nachmittag schon was vor?“ fragte er.

Rose überlegte. Alles, was sie zu tun hatte, konnte sie heute erledigen.

„Bis jetzt noch nicht, wieso?“ fragte sie.

„Oh, ich dachte, vielleicht könnten wir ja mit den Kindern mal in diesen Park beim Krankenhaus gehen, die Stadt hat den Spielplatz renoviert, Donnie war da schon mit seinen Jungs und er sagt, es wäre richtig toll geworden.“

Rose lächelte. „Klingt gut, ich schätze mal Mel und Josie sind bestimmt einverstanden.“

Dave nickte. „Ja, das wird toll! Es wird jede Menge angeboten. Man kann auf jede erdenkliche Art schaukeln, klettern, graben und rutschen.“ Er war ganz begeistert.

Rose freute sich auch, immerhin war es ein guter Anfang für die bevorstehenden Ferien.

Sie gingen zusammen in den Gruppenraum und holten die Mädchen ab.

Sie erzählten ihnen von dem geplanten Besuch im Park, natürlich waren die Mädchen sofort Feuer und Flamme.

„Das wird ganz toll, Mommy! Ich will alles ausprobieren! Wir müssen dann ganz lange da bleiben“, sprudelte es aus Melissa heraus.

Rose und Dave hatten so ihre liebe Mühe, die Kinder zu beruhigen und sich zu verabschieden.

Es war bereits halb vier und Rose musste sich beeilen, wenn sie Mr. Horton noch erreichen wollte.

 

Um Viertel vor vier stand Rose in ihrem Wohnzimmer, in der linken Hand hielt sie ihr Telefon, in der rechten Hand eine Visitenkarte.

Sie wählte die Nummer, die auf der Karte stand und wartete.

Nach dem siebten Klingeln nahm jemand den Hörer ab.

„Rechtsanwaltskanzlei Horton und Partner, Sie sprechen mit Daisy Tanner“, sagte die Stimme einer jungen Frau.

„Guten Tag, Miss Tanner, Rose Elliott am Apparat.“

„Guten Tag, Mrs. Elliott, was kann ich für Sie tun?“

„Ich wollte gerne mit Mr. Horton sprechen, falls er einen Augenblick lang Zeit hat.“

Natürlich hatte er gerade keine Zeit.

„Ich bedaure, aber im Moment ist ein Klient bei Mr. Horton“, sagte Daisy. „Soll er Sie zurückrufen? Ihre Nummer haben wir ja.“

Rose antwortete: „Ja, gerne. Ich bin den ganzen Nachmittag zu Hause.“

Sie verabschiedete sich und begann dann, ihr Badezimmer zu putzen.

Melissa kam herein und half ihr, indem sie die gescheuerte Duschwanne abbrauste.

Das Bad war klein und nicht wirklich schmutzig, deshalb war diese Arbeit schon nach fünfzehn Minuten erledigt.

Sie gingen gemeinsam die Küche an.

Melissa wischte den Tisch ab und spülte dann das schmutzige Geschirr ab, bevor Rose es in die Spülmaschine gab.

Rose hatte Melissa nie zu solchen Arbeiten gezwungen, sie sollte lernen, dass man nicht putzte, weil man musste, sondern weil man sich über die saubere Wohnung freuen konnte.

Rose jedenfalls fand den Anblick eines feuchten Fußbodens schön, er bedeutete immer, dass man in diesem Raum fertig war.

Im Wohnzimmer staubten sie, jede mit einem Staubwedel bewaffnet, die Möbel und den Fernseher ab und entfernten unter hysterischem Gekreische und Gelächter das ein oder andere Spinnennetz.

So ging es von Raum zu Raum und innerhalb einer guten Stunde war die winzige Wohnung sauber.

In dem Moment, als Rose das Putzwasser ausgeschüttet hatte und sie und Melissa sich die Hände wuschen, klingelte das Telefon.

Schnell trocknete sich Rose die Hände ab und lief ins Wohnzimmer, um das Gespräch entgegen zu nehmen.

Es war Mr. Horton.

„Mrs. Elliott, wie schön von Ihnen zu hören, was kann ich denn für Sie tun?“ fragte er freundlich.

„Hallo, Mr. Horton. Ich habe da ein kleines Problem mit meinem Exmann. Man könnte es Verleumdung nennen.“

Sie erklärte ihm kurz, was Eric verbreitete und wie es dazu gekommen war.

„Also liegt das Problem nicht nur bei Eric, sondern auch bei den Leuten, die ihm diese falschen Informationen zugetragen haben. Ich denke, er wird uns nicht sämtliche Namen verraten und das muss er auch gar nicht. Aber ich kann ihn höflichst bitten, das Gerücht nicht weiter zu verbreiten und auch seinen Informanten zu sagen, dass alles ein Irrtum war.“

„Das wäre mir sehr recht“, seufzte Rose. „Ich möchte mich nicht wieder mit ihm herumärgern.“

„Keine Sorge, Mrs. Elliott, das bekommen wir schon hin“, versprach Mr. Horton.

„Danke schön“, sagte Rose, bevor sie auflegte.

Nun war es ihr etwas wohler. Sie hatte lange darüber nachgedacht, was Donnie gesagt hatte.

Natürlich hatte er Recht, sie würde sich bestimmt nicht wohl fühlen, wenn ihre Nachbarn sie als Ehebrecherin sahen, die sie nicht war. Die Nachbarschaft bestand vor allem aus älteren Leuten, die vermutlich schon Roosevelt gewählt hatten. Eine Generation, in der man sich nicht scheiden ließ, erst recht nicht für einen anderen Mann. Inmitten dieser Leute zu wohnen, die sie ablehnten für etwas, das sie nicht getan hatte, wäre sicherlich nicht leicht. So wie sie Eric kannte, konnte das nur ein Anwalt verhindern. Rose wusste nicht, was sie sonst hätte tun können.

 

 

18.: Bittere Medizin

 

„Auf die Ferien!“ rief Dave.

„Auf die Ferien!“ rief auch Rose.

Der Kindergarten hatte nun für drei Wochen geschlossen, die ersten beiden Wochen hatten auch Rose und Dave Urlaub, erst in der dritten Woche gingen Josie und Melissa in die Betreuung eines anderen Kindergartens. Und nach den Ferien sollten Melissa und Josie in die Vorschule wechseln, doch weder die Kinder noch die Erwachsenen wollten jetzt schon daran denken.

Erstmal wollten sie die Ferien genießen,

Die beiden Mädchen waren kaum zu sehen zwischen den vielen anderen Kindern, die an diesem Nachmittag auf dem Spielplatz waren.

„Nächstes mal müssen wir ihnen unbedingt irgend etwas anziehen, das nicht zu übersehen ist“, meinte Dave brummig.

Er hatte sich vorgestellt, mit den Kindern gemeinsam im Sand zu buddeln, durch Röhren zu kriechen und auf das große Klettergerüst zu klettern. Doch nun schien es irgendwie, als wären er und Rose überflüssig. Also saßen sie auf einer Bank und tranken Cola.

Hin und wieder schreckten sie hoch, wenn es aussah, als würde sich Melissa oder Josie wehtun, doch erstaunlicherweise passierte ihnen nichts, obwohl sie wie im Rausch auf allen Spielgeräten kletterten, rutschten und balancierten. Sie sprangen auf den großen Trampolinen und auf der Hüpfburg, sie hämmerten am Werkzeugstand auf wehrlose Nägel ein und nötigten die Hasen und Meerschweinchen in dem kleinen Streichelzoo, mit ihnen zu schmusen.

„Lass sie doch toben“, meinte Rose achselzuckend. Sie freute sich, dass Melissa so eifrig mitmachte und auch mit fremden Kindern leicht in Kontakt kam. Das hätte sie noch vor ein paar Monaten nicht für möglich gehalten. War Melissa mit Josie wirklich erst so kurze Zeit befreundet? Das konnte Rose kaum glauben. Aber auf mehr als drei Monate kam sie nicht.

„Sag mal“, sprach sie Dave darauf an, „wie lange kennen wir uns jetzt eigentlich?“

Er rechnete nach und sagte dann überrascht: „So etwa drei Monate.“

„Kaum zu glauben, was? Wenn man überlegt, was in dieser Zeit schon alles passiert ist.“

„Apropos passiert“, wechselte Dave plötzlich das Thema.

Rose sah ihn an, sie ahnte, dass er jetzt von seinem Termin bei Sandras Ärztin erzählen würde. Sie hatte ihn bisher nicht gefragt, was dabei herausgekommen war. Sie wollte nicht neugierig wirken.

„Ich war doch am Dienstag bei Dr. Sumner“, begann Dave. „Sie hat mir einen Haufen Fragen gestellt, darüber, wann mir zuerst aufgefallen ist, dass mit Sandra etwas nicht in Ordnung war und wie sie sich mir gegenüber verhielt, wenn sie ihren Willen nicht bekam. Ich denke, ich habe ihr viel erzählt, das sie von Sandra nie erfahren hätte. Allerdings“, er suchte einen Moment lang nach den richtigen Worten, „konnte sie mir keine Hoffnungen machen, dass alles in absehbarer Zeit wieder gut wird. Sie sagte, es könne Jahre dauern, bis Sandra wieder okay ist.“ Sein Gesichtsausdruck sprach Bände.

Rose strich ihm mit der Hand über den Rücken und fragte teilnahmsvoll: „Du wirst dich von ihr trennen, nicht wahr?“

Dave nickte nur. Als er wieder sprechen konnte, sagte er: „Danke, dass du morgen früh Josie nimmst. Meinen Eltern will ich noch nicht erklären, was los ist. Zuerst muss es Josie erfahren, aber das geht erst, wenn ich es Sandra gesagt habe. Sonst wäre es nicht fair.“

Rose wusste genau, was er meinte. „Ich habe damals auch zuerst Eric gesagt, dass ich ihn verlasse. Erst, als Melissa merkte, dass ich im Gästezimmer übernachtete, musste ich es ihr sagen. Später, als ich den Job bekommen hatte und ich mir eine Wohnung suchte, sagten wir es auch Erics Familie.“

„Hattest du keine Freundinnen, mit denen du darüber reden konntest?“ fragte Dave.

Rose schüttelte den Kopf. „Meine Freundinnen haben mich im Stich gelassen, als ich sie brauchte. Jede von ihnen hätte ihren Mann sofort gegen Eric getauscht. Wann immer ich mit einer von ihnen über meine Probleme reden wollte, wurde ich als verrückt bezeichnet. Sie sahen nur, dass er mich liebte, das war genug. Dass er sich einen Dreck um Melissa scherte, war dabei nebensächlich. Brittany, eine meiner engsten Freundinnen meinte sogar, ich solle froh sein, dass mein Mann treu ist und nicht einmal die eigene Tochter mehr liebt als mich. Schließlich werde Melissa irgendwann ausziehen, sagte sie.“

„Und was war, als sie erfuhren, dass du dich von ihm getrennt hast?“ fragte Dave.

„Oh, sagen wir mal, man konnte sehen, wie die Temperatur im Raum schlagartig unter den Gefrierpunkt sackte. Das war das letzte Mal, dass eine von ihnen freiwillig mit mir gesprochen hat.“

„Also, was sind das denn für bescheuerte Weiber? Da kann ich wirklich froh sein, dass meine Freunde alle hinter mir stehen. Es wundert mich eigentlich, dass ich noch keine Glückwunschkarten bekommen habe“, grinste Dave.

„Was hat Donnie dazu gesagt?“ fragte Rose neugierig.

„Er umarmte mich und sagte nur: Endlich. Dann sah er mich an wie ein stolzer Vater seinen Sohn, wenn der gerade ein Baseballspiel für seine Mannschaft entscheiden konnte.“

„Ja, so was habe ich mir schon gedacht“, meinte Rose. „Donnie wird schnell verlegen, nicht wahr?“

Dave lachte. „Du hättest mal sehen sollen, wie unangenehm mir das war. Aber jetzt muss ich mir gut überlegen, was ich Sandra morgen sagen will. Das Problem ist, dass sie wirklich verrückt ist.“ Er spie das Wort förmlich aus. „Ich weiß einfach nicht, wie ich es ihr so beibringen kann, dass sie nicht anschließend Amok läuft.“

Rose war im ersten Moment etwas schockiert, weil er seine Frau verrückt genannt hatte.

„Ich schätze, da gibt es leider keine Garantie“, sagte sie dann vorsichtig. „Du kannst nicht wissen, was passiert. Aber du hast ja auch keine Wahl, also musst du dir auch nicht die Schuld daran geben, wenn sie zusammenbricht. Sie ist erwachsen und Josie ist ein Kind, das Schutz braucht. Du tust das Richtige.“

„Ja, ich weiß, aber leicht wird es trotzdem nicht.“

In dem Moment kamen Josie und Melissa angerannt und riefen: „Kriegen wir jetzt ein Eis?“

Sie gingen gemeinsam zu dem kleinen Kiosk, der auf dem Parkgelände stand. Jeder suchte sich ein Eis aus, Melissa und Josie nahmen beide ein Eis am Stiel, das so leuchtend blau war, dass es aussah, als würden sie an einem Schlumpf lutschen. Rose und Dave nahmen jeder einen Becher mit Karamelleis. Sie setzten sich an einen der vielen Tische, die um den Kiosk herum standen.

„Na, gefällt es euch denn?“ fragte Dave.

„Bis jetzt ist es toll“, berichtete Josie begeistert. „Wir haben schon fast alles ausprobiert!“

Melissa fiel ein: „Ja, mir hat es auf dem Trampolin am meisten Spaß gemacht. Ich hab fast einen Salto gemacht!“

Kaum hatten sie ihr Eis fertig gelutscht, sausten die beiden Kinder ab Richtung Hängebrückenlandschaft. Da waren richtige Schluchten geschaffen worden, über die die Brücken gespannt waren. Zusätzlich gab es Leitern und Seile, an denen die Kinder hoch und runter klettern konnten.

„Der Spielplatz ist wirklich toll“, meinte Rose. „Erstaunlich, dass der Eintritt so niedrig ist.“

„Naja, wenn man bedenkt, dass der Spielplatz durch Steuergelder finanziert wurde, ist es eigentlich fast frech, überhaupt etwas zu verlangen. Aber die Instandhaltung muss ja auch finanziert werden“, sagte Dave.

„Ja, und ich hab gesehen, dass es so was wie Aufsichten hier gibt, die aufpassen, dass die Kinder nicht übertreiben und niemandem etwas passiert.“ Rose dachte kurz nach. „Jedenfalls hoffe ich, dass es Aufsichten sind und keine Pädophilen.“ Sie lächelte zynisch.

Dave nickte. „Ja, man muss ja wirklich mit allem rechnen. Aber ich denke, es ist ziemlich wahrscheinlich dass es Aufsichten sind.“

Sie genossen die Sonne, die auf sie herab schien.

„Wie läuft's bei dir so? Ich lade ja die ganze Zeit nur meine Probleme auf dich ab und frage nicht mal, was bei dir so los ist.“ Dave schüttelte den Kopf, wie um sich selbst zu schelten.

„Ja, du Monster“, meinte Rose sarkastisch. „Aber tatsächlich ist es nett, dass du fragst. Ich habe gestern Nachmittag meinen Anwalt angerufen und ihn gebeten, meinen Exmann ein bisschen zu bremsen.“

„Oh, wow!“ rief Dave. „Na, der wird es sich in Zukunft bestimmt zweimal überlegen, ob er jedermann ein paar zusammengestoppelte Geschichten über dich erzählt. Er hat bestimmt gedacht dass du es nie erfährst.“

„Ja, ich hoffe er lässt es. Mr. Horton wird ihn auch bitten, die ganze Sache bei jedem, mit dem er darüber geredet hat klarzustellen. Also auch bei denen, die ihm die Informationen zugetragen haben.“

„Na, zum Glück. Stell dir vor, du müsstest dort wohnen und deine Nachbarn denken Gott weiß was über dich. Du hättest keine Chance.“

„Sie werden trotzdem tuscheln, aber wenigstens werden sie sich erst mal ansehen, wie ich so bin.“

„Sag mal, wann fängst du denn eigentlich an, zu packen?“ fragte Dave plötzlich.

„Brenda hat mich angerufen und gesagt, sie hätten fast alles aus der Wohnung geholt, das sie mitnehmen wollten. Es fehlen nur noch ein paar persönliche Sachen von Helen, die sie morgen mit Donnie rausholen will. Sonntag bekomme ich die Schlüssel, dann schauen wir erst mal, welche Pflanzen du nehmen willst, damit ich weiß, wie viel Platz ich überhaupt für meine eigenen Möbel habe. Und unsere Kleidung, das Geschirr und die ganzen anderen Sachen packe ich ein, wenn ich weiß, wann ich genau umziehe. Vielleicht entdecke ich ja auch die ein oder andere Stelle am Haus, die mir nicht gefällt und ich streiche erst mal oder tapeziere. Deshalb weiß ich es noch nicht genau.“

„Wie viele Pflanzen sind denn noch im Haus?“ fragte Dave interessiert.

„Oh, jede Menge. Brenda hat mir so ungefähr sagen können, welche Zimmerpflanzen viel und welche wenig Wasser brauchen und wie viel Sonne sie vertragen. Außerdem hat sie mir zu ein paar Pflanzen geraten, die auch einen Anfänger überleben. Alles in Allem gibt es bestimmt zwanzig Töpfe, auf denen dein Name stehen könnte.“ Sie breitete die Arme aus wie eine dieser Frauen beim Glücksrad, die die Gewinnpalette präsentieren und grinste breit dazu.

Dave fiel auf, dass sie ganz leichte Grübchen hatte.

„Na, dann sag einfach Bescheid, wann du Zeit hast und dann schau ich mir mal alle an.“

„Wie wär's mit übermorgen?“ meinte Rose. „Falls du Ablenkung brauchst nach der Sache mit Sandra. Und wenn nicht, dann sagst du mir einfach Bescheid, sobald du dich danach fühlst.“

Dave lächelte traurig. „Sonntag wäre gut. Ich kenne mich. Wenn ich zu viel Zeit zum Nachdenken hab, kann ich in ein regelrechtes Brüten verfallen. So war es damals, als ich es auf dem College nicht mehr gepackt hab. Zum Glück hatte ich einen Job, sonst wäre ich tagelang nicht aus dem Haus gegangen.“

Rose schwieg. Sie hatte selbst ihre Erfahrungen mit unerfüllten Träumen gesammelt.

Als sie zwanzig war, lag ihr die Welt zu Füßen. Sie studierte, hatte einen kleinen Job, mit dem sie sich ihre kleinen Wünsche erfüllen konnte und hatte ein interessantes Leben.

Sie war Bassistin in einer Band gewesen, die Hauptsächlich Cover-Versionen bekannter Rock-Hits spielte. Sie waren oft aufgetreten, mal auf einem Geburtstag, mal bei Schulbällen, einmal auch bei einer Beschneidung. Ihr Studium erfüllte sie, sie hatte Wirtschaftswissenschaften als Hauptfach und als Nebenfächer Philosophie und Ethnologie belegt. Sie träumte damals von einer Karriere in der Werbebranche. Doch dann kam Julio und sie verließ Hals über Kopf die Uni und brannte mit ihm durch. Damals war es für sie die richtige Entscheidung gewesen. Als sie ein Jahr später mit eingezogenem Schwanz wieder in die Heimat gekommen war, brachte sie es nicht fertig, wieder zu studieren. Sie hatte ihren Traum von der Werbebranche trotzdem nicht aufgegeben und einen kleinen Job in einer noch kleineren Agentur ergattert, Jenkins&Bennett. Die Bezahlung war mies und die Arbeit alles andere als kreativ, meistens durfte sie nur Kaffee kochen und sämtliche Jobs eines Laufburschen erledigen. Eric und James waren Kunden dieser Agentur, sie hatten die Apotheke, die sie von ihrem Vater geerbt hatten, vergrößert seit sie Werbung dafür machten.

Sie sahen sich zunächst nur wenn er bei Jenkins&Bennett war, irgendwann fragte Eric sie, ob sie Lust hätte, einen Kaffee mit ihm zu trinken. Sie sagte ja. Er gefiel ihr mit seinen dunklen Haaren, dem olivfarbenen Teint und den auffallend grünen Augen. Sie war drei mal abends mit ihm ausgegangen, als sie den Unfall mit ihren Eltern hatte. Vor dem Unfall hatte sie eigentlich schon überlegt, Schluss zu machen. Eric war sehr besitzergreifend und fing bereits an, zu klammern.

Als sie im Krankenhaus war, erschienen Rose seine Fehler plötzlich unwichtig. Er war für sie da und allein das zählte.

„Sag mal, träumst du?“ drang Daves Stimme plötzlich an ihr Ohr.

„Was?“ fragte sie verwirrt.

Dave sah sie belustigt an. „Ich habe dich gefragt, was mit dem Garten ist.“

„Welcher Garten?“ fragte Rose.

„Na, der am Haus natürlich. Ob du mit dem klarkommst wollte ich wissen.“

„Entschuldige, ich hab grade gar nicht zugehört. Der Garten. Über den haben Brenda und ich gar nicht gesprochen. Vielleicht kannst du ihn dir ja am Sonntag mal ansehen und mir ein paar Tipps geben.“

„Klar, mach ich. Wär' jammerschade, wenn da alles kaputt geht.“

Da konnte Rose ihm nur beipflichten.

Es war inzwischen spät geworden, Rose und Dave standen auf, um die Mädchen zu suchen.

Auf dem weitläufigen Gelände wuselten bestimmt hundert Kinder durcheinander.

Es vergingen gut und gerne zehn Minuten, bis sie die beiden Mädchen fanden.

Sie hatten alle Spielgeräte durchprobiert und waren dann wieder aufs Trampolin gegangen.

Als ihre Eltern sie riefen, maulten Melissa und Josie, dann fingen sie an, zu verhandeln.

„Nur noch fünf Minuten! Gleich schaffen wir den Salto und dann können wir gehen.“

Dave wollte schon nachgeben, doch Rose rief schon: „Wenn ihr nicht sofort runter kommt war es das letzte Mal, dass wir hier waren.“ Das wirkte. Sofort hörten die beiden Mädchen auf, zu hüpfen.

Sie kletterten umständlich von dem Trampolin herunter und zogen ihre Schuhe wieder an.

Mit gesenkten Häuptern gingen sie neben Dave und Rose Richtung Ausgang.

Dave war es erst ein bisschen peinlich, dass Rose so hart durchgegriffen hatte.

Verstohlen schaute er sich um, doch die Blicke der Eltern um sie herum waren verständnisvoll.

Schließlich war er froh, dass Rose dem Ganzen ein schnelles Ende gesetzt hatte. Im Grunde wusste er ja, dass es nach den geforderten fünf Minuten weitere Diskussionen gegeben hätte.

Auf dem Parkplatz verabschiedeten sie sich voneinander.

„Na, dann bis morgen“, sagte Rose.

Dave nickte. „Bis morgen.“

Josie und Melissa gaben sich ein Küsschen, dann winkte Melissa Dave und Josie winkte Rose.

Sie fuhren in gegensätzliche Richtungen davon, Rose zu ihren Plänen für ihren Umzug und Dave zu seinen Gedanken an den morgigen Tag.

 

 

19.: Zusammenbruch

 

Als Dave um zehn Uhr am Samstag Morgen vor Roses Tür stand, war er furchtbar nervös.

Rose sah ihm auf den ersten Blick an, dass er kaum geschlafen hatte.

„Willst du noch einen Kaffee, bevor du losfährst?“ fragte sie ihn, als er unschlüssig im Wohnzimmer stand.

„Um Gottes Willen, bloß kein Kaffee! Ich bin so nervös, ich glaube ich krieg gleich einen Herzinfarkt.“

„Das wird schon, Dave. Du wirst es hinkriegen. Und wahrscheinlich wirst du danach am Boden zerstört sein, doch du kannst immer daran denken, dass du das Richtige tust.“

„Danke. Ich meine, ich bin trotzdem nervös“, er lachte trocken, „aber du weißt schon, was ich meine.“

Rose nickte.

Dann umarmte sie ihn kurz, bevor sie sagte: „Jetzt geh, damit du es endlich hinter dir hast.“

Dave, den die Umarmung völlig überrascht hatte, sagte mit belegter Stimme: „Ja, ich geh schon.“

Er ging die Treppe hinunter, auf halber Höhe drehte er sich nochmal um.

„Sag mal, könnten Josie und ich heute Abend bei euch mitessen? Ich weiß nämlich jetzt schon, dass das ein langer Tag wird.“

Rose lächelte. „Na klar. Mir wird schon was einfallen.“

Dave sagte: „Danke“, und ging.

 

 

In dem Moment, als Sandra die Tür öffnete, war Daves Nervosität wie weggeblasen.

Sie trug ein rotes Kleid, dass ziemlich wenig der Phantasie überließ.

Ihre Füße steckten in farblich passenden hochhackigen Riemchensandaletten.

Ihr Parfum schlug ihm schwer entgegen, die Haare hatte sie hochgesteckt, so dass man ihren langen, schlanken Hals bewundern konnte.

Sie war so geschminkt, dass man kaum bemerkte, dass sie geschminkt war, so dass ihre natürliche Schönheit voll zur Geltung kam.

Seltsamerweise dachte Dave in diesem Moment: Scheiße, sie denkt wirklich, dass wir uns heute aussprechen und dann ist alles wieder gut.

„Dave!“ rief Sandra überschwänglich. „Wie schön, dass du schon da bist!“

„Hi, Sandra“, antwortete er schlicht. „Darf ich reinkommen?“

Schnell trat Sandra zur Seite und ließ ihn eintreten.

Hatte er da einen Hauch Unsicherheit in Sandras Augen gelesen?

Sie setzten sich auf das Sofa. „Möchtest du was trinken?“ fragte Sandra.

„Nur Wasser, bitte“, sagte Dave. Wenn er ihr schon das Herz brach, wollte er nicht auch noch anspruchsvoll sein.

„Ich habe auch Wein“, schlug sie vor.

Erst runzelte Dave die Stirn. Es war gerade halb elf.

Doch dann dachte er: Wieso eigentlich nicht? Vielleicht geht es leichter, wenn ich was intus habe.

„Okay“, sagte er. Insgeheim hoffte er, dass die Gläser auch sauber waren.

Dann schämte er sich für diesen Gedanken. Sandras Wohnung war diesmal so sauber, dass man fast sagen konnte, sie strahle. Durch die Fenster schien helles Morgenlicht, so dass er sich nicht nur auf seinen Geruchssinn verlassen musste, wie letzten Samstag.

Wobei ihm Letzterer sagte, dass Sandra ihre Wohnung mit Bleiche geputzt haben musste.

Sandra kehrte mit zwei Weingläsern zum Sofa zurück.

Sie stießen an und tranken jeder einen Schluck.

Es war ein guter kalifornischer Shiraz, der einen schönes, volles Beeren-Aroma hatte.

„Wir haben diesen Wein einmal in einem Lokal getrunken und er hat dir so gut geschmeckt“, erklärte Sandra verlegen.

„Er schmeckt mir auch heute noch“, sagte Dave, ohne durchblicken zu lassen, ob er sich daran erinnerte.

Er nahm noch einen Schluck, diesmal allerdings einen kräftigen.

„Wo hast du Josie untergebracht?“ fragte Sandra.

Insgeheim wusste sie bereits die Antwort, trotzdem versetzte es ihr einen Stich, als Dave sagte:

„Bei Rose. Ich wollte meinen Eltern nicht erklären, warum sie heute nicht mitkommen sollte.“

Sandra nahm sich zusammen und nickte. „Ja, okay. Das verstehe ich.“

Natürlich verstand sie es nicht. Sie fragte sich, warum er es Rose erklären konnte, aber nicht seinen Eltern.

„Ich habe diese Woche mit Dr. Sumner über unsere Aussprache gesprochen. Sie hat mich gefragt, was ich dir so alles sagen will und was ich glaube, was du mir zu sagen hast. Sie hat mir geraten, dich zuerst reden zu lassen.“

Innerlich verfluchte Dave Dr. Sumner.

„Ich weiß ehrlich gesagt nicht ganz, wie ich anfangen soll“, sagte er.

Sandra lächelte. „Hast du dir denn überlegt, was du sagen willst?“

„Natürlich. Ich weiß ja auch, was ich dir zu sagen habe, ich weiß nur nicht, wie ich am besten anfange.“

Sandra überlegte. „Na, ich würde sagen, fang ganz am Anfang an.“

Dave atmete tief ein und aus, dann konzentrierte er sich. Er musste da durch, egal wie.

„Okay“, begann er. „Sandra, wir sind jetzt wirklich schon sehr lange zusammen. Und wir haben dementsprechend auch eine Menge zusammen durchgemacht. Ich denke, ich kenne dich so gut, wie sonst kein Mensch außer dir. Und trotzdem bist du immer noch so voller Geheimnisse.“

Sandra, die nicht wusste, worauf er abzielt, fühlte sich geschmeichelt und rückte unwillkürlich ein Stück näher zu Dave.

„Ich habe dich immer sehr geliebt“, sagte Dave. Er wollte, dass sie wusste, dass es ihm sehr schwer fiel, sich von ihr zu trennen und dass er diese Entscheidung mit dem Kopf getroffen hatte, nicht mit dem Herzen.

„Und als Josie auf die Welt kam, war ich der glücklichste Mann der Welt.“

Jetzt war Sandra sicher, dass alles gut werden würde. Er liebte sie, er war glücklich. Es hatte nur dieser blöden Therapie bedurft, um es ihn erkennen zu lassen.

Ehe Dave irgend etwas dagegen tun konnte, beugte sie sich zu ihm vor und küsste ihn.

Er war so überrascht, dass er gar nicht wusste, was er tun sollte.

Plötzlich waren ihre Lippen an seinem Hals, ihre Hände glitten über seinen Oberkörper.

„Oh, Dave, ich liebe dich auch“, seufzte Sandra.

Wieder küsste sie ihn und ihre Hände glitten diesmal etwas tiefer.

Prompt reagierte Dave auf ihre Berührung, er stöhnte unfreiwillig und umarmte Sandra, seine Hände gingen ganz von allein auf Wanderschaft über ihren Körper, den er so gut kannte.

Schon lag er auf ihr, Sandra zog ihm das T-Shirt aus und zog seinen Kopf zu sich herunter.

Ihre Fingernägel kratzten ganz leicht über seinen Rücken, so dass ihn ein Schauer durchlief.

Er schob die Träger ihres Kleids runter und küsste die Spitzen ihrer Brüste.

Sandra stöhnte. Dann machte sie sich am Gürtel seiner Hose zu schaffen.

Als sie ihm die Hose runter streifte, sagte sie: „Von jetzt an werden wir uns nie mehr trennen. Alles wird wieder gut, Dave.“

Die Wirkung ihrer Worte waren die gleiche wie die eines Eimers voll Eiswasser im Gesicht.

Dave kam zur Besinnung.

„Oh mein Gott, es tut mir Leid!“ rief er und stand so plötzlich auf, dass er fast den Couchtisch umgeworfen hätte.

„Aber Schatz, was soll dir denn Leid tun? Was ist denn?“ Sandra stand nun ebenfalls auf und zog sich ihre Träger wieder über die Schultern.

Sie wollte auf ihn zugehen und seine Hand nehmen, doch er hob beide Hände abwehrend, so dass sie es ließ.

„Sandra, ich glaube, du hast da was falsch verstanden. Und ich habe mich benommen wie ein komplettes Arschloch. Das...das von eben hätten wir nicht tun dürfen“, sagte er.

„Ich hätte es nicht zulassen dürfen. Es war meine Schuld“, fügte er hinzu.

Sandra sah ihn mit weit aufgerissenen Augen an.

„Was?“ fragte sie. „Was?“

„Sandra, ich wollte es nicht so sagen, aber bevor du wieder etwas falsch verstehst...“

„Sag nichts!“ kreischte Sandra plötzlich. „Sag nichts! Ich will es nicht hören!“

Sie hielt sich die Ohren zu und bewegte sich rückwärts von ihm weg.

„Sandra! Du musst mir jetzt zuhören“, rief Dave

„Ich will es nicht hören! Raus aus meiner Wohnung!“ schrie Sandra nun.

„Sandra, bitte! Ich muss es dir wenigstens erklären!“ bettelte Dave nun.

Er wusste nicht, was er tun sollte. Alles war außer Kontrolle geraten und es war ganz allein seine Schuld.

Ich habe dich immer sehr geliebt, äffte er sich selbst in Gedanken nach. Vollidiot!

„Was willst du mir erklären? Du kommst hier rein und willst dich von mir trennen, aber ficken kannst du mich ganz offensichtlich doch noch! Oder war das etwa dein Schlüsselbund, den ich vorhin in der Hand hatte?“ Sandra merkte kaum, wie ordinär sie wurde.

„Ich weiß, das hätte nicht passieren dürfen, aber das wollte ich nicht! Du hast mich plötzlich geküsst und ich habe die Kontrolle verloren.“

Sandra zitterte am ganzen Leib. „Du machst Schluss! Du machst wirklich Schluss mit mir!“ wiederholte sie immer wieder fassungslos.

„Sandra, ich wünschte, ich hätte eine andere Wahl. Aber es wird sehr lange dauern, bis du wieder gesund wirst und ich kann das Josie nicht zumuten“, versuchte Dave, zu erklären.

Die Worte schmeckten schal in seinem Mund.

„Es wird lange dauern bis ich wieder gesund bin? Wer sagt das? Dr. Sumner?“ fragte Sandra.

Ihre Stimme überschlug sich nun fast. „Dr. Sumner hat dir das erzählt, nicht wahr? Sie weiß, dass du dich von mir trennen willst, oder? Sie weiß es! Sie hat dir sogar dazu geraten, ist es nicht so?“

Plötzlich brach Sandra zusammen und fing an, zu weinen und zu schreien.

Speichel lief aus ihrem verzogenen Mund und Tränen liefen über ihr Gesicht.

Dave stand einen Moment lang da und wusste nicht, was er tun sollte.

Er machte einen zögernden Schritt auf Sandra zu, doch sie schrie noch lauter und fing an, sich die Haare zu raufen und sich einige Strähnen auszureißen.

„Oh mein Gott, Sandra, hör auf damit!“ flehte Dave. So schlimm hatte er es sich wirklich nicht vorgestellt.

Sandra rutschte auf den Knien fort von ihm, sie war fast an der Küchenzeile angekommen, als sie plötzlich aufsprang und eine Schublade öffnete.

Sie zog ein scharfes, großes Messer heraus und richtete die Klinge auf Dave.

„Geh weg!“ schrie sie. „Lass mich in Ruhe!“

Dave hob beschwichtigend die Hände, den Blick abwechselnd auf Sandra und das Messer in ihren Händen gerichtet.

„Sandra, bitte, hör mir zu.“ Seine Stimme war erstaunlich ruhig.

„Ich wüsste nicht, wozu“, sagte Sandra und wischte sich mit dem Handrücken etwas Rotz von der Nase. Gedankenverloren streifte sie die Hand an ihrem Kleid ab.

„Geh doch zu deiner kleinen Nutte und vögel sie, jetzt hast du ja freie Bahn“, sagte sie tonlos.

Dave sagte: „Sandra, glaub mir. Rose ist nur eine Freundin. Meinst du, jetzt müsste ich noch lügen? Bitte, leg das Messer weg und wir reden darüber in aller Ruhe.“

Sandra wollte ihm nicht glauben. Es musste einfach so sein, dass er sie wegen dieser Schlampe verließ. Wenn er sie wegen ihres Zustands verließ, würde das bedeuten, dass sie selbst Schuld war. Und das konnte einfach nicht sein.

„Ich kann nicht!“ rief sie weinend.

Dave wollte gerade etwas sagen, als er sah, dass Sandra das Messer umdrehte und sich mit zwei schnellen, langen Schnitten die linke Pulsader aufschnitt.

„Sandra!“ Dave schrie, so laut er konnte, als könne er sie mit seiner Stimme aufhalten, doch es war zu spät. Blut spritzte in Schüben aus ihrem Arm herab, so viel Blut!

Dave fing sie auf, als sie zusammenbrach. Mit einer Hand fischte er sein Handy aus der Hosentasche und wählte den Notruf.

Als jemand am anderen Ende der Leitung fragte, um was für einen Notruf es sich handele, antwortete er automatisch: „Hi, bitte schicken Sie schnell einen Rettungswagen, meine Frau hat sich gerade die Pulsader aufgeschnitten.“

„Sir, wo befinden Sie sich?“

„Avery Place, das Appartment Sechs-B. Bei Sandra Simmons.“

„Ich schicke sofort einen Wagen. Sir, darf ich Sie um Ihren Namen bitten?“ fragte die Frau in der Zentrale.

„Dave Simmons“, sagte er.

„Mr. Simmons wissen Sie die Blutgruppe Ihrer Frau?“

„Ja, sie hat Null positiv.“

Danke, Mr. Simmons. Hören Sie mir jetzt bitte genau zu. Bis zum Eintreffen der Ambulanz müssen Sie Ihrer Frau helfen.“

„Ja, ich höre“, sagte er.

„Legen Sie Ihrer Frau einen Druckverband an. Wissen Sie, wie das geht?“

Dave nickte, merkte dann, wie dumm das war und sagte „Ja“ in den Hörer.

„Gut, haben sie etwas da, um den Verband zu machen?“

Dave sah sich um. Da war ein sauberes Geschirrtuch.

„Ja“, antwortete er. Er legte Sandra flach auf den Boden und holte schnell das Tuch.

Mit überraschend sicheren Bewegungen legte er es mehrmals zusammen und legte es dann auf die Wunde. Dann zog er schnell seinen Gürtel aus der Hose und schnallte ihn um den Arm.

„Fertig“, sagte er.

„Sehr schön. Dann bringen Sie Ihre Frau bitte in die Schocklage, öffnen Sie die Tür für die Rettungskräfte und halten Sie dann den Arm Ihrer Frau hoch.“

Dave befolgte die Anweisungen und wartete auf die Sirenen.

Als der Krankenwagen eintraf, waren höchstens drei Minuten vergangen, doch Dave kam es eher vor wie Stunden.

Endlich hörte er Gepolter auf der Treppe.

Die Notärztin war noch sehr jung, fast jung genug, um noch die Schulbank zu drücken.

„Guten Tag, Mr. Simmons, ich bin Dr. Walsh.“ Sie reichte Dave die Hand.

„Guten Tag“, antwortete Dave.

„Wie ich sehe, haben Sie schon Erste Hilfe geleistet, wir können Ihre Frau gleich mitnehmen. Sie können mit meinem Kollegen fahren.“

Dave sah zu, wie die Sanitäter Sandra auf eine Liege hoben und sie festschnallten.

Ihr rotes Kleid war mit geronnenem Blut besudelt, ihre Haut hob sich gegen all dieses Rot schneeweiß ab.

Dave brauchte einen Moment, um wieder klar denken zu können.

„Unsere Tochter...“ sagte er.

„Was ist mit Ihrer Tochter?“ fragte Dr. Walsh. Sie hatte einen beunruhigten Gesichtsausdruck.

Dave kam in den Sinn, dass sie vielleicht dachte, dass Sandra ihrer Tochter auch etwas angetan hatte.

Deshalb sagte er schnell: „Sie ist bei einer Freundin, ich muss schnell dort anrufen.“

Dr. Walsh atmete erleichtert auf. „Sicher“, sagte sie, „rufen Sie an. Mein Kollege wird auf Sie warten.“

Die Sanitäter und Dr. Walsh verließen die Wohnung.

Dave holte sein Handy heraus und rief Rose an.

„Ja?“ sagte Rose.

„Rose, ich bin's.“ Es war eigentlich unnötig, das zu sagen, seine Nummer wurde angezeigt.

„Dave, was ist los?“ fragte Rose.

„Rose, ich weiß nicht, wann ich komme. Ich muss ins Krankenhaus, es ist wegen Sandra.“

„Was ist passiert?“ Rose sprach nun mit gedämpfter Stimme, damit die Kinder nichts mitbekamen.

„Sie hat sich die Pulsader aufgeschnitten. Der Notarzt hat sie gerade abgeholt. Ich muss jetzt mitfahren und das wird bestimmt ein bisschen dauern.“

Sekundenlang war nichts zu hören, dann sagte Rose: „Oh mein Gott!“

„Ich erzähle dir später alles“, sagte Dave noch, dann legte er auf, nahm Sandras Schlüssel vom Haken und verließ die Wohnung.

Unten hatte sich eine Traube von Menschen versammelt, die neugierig alles beobachteten.

Dave musste sich einen Weg durch all die Leute bahnen, bis er endlich draußen war.

Er stieg in das kleine Notarztauto, das mit blinkenden Lichtern direkt vor dem Eingang parkte.

„Hi, Mr. Simmons, mein Name ist Andrew Kinley. Wir fahren jetzt ins St. Johns Hospital. Dr. Walsh ist mit Ihrer Frau bereits in der Ambulanz voraus gefahren und versorgt sie.“

„Danke, dass sie gewartet haben“, sagte Dave zittrig.

Jetzt, wo er wusste, dass sich eine Ärztin um Sandra kümmerte, gaben seine Nerven den Geist auf.

„Ich glaube, Sie brauchen erst mal etwas zu trinken, wenn wir angekommen sind“, meinte Andrew Kinley mit einem schnellen Seitenblick auf seinen Beifahrer.

„Das ist eine gute Idee.“

 

 

20.: Schuldgefühle

 

Sie fuhren schnell durch die Stadt, wo der Verkehr dicht war, schaltete Kinley die Sirene ein. In weniger als fünf Minuten waren sie am Krankenhaus angekommen.

Kinley lenkte den Wagen in eine kleine Halle, in der viele Ambulanzen und Notarztwägen standen.

Sie stiegen aus, Kinley führte Dave durch eine Glastür, die durch einen Bewegungsmelder geöffnet wurde.

Sie waren nun in der Notaufnahme, wo Dr. Walsh bereits auf sie wartete.

„Mr. Simmons, Ihre Frau ist hier drüben. Setzen Sie sich doch bitte und füllen Sie das Formular aus, das Ihnen die Schwester gleich bringt.“ Sie deutete auf eine Sitzgruppe und verschwand dann hinter einem Vorhang.

Dave ging langsam zu den Stühlen und setzte sich.

Er sah auf die Uhr. Verblüfft stellte er fest, dass es gerade halb eins war.

Ein paar Leute, die auch in der Notaufnahme warteten, schauten immer wieder zu ihm rüber.

Erst wunderte sich Dave darüber, doch dann bemerkte er, dass seine Kleidung voller Blut war.

Unbehaglich rutschte er auf seinem Stuhl hin und her.

Jetzt stieg ihm auch der metallische Geruch des Blutes in die Nase.

Lange halte ich den Geruch bestimmt nicht aus, dachte Dave.

Auf leisen Sohlen kam eine Schwester auf ihn zu, in der Hand hatte sie ein Klemmbrett und einen Kugelschreiber.

„Guten Tag, Mr. Simmons, ich bin Schwester Hastings. Das hier müssen Sie bitte ausfüllen. Das eine ist ein Aufnahmeblatt, da kommen die üblichen Informationen rein. Auf dem anderen Blatt brauchen wir dann noch die Anamnese.“ Sie reichte Dave die Formulare und den Stift und ging.

Dave versuchte, den Gedanken an Sandras Blut auszuschalten und sich auf die Fragen zu konzentrieren, die er auf den Blättern beantworten musste.

Viel Zeit nahm es nicht in Anspruch.

Hin und wieder sah Dave auf die Uhr, mittlerweile war es eins.

Die Notaufnahme füllte sich immer mehr, bald waren alle Stühle belegt.

Dave machte einer älteren Dame Platz, die auf ihren Mann wartete.

Er tigerte hin und her, schließlich blieb er vor einem Kaffeeautomaten stehen und kramte in der Tasche nach Kleingeld. Schließlich lief er mit seinem heißen Kaffee auf und ab.

Die Tür zur Notaufnahme öffnete sich erneut.

Diesmal traten zwei Polizisten ein.

Der Raum war der reinste Taubenschlag, doch Dave wusste sofort, dass die beiden Cops zu ihm wollten.

Er ging bereits auf sie zu, als sie eine Schwester etwas fragten, die dann auf Dave deutete.

Alle Augen waren plötzlich auf ihn und die Cops gerichtet.

„Mr. Simmons, ich bin Detective Foreman und das ist Detective Dryer“, sagte der größere von beiden.

Dave schüttelte ihm und seinem Kollegen die Hand.

„Mr. Simmons, das Krankenhaus hat uns über den Suizidversuch ihrer Frau informiert. Natürlich verstehen wir, dass Sie noch unter Schock stehen, aber wir möchten Ihnen trotzdem gerne ein paar Fragen stellen.“

Dave nickte. „Ja, natürlich.“

Detective Foreman sah sich in der Notaufnahme um.

„Vielleicht gehen wir besser in die Cafeteria. Ich werde der Schwester Bescheid sagen, wo wir sind, damit der Arzt weiß, wo er Sie findet.“

Dave begleitete die beiden Polizisten in die Cafeteria.

Sie setzten sich an einen Tisch, Foreman fragte: „Möchten Sie etwas trinken?“

„Nein, danke“, antwortete Dave. „Ich habe gerade einen Kaffee getrunken.“

„Mr. Simmons“, meldete sich nun Dryer zu Wort, „wir wissen, dass Sie heute etwas Schreckliches erlebt haben. Wir wissen es zu schätzen, dass Sie trotzdem mit uns sprechen. Wir wollen Sie auch gar nicht lange aufhalten. Zunächst einmal war es großes Glück, dass Sie Ihre Frau so schnell gefunden haben und ihr Erste Hilfe geleistet haben.“

Dave runzelte die Stirn. „Gefunden? Aber ich war doch dabei, als es passierte.“

Die beiden Cops sahen sich an. „Sie hat das...vor Ihnen getan?“ fragte Dryer verblüfft.

Dave nickte.

„Entschuldigen Sie bitte, aber wir sind etwas überrascht. Die meisten Menschen versuchen sich das Leben zu nehmen, wenn sie alleine sind. Wenn es nur ein Hilferuf ist, sorgen sie meistens dafür, dass sie gefunden werden oder sie machen es so, dass sie überleben. Unbewusst, verstehen Sie?“

„Ja“, sagte Dave, „das klingt ja auch logischer. Aber Sandra ist psychisch krank, sie lebt in einem Wohnheim für Menschen, die zwar nicht gefährlich sind, aber es nicht ganz alleine schaffen. Sie wird betreut und kontrolliert, außerdem macht sie eine Therapie.“

„Okay“, meinte Dryer, „wenn Sie dabei waren, können Sie uns ja sagen, wie es dazu kam.“

Er nickte Dave aufmunternd zu.

„Ich besuche Sandra immer samstags, normalerweise mit unserer Tochter Josie“, sagte Dave.

Er dachte, dass es am besten war, ganz von vorne zu beginnen.

„Heute war ich alleine dort, weil wir uns im Rahmen ihrer Therapie aussprechen sollten. Ich habe ihr gesagt, dass ich mich von ihr trenne.“ Er stockte.

Die beiden Cops starrten ihn düster an.

„Ich bin kein Scheißkerl“, rechtfertigte er sich, „ich würde sie nicht im Stich lassen, wenn unsere Tochter nicht wäre.“

Das Starren wurde freundlicher.

„Jedenfalls ist Sandra zusammengebrochen, sie schrie und weinte. Ich hatte ja schon damit gerechnet, doch es war so...extrem“, erzählte Dave.

„Als ich sie beruhigen wollte, kroch sie rückwärts in die Küche und holte plötzlich ein Messer aus der Schublade. Erst bedrohte sie mich, sie weinte nicht mehr, sie sprach ganz ruhig mit mir.“

Er brach ab.

„Was ist dann passiert, Mr. Simmons?“, fragte Foreman.

„Ich muss etwas weiter ausholen, um das zu erklären“, sagte Dave.

„Wir haben Zeit“, sagte Dryer.

„Meine Frau ist eifersüchtig auf die Mutter von Josies bester Freundin. Sie heißt Rose. Wir sind nur Freunde, aber Sandra...Sie ist einfach von Natur aus sehr eifersüchtig. Und als sie mich bedrohte, sagte sie, ich solle doch zu Rose gehen und sie...naja, Sie wissen schon. Ich habe ihr noch einmal gesagt, dass Rose und ich nur Freunde sind und dass ich es doch jetzt zugeben könnte, wenn da doch etwas wäre. Ich sagte: Glaub mir. Daraufhin schrie sie: Ich kann nicht!, und schnitt sich die Pulsader auf. Ich habe sie aufgefangen und sofort mit dem Handy den Notruf gerufen.“

Dave lehnte sich zurück, als er fertig war.

Sein Kopf dröhnte. Er sah wieder das viele Blut vor sich.

Dryer schüttelte den Kopf. „Mann, das tut mir echt Leid. Und ich danke Ihnen, dass Sie sich die Zeit genommen haben. Ich denke, es sind alle Fragen geklärt.“

Dave fragte: „Und was passiert jetzt? Ich meine, wird es eine Untersuchung geben oder so? Wenn Sie nämlich die Wohnung ansehen wollen, wäre es am Besten, wenn wir das heute erledigen.“

Foreman lächelte. Dave war überrascht, wie sonnig das Lächeln war.

„Ein Verbrechen liegt nicht vor, Mr. Simmons. Sie waren Zeuge und ich glaube eigentlich nicht, dass Sie lügen. Deshalb ist unsere Arbeit so gut wie getan. Es gibt nur einen Bericht für die Akten. Den Rest erledigt das Krankenhaus und wahrscheinlich die Therapeutin Ihrer Frau.“

„Okay“, sagte Dave. Insgeheim war er erleichtert. Zwischendurch hatte er sich schon gefragt, ob die beiden Polizisten ihn verdächtigten.

Sie standen auf und verabschiedeten sich voneinander.

Dave ging wieder in die Notaufnahme.

Einige Stühle waren in der Zwischenzeit frei geworden und Dave wollte sich setzen.

In dem Moment kam Dr. Walsh auf ihn zu.

„Mr. Simmons, ich habe gute Nachrichten für Sie“, sagte sie.

Dave schaute sie erwartungsvoll an.

„Ihre Frau hatte bereits viel Blut verloren, sie hatte aber zum Glück die Arterie nicht so stark verletzt. Ich habe sie genäht und ihr Blutkonserven gegeben. Sie schläft im Moment, doch sie sollte in ein paar Tagen wieder auf dem Damm sein.“

Dave atmete erleichtert aus. „Oh, Gott sei Dank.“

„Möchten sie sie kurz sehen?“ fragte Dr. Walsh.

Eigentlich wollte Dave nur noch nach Hause, aus seinen Klamotten raus und duschen.

Doch er konnte jetzt schlecht nein sagen.

Er folgte der jungen Ärztin ein paar Flure entlang, dann erreichten sie Sandras Zimmer.

Sandra lag alleine im Zimmer. Sie war sehr blass, die Augen waren geschlossen.

Neben dem Bett stand ein Tropf mit einer klaren Flüssigkeit.

Dr. Walsh bemerkte seinen Blick und erklärte: „Das ist zur Stärkung und für den Flüssigkeitshaushalt.“

Dave nickte.

„Mr. Simmons, wissen Sie, warum sich Ihre Frau das Leben nehmen wollte?“ fragte sie nach einer Weile.

„Ja. Ich habe ihr gesagt, dass ich mich von ihr trennen werde.“ Dave hatte keine Lust, die ganze Geschichte nochmal zu wiederholen.

„Oh“, meinte Dr. Walsh nur.

Wieder kam Dave sich wie ein Scheißkerl vor, deshalb fügte er hinzu:

„Wissen Sie, ich liebe meine Frau, aber ich kann nicht mit ihr zusammen bleiben. Wir haben eine kleine Tochter und Sandra ist nicht gut für sie.“

„Nun ja, ich kenne nicht die Einzelheiten“, sagte Dr. Walsh. „Aber es wird schließlich einen Grund dafür geben, dass Ihre Frau in diesem Wohnheim lebt. Und deshalb ist es okay. Egal, was heute passiert ist, Sie haben nur versucht, Ihre Tochter zu beschützen.“

Dave erinnerte sich, dass Rose etwas Ähnliches gesagt hatte.

„Im Moment fühlt es sich aber nicht okay an“, sagte er.

„Natürlich“, sagte Dr. Walsh schlicht.

Sie standen eine Weile stumm an Sandras Bett, die tief und fest schlief.

Dave vermutete, dass man ihr ein Beruhigungsmittel gegeben hatte.

„Wie lange wird sie hier bleiben müssen?“ fragte Dave.

Dr. Walsh überlegte. „Nun ja, das hängt davon ab, wie es ihr geht. Psychisch, meine ich. Hat sie einen Therapeuten, zu dem sie geht?“

„Ja, sie ist bei einer Therapeutin, die mit dem Wohnheim zusammen arbeitet. Dr. Sumner.“

„Oh ja, ich kenne Dr. Sumner. Sie hat hier manchmal Notdienst. Wir rufen sie oder eine Kollegin, wenn wir beispielsweise Vergewaltigungsopfer reinkriegen oder in solchen Fällen wie hier.“

„Ich sollte sie vielleicht mal anrufen und ihr schon Bescheid geben“, meinte Dave.

„Wenn Sie möchten, können Sie vom Büro aus anrufen.“

Dave nahm dankend an. Er war froh, aus dem Zimmer raus zu kommen.

Sandra so zu sehen war ihm unheimlich.

Sie gingen in das Ärztezimmer.

Dave nahm das Telefon und wählte Dr. Sumners Handynummer.

„Sie wissen hoffentlich, dass ich heute keinen Notdienst habe“, meldete sich Dr. Sumner.

Dave war kurz irritiert, dann sagte er: „Dr. Sumner, hier spricht Dave Simmons.“

„Mr. Simmons, rufen Sie aus dem St. Johns an?“ fragte Dr. Sumner. Nun klang sie irritiert.

„Ja, Dr. Sumner, mit Sandra. Sie hat sich die Pulsader aufgeschnitten“, antwortete Dave.

Einen Moment lang war es still am anderen Ende der Leitung.

„Wie geht es ihr?“ fragte Dr. Sumner schließlich.

„Sie wird bald wieder auf dem Damm sein. Sie schläft jetzt.

„Ich komme sofort rüber. Wer behandelt sie?“ fragte sie.

„Dr. Walsh hat sie versorgt. Ich danke Ihnen, Dr. Sumner.“

„Ich danke Ihnen, weil sie mich gleich angerufen haben.“ Sie legte auf.

Dave legte das Telefon auf den Tisch.

„Sie kommt her“, erklärte er der jungen Ärztin.

„Gut. Dann können Sie ihr ja gleich alles genau erklären.“

Dr. Walshs Pieper ging los.

„Ein Notfall“, sagte sie. „Ich muss los. Wir sehen uns, Mr. Simmons.“

„Ja. Auf Wiedersehen“, antwortete Dave.

Sie verließ das Büro und Dave blieb noch ein paar Minuten in dem kleinen Raum, wo er zum ersten mal, seit die Ambulanz bei Sandra eingetroffen war, ganz alleine dasitzen konnte.

Wieder fiel ihm der Geruch des Bluts an seiner Kleidung auf.

Ein Blick auf die Uhr verriet ihm, dass es mittlerweile fast fünf Uhr war.

Und nun musste er noch mit Dr. Sumner über alles sprechen.

Außerdem hatte er noch nichts gegessen und für einen Hamburger hätte er im Moment getötet.

Er seufzte, dann stand er auf und ging auf den Flur hinaus, wo reger Betrieb herrschte.

Er zog sich am Automaten einen Schokoriegel und aß ihn gierig.

Dann holte er sich noch einen Kaffee.

Als er das Klackern von Pumps auf dem Flur hörte, drehte er sich um.

Dr. Sumner stand hinter ihm.

„Mr. Simmons, wie geht es Ihnen?“ fragte sie.

Man musste kein Psychiater sein, um zu sehen, dass es ihm dreckig ging.

Und da Dr. Sumner Psychiaterin war, überging Dave die Frage einfach.

„Dr. Sumner, danke, dass Sie so schnell gekommen sind.“

„Das ist doch selbstverständlich. Ich war eben schon bei der Schwester und sie hat gesagt, dass Sandra Glück hatte, weil sie die Arterie nicht der ganzen Länge nach getroffen hat. Und dass es trotzdem knapp war. Sie hat nur dank Ihnen überlebt.“

Dave schüttelte den Kopf. „Dank mir ist das alles überhaupt passiert. Es ist alles schief gegangen bei unserem Treffen heute.“

„Sollen wir in Ruhe darüber reden? Wir können den Aufenthaltsraum nutzen.“

Dave nickte und folgte ihr in den Aufenthaltsraum.

Sie saßen einander gegenüber, zwischen ihnen stand ein Tisch, auf dem ein Teller mit Keksen lag.

„Dann beginnen Sie mal am besten ganz von vorne. Sie sind also heute morgen zu Sandra gefahren“, sagte Dr. Sumner.

Dave nickte. Er begann, ihr alles zu erzählen, angefangen beim Wein.

Als er von dem missratenen Versuch, Sandra seine Entscheidung mitzuteilen berichtete, blickte er auf.

Dr. Sumner sagte nichts, sie notierte sich aber bereits etwas.

„Sie...sie dachte wahrscheinlich, dass ich sie wieder zurück nach Hause holen wollte oder so etwas. Und dann hat sie mich geküsst. Und ich weiß nicht, warum, aber ich habe sie gelassen und habe sie dann auch geküsst. Und dann wollte sie...nun ja, sie wollte Sex haben. Und ich habe mich mitreißen lassen...ich bin so ein Arschloch!“

Dr. Sumner runzelte die Stirn. „Sie hatten Sex? Und dann haben Sie sich von ihr getrennt?“

„Oh Gott, nein!“ rief Dave. „Ich habe uns gebremst, bevor es zu spät war. Aber vorher habe ich mitgemacht. Ich weiß einfach nicht, warum.“

„Okay“, sagte Dr. Sumner. „Das ist eine normale Reaktion. Sie haben selbst gesagt, dass Sie Sandra noch lieben. Und da Sie ja schon seit längerem getrennt leben, kann ich mir vorstellen, dass es schon eine Weile her ist, dass Sie mit ihr intim waren. Sandra hat Sie überrumpelt.“

„Trotzdem war es nicht okay. So was macht man doch nicht.“

Wieder notierte sich Dr. Sumner etwas.

„Jedenfalls sagte Sandra auf einmal etwas wie: Wir werden uns nie mehr trennen. Und da war es dann vorbei. Ich sagte ihr, dass es mir Leid tut und dass das nicht hätte passieren dürfen. Und da wusste sie es dann. Sie schrie, dass sie es nicht hören wollte, ich sollte es nicht aussprechen. Ich versuchte, ihr zu erklären, dass ich es tun müsste, weil ich es Josie nicht zumuten kann, unter solchen Umständen aufzuwachsen. Weil es einfach zu lang dauern wird, bis sie wieder gesund wird. Sie hat übrigens gleich richtig geschlussfolgert, dass Sie eingeweiht sind.“

Dave beobachtete kurz, wie Dr. Sumner erneut den Stift über das Papier flitzen ließ.

„Wie hat sie darauf reagiert?“ fragte sie.

Er erzählte ihr von Sandras Zusammenbruch und davon, wie sie ihn bedrohte, bevor sie sich selbst die Pulsader aufschnitt.

„Schnitt sie sich sofort die Pulsader auf? Oder sagte sie vorher etwas?“

„Oh, sie sagte so einiges. Sie wollte nichts mehr von allem hören. Dann sagte sie, ich solle doch zu Rose gehen und sie...ich zitiere Sandra nur...vögeln. Sie bezeichnete sie als Nutte. Und sie weinte gar nicht mehr. Sie war irgendwie eiskalt.“

„Wie haben Sie reagiert?“ fragte Dr. Sumner, die fleißig mitschrieb.

Dave fragte sich, weshalb sie nicht einfach alles aufnahm.

„Ich wollte ihr nochmal versichern, dass da wirklich nichts ist zwischen Rose und mir. Und ich dachte einen Moment lang, dass sie mir glaubt, doch dann hat sie gerufen: Ich kann nicht. Und dann hat sie es getan.“

Dr. Sumner hatte sich anscheinend alles notiert, das wichtig war.

„Mr. Simmons, ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie leid es mir tut. Ich kann mir vorstellen, dass das alles ein großer Schock für Sie war. Machen Sie sich keine Vorwürfe.“

Dave zuckte hilflos mit den Schultern. „Sie wissen doch, dass ich mir trotzdem welche mache.“

„Natürlich. Aber mit der Zeit wird es leichter. Es ist eine Form der Trauer. Ganz wird sie nie verschwinden, aber irgendwann wird sie erträglich.“

„Ich hoffe es“, sagte Dave.

„Soll ich hier bleiben bis Sandra aufwacht?“ fragte Dr. Sumner plötzlich.

Dave sah sie erstaunt an. „Aber sie wird Sie hassen“, sagte er.

„Sie wird Sie auch hassen, aber ich habe gelernt, mit solchen Situationen umzugehen.“

„Okay. Wenn Sie hier bleiben könnten, wäre ich Ihnen sehr dankbar.“

Dr. Sumner lächelte ihn an. „Gehen Sie nach Hause, duschen Sie erst mal. Und morgen früh können Sie ja vielleicht ein paar Sachen von Sandra herbringen. Bequeme Sachen, Hausschuhe, Unterwäsche, Toilettenartikel. Und natürlich ihre Versicherungskarte.“

„Oh Gott, was sage ich nur Josie?“ fragte Dave.

„Sie müssen es ihr nicht sagen. Sie ist erst fünf Jahre alt. Sie würde es nicht verstehen. Es reicht, wenn Sie ihr erklären, dass ihre Mutter im Krankenhaus ist, weil sie sich verletzt hat.“

Dave nickte. „Gut. Aber was sage ich ihr wegen der Trennung? Sie wird Sandra bestimmt besuchen wollen, aber ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist.“

„Eher nicht. Nun, was können Sie sagen, ohne direkt zu lügen? Sie könnten ihr zunächst mal sagen, dass Sandra hier liegt. Sicher wird Josie wissen wollen, was genau passiert ist. Dann können Sie ihr erklären, dass Sie sich von ihr getrennt haben, weil ich gesagt habe, dass es besser so ist. Und das haben Sie ihr im unpassenden Moment gesagt, als sie gerade beim Kochen ein Messer in der Hand hatte. Vor Schreck hat sie sich geschnitten. Im Grunde lassen Sie dadurch nur die Stellen weg, die nichts für Kinderohren sind.“

Dave fühlte sich schon besser. „Ja, genau das werde ich sagen. Sie sind wirklich ein Genie.“

„Das ist mein Job“, sagte Dr. Sumner lächelnd. „Ich denke, für heute sind wir fertig, Mr. Simmons. Aber wir bleiben in Kontakt wegen Sandra. Und morgen ist es am besten, wenn Sie Sandras Sachen im Schwesternzimmer abgeben. Es sei denn, Sie hören etwas anderen von den Schwestern.“

Sie standen auf und verabschiedeten sich.

 

 

21.: Nachbeben

 

Dave ging etwas wackelig hinaus in den warmen Sommerabend.

Er rief ein Taxi und ließ sich zu Sandras Wohnung bringen.

Er suchte in Sandras Schlafzimmer das Nötigste zusammen, holte auch ein paar Sachen aus dem Bad und suchte dann nach einer Tasche.

Dieser Tag geht wohl nie zu Ende, dachte Dave.

Erst nach einer Viertelstunde fand er im Schlafzimmer einen Rucksack, in den er alles legte.

Eigentlich wollte er gleich danach nach Hause fahren, doch unwillkürlich ging er auf die Küche zu.

Am Boden klebte so viel Blut, dass Dave erstaunt war, dass Sandra noch lebte.

Er seufzte und ging ins Bad, um dort einen Eimer mit heißem Wasser vorzubereiten.

Er fand auch eine Flasche Putzmittel, von der er einen ordentlichen Schluck ins Wasser gab.

Er kehrte ausgerüstet in die Küche zurück und machte sich erst mal daran, den größten Schmutz mit durchnässten Küchentüchern zu entfernen. Der Geruch war unbeschreiblich nach all den Stunden.

Als das meiste weg war, warf er die Tücher in den Müll, dann wischte er den Rest mit dem Putzlappen auf.

Als er fertig war, fühlte er sich schon besser.

Er entsorgte noch das Putzwasser und ging dann, den Rucksack in der Hand, aus der Wohnung.

Als er endlich zu Hause war, war es schon halb acht. Daves Magen machte inzwischen Dschungelgeräusche.

Er duschte sich schnell und zog sich an.

Dabei fragte er sich, warum er nicht weinen konnte.

So wie er sich gerade fühlte, müssten eigentlich wahre Sintfluten aus ihm strömen.

Er vermutete, dass der Schock daran Schuld war.

Endlich war er fertig und er fuhr so schnell es erlaubt war, zu Rose, um Josie abzuholen.

Außerdem musste er endlich etwas essen. Zum Glück stand das Essen bestimmt schon bereit.

Als er ankam, hatte er ein mulmiges Gefühl. Er machte sich Sorgen.

Vor allem um Josie. Er wusste zwar, dass Dr. Sumner recht hatte, aber er fühlte sich trotzdem verlogen, weil er seiner Tochter nicht alles erzählen durfte.

Vor der Haustür holte er dreimal tief Luft, dann klingelte er.

Rose drückte oben auf den Türöffner und ließ ihn herein.

Sie war blass.

„Dave, wie geht es ihr? Und wie geht es dir?“ fragte sie leise, als er in den Flur trat.

„Sie wird wieder. Und mir, naja...es geht so.“

„Komm in die Küche und iss erst mal was, die Mädchen sind beide eingeschlafen. Wenn du willst, kann sie bis morgen hier bleiben.“

„Ja, das wäre nicht schlecht. Ich weiß nicht, ob ich es heute noch schaffen würde, ihr zu sagen, dass ich mich von Sandra getrennt habe und dass sie jetzt im Krankenhaus ist.“

„Oh, Dave, ich kann dir gar nicht sagen, wie leid es mir tut. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie dir jetzt zumute ist“, sagte Rose mitfühlend.

„Das schlimmste ist, dass ich nur noch daran denken kann, was für einen Hunger ich habe.“

Rose hatte ganz vergessen, ihm etwas zu essen zu geben.

„Oh, sorry“, sagte sie. „Ich geb dir erst mal eine ordentliche Portion Nudelauflauf und was zu trinken. Was möchtest du denn?“

Dave dachte kurz nach. „Hast du Wein? Ich könnte heute einen guten Schluck Wein vertragen.“

„Na klar, ich hab bestimmt fünfzig Flaschen da. Du weißt schon, aus dem Seniorenheim.“

Dave lächelte schwach. „Gut, dann einen trockenen roten. Aber keinen Shiraz.“

Rose gab ihm eine große Portion Auflauf, den sie in der Mikrowelle gewärmt hatte.

Dann ging sie ins Wohnzimmer und holte aus einem Schrank eine leicht angestaubte Flasche Zinfandel.

Sie füllte zwei Gläser und setzte sich Dave gegenüber.

Dave hatte den Teller schon fast leer gegessen, obwohl keine fünf Minuten vergangen waren.

„Soll ich dir noch Nachschlag geben?“ fragte Rose.

„Um Gottes Willen, ich glaube wenn ich noch was esse, wird mir schlecht. Du meinst es wirklich gut mit mir.“ Er klopfte sich auf den Bauch und grinste schief.

„Naja, du hast doch selbst gesagt, dass du Hunger hattest.“

„Ich hab mich wohl etwas überschätzt“, sagte Dave.

Er trank einen Schluck. „Der ist gut“, meinte er.

Rose probierte ebenfalls.

Sie saßen einen Moment lang schweigend da, bis Rose fragte: „Willst du darüber reden? Oder willst du erst mal alleine damit fertig werden?“

Sie hatte sich den ganzen Tag lang Sorgen gemacht. Josie hatte sie nichts gesagt, um sie nicht zu beunruhigen. Außerdem hatte sie nicht gewusst, ob es Dave recht war.

Es war Rose schwergefallen, so zu tun, als wäre nichts.

Den ganzen Tag hatte sie sich mit den Mädchen beschäftigt, schon alleine, um sich abzulenken.

Nun saß sie wie auf glühenden Kohlen, doch sie wollte Dave auch nicht bedrängen.

„Naja, ich habe die ganze Story heute schon zwei mal erzählt, beide Male im Krankenhaus. Und beide Male mit Blut an der ganzen Kleidung, einem leeren Magen und einem Schock.“

„Oh, keine Angst, wenn du nicht willst...“, begann Rose, doch Dave unterbrach sie.

„Doch, will ich. Ich wollte nur sagen, dass es jetzt weit angenehmer wird, alles nochmal zu erzählen. Ich habe geduscht, gegessen und ein halbes Glas Wein getrunken. Und außerdem sitze ich hier mit meiner besten Freundin, die besser als die anderen Leute beurteilen kann, wie viel Schuld ich wirklich habe.“

„Ich werde aber nicht über dich urteilen. Du wolltest nie, dass Sandra etwas passiert. Also kannst du auch nicht Schuld sein.“

„Wart's ab“, meinte Dave. „Kann ich noch ein bisschen Wein haben?“

Er leerte sein Glas und Rose schenkte ihm nach.

„Sollen wir vielleicht ins Wohnzimmer gehen?“ fragte Rose.

Dave nickte. Sie schnappten sich ihre Gläser und die Weinflasche und gingen ins Wohnzimmer, wo sie sich auf die Couch setzten.

Dave trank noch einen Schluck, bevor er begann, alles noch mal zu erzählen.

Als er von seiner Reaktion auf Sandras Sofa sprach, wurde er rot.

„Ich dachte immer, ich hätte mich besser unter Kontrolle. Ich meine, es sind doch nur die Arschlöcher, die so was machen. Sandra muss geglaubt haben, dass ich eine Abschiedsnummer schieben wollte.“

Rose antwortete vorsichtig: „Naja, ich weiß nicht, was sie geglaubt hat, aber ich glaube, wenn jemand mir gesagt hätte, was du zu ihr gesagt hast, dann hätte ich gleich geschnallt, dass er Schluss macht. Du hast diese Sachen ja auch nicht gesagt, um sie rum zu kriegen, du wolltest nur auf die nette Art Schluss machen. Sie hat dich überrumpelt. Und wenn du noch etwas für sie fühlst, ist es doch klar, dass du darauf eingegangen bist. Mir ist das auch passiert.“

„Wie meinst du das?“ fragte Dave.

„Nachdem ich mich von Eric getrennt habe, wohnte ich mit Josie noch einige Zeit bei ihm, bis ich einen Job und eine Wohnung hatte. Ich wollte nicht von der Fürsorge leben. Vier mal hat er mich auf überrumpelt, wenn du verstehst was ich meine. Und hinterher dachte er dass er mich zurück erobert hätte. Ich musste ihm jedes Mal erklären, dass sich nichts geändert hatte. Er hatte sich ja schließlich auch nicht geändert. Irgendwann habe ich es dann geschafft, ihn abzuweisen und von da an hat er aufgegeben.“

Sie hatte das nie jemandem erzählt, doch Dave hatte ihr so offen solch intime Dinge anvertraut, dass sie das Gefühl hatte, ebenfalls blank ziehen zu müssen.

Dave fühlte sich ein wenig erleichtert, weil er nicht mehr alleine dastand.

Rose holte noch eine Flasche Wein aus dem Schrank und schenkte nach.

Dave musste sich später ein Taxi bestellen.

Er erzählte weiter, von dem Zusammenbruch und von dem Messer, dass sie zunächst auf ihn gerichtet hatte.

„Oh mein Gott“, meinte Rose, „ich hätte mir in die Hose gemacht.“

Dann gab Dave wieder, was Sandra über Rose und ihn gesagt hatte.

Er kam ins Stocken.

„Es tut mir leid, dass sie dich da mit reingezogen hat.“

Rose schüttelte den Kopf. „Du kannst nichts dafür, sie ist krank.“

„Ja, das ist sie. Ich habe versucht, ihr zu erklären, dass ich es ja jetzt zugeben könnte, wenn da etwas zwischen uns wäre, ich denke sie hätte mir fast geglaubt. Irgendwas hat sie davon abgehalten. Als wäre es ihr lieber gewesen zu sterben, als sich einzugestehen, dass ich die Wahrheit sagte.“

Rose dachte darüber nach. „Vielleicht konnte sie nicht ertragen, dass sie selbst Schuld daran ist“, sagte sie.

„Ja, das kann sein“, meinte Dave. Er gab sich Mühe, nicht zu lallen, deshalb sprach er etwas langsamer als sonst.

Auch Rose war schon leicht angeschlagen, sie vertrug nicht viel Alkohol.

„Als sie sich geschnitten hatte, klappte sie sehr schnell zusammen, ich habe sie aufgefangen und dann sofort die Notrufzentrale angerufen. Danach ging alles sehr schnell, ich habe die Anweisungen ausgeführt, die ich am Telefon bekam, dann traf die Ambulanz ein und Sandra wurde fortgebracht. Dann habe ich dich angerufen, bevor ich mit dem Notarztwagen zum Krankenhaus gebracht wurde. Dort haben mich zwei Polizisten verhört, dann habe ich endlich erfahren, dass Sandra über den Berg war. Und dann musste ich noch warten, bis ihre Therapeutin kam, die auch noch mal alles ganz genau wissen wollte. Anschließend war ich in Sandras Wohnung, um ein paar Sachen für sie zusammen zu packen. Ich habe auch das Blut aufgewischt...“ er brach ab.

Die Tränen kamen für Dave ebenso überraschend wie für Rose.

Im ersten Moment wusste Rose nicht, wie sie reagieren sollte.

Sie konnte sich nicht erinnern, jemals einen Mann weinen gesehen zu haben.

Ihr Vater hatte seinen Bruder verloren und sie hatte ihn nie weinen sehen. Obwohl er sehr trauerte.

Auch Eric hatte nie vor ihr geweint.

Deshalb tat sie das, was sie auch bei einer Frau getan hätte: sie streichelte ihm beruhigend über den Rücken und ließ ihn weinen.

Dave beugte sich nach vorn, so dass Rose sein Gesicht nicht sehen konnte.

„Ich habe das nicht gewollt“, sagte er und er hörte sich dabei so verzweifelt an, dass Rose ihn fest umarmte.

„Natürlich nicht. Du kannst nichts dafür. Du konntest nicht wissen, dass es so schlimm werden würde.“

Dave weinte haltlos, während seine Hände sich fest um Roses Rücken schlangen.

„Sch, sch“, beruhigte sie ihn. Sie ließ ihn los und wischte ihm die Tränen vom Gesicht.

„Du hast alles getan, was du konntest. Den Rest muss ihre Therapeutin machen“, sagte sie leise.

„Ich weiß“, flüsterte er. Wieder liefen ihm Tränen die Wange hinunter.

Rose ertrug seine Tränen nicht. Sie sah Dave leiden und wusste, dass sie ihm nicht helfen konnte.

Sie umarmte ihn wieder und küsste ihm die Tränen von den Wangen. Sie dachte nicht darüber nach, es war einfach etwas, das sie tun musste.

Ganz ohne ihr Zutun fanden sich ihre Lippen plötzlich auf seinen wieder. Dave hatte ihr den Kopf zugedreht und küsste sie wie ein Ertrinkender.

Rose schlang die Arme um ihn, sie dachte nicht mehr daran, ob es richtig oder falsch war, wichtig war nur, dass es sich richtig anfühlte, jetzt und hier.

Sie küssten sich nicht zärtlich und vorsichtig, sondern leidenschaftlich und fordernd.

Dave hatte noch nie ein so verzweifeltes Verlangen nach einer Frau gehabt, er musste sie haben, sofort.

Fast ungeduldig zog er Rose das T-Shirt und den BH über den Kopf, sie landeten auf dem Boden.

Rose half ihm aus seinem eigenen Shirt.

Sie pressten ihre nackten Oberkörper aneinander und küssten sich wieder.

Als Daves Lippen zu ihren Brüsten hinunterglitten, stöhnte Rose.

Schnell zog er ihr die Shorts herunter, dann öffnete er seine Hose und stieg elegant aus ihr heraus.

Eine kleine Ewigkeit verwendeten sie darauf, gegenseitig ihre Körper zu erforschen.

Rose fuhr mit den Lippen über Daves Hals und seine Brust, während ihre Hände ganz von allein immer tiefer wanderten.

Dave atmete schwer und als seine Hand zu Roses intimster Stelle glitt, konnte er fühlen, dass sie bereit für ihn war.

Rose erschauerte, als er in sie eindrang und sie konnte ein leises Stöhnen nicht unterdrücken.

Sie bog sich ihm entgegen, schnell fanden sie zu einem gemeinsamen Rhythmus.

Dave stöhnte und Rose verschloss ihm den Mund mit ihrem, ihre Fingernägel kratzten leicht über seinen Rücken und sie schlang die Beine um seine Hüften, um ihn noch tiefer in sich zu spüren.

Alles Denken war ausgelöscht.

Schnell erreichte sie den Höhepunkt und ließ sich von den Wellen, die sie durchfluteten, davontragen.

Dave fühlte, wie Rose unter ihm erzitterte und er hörte den kleinen Schrei, der ihren Orgasmus begleitete.

Immer schneller bewegte er sich in ihr, bis endlich auch er zum Höhepunkt kam.

Er stöhnte laut auf und ließ dann langsam seine Bewegungen ausklingen.

 

Sie lagen ganz still da, immer noch vereint, langsam ließen sie die Wirklichkeit wieder einkehren.

Dave glitt langsam von Rose herunter und legte sich neben sie.

Ihre Hände waren miteinander verschlungen.

Dave räusperte sich. „Rose“, sagte er, er klang ein wenig erstaunt.

„Ja?“

„Was zum Teufel haben wir da gemacht?“

„Ich habe keine Ahnung“, antwortete Rose.

„Wie konnte das passieren?“ Dave klang immer noch, als könnte er es nicht glauben.

„Ich glaube, wir haben nur einen Moment nicht aufgepasst“, meinte Rose.

„Scheiße“, sagte Dave. „Ich bin so ein ein Arschloch!“

„Wegen Sandra?“ fragte Rose schuldbewusst.

„Ja. Nein. Auch.“ Dave holte tief Luft. „Auch wegen dir. Wegen allem.“

Rose drehte sich zu ihm. Dave sah sie nur kurz an.

„Du brauchst dir wegen mir keine Sorgen zu machen“, sagte sie.

„Aber...“, begann Dave, doch Rose schnitt ihm energisch das Wort ab.

„Kein Aber. Ich hab genauso viel Schuld daran wie du. Du hast so viel durchgemacht heute, du warst durcheinander. Und wir haben getrunken. Es ist einfach passiert. Ich will nur nicht, dass es jetzt irgendwie komisch wird zwischen uns. Das ist das einzige, worüber ich mir Sorgen mache.“

„Ja, das ist auch so eine Sache. Ich meine, es wird komisch. Wir sind doch eigentlich beste Freunde. Was machen wir denn jetzt?“

Rose überlegte, bevor sie sagte: „Wir bleiben beste Freunde. Du wirst dich wohl kaum von einer Beziehung in die nächste stürzen wollen. Ich bin auch gerade erst dabei, mir ein neues Leben aufzubauen und eine Affäre ist nicht mein Ding. Das von heute Nacht wird sich nicht wiederholen.“

„Hmm...“, meinte Dave. „Ich glaube, wir haben da aber ein kleines Problem.“

„Und das wäre?“

„Dass ich im Moment eigentlich schon Lust hätte, das nochmal zu wiederholen.“

Rose grinste, als sie sagte: „Ich habe gehofft, dass du das sagst.“

Sie beugte sich über ihn und küsste ihn leicht auf den Mund.

Diesmal waren sie zärtlicher, geduldiger.

Sie sahen sich oft in die Augen und küssten sich ganz sanft.

Als Rose sich auf ihn setzte und er langsam in sie eindrang, vergaßen sie die Welt um sie herum.

Es war alles nur noch ein gegenseitiges Geben, Geben, Geben.

 

Sie waren beide leicht eingenickt, eng aneinander gekuschelt auf der engen Couch.

Als Dave sich bewegte, wachte Rose auf. Sie sah auf die Uhr.

Es war halb vier.

„Dave“, sagte sie.

Schläfrig antwortete er: „Ja? Was ist denn?“

„Es ist halb vier, wenn wir jetzt fest einschlafen finden uns die Kinder so vor.“

„Bin schon wach“, murmelte Dave.

Ganz automatisch setzte er sich auf und schwang die Füße auf den Boden.

Rose erhob sich ebenfalls. Eine leichte Wolldecke verbarg ihre Nacktheit.

„Soll ich dir noch einen Kaffee machen?“

Dave, der sich gerade seine Hosen hochzog, nickte. „Ja, das wäre gut.“

Sie ging in die Küche und machte ihm schnell den Kaffee.

Dave war inzwischen fertig angezogen und kam langsam in die Küche geschlurft.

Er wusste nicht recht, was er tun sollte, ob er sie noch einmal küssen sollte oder lieber nicht, ob er sich bei ihr für die Nacht bedanken sollte oder nicht, er war sich plötzlich mit allem sehr unsicher.

Rose hingegen benahm sich so, wie sie sich auch vorher verhalten hätte.

„Wann kommst du morgen her?“ fragte sie ihn ganz beiläufig.

Er räusperte sich. „Ich weiß nicht so genau.“

„Okay. Also, es reicht völlig, wenn du so gegen elf hier bist. Du musst ja auch noch ins Krankenhaus, oder?“

Dave zuckte zusammen. „Oh Gott, das hatte ich voll vergessen. Naja, ich glaube ja kaum, dass Sandra mich sehen will.“

„Wie gesagt, du kannst dir ruhig Zeit lassen.“

„Was ist denn mit den Pflanzen? Sollen wir das morgen machen?“ fragte Dave.

Rose war klar, dass Dave nicht nur wissen wollte, ob sie zu ihrem Wort stand, was die Pflanzen anging. Er wollte auch wissen, ob sie zu ihrem Wort stand, was ihre Freundschaft betraf.

„Ja klar“, sagte sie. „Gerne. Wollt ihr vielleicht mittags mit uns essen, bevor wir losfahren? Ich wollte morgen Koteletts machen.“

Dave nickte. „Ja, das klingt gut.“

Er trank seinen Kaffee etwas zu hastig und verbrannte sich die Zunge.

Doch es war schon beinahe vier Uhr und er wollte in sein Bett, es war ein viel zu langer Tag gewesen und in der Nacht hatte er ja auch nicht allzu viel Schlaf abbekommen.

Er schlürfte weiter seinen Kaffee, während Rose sich schnell im Bad anzog.

Als sie wieder heraus kam, war er mit seinem Kaffee fertig.

Er stand auf. „So, ich werde dann mal langsam fahren. Wir sehen uns morgen.“

„Ja, wir sehen uns morgen.“ Rose begleitete ihn zur Tür.

Unschlüssig stand Dave einen Moment lang da, dann sagte er: „Gute Nacht.“

Er ging raus und Rose schloss die Tür hinter ihm ab.

Sie brachte schnell das Wohnzimmer einigermaßen in Ordnung und legte sich dann hin.

Sie hatte schon befürchtet, sie könne nicht einschlafen, doch sie war so müde, dass sie schon nach wenigen Minuten die Augen schloss.

Dave hingegen lag noch lange wach. Es war bereits heller Morgen, als er endlich Schlaf fand.

Doch selbst im Traum hatte er keine Ruhe.

Mal träumte er von der blutüberströmten Sandra, mal von der nackten Rose.

Und manchmal vermischten sich die Bilder, so dass sich Dave unruhig hin und her warf.

 

 

22.: Erklärungen

 

Dave wartete auf die Stationsschwester. Den Rucksack mit Sandras Sachen hielt er fest umklammert. Er war blass, was aber nicht nur auf den fehlenden Schlaf zurückzuführen war.

In seinem Inneren tobte ein Zwiespalt.

Einerseits wusste er, dass er sich nichts vorzuwerfen hatte, er hatte Sandra nicht belogen, was Rose anging.

Andererseits hatte er das Gefühl, sie sozusagen rückwirkend betrogen zu haben.

Er hatte ja wirklich keine Zeit verloren.

Dave konnte sich immer noch nicht erklären, wie das mit Rose hatte passieren können.

Natürlich war sie eine attraktive Frau und er hatte sie sehr gern, doch er hatte sich eine Nacht wie die, die hinter ihm lag, niemals vorgestellt. Nicht einmal ansatzweise.

Er hatte ja schon ein schlechtes Gewissen, wenn er ihren Hintern bemerkte.

Und er war sich ziemlich sicher, dass Rose ebenso überrascht war wie er selbst.

Wie es ihr wohl geht? Hoffentlich wird es später nicht zu unangenehm, dachte er.

Als er die Schwester kommen sah, riss er sich zusammen.

„Guten Morgen“, begrüßte sie Dave.

„Guten Morgen“, antwortete er. „Mein Name ist Dave Simmons. Ich habe hier ein paar Sachen für meine Frau Sandra.“

Die Schwester, die laut ihres Namensschildchens Maureen hieß, lächelte ihn an.

„Ja, Sandra Simmons. Sie liegt auf Zimmer Drei-Null-Vier. Möchten Sie zu ihr?“

Dave fragte vorsichtig: „Darf sie denn Besuch empfangen?“

Schwester Maureen sah ihn verblüfft an. „Sie darf natürlich. Ich könnte allerdings nachsehen, ob es eine Notiz gibt. Ich habe erst vorhin meine Schicht angefangen.“

Sie ging an den Schreibtisch, auf dem die Patientenakten und Unmengen von Formularen lagen.

Nach kurzem Suchen fand sie etwas.

Sie sah Dave an. „Tatsächlich. Sie möchte niemanden sehen.“

„Ja, das dachte ich mir. Kann ich Ihnen die Sachen geben?“

„Ja, ich bringe sie in ihr Zimmer. Soll ich ihr irgend etwas ausrichten?“ fragte Schwester Maureen.

„Nein. Sagen Sie ihr nichts. Sie würde sich doch nur aufregen.“

Dave bedankte sich für die Hilfe und verließ zwei Minuten später das Krankenhaus.

Er fuhr nicht direkt zu Rose.

Er hatte jetzt den ersten Punkt auf seiner heutigen To-Do-Liste unbeschadet überstanden, für den nächsten musste er erst sämtliche Kräfte sammeln.

Also steuerte Dave erst mal den nächstbesten Imbiss an, der Frühstück anbot.

Er setzte sich an einen kleinen Tisch, trank Kaffee und Orangensaft und verspeiste ein Omelett mit Schinken und Käse.

Er aß automatisch, während sein Kopf mit anderen Dingen beschäftigt war.

Seine Gedanken gingen immer wieder im Kreis.

Er dachte darüber nach, wie er sich Rose gegenüber verhalten sollte.

Er hoffte nur, dass Josie und Melissa nicht bemerkten, dass etwas anders war.

Dann schweiften seine Gedanken ab zu dem Gespräch, dass er noch mit Josie führen musste.

Dave war sich nicht sicher, ob er es Josie so erklären konnte, wie Dr. Sumner es vorgeschlagen hatte.

Unweigerlich spielte sich dann der vergangene Tag noch einmal vor seinem geistigen Auge ab und er dachte wieder an seine Nacht mit Rose.

Sofort kam ihm wieder die Frage in den Sinn, wie er sich Rose gegenüber verhalten sollte...

Als seine Teller leer waren, zahlte er und ging dann ein Weilchen durch die Stadt.

Die Geschäfte in diesem Teil der Stadt hatten sonntags fast alle geschlossen, Dave begutachtete die Auslagen in den Schaufenstern.

Langsam ging er die Straße entlang und schaute dabei immer wieder auf die Uhr. Es war noch früh.

Als die Straße langsam in bewohntes Gebiet mündete, kehrte Dave um und ging zu seinem Wagen.

Wozu das Unvermeidbare unnötig hinauszögern?

 

Rose war ebenfalls früh aufgestanden und hatte gleich geduscht.

Sie war ein wenig nervös, doch nicht so sehr, wie sie befürchtet hatte.

Früher hätte es ihr nichts ausgemacht, mit einem guten Freund ins Bett zu gehen.

Fast ein wenig wehmütig dachte Rose an die Zeit zurück, als Sex noch Sex war, ohne alles zu verkomplizieren.

Natürlich war alles anders, sobald man nicht mehr nur vor sich selbst gerade stehen musste sondern auch vor seinem Kind.

Um acht Uhr wurden die beiden Mädchen wach.

Rose machte ihnen Frühstück.

„Wann holt mein Daddy mich denn ab?“ fragte Josie.

„Ich weiß nicht genau“, antwortete Rose. „Aber bis es Mittagessen gibt, wird er da sein. Wir fahren doch später zusammen zum Haus wegen der Blumen.“

Josies Augen leuchteten auf. „Oh, toll. Dann kann ich mit Melli im Garten spielen.“

Auch Melissa freute sich. „Wir können uns mein neues Zimmer ansehen und uns ausdenken, wie es wird wenn es fertig ist.“

„Ja, wir werden bestimmt lange genug dort sein, das könnt ihr gerne alles machen. Und jetzt überlegen wir uns erst mal gemeinsam, was wir nach dem Anziehen machen können.“

Rose hörte sich an, was die beiden Mädchen machen wollten und sagte dann:

„Okay, ihr könnt zuerst mit den Fingerfarben malen und danach könnt ihr euch ein Spiel aussuchen oder ein Puzzle machen.“

Alle Parteien waren einverstanden und die Mädchen gingen zusammen ins Bad, während Rose die Küche aufräumte.

Dann legte sie alles bereit, was sie brauchten.

Sie legte auch ein paar alte T-Shirts hin, die die Kinder überziehen sollten, für den Fall dass sie sich dreckig machten.

Das Telefon klingelte. Es war Brenda.

„Hi, Rose, sag mal, wann wolltest du denn am Haus sein? Wegen der Schlüsselübergabe, meine ich.“

„Oh, ich weiß nicht so genau. Ich habe Josie bei mir, Dave kommt später her und wir wollten dann zusammen hinfahren. Du wolltest doch morgens noch was rausholen, oder?“

„Ja, deshalb rufe ich an. Wir sind doch schon fertig. Wenn du willst, können wir dir den Schlüssel schnell vorbei bringen.“

„Wenn es dir keine Umstände macht, sonst kann ich den Schlüssel auch holen“, antwortete Rose.

„Nein, das ist okay. Wir sind sowieso in der Gegend. Wir sind dann so in zehn Minuten da.“

Sie legten auf.

Rose schaltete schon mal die Kaffeemaschine ein.

Melissa und Josie waren damit beschäftigt, eine Unterwasserlandschaft zu malen.

Als es klingelte, waren nicht mal fünf Minuten vergangen.

„Hi, tut uns leid, dass wir dich so überfallen“, begrüßte Donnie sie.

„Ach, ihr seid doch jederzeit willkommen“, meinte Rose lächelnd.

Brenda trat ein und musterte Rose prüfend. „Na, du hast aber nicht besonders viel geschlafen, was?“ meinte sie.

„Sehe ich so schlimm aus?“ fragte Rose. „Es wurde tatsächlich sehr spät gestern Abend.“

Donnie sah sie an. „War Dave noch hier nachdem er bei Sandra war?“

Rose nickte. „Es ist etwas passiert.“ Sie dämpfte die Stimme, damit die Kinder sie nicht hörten.

„Sandra hat sich die Pulsader aufgeschnitten, weil Dave sich von ihr getrennt hat. Aber das muss er euch selbst erzählen. Josie weiß noch nichts davon.“

„Oh mein Gott“, entfuhr es Brenda.

Donnie sagte: „Oh, Mann! Das ist hart. Ist sie...?“

Rose schüttelte den Kopf. „Oh Gott, nein. Dave war dabei und hat erste Hilfe geleistet und den Notarzt gerufen.“

„Kommt Dave gleich her?“ fragte Brenda.

„Ich weiß nicht, wann er herkommt. Er muss noch im Krankenhaus ein paar Sachen für Sandra abgeben. Es kommt wohl darauf an, ob sie mit ihm sprechen will.“

Insgeheim hoffte Rose, dass sie das nicht wollte. Sie wusste nicht, ob Dave ihr verheimlichen konnte, was in der Nacht zwischen ihnen passiert war.

„Wollt ihr einen Kaffee?“ fragte sie.

„Also, du musst jetzt nicht extra Kaffee kochen.“

„Das geht ganz schnell. Setzt euch doch ins Wohnzimmer und ich komme gleich.“

Sie bugsierte Donnie und Brenda nach nebenan und ging dann in die Küche, um den Kaffee zu machen.

„Kinder, geht mal ins Wohnzimmer und sagt Donnie und Brenda guten Tag“, sagte sie.

Mit einem Blick auf die beiden fügte sie hinzu: „Aber zieht erst die Kittel aus und wascht euch die Hände.“

Während der Kaffee in die Tassen lief, betrachtete sie die Bilder der beiden Mädchen.

Josie hatte das Meer gemalt, mit einer großen Sandburg davor. Daneben standen vier Gestalten, die wohl Dave, sie, Melissa und Josie darstellen sollten.

Melissa hatte ein Haus gemalt, daneben einen Garten, in dem ebenfalls vier Menschen standen.

Rose lächelte, als sie die Katze entdeckte, die Melissa in eine Ecke gemalt hatte.

Der Kaffee war fertig und Rose stellte die Tassen auf ihr Tablett, auf dem bereits Zucker und Milch bereit lagen.

Donnie und Brenda sahen sich gerade ein paar Fotografien an, die an der Wand hingen.

„So, da bin ich schon“, rief Rose schon an der Tür.

Sie stellte das Tablett ab und alle drei setzten sich auf die Couch.

„Also, deine Wohnung ist ja wirklich süß“, meinte Brenda.

Rose lächelte. „Ja, süß ist genau der richtige Ausdruck. Mit einem Zimmer mehr wäre sie auch vollkommen okay. Aber hier auf der Couch zu schlafen ist eben doch manchmal unbequem.“

Donnie grinste. „Na, das ist ja jetzt bald vorbei.“

Er holte den Schlüsselbund für das Haus aus der Brusttasche seines leichten Sommerjacketts und überreichte ihn Rose.

„Oh, danke! Ich kann es kaum erwarten, anzufangen!“ freute sie sich.

„Hast du schon angefangen, zu packen?“ fragte Brenda.

„Nein, noch nicht wirklich. Ich habe aber schon Kartons organisiert. Ich bin wirklich froh, dass ich das Auto habe. Da geht jede Menge rein.“

„Ja, so ein großes Auto ist schon praktisch. Hat Dave schon was gesagt wegen der Pflanzen?“

„Ja“, sagte Rose leichthin, „heute Nachmittag fahren wir zusammen zum Haus und Dave sucht sich von den Topfpflanzen alle aus, die er will und dann berät er mich noch mit dem Garten.“

„Er braucht jetzt Beschäftigung, das ist typisch für ihn“, meinte Donnie.

Brenda grinste. „Na, dann kann er sich ja mit Rose austoben.“

Rose errötete heftig.

Brenda dachte wohl, sie habe sie schockiert, deshalb sagte sie schnell: „Ich meine wegen deinem Umzug.“

„Ja, ich weiß.“

Sie tranken ihren Kaffee und Donnie sah auf die Uhr.

„Oh, so langsam müssen wir gehen. Wir holen jetzt die Jungs bei Brendas Eltern ab und dann fahren wir zum Zoo.“

„Oh, toll. Das haben wir auch noch vor, solange Ferien sind“, meinte Rose.

Donnie und Brenda brachen auf und Rose verabschiedete sich von ihnen an der Tür.

Als die beiden weg waren, atmete Rose tief durch.

Sie war froh, dass sie gegangen waren, bevor Dave auftauchte.

Es würde auch so schon seltsam genug werden, sich ganz normal zu verhalten.

Sie straffte die Schultern. Es brachte ihr jetzt nichts, nervös zu werden.

Sie hatten es sich versprochen, Freunde zu bleiben und nun mussten sie ihr Versprechen einlösen.

Dass es anfangs etwas seltsam war, mussten sie eben einfach ignorieren.

„Dürfen wir einen Film ansehen?“ fragte Melissa plötzlich neben ihr.

Rose sah sie einen Moment lang an, als habe sie die Frage nicht verstanden.

Dann sagte sie: „Ja, setzt euch auf die Couch, ich mache euch einen an.“

Die beiden Mädchen sahen sich einen Film mit Tinkerbell an, während Rose das Essen vorbereitete.

Als die Kartoffeln zusammen mit dem Gemüse im Ofen vor sich hin schmorten und das Fett in der Pfanne gerade heiß war, klingelte es.

Rose stellte die Pfanne zur Seite und ging, um die Tür zu öffnen.

„Hey, komm rein, ich bin gerade beim Kochen“, begrüßte sie Dave so locker sie konnte.

„Hi. Das trifft sich gut, ich habe nämlich Hunger“, antwortete er, als er eintrat.

„Daddy!“ rief Josie und rannte auf ihn zu. „Ich hab dich vermisst!“

„Na, was glaubst du wohl, wie ich dich erst vermisst habe?“

Dave schloss seine Tochter fest in die Arme und hob sie hoch.

„Warst du so lange bei Mommy?“ fragte die Kleine.

„Ich war gestern ganz lange bei ihr und weil es so spät war, habe ich dich hier schlafen lassen.“

Er sah Rose fragend an, doch die schüttelte den Kopf. Sie hatte Josie noch nichts über Sandra gesagt.

„Weißt du, Josie, wir setzen uns mal zusammen ins Wohnzimmer. Ich muss dir was sagen.“

„Hab ich was angestellt?“ fragte Josie sofort.

Dave lachte. „Nein, mein Schatz. Keine Angst.“

Rose ging wieder in die Küche, um das Essen fertig zu machen.

„Mel, willst du mir helfen?“ fragte sie.

„Ich wollte noch den Film ansehen“, protestierte Melissa.

„Lass Dave mal mit Josie allein, Schatz. Sie haben sich vermisst.“

„Na gut“, fügte sie sich und folgte ihrer Mutter in die Küche.

Dave hatte sich inzwischen mit Josie auf die Couch gesetzt.

Er wusste nicht, wie er anfangen sollte.

Da sagte Josie plötzlich: „Na, spuck's aus, Daddy. Was ist los?“

Dave war so verblüfft, dass er fast gelacht hätte.

Er biss sich auf die Lippe und sagte dann: „Na gut. Josie, du bist schon ein großes Mädchen und ich denke, du verstehst, was ich dir zu sagen habe. Du weißt, dass deine Mutter sich nicht immer so verhält, wie es richtig wäre. Dir gegenüber noch mehr als mir gegenüber. Sie wird sehr lange brauchen, um zu lernen, wie sie es anders machen kann. Deshalb musste ich eine Entscheidung treffen. Ich habe deiner Mutter gesagt, dass ich mich von ihr trennen muss, damit es ihr und uns besser geht.“

Er wartete Josies Reaktion ab, bevor er ihr auch noch sagte, was danach passiert war.

„Was bedeutet das, Daddy? Ist sie jetzt nicht mehr meine Mutter?“

Dave legte seinen Arm um sie.

„Doch, natürlich bleibt sie deine Mutter. Aber sie wird nicht mehr meine Frau sein und wir werden nicht mehr zusammen leben. Du bleibst bei mir und wir finden eine Lösung, damit du deine Mutter trotzdem sehen kannst, wenn ihr beide das wollt.“

Josie dachte einen Moment darüber nach. „Okay. Also wird es gar nicht anders als jetzt, nur dass ihr nicht mehr verheiratet seid.“

Dave lächelte ihr zu. „Ja, genau. Was denkst du darüber?“

„Ich weiß nicht. Melissa sieht ihren Daddy nie.“

„Weißt du, Melissas Daddy ist ein Einzelfall. Es gibt viele Eltern, die sich scheiden lassen und bei den meisten sehen die Kinder den, bei dem sie nicht wohnen, regelmäßig.“

„So wie bei Chad aus dem Kindergarten. Der wohnt bei seiner Mommy und seinen Daddy sieht er so oft er will und er darf auch bei ihm schlafen. Darf ich dann auch bei Mommy schlafen?“ fragte Josie.

„Ja, das darfst du bestimmt. Aber ich muss dir noch was erzählen. Erst mal kannst du Mommy nicht besuchen.“

„Warum?“

„Mommy ist im Krankenhaus, sie hatte einen kleinen Unfall.“

„Und warum können wir sie nicht im Krankenhaus besuchen?“ fragte Josie.

„Ihre Ärztin hat gesagt, dass es besser ist. Als ich ihr gesagt habe, dass ich mich von ihr trenne, hat sie sich erschrocken und hat sich mit dem Messer geschnitten. Sie wollte es gerade spülen. Und weil sie sich ganz tief geschnitten hat, musste sie ins Krankenhaus.“

„Daddy, warum hast du nicht gewartet, bis sie fertig war mit Spülen?“ fragte Josie vorwurfsvoll.

„Ja, das hat mich die Ärztin auch gefragt. Ich hab nicht daran gedacht. Und jetzt ist deine Mutter wütend auf mich, weil sie sich wegen mir geschnitten hat. Deshalb können wir sie nicht besuchen.“

„Na gut. Aber wenn es ihr besser geht besuche ich sie“, meinte die Kleine.

„Abgemacht. Und jetzt wollen wir mal sehen, wie weit Rose mit dem Essen ist.“

Sie gingen in die Küche, wo der Tisch bereits gedeckt war. Eben stellte Rose eine Schüssel mit Salat auf den Tisch.

„Ah, ihr kommt ja schon. Ist alles klar?“ fragte sie.

Dave nickte. „Ja. Wir haben alles geklärt. Wie es aussieht, kommen wir gerade rechtzeitig.“

Sie setzten sich an den Tisch und aßen.

 

 

23.: Freundliche Nachbarn

 

Der Tag war extrem heiß geworden. Dave hatte am Morgen einen Pullover angezogen und kam nun langsam ins Schwitzen.

Er stand mit Rose und den beiden Mädchen in Roses Garten.

Sein Blick schweifte langsam über die Blumen, die im Vordergrund vor den Büschen standen.

So langsam entspannte er sich. Als Josie so vernünftig reagierte, war ihm ein ganzes Gebirge vom Herzen gefallen.

Und auch die Sache mit Rose lief ganz gut.

Sie waren zwar etwas vorsichtig im Umgang miteinander, doch das würde sich bestimmt bald wieder geben.

„Weißt du was? Helen war ein verdammtes Genie was Pflanzen angeht.“

„Ja, das sehe ich. Aber wie soll ich denn diesen Garten pflegen? Wie du siehst bin ich darin alles andere als ein Genie.“

Rose sah sich Stirn runzelnd um. Sie wusste von den meisten Blumen und Büschen nicht einmal den Namen.

„Oh, das wird einfacher als du denkst. Helen hat nämlich mit System gepflanzt.“

„Mit System?“
Dave deutete auf mehrere Punkte in der Botanik.

„Siehst du das? Das ist ein Bewässerungssystem. Du musst es zwar selbst ein- und ausschalten, aber sonst musst du dich um fast nichts kümmern.“

Rose starrte auf die kleinen dunklen Punkte, die wie zufällig verteilt waren. Rasensprenger.

„Okay, die sind mir nicht aufgefallen. Und woher weiß ich, wann ich welche Pflanzen gießen muss?“

„Das ist auch ganz einfach. Zum Haus hin brauchen sie immer mehr Wasser. Das heißt das du die Hähne für die vordersten Reihen am besten täglich aufdrehst. Gegen Abend oder früh morgens. Und die hintersten brauchst du eigentlich kaum mal gießen, denen langt der Regen, den sie kriegen. Und alle paar Tage die dazwischen. Wir können ja mal gleich sehen, welcher Hahn was betätigt.“

Sie suchten alle nach den Wasseranschlüssen. Melissa fand sie.

Jeder drehte nach und nach einen Hahn auf und die Mädchen hatten einen Heidenspaß daran, zwischen den Wasserfontänen hin und her zu springen.

„Mommy, wir können doch noch hier draußen spielen, oder?“ fragte Melissa.

Und Josie meinte: „Außerdem sind wir ganz nass. Da machen wir ja drinnen alles dreckig.“

Rose sah von einer zur anderen, dann sah sie kurz zu Dave rüber.

Sie wusste nicht genau, ob es ihm unangenehm sein würde, mit ihr allein im Haus zu sein.

Doch da er nichts einzuwenden hatte, zuckte sie mit den Schultern.

„Na gut, von mir aus. Aber macht euch nicht zu nass, ihr müsst später noch ins Auto.“

Dave stellte die Hähne für die hinteren Reihen ab.

„Na dann, schauen wir uns mal an, was hinter Tür Nummer Drei auf uns wartet“, sagte er.

Rose nahm den Schlüsselbund und probierte einen Schlüssel nach dem anderen am Schloss aus. Der vierte passte und sie zog die Tür schwungvoll auf.

Brenda hatte anscheinend noch mal geputzt, alles war sauber und wartete nur darauf, von Rose in Beschlag genommen zu werden.

Alle persönlichen Dinge Helens waren fort.

Rose durchquerte die Küche und ging ins Wohnzimmer, wo immer noch sehr viele Blumen und Grünpflanzen auf ihre neuen Besitzer warteten.

„Sieh dir das an“, sagte sie zu Dave, der hinter ihr stand. „Und Brenda hat ja auch schon einige genommen oder an Freunde weitergegeben.“

„Ja, da werde ich auf jeden Fall fündig. Ich überlege schon, wo ich noch Platz für einen Topf habe.

„Soll ich schon mal die Kisten holen? Die liegen noch draußen auf der Veranda“, meinte Rose.

Sie hatten ein paar Klappkörbe und Kisten mitgebracht, in denen die Pflanzen transportiert werden sollten.

„Ja, das kannst du machen. Ich schau mir inzwischen die Sache mal näher an.“

Rose ging hinaus. Dave stand da, die Hände in die Hüften gestemmt, und betrachtete die farbenfrohen Blumen, die er vor sich hatte.

Er begann, Topf für Topf von seinem Platz zu nehmen. Er wählte all die Pflanzen, die sehr oft gegossen werden mussten und die man mit spezieller Erde oder Düngern pflegen musste.

Rose war zurück und sagte: „Oh, gut. Du hast schon angefangen. Dann kann ich die hier ja schon einpacken.“

„Was ist mit den Kletterpflanzen?“ fragte Dave.

„Oh, die sind eigentlich hübsch. Sind die denn pflegeleicht?“

Dave deutete auf eine, die ihre zarten Ranken um eine geschnitzte Säule wand.

„Die braucht oft Wasser, aber die anderen beiden kannst du immer erst dann gießen, wenn die Erde wieder ziemlich trocken ist. Sonst faulen die Wurzeln.“

„Okay. Ich denke, das kann ich mir merken. Wenn nicht, schreibe ich mir bei Gelegenheit mal alles auf.“

Sie arbeiteten schweigend weiter. Dave wählte aus und Rose packte ein.

Nach wenigen Minuten sagte Rose: „Die Kisten sind alle voll.“

Sie sahen sich um. Es waren sicher noch dreißig kleinere Töpfe und fünf große, in einem war ein Gummibaum, der riesige Ausmaße entwickelt hatte und eine Zimmerpalme, die bis unter die Decke reichte.

„Meinst du, du wirst damit fertig? Das System ist ähnlich wie draußen. Vom Eingang zur Küche hin muss man öfter gießen. Und alle Pflanzen haben den richtigen Platz.“

„Okay, ich werd's auf jeden Fall versuchen.“

Plötzlich sagte Dave, ohne Rose anzusehen: „Weißt du, Sandra wollte mich natürlich nicht sehen, als ich heute Morgen im Krankenhaus war. Und ich war wirklich erleichtert darüber. Du weißt schon...wegen letzter Nacht.“

Roses Herz hatte einen Schlag lang ausgesetzt, wie um Anlauf zu nehmen für den Sprint, den es gleich darauf hinlegte.

„Ja, ich weiß“, sagte sie schließlich leise.

„Ich bin froh, dass wir trotzdem Freunde bleiben.“ Immer noch stand Dave mit dem Rücken zu ihr.

„Ja, das bin ich auch.“

Sie schwiegen beide. Schließlich drehte sich Dave zu ihr um.

Zu Roses Überraschung grinste er.

„Aber ein bisschen komisch ist es doch, oder?“ fragte er.

Rose grinste nun ebenfalls. „Ja, ich glaube du hast Recht.“

„Sollen wir die Kisten ins Auto bringen?“ fragte Dave.

„Okay. Schaffen wir sie erst mal vor die Tür.“

Sie nahmen gemeinsam die erste Kiste, die am schwersten war und trugen sie gemeinsam vor die Haustür.

Als sie die zweite Kiste raus trugen, stand eine alte Frau am Zaun und schaute ihnen zu.

„Guten Tag“, grüßte Rose höflich. Dave nickte ihr zu.

Die Frau sagte ebenfalls „Guten Tag.“

Da sie nichts weiter sagte, gingen Dave und Rose wieder rein, um die nächste Kiste zu holen.

Die Frau stand immer noch da.

„Sagen Sie mal, was machen Sie denn eigentlich mit Helens Blumen?“ fragte sie.

Rose ging zum Zaun und sagte: „Ich bin die neue Mieterin. Rose Elliott.“

Sie streckte ihr die Hand hin.

Fast widerwillig gab ihr die alte Frau die Hand.

„Margret Henderson. Ich wohne gegenüber. Und wo schaffen sie die Blumen jetzt hin? Auf die Deponie?“ sie klang richtig anklagend.

„Oh, nein. Natürlich nicht. Aber es waren einfach zu viele und ich bin noch nicht sehr erfahren. Deshalb hat mein Freund hier“, sie deutete auf Dave, „sich angeboten, die zu übernehmen, an die ich mich nicht ran traue. Brenda hat ja auch einige mitgenommen.“

Mrs. Henderson sah sie skeptisch an. „Und er kennt sich aus, ja? Naja. Und was ist mit dem Garten? Nicht, dass der jetzt verkommt.“

Dave war inzwischen zu ihnen getreten.

„Wir haben Helens Bewässerungssystem entdeckt. Und ich werde Rose natürlich mit Rat und Tat zur Seite stehen. Unsere Kinder spielen oft gemeinsam, da werde ich sicher oft genug hier sein.“

„Oh, Sie haben Kinder?“ fragte Mrs. Henderson.

„Ich habe eine Tochter, sie ist fünf.“

„So so. Ja ja. Hmm. Und Sie wohnen nicht hier?“ fragte sie Dave.

„Nein, ich wohne nicht hier. Wir sind nur Freunde“, antwortete er.

Er wusste, dass es Rose wichtig war, bei den Nachbarn nicht allzu schlecht dazustehen.

Deshalb blieb er freundlich, obwohl er innerlich kochte. Diese alte Lady war ziemlich neugierig und noch dazu sehr direkt.

Auch Rose war von Mrs. Henderson schon genervt. Um so dankbarer war sie dafür, dass Dave so ruhig blieb.

„Es war nett, Sie kennen zu lernen, Mrs. Henderson“, sagte Rose, um sie schneller los zu werden.

„Wir müssen jetzt schleunigst die Pflanzen aufladen und sie fort bringen, bevor sie in der Hitze einen Schaden nehmen.“

Mrs. Henderson war nicht wirklich zufrieden, doch sie fügte sich.

„Na gut, dann geh ich mal weiter. Einen schönen Tag noch“, brummte sie.

Rose und Dave sahen ihr nach.

„Unglaublich, oder?“ fragte Dave.

„Das kannst du laut sagen. Wenn die hier alle so sind, werde ich ja ganz schön Spaß haben.“

„Ach, irgendwann legt sich das auch. Wenn sie dich erst mal kennen, werden sie dich schon mögen“, meinte Dave beruhigend.

„Naja, mal sehen“, entgegnete Rose skeptisch. „Aber egal. Wir müssen weiter machen.“

Dave ging hinter ihr her ins Haus und fragte sich, ob es Rose tatsächlich so egal war.

Sie trugen die letzten Kisten nach draußen, dann luden sie schnell alles in die Autos. Obwohl Der Kofferraum von Daves Wagen nicht klein war, passten nicht alle Kisten rein.

„Jetzt musst du extra noch mit zu mir fahren“, sagte er.

Rose, die gerade ihren Kofferraum zumachte, drehte sich zu ihm um.

Plötzlich verzog sie das Gesicht und schrie auf. „Scheiße!“ entfuhr es ihr.

„Was ist denn los?“ fragte Dave.

„Oh Gott, ich glaub ich hab mich falsch gedreht. Scheiße, tut das weh.“

Dave trat hinter sie und sagte: „Stell dich mal gerade hin.“

„Gerader geht es gerade nicht.“

„Okay. Versuch mal, dich nach vorne zu beugen.“

Dave legte seine Hände über Roses Po auf die Wirbelsäule und Rose beugte sich langsam nach vorne.

Als sie sich wieder aufrichtete, fuhr Dave die Wirbelsäule nach oben ab.

In Höhe der Brust entfuhr Rose noch ein Schrei.

„Aha, da haben wir es. Ich kann dich wieder einrenken, aber hier ist es schlecht. Siehst du, dann lohnt es sich wenigstens für dich, den Umweg zu fahren“, sagte er.

Rose drehte sich zu ihm um und sagte seufzend: „Na dann, lass uns die Kinder einsammeln und losfahren.“

Dave antwortete: „Ich hol die Kinder und du schließt ab.“

Sie gingen um das Haus herum in den Garten, wo die beiden Mädchen auf der Terrasse saßen und sich sonnten. Die Rasensprenger waren aus und der Rasen war durch die Hitze schon ziemlich trocken.

„Josie, Melissa!“ rief Dave. „Wir sind fertig und müssen uns beeilen. Rose hat sich am Rücken weh getan und wir fahren jetzt schnell zu uns nach Hause, damit ich ihr helfen kann.“

Sofort standen Josie und Melissa auf und wollten zuerst zu Rose, um zu sehen, ob es ihr gut ging.

„Ist schon gut, es ist alles okay. Ihr geht jetzt mit Dave direkt an die Autos und steigt ein, ich schließe ab. Wir fahren dann gleich.“

Die Mädchen zogen mit Dave ab, Rose ging so schnell sie konnte durch das Haus und verschloss die Türen, die sie geöffnet hatte.

Als sie draußen ankam, saßen die Kinder schon in den Autos, Dave saß ebenfalls schon hinter dem Lenkrad.

Sie fuhren durch die sonntäglich leeren Straßen.

Sie parkten vor dem Haus, in dem Dave wohnte und gingen nach oben, wobei Dave schon mal eine kleine Kiste mit Blumen trug.

Oben angekommen sagte er zu Rose: „Setz dich erst mal hin. Ich hol die Kisten alle hoch und dann kümmere ich mich um deinen Rücken.“

Josie und Melissa setzten sich neben Rose auf die Couch.

„Tut dir der Rücken noch weh, Mommy?“ fragte Melissa.

„Im Moment nicht, mein Schatz. Aber jetzt muss der arme Dave die schweren Kisten alleine hoch tragen.“

„Ist ja nur ein Stockwerk“, meinte Josie.

Dave lud erst sein Auto aus und trug die schweren Kisten zuerst hoch.

Als er damit fertig war, nahm er Roses Schlüssel und lud ihr Auto ab.

Als er endlich fertig war, ging er kurz ins Bad, um sich den Schweiß von Gesicht und Armen zu waschen. Die Hände wusch er sehr gründlich, wie er es immer tat, bevor er jemanden behandelte.

„So, Kinder, wenn ihr zusehen wollt, müsst ihr euch woanders hinsetzen“, sagte er, als er ins Wohnzimmer trat.

Er sagte Rose, wie sie sich hinlegen musste, ihr T-Shirt zog er hinten hoch.

Gespannt sahen die Kinder zu, wie Rose ein paar mal tief einatmete und Dave ihr kräftig auf die Wirbelsäule drückte, bis es krachte.

„So, das sollte erst mal helfen“, meinte Dave zufrieden.

Rose setzte sich auf und bewegte sich vorsichtig.

„Ja, ich glaub, es ist wieder okay. Danke!“

„Gern geschehen.“

„Mommy, das hat sich ganz schlimm angehört“, sagte Melissa. „Ich hab schon gedacht, Dave bricht dir den Rücken.“

„Ich würde deiner Mommy doch nicht wehtun“, protestierte Dave.

„Ja, ich meine ja auch aus Versehen.“

„Da brauchst du keine Angst haben, Schatz“, sagte Rose. „Dave macht so was jeden Tag.“

„Josie hat gesagt, er massiert die Leute.“ Strafend sah Melissa Josie an.

„Macht er doch auch“, verteidigte diese sich.

„Ja, massieren gehört auch zu meiner Arbeit“, erklärte Dave.

Rose fragte: „Sag mal, was muss man denn normalerweise für eine Sitzung bei dir zahlen?“

„Also, meistens bezahlt das die Versicherung wenn man ein Rezept hat. Ein paar Kunden zahlen auch selbst. Ich bekomme pro Stunde dreißig Dollar raus, aber ich weiß nicht genau, was die Praxis bekommt. Ich könnte mal Rhonda fragen.“ Er hatte Rose schon von seiner außergewöhnlichen Patientin erzählt.

„Dreißig Dollar. Das ist ja eine ganze Menge. In der Altenpflege verdient man nicht so viel. Vielleicht zwanzig Dollar. Und das nur mit Examen. Ich hab knappe fünfzehn.“

„Wirklich? Na, das ist echt wenig. Auch wenn du kein Diplom hast.“

„Ja. Die Arbeit ist schließlich genau so schwer. Aber so ist es nun mal. Wenn Mel etwas größer ist, kann ich ja noch mal studieren.“

Eine Weile unterhielten sie sich noch über die älteren Studenten, die mit ihnen auf die Uni gegangen waren.

Als es fast sechs Uhr war, gingen Rose und Melissa.

Sie trafen keine Verabredung für die kommende Woche, Rose wollte erst mal packen.

Und dass sich Daves Hände auf ihrem rücken allzu gut und vertraut angefühlt hatten, war vielleicht auch ein Grund.

 

 

24.: Auf dem Weg der Besserung

 

Als Dave am Montag Morgen aufstand, fühlte er sich schon viel besser.

Er war früh schlafen gegangen und war erst um sieben Uhr morgens aufgewacht.

Nach einem kurzen Sprung unter die Dusche holte er die Tageszeitung aus dem Briefkasten und setzte sich mit einer Tasse Kaffee an den Küchentisch.

Josie würde nicht vor acht Uhr aufstehen, eher sogar gegen neun.

Die Ruhe, die herrschte, störte Dave ein wenig, deshalb stellte er das Küchenradio an.

Nachdem er sich ausreichend informiert hatte, legte er die Zeitung zur Seite.

Er stand auf und fing an, die Wohnung aufzuräumen.

Er wusch erst mal eine Maschine Wäsche und hängte die ab, die seit drei Tagen auf dem Ständer hing.

Dann schnappte er sich einen kleinen Eimer und einen Lappen und wischte Staub.

Dabei sorgte er auch gleich für Ordnung.

Gerade wollte er sich daran machen, das Bad zu putzen, als Josie aus ihrem Zimmer kam.

„Morgen, Daddy“, murmelte sie verschlafen. Ihre Haare standen in alle Richtungen ab.

„Morgen, mein Schatz“, antwortete Dave und drückte seine Tochter an sich.

„Hast du Hunger? Ich habe extra mit dem Frühstücken gewartet.“

Josie überlegte. „Nein, noch nicht. Ich will mich erst mal anziehen.“

Sie gingen gemeinsam ins Bad.

Während Dave die Dusche schrubbte, putzte Josie sich die Zähne.

Als er die Toilette mit einem Schwämmchen reinigte, zog sich Josie bereits an.

In der Zeit, die Josie brauchte, um sich die Haare etwas zu kämmen, wischte Dave über das Waschbecken und die Regale.

„Na, da sind wir wohl gleichzeitig fertig geworden“, meinte Dave.

Er wusch sich gründlich die Hände und ging mit Josie in die Küche.

Sie inspizierten den Kühlschrank. Es war mittlerweile fast zehn Uhr und Dave beschloss, ein großes Frühstück mit Eiern, Würstchen, Speck und Pfannkuchen vorzubereiten.

„Dann sind wir eine Weile satt und heute Abend bestellen wir uns eine Pizza.“

Josie war einverstanden.

Sie aßen lange und ausgiebig. Gerade, als Dave eine Scheibe Brot in das weiche Eigelb stippte, klingelte das Telefon.

Schnell schob sich Dave das Brot in den Mund.

„Ich komme gleich wieder. Iss schön weiter, dann kannst du gleich noch etwas fernsehen, wenn ich staubsauge und wische.“

Josie nickte kauend.

Dave ging ans Telefon.

„Guten Tag, Mr. Simmons“, meldete sich eine Stimme, die Dave nicht sofort einordnen konnte.

„Hier spricht Dr. Sumner. Ich wollte Sie nur schnell auf dem Laufenden halten.“

„Guten Tag, Dr. Sumner“, antwortete Dave. „Was gibt es Neues?“

„Sandra wird heute entlassen. Dana wird sie abholen und ins Wohnheim bringen.“

„Also geht es ihr schon besser? Haben Sie mit ihr gesprochen?“

„Sie wollte mich erst nicht sehen, aber das hat mich nicht gehindert, in ihr Zimmer zu gehen.“

Insgeheim bewunderte Dave ihren Mut.

„Sie hat erst gar nichts gesagt“, berichtete Dr. Sumner weiter. „Ich habe dann einfach gesprochen und sie hat zugehört. Ich habe ihr meinen Standpunkt erklärt, dass ich Ihnen keine Hoffnung machen durfte und dass Sie dann die einzig richtige Entscheidung getroffen haben.“

Dave sagte nichts, er wollte abwarten, was noch kam.

„Nun ja. Sie hat dann wieder von Ihnen und Rose angefangen und ich habe ihr erklärt, dass Männer und Frauen auch durchaus befreundet sein können, ohne etwas miteinander zu haben. Und dass, wenn es doch so wäre, Sie sich bestimmt schon früher von ihr getrennt hätten. Das hat sie dann logisch gefunden. Aber sie sagte, dass sie einen anderen Therapeuten will, weil sie mir nicht mehr vertrauen kann. Wir werden sehen, ob sich das ändert. Fürs Erste bekommt sie sowieso keine Termine bei den anderen und da sie jetzt jeden Tag eine Sitzung bekommt, wird sie mich wohl oder übel erst mal ertragen müssen.“ Dr. Sumner lachte leise bei dem letzten Satz.

„Es tut mir wirklich leid“, sagte Dave.

„Das braucht es nicht.“

„Glauben Sie, dass Sandra es noch mal versuchen wird?“ fragte Dave.

Dr. Sumner wusste sofort, was er meinte.

„Nein, ich glaube nicht. Menschen wie Sandra brauchen für alles Dramatische ein Publikum. Hätten Sie beispielsweise per Brief Schluss gemacht, hätte es bei Weitem nicht den gleichen Effekt gehabt. Denken Sie immer daran, dass Sandra krank ist und nicht reagiert wie andere Menschen.“

Dave dankte der Ärztin und legte auf.

„Wer war das, Daddy?“ fragte Josie, als ihr Vater in die Küche zurückkehrte.

„Das war Mommys Ärztin. Sie darf heute nach Hause. Aber sie braucht noch viel Ruhe.“

„Also darf ich sie noch nicht besuchen, oder?“

„Nein, mein Schatz, noch nicht. Aber ihre Ärztin sagt mir Bescheid, wenn es soweit ist.“

Damit gab sich Josie zufrieden.

Den Rest des Tages verbrachten sie draußen, Dave wanderte mit Josie durch die Obstplantagen und sie aßen Aprikosen, Orangen und Nektarinen direkt vom Baum.

Am Abend war Josie ziemlich müde und schaffte kaum die Hälfte ihrer Kinderpizza.

Dave hatte seinen Appetit ebenfalls überschätzt.

Als Josie im Bett war, räumte er die Reste in den Kühlschrank und dachte, dass das wohl am nächsten Tag ihr Frühstück werden würde.

 

 

25.: Schluss mit den Lügen

 

Rose saß Cleo gegenüber auf der Couch, eine Tasse dampfenden Kaffee in der Hand.

„Wie lange ist es denn jetzt her, seit du das letzte Mal hier warst?“ fragte Cleo.

„Bestimmt schon zwei oder drei Monate“, schätzte Rose.

Melissa saß artig neben ihrer Mutter und aß hingebungsvoll ein Eis mit viel Sahne, Schokostreuseln und Gummibärchen. Tante Cleo wusste eben, was kleine Mädchen liebten.

„Wie läuft es denn so bei dir? Erzähl mal“, sagte Cleo.

„Naja, ich bin gerade mitten im Umzugsstress. Ich habe aber so viel Glück gehabt, das kannst du dir gar nicht vorstellen.“

Rose erzählte von Donnie und Brenda, die so selbstlos waren wie kaum jemand, den sie kannte.

Sie berichtete zunächst von dem Auto, das sie so günstig bekommen hatte.

Als sie dann erzählte, wie sie auf wundersame Weise noch am gleichen Tag zu dem Haus gekommen war, staunte Cleo.

„Also ich muss schon sagen, das ist wirklich beispielhaft. Ich freue mich, dass du so gute Freunde an deiner Seite hast. Du kannst wirklich froh sein, dass du Dave kennengelernt hast.“

„Ja, das bin ich auch. Und alles dadurch, dass sich Melissa mit Josie angefreundet hat.“

„Wie ich sehe, hat sie sie aus ihrem Schneckenhaus geholt“, bemerkte Cleo mit einem Blick auf Melissa, die gerade die Reste aus der Schüssel schlürfte.

„Oh ja, ich bin wirklich froh darum. Und Dave ist ebenso froh darüber, dass Melissa Josie ein bisschen gezähmt hat.“

„Tante Cleo, wie geht es deinen Katzen?“ fragte Melissa. Ihr war langweilig.

„Denen geht es gut. Möchtest du ihnen was zu fressen geben?“ fragte Cleo.

„Oh ja“, freute sich die Kleine.

Cleo stand auf und sagte: „Komm, wir holen was aus der Küche und ich bringe dich zu ihnen.“

Melissa folgte ihr.

Ich werde ihr wohl eine Katze holen müssen, dachte Rose.

Als Cleo wiederkam, sagte sie: „Ich wollte dir noch was erzählen.“

Rose sah sie an. „Ist irgend was?“

„Ja, allerdings. Eric hat einen Brief von deinem Anwalt bekommen. Er war gar nicht erfreut.“

„Das war auch nicht meine Absicht“, erwiderte Rose gelassen.

„Ja, nur leider hält er sich auf seine Art an deine Forderung. Wer auch immer von der Geschichte erfahren hatte, erfährt nun, dass du ihn anwaltlich dazu verdonnert hast, zu sagen, dass sie nicht stimmt.“

„Er macht was?“ fragte Rose erschrocken.

„Ein paar alte Ladys waren in der Apotheke, sie wohnen in deiner zukünftigen Nachbarschaft. James hat gehört, wie eine von ihnen Eric fragte, ob es stimme, dass seine Exfrau ihm durch den Anwalt gedroht hat. Er antwortete, dass er gezwungen sei, seine Äußerungen zurückzunehmen. Aber er sagte es so, als wäre er anderer Meinung. James hat ihn darauf angesprochen, Eric meinte nur das sei nicht sein Problem, was die Leute über dich denken. Und dass er dir nicht glaubt.“

„Oh, dieser Schweinepriester!“ rief Rose aus.

„Was willst du jetzt deshalb unternehmen?“ fragte Cleo.

„Ich werde selbst mit ihm reden. Ich werde mal in den nächsten Tagen zu ihm in die Apotheke fahren und ihn zusammenscheißen.“

„Vielleicht kapiert er es ja dann.“

„Siehst du ihn eigentlich oft?“ fragte Rose.

„Naja, ich muss leider sagen, dass er fast jeden Abend mit James zusammen herkommt. Er jammert immer darüber, dass er alleine nicht essen will und dass er nicht kochen kann. James gibt meistens nach und dann lungert Eric den ganzen Abend hier herum. Bestimmt kommt er heute Abend auch mit. Es gibt nämlich Hähnchen.“ Cleo seufzte.

„Na, bis dahin bin ich dann aber weg“, meinte Rose grinsend.

„Aber lass uns doch nicht über Eric reden“, bat Cleo.

„Über was denn dann?“

„Na, erzähl mir mehr von deinem Dave.“

Rose winkte ab. „Ach, da gibt es nichts zu erzählen.“

„Wirklich nicht? Wie schade. So ein Typ würde dir sicher guttun. Sieht er gut aus?“

Rose errötete leicht. „Er sieht schon gut aus. Du weißt schon, groß, schlank aber sportlich, dunkle Haare und grüne Augen. Aber auch nicht so, dass man in Ohnmacht fallen müsste.“

„Aber er gefällt dir, oder?“ triumphierte Cleo. „Das sehe ich dir doch an.“

Rose und Cleo waren immer sehr vertraut miteinander gewesen.

Rose hätte James' Penis im Dunkeln erkennen können, so detailgetreu hatte Cleo ihn ihr beschrieben. Deshalb war es für sie nicht nur ganz natürlich, Cleo alles über Dave zu sagen, sie musste es ihr sogar erzählen, sonst würde sie platzen.

„Ja, er gefällt mir“, gestand sie.

„Und?“

„Und wir werden nicht zusammenkommen, weil es gerade einfach nicht passt.“

„Und du bist nie in Versuchung gekommen? Ich meine, ihr seht euch ja anscheinend ziemlich oft.“

Cleo wusste immer, wann ihr jemand etwas verheimlichte.

„Doch, einmal.“

„Oh Mann, dir muss man heute aber wirklich die Würmer einzeln aus der Nase ziehen. Los, ich will alles wissen“, drängte Cleo grinsend.

„Aber behalte es ja für dich“, sagte Rose.

„Natürlich, wo denkst du hin?“ entrüstete Cleo sich.

Rose trank noch einen Schluck Kaffee, bevor sie anfing, Cleo alles zu erzählen.

Es tat gut, einmal mit jemandem ausführlich zu reden.

Sie erklärte zuerst, wie es überhaupt dazu gekommen war.

Cleo meinte dazu nur trocken: „Na, wenn schon. Darüber würde ich mir keine Gedanken machen. Immerhin hast du ihn ziemlich erfolgreich von seinen Problemen abgelenkt.“

Sie trank einen Schluck Kaffee, bevor sie sich zu Rose vorbeugte.

„Und jetzt mal raus damit. Wie war es? War es gut?“ fragte sie mit einem breiten Grinsen.

Rose grinste ebenfalls. „Gigantisch. Ich weiß nicht, ob er wirklich so gut war oder ob ich es nur so verdammt nötig hatte, aber es war besser als alles, was ich kannte.“

Cleo, die von Roses wildem Leben vor Eric wusste, nickte anerkennend mit dem Kopf.

„Na, das soll ja was heißen. Klar, du hattest seit Monaten keinen Mann mehr. Da war das eine Mal bestimmt auch deshalb so gut.“

Rose wurde rot.

„Spuck es aus“, sagte Cleo in Befehlston.

„Naja, wir haben es eigentlich zweimal getan“, gab Rose zu.

„Oh Mann, ihr kleinen Ferkel“, rief Cleo bewundernd aus.

„Und wie war es beim zweiten Mal?“fragte sie neugierig.

„Seltsamerweise noch besser. Beim ersten Mal ging es ziemlich schnell, es war ziemlich wild und aufregend, aber beim zweiten Mal war es viel intensiver, wir haben uns viel mehr Zeit gelassen und es dadurch richtig genießen können. Weißt du, was ich meine?“

Cleo überlegte. „Ja, ich glaube ich weiß, was du meinst. So war es mit James damals, als wir frisch verliebt waren. Wir wären am liebsten gar nicht aus dem Bett gekommen.“ Sie seufzte.

Rose, die merkte, dass Cleos Stimmung plötzlich umgeschlagen war, fragte:

„Ist bei euch denn alles in Ordnung?“

Bestürzt sah sie, dass Cleo anfing zu weinen.

„Ich weiß es nicht genau, aber ich glaube, James hat eine Affäre.“

„Oh Gott“, sagte Rose erschrocken, „das ist ja furchtbar, warum glaubst du das denn?“

„Er ist oft nicht im Laden, wenn ich ihn dort erreichen will und Eric hat dann immer eine fadenscheinige Erklärung parat. Und in letzter Zeit wollte er keinen Sex mehr.“

Rose legte den Arm um Cleos Schulter.

„Und jetzt denkst du, dass er sich den Sex woanders holt“, schlussfolgerte Rose.

„Naja, wir reden hier immerhin von James“, erinnerte sie Cleo.

Wie Rose aus früheren Gesprächen wusste, war James ein unersättlicher Liebhaber.

„Gut, aber vielleicht gibt es dafür eine andere Erklärung. Stress zum Beispiel.“

Cleo winkte ab. „Ach, wenn er Stress hätte, hätten wir jeden Tag dreimal Sex.“

„Und was willst du jetzt machen?“ fragte Rose.

„Ich weiß nicht. Wenn es sich nicht ändert, werde ich ihn darauf ansprechen müssen. Aber im Moment will ich es einfach noch nicht wissen.“

Rose tröstete ihre Freundin und beruhigte sie. Sie konnte sich eigentlich nicht vorstellen, dass James fremdging. Er war immer verrückt nach seiner Frau gewesen.

Und Cleo hatte ja auch keine eindeutigen Beweise, vielleicht war alles nur ein dummer Zufall.

„Naja, ich muss jetzt erst mal abwarten, was weiter passiert. Ich werde schon keine Dummheiten machen“, meinte Cleo bedrückt.

Rose wusste gleich, was sie meinte. Cleo konnte ziemlich heftig reagieren, wenn sie eifersüchtig war. Sie hatte das selbst schon ein paar mal erlebt, wenn sie zu viert ausgegangen waren.

James gehörte ihr allein und sie machte das sehr deutlich. Wenn sie merkte, dass eine Frau James aufs Korn genommen hatte, machte sie zunächst klar, dass er vergeben war. Dazu küsste sie ihn und schmuste mit ihm herum. Wenn die Dame ihr Interesse dann nicht auf einen anderen Mann verlagerte, sprach Cleo sie direkt an und verbat ihr ganz einfach, ihren Mann anzusehen.

Mit was sie dann für gewöhnlich drohte, konnte Rose nie herausfinden, doch es schien immer zu wirken.

„Wann kommt James denn eigentlich nach Hause?“ fragte Rose mit einem Blick auf die Uhr.

„Oh, verdammt, er kommt in etwa einer Stunde und ich hab noch nicht gekocht!“ rief Cleo.

„Okay, dann ist es wohl Zeit, aufzubrechen. Wenn Eric dabei ist, ist es mir lieber, ich bin weg bevor sie eintrudeln.“

Rose stand auf und rief Melissa, die immer noch bei den Katzen war. Cleo und James hielten ihre sechs Tiere in einem Wintergarten, von dem aus sie ins Freie gelangen konnten.

Rose dachte manchmal, dass die Katzen ihnen als Ersatz dienten, weil sie aus irgendeinem Grund keine Kinder bekommen konnten.

Als Melissa kam, hatte sie noch eins der Tiere auf dem Arm.

„Sieh mal, Mommy! Georgia hat Babys bekommen.“

Sie hielt ihrer Mutter das Kätzchen entgegen wie einen sakralen Gegenstand.

Es war ganz schwarz und hatte eine weiße Schwanzspitze und ein rosa Näschen.

Es war noch sehr klein, Rose schätzte, dass es etwa vier Wochen alt war.

„Na, wer bist du denn“, sprach Rose das Kätzchen an und nahm es auf den Arm.

„Du zitterst ja. Bestimmt hast du Angst weil du mich nicht kennst.“

„Mommy, meinst du, dass ich irgendwann so ein Kätzchen haben kann?“ fragte Melissa.

Rose, die das kleine Tier behutsam streichelte, sah ihre Tochter an.

„Du magst Katzen wirklich gerne, oder?“ fragte sie.

„Ja, sie sind so lieb und schmusen gerne und wenn man will, kann man mit ihnen spielen.“

„Weißt du denn aber auch, was man alles braucht, wenn man eine Katze hält?“

Melissa, die natürlich genau wusste, was Tante Cleo alles im Wintergarten hatte, antwortete:

„Man braucht ein Katzenklo und Streu, einen Kratzbaum, Futter und Spielzeug. Und das Streu man immer wegschmeißen, wenn es dreckig ist.“

„Aber weißt du auch, dass sie geimpft werden muss und regelmäßig eine Wurmkur braucht?“

„Ja, ich weiß. Tante Cleo macht das ja auch alles. Kostet das viel, Tante Cleo?“

Melissa zog eine Expertin zu Rate.

„Also, das kommt auf den Arzt an. Bei meinem ist es spottbillig, die Impfungen um die zehn Dollar und auch, wenn die Katze mal krank ist, ist es nicht so extrem teuer. Ich hatte mal eine Katze, die vergiftet wurde. Der Arzt hat schnell reagiert und sie gerettet. Das hat nur fünfzig Dollar gekostet. Ich glaube, günstiger geht es nicht. Ich bin aber eigentlich gar nicht bei dem, weil er so billig ist“, erklärte Cleo weiter. „Er ist wirklich ein Tierfreund. Er nimmt deshalb auch so wenig Geld. Er macht seine Arbeit wirklich, weil er Tiere liebt. Er ist aber nicht immer da. Er hat Schichtdienst in der Tierklinik und macht dann mal morgens, mal mittags seine Privatpraxis auf.“

Rose dachte kurz nach. Sie mochte Tiere auch sehr gerne, aber Melissa war noch zu klein, um wirklich Verantwortung für ein Tier zu übernehmen.

„Was würdest du sagen, muss man im Monat pro Katze investieren? Ich meine Geld und Zeit.“

Sie richtete ihre Frage an Cleo.

„Oh, also eine alleine würde ich gar nicht halten, sonst müsst ihr sie unterhalten und das geht leider nicht ohne Kratzer ab. Also braucht man mindestens zwei. Man muss ihnen oft Futter geben, wenn sie noch klein sind, später legt sich das aber. Das Katzenstreu kostet, wenn man ein gutes nimmt, etwa dreißig Dollar im Monat. Fürs Futter würde ich anfangs fünfzig Dollar rechnen. Die anderen Sachen sind einmalige Ausgaben, aber ein Katzenklo und ein Kratzbaum kosten etwa fünfzig Dollar.“ Cleo redete sich richtig warm, über Katzen konnte sie stundenlang reden.

„Zeit brauchst du nicht viel, Das Katzenklo ist mit Hilfe einer kleinen Schaufel ganz schnell sauber, das sind vielleicht fünf Minuten morgens und fünf Minuten abends. Es sei denn, ihr lasst die Katzen raus, dann reduziert sich das drastisch. Und das mit dem Futter sind vielleicht nochmal fünf Minuten, wenn man die Näpfe jedes mal ausspült. Also, ist alles nicht so wild.“

„Okay“, meinte Rose. „Also kostet es mich anfangs hundertdreißig Dollar und ab da etwa achtzig Dollar. Bis sie ausgewachsen sind oder regelmäßig draußen sind. Das muss ich mir überlegen, Melissa.“

Rose sah ihrer Tochter an, dass ihr die Antwort nicht passte.

„Das ist kein Nein, Schatz“, beschwichtigte sie sie.

„Du überlegst es dir wirklich?“

„Natürlich. Wenn Cleo zwei von ihren Kätzchen abgibt, müssen wir sowieso warten, bis sie alt genug sind.“ Sie sah Cleo fragend an.

„Natürlich. Zwei Stück kann ich entbehren. Wir haben ja schon so viele. Mit diesem Wurf sind es elf. Ab jetzt werden wir die Katzen alle kastrieren lassen, sonst haben wir bald keinen Platz mehr für sie“, lachte Cleo.

„Was ist kastrieren?“ fragte Melissa neugierig.

Rose seufzte. „Das ist schwer zu erklären. Im Prinzip werden sie operiert, damit sie keine Babys mehr bekommen können.“

„Das ist ja furchtbar!“ rief Melissa. „Man kann die Babys doch verschenken!“

„Sieh mal“, erklärte Cleo. „Wenn meine Katzen jedes Jahr zweimal Babys kriegen, habe ich etwa zehn Stück zu verschenken. Wenn jetzt eins oder zwei übrig bleiben, muss ich die behalten. Und die kriegen vielleicht auch wieder Babys. Und von denen bleiben auch welche übrig, was mache ich denn dann?“

Das leuchtete Melissa ein. „Tut ihnen das denn nicht weh?“ fragte sie.

„Nein, man muss nur die ersten Tage aufpassen, dass sie nicht zu doll toben, weil sie sich sonst verletzen können und die Wunde sich dann entzündet. Das lassen viele Leute mit ihren Haustieren machen.“

„Naja, gut. Dann lass sie ruhig kast...wie heißt das nochmal?“

„Kastrieren“, sagte Rose.

„Kastrieren“, wiederholte Melissa.

„Okay, meine Süße, jetzt bring schnell das Kätzchen zurück zu seiner Mama, wir fahren jetzt nach Hause.“

Rose übergab das Kätzchen Melissa, die eilig davon trabte.

„Gut, Cleo, ich melde mich bei dir wegen der Katzen. Ich denke, ich werde wirklich zwei nehmen. Wahrscheinlich werde ich gar keine andere Wahl haben.“

Cleo lachte. „Ja, Melissa wird dich bestimmt nicht mehr ruhen lassen, bis sie ihren Willen kriegt.“

Melissa kam zurück und sie verabschiedeten sich von Cleo.

Wider Erwarten hielt sich Melissa zurück, den ganzen Abend sprach sie nicht von Katzen.

Aber das kommt bestimmt noch, dachte Rose, bevor sie einschlief.

 

Die nächsten beiden Tage verbrachte Rose hauptsächlich mit dem Packen der Winterkleidung, einiger Gardinen, Bettwäsche, Tischdecken, schlicht und ergreifend einfach alles, was sie in den nächsten zwei Wochen ganz sicher nicht brauchen würden.

Melissa hatte anfangs viel geholfen und war begeistert bei der Sache.

Doch irgendwann hatte sie keine Lust mehr und beschäftigte sich in ihrem Zimmer oder sah fern.

Rose wusste, dass es für Melissa gerade sehr langweilig war, ganz ohne den Kindergarten und mitten im Umzug.

Deshalb beeilte sie sich um so mehr, sie wollte bis Mitte der nächsten Woche fertig sein und im Haus übernachten.

In der Zeit, in der Melissa nicht um sie herum war, dachte Rose darüber nach, was sie Eric sagen könnte, damit er endlich Ruhe gab.

Würde er sich überhaupt überzeugen lassen wollen?

Rose hatte schließlich viele Jahre mit ihm zusammen gelebt, sie wusste, dass er sehr stur war.

Sonst hätte er irgendwann begriffen, dass sein Verhalten ihre Ehe kaputt machte.

Rose hatte so oft mit Eric geredet, wenn Melissa wieder wegen ihm geweint hatte.

Es war alles vergeblich gewesen.

Er hatte Recht, und damit basta!

Fast fürchtete sich Rose ein bisschen vor der Unterredung mit ihm.

Doch sie wusste, wenn Eric so feige war, sich hinter Lügen zu verstecken, musste wenigstens sie den Mut aufbringen, die Sache ein für allemal zu klären.

Am Donnerstag Nachmittag, als Rose gerade ein paar Kissen in Tüten stopfte, klingelte das Telefon.

Es war Dave.

„Hey, Rose, ich hoffe, ich störe dich gerade nicht“, sagte er.

„Ist schon okay, ich bin nur gerade dabei, zu packen.“

„Was glaubst du, wann es losgehen kann?“ fragte Dave.

„Oh, ich glaube, in einer Woche können wir schon ganz im Haus sein.“

„Das ist toll. Sag mal, hast du was gegen einen Tag Auszeit?“

„Was schwebt dir vor? Ich glaube, Melissa bräuchte dringend etwas frische Luft. Und ich auch.“

Dave lachte. „Na, das trifft sich doch ausgezeichnet. Wir wollten in den Zoo.“

„Okay, gerne, wann denn?“

Rose merkte kaum, dass sie die ganze Zeit lächelte, während sie mit Dave sprach.

„Wie wäre es morgen?“

„Oh, morgen muss ich was dringendes erledigen, aber Samstag wäre gut“, meinte Rose.

„Musst du was für den Umzug erledigen?“ fragte Dave neugierig.

„Gewissermaßen“, erwiderte Rose. „Ich muss zu Eric fahren und mit ihm reden.“

Sie erzählte Dave von ihrem Besuch bei Cleo und dem, was sie ihr über Eric erzählt hatte.

„Okay“, meinte Dave, „und du bist dir sicher, dass das eine gute Idee ist?“

„Naja, er wird mir auf jeden Fall nichts tun, wenn du das meinst. Ich weiß nur nicht, ob er mir glauben wird. Und wenn er das nicht tut, wird er weiterhin Lügen erzählen.“

„Soll ich mitkommen?“ bot Dave an.

„Nein, nein“, meinte Rose. „Ich fahre besser allein hin.“

„Und was machst du solange mit Melissa? Willst du sie herbringen?“

Rose überlegte. Sie hatte eigentlich Cleo bitten wollen, doch wenn Dave es ihr schon anbot, war es eigentlich um so besser.

So hatte Melissa wenigstens jemanden zum Spielen.

„Ja, gerne“, sagte sie. „Wann kann ich sie vorbeibringen?“

„Wann du willst.“

„Ich wollte nachmittags gegen vier hinfahren, da ist meistens nicht so viel los.“

„Gut, dann halte ich mich ab drei Uhr bereit“, meinte Dave.

Sie legten auf und Rose erzählte gleich Melissa, dass sie am nächsten Tag Josie besuchen könne.

 

 

26.: Tabula rasa

 

Der Freitagvormittag verging wie im Fluge.

Rose wusch Tonnen von Wäsche und verpackte sie in Kisten, dann wickelte sie ihr Geschirr in Zeitung und verstaute es, bis auf einige Teller, Tassen und Gläser, in Körben.

Um drei Uhr legte sie alles beiseite und zog sich etwas Frisches an.

Dann fuhr sie mit Melissa los.

Es war ziemlich schwül und es würde bestimmt noch ein Gewitter geben.

Melissa sprang aus dem Wagen, kaum dass Rose angehalten hatte.

„Mach langsam, Schatz“, ermahnte sie sie lächelnd.

Noch bevor Rose an der Tür war, drückte oben schon jemand den Öffner.

„Hallo!“ rief Josie von oben.

„Wir kommen schon!“ rief Melissa zurück.

Sie erklommen die paar Stufen bis zu Daves Wohnung und traten ein.

Melissa verschwand sofort mit Josie ins Kinderzimmer, so dass Rose mit Dave im Korridor zurückblieb.

„Und, alles okay?“ fragte Dave, als sie in die Küche gingen.

Rose zuckte mit den Schultern. „Ja, es geht. Ein bisschen nervös bin ich zwar, aber es geht.“

„Willst du noch einen Kaffee vorher?“

„Danke, nein. Einen Schluck Wasser vielleicht.“

Dave holte ein sauberes Glas aus dem Schrank und schenkte Wasser ein.

Rose trank und sagte dann: „So, jetzt muss ich aber los. Um diese Uhrzeit ist wenig Betrieb.“

Dave brachte sie an die Tür und ging dann zu den beiden Mädchen ins Kinderzimmer, um zu fragen, ob sie ein paar Kekse und Kakao haben wollten.

 

Der Verkehr war noch erträglich und Rose war in kürzester Zeit bei der Apotheke angekommen.

Als sie ausstieg, klopfte ihr Herz schon ein bisschen schneller.

Sie ermahnte sich, ruhig zu bleiben, atmete einmal tief ein und aus und ging dann durch die Tür.

Ein feines Glöckchen kündigte ihren Besuch an. Der Laden war leer.

Eric kam aus dem Lager, das hinter dem Verkaufsraum lag, heraus.

Sein „Guten Tag“ erstarb auf seinen Lippen und er wurde schlagartig blass.

„Du?“ fragte er fassungslos.

Als Rose sah, dass Eric sich bei ihrem Anblick fast in die Hose machte, wurde sie mutig.

„Ja, ich“, sagte sie mit ruhiger, kalter Stimme. „Ich habe mit dir zu reden.“

Eric räusperte sich. „Tatsächlich? Ich aber nicht mit dir.“

Seine Stimme war inzwischen fast wieder normal.

„Oh, ich glaube, du wirst keine andere Wahl haben.“

Sie trat auf ihn zu und zeigte auf den Durchgang zum Lager.

„Da rein“, kommandierte sie.

Eric wich zurück und gehorchte dann.

Er wusste, dass Rose ernst machte und er kannte sie gut genug, um zu wissen, dass es richtig unangenehm werden konnte, in solchen Fällen zu widersprechen.

Im Lager, das auch als Büro genutzt wurde, stand ein Schreibtisch mit zwei Stühlen.

Sie setzten sich und Rose schoss sofort los:

„Ich habe gehört, du treibst weiter deine Spielchen mit mir.“

„Ich weiß nicht, was du meinst“, entgegnete Eric und verschränkte die Arme.

„Du weißt genau, was ich meine. Hast du eine Ahnung, was du anrichtest?“

„Ach, was ich anrichte? Was hast du denn angerichtet?“ schleuderte er Rose entgegen.

„Ich habe gar nichts angerichtet. Du reimst dir was zusammen und verbreitest diese zusammengestoppelten Geschichten überall herum! Und du weißt genau, dass du mir damit schadest!“ rief Rose aufgebracht.

„Glaubst du etwa, für mich ist es schön, zu erfahren, dass meine Frau mich betrogen hat? Und erzähl mir doch nicht, dass du diesen Kerl erst nach der Trennung kennen gelernt hast. Wenn ihr euch schon zusammen Häuser anseht, wird das wohl schon länger so gehen!“ Eric war immer noch sehr beherrscht, auch wenn er innerlich sehr aufgebracht war.

„Aber ich ziehe doch nicht mit ihm zusammen! Er ist nur ein Freund, dessen Chef dieses Haus zu vermieten hat! Und dieser Chef hat mir auch das Auto günstig verkauft, weil es einen Schaden an der Seite hat! Und übrigens, mit dem Chef habe ich auch nichts, falls du das wissen willst. Und schon gar nicht, als wir verheiratet waren! Für was hältst du mich? Und für was hältst du dich? Meinst du, du kannst einfach daherkommen und meinen Ruf ruinieren, nur weil du dir denkst, du bist Sherlock Holmes und hast clever kombiniert? Du hättest mich ja auch zum Beispiel einfach mal fragen können, wie es eigentlich genau war. Du hast meine Telefonnummer. Aber weil du Angst hast, dass du vielleicht mit Melissa sprechen müsstest und weil du sauer bist, weil ich dich verlassen habe, ziehst du es vor, dich auf deine Gespinste zu fixieren!“

Eric war in sich zusammengesunken. Er hatte gar keine Gelegenheit, irgend etwas zu sagen.

Rose bombardierte ihn regelrecht. So war es immer, wenn sie sauer auf ihn war.

Doch dieses Mal, fand Eric, war sie in ihrem Zorn fürchterlich.

In ihrem Gerechten Zorn, wie er sich eingestehen musste.

Plötzlich erkannte er, wie dumm seine Schlussfolgerungen waren.

Er hatte aus dem, was er so gehört hatte, mehr gemacht, als es war.

Er schämte sich zutiefst.

„Du hast Recht“, sagte er, als Rose gerade Luft holte.

Das nahm ihr den Wind aus den Segeln.

„Was?“ fragte sie verwirrt.

„Du hast Recht“, wiederholte Eric. „Alles, was du sagst ist richtig. Und es tut mir leid. Ich...ich weiß nicht, wie ich es erklären soll. Wahrscheinlich hast du es noch am besten gesagt. Ich hätte dich fragen sollen, ob du mit jemandem zusammenziehst. Und ich habe es nicht getan, weil ich Angst hatte, ich müsste mit Melissa reden. Und mit dir. Ich habe noch nie angerufen, seit ihr weg seid. Und ich weiß, dass ich dich verloren habe, weil ich ein schlechter Vater bin.“

Rose sah ihren Exmann misstrauisch an. War das wieder ein Trick? Oder war er tatsächlich zu Sinnen gekommen?

„Du gibst mir also Recht? Und was genau hat jetzt diesen plötzlichen Sinneswandel bewirkt?“

„Ich weiß, wann du lügst. Oder besser gesagt, wann du nicht lügst. Hätte ich gleich mit dir geredet, hätte ich uns viel Ärger erspart.“

„Weil du gesehen hättest, dass ich nicht lüge?“ fragte Rose. Eric hatte es geschafft, sie total aus dem Konzept zu bringen.

„Ja. Ich hätte es gesehen. Komm schon, Rose. Wir waren acht Jahre lang zusammen.“

Eric sagte das fast vorwurfsvoll. Er hatte gedacht, Rose würde ihm wenigstens so viel zutrauen.

„Aber wenn du mich doch so gut kennst, hättest du erst recht nicht glauben dürfen, dass ich dir untreu gewesen bin.“ Nun war es an Rose, vorwurfsvoll zu klingen.

„Es war besser, als zu glauben, dass ich selbst schuld war“, erwiderte Eric leise.

Etwas lauter fuhr er fort: „Ich meine, ich weiß, dass mein Verhalten Melissa gegenüber nicht normal war. Aber als ich von einer Kundin hörte, dass du mit einem Mann in einem großen Auto gefahren bist, dachte ich du hättest einen Freund. Das war für mich furchtbar. Ein alter Mann sagte mir dann, dass er dich mit einem Mann gesehen hat, als er am Strand war. Er hat gesagt, ihr hättet verliebt ausgesehen. Und dann natürlich noch die alte Dame, die gesehen hat, wie du dir mit einem Mann ein Haus in ihrer Straße angeschaut hast. Und da seit deinem...eurem Auszug gerade ein paar Monate vergangen waren, habe ich gedacht, dass du ihn dann schon ziemlich lange kennen musst, wenn du schon mit ihm zusammenziehst. Ich wollte das glauben, damit ich mir meine Schuld nicht eingestehen musste.“

Rose hatte ihm bis dahin zugehört. Ihr Mitleid hielt sich in Grenzen. Eric verstand es, sich selbst immer als Opfer darzustellen. Nicht, dass sie ihm das alles nicht abkaufte, doch er redete immer nur davon, wie es ihm ging.

„Eric, deine Schuldgefühle in allen Ehren“, sagte sie ruhig, „aber denkst du nicht, dass es hier um etwas anderes geht? Du hast immerhin meinen Ruf beschmutzt. Ich werde neu sein in einer Nachbarschaft, in der hauptsächlich alte Leute wohnen. Glaubst du, ich Lust darauf, rund um die Uhr beobachtet zu werden, nur weil du die Neugier der Leute angeheizt hast? Oder denkst du, es wäre schön für Melissa, wenn jedermann versucht, sie ein bisschen über mich auszuquetschen? Wo wir gerade bei Melissa sind, was denkst du denn, wie es ihr überhaupt geht? Ich weiß gar nicht, wie ich es beschreiben könnte, so schlimm war es für mich, zu sehen, wie mein Kind leidet.“

Sie besann sich einen Moment und fuhr dann fort: „Doch, vielleicht kann ich es dir beschreiben. Weißt du noch, wie es mir damals ging, nach dem Unfall? Du hast einmal zu mir gesagt, es sei das schlimmste gewesen, das du je mit ansehen musstest. Ich war längst erwachsen, als ich meine Eltern verlor. Melissa hat zwar noch mich, aber für sie ist es wirklich furchtbar, dass du kein Interesse an ihr hast. Sie glaubt, es sei ihre Schuld. Und für so ein kleines Mädchen ist das eine unglaublich schwere Last.“

Eric, der den Kopf immer tiefe senkte, je länger Rose sprach, wusste kaum noch, was er sagen sollte.

„Es tut mir leid“, presste er schließlich hervor. „Alles, meine ich. Ich weiß nicht, was bei mir verkehrt läuft. Ich wollte das nicht. Ich wollte eine Familie, so wie du. Und als es dann soweit war, war ich einfach nur noch eifersüchtig auf Melissa. Von dem Tag an, als du mir sagtest, dass du schwanger warst. Sie war dir näher, als ich es je sein konnte. Und als sie geboren war, da war es so schlimm für mich, zu sehen, wie du sie stillst. Ich konnte es einfach nicht ertragen und irgendwie ließ sich das einfach nicht mehr überwinden.“

Er holte tief Luft.

„Ich dachte, das beste, das ich tun könnte, wäre, Melissa so wenig wie möglich zu beachten. Deshalb war ich dann auch immer so eklig, wenn ich gezwungen war, sie zu beachten. Ich weiß nicht, wie ich es wieder gut machen kann. Ich weiß, dass es für uns beide zu spät ist.“

Er registrierte nur am Rande Roses Nicken.

„Und ich weiß nicht, ob ich es schaffe, mich zu ändern, aber ich will es wenigstens versuchen. Melissa soll nicht so leiden, wie du damals gelitten hast. Ich muss es wenigstens versuchen.“

Er klang aufrichtig und Rose war versucht, ihm zu glauben. Sie wusste, dass sie sich nicht darauf verlassen konnte, doch wenigstens in diesem Moment meinte Eric es ernst.

„Okay. Das würde schon sehr viel gut machen, wenn du es wenigstens versuchst.“

Seufzend erhob sie sich. „Ich bin froh, dass wir das geklärt haben. Ich werde jetzt Melissa abholen und noch ein bisschen mit ihr raus gehen.“

Auch Eric erhob sich. Er hatte so seine Gründe, erleichtert zu sein, dass Rose so schnell wieder ging. Und die betrafen nicht nur ihn.

Doch es war zu spät, die Glocke an der Tür ertönte.

Eine Stimme, die Rose auf Anhieb erkannte, rief: „Hey, Eric! Der Arzt hat gesagt, dass ich bald wieder okay bin! Dann steht einem Baby nichts mehr im Weg!“

Sie trat hinaus in den Laden und sagte: „Hallo, James.“

James wurde leichenblass, als er Rose erblickte.

Hinter ihr tauchte Eric auf, der seinem Bruder schulterzuckend zu verstehen gab, dass er daran nun auch nichts mehr ändern könne.

Mit dem schwachen Abklatsch seiner normalen Stimme sagte James:

„Hi, Rose. Was für eine nette Überraschung.“

Rose ging auf ihn zu und umarmte ihren Ex-Schwager.

„Wie geht es dir?“ fragte sie. „Du warst beim Arzt?“

„Oh, das...“ stammelte James und blickte sich hilfesuchend nach Eric um, der wieder nur ein Schulterzucken übrig hatte.

„Du hast gesagt, dass einem Baby bald nichts mehr im Weg steht“, half ihm Rose auf die Sprünge.

Eric sagte: „Komm schon James, du kannst ihr vertrauen. Sie wird es nicht gleich Cleo erzählen.“

Rose nickte bestätigend. Geheimnisse waren bei ihr gut aufgehoben.

„Also gut. Ich war beim Arzt, weil Cleo nicht schwanger wurde. Ich habe ihr aber nichts davon erzählt, weil ich nicht wollte, dass sie sich auch untersuchen lässt. Ich wollte erst sehen, was bei mir rauskommt. Mein Urologe fand heraus, dass ich tatsächlich unfruchtbar bin. Beziehungsweise war.

Ich hatte eine Entzündung, die ich nicht bemerkt habe. Vermutlich habe ich sie mir im Schwimmbad geholt. Und jetzt musste ich wochenlang zum Arzt rennen, um mir Spritzen geben zu lassen. Die Entzündung ist jetzt weg und ich bekomme so eine Art Aufbauspritze, damit sich die Spermienproduktion erhöht. Und so langsam sieht man Erfolge.“

Rose drückte James' Arm. „Das freut mich. Aber wie konntest du das geheim halten?“

James grinste wie ein Lausbub. „Ich bin einfach immer in der Arbeitszeit zum Arzt gegangen. Und wenn Cleo mal hier angerufen hat, hat Eric ihr irgend was erzählt. Schwierig war nur, dass ich in dieser Zeit möglichst selten Verkehr haben sollte. Der Arzt meinte, dass die meisten Ehepaare so zwei bis drei mal in der Woche Sex haben! Ist das zu fassen? Da wäre es ja einfach gewesen, sich auf einmal in der Woche zu beschränken. Aber bei uns ist es ja etwas anders als bei anderen Ehepaaren. Es war gar nicht so leicht, immer neue Ausreden zu erfinden. In letzter Zeit kam Eric abends oft mit um mit uns zu essen, dann wurde es oft ziemlich spät. Das war natürlich äußerst praktisch.“

Rose erkannte fassungslos, dass James auf sein Lügengebilde stolz war.

Diesen Zahn musste sie ihm natürlich gleich ziehen.

„Das kann doch wohl nicht dein Ernst sein, oder?“ fuhr sie ihn an.

James sah sie verdutzt an. „Hey...“, brachte er zustande, doch weiter ließ ihn Rose nicht kommen.

„Hast du geglaubt, dass Cleo nicht merkt, dass was nicht stimmt? Als ich neulich bei ihr war, hat sie geweint. Sie glaubt, du hast eine Affäre! Du gefährdest ernsthaft deine Ehe, nur weil du zu stolz bist, um ihr zu sagen, dass es an dir liegt, dass ihr keine Kinder habt! Spätestens, als du wusstest, was Sache ist, hättest du es ihr sagen müssen!“

Rose merkte, dass sie wütend wurde und verstummte. Es war nicht richtig, James bei ihrer ersten Begegnung seit Monaten gleich anzuschreien.

James hingegen, der Rose gut genug kannte, um zu wissen, dass sie zu solch kleinen Ausbrüchen neigte, nahm es ihr nicht übel.

„Oh Gott“, sagte er, als sie ruhig war.

„Ich habe nie so weit gedacht. Cleo glaubt ich hätte eine Affäre? Mit einer anderen Frau?“

Der Gedanke erschien ihm so absurd, dass er lachen musste.

„Naja, immerhin hat sie gemerkt, dass Eric sie am Telefon immer angelogen hat. Und dass ihr kaum noch Sex hattet, ist ihr schließlich auch nicht entgangen.“

Rose war wieder ganz ruhig. Immerhin war Cleos Vermutung falsch. Für James würde es wohl nie eine andere Frau als sie geben.

„Ja, aber dass sie so etwas für möglich hält ist wirklich lächerlich. Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich es ihr natürlich erklärt. Ich dachte, solange sie mich nicht danach fragt, sage ich nichts. Ich wusste ja anfangs gar nicht, ob die Behandlung erfolgreich sein würde. Cleo sollte sich keine Hoffnungen machen, ich wollte sie nicht enttäuschen. Verstehst du das?“

Rose nickte. „Klar verstehe ich das. Und Cleo wird es auch verstehen. Sie wird vor allen Dingen froh sein, dass du ihr immer noch treu bist. Und wenn sie doch Schwierigkeiten macht, sagst du ihr, sie soll mich anrufen.“

James wusste, dass sie recht hatte. Er versprach, mit Cleo zu sprechen.

Rose brach dann eiligst auf, es war schon ziemlich spät und sie hatte ja eigentlich noch mit Melissa ein bisschen raus gehen wollen.

Als sie vor dem Haus ankam, in dem Dave wohnte, bemerkte sie, dass sein Auto nicht da war.

Sie stieg aus und klingelte trotzdem an der Tür.

Es öffnete niemand. Verärgert runzelte sie die Stirn.

Sie ging zum Wagen zurück und suchte in ihrer Handtasche nach ihrem Handy.

Auf dem Display zeigte sich ein Anruf in Abwesenheit und eine Nachricht an.

Der Anruf kam von Dave, ebenso die Nachricht:

Hi Rose, hab dich nicht erreichen können, die Mädchen wollten unbedingt auf den Spielplatz mit dem Wasserlauf. Der in der Nähe des Friedhofs, wo wir einmal zusammen waren. Ich hoffe, das ist okay.

Rose seufzte. Sie hatte jetzt so gar nicht die richtigen Klamotten für diesen Spielplatz an, doch das ließ sich jetzt nicht ändern.

Sie stieg in den Wagen und fuhr los.

Nach wenigen Minuten hatte sie ihr Ziel erreicht.

Sie musste die anderen nicht lange suchen, alle drei standen im knöcheltiefen Wasser und füllten es eimerweise in eines der Spielgeräte.

„Hey!“ rief sie ihnen zu.

„Hallo! Zieh deine Schuhe aus und komm auch rein!“ rief Dave zurück.

Als Rose näherkam, sagte sie: „Ich kann nicht, ich war vorhin so schlau, mir eine Strumpfhose anzuziehen.“

„Zieh sie doch aus, Mommy“, schlug Melissa vor.

„Ach, ist schon okay, Schatz. Ich werde mir da vorne am Kiosk eine Zeitschrift besorgen und ein bisschen lesen. Wollt ihr auch irgend was?“

Natürlich wollten sie.

Melissa und Josie wollten Jelly Beans und eine Limonade, Dave wollte einen Eiskaffee.

Für sich selbst holte Rose ebenfalls einen Eiskaffee und eine Zeitschrift mit vielen Preisrätseln.

Als sie zu den anderen zurückkehrte, waren die beiden Kinder alleine im Wasser.

Dave saß auf der Decke, die er mitgebracht hatte.

„Ah genau das, was ich jetzt brauche“, sagte er, als Rose ihm seinen Becher gab. „Danke.“

„Wem sagst du das“, seufzte Rose, als sie sich neben ihm niederließ.

„War es sehr schlimm?“ fragte Dave neugierig.

„Am Anfang war Eric sehr stur und wollte mir nicht glauben, deshalb ließ er auch nicht mit sich reden. Aber er merkte, dass ich richtig wütend wurde und er merkte einfach, dass ich die Wahrheit sagte. Zumindest hat er das behauptet.“ Rose lächelte.

„Und jetzt? Wird er seine Behauptungen richtigstellen?“ fragte Dave.

„Ja, ich denke schon, dass er das machen wird. Er hat sogar über seine Beziehung zu Melissa gesprochen, ich habe versucht, ihm klarzumachen, dass sie furchtbar darunter leidet, dass ihr Vater sie nicht liebt. Und ich glaube, diesmal hat er es verstanden. Er sagte, er wird versuchen, sich zu ändern, damit Melissa einen richtigen Vater hat.“

Die letzten Worte versetzten Dave einen leisen Stich.

Wenn Eric sich wirklich änderte, würde Rose vielleicht zu ihm zurückgehen.

Dave wusste zwar nicht, wieso ihm der Gedanke nicht gefiel, aber der Einfachheit halber dachte er sich, dass er nur nicht wollte, dass Rose wieder enttäuscht wurde.

Und dass er sich wünschte, dass seine Frau ebenso einsichtig wäre.

Nach kurzem Schweigen sagte er: „Und denkst du, dass er das schafft?“

Er war überrascht über den Kloß, den er in seinem Hals spürte.

Rose schüttelte nachdenklich den Kopf.

„Nein, er wird es nicht schaffen. Er hat ja schon selbst gesagt, dass er es nicht versprechen kann. Ich glaube ehrlich gesagt nicht einmal, dass er es ernsthaft versuchen wird. Er wird brav seinen Unterhalt zahlen und zu Weihnachten und Melissas Geburtstag was extra schicken. Und eventuell wird er ein paar mal anrufen und irgend einen Vorwand finden, warum er keine Zeit für Melissa hat. Immerhin weiß er, dass er bei mir so oder so keine Chance mehr hat.“

Erleichtert atmete Dave auf. Rose sah ihn überrascht an, doch er tat so, als sei nichts.

Stattdessen sagt er schnell: „Ist schon schade, dass man im Voraus weiß, wie alles enden wird.“

Rose lächelte. „Ja, da hast du recht. Aber das Leben ist nun mal kein Märchen, der Prinz wird nicht auf seinem weißen Ross einherreiten und mit wehenden Fahnen alles Unrecht besiegen. Und je klarer einem das ist, desto besser ist es.“

Dave dachte kurz über dieses Bild nach. „Ja, und wenn man feststellen muss, dass die liebliche Prinzessin nur eine Verkleidung ist, die die böse Hexe benutzt, wird man auch einiger Illusionen beraubt.“

Sie saßen beide schweigend da und sahen zu ihren Kindern hinüber, die ausgelassen in dem kalten Wasser planschten.

Beide hatten bei dem Gedanken an Sandra auch automatisch an ihre gemeinsame Nacht denken müssen.

„Sag mal“, sagte Dave nach einer Weile, „was glaubst du, wann ihr umzieht?“

„Ich hoffe, dass wir nächstes Wochenende umziehen können“, antwortete Rose, dankbar für den Themenwechsel.

„Wow, das geht alles echt schnell. Kannst du dir da noch einen freien Tag gönnen?“

„Na klar, ich hetze mich ja nicht ab, aber es gibt einfach nicht mehr viel zu tun. Warum fragst du? Schwebt dir da was konkretes vor?“

„Ach, Donnie war neulich mit Brenda und den Kindern im Zoo und er meinte, dass es dort neuerdings ein Tigergehege gibt.“

„Na, das hört sich doch gut an. Wann wolltet ihr hinfahren? Am Sonntag?“

Dave zuckte mit den Schultern. „Ich kann mich da ganz nach dir richten. Wenn dir Sonntag passt, dann eben Sonntag.“

„Okay, abgemacht“, sagte Rose. Sie liebte Zoos.

Eine Weile blieben sie noch sitzen und unterhielten sich, doch um sieben Uhr wurde der Spielplatz geschlossen, so dass sie sich voneinander verabschiedeten und nach Hause fuhren.

 

 

27.: Shopping

 

Am Samstag schlief sich Dave mal so richtig aus. Auch Josie schlief ungewöhnlich lange, selbst für ihre Verhältnisse.

So ließen sie den Tag ganz gemütlich anfangen, sie frühstückten ausgiebig und ließen das Mittagessen ausfallen.

Dann gingen sie shoppen.

Josie brauchte ein paar Sachen für die Vorschule, deshalb gingen sie zuerst in ein Schreibwarengeschäft.

Dave war schockiert, als er die Preise sah.

Nachdem sie alle Utensilien beisammen hatten, bestellte Dave an der Kasse noch drei Arbeitshefte.

Nach dem Bezahlen verstaute Dave alles im Auto und ging mit Josie in ein paar andere Geschäfte, wo sie sich neue Klamotten kauften.

Hinterher gab es noch ein Eis und dann fuhren sie schleunigst nach Hause, um den Tag ganz ruhig bei einem kleinen Snack und einer DVD ausklingen zu lassen.

 

 

Rose versuchte am Samstag hingegen verzweifelt, ihre Zeit gerecht zwischen ihrer Tochter und ihren Umzugskartons aufzuteilen.

Melissa packte anfangs selbst ein paar ihrer Sachen ein, doch bald verlor sie die Lust daran.

„Mommy, mir ist langweilig“, beklagte sie sich.

„Ich weiß, mein Schatz“, sagte Rose seufzend. „Aber nicht mehr lange, dann sind wir in dem Haus, dann kannst du draußen spielen, während ich drinnen auspacke.“

„Warum kann ich nicht zu Josie gehen?“

„Mel, hör mal“, antwortete Rose, „wir können von Dave nicht erwarten, dass er jeden Tag auf dich aufpasst. Er hat schließlich auch Sachen zu erledigen. Und wenn wir morgen in den Zoo wollen, muss ich heute eben ein bisschen mehr machen als sonst, bevor wir was unternehmen können.“

„Also, wenn alles schneller fertig ist, können wir schneller raus?“ fragte Melissa.

„Ja, genau.“

Rose beobachtete, wie es hinter Melissas kleiner Stirn arbeitete.

„Ich helfe dir ein bisschen“, sagte sie plötzlich.

Rose lächelte. „Schön, dann nimm dir doch mal einen Karton und fange an, die CDs und die Filme einzupacken. Such dir ein paar aus, die du vielleicht noch sehen willst, aber nicht mehr als fünf.“

Melissa holte einen Karton, und fing an, ihrer Mutter zu helfen.

Sie arbeiteten fröhlich schwatzend und merkten kaum, wie schnell die Zeit dabei verging.

Als sie fünf gepackte Kartons hatten und das Wohnzimmer aussah, als lebte hier niemand, machten sie Schluss. Es war bereits zwei Uhr und Rose ging in die Küche, um schnell etwas zu essen vorzubereiten.

Als sie die Spaghetti Carbonara aßen, fragte Rose Melissa:

„Was sollen wir eigentlich machen? Gestern waren wir auf dem Spielplatz, da können wir doch heute vielleicht mal was anderes machen.“

Melissa überlegte. „Hmm. Ich weiß nicht. Wir können ja ein bisschen in die Stadt gehen. Wir müssen ja auch noch meine Arbeitshefte aus dem Geschäft abholen. Die sind bestimmt schon da.“

Rose nickte. Sie hatte schon vor den Ferien alles gekauft und die Hefte bestellt, weil sie dachte, dass sie wegen des Umzugs später nicht daran denken würde.

„Das ist eine gute Idee. Wir ziehen uns aber erst um. So können wir nicht unter die Leute gehen.“

Gemeinsam machten sich Rose und Melissa frisch und zogen sich um.

Rose wollte ein paar hübsche Kleider für Melissa kaufen, neue Schuhe brauchte sie auch.

Als sie in dem Schreibwarenladen ankamen, verpassten sie Dave und Josie um etwa eine halbe Stunde.

Die Hefte waren tatsächlich schon alle da. Rose kaufte noch ein paar Schutzhüllen dazu, dann gingen sie weiter, um sich nach Kleidern umzusehen.

Sie erstanden ein paar süße Röcke und T-Shirts, Strickjacken und zwei Paar Schuhe für Melissa.

„So, mein Schatz, jetzt gehen wir zurück zum Auto und wir fahren noch in ein letztes Geschäft“, sagte Rose, als sie mit Tüten beladen waren.

„Müssen wir noch was zu essen einkaufen?“ fragte Melissa verwundert.

„Nein, du wirst schon sehen, was wir kaufen.“

Mühsam schleppten sie ihre Einkäufe bis zum Auto.

Nachdem sie alles verstaut hatten, fuhren sie los.

Melissa kannte die Gegend bald nicht mehr, doch Rose fuhr so sicher die Straßen entlang, als täte sie das jeden Tag.

Es hatte auch mal eine Zeit gegeben, in der sie das getan hatte.

Als Studentin hatte sie sich in verschiedenen Jobs etwas dazu verdient.

Einer dieser Jobs war in einem riesigen Tierwarengeschäft gewesen, in dem man fast alles bekommen konnte.

Rose hatte aber etwas ganz bestimmtes im Sinn und sie war sich sicher, dass Melissa entzückt sein würde.

Als sie auf den Parkplatz einbogen, war an dem Geschäft selbst kaum zu erkennen, was sich innen verbarg.

Beim Aussteigen fragte Melissa: „Mommy, was willst du hier kaufen?“

„Warts ab“, meinte Rose geheimnisvoll.

Sobald sie durch die Eingangstür traten, umfing der Geruch von Tierfutter sie.

Aus mehreren Glaskästen drang ein lautes Zirpen, Heimchen und Heuschrecken aller Größen und Arten saßen da und gaben ein Konzert, bevor sie von irgendeinem Halter von Echsen oder etwas Ähnlichen als Futter gekauft wurden.

„Wow, das ist eine Zoohandlung“, staunte Melissa.

Bisher kannte sie so etwas nur aus dem Fernsehen, sie hatten nie einen Anlass gehabt, eines zu besuchen.

„Ja. Ich dachte, ich zeig dir mal, wo ich früher gearbeitet habe.“

„Hier hast du gearbeitet? Das hat bestimmt Spaß gemacht.“

Rose lachte. „Ja, eigentlich schon.“

Sie gingen weiter durch die Gänge und Melissa bestaunte die Aquarien, in denen bunte Zierfische in allen Farben und Formen schwammen.

Winzige Garnelen staksten auf ihren dünnen Beinchen über Kiesel, Guppys zogen in kleinen Gruppen ihre Bahnen, Piranhas zeigten ihre scharfen, kleinen Zähne.

Es gab Aquarien, die größer waren als Melissas Zimmer.

Darin tummelten sich Schildkröten, kleine Haie und Quallen.

Sie hätten stundenlang bei den Fischen bleiben können, doch Rose wollte bald zum Ziel kommen.

Deshalb führte sie Melissa weiter zu den Vögeln, die laut schreiend oder singend in ihren Volieren saßen und hier und da herumflatterten.

Ein Papagei saß in einem kleineren Käfig und sagte immer wieder: „Schön, dass du da bist!“

Darüber lachten sie beide. „Den hatten wir damals aber noch nicht“, sagte Rose.

Melissa betrachtete die hübschen kleinen Vögel, die zusammen auf einem Ast saßen und zu schmusen schienen.

„Die sind süß“, sagte sie und zeigte ihrer Mutter, welche Vögel sie meinte.

„Ja, sind sie. Schade, dass Vögel so viel Dreck machen, sonst hätten wir vielleicht welche.“

Sie liefen weiter und kamen zu den Terrarien.

Zunächst gab es da die Nager, für die Melissa gleich Feuer und Flamme war.

Es gab da Kaninchen verschiedenster Rassen, Chinchillas, Rennmäuse, Hamster, Meerschweinchen, Ratten, Mäuse.

Natürlich interessierte sich Melissa eher für die Kaninchen.

Doch Rose rief schon: „Schau mal, da!“ und ging weiter zu den Reptilien und Amphibien.

In einem Terrarium lag ein beeindruckend großer Python , der wohl gerade gespeist hatte.

„Ist die giftig?“ fragte Melissa und betrachtete das Tier mit einer gewissen scheu.

„Nein, mein Schatz. Das ist eine Würgeschlange. Und die frisst eher Mäuse und Kaninchen als kleine Mädchen.“

Sie gingen schnell weiter. Die Eidechsen und Leguane waren schon eher nach Melissas Geschmack.

Auch die verschiedenen Frösche gefielen ihr, und als Rose ihr erzählte, dass der eine hübsche grüne sehr giftig ist, konnte sie es kaum glauben.

Als sie weitergingen, kamen sie zu den Spinnen und Insekten, die Melissa zu eklig fand, um sie sich genauer anzusehen.

Nur in einem Terrarium sah sie etwas, das sie zweimal hinsehen ließ.

„Mommy, was macht denn die Maus da bei der Spinne?“ fragte sie erstaunt.

„Oh, Schätzchen, die wird leider das Futter“, erklärte Rose ihr.

„Und wie will die Spinne die fressen? Das dauert ja ewig.“

„Wenn sie sie beißt, spritzt sie ihr ein Gift ein, dass die Maus tötet und gleichzeitig verdaut.

Die Spinne saugt sie dann aus.“

„Das ist ja eklig!“ rief Melissa.

„Ja, ich weiß. Aber so fressen diese Tiere eben.“

Rose hielt nicht viel davon, ihre Tochter über solche natürlichen Dinge anzulügen.

Schnell gingen sie weiter. Hier gab es keine Tiere mehr, da gab es Zubehör und Futter für Pferde, Schweine, Kühe, Hunde und Katzen.

„Sieh mal, da vorne gibt es Sachen für Katzen“, sagte Melissa.

„Ja, natürlich“, meinte Rose nur.

„Können wir mal sehen, wie viel so was wirklich kostet?“ fragte Melissa bittend.

„Na, sehen wir es uns mal an.“ Rose sagte das so, als wäre sie nie selbst darauf gekommen.

„Also“, zählte Melissa eifrig auf, „Tante Cleo hat gesagt, man braucht ein Katzenklo. Und einen Kratzbaum. Und natürlich Näpfe und Spielzeug.“

Sie schauten zuerst nach den Toiletten. Da gab es welche mit und ohne Haube.

Die ohne waren natürlich günstiger, doch Rose dachte, dass der Geruch damit auch stärker sein würde.

Es gab sogar Deos für die Toiletten, doch das fanden sie zu übertrieben.

„Also, die hier sieht stabil aus, die kostet zwanzig Dollar“, sagte Rose nach einer Weile.

„Okay. Zwanzig“, wiederholte Melissa.

„Jetzt der Kratzbaum.“

Sie begutachteten die verschiedenen Modelle und entschlossen sich schließlich für einen mit zwei Liegeplätzen, einer großen Höhle und einem Kratzbrett.

„Der kostet vierzig Dollar. Macht schon sechzig.“

Dann schauten sie sich die Näpfe an. „Wir brauchen einen Wassernapf, einen für das Trockenfutter und einen doppelten für zwei Katzen. Tante Chloe hat ja gesagt, dass man eine nicht alleine halten soll.“

Es gab Näpfe schon sehr günstig für zwei Dollar, die doppelten ab fünf Dollar.

„Sagen wir mal zehn Dollar für Näpfe, macht siebzig Dollar Grundausstattung. Mit Spielzeug vielleicht achtzig. Und dann natürlich noch das Futter und das Katzenstreu.“

Sie schauten sich die verschiedenen Sorten an und Rose überschlug grob, was die Tiere im Monat kosten würden.

Sie kam auf etwa achtzig Dollar, aber das war schon nicht mehr entscheidend.

„Gut. Dann lass uns alles kaufen, was wir brauchen und dann darfst du dir zwei Kätzchen von Tante Cleo aussuchen, wenn wir das nächste Mal hinfahren.“

Melissa jubelte. „Danke, Mommy! Du bist die Beste! Ich verspreche dir auch, dass ich immer mithelfe beim saubermachen und füttern.“

Rose, die sah, wie glücklich ihr Kind war, freute sich ebenfalls.

Schnell holten sie einen Wagen und luden alles auf, was sie brauchten.

Rose bezahlte und sie fuhren die Sachen direkt in das Haus, damit sie sie nicht zweimal ein- und ausladen mussten.

Inzwischen war es schon spät geworden und da sie hungrig waren, holten sie sich unterwegs eine Pizza und verschlangen sie, sobald sie zu Hause angekommen waren.

Kurz darauf lagen beide schon im Bett.

 

 

27.: Im Zoo

 

„Josie, weißt du was? Ich kriege Katzen!“ verkündete Melissa lautstark, als sie die Tür öffnete, um ihre Freundin und Dave einzulassen.

„Ein schlichtes Hallo hätte es auch getan“, meinte Rose, die hinter ihr stand.

„Stimmt das wirklich, Rose?“ fragte Josie.

„Ja, das stimmt. Wenn wir in dem Haus wohnen, haben wir viel mehr Platz und deshalb habe ich es Melissa erlaubt“, erklärte Rose.

Dave, der nun endlich auch in der Wohnung war, grinste.

„Na, dann stell dich mal auf zerkratzte Hände und zerstörte Polstermöbel ein“, sagte er.

„Ihr habt doch gar keine Katze. Da kannst du das doch gar nicht wissen.“, wand Melissa ein, die ihre künftigen Haustiere verteidigen wollte.

„Aber früher hatte ich eine. Und die hat mich immer gekratzt“, triumphierte Dave auf.

„So, jetzt mal genug übers Kratzen, ich hab schon alles gekauft, was man so braucht für die Tierchen und alles weitere werden wir sehen, wenn wir sie haben“, sagte Rose energisch.

„Und jetzt sehen wir erst mal zu, dass wir hier fertig werden. Wir wollen schließlich nicht erst heute Abend im Zoo ankommen.“

„Jawohl, Madam!“ sagte Dave zackig und salutierte vor Rose.

„Gut“, antwortete Rose lächelnd, „dann gehen wir mal in die Küche und jeder schnappt sich eine Tasche. Für jeden sind Getränke und Sandwiches eingepackt.“

Sie gingen im Gänsemarsch in die Küche, die viel größer aussah als vorher.

„Wow, du bist ja wirklich schon fast fertig mit dem Einpacken“, staunte Dave.

„Ja, es war ja auch gar nicht so viel“, meinte Rose achselzuckend. „Das ist der Vorteil von Platzmangel.“

Jeder nahm sich eine der Umhängetaschen, die auf dem kleinen Küchentisch bereitstanden.

Dann machten sie schon wieder kehrt und Sie gingen hinaus, wobei sich Rose im Vorbeigehen ihre Handtasche schnappte.

Sie setzten sich alle in Roses Auto und fuhren aus der Stadt hinaus nach Norden.

Die Fahrt dauerte etwas über eine Stunde, währenddessen plapperten die beiden Mädchen munter vor sich hin, wobei es abwechselnd um den Zoo und Melissas Katzen ging.

Dave und Rose sprachen hingegen vom bevorstehenden Umzug.

Dave bot sich natürlich als freiwilliger Helfer zum Möbelschleppen an.

Als sie auf dem Parkplatz des Zoos angekommen waren, stiegen sie aus.

Melissa und Josie nahmen sich bei der Hand und gingen hinter ihren Eltern her.

Dave wollte erst für alle bezahlen, doch Rose bestand darauf, ihren Teil selbst zu zahlen.

„Du kannst ja später ein Eis spendieren“, meinte sie.

Dave gab sich geschlagen.

Sie gingen durch den Einlass und standen erst mal einen Moment lang da, um sich zu orientieren.

„Da entlang“, sagte Melissa. „Da gibt es Gehege.“

Sie gingen den Weg entlang und bestaunten die Tiere, die sich in den Gehegen und Käfigen tummelten. Da gab es Lemuren, Wallabys, Meerschweinchen und Papageien, zwischen den Gehegen stand ein Fahrgeschäft, auf das Melissa und Josie zustürmten, sobald sie es entdeckten.

Dave half ihnen in das kleine Karussell, dann standen er und Rose nur noch daneben und winkten, während ihre Töchter, auf einem Schwan und einem Löwen sitzend, Runde um Runde drehten.

Als sie endlich genug hatten, gingen sie weiter zu einem riesigen Gehege, in dem allerlei Steppentiere lebten.

Gazellen weideten neben Zebras und Giraffen, für die Körbe mit Futter in den Bäumen hingen.

Rose fotografierte alles, das ihr sehenswert erschien.

Dann gingen sie an einer kleinen Imbissbude vorbei, an der man frittierten Fisch kaufen konnte.

Es roch zwar verlockend, doch es war nicht mal elf Uhr und sie hatten ihre Sandwiches noch gar nicht gegessen.

„Schaut mal, Flusspferde!“ rief Melissa erfreut. Sie mochte diese dickhäutigen, gemütlich aussehenden Tiere, die sich im Wasser so überraschend grazil bewegen konnten.

Sie gingen zu dem Gehege, das außer dem normalen Sicherheitszaun noch eine Wand aus Glas hatte, durch die man die Flusspferde unter Wasser beobachten konnte.

„Da kämpfen zwei Bullen“, sagte Dave und deutete auf zwei große Tiere, die sich mit weit geöffneten Mäulern angriffen.

Melissa sah erschrocken zu. „Ich wusste nicht, dass die auch so böse sein können“, sagte sie.

„Doch, ich habe mal gehört, dass in Afrika mehr Todesfälle auf ihr Konto gehen als auf das von Krokodilen oder Raubkatzen“, meinte Dave.

„So gefährlich sind sie?“ fragte Melissa und starrte auf die beiden Kämpfer, die sich inzwischen getrennt hatten.

„Gehen wir weiter“, schlug Rose vor.

Das nächste Gehege war von Löwen bevölkert.

„Seht euch die Pranken an“, sagte Dave begeistert.

Gerade waren die Tiere gefüttert worden und nun lagen sie faul in der Sonne.

„Die Mähnen von den Männchen sind toll“, sagte Josie.

Als sie weitergingen, rief Josie: „Eine Eisenbahn!“

Tatsächlich war dort der Einstieg zu einer kleinen Eisenbahn.

Als sie näher herantraten, sahen sie ein Schild.

„Safari-Bahn“, las Rose vor. „Steigen Sie ein und genießen Sie unsere Tiere aus einer anderen Perspektive!“

„Hört sich gut an. Sollen wir?“ fragte Dave.

Rose überlegte. „Lasst uns doch erst mal weitergehen, wir heben uns die Bahn für den Schluss auf.“

Alle waren einverstanden, auch wenn die Kinder etwas ungeduldig wurden.

Doch der Anblick der Schimpansen, die ebenfalls hinter Glaswänden ihr Leben führten, stimmte sie wieder fröhlich.

Da waren bestimmt zwanzig Tiere, die an verschiedenen Bäumen und Spielgeräten ihre Turnkünste vorführten.

Einige schaukelten, andere kletterten, wieder andere saßen auf dem Boden und beschäftigten sich mit einem Jungtier.

Rose konnte gar nicht genug Fotos machen von den drolligen Tieren.

Auch Melissa und Josie waren begeistert und entdeckten immer wieder etwas Neues, das sie zum Lachen brachte.

Dave stand daneben und dachte flüchtig daran, wie gern er jetzt mit Rose in dieser Safari-Bahn sitzen würde.

Der Gedanke hatte sich kaum gebildet, als er ihn auch schon energisch beiseite schob.

Er wusste nicht, dass Rose aus dem gleichen Grund die Fahrt so lange wie möglich aufschieben wollte.

Sie wusste, wenn sie mit der Bahn fuhren, würden die beiden Kinder nebeneinander sitzen wollen.

Dann musste sie neben Dave sitzen.

Obwohl sie eigentlich nichts lieber täte als neben ihm zu sitzen, fürchtete sie sich ein wenig davor.

Seit dem Gespräch mit Cleo, bei dem sie sich eingestanden hatte, dass sie Dave mochte, war sie in seiner Nähe immer etwas nervös.

Sie gingen weiter, vorbei an Kamelen und Wüstenfüchsen.

Dort standen Picknick-Tische, an denen sich die vier niederließen.

Jeder packte seine Sandwiches und seine Getränke aus.

Aufgeregt plapperten Josie und Melissa über die bevorstehende Fahrt mit der Bahn.

„Ihr wisst aber, dass wir noch einige Tiere vor uns haben, bevor wir mit der Bahn fahren“, erinnerte Rose die beiden Mädchen.

„Ja, Mommy. Wir laufen eben etwas schneller, dann können wir eher mit der Bahn fahren“, schlug Melissa vor.

„Solange ich Zeit habe, Bilder zu machen und das ein oder andere Schild zu lesen, bin ich einverstanden“, sagte Rose.

Natürlich waren Josie und Melissa vor lauter Ungeduld schon sehr bald satt und standen auf, um auf den kleinen Spielplatz zu gehen, der neben den Tischen lag.

„Die wissen schon, warum die hier den Spielplatz hinstellt haben“, meinte Dave.

„Wieso?“ fragte Rose, froh, dass Dave ein Gespräch angefangen hatte.

„Naja, ich schätze mal, das läuft bei allen Familien so ab, die hier herkommen. Die Kinder wollen mit der Bahn fahren, deshalb essen sie bei ihrem Picknick nicht viel und brauchen dann Beschäftigung.“

Er war sichtlich stolz auf seine Analyse.

„Ja, du hast recht. Wir hätten ja sonst keine ruhige Minute mehr“, meinte Rose.

Sie aßen auf und saßen dann einen Moment lang schweigend da und taten so, als beobachteten sie die Kinder.

Wieder war es Dave, der das Schweigen brach.

„Wie viele Fotos hast du denn schon gemacht?“ fragte er.

„Oh, einige. Warte mal“, sagte Rose und fummelte dann ihre Kamera aus ihrer Tasche.

Sie durchsuchte kurz die Bilder, die darauf waren und sagte dann:

„72.“

„Zeig mal.“

Dave nahm ihr die Kamera aus der Hand und betrachtete die Bilder, die sich auf dem Display anzeigten.

Bei einigen lachte er oder gab einen Kommentar ab, wie:

„Den hast du gut getroffen“, oder „Ach schade, der hat sich gerade umgedreht.“

Ein paar Minuten lang sahen sie sich die Bilder an.

Als Dave schließlich weiterblätterte, gelangte er zu den älteren Aufnahmen auf der Kamera.

Zunächst war da Melissa in früheren Zimmer, das wirklich ein krasser Gegensatz zu ihrem jetzigen war.

Das Zimmer war groß, hell und voller Spielsachen, die so verstaut waren, dass genug Platz zum Spielen da war.

Dave fragte sich, wie schwer es Melissa wohl gefallen war, darauf zu verzichten.

Und trotzdem, so fand er, sah die Melissa auf dem Foto wesentlich trauriger aus als das Mädchen, das er kannte.

Auf dem nächsten Bild war Eric zu sehen, der einen Arm um Rose gelegt hatte.

Dave hatte Eric nie zuvor gesehen, doch er war sich sicher, dass er es war.

Dave musste neidvoll zugeben, dass er ein sehr attraktiver Mann war.

Rose war auf dem Bild erst auf dem zweiten Blick erkennbar.

Sie trug ein elegantes Kleid, die Haare waren hochgesteckt.

Es verschlug Dave die Sprache, wie schön Rose auf dem Foto aussah.

„Was ist denn?“ fragte Rose, die Dave verwundert ansah.

„Was?“ fragte er zurück.

„Na, du starrst das Bild jetzt bestimmt schon eine Minute an, ohne etwas zu sagen.“

„Ach so, es ist nur weil ich zum ersten Mal ein Bild von Eric sehe“, wich er aus.

„Ja, ich habe ja auch nirgends Bilder von ihm in der Wohnung. Für was auch? Ich habe ein paar aufgehoben für Melissa. Falls sie sie irgendwann mal haben will.“

Unwillkürlich sah sie zu den Kindern hinüber.

Dave kam es plötzlich sehr indiskret vor, noch weiter in Roses Kamera herum zu schnüffeln.

„Sollen wir langsam aufbrechen?“ fragte er.

Rose räumte den Tisch auf und Dave schnappte sich die Taschen.

Gemeinsam gingen sie zu dem Spielplatz rüber und riefen die beiden Mädchen, die auch wirklich sofort angelaufen kamen.

So setzten sie ihren Weg gestärkt fort.

Sie kamen nun zu den Dschungeltieren und betrachteten Tiger, die in ihrem Teich badeten, kleine Äffchen, die auf den Bäumen in ihrem Gehege hin und her sprangen, schwarze Panther und Fledermäuse.

Die Dschungelpflanzen wichen von Gehege zu Gehege anderen Waldpflanzen.

In den Gehegen lebten Rehe, mächtige Hirsche, Füchse und kleine Tiere, die aussahen wie eine Kreuzung zwischen Dachs und Hund.

Dann kamen Wölfe, die aufgeregt am Zaun hin und her liefen und ein Gehege mit einem Braunbären, der sich leider nicht sehen ließ.

Schließlich erreichten sie wieder ihren Ausgangspunkt.

„Hier sind wir reingekommen“, stellte Melissa triumphierend fest.

„Schlaumeier“, sagte Rose.

„Na, jetzt gehen wir doch aber zu der Safari-Bahn, oder?“ fragte Josie vorsichtig.

Aus Erfahrung wusste sie, dass Erwachsene nicht immer ihre Versprechen einhielten.

Irgend etwas konnte immer dazwischen kommen.

Mal war es Regen, mal war es doch schon zu spät, mal mussten sie dringend woanders hin.

Doch diesmal war es kein leeres Versprechen.

Dave sagte schnell: „Selbstverständlich. Ich freue mich schon die ganze Zeit darauf. Und später lade ich euch alle noch zum Essen ein, wenn die Fahrt nicht zu lange dauert.“

Sie gingen wieder an den Gehegen vorbei, die sie bereits gesehen hatten, deshalb konnten sie die Strecke ziemlich schnell zurücklegen.

Trotzdem verfluchte sich Rose dafür, dass sie nicht doch schon vorhin gefahren waren.

Nur weil sie Angst hatte, nervös zu werden.

Sie kamen an dem kleinen Bahnhof an.

„Der nächste Zug fährt in fünf Minuten“, sagte Rose, die den Fahrplan studierte.

„Muss man dafür Tickets kaufen?“ fragte Dave, der zwar einen Mitarbeiter des Zoos sah, der sich um den Bahnhof zu kümmern schien, aber keine Kasse und keinen Automaten.

„Nein, das ist im Eintrittspreis mit drin.“

„Ah, das erklärt, warum das Ticket so teuer war.“

Die fünf Minuten zogen sich ein wenig, weil Melissa und Josie ungeduldig wurden, aber irgendwann lief schließlich der kleine Zug ein.

Er war mit einem Zebra-Muster bemalt und hatte zwanzig Sitzplätze in zwei Reihen.

Es stiegen etwa zehn Leute aus und etwas weniger ein.

Wie Rose geahnt hatte, wollten Josie und Melissa nebeneinander sitzen.

„Auf welcher Seite willst du sitzen?“ fragte Dave zuvorkommend.

„Das ist egal“, antwortete Rose, „man sieht von beiden Seiten gleich gut.“

Sie setzten sich und warteten gespannt auf die Abfahrt.

Rose hielt ihre Kamera bereit.

Endlich fuhr die Bahn los. Anfangs noch sehr gemächlich, doch dann immer schneller.

Roses Nähe verwirrte Dave schon etwas, auch wenn er immer noch nicht bereit war, sich einzugestehen, dass er Rose nicht mehr nur als Freundin betrachtete.

Donnie hatte ihn schon des Öfteren in die Mangel genommen.

Brenda und er waren der Meinung, dass Rose perfekt zu ihm passte.

Dave beharrte trotzdem darauf, dass sie nur Freunde seien.

Auch wenn die Erinnerung an ihre gemeinsame Nacht ihn mittlerweile fast auffraß.

Er hätte gesagt, dass es wirklich eine perfekte Nacht war, wenn sie nicht diesen Makel gehabt hätte.

Dass er nur mit Rose geschlafen hatte, weil seine Frau sich die Pulsadern aufgeschnitten hatte, passte ihm nicht in den Kram.

Es war einfach nicht richtig. Etwas Neues sollte nicht aus Trümmern entstehen.

Und trotzdem konnte er es nicht lassen. Konnte Rose nicht lassen.

Er fühlte sich hilflos, wie eine Motte, die zum Licht gezogen wird, er konnte nichts dagegen tun.

Sobald sie in seiner Nähe war, kam er sich vor wie ein Schuljunge, der zum ersten Mal verknallt war. Er redete einfach wild drauflos, wenn die Gesprächspausen zu lang wurden, oft genug redete er dabei Unsinn oder machte kleine, boshafte Bemerkungen.

Oder er fiel ins andere Extrem und machte Komplimente und verhielt sich sehr galant.

Wenn er dann wieder alleine war, dachte Dave zunächst, dass es ganz gut tat, Rose ein paar Tage nicht zu sehen. Er redete sich ein, dass er nur etwas Zeit brauchte, um alles zu verdauen, dann würde alles wieder wie früher werden.

Spätestens nach zwei Tagen fragte sich Dave, was sie wohl machte, wie Rose ihren Urlaub verbrachte, wenn sie nicht gerade mit Packen beschäftigt war.

Dann nagte der Gedanke an ihm, dass sie möglicherweise einen anderen Mann kennenlernen könnte.

Dann fing er an, sich Gedanken über ein neues Ausflugsziel zu machen, zu dem Josie garantiert nur mit Melissa und Rose fahren wollte.

Diese Art der Manipulation durchschaute Josie natürlich noch nicht, sie war schließlich ein Kind.

Dass ihr Vater selbst nicht verstand, was er da tat, war natürlich ein anderes Kapitel.

Und da saß er nun neben Rose, wie er es sich schon ausgemalt hatte und wusste doch nicht recht, was er nun eigentlich wollte.

Rose hingegen wusste genau, was sie wollte. Doch sie war sich ziemlich sicher, dass Dave nicht das Gleiche wollte, deshalb versuchte sie, sich so neutral wie möglich zu verhalten.

Doch Daves Verhalten verwirrte sie manchmal. Mal war er total albern, mal schien er gereizt, manchmal jedoch konnte sie fast meinen, er würde ähnlich empfinden wie sie.

Doch sie war eine erwachsene Frau, die wusste, wie man sich manchmal irren konnte, deshalb bildete sie sich darauf nichts ein. Auch sie hoffte nur noch, dass alles wieder normal werden würde.

Melissa und Josie genossen die Fahrt, die sie durch sämtliche Gehege führte. Sie konnten die Affen in den Baumkronen springen und klettern sehen, Giraffen spazierten auf gleicher Augenhöhe mit ihnen einher. Es war erstaunlich, wie ausgeklügelt die Strecke der Bahn war. Man konnte alle Tiere gefahrlos beobachten. Sie waren immer außerhalb der Reichweite von Mäulern, Krallen und Steinen, die geworfen wurden. Brückenpfeiler hielten die Bahn in der Höhe, wo es nötig war, aber immer so, dass man so nah wie möglich bei den Tieren war.

Selbst der Bär, der vom Weg aus nicht zu sehen war, zeigte sich zwischen den Bäumen.

Anscheinend war es ein Weibchen, denn es waren zwei Jungtiere dabei.

Melissa drehte sich zu ihnen um. „Mach bloß viele Fotos, Mommy!“ rief sie lächelnd.

„Natürlich, mein Schatz“, antwortete Rose.

An Dave gewandt sagte sie: „Es war wirklich eine gute Idee, hier her zu kommen. Danke.“

Dave errötete, was Rose sehr süß fand. „Naja, ähm, gerne“, stammelte er.

„Die Kinder haben wirklich viel Spaß. Und ich finde es auch toll.“

„Ja, Donnie hat mir den Zoo auch wirklich empfohlen.“

„Man kann vor allem auch gut sehen, dass es den Tieren gut geht. Ich hab schon Zoobesuche abgebrochen, weil ich die Bedingen dort so beschissen fand.“

Schnell sah Rose nach vorne, um festzustellen, ob die Kinder das schlimme Wort gehört hatten.

Dave nickte. „Ja, wir waren mal in so einem kleinen Zoo oben im Valley. Josie sagte sogar, dass es ihr nicht gefiel, dass die Tiere so traurig aussahen. Sandra bestand darauf, sich trotzdem alles anzusehen. Schließlich hatten wir dafür bezahlt und für die paar Dollar konnten wir ja wohl nichts anderes erwarten, meinte sie nur.“

Rose schüttelte nur den Kopf. Genau das war es ja, was diese miesen Tierparks am Leben hielt.

Sie waren nun etwa zwanzig Minuten gefahren, als sie weiter vorne bereits wieder den Bahnhof entdeckten.

„Oh, schaut mal!“ rief Josie. „Gleich kommen wir bei den Löwen durch. Dann ist die Fahrt schon zu Ende!“

„Naja, immerhin fast eine halbe Stunde, ich habe nicht gedacht, dass es so eine große Tour ist“, sagte Dave. „Außerdem wollten wir ja noch Essen gehen.“

Als sie einige Minuten später aus der Bahn stiegen, standen sie kurz unschlüssig herum.

„Sollen wir hier auf dem Gelände was essen, oder sollen wir lieber bei uns in ein Lokal gehen?“ fragte Dave.

Rose schaute auf die Uhr. „Es ist jetzt sechs. Bis wir bei uns ein Lokal gefunden haben wird es sicherlich acht sein. Von mir aus können wir bis dahin warten. Was ist mit euch?“ fragte sie die Kinder.

„Ich weiß wo wir hingehen können“, meinte Josie. „Zu Vito. Oder, Daddy?“

Dave nickte. „Ja, das könnten wir machen, wenn ihr auch Lust habt auf Italienisch?“

Rose nickte, Melissa ebenfalls. „Wenn du meinst, dass wir dort am Sonntag Abend einen Tisch bekommen“, meinte Rose, „gerne.“

Dave zückte sein Handy. „Das werden wir gleich wissen.“

Er wählte eine Nummer und wartete auf Antwort.

Nach einigen Sekunden hellte sich sein Gesicht auf.

„Guten Abend, Teresa“, sagte er. „...Ja, genau...Ja, uns geht es soweit gut...Ja, ja ich weiß, wir waren schon lange nicht mehr da...Sandra? Nein, das hat nicht viel gebracht, ich musste mich von ihr trennen...Ja, ich weiß, das habt ihr mir schon lange gesagt...Wann ich komme, um darauf einen zu trinken? Wie wäre es mit heute?...Ja, deshalb rufe ich an...Ich wollte gerne mit Josie, ihrer Freundin Melissa und deren Mutter Rose vorbeikommen...Ja, ich denke so gegen halb acht...Gut, bis später dann.“

Er legte auf und grinste breit. „Alles klar. Wir fahren zu Vito.“

Da das nun geklärt war, wollten die vier gleich aufbrechen, damit es nicht zu spät wurde.

Sie gingen den Weg zurück und verließen den Zoo.

 

 

28.: Durchschaut

 

Auf der Fahrt zu dem kleinen Restaurant erzählte Dave Rose von Vito und Teresa.

„Ich bin schon während des Studiums immer zu ihnen essen gegangen. Das Essen war gut, die Preise waren fair und Vito und Teresa haben mich immer behandelt wie ihren eigenen Sohn. Ich war mit drei meiner Kommilitonen eng befreundet, wir gingen immer zusammen aus, wir hatten eine gemeinsame Lerngruppe, wir halfen uns gegenseitig, Mädels abzuschleppen.“

Beim letzten Satz biss sich Dave auf die Lippen, doch Rose grinste nur.

„Mit diesen dreien ging ich jeden Freitag zu Vito. Wenn Vito Feierabend hatte und Teresa die letzten Gläser spülte und dann die Kasse machte, setzte er sich noch zu uns und spendierte eine Runde Grappa nach der anderen. Erst, wenn Teresa mit allem fertig war, brachen wir auf. Manchmal gaben sie uns auch Reste mit, ein paar gekochte Spaghetti mit etwas Soße oder eine Pizza, die jemand falsch gemacht hatte. Deshalb bin ich ihnen treu geblieben. Josie mag die beiden auch sehr, sie bringen ihr Italienisch bei und sie darf in ihrer Wohnung über der Gaststätte mit dem Hund spielen. Manchmal ist auch ihre Enkelin da, dann spielen die beiden im Garten.“

„Das hört sich toll an“, sagte Rose. „Ein Lokal, in dem du dich wirklich wie zuhause fühlen kannst.“

Sie fuhren in die Stadt ein und Dave dirigierte Rose bis zu dem kleinen Lokal, das in einer netten Wohngegend lag.

„Ich wäre nie auf die Idee gekommen, dass es hier ein Restaurant gibt“, meinte Rose.

„Ja, man könnte denken, es würde sich nicht lohnen, hier etwas aufzumachen. Doch die Menschen sind bequem, warum sollten sie denn so weit fahren, wenn gleich um die Ecke dieser nette kleine Italiener ist. Außerdem ist ein paar Blocks weiter der Campus, die Studenten kommen gerne zu Vito.“

Tatsächlich gab es vor dem Restaurant keine freien Parkplätze mehr, sie hielten in einer Nebenstraße.

Als sie die Tür zum Lokal öffneten, kam ihnen ein köstlicher Geruch entgegen.

Eine kleine, schlanke Frau, der man nur wegen ihrer leicht ergrauten Locken das Alter ansah, kam auf sie zu.

„Dave, caro mio! Wie schön, dich zu sehen!“ rief sie mit unverkennbarem Akzent aus.

„Teresa, wie geht es dir?“

Sie tauschten links und rechts ein Küsschen aus, dann beugte sich Teresa zu Josie hinab.

„Meine Kleine, du bist ja richtig groß geworden. Wie geht es dir denn? Du hast jetzt Ferien, eh?“

„Ja, noch zwei Wochen. Aber Daddy hat bloß noch eine Woche.“

„Teresa, das sind Rose und Melissa“, stellte Dave vor.

„Du bist aber eine hübsche junge Dame“, sagte Teresa zu Melissa, dann wandte sie sich Rose zu.

„Und ich weiß auch genau, woher sie das hat. Es freut mich, Sie kennenzulernen.“

Lächelnd gaben sich die beiden Frauen die Hand.

„Dave, ich habe euch deinen Stammtisch reserviert. Vito ist in der Küche. Ich habe ihm noch nichts gesagt.“

Sie führte sie zu einem Tisch, der direkt neben der Theke stand.

„Was wollt ihr trinken?“ fragte Teresa und zückte einen kleinen Block und einen Kugelschreiber.

„Ich mag ein Ice Cream-Soda“, sagte Josie. „Das sind die besten hier, Melli. Mir schmeckt am besten Minze mit Schoko-Eis.“

„Gibt es auch Kirsche mit Bananeneis?“ fragte Melissa.

„Das kann ich machen, eine neue Kreation“, antwortete Teresa lächelnd.

„Ich hätte gerne einen schönen Rotwein, überrasch mich“, meinte Dave.

Rose, die ja noch fahren musste, bestellte eine Cola.

Sie sah sich in dem gemütlichen Lokal um, das gut besucht war.

Viele Leute kamen auch nur, um sich Essen mitzunehmen.

Neben Teresa war eine jüngere Frau hinter der Theke, die sich um die Getränke kümmerte.

Die Küche war zwar in einem anderen Raum, doch die Wand zum Gastraum war nur hüfthoch.

Die Durchreiche war durch zwei Pfeiler, die die Decke stützten, in drei Bereiche unterteilt.

Wie Rose erkennen konnte, war ein Bereich für Bestellungen, die ankamen, einer für die Teller, die zu den Tischen rausgingen und ein letzter Bereich war für das dreckige Geschirr, das zurückkam.

Die Gäste, die hier waren, ließen sich in keine Kategorie stecken.

Es waren ein paar Studenten anwesend, Familien mit Kindern, ältere Ehepaare, es war alles in allem ein bunter Haufen.

Die Leute blieben auch nicht unbedingt an ihren Tischen sitzen, ein paar standen an der Theke und unterhielten sich mit Teresa und ihrer Mitarbeiterin, einige standen an der Durchreiche und plauderten mit dem Küchenpersonal. Auch sonst war alles in Bewegung, einer der Studenten hatte sich zu einem Mann gesetzt, der alleine an seinem Tisch gesessen hatte.

Ein kleines Mädchen war ihren Eltern entwischt und saß nun zwischen zwei älteren Damen, die es abwechselnd mit Eis fütterten.

Man hatte nicht so sehr das Gefühl, in einem Restaurant zu sein, die Atmosphäre erinnerte eher an ein Familienfest.

Teresa kam mit den Getränken.

Begeistert nahmen die Kinder ihre Ice Cream-Sodas in Empfang.

„Hier habt ihr ein paar Speisekarten“, sagte Teresa und überreichte sie ihnen.

„Also, ich weiß schon, was ich esse“, meinte Dave grinsend.

„Ja, da bin ich mir sicher“, lachte Teresa. „Hast du immer noch nicht gelernt, dass so viel Fett nicht gut ist für dein Herz?“

„Der Geist ist willig, doch der Körper ist schwach“, meinte Dave mit theatralisch verzogener Miene.

„Gut, wie du willst. Aber sag nicht, ich hätte dich nicht gewarnt.“

Sie ging mit ihrem leeren Tablett an den nächsten Tisch, fragte freundlich, ob die Herrschaften noch etwas wünschten und nahm dann zwei leere Gläser mit hinter den Tresen.

„Was hast du denn bestellt?“ fragte Rose neugierig.

„Frittierte Calzone gefüllt mit Mozzarella, Parmaschinken und Champignons als Vorspeise, als Hauptgang Mailänder Schnitzel mit Spaghetti und als Dessert Tiramisù.“

„Oh, das hört sich wirklich sehr....reichhaltig an“, meinte Rose.

Sie studierte die Karte und las laut vor, welche Kindergerichte es gab.

„Spaghetti Bolognese, Mini-Pizza Salami, Junior-Schnitzel-Teller, Schmetterlingsnudeln mit Erbsen und Schinken in Tomaten-Sahnesoße, Würstchen mit Pommes, Hamburger, Cheeseburger.“

Josie wollte die Pizza, Melissa entschied sich für die Würstchen.

Rose konnte sich nur schwer entscheiden.

Die Karte war gespickt mit leckeren Gerichten. Es waren tolle Nudelgerichte dabei, die nicht total amerikanisiert waren.

Auch das Pizza-Angebot war reichhaltig, außerdem stand in der Karte, dass die Pizza im Holzbackofen gebacken wurde.

Schließlich entschied sich Rose für einen kleinen Meeresfrüchtesalat als Vorspeise und eine Pizza mit Parmaschinken, Rucola und Parmesankäse.

Über ein Dessert wollte sie erst später nachdenken.

Dave sagte: „Weißt du was, ich gehe mal zu Teresa und geb ihr die Bestellung durch. Ich geb Vito den Zettel dann persönlich.“

Er stand auf und ging zu Teresa, die gerade an der Kasse stand.

Er gab ihr die Bestellung durch und nahm dann den Bon in Empfang.

„Deine Freundin scheint nett zu sein“, bemerkte Teresa leise.

Dave wurde unwillkürlich heiß. „Ja, sie ist wirklich sehr nett.“

„Ist sie verheiratet?“

„Nein, nicht mehr.“

„Ich an deiner Stelle würde sie im Auge behalten. Ich bin eine alte Frau, mir kann niemand mehr etwas vormachen. Ich kenne die Menschen. Du weißt, ich habe dir so oft gesagt dass Sandra nicht gut für dich ist. Das habe ich gleich erkannt, weißt du noch? Was habe ich damals zu dir gesagt?“

Dave erinnerte sich an viele Gespräche über Sandra, doch die Kernaussage Teresas war immer die gleiche gewesen:

„Sandra wird mich irgendwann ins Unglück stürzen und sollten wir jemals Kinder bekommen, verwettest du deinen katholischen Arsch, dass sie keine gute Mutter wird.“

„Und hatte ich Recht?“

„Ja. Und was hat das mit Rose zu tun?“ fragte Dave.

„Rose ist genau das Gegenteil von Sandra. Ich muss sie nicht näher kennen, das merke ich. Sie ist eine gute Frau. Sie liebt ihr Kind und scheint anständig zu sein. Und ich glaube, sie ist ein bisschen in dich verliebt“, schloss Teresa lächelnd.

„Rose? Nein. Wir sind doch nur Freunde. Klar ist sie nett und alles, was du gesagt hast, aber wir sind nur Freunde.“

Dave hatte ganz rote Wangen bekommen.

„Oh, du magst sie auch, stimmt's?“ erriet Teresa.

„Ach, das ist doch Quatsch“, wehrte sich Dave. „Sie ist nur eine Freundin.“

„Wie du meinst, aber wie gesagt. Ich würde sie im Auge behalten.“

Dave lächelte. „Ich denke darüber nach“, versprach er.

„So und jetzt geh aber zu Vito rein, sonst müsst ihr hier übernachten“, sagte Teresa und deutete auf eine Tür mit der Aufschrift: Privat.

Dave ging mit seinem Zettel durch die Tür und gelangte in einen Korridor mit zwei Türen und einer Treppe, die nach oben in die Wohnung führte.

Die erste Tür führte in die Küche. Die zweite, das wusste er, führte in den geräumigen Keller hinunter, der mit Kühl- und Gefrieranlagen ausgestattet war.

Dave ging in die Küche, wo zunächst niemand Notiz von ihm nahm.

Ein junger Mann, den Dave noch nie gesehen hatte, entdeckte ihn schließlich.

„Hallo“, sagte er und sah ihn misstrauisch an. „Kann ich Ihnen helfen?“

Da kam Toni, einer der Köche um die Ecke und sah Dave.

„Vito! Veloce! Schnell! Schau, wer da ist!“

Freudestrahlend kam er auf Dave zu und küsste ihn auf beide Wangen.

„Wie geht’s dir, mein Freund? Du warst so lange nicht mehr hier!“

Der Mann, der Dave zuerst begrüßt hatte, merkte, dass er nicht mehr gebraucht wurde und zog ab, um mit seiner Arbeit weiterzumachen.

„Ich werde verrückt! Dave!“ Vito hatte ihn endlich entdeckt.

„Vito!“ Auch Dave freute sich, seinen alten Freund wiederzusehen.

„Mein Gott, das ist doch bestimmt schon ein halbes Jahr her! Wie geht’s dir, bist du alleine hier?“

„Ich glaube, es ist sogar länger als ein halbes Jahr gewesen. Ich bin nicht alleine hier. Josie ist dabei und eine Freundin von ihr mit ihrer Mutter, mit der ich gut befreundet bin.“

„Sandra lässt dich mit einer Frau befreundet sein? Hat die Therapie so gut geholfen?“

Er hatte einen Scherz machen wollen, doch als er sah, wie sich Daves Gesichtsausdruck änderte, verschwand sein Grinsen schlagartig.

„Was ist los, mein Freund?“

Dave erzählte ihm in groben Zügen von Sandra, dass die Therapie nicht geholfen hatte und dass er sich wegen Josie von ihr getrennt hatte. Auch den Selbstmordversuch verschwieg er ihm nicht.

„Junge, Junge! Du hast ein bisschen viel Stress gehabt in letzter Zeit, was? Kein Wunder, dass du nicht mehr hergekommen bist.“

„Ja, und es wird bestimmt auch noch stressig, wenn erst mal die Scheidung läuft und wir uns im Gericht sehen müssen. Aber im Moment will ich das vergessen und meinen Urlaub genießen.“

„Gut, dann werde ich mal mein bestes geben, damit du diesen Abend auch genießt. Gib mir mal deine Bestellung. Später, wenn hier weniger los ist, komme ich zu euch raus an den Tisch.“

Dave gab ihm seinen Bon und verließ die Küche. Er wollte Rose auch gar nicht so lange mit den Kindern alleine lassen. Oder mit Teresa.

Wie er befürchtet hatte, saß sie auf seinem Platz und plauderte angeregt mit Rose.

Sie zeigte Teresa gerade die Fotos auf ihrem Handy.

„Und da waren wir dann in dieser Safari-Bahn, da konnte man die Bären wirklich gut sehen.“

„Und habt ihr keine Angst gehabt? Ihr wart wirklich nah an den Tieren dran.“

„Es war immer genügend Abstand dazwischen. Und ich glaube, die Fenster waren aus irgend einem Sicherheitsglas. Ich fand es wirklich nicht schlimm.“

Teresa blickte auf und erhob sich augenblicklich.

„Na, hat Vito sich gefreut?“ fragte sie.

„Ja, er hat sich gefreut. Er kommt später raus zu uns.“

„Ja, jetzt hat er alle Hände voll zu tun. Wir haben gerade sehr viele Bestellungen, die abgeholt werden. Aber sonntags ist immer ziemlich früh Ruhe.“

Sie ging wieder zurück hinter den Tresen und sah nach, was es zu tun gab.

„Sie ist wirklich sehr nett. Wie alt ist sie eigentlich?“ fragte Rose.

Dave überlegte. „Ich war zwanzig, als ich zum ersten Mal herkam, da war Teresa dreißig und Vito fünfunddreißig. Das war vor achtzehn Jahren. Also ist sie jetzt achtundvierzig und Vito ist dreiundfünfzig.“

„Danke, Einstein“, versetzte Rose mit einem leichten Grinsen.

„Hey!“ entrüstete sich Dave, ebenfalls grinsend.

Melissa und Josie waren in ein Bilderbuch vertieft, das Teresa ihnen gegeben hatte.

Mit den Vorspeisen kamen die Pizza und die Nudeln für die Kinder gleich mit.

Teresa stellte ein Körbchen mit Brot neben Roses Teller und wünschte dann allen einen guten Appetit.

Rose begutachtete misstrauisch Daves Teller, die Calzone sah wirklich sehr fettig aus.

Ihr Meeresfrüchtesalat war einer der besten, die sie je gegessen hatte.

Alles war frisch und sah gut aus, trotzdem schielte sie immer wieder auf Daves Teller.

„Möchtest du vielleicht mal probieren?“ fragte er kauend.

„Wenn ich darf“, antwortete Rose grinsend und schnitt sich ein kleines Stück ab.

Als sie sich über Daves Teller beugte, konnte er für einen Moment den Geruch ihres Haares wahrnehmen, das trotz des langen Tages noch leicht duftete. Kokos.

Seine Verwirrung überspielend, angelte er sich mit seiner Gabel eine Garnele von Roses Teller.

Auch Melissa und Josie probierten mal bei jedem.

Sie waren wirklich hungrig nach dem langen Marsch und der Aufregung im Zoo.

Nachdem Dave ein paar mal an seinem Wein genippt hatte, genoss er Roses Nähe und die heitere Stimmung, die am Tisch herrschte.

Der Hauptgang kam gleich, nachdem Teresa ihre leeren Teller vom Tisch abgeräumt hatte.

Die Pizza war so groß, dass Rose sie anstarrte wie einen Feind, den es zu besiegen galt.

Dave hingegen betrachtete seinen Teller mit großem Vergnügen.

„Na, dir scheint es ja zu schmecken“, meinte Rose. „Ich bewundere manchmal deinen Appetit. Sieht man dir gar nicht an“, neckte sie ihn.

„Zum Glück“, lachte Dave, „sonst müsste ich mich nämlich ganz schön zügeln.“

Es war schon ziemlich spät für einem Sonntag Abend, langsam leerten sich die Tische im Lokal.

Als es ruhiger wurde, konnte Rose plötzlich Musik hören, vermutlich war schon die ganze Zeit Musik gelaufen.

Josie und Melissa wurden langsam müde. Rose sah auf die Uhr. Es war fast zehn Uhr.

„Sollen wir nicht langsam gehen?“ fragte sie. Ihre leeren Teller standen noch vor ihnen,

Dave hatte sich das Tiramisù noch irgendwie rein gequält und rieb sich wohlig den Bauch.

„Nein, Mommy. Ich will noch Vito kennen lernen. Josie hat gesagt, er ist lustig“, sagte Melissa.

„Er wird bestimmt bald kommen“, versicherte Dave, der auch nicht wollte, dass der Abend schon vorbei war.

Rose gab sich geschlagen.

Als das Lokal bis auf zwei kleinere Tische leer war, setzte sich Teresa zu ihnen.

Die Kinder nahmen sie in ihre Mitte.

„Vito kommt auch gleich raus“, sagte sie.

„Na, dann organisiere ich schon mal eine Flasche Wein“, sagte Dave und stand auf.

Teresa sagte: „Sag Gabriella, dass sie dir Vitos Wein geben soll. Er hat ihn selbst gemacht.“

Dann wandte sie sich an die Kinder.

„Na, habt ihr Lust, mit Tripolino zu spielen?“

Josie rief sofort „Ja!“, während Melissa sie fragend ansah.

„Tripolino ist unser Hund, der darf später rein, wenn niemand mehr da ist“, erklärte Teresa.

Sie deutete auf die beiden Tische, die noch besetzt waren.

Dave kam zurück, er stellte einen transparenten Plastikkanister auf den Tisch, der etwa fünf Liter Wein enthielt.

„Wenn die Leute gleich weg sind, darf Tripolino rein“, berichtete Josie ihrem Vater.

Teresa sah auf die Uhr.

„Die gehen bestimmt auch gleich. Morgen müssen sie wieder in ihre Vorlesungen.“

Tatsächlich winkte der erste Tisch Teresa kurz darauf zu sich, um zu zahlen. Der zweite Tisch folgte seinem Beispiel augenblicklich.

Die beiden Pärchen waren innerhalb weniger Minuten verschwunden.

Gabriella half Teresa noch schnell, die Tische abzuräumen und neu einzudecken, bevor sie Feierabend machte.

Teresa stellte die dreckigen Gläser in die Spüle und ließ Wasser hineinlaufen.

„Dave, hilfst du mir schnell, einen Tisch an euren dran zu stellen?“ fragte Teresa.

Als Dave ihr half, konnte er sich den Hintergedanken nicht verkneifen, dass es Rose bestimmt gefiel, wenn er so hilfsbereit war.

Als sie wieder alle saßen, kamen auch Vito und die anderen aus der Küche.

Jeder trug einen oder zwei Teller oder auch ein Körbchen mit Brot.

Sie setzten sich und begannen, zu essen.

Immer wieder boten Teresa, Vito und der Rest der Mannschaft Dave und Rose etwas vom Tisch an,

leider waren die beiden zu satt, um auch nur an Essen zu denken.

Josie und Melissa hatten jede einen Lutscher erhalten, nun saßen sie selig auf dem Fußboden und beobachteten Tripolino, einen süßen kleinen Jack-Russell-Terrier, der neugierig das gesamte Lokal beschnupperte und hier und dort einen Happen aufleckte, der zu Boden gefallen war.

Am Tisch gab es rege Diskussionen über Politik und die Krise, auf der sie alle unaufhaltsam zusteuerten, wie Toni immer wieder beteuerte.

Der Wein wurde zusehends leerer und die Gesellschaft bei Tisch immer lustiger.

Es ging beinahe auf Mitternacht zu, als sich Vitos Mitarbeiter erhoben und allerseits eine gute Nacht wünschten.

Rose half Teresa, den Tisch abzuräumen, dann sah sie nach den Kindern.

Sie konnte sie nirgends finden und fragte Teresa, wo sie sein könnten.

„Ach, bestimmt sind sie nach oben gegangen. In unsere Wohnung, Josie weiß, dass sie das darf. Oben ist immer meine Nichte Elena, sie wohnt bei uns, seit meine Schwägerin an Krebs gestorben ist. Mein Bruder kam nicht mit ihr zurecht. Sie ist ein liebes Mädchen, ich glaube, ihr hat nur eine Mutter gefehlt. Sie kümmert sich um den Haushalt und ihr Baby, Sara. Komm, ich stell sie dir vor.“

Teresa führte Rose durch die Tür mit der Aufschrift Privat und die Treppe hoch.

Durch die geöffnete Hintertür erhaschte Rose einen Blick auf einen halb beleuchteten Garten, in dem Vito und Teresa ihr Gemüse zogen.

Die Wohnung war überraschend modern eingerichtet und sehr hell und offen.

Vom Korridor aus konnte man das Wohnzimmer und die Küche sehen, da die Wände nur halbhoch waren.

Im Wohnzimmer lagen Josie und Melissa mit Tripolino auf der größeren Couch, sie waren zugedeckt und schliefen friedlich.

Auf der kleineren Couch lag eine junge Frau, ebenfalls schlafend.

Neben ihr stand eine Wiege mit rosa Himmel.

„Sie sind eingeschlafen“, sagte Rose schuldbewusst.

„Das ist doch nicht schlimm, sie haben doch Ferien“, antwortete Teresa.

„Komm, schau dir mal das Baby an. Ich glaube, ich habe so ein süßes Baby noch nie gesehen.“

Stolz führte Teresa Rose ins Wohnzimmer und schob den Himmel beiseite.

Flüsternd standen die beiden Frauen neben der Wiege und bewunderten die langen Wimpern, die kräftigen Haare, die kleinen Fingernägel und natürlich den Duft des kleinen Mädchens, dem das alles in seinem Schlaf eindeutig egal war.

Dave unterhielt sich währenddessen mit Vito.

Sie waren in der Tat bei einem Männergespräch, wie es sich Dave mit seinem Vater nie hätte vorstellen können.

Dave erzählte, was mit Sandra passiert war. Er sagte ihm auch, wie er das ganze Drama ausgelöst hatte.

„Na, Teufel auch“, meinte Vito nur dazu, „bei dem Weib könnte sich ja wohl kaum ein Mann beherrschen, und wenn sie zehn mal den Teufel im Leib trägt. Du bist ein Heiliger, weil du aufgehört hast.“

Dave hatte gelacht. „Von der Seite hab ich es ja noch gar nicht gesehen. Du hast recht.“

Man merkte ihm an, dass er leicht angetrunken war, auch wenn er noch nicht lallte.

Vito fragte: „Und Rose? Wie ist das mit dieser Frau? Du kennst sie, weil Josie sich mit Melissa angefreundet hat, ja? Und ihr unternehmt oft was zusammen, ja? Ihr habt euch angefreundet?“

„Ja, genau“, bestätigte Dave.

„Du magst sie also ziemlich gern, ja? Sie scheint nett zu sein, außerdem ist sie eine schöne Frau, wenn ihr doch beide frei seid und euch gut versteht, warum versucht ihr es nicht miteinander?“

Dave überlegte. Rose war seine beste Freundin. Sie war überhaupt die Person, mit der er sich am besten verstand. Und im Bett, das wusste er ja schließlich, hatten sie zusammengepasst wie Topf und Deckel. War es nicht eigentlich genau das, was man sich wünschte?

„Ich weiß es nicht“, sagte er. Und das war die Wahrheit.

„Ist es wegen Sandra? Es ist schließlich kein Betrug, wenn ihr getrennt seid. Und ihr habt schon vorher längere Zeit getrennt gelebt. Ganz abgesehen von der Zeit davor, als sie euch das Leben zur Hölle gemacht hat.“

Dave sah Vito an. „Ist es auch kein Betrug, wenn man es noch an dem Abend, an dem Sandra sich die Pulsadern aufgeschnitten hat, mit Rose getan hat?“

Vito pfiff leise durch die Zähne.

„Also habt ihr doch was miteinander, ich wusste es.“

Zufrieden lehnte er sich auf seinem Stuhl zurück.

„Ganz so ist es nicht“, antwortete Dave und erzählte kurz, wie es zu der Nacht mit Rose gekommen war.

„Naja, das ist dann schon ein kleines bisschen kompliziert“, meinte Vito und kratzte sich am Kopf, ehe er noch einen Schluck aus seinem Glas nahm.

„Ja, genau“, antwortete Dave. „Ich weiß auch nicht. Vielleicht brauche ich einfach mehr Zeit, um darüber nachzudenken.“

„Junge, Junge, lass dir aber nicht zu viel Zeit, eine Frau wie sie ist schnell vom Markt.“

„Ja, daran habe ich auch schon gedacht. Das wäre echt scheiße.“

„Also, wie du weißt bin ich schon ziemlich alt und die meiste Zeit meines Lebens war ich mit Teresa zusammen. Aber das war nicht immer so. Ich hatte eine Verlobte, Stella. Ich war fünf Jahre mit ihr zusammen. Ich habe sie auch wirklich geliebt, obwohl unsere Eltern uns zusammengeführt haben. Stella war das schönste Mädchen im Dorf, außerdem war sie anständig und gut in der Schule. Wir waren vierzehn, als wir zusammen kamen. Mit siebzehn verloren wir gemeinsam unsere Unschuld. Wir hatten uns offiziell verlobt und mit der Aussicht auf Heirat und weil wir schon so lange zusammen waren, war Stella bereit, es endlich zu tun. Zwei Jahre lang wurden Pläne geschmiedet, ein Termin für die Hochzeit sollte festgelegt werden, wenn ich meine Ausbildung beendet hatte. An dem Tag, als ich meine Prüfung hatte, traf ich auf Teresa. Ich konnte nichts dafür, das Schicksal hat es einfach so gewollt. Normalerweise wäre ich mit dem Auto zur Prüfung und zurück gefahren. An diesem Morgen hatte es aber gestreikt und ich hatte mich notgedrungen in den Zug gesetzt. Nach der Prüfung bin ich genau so zurück gefahren. Ich saß in meinem Abteil und rauchte eine Zigarette, als diese hübsche junge Dame die Tür öffnete. Sie fragte, ob diese Plätze noch frei seien und setzte sich einfach zu mir. Irgendwann wollte sie sich auch eine Zigarette anmachen, doch sie hatte keine Streichhölzer mehr. Sie bat mich um Feuer, so kamen wir ins Gespräch. Sie war mit ihren Eltern gerade erst in unser Dorf gezogen, sie hatte dort einen Onkel, der ihrem Vater Arbeit besorgt hatte. Ich hatte noch nie eine Frau wie Teresa getroffen. Sie war noch sehr jung, gerade achtzehn geworden, doch sie rauchte, wenn es ihr passte, sogar wenn ihr Vater dabei war. Sie ging auch abends zum Tanz, was viele Mädchen nicht durften. Selbst Stella durfte erst mit mir abends ausgehen, als wir verlobt waren. Teresa war in einer größeren Stadt groß geworden, das merkte man. Ihre Eltern vertrauten ihr und sie versuchte im Gegenzug, sie nicht zu enttäuschen. Sie löste bei mir alle möglichen romantischen und auch verdorbenen Gedanken und Gefühle in mir aus, solange ich in ihrer Nähe war. Sobald wir uns aber nach der Bahnfahrt verabschiedet hatten, fing ich an, über unser Gespräch nachzudenken. Dieses Mädchen war verdammt interessant und ich wollte sie unbedingt näher kennenlernen. Ich habe die Entscheidung viele Wochen vor mir hergeschoben, ich war immerhin verlobt. Aber man sieht sich in einem kleinen Dorf ziemlich oft. Teresa schien mir plötzlich überall zu begegnen. Beim Bäcker, beim Fleischer, auf dem Wochenmarkt. Jedes Mal unterhielten wir uns eine Weile angeregt, bevor wir weiter unseren Geschäften nachgingen. Eines Tages traf ich sie auf dem Marktplatz. Sie wirkte anders als sonst, nicht so ungezwungen. Ich erfuhr auch bald, warum. Teresa hatte von irgend jemandem gehört, dass ich verlobt war. Ich war hin und hergerissen zwischen Schuldgefühlen und der Freude darüber, dass es ihr etwas ausmachte. Da habe ich dann gemerkt, dass ich Stella nicht heiraten konnte. Ich habe die Verlobung aufgelöst und ich heiratete Teresa in aller Stille, eingeladen waren nur unsere engsten Verwandten und Freunde. Der Rest des Dorfes war sauer auf mich wegen Stella. Aber bereut habe ich es nie, egal wie viel Ärger ich durch das alles hatte. Stella hat es mir übrigens später noch gedankt, sie hat sich nämlich in einen reichen Mann verliebt und lebt nun auf einem Weingut in Italien.“

Dave dachte einen Moment lang über Vitos Geschichte nach.

„Ich verstehe, was du meinst. Wenn Rose die richtige für mich ist, ist es egal wie es passiert. Aber wenn es nicht passiert, werde ich es bereuen.“

Vito nickte langsam und bedächtig.

In dem Moment ging die Tür zum Treppenhaus auf und die beiden Frauen erschienen.

Es war jetzt fast zwei Uhr, doch Rose fühlte sich nicht müde. Sie half Teresa noch schnell, die meisten Gläser zu spülen, dann setzten sie sich zu den Männern, die ihr Gespräch der Sicherheit halber auf den Sport gelenkt hatten.

„Nein, ich finde trotzdem, dass der europäische Fußball besser ist als Football. Da kannst du sagen, was du willst.“

Vito verschränkte die Arme vor der Brust.

„Wie oft wollt ihr diese Diskussion eigentlich noch führen?“ fragte Teresa belustigt.

Rose probierte nun doch einen Schluck von Vitos Wein und bedauerte, dass sie noch fahren musste.

„Ich habe Rose von Elena erzählt“, berichtete Teresa.

„Wie alt ist das Baby jetzt?“ fragte Dave.

„Vier Monate.“

„Und hat sich Brad irgendwie bemerkbar gemacht?“

Vito seufzte. „Nein. Nachdem Elena herausgefunden hat, dass er verheiratet ist, haben wir nichts mehr von ihm gehört. Elena ist natürlich am Boden zerstört. Er hat Sara noch nicht einmal gesehen. Und Elena unternimmt nichts, um Geld von ihm zu bekommen. Sie hat beim Jugendamt angegeben, sie wüsste nicht, wer der Vater ist.“

Dave schaute ihn entgeistert an. „Warum denn das?“

„Sie will nicht, dass er Ärger bekommt. Mit seiner Frau. Was sagt man dazu?“

Sie redeten noch eine Weile über Elenas Situation, als sich die Tür zum Treppenhaus abermals öffnete.

Josie und Melissa schlüpften vor Elena durch die Tür.

Sie waren noch ganz schlaftrunken.

„Sie sind aufgewacht, weil Sara geweint hat“, erklärte Elena.

„Fahren wir jetzt nach Hause, Mommy?“ fragte Melissa.

„Natürlich, mein Schatz.“

Sie brachen nun eiligst auf. Dave bezahlte die Rechnung und versprach, bald wieder vorbeizuschauen.

Im Auto waren sie sehr still.

Dave wusste nicht recht, wieso es ihn plötzlich so nervös machte, mit Rose im Auto zu sitzen.

Auch Rose musste sich alle Mühe geben, um sich auf die Straße zu konzentrieren.

Sie hatte den ganzen Tag und den Abend mit Dave sehr genossen und sie hätte ihm das gerne gesagt, doch es standen zu viele Dinge zwischen ihnen, die ihr die Zunge lähmten.

So quälte sie sich durch die paar Minuten Fahrt zu Daves Wohnung in bleiernem Schweigen.

Die beiden Mädchen trugen auch nichts bei, sie waren zu sehr damit beschäftigt, ihre Augen irgendwie offen zu halten, bis sie im Bett lagen.

Als Rose vor Daves Haus anhielt, sah er sie einen Moment lang an, als wolle er etwas sagen, dann schien er es sich anders zu überlegen, denn er schüttelte kaum merklich den Kopf.

Dann sagte er: „Wenn du weißt, wann die Möbel ins Haus geschafft werden sollen, ruf mich an. Ich helfe dir dann.“

„Ja, mach ich. Danke. Auch für den Abend. Vito und Teresa sind sehr nett.“

Rose war froh, wenigstens das sagen zu können.

Dave ließ Josie aus dem Wagen klettern, dann verabschiedeten sie sich und gigen hoch in ihre Wohnung.

Josie versank in Tiefschlaf, sobald ihr Kopf ihr Kissen berührte.

Dave hingegen lag noch eine ganze Weile wach und dachte nach.

Auch Rose konnte nicht gleich schlafen.

Sie war zwar todmüde, doch ihre Gedanken ließen ihr keine Ruhe.

Sie schlug das Buch auf, das sie gerade las und versuchte, sich so abzulenken.

Erst eine ganze Weile und etliche Seiten später gelang es Rose, einzuschlafen.

 

 

29.: Gefühlschaos

 

Am Montag Morgen wurde Dave vom Telefon geweckt. Als er auf das Display sah, konnte er mühsam erkennen, dass es bereits nach neun war.

Er antwortete: „Ja?“

Es war Dr. Sumner.

„Mr. Simmons, wie geht es Ihnen?“ fragte sie.

„Danke, soweit gut. Wie kann ich Ihnen behilflich sein?“

„Ich wollte Ihnen nur Bescheid sagen, dass Sandra jetzt täglich zur Therapie kommt. Sie nimmt jetzt auch Medikamente und zeigt sich kooperativer als früher.“

Dave war erleichtert, das zu hören. Er hatte sich schon gefragt, wie es Sandra ging.

„Das freut mich. Ich weiß gar nicht, ob ich jetzt überhaupt noch Näheres über ihren Zustand erfahren darf?“

„Sandra hat ihre Einwilligung bisher nicht widerrufen, also...“

Dave ging davon aus, dass Sandra es einfach vergessen hatte.

„Wie geht es ihr denn?“ fragte er. „Kommt sie klar mit allem?“

„Ich versuche, ihr darüber hinweg zu helfen.“

„Und sie will jetzt keine andere Therapeutin mehr?“

„Nun ja, ursprünglich wollte sie das schon, doch ich habe mit ihr darüber geredet und ihr erklärt, warum ich Ihnen geraten habe, sich von ihr zu trennen.“

„Aber das haben Sie doch gar nicht“, protestierte Dave.

„Sie hätten sich ja nicht getrennt, wenn ich Ihnen nicht gesagt hätte, dass es erst mal kaum Hoffnung auf Besserung gibt. Also habe ich Ihnen indirekt geraten, sich von Sandra zu trennen. Dass sie jetzt bereit ist, sich auch mit Medikamenten helfen zu lassen, zeigt mir, dass sie erkannt hat, wie dringend sie meine Hilfe braucht. Das ist meiner Meinung nach ein enormer Durchbruch.“

Dave konnte das Lächeln in ihrer Stimme hören.

„Sie meinen, dass sie durch das alles im Prinzip erst begriffen hat, wie es wirklich um sie steht.“

„Das ist so ziemlich exakt das, was ich sagen wollte. Für Sandra war es also tatsächlich das Beste, dass Sie einen Schlussstrich gezogen haben. Und dass das Ende so dramatisch war, hat ihr dann wohl im Nachhinein die Augen geöffnet. Jetzt kann ich sie endlich therapieren.“

Dave fühlte sich, als würde eine tonnenschwere Last von seinen Schultern genommen.

„Ich danke Ihnen, dass Sie mich darüber informiert haben. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie mich das erleichtert.“

„Ja, das denke ich mir. Ich muss ehrlich sagen, ich bin auch erleichtert. Ich habe eigentlich gar nicht mehr damit gerechnet, dass sie sich helfen lässt. Hoffen wir, dass das auch so bleibt.“

Sie verabschiedeten sich.

Dave, der immer noch in Shorts auf seinem Bettrand saß, dachte noch eine Weile über das Gespräch nach.

Wenn Sandra sich helfen ließ, konnte Josie sie vielleicht irgendwann wirklich regelmäßig besuchen, wie er es ihr versprochen hatte.

Dass er es irgendwann noch einmal mit ihr versuchen würde, schloss er total aus.

Dafür stand nun zu viel zwischen ihnen, egal wie sehr es ihr zum Durchbruch verholfen hatte.

Und Dave hatte auch gar kein Interesse mehr daran.

Ihm war etwas anderes klar geworden, mit dem er sehr gehadert hatte.

Er wollte Rose. Keine andere Frau.

Insgeheim hatte er es ja bereits gewusst, doch er hatte es sich nie eingestehen können.

Er hatte seine Gefühle als Nebenwirkung ihrer gemeinsamen Nacht abgetan.

Doch in letzter Zeit hatte er ständig an Rose denken müssen.

Daran, dass sie täglich unterwegs war, in Geschäften, auf Ämtern, sicher auch mal im Baumarkt.

Und überall wimmelte es von Männern.

Männer, die Rose vielleicht kennenlernte. Und dann verliebte sie sich womöglich in einen.

Er dachte auch daran, wie Rose ihren Umzug fast ohne Hilfe über die Bühne brachte.

Manchmal hatte Dave den Eindruck, dass Rose vor nichts auf der Welt Angst hatte.

Sie stellte sich allem.

Sie merkt, dass ihr Mann ihrem Kind schadet – zack! Schon trennt sie sich von ihm und bringt so schnell wie möglich die Scheidung durch.

Ihr Exmann erzählt überall Lügen herum und selbst ein Anwalt nützt nichts– bums! Gleich geht sie selbst zu ihm, völlig unerschrocken. Und er sieht auch tatsächlich alles ein und verspricht, sich zu ändern. Eine Therapie will er machen, um Melissa ein besserer Vater zu sein.

Dave fand es unglaublich, er hatte das schon immer an Rose bewundert.

Natürlich dachte er auch über den Zoobesuch und den Abend bei Vito nach.

Schon im Zoo war ihm bewusst geworden, dass er doch nicht nur mit Rose befreundet sein wollte.

Er konnte es nicht erwarten, neben ihr in dieser Bahn zu sitzen.

Und dann hatte er kaum ein Wort herausgebracht.

Als Teresa später dann mit ihm über Rose sprach, wusste er nicht, was er sagen sollte.

Erst, als Vito mit ihm redete, konnte er sich selbst gegenüber ehrlich sein.

Vito war für Dave wie ein Vater. Er besuchte ihn auch öfter als seinen Vater.

Dave wusste genau, dass Vito und Teresa ihn behandelten wie einen Sohn.

Nun ja, einen Sohn, der sein Essen bezahlen musste, aber das spielte keine Rolle.

Als Vito ihm von seiner Verlobten erzählte, beschloss Dave, etwas zu unternehmen.

Natürlich war er da auch schon ein bisschen angeheitert.

Nüchtern betrachtet war er nicht mehr ganz so entschlossen.

Er hatte Zweifel, ob Rose ihn überhaupt wollte.

Das musste er zuerst herausfinden.

Dave hätte gerne noch weiter über dieses Problem nachgedacht, doch Josie machte ihm einen Strich durch die Rechnung, indem sie ins Zimmer rein schneite.

Sie sah aus, als sei sie gerade erst wach geworden.

„Morgen, Daddy.“

„Guten Morgen, mein Schatz.“

„Ich hab Hunger“, berichtete Josie, während sie sich an ihren Vater schmiegte.

„Na, ich denke, daran können wir etwas ändern“, meinte Dave.

Er erhob sich und trug Josie auf einem Arm in die Küche.

„Was willst du essen?“ fragte er, als er den Kühlschrank geöffnet hatte.

„Kannst du ein paar Pfannkuchen machen?“

„Gut, aber dann geh dich inzwischen waschen und anziehen.“

Während Josie ins Bad schlenderte, um dort vorzugeben, sich zu waschen und die Zähne zu putzen, bereitete Dave den Teig vor, während in einer Pfanne Öl heiß wurde.

Als die ersten drei Pfannkuchen auf einem Teller dampften, kam Josie wieder herein.

Sie holte sich den Sirup aus dem Schrank und begoss damit ihre Pfannkuchen.

Dave wunderte sich immer wieder darüber, wie selbständig Josie geworden war, seit Sandra ihr nicht mehr alles abnahm, um Dreck zu vermeiden.

Dass er so eine Niete im Haushalt war, kam ihm hierbei eindeutig zugute.

Wieder dachte er daran, dass es wirklich das beste für alle Beteiligten war, dass er sich von seiner Frau getrennt hatte. Sogar für Sandra selbst.

Er machte für sich selbst zwei Pfannkuchen, er hatte keinen großen Hunger.

Er erinnerte sich, dass er bis vor einigen Monaten nie richtig gefrühstückt hatte.

Und plötzlich hatte er schon morgens einen guten Appetit.

Nur heute nicht.

Dave schwankte innerlich zwischen mehreren Gefühlen:

Erleichterung über die Nachricht von Dr. Sumner, Schmetterlinge im Bauch wegen seiner gerade entdeckten Gefühle für Rose und Angst davor, dass sie ihn abweisen würde.

„Ist irgendwas, Daddy?“ fragte Josie mit vollem Mund.

Dave fing sich wieder.

„Alles okay, Schätzchen. Ich habe nur nachgedacht, was wir wohl heute unternehmen könnten.“

Das lenkte Josie wie erhofft ab.

„Das Wetter sieht nicht so gut aus heute, oder?“ Kritisch sah sie aus dem Fenster.

Es war in der Tat ein ziemlich dunstiger Tag, der noch regnerisch werden konnte.

„Naja, wir können ja immerhin noch ins Kino gehen, wenn es regnen sollte. Und solange das Wetter hält, gehen wir eben in den Park. Aber erst mal müssen wir hier ein bisschen aufräumen.“

Josie aß weiter ihre Pfannkuchen, die mittlerweile im Sirup ertränkt waren.

„Schade, dass ich nicht mit Melissa spielen kann. Was macht die denn überhaupt den ganzen Tag bei dem Umzug?“

Das war eine gute Frage.

„Weißt du was, wir könnten ja Rose fragen ob wir Melissa abholen sollen“, meinte Dave.

Die Aussicht, Rose auch nur kurz zu sehen, war dabei natürlich ausschlaggebend.

„Ja, ruf sie an, Daddy!“ bettelte Josie sofort.

„Na schön. Sie wird ja sicherlich schon wach sein. Wir haben heute wirklich sehr lange geschlafen.“

„Nein. Du hast heute sehr lange geschlafen. Wenn du nicht immer so früh wach wärst, würde ich immer so lange schlafen.“

„Wieso?“ fragte Dave überrascht. „Ich wecke dich doch gar nicht.“

„Du bist aber laut. Und davon wache ich immer auf.“

Das klang direkt vorwurfsvoll.

„Oh, entschuldige. Ich dachte immer, ich muss so früh aufstehen, weil du auch so früh wach wirst.“

Darüber mussten sie beide lachen.

Dave holte das Telefon.

 

Rose hatte gerade den letzten Karton zugeklebt, als das Telefon klingelte.

„Ja?“ meldete sie sich, ohne auf die Nummer zu achten, die angezeigt wurde.

„Hi, hier ist Dave.“

Rose fühlte sich ertappt. Sie hatte heute oft an ihn denken müssen.

„Hi, Dave. Schön dich zu hören.“

„Ja, sag mal, wie weit bist du denn mit deinem Umzug? Kannst du Melissa entbehren?“

Rose dachte einen Moment lang nach.

Melissas Sachen waren alle fertig gepackt, auch was im Wohnzimmer lag, wie ihre DVDs und Malbücher. Und wenn Rose ehrlich war, musste sie zugeben, dass Melissa ohnehin keine große Hilfe war.

Nicht, dass sie ihr nicht half, doch sie verlor viel Zeit mit dem Erklären.

Melissa war einfach noch zu klein, doch das wollte Rose ihr nicht sagen.

„Also, das was jetzt kommt, schaffe ich wohl auch alleine. Wieso?“

„Ich wollte mit den Kindern in den Park, wenn es dir recht ist.“

„Also von mir aus gerne“, meinte Rose. „Warte kurz.“

Sie rief Melissa und fragte sie, ob sie mitgehen wolle.

Natürlich war es Melissa lieber, mit Josie im Park zu spielen, als weiter in der fast leeren Wohnung zu sein und zu helfen.

„Holst du sie ab oder soll ich sie zu dir bringen?“ fragte Rose in das Telefon hinein.

„Du hast sicher zu viel zu tun“, meinte Dave.

„Ich könnte das mit der nächsten Fahrt zum Haus verbinden, ist ja kein großer Umweg.“

„Na, wenn das so ist, kannst du sie auch gerne herbringen. Wann seid ihr da?“

Rose überlegte kurz. „So in einer Stunde kann ich hier los. Vielleicht etwas früher. Oder ist das zu früh?“

„Nein, gar nicht. Je früher wir losgehen, desto mehr haben wir davon. Es sieht aus, als würde es heute noch regnen.“

„Gut, dann kommen wir so schnell wie möglich.“

Sie legten auf.

In der nächsten halben Stunde waren Rose und Melissa damit beschäftigt, Kartons ins Auto zu laden. Die Rückbank war umgelegt, Melissas Kindersitz lag auf dem Beifahrersitz.

Rose konnte ziemlich viel unterbringen, trotzdem würde sie noch mindestens drei mal fahren müssen, um alle Kisten ins Haus zu bringen.

Auch kleinere Möbel wollte sie gleich mitnehmen.

Als wirklich gar nichts mehr in das Auto passte, gingen Rose und Melissa nach oben, um sich frisch zu machen, dann fuhren sie gleich los.

Als Rose auf Daves Klingel drückte, war sie ein wenig verlegen, sie sah wirklich nicht besonders vorzeigbar aus. Ihre Jeans hatte einige Flecken abbekommen, ihr T-Shirt ebenfalls, außerdem entdeckte sie gerade in diesem Moment ein Loch darin.

Die Tür wurde geöffnet und Rose ging mit Melissa nach oben.

Melissa stürmte sofort durch die Tür, begrüßte Dave im Vorbeigehen und umarmte dann Josie, als hätte sie sie seit Wochen nicht gesehen.

Dave begrüßte Rose lächelnd und fragte, ob sie nicht wenigstens eine Tasse Kaffee trinken wollte, bevor sie aufbrach.

Er schien nicht zu bemerken, wie sie aussah.

Rose konnte eine Tasse Kaffee gut gebrauchen, also folgte sie Dave in die Küche.

Dave bereitete zwei Tassen Kaffee zu und setzte sich zu ihr.

„Na, heute verlädst du also die ganzen kleineren Sachen, ja?“

„Ja, genau. Was ich in den Möbeln verstauen kann, die schon im Haus sind, packe ich dann gleich aus. Ich denke, so vermeide ich bestimmt größeres Chaos.“

„Ja, bestimmt. Und du hast ja auch keinen Zeitdruck. Wann soll ich mich denn bereit halten? Zum Möbel schleppen, meine ich.“

„Oh, ich denke, übermorgen. Aber eher gegen Abend. Es sind ja nur die Couch, Mels Bett, ein paar kleinere Sachen und die Kleiderschränke. Vielleicht wird es auch einen Tag später. Also wenn du dich Mittwoch Abend und Donnerstag Morgen frei machen könntest...“

„Na, das dürfte wohl kein Problem sein.“

Sie tranken einen Schluck Kaffee.

Rose betrachtete Dave und sagte dann: „Irgend was ist heute anders an dir. Warst du beim Friseur?“

Dave überlegte. „Ja, vor zwei Monaten. Damals ist es dir aber nicht aufgefallen. Ich weiß nicht, was du meinst. Vielleicht habe ich ja abgenommen.“

Rose lachte. „Na, das glaube ich kaum, nach dem, was du dir bei Vito reingehauen hast.“

Sie überlegte. Nein, es war nichts zu erkennen, es musste also etwas anderes sein.

„Hmm...du wirkst vielleicht heute nur anders. Hattest du bisher einen guten Tag?“

Dave dachte unwillkürlich an sein Gespräch mit Dr. Sumner.

„Also, tatsächlich ist heute etwas tolles passiert.“

Rose hatte für einen flüchtigen Moment ein flaues Gefühl im Bauch.

„Was denn?“ fragte sie und lächelte ihn an.

Doch ihre Stimme drang wie aus weiter Entfernung an ihr Ohr.

Warum sie so reagierte, wusste sie selbst kaum, vielleicht hatte sie einfach die unbewusste Angst, Dave könne eine Frau kennengelernt haben.

„Dr. Sumner hat mich angerufen. Sandra nimmt wieder an der Therapie teil und ist bereit, Medikamente zu nehmen.“

Erleichtert atmete Rose aus. „Hey, das ist doch wirklich eine gute Nachricht.“

„Ja, und das beste kommt noch: sie sagt, dass Sandra nur wegen des Schocks durch die Trennung bereit dazu ist. Also habe ich mir gar nichts mehr vorzuwerfen, weil es tatsächlich das beste für Sandra war.“

Rose ließ das auf sich wirken.

„Ja, jetzt verstehe ich, wieso du so anders aussiehst. Du bist endlich wieder zufrieden mit dir.“

„Ja, das kann man so sagen. Jetzt brauche ich wegen der ganzen Geschichte kein schlechtes Gewissen mehr zu haben.“

„Das ist doch mal wirklich eine gute Nachricht. Darauf stoßen wir an.“

Während sie ihre Kaffeetassen aneinander stießen, fragte sich Rose, was das nun für sie bedeuten würde.

Vielleicht würde Dave nun auch ihre gemeinsame Nacht nicht mehr so sehr bereuen.

Und vielleicht gab es dann ja doch noch eine Chance.

Doch sie würde den Teufel tun, die Initiative zu ergreifen.

Abwarten war die Devise.

Als sie ihren Kaffee getrunken hatte, verabschiedete sich Rose und fuhr zum Haus.

Dave sammelte die Kinder ein und ging mit ihnen in den Park.

Das Wetter hielt sich noch eine ganze Weile, so dass sie lange draußen spielen konnten.

Dave hatte vorher im Internet nachgesehen, wann der nächste Kinderfilm anfing.

Ein Animationsfilm lief im Cineplex um fünf Uhr.

Vorher ging er noch mit den beiden Mädchen ins Kino-Restaurant.

Es war ein gelungener Tag für alle Beteiligten.

Als sie um halb sieben aus dem Kino kamen, fragte Josie, ob Melissa nicht bei ihnen schlafen könne.

„Also, ich hab nichts dagegen, aber Rose muss auch einverstanden sein. Am besten rufe ich sie gleich mal an.“

Er wählte ihre Nummer.

Nach einigen Sekunden meldete sich Rose.

„Ja?“

Es hörte sich an, als sei sie im Auto unterwegs.

„Hey, ich bin's. Hättest du was dagegen, dass Melissa bei uns schläft?“

Rose schien kurz zu überlegen.

„Nein, das geht in Ordnung. Soll ich ihr später Schlafsachen und die Zahnbürste vorbei bringen?“

Dave sah die Kinder an und bedeutete ihnen mit erhobenem Daumen, dass es klar gehe.

„Ja, okay. Wir gehen jetzt heim. Sind so in einer Viertelstunde da, dann kannst du jederzeit kommen.“

Der Abend verlief relativ stressfrei für Dave, die Kinder waren noch satt vom Restaurant und vom Popcorn, so dass er ihnen nur ein paar Häppchen machen musste.

Dann sahen sie noch eine Weile fern, bis Rose kam.

Sie klingelte gegen acht.

Für sie war der Tag alles andere als stressfrei gewesen. Sie war viermal gefahren, dann hatte sie alles drüben.

Sie stellte die Kisten gleich dort hin wo sie hingehörten.

Wenn der Inhalt in eine Kommode kam, stellte sie die Kiste darauf.

Kamen die Sachen in einen Schrank, stellte sie alles hinein.

Die Kisten, die noch unschlüssig auf dem Boden standen, waren für die Schränke bestimmt, die noch in der Wohnung waren.

Auch kleinere Möbel hatte sie gleich dort abgestellt, wo sie hin sollten.

Der Garderobenständer stand gleich neben der Eingangstür, das Nachtschränkchen brachte Rose ins Gästezimmer, Melissas Kindertisch mit den Stühlen wurde in ihr Zimmer gebracht, der Fernsehschrank, auf dem jetzt die Kisten mit den DVDs thronten, stand an einer Wand im Wohnzimmer und Roses Bücherregal stand nun an seinem neuen Platz im Schlafzimmer.

Dadurch, dass sie die Wände in den Zimmern vorher alle etwas aufgepeppt hatte, fiel es kaum auf, dass nicht alle Möbel zueinander passten.

Rose hatte mit Schablonen und Bordüren kleine Akzente gesetzt und mit Wand-Tattoos und Spiegelfolien für Effekte gesorgt.

Gegen Abend hatte sie sich noch um die Bewässerung des Gartens gekümmert, dann war sie nach Hause gefahren und hatte geduscht, Melissas Sachen zusammengesucht und nun war sie endlich da.

„Hast du was gegessen?“ fragte Dave, als sie sich neben ihm auf der Couch niederließ.

„Wenn ich ehrlich bin, nicht“, antwortete Rose.

„Also, ich könnte auch mal was richtiges essen“, meinte Dave.

„Die Kinder hatten abends keinen Hunger. Ich hätte sonst noch was gekocht.“

Rose winkte ab. „Lass doch, es ist schon spät. Ich hole mir gleich unterwegs was. Eine Pizza vielleicht.“

„Wir könnten auch eine bestellen, oder zwei. Wenn du willst.“

Dave fand es einfach zu schade, dass Rose schon gehen wollte. Wo ihre Haare doch so gut rochen.

„Naja“, gab sich Rose geschlagen, „vielleicht lassen sich die beiden dann auch noch dazu überreden, was zu essen.“ Sie deutete mit dem Kopf auf die Kinder, die ganz ins Fernsehprogramm vertieft waren.

Also bestellte Dave zwei große Pizzen.

Rose war eigentlich schon zu müde, sie sehnte sich danach, in ihrem kleinen, leeren Wohnzimmer die Bettcouch vielleicht zum letzten Mal aufzuklappen und den Fernseher einzuschalten, der jetzt auf dem Boden stand.

Doch sie sagte sich, dass sie auch auf ihre Pizza hätte warten müssen, wenn sie sie unterwegs mitgenommen hätte.

Außerdem war es ja eigentlich noch gar nicht so spät.

Und man merkte Dave die gute Laune richtig an, Rose freute sich für ihn.

Es wurde ein netter Abend, die Kinder aßen jedes noch ein Stück Pizza, bevor sie sich fürs Bett fertig machten.

Rose hatte mit gutem Appetit gegessen, trotzdem blieben zwei Stücke ihrer Pizza übrig.

Dave drängte sich zwar nicht auf, doch schließlich erbarmte er sich der Reste.

Rose erzählte noch, wie gut sie voran gekommen war und dass sie sicher am Nachmittag startklar sein würde.

Dave meinte: „Na, dann ist es wohl am einfachsten, ich bringe Melissa direkt mit, wenn du anrufst. Sie hat bestimmt nichts dagegen und dann ist sie wenigstens beschäftigt. Ich weiß gar nicht, wie du überhaupt alles so schnell erledigen konntest.“

Rose lachte. „Ich weiß es auch nicht.“

Bis Rose schließlich aufbrach, wurde es fast zehn Uhr.

Die beiden Mädchen waren gerade ins Bett gegangen.

Melissa hatte darauf bestanden, dass ihre Mutter sie ins Bett brachte.

Als sie endlich die Tür zum Kinderzimmer hinter sich geschlossen hatte, verabschiedete sie sich an der Tür von Dave.

„Also, wir sehen uns morgen, gute Nacht“, sagte Dave.

„Ja, gute Nacht“, sagte Rose.

Beide blieben einen Moment lang unschlüssig stehen, so als wollten sie noch etwas sagen.

Rose hatte kurz das Gefühl, als müsse jeden Augenblick etwas geschehen, jede Faser ihres Körpers wartete gespannt,selbst ihr Herz schien einen Schlag lang auszusetzen.

Dave hingegen kämpfte mit seinem ganzen Willen gegen den Drang, etwas zu tun.

Er wusste selbst nicht genau, was er tun würde, wenn er es sich gestattete und er wollte es auch gar nicht herausfinden.

Es war, als schrie ihm sein Verstand zu: Zu früh! Noch nicht!

Der Moment verstrich und Rose schüttelte kaum merklich den Kopf, nicht um etwas zu verneinen, sondern um sich wieder zu fangen.

Sie lächelte Dave an. „Also, bis morgen“, sagte sie und wandte sich um, um die Stufen zur Haustür hinunter zu gehen.

„Bis morgen“, brachte Dave mühsam heraus.

Er sah Rose hinterher, bis die Tür hinter ihr zuschlug.

Dann griff er sich entsetzt an den Kopf.

So eine Scheiße, dachte er, wenn ich mich wirklich so anstrengen muss, um sie nicht zu küssen oder Gott weiß was sonst noch, kann das morgen ja noch schön lustig werden.

Über sich selbst den Kopf schüttelnd ging er in die Wohnung und schloss hinter sich die Tür.

 

 

30.: Sandra hat es satt

 

Jeden Tag um elf Uhr saß Sandra auf einem dieser Sessel in Dr. Sumners Praxis.

Sie bestellte sie nicht früher her, weil sie wusste, dass Sandra morgens lange schlief.

Die Medikamente, die sie nahm, machten sie so müde.

Wenn Sandra so recht überlegte, verlief ihr Leben seit ihrem Krankenhausaufenthalt in relativ strikten Bahnen.

Sie stand um zehn Uhr auf, duschte, aß eine Kleinigkeit und ging dann los, um pünktlich zu ihrer Sitzung zu erscheinen.

Nach der Sitzung ging sie nach Hause, kochte sich etwas, las ein wenig und wartete dann auf Dana.

Dana kam jeden Nachmittag um fünf Uhr.

Sie sah sich unauffällig um, ob Sandra die Wohnung in Ordnung hielt und was sie gegessen hatte.

Dann gab sie ihr zwei Tabletten, die Sandra immer vor ihren Augen nehmen musste.

Die eine war ein Antidepressivum, das ihr im Prinzip nur zu Gleichgültigkeit verhalf.

Die andere war wohl im Prinzip etwas Ähnliches, doch sie diente zur Stabilisierung ihrer Stimmung.

Jeden Tag, etwa zwei Stunden nach der Einnahme, wurde Sandra schon müde.

Dann aß sie schnell noch etwas und legte sich dann in ihr Bett.

Den Fernseher hatte sie inzwischen im Schlafzimmer angeschlossen, weil sie spätestens nach zwanzig Minuten einschlief und sie anfangs immer nachts auf dem Sofa aufgewacht war.

Gegen sieben Uhr lag Sandra jeden Abend wie tot in ihrem Bett und war erst am nächsten Morgen gegen zehn einigermaßen wach.

Und dann fing alles wieder von vorne an.

Sandra hatte es satt.

Sie hatte es schon seit langem satt, doch sie hatte immer weiter gemacht, denn sie hatte gewusst, dass Dave es diesmal ernst meinte.

Nun hatte er sie trotzdem verlassen und Sandra hatte kein Ziel mehr vor Augen.

Sie hatte aber auch keine Chance, von hier fort zu kommen.

Sie hatte keinen Job, kein Geld, niemanden, zu dem sie gehen konnte.

Und sie musste erst die Medikamente los werden, damit sie es schaffte, sich irgendwo einen Job zu suchen.

Notfalls musste sie sich eben jemanden angeln, der ihr aus der Patsche half.

Eine passende Story hatte sie schon im Hinterkopf.

Die Story vom bösen Exmann, der seine Frau in eine Anstalt sperrt, um eine schnelle Scheidung zu bekommen.

Aber auch für einen Mann fehlte Sandra jegliche Energie seit sie die Tabletten nahm.

Folglich konnte sie nur schön mitarbeiten, damit Dr. Sumner sah, dass sie keine Medikamente mehr brauchte.

Auch heute bemühte sich Sandra, einen kooperativen Eindruck zu hinterlassen.

„Ich finde es gut, dass Sie nicht mehr so passiv sind wie früher“, sagte Dr. Sumner gerade.

„Zwar wird es noch ein langer Weg, aber ich weiß, dass sie große Fortschritte machen können, wenn Sie so weiter machen.“

Sandra lächelte. „Tatsächlich? Sie haben doch meinem Mann gesagt, dass ich viel Zeit brauchen werde um wieder gesund zu werden.“

Sie hatte herausgefunden, dass es Dr. Sumner eher schätzte, wenn sie ihre Gedanken äußerte, auch wenn sie sie manchmal damit angriff.

„Ja, das habe ich gesagt. Und es wird auch etwas dauern. Ich spreche hier nicht von ein paar Monaten, Sandra. Ich spreche von Jahren.“

Sie beobachtete, wie Sandra mühsam schluckte.

„Aber das betrifft nur Ihre Tochter und Ihren Mann“, erklärte Dr. Sumner.

„Sie selbst werden nun, da Sie sich auf sich selbst konzentrieren und versuchen, mitzuarbeiten, bald wieder fähig sein, am normalen Leben teilzunehmen. Und Sie stehen ja auch nicht alleine da. Auch, wenn Sie irgendwann einen Job haben und sich eine eigene Wohnung suchen, Sie können die Therapie ja fortsetzen.“

Sandra wusste jetzt schon, dass sie die Therapie beenden würde, sobald sie aus diesem Wohnheim auszog.

Natürlich sagte sie das nicht, Dr. Sumner sollte schließlich denken, dass sie der Therapie jetzt positiver gegenüber stand.

Stattdessen sagte sie: „Das ist wirklich sehr beruhigend. Ich weiß momentan noch nicht, was ich tun möchte, aber ich denke, ich muss ja irgendwann mal anfangen, darüber nachzudenken.“

Dr. Sumner lächelte breit. „Sehen Sie, Sie schauen schon nach vorne. Wenn Sie möchten, kann Dana Ihnen gerne helfen, sich zu informieren. Sie können ja auch mal nachmittags in ein Internet-Café gehen und sich schlau machen, wenn Sie soweit sind.“

„Vielleicht kann Dana auch mal mitgehen. Mit Computern kenne ich mich nicht so aus.“

Natürlich sagte Sandra das aus Berechnung, Dr. Sumner jedenfalls schien sich darüber zu freuen.

„Ja, das ist eine gute Idee“, sagte sie begeistert.

Sandra lächelte und hoffte, dass es nicht zu selbstzufrieden aussah.

Sie war auf dem richtigen Weg.

 

 

31.: Ein kleiner Unfall mit großer Wirkung

 

Es war kurz nach eins, als Rose bei Dave anrief.

Sie hatte die wichtigsten Sachen schon ausgepackt, wie ihr Geschirr und die Sachen fürs Badezimmer.

Auch ein paar der anderen Sachen standen schon an Ort und Stelle.

Ihre CDs verschwanden in dem großen Regal an der Wand förmlich.

Die paar Bücher, die sie in der Wohnung kaum hatte unterbringen können, fanden noch bequem ihren Platz neben Helens Büchern, die Brenda nicht mitgenommen hatte.

Die DVDs standen auf dem gleichen Regal wie die CDs und trotzdem war noch genügend Platz, um ihre Nippes-Sachen unterzubringen.

Fürs Erste war Rose zufrieden mit dem, was sie geschafft hatte.

Es war nun Platz für die Möbel, die sie jetzt holen wollte.

Sie wartete geduldig am Handy, bis Dave antwortete.

„Hey, ich bin's“, sagte sie, als er sich meldete.

„Ich fahre jetzt los zur Wohnung, können wir uns dort treffen?“

Dave versprach, gleich mit den Mädchen loszufahren.

Kaum hatte sie aufgelegt, da saß sie auch schon hinter dem Lenkrad ihres Wagens und fuhr los.

Jetzt, wo wirklich der Endspurt kam, wollte Rose es so schnell wie möglich hinter sich bringen.

Sie kam nur ein paar Minuten vor Dave und den Kindern an.

Es gab ein großes Hallo und alle staunten, weil die kleine Wohnung plötzlich so groß wirkte.

„Wie ich sehe, hast du das meiste schon weggebracht“, stellte Dave fest.

„Ja, es sind nur noch die größeren Möbel übrig“, sagte Rose.

„Und die hast du vermutlich schon auseinandergenommen.“

„Na, ganz so schnell bin ich dann aber doch nicht.“

„Gut, dann würde ich sagen, wir fangen mal an. Sollen wir erst die Teile rüber fahren, die man nicht auseinander nehmen kann?“

„Von mir aus können wir das so machen.“

Sie fingen mit der Kommode aus dem Wohnzimmer an, die brachten sie in Roses Auto unter.

Dann holten sie den Schreibtisch und den schweren Couchtisch.

Melissas Kommode fand noch Platz, dann fuhren sie zum ersten mal los.

Das Ausladen ging genau so unproblematisch vonstatten wie das Einladen.

Sie brachten die Möbel gleich an ihren Platz.

Melissa quengelte, sie hatte keine Lust mehr, auch wenn Josie ganz entzückt über alles war.

Sie hatte eben noch keinen Umzug miterlebt.

Rose und Dave beratschlagten sich, ob sie die Kinder allein lassen konnten.

„Ich kann doch schon mal meine Sachen wegräumen“, schlug Melissa vor.

„Ich weiß nicht, Melli. Du bist noch zu klein.“

„Wir fassen auch nichts an, öffnen niemandem Tür und bleiben nur in meinem Zimmer.“

Dave sagte: „Na, vielleicht können wir sie einmal alleine lassen, bei der letzten Fuhre. Es wird sowieso nicht so lange dauern. Als letztes kommt eben einfach Melissas Matratze und der Fernseher und solche Sachen. Die stellen wir uns dann schon gleich parat, dann sind wir höchstens eine halbe Stunde weg.“

Rose war einverstanden.

„Du kannst das als Probe betrachten“, sagte sie zu ihrer Tochter. „Wenn du mich nicht enttäuschst und dich an alles hältst, dann wirst du in Zukunft nicht mehr zu jedem kleinen Einkauf mitkommen müssen.“

Melissa freute sich. „Keine Angst, Mommy. Ich werde schon brav sein.“

Sie fuhren wieder zurück in die Wohnung, wo sie erst mal das Bett auseinander schraubten und in Daves Auto verstauten.

Dann kam der große Kleiderschrank an die Reihe, den sie auf beide Autos verteilen mussten.

Den kleinen Kleiderschrank nahmen sie schon mal auseinander, er würde nicht viel Platz wegnehmen.

Sie stellten die letzten Sachen in Reih und Glied neben der Wohnungstür ab.

„Siehst du“, sagte Dave, „ist wirklich nicht mehr viel.“

„Schade, dass der Fernseher nicht mehr rein passt, sonst wüsste ich, dass die Kinder beschäftigt sind, wenn sie doch nicht im Zimmer bleiben.“

Dave betrachtete den Fernseher.

„Bestimmt krieg ich den vorne irgendwie unter. Der DVD-Player und die Filme stehen ja schon parat.“

Sie nahmen den Fernseher mit und versuchten es auf alle möglichen Arten, bis Josie sagte:

„Ich könnte ihn doch auf den Schoß nehmen.“

Sie setzte sich auf ihren Kindersitz und nahm den Fernseher in Empfang.

Die Tür ging gerade so zu.

Sie fuhren wieder zum Haus, wo sie zuerst den Fernseher anschlossen.

Die Kinder waren sogleich dabei, sich einen Film auszusuchen.

Als sie auf der Couch saßen, gingen Rose und Dave wieder an die Arbeit.

Als alles abgeladen war, fragte Rose: „Sollen wir auch gleich alles aufbauen oder erst noch mal fahren?“

Dave sah auf die Uhr. „Es ist erst fünf Uhr, es ist noch lang genug hell. Da können wir auch erst noch aufbauen.

Natürlich ging der Aufbau des großen Schrankes wesentlich langsamer vonstatten als der Abbau.

Doch nach einer knappen Stunde waren sie fertig.

Melissas Bett war schnell aufgebaut, um halb sieben verabschiedeten sie sich von den beiden Mädchen, die bereits den nächsten Film eingelegt hatten.

„Sollen wir mit einem Auto fahren?“ meinte Rose.

„Naja, aber wenn dann deins, sonst passt nicht alles rein.“

Sie holten den Kindersitz raus und legten ihn auf die Veranda, dann fuhren sie los.

„Du siehst heute übrigens sehr hübsch aus“, sagte Dave beiläufig.

Melissa sah ihn belustigt an. „Ja, dreckig und verschwitzt ist der neueste Trend aus Paris.“

„So dreckig bist du nicht“, antwortete Dave. „Und verschwitzt steht dir.“

Rose wurde rot.

Dave merkte, was er gesagt hatte und verbesserte sich schnell:

„Ich meine, man merkt es dir nicht an. Du siehst noch frisch aus.“

„Tatsächlich?“ fragte Rose zweifelnd.

Dave ärgerte sich, dass er ihr überhaupt ein Kompliment gemacht hatte und sagte nichts mehr.

Sie kamen in der Wohnung an.

Sie hoben gemeinsam die Teile des kleines Schrankes auf und trugen sie ins Auto.

Die Einlegeböden trugen sie gestapelt raus.

Als sie gerade auf der Treppe waren, rutschte Dave ein Einlegeboden aus der Hand und sauste ein paar Stufen hinab.

Rose, die ein paar Stufen unter Dave war, konnte nicht schnell ausweichen.

Das Holzbrett traf sie voll am Fuß.

„Scheiße!“ rief sie.

„Oh Gott, das tut mir leid!“ rief Dave. „Ist es schlimm?“

„Ich weiß noch nicht. Bringen wir die verdammten Dinger ins Auto und dann sehe ich oben mal nach.“

Als sie sich im Badezimmer den Strumpf vom Fuß zog, war sie erschrocken.

Es tat zwar höllisch weh, doch sie hatte nicht gedacht, dass der halbe Fuß einen schönen Bluterguss aufwies.

Dave klopfte. „Alles okay? Kann ich reinkommen?“ fragte er durch die geschlossene Tür.

Rose, die bereits ihren Fuß in der Badewanne unter kaltes Wasser hielt, antwortete:

„Ja, komm rein.“

Dave trat ein und betrachtete schuldbewusst Roses Fuß.

„Das sieht ja schlimm aus. Es tut mir wirklich leid.“

Rose winkte ab. „Ist schon gut. Es tut schon nicht mehr so weh. Und das wird ja auch wieder weggehen“, meinte sie mit einem Blick auf die rote Färbung ihres Fußes.

Dave setzte sich zu ihr auf den Badewannenrand.

„Nein, das scheint schon schlimm zu sein. Soll ich dich ins Krankenhaus bringen?“

„Ach was, du spinnst ja! Wegen so was doch nicht.“

Rose stellte energisch das Wasser ab und sah sich um, doch es waren natürlich keine Handtücher mehr da.

„Gib mir mal das Klopapier“, sagte sie zu Dave.

Verwundert nahm er die Rolle, die noch auf der Halterung an der Wand hing und reichte sie ihr.

Rose wickelte etwas davon ab und trocknete sich damit den Fuß ab.

Vorsichtig bewegte sie ihn hin und her.

Es tat weh, doch nicht so, wie sie gefürchtet hatte.

Sie schwang sich herum und stellte die Füße auf den Boden.

„So, dann schauen wir mal, ob noch alles funktioniert“, meinte Rose und stand auf.

Dave stand ebenfalls auf, bereit, Rose aufzufangen, sollte ihr Fuß sie nicht tragen.

Probehalber ging sie ein paar Schritte und fand, dass es eigentlich auszuhalten war.

„Na also, alles bestens“, meinte sie.

Kaum hatte sie das gesagt, als sie plötzlich wegrutschte.

Der Boden war ein bisschen nass geworden, als sie sich den Fuß gekühlt hatte.

Dave war mit einem Satz bei Rose und fing sie auf, sonst wäre sie mit dem Hinterkopf auf das Waschbecken gefallen.

„Oh, Gott!“, entfuhr es Rose.

Dave, der sie fest in seinen Armen hielt, wollte sie nicht mehr loslassen.

Sein Herz klopfte heftig.

Der Gedanke, dass Rose sich ernsthaft hätte verletzen können war für ihn furchtbar.

Gleichzeitig nahm er ihre körperliche Nähe so überdeutlich wahr, dass er das Gefühl hatte, zu platzen.

Rose erging es nicht viel anders.

Als sie wegrutschte und nach hinten fiel, war sie zu Tode erschrocken.

Und dann lag sie plötzlich in Daves Armen und sie fühlte sich sofort sicher.

Als sie merkte, wie fest er sie umfing und wie stark sein Herz klopfte, breitete sich in ihrem Bauch ein flaues Gefühl aus, das langsam den ganzen Körper befiel.

Rose wusste nicht, was sie tun sollte, wohin sie mit ihren Händen sollte.

Sie hingen nutzlos an ihr herunter.

Als Dave sie nicht losließ, nahm sie all ihren Mut zusammen.

Sie legte ihre Hände auf Daves Rücken und wisperte:

„Danke.“

Dave schloss die Augen und murmelte in Roses Haar hinein:

„Wenn dir was passiert wäre...“

Rose schmiegte ihre Wange an Daves Schulter.

„Es ist ja nichts passiert.“

„Ich hätte es mir nie verzeihen können.“

„Aber es war doch nicht deine Schuld.“

„Das sagst du so...“

Rose umarmte ihn etwas fester und sog seinen Duft tief ein.

„Mach dir nicht immer so viele Gedanken“, sagte sie sanft.

Dave hob seinen Kopf etwas und sah sie an.

Rose hob nun ebenfalls den Kopf und sah zu ihm auf.

Einen Moment lang schauten sie sich nur an, dann flüsterte Dave:

„Rose, ich...ich weiß nicht, wie ich es dir sagen soll.“

„Willst du mir denn etwas sagen?“

„Ich wollte nicht...ich meine, nicht so schnell. Aber jetzt geht es nicht mehr anders. Dich so zu halten...ich könnte das für immer tun. Ich hatte immer Angst davor, mir das einzugestehen.“

Rose hatte plötzlich weiche Knie und ihr Herz schlug ihr bis zum Hals.

War es das, worauf sie gewartet hatte?

„Ich hätte nichts dagegen“, sagte sie.

Dave zog sie wieder fester an sich und atmete aus.

„Oh, Rose“, sagte er.

Wieder sah er sie an und dann senkte er langsam seinen Mund auf ihren.

Rose streckte sich ihm entgegen, ihre Hände krabbelten an seinem Rücken empor zu seinem Nacken.

Als sie sich küssten, war es nicht, als hätten sie sich schon vorher geküsst.

Sie waren beide anfangs ziemlich scheu und zurückhaltend, doch irgendwann gewann die Leidenschaft Oberhand und sie küssten sich heftiger.

Als sie sich endlich voneinander lösten, fiel es ihnen sehr schwer.

Außer Atem sagte Dave: „Wow!“

„Das kannst du laut sagen“, meinte Rose, ebenfalls schnaufend.

„Ich würde am liebsten nicht mehr aufhören.“

„Ja, das wäre mir auch am liebsten.“

Rose küsste Dave auf den Hals und er erschauerte.

„Du weißt, dass wir uns jetzt beeilen müssen“, murmelte sie.

„Ich weiß, aber dann darfst du mich nicht mehr auf den Hals küssen, sonst kann ich für nichts garantieren. Die Matratze liegt immerhin noch draußen.“

Rose kicherte. „Entschuldige. Aber dann darfst du mir deinen Hals auch nicht so präsentieren, ich kann sonst nicht anders.“

„Oh Gott, Rose! Wo soll das nur hinführen mit uns? Ich werde nie die Finger von dir lassen können.“

„Warum soll es dir denn besser gehen als mir?“ neckte ihn Rose.

Dave küsste sie. Er fühlte sich so glücklich, wie seit Jahren nicht.

„So, jetzt müssen wir aber. Schaffen wir schnell die Matratze ins Auto, bevor wir wirklich auf dumme Gedanken kommen.“

Dave sah sie ernst an. „Ich will das hier nicht vermasseln. Dieses Mal werde ich es so machen, wie es sich gehört. Der Reihe nach.“

Rose wusste genau, was er meinte.

Er wollte sie nicht gleich wieder ins Bett schleifen, egal wie gerne er es getan hätte.

Einerseits fand sie die Idee sehr gut, vielleicht auch, weil sie es noch nicht so recht glauben konnte.

Andererseits war das lange Warten nicht gerade eine ihrer Stärken.

Sie nickte und hoffte, dass Dave nicht zu lange warten wollte.

Sie gingen wieder an die Arbeit, doch sie sprachen kaum dabei, sie sahen sich nur immer wieder an und lächelten.

Schnell war alles erledigt und Rose sah noch mal in der Wohnung nach dem Rechten.

Als sie sicher war, dass alle Fenster geschlossen und sie nichts vergessen hatte, ging sie wieder runter und setzte sich ins Auto, wo Dave schon auf sie wartete.

„Okay“, sagte sie. „Los geht’s.“

Sie stellte die Füße auf die Pedale und wollte gerade den Schlüssel in die Zündung stecken, als ein stechender Schmerz ihren verletzten Fuß durchfuhr.

„Au!“ rief sie erschrocken.

Dave sah sie an. „Dein Fuß?“ fragte er.

Rose nickte. „Vielleicht fährst du lieber.“

Sie stiegen aus und tauschten die Plätze.

Endlich fuhren sie los.

Unterwegs hatten sie nicht viel Zeit, zu reden, doch eine Frage hatte Rose, die geklärt werden musste, bevor sie am Haus ankamen.

„Findest du, dass wir es Josie und Melissa gleich sagen sollten?“

Dave stutzte. Darüber hatte er noch gar nicht nachgedacht.

„Ich weiß nicht“, sagte er, „vielleicht ist das ein bisschen zu viel jetzt während des Umzugs.“

Rose nickte. „Gut, dann benehmen wir uns jetzt einfach wie immer.“

 

 

32.: Ein neuer Anfang

 

Als sie ankamen, saßen die beiden Mädchen brav auf der Couch.

„Mommy, da seid ihr ja endlich. Wir haben uns noch einen Film angemacht. Und wir haben auch ein paar Sachen von mir ausgeräumt, aber nur Bücher und Spielzeug“, begrüßte Melissa sie.

Auch Josie freute sich, dass ihr Vater und Rose wieder da waren.

„Ihr habt so lange gebraucht“, meinte sie.

Es war ihr schon ein bisschen unheimlich gewesen, so ohne Erwachsene in dem großen Haus.

„Ja, wir hatten einen kleinen Unfall im Treppenhaus“, meinte Rose.

Sie erzählte von ihrem Fuß.

„Aber jetzt geht es wieder“, beteuerte sie.

„Zeig mal“, meinte Melissa.

„Später, mein Schatz“, antwortete Rose. „Erst müssen wir die Sachen aus dem Auto holen.“

„Na gut. Sollen wir helfen?“

Rose überlegte. „Ihr könnt vielleicht die kleineren Bretter tragen.“

Sie gingen nach draußen. Die beiden Mädchen waren froh, dass sie endlich an die frische Luft kamen.

Sie trugen die paar Bretter ins Haus und verschwanden dann durch die Hintertür in den Garten, wo sie sich austoben konnten.

Auch Rose und Dave erledigten ihren Teil innerhalb weniger Minuten.

„Ich kann noch gar nicht glauben, dass endlich alles hier ist“, sagte Rose.

„Und ich kann noch nicht glauben, dass ich endlich den Mut hatte, dir meine Gefühle zu gestehen.“

Dave zog sie an sich.

Rose genoss die Umarmung. Sie roch Daves Parfum und war einen Moment wie betäubt.

„Gut, dass du den ersten Schritt gemacht hast“, murmelte sie. „Ich hätte mich vielleicht nie getraut.“

„Ich hätte mich auch nicht getraut“, gestand Dave, „aber als du vorhin ausgerutscht bist und dich hättest Gott weiß wie schlimm verletzen können, da konnte ich nicht anders. Wenn dir etwas ernstes passiert wäre, hätte ich es dir vielleicht nie sagen können. Das hätte ich nicht ertragen.“

„Dann bin ich froh, dass ich ausgerutscht bin.“

Sie standen noch einen Moment da und küssten sich, bevor sie mit ihrer Arbeit weiter machten.

Als alle Möbel an ihrem Platz standen, sah sich Dave um.

Rose hatte nicht viel verändert, doch das Haus wirkte ganz anders auf ihn.

Die Möbel standen anders und die Dekoration war nun etwas moderner als vorher.

Auch einige neue Farbtupfer entdeckte er.

„Ich hätte nicht gedacht, dass du das alles ganz alleine so hinkriegst“, bemerkte er.

„Wieso?“ fragte Rose amüsiert. „Weil ich eine Frau bin?“

Dave grinste. „Naja, ja. Ich kannte bisher nur Frauen, die handwerklich total ungeschickt sind. Du dagegen organisierst einen Umzug, renovierst alles selbst und machst es besser als mancher Mann.“

„Mein Vater hat mir viel beigebracht“, erklärte Rose lächelnd. „Ich kann auch Reifen wechseln, tapezieren und betonieren.“

„Na, da hab ich ja einen Fang gemacht“, lachte Dave.

Inzwischen war es fast acht Uhr.

Rose bestellte wieder zwei Pizzen, die sie dann gemeinsam am Esstisch verputzten.

„Mommy“, fragte Melissa schmeichelnd, „kann Josie heute Abend hier schlafen?“

Dave sah seine Tochter scharf an. „Also, Kinder, das geht nun wirklich nicht so weiter“, sagte er.

„Josie, du weißt, das Rose gerade umzieht und dass das viel Arbeit ist. Da kann man nicht abends um neun fragen, ob man hier übernachten darf.“

„Ja, Daddy“, antwortete Josie niedergeschlagen.

Rose winkte jedoch ab.

„Lass mal, es ist sowieso nicht mehr viel zu tun. Das schaffe ich vielleicht noch heute Abend.“

Dave sah sie an. „Na gut, wenn du einverstanden bist, dann ist das für heute ausnahmsweise noch mal in Ordnung. Ich helfe dir dann auch noch beim Auspacken, wenn du willst.“

Plötzlich sagte Melissa: „Dave kann doch auch hier schlafen.“

Rose und Dave sahen sie sprachlos an.

„Na, deine Couch ist doch jetzt in dem kleinen Zimmer oben“, erklärte Melissa.

Rose fing sich als erste. „Ja, natürlich. Wenn es spät werden sollte, kann Dave hier übernachten.“

Dave räusperte sich. „Ja, danke. Das wäre sehr praktisch.“

Als sie alle satt waren, räumte Rose den Tisch ab.

Die Kinder gingen brav ins Bad und machten sich fürs Bett fertig.

Josie bekam einen Pyjama von Melissa, eine neue Zahnbürste hatte Rose auch noch für sie.

Als die Mädchen fertig waren, sagten sie ihren Eltern Gute Nacht und gingen nach oben.

Dave sah Rose an. „Und was machen wir jetzt?“ fragte er grinsend.

Rose schnappte sich ein Kissen von der Couch und warf es ihm an den Kopf.

„Hey!“ rief Dave und und warf es zurück.

Rose lachte. „Komm, lass uns erst mal ein bisschen weiter arbeiten. Später machen wir dann weiter mit der Kissenschlacht“, meinte sie und stand auf.

„Schade“, sagte Dave und erhob sich ebenfalls.

Rose fing an, ihren Schreibtisch einzuräumen, während Dave sich einen Karton mit der Aufschrift „Bilder“ vornahm.

Darin befanden sich einige Fotoalben, die er auf einen Tisch legte und etliche gerahmte Bilder, die er an leeren Nägeln im Wohnzimmer und im Flur aufhing.

Bilder die man aufstellen konnte, positionierte er auf Regalbrettern, Fensterbänken und Schränkchen.

Er wusste nicht, ob Rose diese Anordnung gefiel, aber bei den anderen Kartons wäre er sich noch unsicherer gewesen.

Und bei Roses privaten Unterlagen wollte er nicht mithelfen, er wollte nicht zu neugierig erscheinen.

Als Rose fertig war, kam sie zu ihm und betrachtete das Arrangement.

Sie nickte zufrieden.

„Schön hast du das gemacht. Danke.“

Dave war verlegen. Sandra hatte ihn nie für irgend etwas gelobt. Oder ihm gedankt.

„Ach, es waren ja auch zufällig noch genügend Nägel in den Wänden.“

Sie gingen gemeinsam in die Küche.

Während Rose ihr restliches Geschirr ausräumte, verstaute Dave die Tupperware und die Töpfe in den Schränken.

Dann sortierte Rose noch ihr Besteck ein und Dave legte Geschirrtücher in eine Schublade.

Eines hängte er an einen Haken, der wahrscheinlich dafür vorgesehen war.

Er war ziemlich eifrig bei der Arbeit, denn eigentlich konnte er es kaum erwarten, mit Rose ins Bett zu gehen.

Dabei hatte er höchst ehrenwerte Gedanken.

Er wollte sie die ganze Nacht im Arm halten und mit ihr reden.

Natürlich wollte er sie auch küssen, aber mehr hatte er nicht vor.

„Jetzt habe ich nur noch ein paar Sachen in meinem und in Melissas Zimmer auszupacken. Sollen wir bei mir weitermachen oder bist du zu müde?“

Dave fühlte sich ganz und gar nicht müde und er dachte, dass es sicher interessant wäre, mit Rose ihre Kleidung in die Schränke zu räumen.

„Gehen wir's an, Mylady“, sagte er.

Rose lachte und ging ihm voraus die Treppe hoch.

Oben im Schlafzimmer stapelten sich einige Kisten.

„Ich werde die Bettwäsche später im Gästezimmer in den Schrank räumen. Das geht ganz schnell. Und ich muss auch erst das Bett beziehen. Die beiden Kartons kann man also ruhig stehenlassen.“

Dave nickte. „Gut. Sag mir nur, was ich tun soll.“

Rose lächelte. „Du gefällst mir immer besser“, sagte sie.

Dave lachte auf. „Du kleine Hexe“, neckte er sie und verschloss ihr schnell mit einem Kuss den Mund.

Als sie sich voneinander gelöst hatten, gab ihm Rose einen Karton mit der Aufschrift „Kleider“ und einen zweiten mit der Aufschrift „Kleiderbügel.“

„Kannst du die bitte aufhängen?“ bat sie ihn.

Dave nickte und fing an, Kleid für Kleid auf Bügeln in den Schrank zu hängen.

Dabei kam er nicht umhin, einige zu bewundern, die er noch nie gesehen hatte.

Rose musste früher sehr oft ausgegangen sein. Oder vielleicht hatte sie auch oft Partys gegeben.

Sie hatte jedenfalls einige sehr elegante Kleider für jede Gelegenheit von Kirchbesuch über Hochzeit bis hin zu Oper oder rotem Teppich.

Er konnte sich vorstellen, dass einige dieser Stücke nicht billig gewesen waren.

Wieder dachte er darüber nach, wie viel Rose eigentlich geopfert hatte, um für ihr Kind da zu sein.

Er sah zu Rose rüber, die gerade ihre Unterwäsche in ihre Schubfächer sortierte.

Er sah zwar nicht viel, doch er konnte eindeutig viel Spitze in rot, schwarz und weiß entdecken.

Auch ein bisschen blau und gelb blitzte hier und da hervor.

Im Karton lagen auch seidene Nachthemdchen in den gleichen Farben.

„Hey, konzentrier dich“, mahnte Rose ihn.

Dave zuckte mit den Schultern. „Na, du lenkst mich doch ab“, meinte er grinsend.

„Schau eben nicht her. Die Sachen wirst du alle schon noch kennenlernen. Lass dich doch lieber jedes Mal überraschen.“

„Hmm...das ist ein Argument.“

Er widmete sich wieder seiner Arbeit.

Als alle Kleider hingen, schnappte er sich den Karton mit der Aufschrift „Hosen, Röcke“.

„Kommen die in den gleichen Schrank?“ fragte er.

Rose bejahte, während sie ihre Pyjamas aus dem nächsten Karton holte und in eine andere Schublade legte.

Sie arbeiteten beide schnell und redeten nicht viel, doch das Schweigen war sehr harmonisch.

Nach einer Stunde waren alle Kartons leer.

Rose holte nun die Bettwäsche aus einem der beiden Kartons neben der Tür und überzog das Bett.

Dave trug die Kartons ins Gästezimmer und kehrte dann zurück.

„Willst du duschen?“ fragte Rose.

„Ja, das wäre nicht schlecht. Ist denn im Bad schon alles bereit? Oder soll ich vorher vielleicht noch Handtücher auspacken oder Duschzeug?“

Rose schüttelte den Kopf.

„Nein, ich habe gestern schon alles im Bad fertig gehabt. Und die Handtücher, die übrig sind, sind jetzt im Gästezimmer. Du wirst aber vielleicht einen Pyjama brauchen“, überlegte sie.

„Zur Not ginge auch meine Unterwäsche, aber wenn du was da hättest, was mir passt, wäre das toll.“

„Ja, ich habe einen Pyjama, von dem ich immer nur das Oberteil anziehe. Ich habe ihn ein paar Nummern zu groß gekauft und trage das Oberteil als Nachthemd. Wir könnten ja halbe halbe machen“, schlug Rose vor.

Sie gab Dave die Schlafanzughose und er zog ins Bad ab.

Rose räumte die Kartons im Gästezimmer aus, während er duschte.

Als Dave fertig war, ging sie duschen.

Sie trocknete ihre Haare nur mit einem Handtuch, so dass sie noch ziemlich feucht waren, als sie aus dem Bad kam.

Dave, der auf ihrem Bett saß, betrachtete hingerissen ihre Schenkel, die von dem Oberteil des Schlafanzugs nur unzureichend bedeckt wurden.

Rose konnte ihrerseits nur mit Mühe den Blick von seinem nackten Oberkörper wenden.

„Ich habe auch für dich noch eine neue Zahnbürste gefunden“, informierte sie ihn.

„Super. Dann geh ich gleich mal Zähne putzen.“

Er wollte schon aus dem Zimmer gehen, als Rose fragte:

„Wollen wir nicht vielleicht vorher noch ein Glas Wein trinken?“

Dave überlegte nicht lange.

„Ja, das ist eine gute Idee.“

Sie gingen runter ins Wohnzimmer.

Rose holte zwei Weingläser aus einer Vitrine.

Hinter einer der Schranktüren der Wohnwand verbarg sich eine drehbare Mini-Bar, die hatte Rose mit Entzücken ein paar Tage zuvor entdeckt und gleich bestückt.

Jetzt holte sie eine Flasche afrikanischen Rotwein heraus.

„Sollen wir den mal probieren? Ich habe ihn auf der Arbeit von der Tochter einer Bewohnerin geschenkt bekommen.“

„Ja, gerne“, erwiderte Dave, der bereits auf der Couch saß.

Rose setzte sich zu ihm, öffnete die Flasche und schenkte ihnen ein.

Vor ihnen lagen auf dem Couchtisch noch die Fotoalben.

„Kann ich sie mir ansehen?“ fragte Dave.

Rose zögerte, doch dann nickte sie.

Sie gab ihm eines in die Hand, das schon ziemlich abgegriffen aussah.

„Das ist mein Babyalbum“, erklärte sie.

Seite für Seite strahlte Dave ein pausbackiges Baby entgegen.

Rose erklärte dazu, wer die Person war, die sie gerade hielt oder im Kinderwagen schob.

„Das ist meine Mutter. Mein Vater hat sie heimlich fotografiert, als sie mich in den Schlaf gesungen hat. Und das hier ist meine Oma. Sie hat danach nicht mehr sehr lange gelebt. Das hier ist mein Vater bei einem Ausflug.“

Sie sahen sich alle Alben an und tranken dabei den Wein, der wirklich sehr gut schmeckte.

Da war Rose als Kindergartenkind beim Kneten, Rose mit der ersten Zahnlücke, Rose an ihrem ersten Schultag. Später dann Rose mit dem ein oder anderen pickligen Jungen, bei Schulbällen und auf Familienfesten.

Rose bei ihrem High School–Abschluss und dann als Studentin.

Immer wieder war Rose mit ihren Eltern zu sehen, auf Camping-Ausflügen, am Strand, im Urlaub auf Pferden reitend oder einfach nur zu Hause.

Dave konnte nur ahnen, was für ein Verlust es für Rose gewesen sein musste, ihre Eltern zu verlieren.

Er selbst hatte nicht viel Kontakt zu seinen Eltern. Sie wussten bisher nicht einmal über seine endgültige Trennung von Sandra Bescheid.

Und das, obwohl sie nur eine halbe Stunde entfernt wohnten.

Es gab auch ein Album mit Bildern aus der Zeit, in der Rose in Spanien gelebt hatte.

„Ist das Julio?“ fragte Dave und deutete auf einen hübschen jungen Mann, der auf einem Bild neben Rose stand.

„Ja, da waren wir gerade erst angekommen und er zeigte mir die ganze Gegend.“

Dave stellte fest, dass er ein wenig eifersüchtig war.

Dieser Kerl sah so unglaublich gut aus, dagegen kam er niemals an.

Er konnte verstehen, dass Rose mit ihm fortgegangen war.

Julio war der Typ Mann, für den jede Frau überall hingezogen wäre.

Dass er vermutlich in Spanien saß beruhigte Dave natürlich schon sehr.

Den Fotos von Rose und Julio folgten Fotos von Landschaften und Sehenswürdigkeiten.

„Das war, nachdem wir uns getrennt hatten. Da bin ich eben alleine losgezogen und habe einfach fotografiert, was mir gefiel.“

Das letzte Bild war von dem Flugzeug aus aufgenommen, das sie wieder nach Amerika brachte.

Im nächsten Album waren nicht sehr viele Bilder, ein paar mit Roses Eltern und Freunden, ein paar von Rose, die sich zum Ausgehen fertig gemacht hatte.

Die restlichen Seiten waren leer.

Dave musste nicht fragen, warum.

Er griff einfach zum nächsten Album.

Hier gab es etliche leere Stellen.

„Es waren mir zu viele Bilder von Eric darin. Ich habe sie raus genommen und Cleo gegeben“, erklärte Rose.

„Hast du keine Lust gehabt, sie zu verbrennen?“ fragte Dave.

Rose lächelte. „Nein, dafür war ich wohl zu vernünftig. Ich glaube, er war mir einfach zu egal für solche Sachen.“

Dave konnte nichts dagegen tun, er freute sich über Roses Worte.

Sie betrachteten weiter das Album, in dem erst fast nur Rose zu sehen war.

Die letzten beiden Alben waren Melissas Babyalbum und eines, in dem Melissa in den verschiedenen Stadien ihrer Entwicklung zu sehen war.

Rose war schon eher ein seltener Anblick und bis auf ein paar obligatorische Familienfotos, auf denen Eric mit drauf war, suchte man ihn vergeblich.

Als sie das letzte Album zuklappte, sagte Rose: „Jetzt kennst du mein ganzes Leben.“

„Das denkst auch nur du“, meinte Dave. „Mir sind zu den meisten Bildern noch mindestens tausend Fragen eingefallen.“

Rose sah auf die Uhr. „Dann solltest du dich beeilen.“

Dave sah erschrocken, dass es fast ein Uhr war.

„Ja, du hast recht, es wird langsam Zeit, ins Bett zu gehen.“

Sie gingen gemeinsam die Treppe hoch, oben angekommen zögerte Dave plötzlich.

Rose, die sein Zögern bemerkte, nahm ihn an der Hand und führte ihn ins Schlafzimmer.

Sie legten sich nebeneinander ins Bett und hielten sich im Schein der kleinen Nachttischlampen an der Hand.

Mit der freien Hand streichelte Dave Roses Gesicht.

„Du bist schön“, sagte er leise.

Rose errötete. „Danke“, murmelte sie und lächelte.

Sie schmiegte sich an ihn und streichelte seine Brust.

„Du kannst dir nicht vorstellen, wie glücklich ich gerade bin“, sagte sie.

„Mir geht es genauso“, antwortete Dave und streichelte ihr Haar.

Rose sah ihn an, dann reckte sie ihm ihr Gesicht entgegen und küsste ihn zärtlich.

Die Küsse wurden immer leidenschaftlicher und bald lag Dave halb auf Rose, die ihm mit beiden Händen das Haar durchwühlte.

Er wusste, dass er sich jetzt bremsen musste, sonst wurde nichts aus seinem Vorsatz, in dieser Nacht noch nicht mit Rose zu schlafen.

Er zog sich etwas zurück und legte sich bäuchlings neben Rose, die ihn verwirrt ansah.

„Ich...ich will es wirklich etwas langsamer angehen lassen und wenn wir so weitermachen wird das nichts“, erklärte er mit einem schiefen Grinsen.

Rose sah ihn erst verdutzt an, dann musste sie lachen.

„Entschuldige“, sagte sie. „Ich hatte das wirklich total vergessen. Aber das war ja schließlich nicht meine Schuld. Du hast so deine Methoden, eine Lady ihre gute Erziehung vergessen zu lassen.“

Dave nahm das als Kompliment, dennoch wehrte er sich.

„Du machst es mir ja auch nicht gerade leicht.“

„Ich habe dir nur einen unschuldigen Kuss gegeben, was danach war, weiß ich nicht mehr.“

Das brachte Dave zum Lachen.

„Also ist keiner von uns schuld, würde ich sagen. Wir sind die Opfer.“

„Genau. Wir können nichts dafür.“

Dave konnte sich nun wieder auf den Rücken drehen, er hatte seinen Körper wieder soweit unter Kontrolle.

Rose legte ihren Kopf wieder auf seine Brust, ihre Hand lag in seiner und einen Moment lang konnte sie nur das dumpfe Pochen seines Herzens hören.

Dave spielte mit Roses Fingern, mit dem rechten Arm hielt er sie fest an sich gedrückt.

Er konnte es selbst nicht so recht begreifen.

Vor ein paar Wochen noch hatte er nicht im Traum gedacht, dass es so ausgehen würde.

Er hatte Rose immer hübsch gefunden.

Und natürlich war sie seine Freundin, sie verstanden sich gut, das hatten sie von Anfang an.

Doch dass er sich in sie verlieben würde, das hatte er wirklich nicht kommen gesehen.

Und jetzt waren sie tatsächlich ein Paar.

Es schien ihm gleichzeitig wie das natürlichste der Welt und wie das verrückteste, das er je erlebt hatte.

Er wollte, dass es nie vorbei ging.

„Wie...wie lang willst du denn eigentlich warten?“ fragte Rose plötzlich leise.

Dave lachte. „Glaub mir, allzu lange würde ich es nicht durchhalten.“

Rose hörte seine Stimme mit einem Ohr durch seinen Brustkorb hindurch.

Er überlegte einen Moment lang, dann sagte er:

„Wir könnten es am Wochenende den Kindern sagen. Dann kann ich nämlich offiziell hier schlafen. Wir füttern die Kinder schnell ab, schicken sie ins Bett, dann legen wir eine gute CD auf und trinken ein Glas Wein. Dann gehen wir duschen, machen uns bettfein und dann werden wir sehen, wohin es führt.“

Rose lächelte und drückte ihm einen Kuss auf den Bauch, der ihn kurz zusammenzucken ließ.

„Das hört sich sehr gut an. Ich habe schon befürchtet, du willst mich wochenlang schmachten lassen.“

Dave prustete los. „Schmachten? Wirklich?“

Rose lachte nun ebenfalls. „Ja, wirklich. Fällt dir ein besseres Wort ein?“

Dave überlegte. „Hungern?“, meinte er dann.

„Ja, das passt auch. Oder schmoren.“

„Das liebe ich so an dir“, sagte Dave spontan.

Rose schloss die Augen. „Was genau?“ fragte sie.

Dave brauchte nicht lange nachdenken.

„Du bist nicht gleich beleidigt, wenn ich dich aufziehe. Du machst sogar noch mit und schlägst zurück. Du verstehst mich, ich muss dir nicht immer erklären, wie ich etwas meine.“

„Komisch, das geht mir mit dir genau so. Was liebst du denn sonst noch so an mir?“ fragte Rose kokett.

Jetzt musste Dave etwas länger überlegen.

„Du bist warmherzig. Du bist eine gute Mutter. Ich meine, du hast deinen Mann verlassen, weil er deiner Tochter geschadet hat. Du hast ein bequemes Leben gegen das einer alleinerziehenden Mutter eingetauscht, die arbeiten geht. Du hast alle deine Freundschaften aufgegeben und ein neues Leben ganz alleine mit Melissa angefangen. Davor habe ich großen Respekt. Du packst das Leben an und kämpfst für dein Recht. Du bist witzig und klug und außerdem schön. Langt dir das erst mal?“

Rose schwieg einen Moment, bevor sie antwortete.

„Ja, das langt mir.“

Nun war es an Dave zu fragen: „Und was liebst du an mir?“

Rose sagte zögernd: „Ich weiß nicht. Eigentlich alles. Wie du lachst, wie du gehst, wie du sprichst. Dass du immer hilfsbereit bist. Dass du dir Gedanken über die Gefühle anderer machst. Und du bist auch witzig und klug und du siehst so gut aus, dass ich mich wahrscheinlich niemals an dir satt sehen werde.“

Dave zog sie noch enger an sich und streichelte ihren Arm.

Langsam wurden sie müde, sie sprachen nicht mehr lange miteinander.

Sie schliefen die ganze Nacht so, wie sie eingeschlafen waren.

Morgens weckte sie die Sonne. Sie hatten vergessen, die Läden zu schließen.

Dave blinzelte.

Rose lag noch immer schwer auf seiner Brust, doch auch sie regte sich schon.

Es konnte noch nicht sehr früh sein, jedenfalls hatten sie nicht lange geschlafen.

Trotzdem fühlten sie sich nicht sehr müde.

Rose stützte sich auf ihrem Arm ab und küsste Dave.

„Guten Morgen“, sagte sie.

„Guten Morgen“, antwortete er.

„Hast du gut geschlafen?“, fragte sie. Es klang irgendwie schüchtern.

„Sehr gut. Und du? Hast du was geträumt? Du weißt ja, was man über die erste Nacht in einem neuen Haus sagt.“

Rose dachte kurz nach. „Ich kann mich an keinen Traum erinnern.“

„Na, dann sollst du bestimmt nicht wissen, was die Zukunft bringt“, meinte Dave grinsend.

„In nächster Zukunft werde ich vielleicht noch ein bisschen schlafen. Hast du gesehen, wie früh es noch ist?“

Dave nahm sein Handy in die Hand.

Das Display zeigte sechs Uhr siebzehn an.

„Soll ich vielleicht lieber rüber ins Gästezimmer gehen?“ fragte er.

„Warum?“ murmelte Rose, die schon die Augen geschlossen hatte.

„Na, wegen der Kinder. Was ist, wenn wir beide wieder einschlafen und die Kinder uns so vorfinden?“

Rose wurde wieder munter. „Du hast recht. Das wäre blöd.“

Dave setzte sich auf. „Ich werde dich vermissen“, sagte er.

Rose grinste. „Ich dich auch.“

Der Abschiedskuss fiel dann etwas heftiger aus, als geplant, so dass Dave wieder bäuchlings liegen bleiben musste, bis er endlich ins Gästezimmer aufbrechen konnte.

Die Müdigkeit überwog bei beiden die Erregung, so dass sie fast sofort einschlummerten.

Josie und Melissa wachten erst um acht auf, sie spielten aber erst noch mit den Sachen, die sie am Vortag ausgepackt und eingeräumt hatten.

Innerhalb einer Stunde sah das Kinderzimmer aus, als wäre eine Bombe dort eingeschlagen.

Erst dann bekamen die beiden Mädchen Hunger und weckten ihre Eltern im jeweiligen Zimmer.

Als sie alle gemeinsam frühstückten, bemerkten die Kinder nichts.

Nach dem Frühstück gingen sie alle in den Garten.

Melissa spielte mit Josie zwischen den Blumen und Büschen „Entdeckerinnen“, während Rose mit Dave die Beete abschritt.

Er zeigte ihr, welche verwelkten Blüten sie entfernen musste, zwischendurch berührte er sie bei jeder Gelegenheit, einmal küssten sie sich hinter einem hohen Gebüsch.

Vor den Mädchen rissen sie sich zusammen und taten, als sei nichts anders als vorher.

Gegen Mittag mussten sich Josie und Dave wohl oder übel verabschieden.

Josie musste noch zum Zahnarzt.

Als sie in der Tür stand, fragte Rose ganz beiläufig: „Wäre es euch recht, wenn Josie nächstes Wochenende noch mal hier übernachtet, bevor die beiden wieder in den Kindergarten müssen?“

Josie sah bittend zu ihrem Vater auf, der natürlich ganz begeistert von der Idee war.

„Ja, vielleicht können wir ja auch zusammen was unternehmen“, schlug er ganz spontan vor.

Melissa freute sich. „Ja, Mommy, das wäre toll. Vielleicht können wir ja nochmal an den Strand fahren.“

Der Gedanke, Rose den ganzen Tag im Bikini zu sehen gefiel Dave ausgesprochen gut.

„Das ist eine gute Idee. Wenn das Wetter mitmacht, bin ich einverstanden.“

Rose war ebenfalls nicht abgeneigt, so dass sie sich schnell einigten.

„Freitag oder Samstag?“ fragte Josie dann.

„Freitag“, antworteten Dave und Rose gleichzeitig und fingen an zu lachen.

Als Dave und Josie fort waren, machte sich Rose daran, In Melissas Zimmer die restlichen zwei Kartons auszupacken, die Kleidung enthielten.

Dann war sie endlich fertig.

Ihr neues Zuhause war fertig.

 

 

33.: Besuch, Besuch

 

Während Dave nicht viel zu tun hatte und sich wünschte, die Zeit bis Freitag würde schneller verstreichen, hatte Rose am Donnerstag ziemlich viel um die Ohren.

Schon ziemlich früh wurde sie vom Telefon geweckt.

Es war Cleo, die ihr danken wollte.

„Wenn du nicht mit James gesprochen hättest, hätte er mir vielleicht nie die Wahrheit gesagt. Danke.“

Rose sagte: „Ach, das war doch selbstverständlich. Sag mal, hast du nicht Lust, bei mir vorbei zu kommen? Ich bin gestern mit allem fertig geworden.“

Cleo hatte nichts anderes vor, deshalb sagte sie gerne ja.

Rose gab ihr die Adresse.

„Sag mal, Cleo, könntest du mir einen Gefallen tun?“

„Ja, klar, was denn?“

„Würdest du mir zwei deiner Kätzchen geben? Ich habe schon die Ausstattung.“

Cleo lachte. „Da hast du aber Glück. Warte, ich schicke dir ein Foto, ihr sucht zwei aus und ich bringe sie dir gleich mit.“

Rose nahm ihr Handy und wartete auf das Foto.

„Melissa, komm mal schnell!“, rief sie.

Melissa, die sich gerade ein Buch ansah, rief zurück: „Ja!“

Wenige Sekunden später stand sie neben ihrer Mutter.

Rose hatte das Bild bereits geöffnet und zeigte es Melissa.

„Schau, das sind die Kätzchen, die Tante Cleo hat. Zwei darfst du dir aussuchen.“

Melissa betrachtete die vier drolligen kleinen Tierchen, die auf dem Foto waren ganz genau.

Sie waren alle sehr niedlich, aber sehr unterschiedlich.

Eines war schwarz und hatte einen weißen Fleck auf der Brust, eines war weiß mit rötlichen Flecken am Kopf und auf dem Rücken, zwei waren weiß mit getigertem Rücken, wobei das eine grau und das andere rot getigert war.

„Die beiden“, sagte Melissa schließlich und deutete auf die beiden getigerten Kätzchen.

„Gut, dann sag ich Tante Cleo Bescheid, damit sie sie für uns reserviert.

„Danke, Mommy“, jubelte Melissa und gab ihrer Mutter einen Kuss.

Dann sagte Rose in das Telefon: „Cleo? Melissa hat sich entschieden. Die beidem mit dem getigerten Rücken.“

Cleo antwortete: „Gut, ich bin dann so in einer halben Stunde bei dir. Soll ich was zum Frühstücken mitbringen?“

Rose überlegte kurz und sagte: „Nein, ich hab alles da.“

Sie legten auf und Rose begann, sich anzuziehen.

„Mel, du ziehst dich auch besser an. Tante Cleo wollte nämlich mit uns frühstücken. Dann können wir ihr gleich zeigen, dass sich ihre Katzen hier wohlfühlen werden.“

Melissa zog sich an und ging dann runter in den Waschraum, wo Rose die ganzen Sachen für die Katzen deponiert hatte.

Sie stellte alles ins Wohnzimmer und wartete darauf, dass ihre Mutter in der Küche fertig wurde.

Rose bereitete die Kaffeemaschine vor und machte dann schnell ein paar Pfannkuchen, dann stellte sie Brot und den Toaster auf den Tisch, briet ein paar Würstchen und Speck in der einen und Eier in der anderen Pfanne.

Der große Herd machte Rose richtig glücklich.

Als alles fertig war, stellte sie die Flammen aus und ging ins Wohnzimmer, um Melissa zu helfen.

„Komm, den Kratzbaum stellen wir hier neben die Couch, du kannst die Spielzeuge mitbringen, die legen wir dann in die Höhle. Und das Katzenklo stellen wir erst mal hier auf die andere Seite. Wenn sie größer sind, kommt es in den Waschraum. Ich frage Brenda und Donnie, ob wir Katzentüren einbauen dürfen.“

Katzentüren kannte Melissa von Tante Cleo.

Als es an der Tür klingelte, hatte Rose gerade eine kleine Wolldecke in die Höhle des Kratzbaums gelegt.

Melissa stürmte schon zur Tür, ehe sich Rose vom Boden erheben konnte.

„Mommy, komm schnell! Tante Cleo hat die Kätzchen schon dabei!“, rief sie entzückt.

Rose war schon zur Stelle.

„Hi, Cleo, komm rein“, sagte sie.

Sie küssten sich auf die Wange.

„Schön, dass alles geklappt hat mit den beiden und danke dass du sie gleich mitbringst.“

„Hast du das gewusst, Mommy?“, fragte Melissa mit großen Augen.

„Ja, du Naseweis. Und wenn du nicht so schnell an der Tür gewesen wärst, hätte ich dein Gesicht sehen können, als du die Kätzchen entdeckt hast.“

„Entschuldige.“

Rose führte Cleo ins Wohnzimmer.

„Hübsch hast du es hier. Die ganzen Möbel durftest du behalten?“

„Ja, die Besitzerin ist in einem Pflegeheim und ihr Sohn hatte keine Verwendung für die ganzen Sachen. Er und seine Frau haben nur die persönlichen Dinge und ein paar Kleinigkeiten geholt, bevor ich den Schlüssel bekommen habe.“

Die Katzen machten sich bemerkbar.

„Wir unterhalten uns gleich in Ruhe. Das Frühstück ist auch schon fertig. Lass uns die Katzen in ihrem neuen Zuhause willkommen heißen und dann in die Küche gehen.“

Melissa konnte es kaum erwarten, aufgeregt hüpfte sie auf und ab.

Cleo kniete sich auf den Boden und öffnete die Tür der Transportbox.

Alle warteten gespannt, ob die Kätzchen von allein rauskommen würden.

Doch sie hatten sich ängstlich nach ganz hinten verkrochen und maunzten herzzerreißend.

„Ich mach den Deckel ganz ab“, meinte Cleo und schritt zur Tat.

„Ach, Gott“, entfuhr es Rose, als sie die beiden kleinen Fellbündel sah, die sich eng aneinander schmiegten.

„Ja, die sind echt süß, ihr habt eine gute Wahl getroffen.“

„Kann ich sie streicheln?“ fragte Melissa scheu.

Cleo nickte. „Wenn sie es nicht mögen, werden sie es dir schon zeigen. Aber wenn sie sehen, dass du ihnen nichts tust, werden sie sich schnell an dich gewöhnen. Wenn du sie dann fütterst, hast du schon halb gewonnen.“

Melissa setzte sich neben die Box und streichelte vorsichtig erst das eine, dann das andere Kätzchen.

Sie maunzten, doch sie ließen es sich gefallen.

Auch Rose streichelte die beiden kleinen Tierchen, die sie nun neugierig ansahen.

„Na seht ihr, sie haben sich schon etwas beruhigt.“

„Melissa, kommst du dann auch gleich frühstücken?“, fragte Rose.

„Ja, gleich, Mommy. Wenn ich sicher bin, dass sie keine Angst vor mir haben, will ich ihnen noch was zu fressen geben.“

„Schätzchen, sie haben heute morgen schon genug gefressen. Sie haben ein letztes Mal bei ihrer Mutter Milch getrunken und dann noch ein bisschen Futter aus der Dose bekommen. Sie kriegen erst wieder was, wenn sie ihr Geschäft gemacht haben.“

„Na gut. Ich komme schon.“

Sie gingen erst ins Bad, um sich die Hände zu waschen, dann setzten sie sich in der Küche an den Esstisch.

Rose startete die Kaffeemaschine und füllte schnell die Teller.

Cleo toastete unterdessen das Brot.

Sie frühstückten lange und ausgiebig.

Cleo hatte tausend Fragen über das Haus, die Rose ihr geduldig beantwortete.

Es war nun mal Cleos Art, alles ganz genau wissen zu wollen.

Als Melissa eine Scheibe Toast und einen Pfannkuchen gegessen hatte, fragte sie, ob sie wieder zu den Katzen dürfe.

Rose hatte nichts dagegen und Melissa ging hinaus ins Wohnzimmer, wo die beiden Katzenkinder bereits die Box verlassen hatten und vorsichtig ihre neue Umgebung erkundeten.

Die beiden Frauen waren nun allein und konnten ungestört sprechen.

„Nun erzähl mal, wie läuft's denn so mit deinem guten Freund? Macht ihr Fortschritte?“ fragte Cleo.

Rose grinste. „Das kann man so sagen. Es kam ganz überraschend für mich. Dave hat sich schon seit ein paar Wochen komisch benommen. Und vor ein paar Tagen hat er erfahren, dass seine Frau offensichtlich langsam mit der Trennung zurechtkommt. Seitdem war er richtig gut drauf, ich dachte aber dass das nur wegen der guten Nachrichten war. Und als er mir dann geholfen hat, die Möbel herzubringen, habe ich mich am Fuß verletzt. Es war seine Schuld. Er hat was fallen lassen. Wir haben uns im Bad den Schaden betrachtet, ich bin ausgerutscht und hätte mir fast den Kopf am Waschbecken aufgeschlagen. Dave hat mich aufgefangen und er war so erschrocken, dass er mir gestanden hat, dass er doch mehr als Freundschaft für mich empfindet. Und naja, langer Rede kurzer Sinn, wir sind jetzt zusammen.“

Cleo klatschte in die Hände. „Na, das ist ja wunderbar! Weiß Mel es schon?“

Rose schüttelte den Kopf. „Nein, wir wollen es den Kindern morgen sagen. Wir fahren vormittags an den Strand und abends, wenn wir hier sind, wollen wir es offiziell machen.“

„Wow. Und“, fragte Cleo mit einem anzüglichen Lächeln, „ist der Sex immer noch so gut?“

„Du wirst es nicht glauben“, sagte Rose. „Er wollte es diesmal nicht überstürzen, deshalb haben wir zwar zusammen geschlafen, aber viel mehr als schlafen lief noch nicht.“

„Oh, und wann wollt ihr loslegen? Morgen?“

Rose lachte. „Ich glaube nicht, dass er länger warten will.“

„Und bist du glücklich?“

Rose lächelte und sagte: „Ja, natürlich. Ich hatte ja schon fast die Hoffnung aufgegeben und plötzlich wird ihm klar, dass er schon lange Gefühle für mich hat und es sich nur nicht eingestehen wollte. Man müsste ja praktisch nur noch Happy End drunter schreiben.“

„Das würde mich freuen. Du hast es verdient. Eric hätte dich nie so glücklich machen können.“

Rose schüttelte den Kopf. „Nein. Nicht mal am Anfang. Irgendwie hatte ich früher aber immer das Gefühl, in seiner Schuld zu stehen, weil er für mich da war, als meine Eltern starben. Und irgendwann hatte ich mich an ihn gewöhnt. Er hatte ja auch seine guten Seiten, sonst wäre ich nie so lange bei ihm geblieben.“

„Ja, natürlich. Er hat jetzt übrigens eine Selbsthilfegruppe gefunden. Dort kann er über seine Eifersucht sprechen.“

Rose sah Cleo überrascht an.

„Wirklich? Na, das hätte ich gar nicht gedacht.“

„Doch, doch. Er scheint es wirklich einzusehen. Er hat mit James darüber gesprochen. Er hat gesagt, dass er jetzt verstehen kann, warum du ihn verlassen hast. Und er will zumindest versuchen, väterliche Gefühle für Melissa zu entwickeln, damit sie nicht mit dem Gedanken aufwachsen muss, dass sie ihm nichts wert ist“, berichtete Cleo und nickte energisch.

„Wow, das finde ich toll. Ich hoffe, er schafft es. Melissa würde das viel bedeuten.“

„Ja, ich weiß“, meinte Cleo und fragte dann:

„Meinst du, sie freut sich darüber, dass du einen Freund hast?“

Rose musste nicht lange nachdenken.

„Na klar“, sagte sie. „Aber nur, weil es Dave ist. Sie hat ihn gern und Josie liebt sie wie eine Schwester. Dave und ich haben die Kinder auch immer fair behandelt, nie hat einer von uns sein eigenes Kind in Schutz genommen, wenn es was verbrochen hat. Ich denke, sie werden sich alle beide freuen.“

„Das ist schön. Ich bin gespannt, wann ich ihn kennenlernen darf.“

Rose zögerte. „Ist das nicht ein bisschen komisch? Ich meine, als Erics Schwägerin?“

Cleo lachte. „Wirklich? Deshalb willst du ihn mir nicht vorstellen? Schätzchen, ich bin deine beste Freundin. Selbstverständlich will ich ihn kennenlernen. Meinst du, es interessiert mich, dass der Bruder meines Mannes mal mit dir zusammen war?“

„Ja, du hast recht“, stimmte Rose lächelnd zu. „Das war dumm von mir.“

Cleo sah sie an. „Also?“ fragte sie.

„Mal sehen, es lässt sich bestimmt mal nächstes Wochenende einrichten. Soll ich ihn vorwarnen oder willst du ihn lieber ganz spontan?“

„Hat beides seine Reize, aber ich denke mal, es ist besser, wenn er Bescheid weiß.“

„Wie gnädig.“

Gerade, als Cleo Rose fragen wollte, ob sie schon Pläne für die erste richtige Liebesnacht hatten, ging die Tür auf und Melissa kam herein.

„Tante Cleo, die Kätzchen maunzen so, vielleicht haben sie ja Hunger“, sagte sie hoffnungsvoll.

Cleo stand auf.

„Na, schauen wir doch mal nach, was sie wollen.“

Rose erhob sich ebenfalls und folgte Cleo und Melissa ins Wohnzimmer.

Dort saßen die beiden Kätzchen jämmerlich maunzend vor der Transportbox.

„Pass mal auf, wir probieren mal was“, sagte Cleo.

Sie setzte die zwei kleinen Tiere ins Katzenklo.

„Scharre mal ein bisschen mit deinen Fingern im Streu“, wandte sie sich dann an Melissa.

„Und wenn sie mich anpinkeln?“

„Machen sie nicht.“

Melissa tat, was ihre Tante ihr gesagt hatte.

Zuerst passierte nichts, doch dann begannen die kleinen Katzen, ebenfalls zu scharren.

„Jetzt kannst du aufhören.“

Die Tierchen legten jedes ein Häufchen in das Klo und scharrte es dann zu.

„Sie machen ja rein!“, rief Melissa begeistert.

„Ja, durch dein Scharren haben sie instinktiv gewusst, was zu tun war“, erklärte Cleo.

„So schlau sind Kätzchen?“, wunderte sich das Kind.

Cleo lächelte. „Jetzt dürfen sie auch was fressen. Gib ihnen jeweils eine halbe Dose in den Napf und mach die Brocken mit der Gabel ganz klein.“

Melissa gehorchte und schaffte es fast alleine.

Gleich darauf stellte sie den Napf auf seinen Platz.

Die Kätzchen rochen gleich, dass es Futter gab und kamen angeschossen.

Cleo meinte: „Streichle sie ruhig. Dann merken sie, dass sie dir vertrauen können.“

Melissa strich mit ihren Händen vorsichtig über das weiche Fell der beiden Tierbabys.

Wenige Minuten später waren beide Seiten des Napfs leer und Melissa spielte noch ein Weilchen mit den Kätzchen.

Rose und Cleo sahen von der Couch aus zu.

Plötzlich fragte Cleo: „Wisst ihr schon, wie ihr sie nennen wollt?“

Melissa schaute zu ihrer Mutter, Rose schaute zurück.

Dann fragte sie: „Sind es denn Männchen oder Weibchen?“

„Der graue ist ein Männchen und die rote ist ein Weibchen.“

Sofort fingen alle drei an, Traumpaare aus allen möglichen Sparten zu nennen.

„John und Jackie“, „Fred und Ginger“, „Cäsar und Kleopatra“, meinte Cleo.

„Adam und Eve“, „Bonnie und Clyde“, „Sid und Nancy“, sagte Rose.

„Romeo und Julia“, „Dora und Diego“, „Donald und Daisy“, schlug Melissa vor.

„Wisst ihr was?“, meinte Cleo schließlich. „Überlegt noch ein paar Tage in Ruhe, bis ihr die Kätzchen besser kennt. Dann werdet ihr schon sehen, welche Namen am besten zu ihnen passen.“

Rose hielt das für eine gute Idee.

Cleo sah auf die Uhr. „Oh, es ist ja schon fast Mittag. Ich muss langsam gehen, damit ich meine Hausarbeit noch fertig bekomme.“

Rose fragte: „Bekommst du denn was für die Katzen?“

Cleo lachte. „Du spinnst ja. Du hast meine Ehe gerettet, da verlange ich doch kein Geld von dir.“

Rose lächelte. „Na gut. Dankeschön.“

Melissa verabschiedete sich im Wohnzimmer von ihrer Tante.

„Danke für die süßen Katzen, Tante Cleo“, sagte sie und küsste Cleo auf die Wange.

„Gerne, Schätzchen“, erwiderte Cleo liebevoll.

Man merkte ihr an, dass sie gerne noch länger geblieben wäre.

Rose begleitete sie an die Tür.

„Hey, wir sehen uns bald mal wieder, ja?“ sagte sie.

„Ja. Auf jeden Fall. Ich bin wirklich froh, dass sich zwischen dir und Eric alles geklärt hat.“

Rose nickte. „Ja, es war wirklich schade, wegen so etwas so lange nichts voneinander zu hören.“

Die beiden Frauen umarmten sich zum Abschied.

Rose erledigte drinnen den Abwasch, während Melissa draußen im Garten spielte.

Sie wollte noch ins Geschäft fahren, um für den Ausflug zum Strand ein paar Sachen einzukaufen.

Sie hatte in der Nähe einen kleinen Laden entdeckt, der vielversprechend aussah.

Plötzlich klingelte es an der Tür.

Rose runzelte die Stirn, sie erwartete eigentlich niemanden.

Als sie öffnete, standen vor ihr vier alte Frauen, darunter auch Mrs. Henderson.

„Guten Tag“, sagte sie überrascht.

Mrs. Henderson übernahm das Sprechen.

„Guten Tag, Mrs. Elliott. Wir sind gekommen, um Sie in der Nachbarschaft willkommen zu heißen. Das sind meine Freundinnen Fiona Fisher, Sophia DiMarco und Lizzie Dunthorpe.“

Die drei Damen nickten ihr jeweils zu.

Rose sah, dass sie Kuchen und Wein dabei hatten und dachte:

Und jetzt wollt ihr natürlich rein kommen und euch genau ansehen, wer hier haust.

Doch sie wollte ihnen den Spaß gönnen.

„Oh, wie nett von Ihnen“, sagte sie freundlich. „Kommen Sie doch herein.“

Sie trat zur Seite, damit die vier alten Ladies eintreten konnten.

Mit dürftig versteckter Neugier sahen sie sich um.

„Sie haben nicht viel verändert“, stellte Mrs. Fisher fest.

Rose schüttelte den Kopf. „Nein, ich fand nicht, dass das nötig war. Helen hatte einen guten Geschmack und hat ihre Sachen gepflegt, das merkt man. Und Brenda und Donnie haben auch gut auf alles acht gegeben, seit Helen in dem Pflegeheim ist.“

Diese Antwort gefiel allen.

Mrs. DiMarco fragte: „Was macht Donnie denn, wenn Helens Zustand sich doch noch bessern sollte? Nimmt er sie dann bei sich auf?“

Wieder konnte Rose mit ihrer Antwort punkten.

„Das haben wir natürlich auch überlegt. Ich habe Donnie versichert, dass sie dann jederzeit zurück kommen kann. Wenn sie möchte, kann ich trotzdem hier wohnen bleiben und ihr bei allem helfen. Ich arbeite selbst in einem Seniorenheim, Helen wäre also in guten Händen.“

Dann wechselte sie das Thema, um den Besuch ein wenig voranzubringen.

„Soll ich vielleicht Kaffee kochen? Oder Tee?“ fragte sie höflich.

„Gerne. Sollen wir vielleicht in die Küche gehen? Dort ist doch mehr Platz als hier“, meinte Mrs. Henderson.

Rose lächelte fast natürlich und sagte: „Ja, das ist eine gute Idee. Sie kennen sich gut aus hier.“

Sie gingen in die Küche und die alten Damen ließen sich am Esstisch nieder.

Rose bereitete den Kaffee zu und deckte unterdessen schnell den Tisch.

Sie stellte die Tassen vor den Besuch und sagte entschuldigend:

„Ich gehe schnell nach draußen und sage Melissa, dass sie rein kommen soll.“

Sie ging in den Garten und rief ihre Tochter.

Als sie zu ihr kam, sagte sie: „Wir haben Besuch. Ein paar Frauen aus der Nachbarschaft sind da. Sie haben Kuchen mitgebracht. Komm rein und wasch dir die Hände. Ich mach dir inzwischen einen Kakao.“

Sie ging zurück in die Küche, während Melissa sich ins Bad trollte.

Rose tat so, als habe sie nicht bemerkt, dass das laufende Gespräch unterbrochen wurde, sobald sie die Küche betrat.

„Melissa kommt gleich. Sie wäscht sich noch die Hände.“

Sie goss Milch in ein hohes Glas, gab Kakaopulver dazu und stellte es dann auf den Tisch.

Schließlich setzte auch sie sich.

„Der sieht aber gut aus“, sagte sie mit einem Blick auf den Kuchen.

„Ja, den habe ich gebacken“, sagte Mrs. DiMarco. „Ein Käsekuchen mit Kirschen.“

Rose schnitt den Kuchen an und gab auf jeden Teller ein großes Stück.

Als Melissa kam, waren die alten Frauen ganz entzückt über das niedliche kleine Mädchen.

Ob Eric Mrs. Henderson gesagt hat, dass er mit mir gesprochen hat?, dachte Rose.

Die Damen waren zwar neugierig, doch sie hatte nicht das Gefühl, dass sie ihr gegenüber feindlich eingestellt waren.

Sie unterhielten sich ganz ausgezeichnet, so dass auch Rose bereit war, ihren Nachbarinnen eine Chance zu geben.

Mrs. Henderson und Mrs. Dunthorpe boten ihr an, ihr mit Rat und Tat zur Seite zu stehen, wenn sie Probleme mit dem Garten hatte.

Mrs. DiMarco war sehr interessiert an Roses Rezepten und Mrs. Fisher lobte sie dafür, dass sie das Haus so schnell in Ordnung gebracht hatte nach dem Umzug.

Sie blieben etwa zwei Stunden, dann brachen sie endlich auf.

Rose räumte schnell auf und fuhr dann mit Melissa einkaufen.

Sie wollte diesmal nicht so viel Essen zum Strand mitnehmen, lieber wollte sie abends noch frisch kochen.

Immerhin sollte es ja ein besonderer Abend werden.

Als sie zu Hause waren, räumten sie gemeinsam die Einkäufe weg.

„Was ist das, Mommy?“ fragte Melissa, die etwas in der Hand hielt, das sie entfernt an einen Deo-Roller erinnerte.

„Oh, das kommt ins Bad“, erklärte Rose. „Das ist ein Wachs-Roller. Mit dem kann man seine Beine enthaaren.“

Was sie sonst noch so alles enthaaren wollte, behielt sie lieber für sich.

Melissa kümmerte sich um die Katzen, die in der Zwischenzeit ein Nickerchen gemacht hatten.

Rose begann unterdessen schon mit der Vorbereitung der Snacks.

Sie machte einfache Sandwiches mit Salami, Schinken und Käse. Dazu wollte sie dann noch geschnittene Eier, Tomaten und Gurken mitnehmen.

Außerdem frittierte sie Schnitzel, die sie dann kalt auf Brötchen legen konnten.

Am Abend sollte es dann Linguine mit getrockneten Tomaten und Scampi geben.

Melissa kam in die Küche, als Rose gerade wieder beim Aufräumen war.

„Mommy, wann dürfen die Katzen eigentlich raus?“ fragte sie.

„Sie müssen eine Weile im Haus bleiben, bis wir sicher sind, dass sie sich hier gut auskennen. Ein paar Wochen auf jeden Fall.“

„Schade.“

Melissa ging wieder zurück ins Wohnzimmer und Rose lächelte.

Als sie gerade die Krümel zusammen kehrte, vibrierte ihr Handy.

Es war eine Nachricht von Dave.

Ich freue ich auf morgen. Du fehlst mir.

Rose war gerührt.

Sie schrieb zurück:

Du mir auch. Ich freue mich auch auf morgen. Ich kanns kaum erwarten.

Nachdem sie die Nachricht gesendet hatte, überlegte sie, ob sie zu forsch war.

Doch die Antwort, die kam, entledigte sie dieser Sorge.

Glaub mir, mir fällt es auch schwer. Aber ich weiß, dass es sich lohnen wird.

Rose erschauerte leicht.

Da bin ich mir sicher, schrieb sie. Ich bin richtig aufgeregt.

Zurück kam ein Kuss-Smiley, dann:

Geht mir nicht anders. Schon allein weil wir es den Kindern sagen wollen.

Rose war sich sicher, dass sie sich freuen würden, das schrieb sie auch.

Dave antwortete: Vielleicht hast du recht.

Rose ging nun erst mal ihren Arbeiten nach.

Sie fegte, dann machte sie das Katzenklo sauber.

Danach ging sie nach draußen, wo Melissa auf dem Rasen saß und mit ihren Puppen spielte.

„Was machen die Katzen?“, fragte Rose ihre Tochter.

„Die schlafen schon wieder. Gießt du jetzt?“

Rose nickte.

Dann drehte sie die Hähne für die Rasensprenger auf und betrachtete das Wasser, das über ihren Garten regnete.

Nach und nach drehte sie die Hähne wieder zu.

Endlich setzte sie sich auf einen Stuhl und genoss die milde Luft und das Zwitschern der Vögel in den Gärten rundherum.

Die Sonne ging bald unter und tauchte den Himmel in ein rötliches Licht.

Rose dachte darüber nach, was für ein Glück sie hatte.

Sie lebte in einem tollen Haus, das sie zu einem Spottpreis mietete, sie fuhr ein Auto, das zwar immer noch eine Beule hatte, aber sonst einwandfrei funktionierte.

Und sie stand am Anfang einer neuen Beziehung mit einem Mann, mit dem sie sich blind verstand und der sie in jeder Beziehung glücklich machen konnte.

Was wollte man mehr im Leben?

Als die Schatten allmählich so lang wurden, dass Rose zu frösteln begann, rief sie ihre Tochter.

„Wir gehen rein!“

Melissa kam sogleich angerannt. Sie wollte wissen, ob die Kätzchen wach waren.

Im Wohnzimmer war kein Kätzchen zu sehen.

Sofort brach bei Melissa Panik aus.

Rose beruhigte sie: „Sie können ja nicht weit sein, die Türen waren alle zu. Vielleicht entdecken sie nur gerade ihr neues Zuhause und sind unters Sofa oder hinter den Fernseher gekrochen.“

Melissa nickte.

Sofort begannen sie und Rose, die Tierchen zu suchen.

Weder unterm Sofa, noch hinter dem Fernseher, noch an sonst einem Ort waren die Kätzchen zu sehen.

Endlich hatte Rose eine Idee.

Sie holte ein Päckchen mit kleinen Snacks und raschelte damit.

Zunächst geschah gar nichts, doch dann kamen die beiden unter einer Kommode hervorgekrochen.

Sie rannten sofort auf Rose zu, um ein Leckerli zu bekommen.

„Oh, Gott sei Dank!“, rief Melissa.

„Ich hab doch gesagt, dass sie nicht weit weg sind. Ich hätte nicht gedacht, dass sie da drunter passen.“

Sie setzten die beiden Katzenkinder in das Klo und warteten, ob etwas geschah.

Tatsächlich fingen sie an, zu scharren. Zuerst etwas unschlüssig, doch dann ziemlich entschlossen.

„Sehr gut. Dann bekommen sie jetzt noch mal was zu fressen. Inzwischen gehst du duschen, ich mache dir was zu essen und vor dem Schlafengehen darfst du noch mit den Katzen spielen.“

Melissa beeilte sich, ins Bad zu kommen. Je schneller sie mit allem fertig war, desto mehr Zeit hatte sie nachher für ihre Tiere.

Rose machte schnell zwei Scheiben Brot für sie zurecht, sie selbst war noch satt von dem Kuchen.

Melissa aß schnell, putzte dann ihre Zähne und eilte sofort ins Wohnzimmer, als sie fertig war.

Rose packte schon mal die Sachen für den Strand ein und stellte die Kühlbox bereit.

Die Getränke und das Essen lagen schon fertig verpackt im Kühlschrank.

Als Melissa gegen zehn Uhr endlich ins Bett ging, war auch Rose ziemlich müde, allerdings wollte sie sich unbedingt noch die Beine und alles andere enthaaren und duschen, so dass sie erst nach elf im Bett lag.

Sie war schon fast eingeschlafen, als ihr Handy auf dem Nachttisch vibrierte.

Ich gehe jetzt ins Bett, schrieb Dave. Morgen sehen wir uns endlich wieder. Ich nehm dich mit in meine Träume. Gute Nacht.

Rose lächelte, dann schrieb sie zurück:

Ich folge dir überall hin. Schlaf gut.

Sie hoffte nur, dass das nicht zu schmalzig klang.

Lange beschäftigte sie der Gedanke aber nicht, denn sie schlief bald darauf ein.

 

 

34.: Erleichterung

 

Dave war immer gerne früh aufgestanden, doch er fand selbst, dass er heute übertrieb.

Um halb fünf lag er hellwach im Bett.

Er versuchte noch eine Weile, einzuschlafen, schließlich wollte er abends nicht so früh müde werden.

Um fünf Uhr gab er es auf.

Er hatte noch fünf Stunden Zeit, dann erst holte Rose ihn und Josie ab.

Er wusste, dass Josie vermutlich noch zwei bis drei Stunden schlafen würde.

Seine Wohnung war sauber, etwas zu essen würde Rose mitbringen, es gab einfach nichts zu tun.

Dave langweilte sich. Um die Uhrzeit kam ja auch nichts im Fernsehen.

Schließlich holte er seinen Laptop ins Bett und surfte etwas im Internet.

Seine Mails sah er noch täglich durch, doch sonst hatte er in den letzten Monaten keine Zeit und keine Lust für mehr gehabt.

Er schaute mal auf Facebook, ob es irgendwas zu ändern und zu aktualisieren gab.

Seinen Status änderte er mit fast kindlichem Stolz von verheiratet zu in einer Beziehung.

Er wusste gar nicht, ob Rose auch bei Facebook war.

Tatsächlich fand er sie nach kurzer Suche und fügte sie als Freundin hinzu.

Offensichtlich war sie auch schon seit langem nicht mehr online, die Fotos waren locker zwei Jahre alt.

Von Eric gab es kaum Fotos, dafür einige von Melissa als Baby und Kleinkind und viele von Rose.

Auch Cleo und James waren auf einigen Fotos markiert.

Als er Roses Seite genügend durchsucht hatte, kümmerte er sich um seine eigene.

Er hatte einige Freundschaftsanfragen von verschiedenen Leuten, die er erst mal beantwortete oder löschte, je nachdem, ob er die Person kannte oder nicht.

Ein alter Studienkamerad war dabei, eine Patientin, eine Kassiererin vom Supermarkt und ein Mann, den er erst beim zweiten Hinsehen als seinen Hautarzt erkannte.

Etliche Nachrichten warteten auch noch auf Antwort, manche davon waren schon gar nicht mehr aktuell, so dass er sie einfach löschte.

Natürlich hatte er auch hunderte von Spiele-Anfragen, die er geduldig ablehnte.

Dann schloss er sein Handy an den Laptop an und kopierte einige Fotos darauf.

Schon lud er auf seiner Seite Fotos vom Zoobesuch und von verschiedenen Ausflügen hoch.

Die Fotos, auf denen Rose markiert war, verlinkte er mit ihrer Seite.

Dann verließ er Facebook und surfte noch kurz ziellos im Netz, dann hatte er endlich eine gute Stunde vertrödelt.

Er klappte den Laptop zu und schwang sich aus dem Bett.

In der Küche stellte er erst mal Kaffee auf.

Als die Maschine lief, ging er schnell duschen.

Unter seine Hosen zog er gleich seine Badehose an, dann ging er zurück in die Küche, um seinen Kaffee zu trinken.

Immerhin war es jetzt fast sieben Uhr, da liefen bestimmt schon irgend welche alten Sitcoms im Fernsehen.

Dave setzte sich ins Wohnzimmer und zappte sich durch die Kanäle, bis er eine Wiederholung von Scrubs fand.

Um halb acht stand Josie auf.

„Morgen, Daddy. Siehst du um die Uhrzeit schon fern?“, fragte sie erstaunt.

„Morgen, mein Schatz. Ja, ich konnte nicht mehr schlafen, da hab ich nach der Dusche den Fernseher angemacht.“

Josie setzte sich neben ihren Vater und kuschelte sich an ihn.

„Dauert es noch lang, bis Rose und Melissa uns abholen?“ wollte sie nach einer Weile wissen.

Es war gerade acht Uhr. „Noch zwei Stunden.“

„Ach, das dauert ja noch ewig.“

„Ja, ich weiß“, seufzte Dave.

„Freust du dich auch schon so?“ fragte Josie ihn.

„Ja, natürlich. Ich mag den Strand.“

Um halb neun machte Dave ein paar Pfannkuchen zum Frühstück.

Als sie beide satt waren, duschte Dave Josie ab und gab ihr Sachen zum Anziehen.

Auch sie zog ihre Badesachen unter ihrer Kleidung an.

Handtücher, Sonnencreme und Spielsachen hatte Dave in einer großen Tasche untergebracht, die bereits neben der Tür parat stand.

Darin befand sich auch Kleidung für die Übernachtung, versteckt in einer Tüte.

Als es um zwanzig vor zehn an der Tür klingelte, war Dave plötzlich sehr aufgeregt.

Er ließ Melissa und Rose rein.

„Josie, wir haben jetzt die Katzen!“ rief Melissa gleich.

„Wirklich? Dann sehe ich die ja später!“, freute sich Josie.

„Oh, schön. Und die halten es alleine aus bis heute Abend?“, erkundigte sich Dave.

Rose winkte ab. „Die sind erst mal satt und für später habe ich ihnen kleine weiche Snacks hingestellt. Aufs Katzenklo können sie inzwischen alleine.“

Sie sah etwas blass aus, fand Dave, anscheinend war er nicht der Einzige, der aufgeregt war.

Er widerstand dem Drang, Rose zu küssen, egal wie hübsch sie in dem weißen Rock und dem roten Top aussah.

„Ich dachte, es ist vielleicht besser, wenn wir etwas früher herkommen“, sagte Rose.

Dave grinste. „Ja, das ist gar nicht mal so schlecht. Wir sind eigentlich auch schon längst bereit.“

„Sollen wir noch einen Kaffee trinken?“ fragte Rose.

„Naja, wenn die Mädels es noch zehn Minuten aushalten, gerne.“

Josie und Melissa trollten sich ins Kinderzimmer, während Dave schnell zwei Tassen Kaffee eingoss.

Erst, als er sicher war, dass die Tür zum Zimmer zu war, küsste er Rose.

„Du hast mir gefehlt“, sagte er etwas atemlos.

„Du mir auch. Ich konnte gar nicht richtig schlafen“, antwortete Rose.

„Ja, ich war schon um halb fünf wach.“

„Oh mein Gott, nein! So früh war ich dann doch nicht wach. Aber ich bin zwischendurch so oft aufgewacht.“

„Na, da werden wir heute Abend schön müde sein“, lachte Dave.

„Ja. Dann haben wir nur eine Wahl: So viel wie möglich mit den Kindern toben, gegen fünf heimwärts fahren, alle beide duschen, dann sagen wir ihnen, dass wir zusammen sind, essen was und dann werden sie auch schon so müde sein, dass sie gleich ins Bett gehen. Und wir starten unser Programm unverzüglich, sobald beide Kinder die Augen geschlossen haben. Dann können wir auch frühzeitig schlafen.“

Dave nickte ernsthaft. „Der Plan ist gut. Er hat nur einen Haken.“

„Und der wäre?“

„Ich habe nicht vor, besonders viel zu schlafen.“

Roses Pupillen weiteten sich.

„Versprichst du mir das?“ fragte sie.

Als er sie diesmal küsste, war es Rose, der die Luft ausging.

Doch ein Blick auf die Uhr ernüchterte sie sofort wieder.

„Zehn nach zehn!“ rief sie erschrocken aus.

Auch Dave war sichtlich überrascht.

„Oh nein. Lass uns schnell den Kaffee trinken und dann fahren.“

Sie tranken, so viel sie konnten, den Rest schüttete Dave in den Ausguss.

Dann rief er laut: „Abfahrt!“

Sofort kamen Melissa und Josie jubelnd angelaufen.

Als alle im Auto saßen, musste Rose kurz umdenken, um den richtigen Weg zu finden.

Doch bald waren sie auf der Straße, die sie schon beim letzten Mal entlang gefahren waren.

Sie verließen die Stadt und fuhren eine ziemlich leere Straße entlang, die sie fast bis zum Strand brachte.

Erst zum Schluss mussten sie ein Stück die Küste hochfahren, um den Strand zu erreichen.

Der Parkplatz war ziemlich leer, es schien noch nicht viel los zu sein.

„Da haben wir ja Glück, wir können uns den perfekten Platz aussuchen“, meinte Dave.

Sie trugen ihre Sachen runter und wanderten eine Weile am Strand entlang.

Als sie eine Gruppe von Felsen entdeckten, ließen sie sich davor nieder und breiteten großzügig ihre Decken aus, so dass sie immer genügend Sonne wie auch Schatten haben würden.

Natürlich wollten die Kinder gleich ins Wasser gehen.

Sie planschten etwas umher, während Dave und Rose ein bisschen weiter raus schwammen.

„Du siehst richtig gut aus im Bikini“, sagte Dave, sobald sie außer Hörweite waren.

„Oh, danke“, gab Rose zurück, „du machst aber auch keine schlechte Figur.“

Er lachte. „Wenn ich dich den ganzen Tag so sehen muss, werde ich bestimmt wahnsinnig.“

„Ich kann mir ja später den Rock überziehen.“

Dave überlegte. „Nein, das würde wahrscheinlich nichts bringen. Ich werde so oder so wahnsinnig.“

„Sollte ich Angst haben?“, erkundigte sich Rose schelmisch.

„Unbedingt. Ich werde dich mit Haut und Haaren verspeisen.“

„Na, aber erst mal musst du mich kriegen!“, rief Rose und schwamm plötzlich zurück zum Strand.

„Hey!“, rief Dave und schwamm ihr hinterher.

Doch im Wasser war Rose klar im Vorteil.

Sie war längst bei den Kindern, als Dave gerade im seichteren Wasser die Füße auf den Boden stellte und lief.

„Das war aber nicht fair“, sagte er, als er bei den anderen ankam.

„Ach, ich hätte auch gewonnen, wenn ich fair gewesen wäre.“

„Zeigt ihr uns, wie man schwimmt?“ fragte Melissa ihre Mutter.

Die nächste halbe Stunde verbrachten Dave und Rose damit, ihre Kinder auf ihren Armen schwimmen zu lassen und immer mal wieder die Arme wegzuziehen.

Als die Mädchen endlich genug davon hatten, gingen sie aus dem Wasser, um zu essen.

Die Schnitzel kamen besonders gut an, alle griffen hungrig zu.

Schließlich packte Rose die Reste wieder ein.

„Was sollen wir jetzt machen? Ins Wasser können wir erst mal nicht“, sagte sie dann.

Josie schlug vor: „Wir könnten ja wieder Muscheln suchen und nachher eine Sandburg damit bauen.“

Rose stand auf und griff zu ihrem Rock und dem Top.

„Na dann, gehen wir doch gleich los. Aber jemand sollte bei den Sachen bleiben.“

Dave meinte großzügig: „Geht ruhig ohne mich. Ich opfere mich.“

Rose grinste. „Du machst jetzt bestimmt ein Nickerchen.“

„Das ist durchaus möglich“, entgegnete Dave. „Später können wir ja tauschen.“

Als Rose mit den beiden Mädchen auf Schatzsuche ging, legte Dave die Wertsachen in ein Handtuch gewickelt unter seinen Kopf, dann schloss er die Augen.

Er lag ganz im Schatten der Felsen, so dass er nicht gleich einen Hitzschlag erleiden würde.

Das Rauschen des Meeres und die Stille des Mittags halfen ihm dabei, nach wenigen Minuten einzudösen.

Als die Stimmen der Kinder ihn weckten, konnte er nicht einschätzen, wie lange er geschlafen hatte.

Der Sonne nach zu urteilen, nicht lange.

Dennoch fühlte er sich erfrischt und ausgeruht.

„Na“, neckte ihn Rose, „hast du genügend Kräfte gesammelt?“

„Da kannst du dir sicher sein“, antwortete Dave grinsend.

„Daddy, wir haben einen ganzen Eimer voll Muscheln und Steine“, berichtete Josie stolz.

„Ja, Rose weiß wirklich, wo man die besten Sachen findet.“

„Wollen wir jetzt schwimmen gehen?“ fragte Melissa.

Rose nickte. „Wir waren ja fast eine Stunde unterwegs, jetzt können wir wieder ins Wasser.“

Sie zog sich aus, worauf Dave ein kleines Grunzen ausstieß, das Rose zum Lachen brachte.

Wieder erteilten sie den beiden Mädchen Schwimmunterricht.

Nach etwa zwanzig Minuten hatte Josie plötzlich den Dreh raus.

Sie machte zwar immer noch ziemlich hektische Bewegungen, doch je sicherer sie wurde, desto ruhiger bewegte sie auch Arme und Beine.

Melissa, die jetzt Ehrgeiz zeigte, versuchte ebenfalls, etwas ruhigere Bewegungen zu machen und etwas später schwamm auch sie ohne Hilfe.

Rose und Dave waren stolz.

„Kannst du dir das vorstellen, die beiden Mäuse können schon schwimmen“, sagte Rose begeistert.

„Ja, echt unglaublich!“

Sie schwammen mit den beiden ein wenig im flacheren Wasser hin und her, dann brachten sie sie wieder ans Ufer und schwammen nochmal alleine raus.

Melissa und Josie holten schon ihr Sandspielzeug und begannen, eine Burg zu bauen.

Rose schwamm gerade auf dem Rücken, als sie Daves Hand in ihrer spürte.

Auch er hatte sich auf den Rücken gedreht und ließ sich neben ihr treiben.

„Willst du dich dann gleich ein bisschen hinlegen, wenn wir wieder am Strand sind?“ fragte er.

„Das wäre bestimmt nicht schlecht. Wir wollen doch nicht, dass ich heute Nacht zu früh einschlafe“, lachte Rose.

„Dann würde ich vorschlagen, wir treten den Rückweg an, dann kannst du länger schlafen und die Kinder bekommen eine Luxus-Burg.“

Sie drehten um und schwammen an den Strand zurück, wo Melissa und Josie bereits ein großes Fundament und mehrere Türme geschaffen hatten.

Rose und Dave trockneten sich ab und tranken etwas, dann legte sich Rose hin, während Dave sich mit den Kindern beschäftigte.

Rose schlief zwar nicht richtig ein, doch sie ruhte sich immerhin eine ganze Weile aus.

Als Dave und die Mädchen an den Platz zurückkehrten, war es fast vier Uhr.

„Mommy, komm und schau dir die Burg an!“

„Nimm dein Handy mit“, meinte Dave, „damit du sie fotografieren kannst.“

Er nahm seines ebenfalls mit.

Als Rose die Burg sah, konnte sie kaum glauben, was sie sah.

„Die habt ihr gebaut?“, staunte sie.

Die Burg erinnerte fast an das Dornröschen-Schloss von Disney mit ihren eleganten Türmen und den verschiedenen Ebenen, auf denen sie standen.

Sie hatten auch zierliche Fenster und Wege geformt und alles mit Muscheln geschmückt.

Am größten Turm war ein Stock mit einem Stück Seetang befestigt und in die Seiten waren ihre schönsten Steine eingelassen.

Rose war froh, dass sie ihr Handy wirklich mitgenommen hatte.

Sie fotografierte die Burg von allen Seiten, Dave tat das gleiche.

„Also, ich muss wirklich sagen, darauf könnt ihr wirklich stolz sein.“

„Dave hat das meiste gemacht. Er kann so toll Sandburgen bauen, dass er als Junge bei Wettbewerben mitgemacht hat“, berichtete Melissa.

„Wirklich? Wow“, sagte Rose ehrlich überrascht.

Sie fand das ziemlich cool.

„Nächstes Mal machen wir zusammen einen springenden Delfin oder vielleicht eine Meerjungfrau.“

„Oh ja!“ riefen die Mädchen begeistert.

Dave lächelte erfreut. „Schön, dass es euch so gut gefällt, was ich mache. Bei den Wettbewerben war ich nie einer der besten. Ich habe mal den siebten Platz erreicht, das war schon alles.“

„Also, ich finde das hier schon ziemlich cool“, meinte Rose.

Als sie das Kunstwerk ausgiebig betrachtet hatten, kehrten sie an ihren Platz zurück.

„Sollen wir uns langsam zum Aufbruch bereit machen?“ fragte Dave.

Rose nickte.

Sie packten alles zusammen und entsorgten ihren Müll.

Jeder trank noch etwas, dann gingen sie den Strand entlang Richtung Parkplatz.

Als sie im Auto saßen, wurde Dave wieder nervös.

Bei Rose angekommen, war es schon fast Zeit, zu kochen.

Außerdem maunzten die Kätzchen ganz jämmerlich.

Melissa gab ihnen mit Josie zusammen Futter.

„Haben sich die beiden schon eingelebt?“ fragte Dave amüsiert.

„Naja, sie sind erst einen Tag hier, aber sie haben sich schon ans Katzenklo gewöhnt und fressen ordentlich. Ich denke, sie kommen ganz gut zurecht ohne ihre Mutter. Sie weinen nicht nach ihr. Und sie lassen sich schon ganz problemlos streicheln. Es läuft also bis jetzt ganz gut. Ich werde mich jetzt erst mal ums Katzenklo kümmern, aber das geht ganz schnell.“

Dave sah ihr dabei zu, wie sie mit einer kleinen Schaufel die Häufchen und die Klumpen entfernte und dann frisches Streu dazugab.

„Soll ich den Müllbeutel raus bringen?“ fragte Dave.

„Ja, danke“, antwortete Rose überrascht.

Sie war nicht daran gewöhnt, dass ihr jemand eine Arbeit abnahm.

Sie ging ins Bad, um sich gründlich die Hände zu waschen.

Die Kinder saßen vor dem Fernseher und sahen sich eine Sendung an, in der gebastelt wurde.

Dave kam zu ihr ins Bad, um sich ebenfalls die Hände zu waschen.

Natürlich nutze er die Gelegenheit, sie ausgiebig zu küssen.

Dann fragte er: „Was denkst du, wann wir es ihnen sagen sollen?“

Rose meinte: „Vielleicht beim Essen?“

Dave war einverstanden.

Als sie ins Wohnzimmer zurückkehrten, hatten die Kätzchen bereits alles leer gefressen und ließen sich von den Kindern streicheln.

Dave und Rose beobachteten sie eine Weile, ehe sie in die Küche gingen.

Rose setzte Wasser für die Nudeln auf und begann dann, Scampi zu putzen.

„Kann ich dir helfen?“ fragte Dave, der untätig am Esstisch saß.

„Du kannst mir das Glas mit den getrockneten Tomaten öffnen und sie dann abtropfen lassen.“

Dave tat, wie ihm geheißen.

„Machst du auch Knoblauch rein?“ fragte er besorgt.

„Nein, darauf verzichte ich heute mal. Aber die Tomaten waren zusammen mit Knobi eingelegt, ich denke das reicht für ein bisschen Aroma.“

Als die Scampi mit etwas Öl in einer großen Pfanne brutzelten und langsam etwas Farbe bekamen, gab Rose die Tomaten dazu.

Sie würzte mit etwas Zitrone und Salz und gab dann noch glatte Petersilie hinzu.

In kürzester Zeit war das Essen fertig.

Dave half Rose beim Tischdecken, dann ging er die Kinder holen, während Rose schon die Teller befüllte.

Als alle am Tisch saßen, erzählten die Kinder lebhaft, bis sie merkten, dass ihre Eltern nicht ganz bei der Sache waren.

„Ihr hört ja gar nicht zu“, schimpfte Josie.

Dave und Rose sahen sich an, dann nickten sie fast gleichzeitig.

„Wir müssen euch was sagen“, begann Dave.

Josie und Melissa sahen sie aufmerksam an.

„Haben wir was getan?“, fragte Josie.

„Nein, Schätzchen, natürlich nicht.“

Rose fragte: „Soll ich?“

Dave nickte erleichtert.

„Ihr wisst“, begann sie, „dass Dave und ich uns sehr gut verstehen.“

Die Kinder nickten ernsthaft.

„Und weil wir uns so gut verstehen, haben wir uns ineinander verliebt.“

Sie wartete gespannt auf eine Reaktion, auch Dave schien den Atem anzuhalten.

Melissa rührte sich als erste: „Und jetzt seid ihr Freund und Freundin?“, fragte sie.

Dave lächelte. „Ja, genau. Freund und Freundin.“

Josie runzelte die Stirn. „Und wollt ihr auch heiraten?“

Rose und Dave waren einen Moment lang sprachlos.

„Tja, also...“, druckste Rose herum.

Dave überlegte kurz, dann sagte er: „Momentan machen wir uns darüber noch keine Gedanken. Ich kann jetzt sowieso nicht heiraten, Schätzchen. Ich muss erst von deiner Mutter geschieden sein.“

„Aber wenn das erledigt ist, könntet ihr heiraten? Vielleicht?“ hakte Josie nach.

Dave sah Rose an.

Er wollte nicht, dass sie sich zu sehr gedrängt fühlte.

„Wenn Rose mit mir glücklich ist und ich mit ihr, dann wäre es durchaus möglich, dass wir eines Tages heiraten“, sagte er vorsichtig.

Rose nickte. „Ja, das wird sich alles mit der Zeit zeigen.“

Sie wussten immer noch nicht, was ihre Töchter nun von dem Ganzen hielten.

Dave fragte: „Was sagt ihr denn dazu? Seid ihr denn damit einverstanden?“

Einen Moment lang sah er mit klopfendem Herzen in die Gesichter der beiden Mädchen.

Endlich sagte Melissa: „Na klar sind wir einverstanden. Wir warten schon lange darauf, dass ihr euch verliebt. Und wenn ihr wirklich irgendwann heiratet, sind Josie und ich Schwestern und ich habe einen tollen Vater und Josie eine tolle Mutter.“

Sie sagte das so, als erklärte sie Dave, dass aus blau und rot lila gemischt werden kann und aus gelb und blau grün.

Dave war perplex.

Rose fasste sich nach ein paar Sekunden und sagte:

„Seit wann wartet ihr denn schon darauf? Das klingt ja so, als hättet ihr das alles geplant.“

Josie grinste. „Wir haben es uns halt schon manchmal vorgestellt, wie es wäre, wenn ihr heiraten würdet. Dass wir dann alle zusammen leben würden und dass du uns abends Geschichten vorliest und Daddy mit uns Quatsch macht. Wie eine richtige Familie.“

Rose war so gerührt, dass ihr Tränen in die Augen traten.

Sie streichelte Josie über den Kopf und sagte:

„Ich wäre stolz, wenn du meine Tochter wärst. Und ich bin sehr froh, dass ihr beide das so seht.“

Sie umarmte beide Kinder, bevor Dave sagte:

„Josie, heute Abend übernachten wir beide hier. Ich habe Sachen zum Übernachten eingepackt.“

Josie freute sich. „Dann bleibst du die ganze Nacht hier? Schläfst du dann bei Rose?“

Dave lachte. „Ja. Ich schlafe bei Rose.“

Bei der Reaktion der Kinder war ihm ein riesiger Stein vom Herzen gefallen.

Besser hätte er es sich nicht ausmalen können.

Und dass sie sich jetzt nicht mehr vor den Kindern verstecken mussten, war natürlich das beste daran.

„Wenn ihr noch irgend welche Fragen habt oder ihr uns noch etwas sagen wollt, könnt ihr das jederzeit tun“ sagte Rose.

„Wie lange seid ihr schon verliebt?“ fragte Melissa.

Rose überlegte. „Also gesagt haben wir es uns beim Umzug, nachdem ich im Bad ausgerutscht bin.“

„Warum habt ihr es uns nicht gleich erzählt? Dann hätte Daddy schon letztes Mal bei dir schlafen können“, meinte Josie.

„Weil Erwachsene manchmal furchtbar dumm sind und sich unnötige Sorgen machen. Besonders, wenn sie selbst von der neuen Situation überrascht werden“, antwortete sie.

„Habt ihr euch schon geküsst?“ fragte Melissa nun neugierig.

Rose lächelte. „Ja, wir haben uns schon geküsst.“

Dave fügte hinzu: „Man besiegelt sozusagen die neue Beziehung mit einem Kuss.“

„Das hast du schön gesagt“, meinte Rose.

Dave küsste sie schnell und die beiden Mädchen klatschten Beifall.

Obwohl sie an diesem Abend ziemlich lange zum Essen brauchten, wurden sie schließlich doch alle satt und die Kinder standen auf.

Rose sagte: „Ihr könnt ja noch ein bisschen mit den Katzen spielen und dabei fernsehen. Dann wird geduscht, damit das ganze Salz fortgespült wird.“

Melissa und Josie gingen raus ins Wohnzimmer und spielten mit den beiden Kätzchen.

Ihr Lachen drang bis zu Dave und Rose, die in der Küche gemeinsam aufräumten.

Rose hütete sich davor, es laut auszusprechen, doch sie verglich insgeheim Dave mit Eric.

Eric hatte sich nie freiwillig bereit erklärt, ihr im Haushalt zu helfen.

Selbst, wenn er Urlaub hatte rührte er nicht einen Finger, wenn Rose ihn nicht wenigstens dreimal darum bat.

Rose lernte, allein zu tapezieren und zu streichen, Teppichboden zu verlegen und diverse Reparaturen selbst durchzuführen.

Selbst wenn er gewollt hätte, wäre Eric ihr keine große Hilfe gewesen, weil er handwerklich total unbegabt war.

Dave hingegen konnte anpacken, wenn es etwas zu erledigen gab.

Er kannte sich mit Autos genauso gut aus wie mit Möbeln.

Sie wusste auch, dass er in seiner Wohnung das meiste selbst gemacht hatte.

Er war eben ein Mann der Tat, das gefiel ihr.

Nach kurzer Zeit war die Küche wieder sauber und Dave nutzte die Gunst der Stunde, um Rose genießerisch zu küssen.

„Ich bin so froh, dass die Kinder so reagiert haben“, sagte er, als er sich endlich von ihren Lippen lösen konnte.

„Ich habe dir doch gesagt, dass sie sich freuen“, antwortete Rose mit schwacher Stimme.

„Weißt du, was wirklich komisch ist?“, fragte Dave nach einer Weile.

„Was denn?“, fragte Rose, die ihn so eng an sich drückte, dass sie seine Erektion durch die Hose spüren konnte.

„Ich kann es gar nicht genau erklären. Es ist einfach alles so normal, obwohl alles anders ist. Es ist für mich, als sei es nie anders gewesen.“

Rose wusste, was er meinte. Sie waren so vertraut miteinander, es fühlte sich alles ganz selbstverständlich an.

„Das ist bestimmt so, weil wir uns so gut kennen“, meinte sie.

Dave schüttelte den Kopf. „Nein, wir kennen uns nicht. Nicht so, als Partner, meine ich. Wir kennen uns als Freunde. Es müsste sich doch am Anfang alles noch ein bisschen komisch anfühlen, auch wenn wir schon vorher Sex hatten. Aber es ist alles ganz einfach mit dir, ganz richtig.“

Er küsste sie wieder, diesmal aber so sanft und zurückhaltend, dass Rose fast verging vor Sehnsucht.

Er sah ihr in die Augen, dann sagte er:

„Es ist, als ob wir eben einfach zusammen gehören. Ich habe manchmal das Gefühl, dass zwischen uns einfach alles stimmt.“

Rose lächelte ihn so strahlend an, dass ihm fast schwindlig wurde.

„Ja, das Gefühl habe ich auch manchmal. Vielleicht hast du recht.“

Dave küsste sie wieder, doch dann dachte er daran, dass sie noch viel zu erledigen hatten, bevor sie endlich ihren Hunger stillen konnten.

„Rose, glaub mir, ich könnte hier noch ewig mit dir so stehen, aber so kriegen wir die Kinder nie ins Bett.“

Widerstrebend lösten sie sich voneinander, doch dann konnten sie auch gleich wieder klarer denken.

„Soll ich den Garten übernehmen, während du die Kinder im Bad fertig machst? Ich mache dann auch noch das Katzenklo sauber, wenn du willst.“

„Macht dir das auch nichts aus?“, erkundigte sich Rose.

Dave schüttelte den Kopf. „Wieso denn? So ist doch alles viel schneller erledigt und wir können uns ganz unserem Abend widmen.“

Gleich machten sie sich an die Arbeit, immerhin war es schon fast neun Uhr.

Um halb zehn waren die Kinder sauber und eingecremt im Bett, das Katzenklo war sauber und der Garten war versorgt.

 

 

35.: Eine perfekte Nacht

 

Dave empfing Rose, die gerade die Treppe runter kam, mit einem Glas Wein.

Sie setzten sich nach draußen und genossen die frische Abendluft.

Der Wein war gut, doch er ging Rose gleich in die Beine und stieg ihr in den Kopf.

Sie war froh, dass sie gleich unter die Dusche gehen konnte, so konnte sie die Wirkung etwas vertreiben.

Dave beeilte sich mit seinem Wein, er wollte vor Rose duschen gehen, damit er noch etwas vorbereiten konnte.

Als er ihr dann sagte, dass er schon duschen gehen wolle, kam das Rose sehr gelegen.

Sie gingen rein, stellten die Gläser ins Spülbecken und eilten dann die Treppe hoch.

Dave schnappte sich ein paar Sachen aus seiner Tasche und verschwand im Bad.

Rose stand ziemlich lange vor ihrer Kommode und zog ein Teil nach dem anderen heraus.

Sie wollte etwas tragen, das zusammen passte. Es sollte raffiniert, aber nicht zu sexy sein.

Schließlich entschied sie sich für ein Set aus champagnerfarbener Seide und Spitze.

Sie besaß den Slip und den BH und ein passendes Negligé.

Sie überlegte kurz, ob sie noch halterlose Strümpfe dazu anziehen sollte, fand das dann aber doch etwas zu gewagt.

Die Dusche rauschte nicht mehr, Rose suchte schnell ihren Morgenmantel, in den sie ihre Nachtwäsche einwickelte.

Schon betrat Dave das Schlafzimmer.

Mit einem verlegenen Lächeln sagte er:

„Du kannst jetzt ins Bad, wenn du willst.“

Rose nahm seinen Duft wahr und beeilte sich, ins Bad zu kommen.

Sie hatte selten so schnell geduscht, höchstens, wenn sie mal verschlafen hatte.

Sie war froh, dass sie sich schon am Abend vorher enthaart hatte.

Als sie erfrischt und sauber aus der Dusche kam, föhnte sie ihre Haare trocken, dann cremte sie sich sorgfältig ein.

Sie wählte ein süßliches Parfüm mit feiner Moschus-Note.

Als sie sich die Zähne geputzt hatte und ihre Wäsche angezogen hatte, betrachtete sie sich zufrieden im Spiegel.

Sie atmete noch mal tief durch, dann straffte sie die Schultern und ging ins Schlafzimmer.

Als sie die Tür öffnete, war das ganze Zimmer von Kerzen erleuchtet, auf der Kommode und den Nachttischen waren Rosenblütenblätter verstreut.

Dave lag seitlich auf dem Bett und beobachtete, wie Rose sich überrascht umsah.

„Dave, das ist wunderschön. Danke“, sagte sie bewegt.

Er streckte seine Hand nach ihr aus und sie eilte sofort zu ihm.

„Endlich“, seufzte er und hielt sie einen Moment einfach nur fest umschlungen.

Dann begann er, mit den Händen ihren Körper zu erkunden.

Rose ließ sich bereitwillig von ihm mitreißen.

Ihre Küsse wurden fordernder, zwischendurch entrang sich ihrer Kehle ein kleiner Laut.

Dave streifte ihr rasch das Negligé über den Kopf.

Dann senkte er seinen Mund auf ihre Haut, er hinterließ brennende Spuren auf ihrem Körper.

Rose griff mit beiden Händen in seine Haare.

Als Dave seinen Mund wieder nach oben wandern ließ, verharrte er kurz, um Rose den BH abzustreifen.

Dann widmete er sich hingebungsvoll ihren Brüsten, er streichelte sie sanft und berührte die harten Spitzen fast ehrfurchtsvoll.

Rose, die bisher noch ziemlich passiv war, ergriff nun die Initiative.

Sie fuhr nun ihrerseits mit dem Mund seinen Körper entlang, saugte an seinen Brustwarzen und suchte sich ihren Weg nach unten.

Als sie ihm die Shorts auszog und ihn an seiner empfindlichsten Stelle streichelte, zuckte Dave unwillkürlich etwas zusammen.

Er war so erregt, dass er keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte.

Als sie ihn dann mit ihren Lippen umfing und mit der Zunge liebkoste, war er dem Wahnsinn nahe.

Bevor er vollends die Beherrschung verlor, hob er ihren Kopf langsam von seinem Körper, dann drehte er sie schwungvoll um und kniete vor ihr nieder.

Rose schloss die Augen, als er ihr den Slip auszog.

Dave betrachtete sie einen Augenblick lang, er fand sie wunderschön.

Als sie seine Hand zwischen ihren Beinen spürte, bog sie sich ihm entgegen.

Er streichelte sie mit den Fingern, dann beugte er sich hinab und seine Zunge berührte sanft genau den richtigen Punkt, um Rose laut aufstöhnen zu lassen.

Sie genoss seine Zärtlichkeiten, bis sie es nicht länger aushielt.

Sie zog Dave zu sich nach oben und küsste ihn leidenschaftlich.

Dann umfing sie mit beiden Händen seinen Po und er drang langsam in sie ein.

Rose dachte nicht mehr, sie fühlte nur noch.

Sie bewegten sich langsam, kosteten jeden Moment aus, doch bald gewann die Leidenschaft wieder Oberhand und sie bewegten sich in einem immer schneller werdenden Rhythmus.

Rose hob sich ihm entgegen, um ihn ganz in sich aufzunehmen, ihre Hände fuhren Daves Rücken auf und ab und sie stöhnte leise dicht an seinem Ohr.

Dave konzentrierte sich jetzt ganz auf Rose, er lauschte auf jede ihrer Reaktionen und ging ganz auf sie ein.

Je schneller Roses Atem ging und je öfter sie ein leises Stöhnen ausstieß, desto schwerer fiel es Dave, sich zu beherrschen.

Rose schrie auf, sie fühlte den Orgasmus über sich hinweg rollen, ihr ganzer Körper wurde davon erfasst.

Süße Wärme breitete sich in ihrem Schoß aus, schien förmlich aus ihr heraus zu explodieren.

Sie klammerte sich an Dave und ließ die Wellen langsam verebben.

Dave, der spürte, wie sie kam, ließ sich endgültig fallen und hatte wenige Augenblicke später einen Höhepunkt, der ihn hinwegfegte wie ein Orkan.

Schwer atmend und halb betäubt lag er auf Rose, die ihn zärtlich streichelte.

„Es war perfekt“, murmelte sie glücklich.

Dave küsste ihren Hals. „Ja, das war es“, sagte er leise.

Er glitt von Rose herunter und legte sich neben sie.

„Komm her“, murmelte er und zog sie in seinen Arm.

Sie beugte den Kopf über ihn und küsste einen Schweißtropfen von seinem Bauch weg.

Sie war herrlich erschöpft und hätte auf der Stelle einschlafen können.

Plötzlich sagte Dave: „Ich liebe dich.“

Rose hielt den Atem an.

Einen Moment lang war sie sich nicht sicher, ob sie ihn richtig verstanden hatte.

Doch dann erwiderte sie inbrünstig: „Ich liebe dich auch.“

Sie küssten sich sanft und sahen sich dabei in die Augen.

Wie mit kleinen Häppchen machten sie sich Appetit auf mehr.

Ihre Küsse wurden leidenschaftlicher, gieriger.

Bald waren sie beide wieder so erregt, dass an Schlaf nicht mehr zu denken war.

Rose setzte sich rittlings auf Dave und übernahm diesmal die Führung.

Dave wusste kaum, wie ihm geschah, er ließ sich einfach von ihr mitreißen.

Bewegte sie sich anfangs noch langsam und fast genießerisch, so wurde sie bald immer schneller.

Dave umfasste ihren Hintern und trieb sie damit noch mehr an.

Er stöhnte laut und Rose stimmte mit ein.

Als er fühlte, wie der Orgasmus unaufhaltsam näher kam, konnte er nur noch hoffen, dass sie diesmal nicht leer ausging.

Doch Rose brach mit einem kleinen Schrei über ihm zusammen, kurz bevor er sich in sie ergoss.

Sie hob schwer atmend den Kopf und fragte:

„Was hast du mit mir gemacht?“

„Was ich mit dir gemacht habe?“, fragte Dave halb belustigt.

„Ja, ich erkenne mich gar nicht wieder.“

„Das Kompliment kann ich zurückgeben. Ich war noch nie so verrückt nach einer Frau.“

Sie küssten sich wieder, doch diesmal blieb es beim Küssen.

Als sich Rose neben Dave ausstreckte und sich an ihn kuschelte, waren beide erst mal satt.

„Wir sollten die Kerzen löschen, bevor wir einschlafen“, erinnerte sie ihn.

Sie standen auf und bliesen sie schnell aus.

Dave ging noch schnell ins Bad und machte sich frisch, Rose ging nach ihm.

Sie war etwas wund, deshalb trug sie ein bisschen Salbe auf, nachdem sie sich gewaschen hatte.

Als sie wieder gemeinsam im Bett lagen, war es schon fast drei Uhr.

Sie schliefen eng aneinander gekuschelt ein und ließen sich die ganze Nacht nicht los.

 

 

36.: Rundum glücklich

 

Dave blieb mit Josie auch noch die folgende Nacht bei Rose.

Sie konnten einfach nicht genug voneinander bekommen, nicht nur im Bett.

Sie entdeckten sich neu, sahen sich mit anderen Augen als früher.

Sie saßen den ganzen Samstag Vormittag auf der Terrasse und unterhielten sich über alles mögliche, während die Kinder abwechselnd draußen spielten und drinnen nach den Katzen sahen.

Dave erzählte Rose von seiner Kindheit.

Sie hörte heraus, dass er viel Zeit bei Verwandten verbracht hatte, weil seine Eltern keine Zeit für ihn hatten.

Trotzdem war er nicht unglücklich aufgewachsen, er hatte einfach nur kein sehr enges Verhältnis zu seinen Eltern.

Auch von seiner Schwester erzählte er.

Rose stellte keine Fragen, sie konnte sich vorstellen, wie unangenehm es Dave sein musste, über sie zu sprechen.

Sie dagegen erzählte Dave von ihren Eltern, die immer versucht hatten, sich Zeit für ihre Tochter zu nehmen.

Sie sprach davon, wie sehr sie sie enttäuscht hatte, als sie ihr Studium abbrach, um nach Spanien zu gehen.

Trotzdem hatten sie sie wieder aufgenommen, als sie zurückkam.

Dave konnte nur ahnen, welch ein Verlust der Tod ihrer Eltern für Rose gewesen sein musste.

Sie sprachen auch über viele andere Dinge, wie den neuen Papst und die allgemeine Lage in den Staaten.

Mittags half Dave beim Kochen, auch wenn sein Part sich auf Zwiebeln schneiden und Umrühren beschränkte.

Nach dem Essen gingen sie alle spazieren.

An einem Spielplatz machten sie Halt, damit Melissa und Josie ein Stündchen spielen konnten.

Dave saß mit Rose auf einer Bank.

Händchenhaltend genossen sie die Sonne und die Gegenwart des anderen.

Gegen halb vier gingen sie dann wieder zurück.

Die Kinder kümmerten sich erst um die Katzen, dann gingen sie raus, spielen.

Rose räumte ein bisschen auf, Dave holte freiwillig den Staubsauger raus und half ihr.

So ging alles viel schneller und sie hatten mehr Zeit füreinander.

Sie befanden sich in einem Taumel der Gefühle, so dass sie außer der Gegenwart des anderen nichts wahrnahmen.

Was zu tun war, wurde ganz automatisch erledigt, doch geistig waren sie ganz woanders.

Sie gingen raus in den Garten.

Dave half Rose dabei, welke Blüten abzuzupfen und einige Pflanzen ganz zu entfernen, die verblüht waren.

Dabei stellte er fest, dass Rose schnell dazu gelernt hatte.

„Und du sagst, du hättest kein Talent“, meinte er.

„Ich habe eben einen tollen Lehrer“, erwiderte sie kokett.

Als sie fertig waren, wollte Rose das Wasser anstellen.

„Es ist noch zu früh“, sagte Dave.

„Wieso?“

„Die Sonne steht noch zu hoch. Die Pflanzen können dann ganz schnell braune Stellen kriegen.“

„Okay. Was machen wir dann solange?“

Dave grinste. „Mir würde da einiges einfallen, aber die Kinder sind noch wach.“

Rose errötete und sagte: „Das glaube ich dir glatt.“

Die Kinder spielten nicht weit von ihnen, so dass der Kuss, den sie sich gaben, ziemlich jugendfrei ausfiel.

Natürlich sahen Melissa und Josie, wie ihre Eltern sich küssten und kicherten.

Rose war etwas verlegen.

Dave bemerkte es und sagte: „Gewöhnt euch dran, Kinder. Wenn man verliebt ist, küsst man sich eben.“

Demonstrativ gab er Rose noch einen Kuss.

Josie sah Melissa an und wieder kicherten sie.

„Na, dann lacht mal. Wenn ihr zum ersten Mal verliebt seid, werden wir auch über euch lachen“, sagte Rose.

Dave legte seinen Arm um sie.

Der Gedanke, in acht oder zehn Jahren noch mit Rose zusammen zu sein, erschien ihm überhaupt nicht weit hergeholt.

Gegen sechs bereitete Rose das Abendessen zu, während Dave sich um das Katzenklo kümmerte, das geschätzte zwanzig mal am Tag gesäubert werden musste.

Dave hatte sich schon gefragt, ob die Katzen überhaupt so viel fraßen, wie am anderen Ende rauskam.

„Ich gehe jetzt und stelle im Garten das Wasser an“, sagte er zu Rose, als er fertig war.

Die Mädchen suchten ihre Spielsachen zusammen, damit sie nicht nass wurden, dann drehte er an den Hähnen, bis aus dem Boden mehrere Fontänen hochschossen.

„Daddy, wann gibt es Essen?“ fragte Josie.

„Habt ihr denn schon Hunger? Rose ist bestimmt gleich fertig“, meinte Dave.

„Was gibt es denn?“ fragte Melissa.

„Ich glaube, sie macht einen Salat. Sie hat Eier gekocht und Schinken und Käse geschnitten.“

Als er nach und nach alle Wasserhähne wieder zugedreht hatte, wandte sich Dave an die Kinder:

„Wisst ihr was, wir gehen uns jetzt schnell die Hände waschen und schauen nach, ob wir Rose noch helfen können. Umso schneller könnt ihr essen.“

Die Mädchen waren einverstanden, also gingen sie erst ins Bad und dann in die Küche.

Rose gab den Mädchen Teller und Besteck in die Hände, die sie dann auf dem Tisch verteilten.

Dave schnitt etwas Brot.

Bald saßen sie gemeinsam am Tisch und aßen.

Nach dem Essen erledigte Rose schnell den Abwasch, während Dave draußen mit den Kindern Fußball spielte.

Bald sah er, dass es ihnen nicht so wirklich Spaß machte und fragte sie, was ihnen Spaß machte.

„Am liebsten mag ich Klettern und Balancieren“, meinte Josie sofort.

Melissa überlegte.

„Ich mag am liebsten im Sandkasten spielen oder in einem Spielhaus.“

Im Geiste ging er die Möglichkeiten durch, die der Garten bot.

Es gab Bäume mit tief hängenden dicken Ästen, an denen man Schaukeln befestigen konnte.

Man könnte auch leicht einen Sandkasten bauen, aber wenn die Katzen erst raus durften, musste man sich etwas überlegen, um ihn abzudecken, wenn er nicht benutzt wurde.

Es gab leider nicht allzu viel Platz für Spielgeräte, aber er hatte da ein paar Ideen.

Er musste nur alles mit Rose besprechen, immerhin wusste er nicht, ob sie so etwas überhaupt wollte.

„Wir können Rose fragen, ob sie einverstanden ist, dass ich selbst etwas baue“, schlug er vor.

Die Kinder gingen mit ihm gemeinsam ins Haus.

Rose war gerade dabei, die Arbeitsfläche mit einem Geschirrtuch trockenzureiben.

„Mommy“, bat Melissa, „darf Dave im Garten was für uns bauen?“

Rose, die damit überhaupt nicht gerechnet hatte, musste einen Moment überlegen.

„Was denn bauen?“, fragte sie verwirrt.

Dave erklärte: „Ich dachte, dass ich für die Kinder draußen Spielgeräte und einen Sandkasten baue. Natürlich nur, wenn du das willst.“

Rose, die schon darüber nachgedacht hatte, irgend was für die Kinder im Garten zu machen, war von diesem Angebot angenehm überrascht.

„Unter einer Bedingung“, meinte sie lächelnd.

„Ja?“

„Ich helfe mit beim Aufbauen.“

Das wiederum überraschte Dave.

„Wirklich? Klasse!“, freute er sich.

Er dachte kurz nach. „Die Mädchen können natürlich auch mithelfen“, meinte er dann.

Er erklärte Rose, was er vorhatte in groben Zügen.

Ihre Augen weiteten sich. „Wow, das ist ja genial. So einfach und praktisch.“

Sie bewunderte ihn ehrlich für seine guten Ideen und dass er anscheinend auch in der Lage war, sie durchzuführen.

Dass sie genau verstand, worauf er hinaus wollte, beeindruckte Dave ebenfalls.

Sie gingen in die Garage und begutachteten die Werkzeuge und verschiedenen Materialien, die noch da waren.

„Darfst du diese Sachen alle benutzen?“ fragte Dave.

Rose antwortete: „Ja, alles, was Donnie und Brenda brauchen, haben sie mitgenommen.“

„Donnies Vater war gut ausgerüstet. Ich sehe auch bei mir im Keller nach, den Rest kaufen wir im Baumarkt.“

Als sie abends noch auf dem Sofa saßen und sich mit den Mädchen einen Film ansahen, besprachen sie nebenher noch die Pläne.

Rose hatte ihren Laptop auf dem Schoß und sie sahen sich Spielhäuser an, die sie als Anregung nahmen.

Auch Klettergerüste gab es zuhauf im Internet zu sehen.

Es gab auch Anleitungen auf Do-It-Yourself-Seiten, die sehr interessant waren.

Der Film war um zehn Uhr fertig und die Mädchen gingen schnell duschen und dann ins Bett.

„Und was machen wir jetzt?“ fragte Rose, als sie alleine waren.

Dave küsste sie. „Zuerst mal wäre eine Dusche nicht schlecht“, meinte er.

Rose grinste. „Ich könnte dir ja unter der Dusche ein bisschen zur Hand gehen“, meinte sie.

Dave durchfuhr es heiß. „Das ist die beste Idee des Tages“, sagte er mit belegter Stimme.

Plötzlich hatten sie es beide sehr eilig, nach oben ins Bad zu kommen.

Als sie die Tür hinter sich abgeschlossen hatten, machte Rose das kleinere Licht über der Spiegel an und löschte das große an der Decke.

In dieser intimeren Atmosphäre zogen sie sich gegenseitig aus.

Schließlich standen sie nackt voreinander und betrachteten sich einen Augenblick lang gegenseitig.

Dave umfasste Roses Taille mit seinen Händen und zog sie an sich.

Rose genoss seine nackte Haut an ihrer und spürte die zarte, glatte, pulsierende Härte seiner Erregung an ihrem Bauch.

Ihr Verlangen wuchs, als sie sich leidenschaftlich küssten.

Sie presste sich an ihn und griff mit einer Hand an seinen Po, mit der anderen kraulte sie seinen Nacken.

Dave stöhnte leise auf.

Widerstrebend lösten sie sich voneinander, um in die Duschkabine zu gehen.

Als das Wasser lief, seiften sie sich gegenseitig ein.

Ganz langsam verteilten sie den Schaum auf ihren Körpern, sie kosteten jeden Moment aus.

Immer wieder küssten sie sich unter dem Wasser, dass sanft auf sie herabrieselte.

Obwohl ihre Erregung bereits quälende Formen annahm, hielten sie sich zurück, bis sie fertig geduscht und im Schlafzimmer waren.

Noch ganz nass eilten sie ins Bett, wo sie sich endlich ganz fallen lassen konnten.

Rose nahm ihn mit einer wilden Gier in sich auf, die Dave den Atem raubte.

Sie bewegten sich in einem schnellen Rhythmus und stöhnten vor Lust.

Rose hob sich Dave entgegen, ihre Fingernägel gruben sich in seinen Rücken.

Als sie kam, war es, als würde eine dunkle Flut sie überrollen.

Sie schrie auf und umklammerte ihn unwillkürlich noch fester.

Dave bewegte sich noch schneller in Rose, sein Stöhnen wurde immer lauter.

Endlich brach er über ihr zusammen und ließ den explosionsartigen Orgasmus verklingen.

Eine Weile lagen sie nur da und schöpften Atem.

Irgendwann sagte Dave: „Du bist einfach unglaublich.“

Er küsste sie leicht auf den Mund und glitt von ihr herunter.

Rose kuschelte sich an ihn und seufzte zufrieden.

„Das musst du gerade sagen. Ich hab fast den Verstand verloren.“

Dave musste grinsen.

„Na, das nehm ich mal als Kompliment.“

Sie sprachen noch eine Weile leise miteinander, doch sie waren beide so müde, dass sie bald einschliefen.

Früh am nächsten Morgen erwachten sie und liebten sich erneut, doch diesmal sehr zärtlich und ohne Hast.

Danach schliefen sie noch einmal ein, bis irgendwann die Kinder herein gestürmt kamen.

Dave und Josie verbrachten noch den halben Tag mit Rose und Melissa.

Sie frühstückten zusammen, dann verplemperten sie den Vormittag, bis es Zeit fürs Essen war.

Dave schlug vor, zum Chinesen zu gehen.

Er wollte die restliche Zeit mit Rose nutzen.

Also zogen sie sich um und fuhren los.

Dave nahm gleich seine Sachen mit, so konnte Rose ihn und Josie später direkt nach Hause fahren.

Im Lokal war ziemlich viel los, so dass sie ziemlich lange aufs Essen warten mussten, doch es lohnte sich.

Die Ente war knusprig und saftig, das Gemüse war frisch und die Portionen waren groß.

Die Kinder hatten sich kleine Frühlingsrollen bestellt, zu denen verschiedene Saucen gereicht wurden.

Als Nachtisch nahmen sie alle gebackenes Kokos-Eis, das außen wunderbar heiß und knusprig war, während es innen noch kalt war.

Nachdem die leeren Teller fortgeräumt waren, wurde Melissa und Josie schnell langweilig.

Also bezahlte Dave und sie brachen auf.

Sie fuhren etwa zehn Minuten bis zu Daves Wohnung.

Rose stieg aus, um sich zu verabschieden.

„Sehen wir uns am Wochenende?“, fragte sie.

„Spätestens“, versprach Dave.

„Ich habe ganz vergessen, dich zu fragen, ob es okay ist, wenn am Sonntag Cleo vorbeikommt.“

Dave überlegte. „Cleo ist doch Erics Schwägerin, oder?“

Rose nickte. „Ja, sie ist meine beste Freundin. Sie hat mich ja auch über die Geschichten aufgeklärt, die Eric über mich verbreitet hat.“

Dave lächelte. „Ja, ich erinnere mich. Du kannst ihr ausrichten, dass ich den Kuchen besorgen werde.“

„Damit punktest du bei ihr auf jeden Fall“, versicherte Rose und küsste ihn.

„Ich werde dich bestimmt vermissen“, sagte er.

„Ich werde dich auch vermissen.“

Sie küssten sich ein letztes Mal, dann stieg Rose wieder ins Auto und fuhr davon.

 

 

37.: Intermezzo auf dem Rastplatz

 

Auf dem Rastplatz war um diese Uhrzeit normalerweise kein LKW-Fahrer mehr wach.

Sie schliefen in ihren Kojen, bis sie im Morgengrauen nach einem großen Frühstück wieder den Motor starteten.

Es kam allerdings vor, dass einer von ihnen eine der Miezen abschleppte, die hier oft abends rum lungerten.

Dann war hinter den zugezogenen Vorhängen der Kojen mächtig was los und die Weiber verdienten sich eine Kleinigkeit dazu.

An diesem Abend hatte Randy Paulson das große Los bei einer wirklich heißen Braut gezogen.

Sie war etwas teurer gewesen als die meisten Mädchen, aber er war froh, die paar Dollar mehr ausgegeben zu haben.

Sie hatte ihm gesagt, dass sie Vicky hieß.

Und sie machte wirklich alles und bewegte sich dabei wie ein echter Porno-Star.

Randy schaffte es in der Stunde, die er bezahlt hatte, drei mal.

Als Vicky ging, schlief er sofort ein.

Vicky jedoch rief mit ihrem Handy ein Taxi, das sie nach Hause bringen würde.

Sie bezahlte den Fahrer und eilte in das große Gebäude.

Drinnen gab sie dem Mann am Empfang ein paar der Scheine, die sie von Randy bekommen hatte, dann eilte sie hoch in ihr Appartment.

Sie schaute im Kühlschrank nach, ob sie noch Joghurt oder so etwas hatte.

Nachdem sie zwei Becher Schokoladenpudding verspeist hatte, ging sie ins Bad.

Vor dem Spiegel löste sie ein paar Klammern aus dem Haar, dann zog sie die blonde Perücke ab.

Lange dunkle Haare versteckten sich unter einer Haube, die sie nun ebenfalls abzog.

Sandra betrachtete sich.

Die Perücke lag auf der Ablage über dem Waschbecken.

Sie zog sich schnell aus und hüpfte unter die Dusche, um sich den Schweiß ihrer Kunden an diesem Abend vom Körper zu waschen.

Bis sie endlich im Bett lag, war es fast drei Uhr, doch sie konnte ja lange genug schlafen.

Und wenn sie müde aussah in der Therapie, so schrieb Dr. Sumner das den Medikamenten zu.

Dana konnte ihr ja jeden Tag berichten, dass Sandra die Tabletten vor ihren Augen geschluckt hatte.

Natürlich wusste Dana nicht, dass Sandra jedes Mal ins Bad rannte, sobald sie weg war.

Meistens kam alles raus, nur manchmal blieb ein bisschen in ihrem Magen zurück.

Doch das war nicht weiter schlimm, immerhin konnte sie ihren kleinen Nebenjob dann ein bisschen high erledigen.

Mark, der die Nachtschicht am Empfang des Wohnheims hatte, bekam einen Zehner, wenn sie nachts wieder auftauchte, damit er die Klappe hielt.

Sandra hatte ihm nicht gesagt, was sie tat, wenn sie unerlaubt fort war, sonst hätte er mit Sicherheit mehr Geld verlangt.

Wahrscheinlich dachte er, dass sie sich einen Lover angelacht hatte.

Den Gedanken fand Sandra witzig, sie dachte im Traum nicht daran, sich einen neuen Mann zu suchen.

Noch war sie verheiratet und sie hatte vor, mit aller Macht zu verhindern, dass sich das änderte.

Und dieser kleinen Schlampe, dieser Rose, würde sie zeigen, dass man sich besser nicht mit ihr anlegte.

Seit Sandra die Tabletten nicht mehr nahm, sah sie wieder klarer.

Rose hatte Dave bestimmt nur den Kopf verdreht. Sandra hatte die beiden oft genug beobachtet und war sich sicher, dass Rose nur einen Ersatzvater für ihr Balg suchte.

Wie sie sich gaben, wenn sie zusammen unterwegs waren, fand Sandra einfach nur zum Kotzen.

Das ewige Händchenhalten, die Küsse, dann die beiden Mädchen, die ständig um sie herum wuselten. Sie sahen immer aus wie eine heile Familie, doch Sandra hatte alles durchschaut.

Was konnte Rose Dave denn schon geben, das sie selbst ihm nicht geben konnte? Im Bett konnte ihr schließlich so leicht niemand das Wasser reichen. Nur weil Rose so eine verdammte Glucke war, hatte sie Dave für sich gewinnen können. Sandra hatte nicht vor, das so einfach hinzunehmen.

Sie hatte einen Plan.

Sie musste Dave nur beweisen, dass sie sich gut um Josie kümmern konnte, dann würde er diese Schlampe vergessen und wieder zu ihr zurückkommen.

Deshalb brauchte sie ja auch das Geld, das sie sich auf dem Rastplatz verdiente.

Sandra erinnerte sich an ihre Jugend zurück, als sie herausgefunden hatte, dass Männer bereit waren, dafür zu zahlen, mit ihr zu schlafen.

Sie hatte sich einfach und schnell viel Geld verdient.

Mehr noch als jetzt, damals war sie noch sehr jung gewesen, kaum sechzehn.

Die Kerle liebten blutjunge Mädchen.

Und dementsprechend hatten sie auch gezahlt.

Jetzt bekam sie nur noch halb so viel.

Aber es war immer noch genug.

Und dabei kam Sandra oft genug selbst auf ihre Kosten.

Es war ihr egal, wie der Typ aussah, solange er einigermaßen gepflegt war.

Sie wollte sich keine Krankheit holen. Deshalb bestand sie auch auf Gummis.

Doch den schnellen, anonymen Sex genoss sie.

Diesen Randy von vorhin, den hätte sie sogar gratis dran gelassen, aber er war ja nur zu bereit gewesen, ihr das Geld zu geben.

Sandra hatte natürlich keine Sekunde gezögert, es zu nehmen.

Und dann war er auch noch so ausdauernd gewesen, er hatte die ganze Stunde genutzt.

Er hatte zwar zwischendurch das Kondom wechseln müssen, aber dann war es auch schon weiter gegangen.

Sandra hatte sich so richtig von ihm durchvögeln lassen, er hatte sie für die Schlappschwänze entschädigt, die sie an diesem Abend vor ihm gehabt hatte.

Einem war es schon beim Scharfmachen gekommen und danach hatte er nur noch über sein erbärmliches Leben geredet.

Aber zum Schluss hatte sie ja noch Glück gehabt.

Nun war sie rechtschaffen müde, ihre Beine taten ihr weh und der nächste Abend bot auch keine besseren Aussichten.

Sie schlief ein und träumte von Dave, der zwar zuerst wütend sein würde, doch dann erkennen würde, dass sie sich geändert hatte.

Sie träumte davon, wie er sie dafür bewunderte, so schnell wieder auf die Beine gekommen zu sein.

Und als Dave sie im Traum küsste, lächelte sie.

 

 

38.: Zurück im Alltag

 

Als Dave am nächsten Tag bei Donnie in der Praxis auftauchte, um seine Termine entgegen zu nehmen, merkte dieser gleich, dass etwas anders war als sonst.

„Na, hast du einen angenehmen Urlaub gehabt?“ fragte er.

„Ja, das kann man wohl sagen.“

Dave erzählte Donnie von Rose und wie er entdeckt hatte, dass er in sie verliebt war.

Donnie, der eine romantische Ader besaß und genau wie Brenda gehofft hatte, dass das passieren würde, war begeistert.

„Na, endlich!“, rief er aus.

Dave lachte. „Wieso überrascht das eigentlich niemanden?“, fragte er.

„Junge, wir kennen dich schon seit einer Ewigkeit. Brenda hat sofort erkannt, dass ihr zwei wie füreinander bestimmt seid. Und ich hab einfach nur gemerkt, dass es da eindeutig ein paar Funken zwischen euch gab. Ich habe Rose sogar darauf angesprochen, als wir die Probefahrt mit dem Kleinen gemacht haben.“

Dave runzelte die Stirn. „Wirklich? Das hat sie mir nie erzählt.“

Donnie grinste. „Da hast du's!“, rief er. „Sie hat es dir nicht erzählt, weil ich sie im Vertrauen gefragt habe, ob ihr nur Freunde seid oder ob da was läuft. Wenn sie der Meinung gewesen wäre, dass es mich nichts angeht, hätte sie mir das gesagt und dir trotzdem nichts erzählt. Weil sie nicht falsch ist. Genauso wenig wie du. Ihr passt perfekt zusammen.“

„Ja, das Gefühl habe ich auch. Es ist irgendwie, als würden wir weiterhin einfach die besten Freunde sein, nur dass wir auch noch großartigen Sex haben.“

Donnie grinste zufrieden.

„Na, dann hoffe ich mal bloß, dass Rose dich am Wochenende nicht zu sehr ausgelaugt hat.“

Sie sprachen jetzt über die Arbeit, sie hatten einige neue Patienten bekommen, von denen Dave einige übernehmen sollte.

Er bekam seinen Terminplan mit sämtlichen Adressen, dann fuhr er los.

Während er bei seinen Patienten war, konzentrierte Dave sich auf seine Arbeit.

Doch zwischen den Terminen, wenn er zur nächsten Adresse fuhr, dachte er ununterbrochen an Rose.

Es war einfach zu schade, dass er sie vielleicht erst am Wochenende sehen konnte.

Sie fehlte ihm ja schon jetzt, am liebsten hätte er sie ständig um sich.

Wenn das so weiterging, würden sie über kurz oder lang zusammen ziehen müssen.

Doch diesen Gedanken scheuchte Dave noch weit von sich.

 

Rose fiel es sehr schwer, wieder in den Arbeitsalltag einzusteigen.

Das Wochenende war zwar sehr anstrengend gewesen, doch das war nicht der Grund.

Vielmehr fiel es ihr ungemein schwer, sich auf ihre Arbeit zu konzentrieren.

Ständig spukte Dave in ihrem Kopf herum.

Sie wurde am ersten Tag gleich zweimal ermahnt, besser aufzupassen.

Und einige Male machte sie kleine Fehler, die zum Glück niemandem auffielen.

Sie war froh, als sie endlich im Umkleideraum stand um ihre Straßenkleidung wieder anzuziehen.

Doch der Gedanke, noch ein paar solcher Tage durchstehen zu müssen, bevor sie Dave wieder sah, hob ihre Stimmung nicht gerade.

Die Woche lag vor ihr wie eine öde Landschaft.

Sie tröstete sich damit, dass sie Dave bestimmt kurz sehen würde, wenn sie Melissa von der Betreuung abholte.

Sie wusste allerdings nicht genau, wann er dort sein würde.

Es kam immer darauf an, wo sein letzter Termin war.

Doch es sollte kein Problem sein, das herauszufinden.

Als Rose sich draußen mit ihrem Chip von der Arbeit abgemeldet hatte, holte sie gleich ihr Handy aus der Tasche.

Sie schaltete es ein und wollte Dave schon eine Nachricht schreiben, als sie den Kopf über sich selbst schüttelte und das Handy wieder wegpackte.

Sie wollte ihn doch nicht ständig mit Nachrichten und anrufen nerven.

Wenn sie sich später sahen, dann war es so, wenn nicht, dann nicht.

Dann hörten sie sich eben abends am Telefon.

Mit diesen vernünftigen und erwachsenen Gedanken machte sich Rose auf den Weg, um noch schnell ein paar Kleinigkeiten einzukaufen, bevor sie Melissa abholte.

Dennoch war sie etwas enttäuscht, Daves Wagen nirgends zu sehen, als sie sich einen Parkplatz vor der Tagesstätte suchte.

Sie ging hinein, Melissa spielte noch in einem der Räume mit einem anderen Mädchen.

Erst auf den zweiten Blick sah Rose, dass Josie auch noch da war.

Sie legte gerade ein Puzzle.

Roses Herz schlug unwillkürlich schneller.

Wenn Josie noch hier war, konnte es gut sein, dass Dave bald auftauchte.

Melissa erspähte ihre Mutter, die noch im Türrahmen stand und sprang auf.

„Mommy!“, rief sie.

„Hey, mein Schatz!“

Auch Josie war aufgesprungen.

„Rose!“

„Hey, Josie.“

„Mommy“, erzählte Melissa aufgeregt, „hier gibt es eine Kletterwand und einen großen Turm mit Rutsche und Hängebrücke.“

Josie fügte hinzu: „Ja, und es gibt mehr Schaukeln als bei uns im Kindergarten.“

Rose lächelte. „Ja, es gibt ja auch viel mehr Kinder als bei euch. Es gibt ja fünf Gruppen und bei euch nur drei.“

Das leuchtete den Mädchen ein.

„Mein Daddy kommt bestimmt auch gleich, ihr könnt doch noch warten, oder?“, fragte Josie.

Rose überlegte. Sie hatte Eis und Butter im Auto. Zwar in einer Kühltasche, aber allzu lange würde das nichts nützen. Jetzt fluchte sie innerlich, weil sie ihren Einkauf schon erledigt hatte.

„Ein paar Minuten können wir noch warten, aber ich hab eingekauft und die Sachen müssen schnell nach Hause.“

In der kurzen Zeit zeigten Melissa und Josie ihr sämtliche Sehenswürdigkeiten des Gruppenraums.

Auch ihre Arbeiten zeigten sie ihr stolz.

Die Zeit verstrich und Rose musste schweren Herzens mit Melissa gehen.

„Sagst du deinem Daddy, dass ich ihn heute Abend gegen neun anrufe?“, fragte sie Josie.

Josie strahlte. „Na klar. Er freut sich bestimmt.“

Sie ging zurück an den Tisch, auf dem ihr halbfertiges Puzzle auf sie wartete.

Rose ging mit Melissa raus und fuhr auf direktem Weg nach Hause, bevor sie wirklich eine geschmolzene Pampe in den Papiertüten hatte.

Keine fünf Minuten später rollte Daves Auto auf den Parkplatz.

 

Wie es das Schicksal wollte, trafen Dave und Rose sich in den zwei Wochen, in denen Melissa und Josie in der Betreuung waren, sehr selten im Kindergarten.

Wenn, dann trafen sie sich erst, wenn einer von ihnen schon wieder draußen war.

Doch sie trafen sich, so oft sie es einrichten konnten, nachmittags.

Am Wochenende übernachtete Dave wieder bei Rose.

Die Mädchen waren über die neuen Umstände entzückt, sie konnten ständig miteinander spielen oder zusammen lernen, A's und M's zu malen.

Tatsächlich fiel es Dave und Rose sehr schwer, tagsüber die Finger voneinander zu lassen.

Wann immer sie sich unbeobachtet fühlten, küssten sie sich und heizten sich gegenseitig auf, bis eines der Kinder zu hören war und sie erschrocken auseinander fuhren.

Wenn die Kinder abends im Bett waren, kosteten sie jede Minute aus, bis sie irgendwann erschöpft einschliefen.

Rose fühlte sich wie ein Teenager, wenn sie mit Dave zusammen war.

Die Hormone spielten total verrückt und sie war unersättlich.

Sie war wie benebelt, fast high vor Liebe.

Und Dave ging es nicht viel anders.

Er konnte nicht genug davon bekommen, Rose zu küssen, zu streicheln und sie zu spüren.

Je öfter sie miteinander schliefen, desto mehr Lust bekam Dave auf sie.

Er war immer wieder aufs Angenehmste überrascht, über Roses Offenheit im Bett.

Sie zeigte ihm immer genau, was sie wollte und wie es ihr gefiel, ohne falsche Scham.

Sie war auch sehr erfinderisch, wenn es darum ging, ihm Genuss zu bereiten.

Manchmal hatte er wirklich das Gefühl, den Verstand zu verlieren.

Meistens gefiel ihm das sehr gut, nur manchmal fragte er sich, wer ihr wohl diese ganzen Sachen beigebracht hatte. Vielleicht dieser Julio? Wenn er an diesen schönen jungen Mann auf den Fotos dachte, wurde er immer ein bisschen eifersüchtig.

 

 

39.: Daves Einstand bei Cleo

 

Am Sonntag wusste Dave nicht so recht, ob er sich auf den Besuch von Cleo freuen sollte oder ob er sich lieber fürchten sollte.

Rose hatte ihn schon ein paar mal beruhigt, aber er hatte mitbekommen, dass sie vorhin am Telefon etwas eigenartiges zu ihr gesagt hatte. Sie solle sich benehmen, hatte Rose gesagt.

Er grübelte eine Weile, bevor er sie danach fragte.

„Wie hast du das gemeint, als du vorhin zu Cleo gesagt hast, dass sie sich benehmen soll?“

Rose sah ihn verblüfft an.

„Das hast du gehört?“, fragte sie grinsend.

„Naja, du warst ja direkt nebenan.“

„Ich kann jetzt nichts genaues dazu sagen, am besten lernst du sie selbst kennen.“

„Oh Gott, mach mir keine Angst.“

Rose lachte. „Du brauchst wirklich keine Angst vor ihr zu haben. Cleo ist nur manchmal etwas zu...offen.“

Dave runzelte die Stirn. „Zu offen? Na, da bin ich ja mal gespannt.“

Er war jetzt keineswegs beruhigter als vorher.

Rose bemerkte seine Nervosität und küsste ihn sanft.

„Keine Angst. Du wirst sie bestimmt mögen.“

„Na, wenn du das sagst. Ich hole dann schon mal den Kuchen.“

Er gab ihr einen Kuss und ging dann zur Tür hinaus, um zu einer Bäckerei in der Nähe zu fahren.

Als es kurz darauf klingelte, stand bereits Cleo vor der Tür.

„Hey, du bist heute aber überpünktlich“, sagte Rose zur Begrüßung.

Cleo grinste. „Ja, ausnahmsweise.“

Neugierig spähte sie über Roses Schulter.

„Dave ist gerade unterwegs, er besorgt Kuchen“, erklärte Rose, die den Blick richtig gedeutet hatte.

Sie gingen gemeinsam ins Wohnzimmer, wo die Katzen gerade auf dem Kratzbaum herumturnten.

Melissa hatte mit Josie kleine Stofffetzen an eine Schnur geknotet und diese dann an einer Etage befestigt.

Die Kätzchen versuchten, sich gegenseitig die Schnur abzujagen und schlugen dabei die tollsten Kapriolen.

Cleo lachte. „Na, die fühlen sich hier doch schon richtig wohl.“

Es freute sie, dass ihre Babys ein gutes Zuhause bekommen hatten.

„Ja, sie sind schon richtig frech geworden.

Melissa kam mit Josie angestürmt.

„Hallo, Tante Cleo! Das ist Josie.“

Rose freute sich über die guten Manieren ihrer Tochter.

Josie gab Cleo die Hand und sagte: „Hallo.“

Cleo schüttelte die kleine Hand ernsthaft und sagte dann lächelnd:

„Es ist schön, dich kennenzulernen. Melissa hat mir schon viel von dir erzählt.“

Josie kicherte und sagte: „Melissa hat mir auch schon viel über dich erzählt. Dass du Katzen hast und dass ihre zwei von dir sind und dass du ihre Lieblingstante bist.“

Cleo musste sich ein Grinsen verkneifen.

„Na, das ist leicht“, sagte sie, „ich bin nämlich ihre einzige Tante.“

Cleo ließ sich eine Zeit lang von den Kindern in Beschlag nehmen, während Rose Kaffee machte.

Als gerade zwei Tassen durchgelaufen waren, klingelte es erneut an der Tür.

Sofort stellte Rose noch eine Tasse unter die Maschine und drückte auf den Knopf, dann eilte sie an die Tür, um Dave die Tür zu öffnen.

„Tut mir leid, dass es so lang gedauert hat, aber die Bäckerei hatte zu, da musste ich noch zu einer anderen fahren“, sagte er, als er eintrat.

Rose lächelte und nahm ihm ein Kuchenpaket ab.

„Du warst gar nicht so lange fort. Cleo ist aber schon da, ich habe schon Kaffee gemacht.“

Cleo trat ein paar Schritte vor, man sah ihr an, wie neugierig sie auf Dave war.

„Hallo, ich bin Cleo“, sagte sie dann und gab ihm die Hand.

Dave, der das andere Paket nun auf einem Arm balancierte, schüttelte sie und sagte:

„Hi, ich bin Dave. Schön, dich kennenzulernen.“

Sie gingen gemeinsam in die Küche, wo Rose gleich den Kuchen auspackte.

„Oh Gott, wer soll das denn alles essen?“, fragte sie, als sie die vielen verschiedenen Stücke von Obsttorten, Schokoladenkuchen, Käsekuchen und Sahnetorten begutachtete.

Dave lachte. „Ich hab einfach von allem was genommen.“

Sie setzten sich an den Tisch und jeder suchte sich ein Stück aus.

„Habt ihr euch denn jetzt Namen überlegt? Für die Katzen?“, fragte Cleo.

„Wir schwanken noch. Im Moment sieht es so aus, als wäre das Weibchen das frechere von beiden.“

„Was steht zur engeren Auswahl?“

„Bam Bam und Pebbles, Cosmo und Wanda und Cäsar und Kleopatra“, zählte Melissa eifrig auf.

Cleo lächelte. „Also, abgesehen davon, dass Kleopatra ein toller Name ist, finde ich Bam Bam und Pebbles am besten“, meinte sie.

Melissa strahlte. „Dann nennen wir sie so“, entschied sie, zufrieden, dass das endlich geklärt war.

Rose nickte. „Gut“, war ihr Kommentar.

Cleo unterhielt sich vorwiegend mit den Kindern, solange sie am Tisch saßen.

Als sie beide beim zweiten Stück kapitulierten, standen sie auf, um den Katzen ihre neuen Namen mitzuteilen.

Rose räumte schnell die Teller der Kinder ab und machte für jeden noch eine Tasse Kaffee.

„Dave, Rose hat mir erzählt, dass du Physiotherapeut bist. Bist du in einer Praxis angestellt oder selbständig?“, wandte sich Cleo an Dave.

Der antwortete lächelnd: „Ja, ich bin als Therapeut angestellt, aber ich besuche meine Patienten zu Hause.“

Cleo nickte. „Aha. Und was wird da so alles gemacht?“

„Die, die ich zu Hause besuche, sind fast immer alt und haben keinen Führerschein oder sind nicht in der Verfassung, zu fahren. Ich mache spezielle Übungen mit ihnen, um ihre Schmerzen zu lindern und ich zeige ihnen, welche Körperhaltungen die besten für sie sind.“

„Oh, ich habe schon gedacht, du gehst zu gelangweilten Hausfrauen und massierst sie.“

Dave fing Cleos Augenzwinkern auf, als sie das sagte und wusste, dass sie nur Spaß machte.

Er lächelte. „Ja, massieren kann ich auch.“

„Na, dann hat Rose wohl den perfekten Mann gefunden. Jetzt, wo ihr jung seid, kannst du sie verwöhnen und im Alter kannst du ihre Weh-Wehchen behandeln.“

„Cleo!“, rief Rose entrüstet.

Doch Dave grinste. „Ich sag doch immer, dass ich der perfekte Mann bin.“

„Und falsche Bescheidenheit kennt er auch nicht“, sagte Cleo zu Rose, „der gefällt mir.“

Rose, die erleichtert war, dass Dave mit Cleo klarkam, lächelte.

„Schön, dann darf ich ihn also behalten?“, fragte sie.

„Meinen Segen hast du“, sagte ihre Freundin großzügig.

Alle lachten.

Dave spürte trotz der heiteren Stimmung, dass dieses Urteil wichtig für Rose war.

Nicht, weil sie ihn weniger lieben würde, wenn er und Cleo sich nicht leiden könnten.

Doch für Rose, die keine Eltern oder Geschwister hatte, war es, als wäre Dave soeben in die Familie aufgenommen worden.

Cleo dominierte die Unterhaltung, sie stellte, fast wie ein Quizmaster, Fragen an Dave und Rose.

„Sag mal, Rose, wie kommt Melissa damit klar? Und Josie?“

„Oh, sie freuen sich und hoffen, dass wir möglichst bald heiraten, damit sie Schwestern werden.“

„Wie süß. Liegt Heiraten denn im Bereich des Möglichen? Dave?“

Dave musste schmunzeln, beantwortete aber tapfer die Frage.

„Wie wir schon den Kindern gesagt haben, wird sich das zeigen, wenn unsere Beziehung eine gewisse Routine bekommen hat. Aber gefühlsmäßig würde ich es durchaus in Betracht ziehen.“

Rose lächelte ihn an und Cleo musste sie gar nicht mehr fragen, ob es ihr genauso gehe.

Dave fand es nicht wirklich schlimm, so ausgefragt zu werden. Insgeheim fand er Cleos Art ziemlich lässig.

Natürlich hatte sie viel mehr Fragen an ihn als an Rose, denn sie wusste ja noch nichts von ihm.

Er hatte nicht den Eindruck, dass sie die Antworten irgendwie bewertete. Cleo wollte einfach nur alles wissen, was sie wissen durfte.

Wenn man ihr zu verstehen gab, dass man über etwas nicht sprechen wollte, bohrte sie nicht nach, sie stellte einfach die nächste Frage.

So saßen sie bestimmt eine Viertelstunde zusammen, bis Dave eine Idee hatte.

Als Cleo wissen wollte, wo er studiert hatte, drehte er den Spieß einfach um.

Er antwortete: „An der State. Sag mal, hast du eigentlich auch studiert?“

„Ja, in San Francisco, aber...“

Doch Dave ließ sie nicht zu Wort kommen.

„Oh, wirklich? Und was hast du studiert?“

„Kreative Künste und Pädagogik.“

„Oh, das passt ja auch eigentlich ganz gut zusammen, oder?“ fragte Dave weiter.

Rose, die merkte, dass Dave das Fragen übernommen hatte, grinste.

„Ja“, meinte Cleo, die genauso gern von sich selbst erzählte wie sie andere ausfragte, „deshalb habe ich das ja belegt. Ich habe später mit Behinderten gearbeitet,.“

Das gefiel Dave. „Und wie bist du dann hierher gekommen?“

„Ich habe James kennengelernt. Er war auf einem Fortbildungsseminar in San Francisco und sprach mich in einem Café an. Er sagte, er hätte das Gefühl gehabt, es zu tun oder zu sterben. Eine Weile führten wir eine Wochenend-Beziehung, doch das hielten wir beide nicht lange aus. Deshalb zog ich her. James konnte ja nicht fort von hier wegen seines Geschäfts.“

Rose hatte Dave nicht viel über Cleo erzählt, er hatte nur wegen der Geschichte mit James mitbekommen, dass sie bisher keine Kinder bekommen konnten, weshalb er dieses Thema lieber nicht anschnitt.

Sonst unterhielt er sich glänzend mit Cleo, was Rose amüsiert beobachtete.

Daves Sorgen waren total unbegründet gewesen.

Es war erstaunlich, wie viele Sachen Dave erzählte, die sie noch gar nicht wusste.

Dass er früher in einer Hip-Hop-Tanzgruppe war, beispielsweise.

Oder dass er einmal von zu Hause ausgerissen war, weil seine Eltern ihn verdächtigten, Geld geklaut zu haben.

Auch Cleo plauderte munter drauflos.

Als sie es drinnen nicht mehr aushielten, gingen sie raus in den Garten, wo Melissa und Josie gerade spielten, sie seien Elfen.

Dave erklärte Cleo, was sie im Garten bauen wollten, worauf diese begeistert klatschte.

„Das ist ja eine tolle Idee. Und es hat so viele Vorteile. Man spart Platz und schützt den Sandkasten gleichzeitig vor den Katzen. Aber das wird ein Haufen Arbeit. Sollen James und ich vielleicht helfen?“, bot sie an.

Rose zögerte kurz, doch Cleo ließ sie gar nicht zu Wort kommen.

„Immerhin sind wir Melissas Paten. Wir können wohl auch einen Beitrag leisten. Wir steuern auch was zu den Kosten bei.“

Rose sah Dave an, der ihr lächelnd zunickte.

„Na, wenn ihr unbedingt wollt, dann nehmen wir eure Hilfe natürlich an“, sagte sie dann.

„Prima! Also ich kann eigentlich immer ab vier Uhr. Morgens mache ich meinen Haushalt und dann arbeite ich bis drei Uhr. Aber früher geht’s bei euch ja auch nicht, oder? Und James ist ziemlich lang weg, aber der könnte ja am Wochenende helfen.“

Dave sagte: „Wir wollten morgen in den Baumarkt fahren und alles besorgen, was wir brauchen. Am Dienstag kann es dann losgehen.“

Cleo stellte noch ein paar Fragen über das Vorhaben, auch die Mädchen waren jetzt ganz Ohr.

So verflog der Sonntagnachmittag und irgendwann stellte Cleo erschrocken fest, dass sie eigentlich schon längst hätte aufbrechen müssen.

In aller Eile packte Rose ihr noch ein paar Stück Kuchen ein, dann verabschiedete Cleo sich.

Auch Dave konnte nicht mehr lange bleiben, wobei er jetzt schon dem Abschied entgegen trauerte.

Als er Rose half, in der Küche aufzuräumen, sagte er: „Vielleicht findest du das jetzt total blöd, weil wir uns ja schon morgen wiedersehen, aber ich werde dich später ganz schön vermissen.“

Rose, die gerade einen Teller in den Schrank räumen wollte, ließ ihre Hand auf halber Höhe in der Luft schweben und sah Dave an.

„Ich finde das gar nicht blöd. Mir geht’s doch genau so. Nur hab ich mich nicht getraut, es zu sagen. Ich dachte nämlich, du findest es vielleicht blöd.“ Sie lachten.

Sie erledigten weiter ihre Arbeiten und nach kurzer Zeit sah die Küche wieder aus wie neu.

Ein Blick aus dem Fenster garantierte Dave, dass die Kinder gerade beschäftigt waren.

Er schnappte sich Rose und küsste sie so leidenschaftlich, dass sie bald beide vor Verlangen stöhnten. Sie pressten sich aneinander und versuchten, so viel wie möglich vom anderen zu spüren, was bei der leichten Kleidung schon ziemlich viel war.

Dave musste Rose auf Armeslänge von sich schieben und kurz durchatmen, bevor er mit heiserer Stimme sagte: „Rose, wenn du nicht willst, dass ich dich sofort nach oben schleife und durchvögele, musst du irgendwas unternehmen.“

Rose, die nichts lieber wollte als das, sagte nur: „Okay.“

Wie sie ihn dabei ansah, genügte Dave.

Er nahm Rose an der Hand und eilte mit ihr durchs Wohnzimmer und dann die Treppe hoch.

Das Fenster des Schlafzimmers ging hinaus auf den Garten, sie konnten die Mädchen unten hören.

„Siehst du, wenn irgendwas ist, können wir es sogar hören“, meinte Dave.

Er hob Rose hoch und trug sie zum Bett.

Es war das erste Mal, dass sie so spontan miteinander schliefen und Rose fragte sich hinterher, warum sie sich nicht schon öfter so davongestohlen hatten.

Dave seufzte und streichelte ihr übers Haar.

„Ich werde dich trotzdem vermissen. Wenn ich neben dir liege schlafe ich einfach viel besser.“

Rose küsste ihn auf den nackten Bauch.

„Ja, ich auch“, sagte sie.

Obwohl sie jetzt beide noch gerne im Bett geblieben wären, rafften sie sich auf und zogen sich wieder an.

Rose kämmte sich noch schnell die Haare, während Dave seine mit den Fingern in Form zupfte.

Dann gingen sie wieder runter. Die Kinder spielten immer noch.

Ein Blick auf die Uhr verriet ihnen, dass es für Dave und Josie langsam Zeit wurde, heimzufahren.

Sie riefen die Kinder rein und Dave holte seine Tasche.

Als sie sich draußen verabschiedeten, küssten sich Dave und Rose, als würden sie sich für Jahre nicht wiedersehen.

„Wir sehen uns morgen“, meinte Rose verlegen.

„Du kannst mir ja später eine versaute Nachricht schreiben“, sagte Dave grinsend.

„Pst, nicht vor den Kindern“, flüsterte Rose.

„Keine Angst, die hören uns nicht.“

Als Dave endlich mit Josie fort war, kehrte Rose ins Haus zurück, das ihr plötzlich sehr groß und still vorkam.

 

 

40.: Ein Alptraum wird wahr

 

Dave war am Montag ziemlich gut gelaunt. Er hatte seinen Rhythmus wieder gefunden und brachte den Tag zielstrebig hinter sich.

Als er um halb vier auf den Parkplatz vor der Tagesstätte fuhr, ahnte er noch nicht, dass seine Laune gleich ganz anders sein würde.

Er betrat den Kindergarten und betrat den Raum, in dem Josie für gewöhnlich nach dem Mittagessen war.

Die Erzieherin erkannte ihn und sagte: „Mr. Simmons, hallo. Kann ich Ihnen weiterhelfen?“

Dave stutzte. „Ich wollte einfach nur Josie abholen. Ist sie in einem anderen Raum?“

Er sah, wie die Frau erstarrte und es lief ihm eiskalt den Rücken runter.

„Mr. Simmons, Josie wurde bereits abgeholt.“

Dave schüttelte den Kopf. „Ich verstehe nicht. Hat Mrs. Elliott sie vielleicht mitgenommen?“

Vielleicht hatte er ja gestern was falsch verstanden, bestimmt hatte Rose Josie gleich mit zu sich genommen, das musste es sein.

Doch die Frau schüttelte den Kopf. „Melissa wurde schon um zwei Uhr abgeholt, Josie wurde von ihrer Mutter abgeholt.“

„Entschuldigen Sie, was haben Sie gesagt?“, fragte Dave. Er musste sich an der Wand abstützen.

„Ihre Mutter hat sie abgeholt. War das etwa falsch?“

Plötzlich erinnerte sich Dave wieder an den Namen der Erzieherin.

„Miss Janice, meine Noch-Frau ist psychisch krank, sie darf Josie ohne meine Aufsicht überhaupt nicht sehen! Ich dachte, dass unser Kindergarten alle erforderlichen Informationen an Sie weitergibt!“

Miss Janice wurde blass. „Oh mein Gott“, sagte sie, „wir müssen die Polizei verständigen.“

Dave nickte. Dann zog er sein Handy raus. Noch, während er die Nummer des Notrufs eintippte, klingelte es plötzlich.

Dave ging dran. „Hallo?“

„Mr. Simmons, gut, dass ich Sie erreiche. Ich muss Ihnen leider mitteilen, dass Sandra verschwunden ist. Sie sollten vielleicht die Polizei einschalten. Wenn sie ihre Medikamente nicht nimmt, kann sie unberechenbar werden.“

Dave nickte grimmig. „Dr. Sumner, ich hätte Sie auch gleich angerufen. Wie es aussieht, hat Sandra Josie vom Kindergarten abgeholt. Ich rufe natürlich gleich die Polizei an. Etwas besseres kann man wohl kaum machen.“

Dr. Sumner sagte, dass sie sofort kommen würde

Dave legte auf. Es erstaunte ihn, dass er keine Panik hatte. Er sah ganz klar vor sich, was er zu tun hatte. Die Panik würde später kommen, wenn nichts zu tun blieb als warten.

Dave wählte die Nummer des Notrufs erneut. Er schilderte dann dem Mann am anderen Ende der Leitung, was passiert war. Man teilte ihm mit, dass gleich zwei Beamte in den Kindergarten kommen würden.

„Es tut mir sehr leid, dass das passiert ist. Wir wussten nicht...“, stammelte Miss Janice

Sie kämpfte mit den Worten, doch Dave zuckte nur mit den Achseln.

„Sie können nichts dafür. Es war mein Fehler. Ich hätte Ihnen Bescheid geben müssen.“

Er ging an die frische Luft und wartete auf die Polizei.

Draußen rief er zuerst mal Rose an, um ihr zu sagen, was passiert war.

Eigenartigerweise erinnerte ihn das alles an den Tag, als Sandra sich die Pulsadern aufgeschnitten hatte.

Als Rose sich meldete, sagte er: „Hey, ich bin's. Hör mal, das mit dem Baumarkt wird wohl heute nichts.“

Rose schien an seiner Stimme zu erkennen, dass etwas passiert war, denn sie fragte alarmiert:

„Dave? Ist alles in Ordnung?“

„Nein, gar nichts ist in Ordnung. Sandra war im Kindergarten. Sie hat Josie mitgenommen. Und Dr. Sumner hat mich angerufen, um mir zu sagen, dass sie abgehauen ist.“

Rose brauchte ein paar Sekunden, um das zu verdauen.

„Sie hat was? Oh mein Gott! Hast du schon die Polizei angerufen?“

„Ja, natürlich. Sie haben jemanden raus geschickt, ich denke mal dass die bald da sind.“

„Soll ich vorbeikommen? Ich könnte Melissa zu Cleo bringen, das geht bestimmt.“

Dave sagte: „Wenn du willst, gerne. Ich weiß aber nicht, wie lang das alles dauern wird.“

Rose versprach, so schnell wie möglich da zu sein und sie legten auf.

Wenige Minuten später traf ein Streifenwagen ein.

Die beiden Cops, die ausstiegen, kamen Dave seltsam vertraut vor.

„Mr. Simmons“, sagte der eine, „so sieht man sich wieder.“

Da ging Dave ein Licht auf. Es waren die beiden Polizisten, die auch im Krankenhaus gewesen waren.

„Sehen Sie, Dryer, ich habe doch gesagt dass das der gleiche Simmons ist“, sagte der größere, von dem Dave noch wusste, dass er Foreman hieß.

Dave lächelte schwach. Wenigstens musste er diesen beiden Cops nicht die ganze Geschichte von Neuem erklären.

Ein dunkler Wagen hielt auf dem Parkplatz und Dr. Sumner stieg aus.

„Mr. Simmons! Ich bin so schnell gekommen, wie ich konnte“, rief sie.

„Das ist die Psychiaterin meiner Frau“, erklärte Dave.

Als Dr. Sumner bei ihnen ankam, stellte sie sich zunächst mal vor.

Sie gingen gemeinsam in das Gebäude. Dave suchte Miss Janice und gab ihr Bescheid, dass die Polizei eingetroffen war.

Sie bat ihn, mit den Polizisten ins Büro zu gehen, sie musste noch auf eine Kollegin warten, die bei den Kindern blieb, dann würde sie sofort nachkommen.

Als sie sich im Büro niederließen, fragte Foreman, was genau passiert war.

Dave schilderte kurz, was ihm die Erzieherin gesagt hatte.

Die Polizisten hakten nach, ob er Kontakt mit Sandra gehabt hätte seit dem Vorfall vor ein paar Wochen, sie fragten Dr. Sumner nach dem Verhalten in der letzten Zeit, die jedoch nichts besonderes in Erinnerung hatte. Sie hatte auch schon Dana gefragt, die jedoch nur berichten konnte, dass Sandra jeden Abend brav ihre Tabletten genommen hatte.

Natürlich konnte Dr. Sumner nicht ausschließen, dass sie die Dinger wieder erbrochen hatte, nachdem Dana weg war.

„Hat Sandra Geld?“ An das sie ran kommt?“, fragte Dryer, der sich ein paar Notizen machte.

„Sie hat nichts bei sich, um an Geld zu kommen. Keine Bankkarten, keine Wertpapiere, nicht mal wertvollen Schmuck, den sie verkaufen könnte“, überlegte Dave.

Dr. Sumner fügte hinzu, dass sie bei ihrem Aufenthalt täglich einen kleinen Betrag bekam, der aber wirklich nur für das nötigste reichte. Da Dana gesagt hatte, dass Sandra immer Essen auf dem Herd hatte, wenn sie kam, konnte man davon ausgehen, dass sie ihr Geld größtenteils für Lebensmittel und dergleichen ausgab und nichts angespart hatte.

„Es sei denn, sie hat eine Möglichkeit gefunden, Geld zu verdienen, von der wir nichts wissen.“

Die Tür öffnete sich und Miss Janice trat ein.

Sie schilderte noch mal in eigenen Worten, was sich zugetragen hatte.

Noch während sie berichtete, dass Josie sich gefreut habe, ihre Mutter zu sehen, öffnete sich erneut die Tür und Rose trat ein.

Dave machte ihr neben sich Platz und berichtete ihr leise alles, was er wusste.

„Das ist so furchtbar. Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Hoffentlich geht es Josie gut“, flüsterte Rose mitfühlend.

Der Gedanke, dass es Josie nicht gut gehen könnte, war Dave noch gar nicht gekommen.

„Oh Gott, wenn sie ihr was antut, bringe ich sie um!“, zischte er wütend.

„Sag das nicht zu laut, wenn die Polizei neben dir sitzt. Ich wurde wegen was ähnlichem mal verhaftet.“

„Ich muss wirklich sagen“, sagte Dave anerkennend, „obwohl heute meine verrückte Frau mein Kind entführt hat, war das heute die größte Überraschung. Ich werde dich darüber noch interviewen, wenn ich Josie wieder hab.“

Rose wurde rot. Sie und ihre große Klappe.

Dr. Sumner war auf sie aufmerksam geworden und wandte sich ihnen zu.

„Dr. Sumner, das ist Rose“, stellte Dave sie vor.

Die beiden Frauen gaben sich die Hand.

„Sie sind also Rose“, sagte die Ärztin lächelnd.

„Was wird jetzt passieren?“, fragte Dave.

„Sie werden natürlich versuchen, irgend eine nützliche Spur zu finden. Es wird auch in den Nachrichten kommen.“

Dave bekam Kopfschmerzen. „Bringt das denn was?“

„Auf jeden Fall. Die Menschen bemerken komische Sachen und wenn sie dann wissen, dass ein kleines Mädchen in Gefahr ist, melden sie alles, was hilfreich sein könnte.“

Dave nickte. „Gut. Vielleicht hat sie ja jemand gesehen.“

Die nächste Frage stellte er nur höchst widerwillig, vermutlich, weil er Angst vor der Antwort hatte.

„Glauben Sie, dass Sandra Josie etwas tun würde?“

Dr. Sumner zögerte ziemlich lange, bevor sie antwortete.

„Es ist eine sehr schwierige Frage, zumal Sandra in der Therapie nicht ehrlich war. Ich würde spontan sagen, dass diese Gefahr nicht besteht. Ich würde es aber nicht schriftlich geben. Was ich denke ist, dass sie versucht, Sie zurückzugewinnen, indem sie beweist, was für eine gute Mutter sie ist.“

Dave wusste nicht, ob er mit dieser Antwort zufrieden war. Immerhin hatte Dr. Sumner selbst gesagt, dass sie nicht so recht wusste, woran sie bei Sandra war.

Miss Janice hatte ihre Aussage gemacht und konnte wieder zu ihren Kindern gehen.

„Haben Sie eigentlich schon versucht, sie zu erreichen?“, fragte Dryer.

„Ja, ihr Handy ist ausgeschaltet“, antwortete Dr. Sumner.

Die Cops wandten sich wieder Dave zu.

„Haben Sie ein Foto von Josie? Und möglichst auch von Ihrer Frau?“, fragte Dryer ihn.

Dave zückte sein Handy und durchsuchte seine Fotos. Von Josie hatte er mehrere drauf, aber er musste lange suchen, um ein brauchbares von Sandra zu finden.

Er schickte die besten Fotos an Dryers Diensthandy, der zufrieden nickte, als er sie hatte.

Dann wandte er sich an Rose.

„Darf ich fragen, wie Sie hier mit ins Bild passen?“, fragte er mit hochgezogenen Augenbrauen.

Rose sah ihn an, ohne mit der Wimper zu zucken. „Ich bin Mr. Simmons Freundin. Rose Elliott.“

Die Polizisten gaben ihr die Hand und murmelten ein „Angenehm“.

Offenbar waren sie mit der neuen Situation überfordert.

Rose lächelte und sagte dann: „Wir sind aber gerade erst zusammen gekommen. Wochen nach der Trennung von seiner Frau.“

Das schien den Polizisten schon besser zu gefallen.

„Aber Sie kennen offensichtlich die Hintergründe, denken Sie denn, dass Sie noch irgend etwas beitragen könnten, das noch nicht erwähnt wurde?“

Rose schüttelte den Kopf. „Ich kenne Sandra nicht persönlich, aber ich habe alles mitbekommen, was in den letzten Monaten passiert ist. Ich denke, mehr weiß ich auch nicht.“

Dave sprang ein: „Sie ist eigentlich hier, um mir zur Seite zu stehen.“

Foreman und Dryer sahen die beiden an, dann sahen sie zu Dr. Sumner.

Schließlich wandten sie sich wieder an Dave.

„Gut, ich denke, wir haben alles. Machen Sie sich keine Sorgen, Mr. Simmons. Wir werden ein gutes Team bilden und alles tun, um Ihnen Ihre Tochter wohlbehalten zurückzubringen.“

„Ich bin sicher, dass Sie Ihr Bestes tun werden“, antwortete Dave lahm.

Sie standen alle auf. Dr. Sumner und die beiden Polizisten verabschiedeten sich und versicherten Dave, dass sie Tag und Nacht zur Verfügung stünden, wenn ihm etwas einfiele oder wenn er einfach reden wolle. Dann waren Dave und Rose allein im Büro.

„Oh, Mann!“, rief Dave aus.

Rose nahm seine Hand. „Sie finden sie“, sagte sie leise.

Dave schloss sie in die Arme und hielt sie so fest, dass er ihr fast weh tat.

„Ich hoffe es wirklich sehr. Hättest du was dagegen, wenn ich heute Nacht bei dir schlafe? Ich bekomme schon Panik, wenn ich nur an meine leere Wohnung denke.“

Natürlich hatte sie nichts dagegen.

Sie gingen gemeinsam aus dem Büro.

Dave ging nochmal zu Miss Janice, die immer noch ganz geknickt war. Er versicherte ihr, dass sie nichts dafür könne und versprach, sich zu melden, sobald er etwas Neues zu berichten hätte.

Dann verließen er und Rose den Kindergarten.

Dave wollte noch schnell nach Hause fahren um ein paar Sachen einzupacken und dann zu Rose fahren.

Obwohl Rose dachte, dass das keine besonders gute Idee war, sagte sie nichts und fuhr los, um Melissa abzuholen.

Natürlich würde sie sich Sorgen machen, bis er endlich vor ihrer Tür stand, denn er war eindeutig nicht in der Lage, zu fahren.

Doch sie wusste, dass er jetzt bestimmt erst mal allein sein wollte.

Dave fuhr ziemlich sicher nach Hause. Er war noch in den wohligen Nebel des Schocks eingehüllt.

Erst, als er die Wohnungstür öffnete und nur Stille ihn willkommen hieß, begriff er endgültig, was passiert war. Er schloss die Tür hinter sich und ging zuerst ins Schlafzimmer, um seine Tasche zu packen. Dann betrat er die Küche und sah, dass noch die Schüsseln vom Frühstück in der Spüle standen.

Als er sie abspülte und daran dachte, dass Josie heute morgen noch mit ihm am Tisch gesessen hatte, liefen ihm endlich die Tränen übers Gesicht.

Was, wenn er sie nie wiedersah? Der Gedanke war so grausam, dass er ihn kaum zu Ende denken konnte. Und doch kehrte er immer wieder zurück, als würde in seinem Kopf eine zerkratzte CD abgespielt.

Er schwor sich, Sandra umzubringen, wenn sie Josie wirklich etwas tat.

Seine Verzweiflung schlug in Wut um. Er stieß einen Schrei aus und griff sich das Nächstbeste, das seine Hände finden konnten.

Wie in Raserei warf er Löffel, Tassen, einen Zuckerstreuer und eine Tupperdose gegen die nächste Wand. Er trat gegen die Tür und schlug mit den Fäusten gegen die Küchenschränke.

Erst, als er sah, dass aus seinen Fingerknöcheln Blut tropfte, hörte er mitten im Schlag auf und ließ die Hand sinken.

Jetzt spürte er auch die Schmerzen. Er konnte seine Hände kaum noch öffnen und schließen.

„Scheiße!“ rief er. Außer Atem betrachtete er, was er alles angerichtet hatte.

Es sah wüst aus. Die Tür hatte ein Loch, Scherben lagen auf dem Boden, vermischt mit Besteck, Zucker, Holzbrettern und Schüsseln.

Schweigend wusch sich Dave die Hände unter kaltem Wasser, dann schloss er sie ein paar mal prüfend. Es tat höllisch weh, doch das geschah ihm ja auch nur recht.

Er war sauer auf sich selbst, weil er so reagiert hatte. Das half niemandem weiter.

Und doch wusste Dave, dass es unvermeidbar gewesen war. Ohne diesen Ausbruch wäre er explodiert.

Er sortierte auf dem Boden die Sachen aus, die heil geblieben waren und legte sie alle in die Spüle.

Dann holte er den Besen und kehrte den groben Schmutz zusammen, bevor er mit dem Staubsauger die letzten Spuren beseitigte.

Blieben noch das Loch in der Tür und ein Küchenschrank, dessen Tür nur noch an einem Scharnier hing. Dabei war der Schrank noch das kleinere Problem, doch darum würde er sich heute nicht mehr kümmern.

Das einzige, das er jetzt noch erledigen wollte, war der Anruf bei Donnie.

Sein Freund meldete sich erst nach einiger Zeit am Telefon.

„Ja?“

Dave antwortete mit einer Stimme, die er nicht als seine eigene wiedererkannte:

„Donnie, ich bin's.“

In den nächsten Minuten erzählte Dave, was passiert war.

Donnie hörte in dieser Zeit nur zu. Als Dave alles losgeworden war, dauerte es einen Moment, bis Donnie begriff, dass er nun eigentlich die Stille in der Leitung füllen sollte.

„Moment mal, was?“, fragte er dann, als habe er nicht richtig verstanden. „Sandra hat Josie entführt? Und ihre Therapeutin hat nicht gemerkt, dass sie so was plante? Dieses Luder! Wie kann ein so saublödes Weib so verdammt listig sein?“

Dass Donnie ihm damit aus dem Herzen sprach, ließ Dave grimmig lächeln.

„Du kannst dir natürlich frei nehmen, solange du willst“, versprach Donnie eifrig.

„Danke. Ich will unbedingt dabei sein, wenn sie das Miststück schnappen.“

Donnie wünschte ihm alles Gute, dann legten sie auf.

Gerade, als Dave zur Tür raus gehen wollte, klingelte das Handy.

Dave stellte seine Tasche wieder ab und ging ran.

„Mr. Simmons, Dryer am Apparat“, meldete sich der kleine Cop.

„Detective Dryer, was gibt’s?“, fragte Dave und bemühte sich, locker zu klingen.

Tatsächlich war er so angespannt wie noch nie.

„Ich wollte Ihnen nur sagen, dass die Meldung über Josie gleich in den Nachrichten kommt. Auf Kanal Vierzehn.“

„Oh, danke. Ich schalte gleich ein.“

Sie legten auf und Dave schaltete den Fernseher ein.

Die Nachrichten hatten noch nicht angefangen und Dave musste erst die Werbung über sich ergehen lassen, die scheinbar endlos lief.

Als dann endlich die Nachrichten anfingen, kamen zuerst die weltweiten Neuigkeiten, ziemlich langatmig wurde der Israel-Konflikt ausgeschlachtet, wie immer.

Doch Dave starrte auf den Fernseher, ohne etwas mitzubekommen, so sehr konzentrierte er sich darauf, endlich die Nachricht über Josie zu sehen.

Als sie dann endlich kam, starrte er wie elektrisiert auf den Bildschirm.

Sie zeigten zunächst Josies Bild, die Sprecherin sagte:

„Die kleine Josie Simmons wurde von ihrem Vater als vermisst gemeldet. Die Fünfjährige wurde laut Aussage der Kindergärtnerin von ihrer Mutter abgeholt und sei auch sehr bereitwillig mitgegangen.“

Nun zeigten sie das Bild von Sandra.

„Sie habe aber nicht gewusst, dass Mrs. Simmons Josie nur im Beisein ihres Mannes sehen darf. Sandra Simmons ist psychisch sehr labil und wir wissen nicht, was sie mit der Entführung bezweckt, aber die Polizei von Monterey-County bittet alle Zuschauer um Mithilfe, damit Josie bald wohlbehalten zu ihrem Vater zurückkehren kann. Wenn Sie irgendwelche Hinweise haben, die hilfreich sein könnten, rufen Sie bitte schnellstmöglich im Departement unter der eingeblendeten Nummer an.“

Das war alles. Die ganze Geschichte verpackt in fünf Sätze.

Dave schaltete den Fernseher aus. Er war etwas enttäuscht über die Meldung und zweifelte daran, dass sie hilfreich sein würde.

Doch nachdem er seine Wut schon in der Küche ausgelebt hatte, fühlte er sich stärker, bereit, alles zu ertragen, was da noch kommen würde. Und solange es keine Hinweise gab, die das Gegenteil andeuteten, wollte er daran denken, dass es Josie bestimmt gut ging. Immerhin war Sandra ihre Mutter.

Mit diesem Gedanken im Hinterkopf fuhr er die kurze Strecke zu Rose.

Als sie die Tür öffnete, fragte sie ihn: „Hast du es gesehen?“

Er nickte. „Ja. Ich dachte eigentlich, sie würden etwas genauer berichten. Aber wenigstens haben sie die Bilder gezeigt.“

Rose betrachtete ihn, dann sah sie seine Hände.

„Oh mein Gott, was ist denn passiert?“

Sie führte ihn ins Bad, untersuchte die Hände und verband ihm die rechte, die eindeutig schlimmer aussah.

Dave, der auf dem Klodeckel saß, zuckte nur mit den Schultern.

„Ich war ein bisschen wütend“, erklärte er. „Ich hab nicht so viel kaputt gemacht, nur einen Zuckerstreuer, ein paar Schüsseln und die Tür. Ach ja und die eine Schranktür hängt schief, aber ich glaube, das kann ich reparieren.“

Rose sagte nichts. So unsinnig sein Ausbruch auch sein mochte, so irrsinnig musste wohl auch der Schmerz gewesen sein, der ihn dahin getrieben hatte.

Dave murmelte: „Zum Glück muss ich erst mal nicht arbeiten. Donnie hat gesagt, ich kann frei haben, so lange ich will.“

„Ja. Mit deinen Händen könntest du jetzt bestimmt nicht arbeiten.“

Sie küsste seine Handflächen, dann umarmte er sie und er verbarg sein Gesicht an ihrem Bauch.

Melissa kam aus ihrem Zimmer. Auf dem Arm trug sie Pebbles.

„Hallo, Dave!“, rief sie, als sie ihn sah.

Dave lächelte ihr zu. „Hi, Mel“, antwortete er.

„Wird Josie bald zurückkommen?“, fragte das Mädchen ihn ernst.

Dave versuchte, optimistisch zu klingen. „Aber klar. Die Polizei sucht nach ihr und alle Menschen haben die Nachrichten gesehen und werden sich melden, wenn sie Josie oder Sandra sehen. Du wirst sehen, es wird nicht lange dauern, dann wird Josie wieder da sein.“

„Ja, wir haben die Nachrichten gesehen. Hoffentlich finden sie sie bald.“

Sie aßen gemeinsam und Melissa ging früh ins Bett.

Rose räumte noch ein bisschen auf, während Dave ein Glas Wein trank.

Er wirkte zwar sehr gefasst und versuchte, sich nicht gehen zu lassen, doch es fiel ihm sehr schwer.

Ständig quälte ihn die Frage, wie es Josie ging, was sie jetzt gerade tat, ob sie etwas gegessen und getrunken hatte, ob sie schon schlief, ob Sandra sie gut behandelte, ob sie noch lebte.

Im Fernsehen lief „Pulp Fiction“, Dave hatte ihn schon mindestens tausend Mal gesehen und ihn jedes Mal wieder gut gefunden. Doch diesmal bekam er kaum mit, dass der Film lief.

Ohne es zu wollen, tauchten Bilder vor seinem inneren Auge auf.

Josie, gefesselt und geknebelt, während Sandra ein Messer wetzt.

Josie, leblos in einem kalten, namenlosen Grab im Wald.

Sandra, die ihrer Tochter ein gutes Mittagessen kocht, vielleicht mit einer ordentlichen Portion Arsen. Oder, weil es doch sehr viel einfacher zu bekommen war, einer schönen Dosis Amphetamine oder Crystal Meth.

Jedes mal, wenn Dave eine dieser Vorstellungen überkam, zog sich etwas in ihm zusammen und er musste sich gewaltsam auf etwas anderes konzentrieren.

Als sich Rose zu ihm setzte, entspannte er sich endlich etwas.

„Weißt du, was in dem Koffer ist?“, fragte sie ihn plötzlich.

Er blickte sie verständnislos an. „In welchem Koffer?“

Rose deutete auf den Fernseher.

Vince Vega brachte gerade Mia nach Hause, nachdem sie ihren Kollaps gut überstanden hatte.

Dave lächelte sie an. „Wie kommst du jetzt darauf?“

Rose zuckte mit den Schultern. „Naja, ich hab den Film so oft gesehen, aber so sehr ich mich auch anstrenge, ich kriege nie mit, was in dem Koffer ist.“

„Weil man gar nicht weiß, was drin ist. Im Film sieht man es nicht und Tarantino hat nie gesagt, was es sein soll. Aber es gibt da so eine Theorie. Es soll die Seele von Marcellus Wallace sein. Er hat doch so ein Pflaster im Nacken. Da soll sie ihm angeblich entnommen worden sein.“

Rose lachte. „Aha, dann bin ich nach all den Jahren endlich schlauer. Woher weißt du solche Sachen?“

Dave grinste und sagte: „Internet.“

Als sie später ins Bett gingen, kuschelten sie nur und sprachen über alles mögliche.

Es war, als wollte Rose ihn unbedingt von seinem Schmerz ablenken.

Obwohl er es nicht für möglich gehalten hatte, schlief er ziemlich schnell ein.

 

 

41.: Sandra spielt Mama

 

Josie lag neben ihrer Mutter im Bett und sah noch fern.

Sie war glücklich, doch sie hatte auch ein schlechtes Gewissen, weil sie sich noch nicht bei ihrem Vater gemeldet hatte.

In Gedanken ging sie nochmal alles durch, was heute passiert war.

Sie spielte völlig ahnungslos im Kindergarten, als ihre Mutter plötzlich im Türrahmen stand..

Natürlich war sie gleich auf sie zu gerannt.

Sie freute sich so, sie zu sehen und dass es ihr gut ging.

Sandra umarmte sie und küsste sie so herzlich, wie es Josie gar nicht von ihr gewohnt war.

Dann sagte sie ihr, dass ihr Daddy extra nichts gesagt hat, um die Überraschung nicht zu verderben.

Josie hatte ihre Tasche genommen und war mit ihrer Mutter hinaus spaziert.

Sandra hatte ein neues Auto, sie erzählte Josie während der Fahrt von ihrem neuen Job als Bürohilfe und dass sie sich jetzt bald eine richtige Wohnung suchen würde.

Josie war glücklich, dass es ihrer Mutter wieder gut ging und dass sie bald wieder auf eigenen Beinen stehen konnte.

Und dass sie jetzt wirklich ganz normal war, merkte Josie schon allein daran, dass Sandra sich ihr gegenüber zum ersten mal wie eine richtige Mutter verhielt.

Sie hatte an alles gedacht: Wäsche zum Wechseln, eine Zahnbürste und Kinderzahnpasta, Haargummis und Spangen, Schuhe und Unterwäsche. Auch einen Badeanzug hatte Sandra ihr gekauft, der zwar ein bisschen zu klein war, aber er würde schon noch gehen.

Sie verließen in dem Auto rasch Josies gewohnte Umgebung.

Die Gegend war etwas bewaldeter, überall gab es Obstplantagen zwischen Hügeln.

Josie sah ihre Mutter an und fragte: „Wohin fahren wir denn eigentlich?“

Sandra sah weiter auf die Straße, als sie antwortete: „Wir machen einen kleinen Urlaub.“

Nach etwa zweieinhalb Stunden kamen sie an einem großen See an, sie umfuhren ihn, bis sie endlich an einem kleinen Motel hielten.

Sie stiegen aus und gingen drei Stufen zur Tür der Rezeption hinauf.

Hinter einem Tresen saß eine ältere Frau, die eine Zeitschrift las und rauchte.

Josie sah sich neugierig um und entdeckte einen kleinen Hund, der gleich freudig auf sie zugelaufen kam. Sie ging in die Hocke und streichelte ihn vorsichtig.

Dass ihre Mutter gerade mit der Frau hinter dem Tresen sprach, bekam sie kaum mit.

„Hast diesmal n kleines Mädchen dabei“, stellte die Frau fest.

Sandra nickte. „Meine Tochter.“

Die Frau sah Josie einen Moment versonnen an.

„Hätt nicht gedacht, dass ich se mal zu sehn krieg. Willst du das gleiche Zimmer wie immer?“

Sandra schüttelte den Kopf. „Gib mir das beste, das du frei hast.“

Die Frau zog erstaunt eine Augenbraue in die Höhe, dann zuckte sie mit den Schultern.

„Is ja nich mein Geld“, meinte sie, dann schlurfte sie rüber zum Schlüsselbrett und wählte einen Schlüssel aus.

„Das is unsre Hochzeitssuite. Die kostet aber vierzig pro Nacht. Und das is schon mit Rabatt.“

Ihre eiserne Miene verriet, dass sie in diesem Punkt nicht mit sich reden ließ.

Sandra wühlte in ihrer Handtasche, bis sie ihr Portemonnaie fand. Sie gab der Frau sechs Zwanzig-Dollar-Noten.

„Ich zahle für drei Tage im Voraus.“

„Wo hast'n so viel Kohle her? Hast dir n Auto gekauft, hmm? Machst jetzt Urlaub hier mit deinem Kind. Ich frag mich, wo du plötzlich so viel Geld her hast.“

„Ich hab mir einen Job gesucht.“

„Ist es der übliche Job?“, fragte die Frau gehässig.

„Ich bin wirklich froh, dass du immer noch so von mir denkst“, antwortete Sandra leise.

Sie nahm der Frau den Schlüssel aus der Hand und rief Josie zu sich.

„Komm, wir bringen die Koffer ins Zimmer“, sagte sie.

Sie gingen hinaus ans Auto und Sandra suchte nach der passenden Tür zu ihrem Schlüssel.

Sie trugen ihre Taschen zu dem Zimmer und Sandra schloss auf.

Tatsächlich war es ein ziemlich schönes Zimmer.

Das große Bett war mit einer schönen, modernen Tagesdecke überzogen, ihm gegenüber standen ein kleines Sofa und ein Sessel, sowie ein Fernseher. Sogar ein Schild mit dem Passwort für den Internetzugang stand da.

Auf der Stirnseite stand unter einem großen Fenster ein Schreibtisch, auf dem Briefpapier und Stifte bereit lagen.

Alle Möbel schienen relativ neu und gepflegt zu sein und alles in allem war es ein heller, freundlicher Raum.

Sandra stellte ihre Tasche ab, Josie tat es ihr nach.

„Ich muss mal“, sagte sie.

Sandra deutete auf eine Tür. „Ich schätze, das Bad ist dort.“

Josie ging hinein und erledigte ihr Geschäft. Als sie fertig war, klopfte Sandra.

„Kann ich reinkommen?“, fragte sie.

„Ja, ich bin schon fertig.“

Als sie die Tür öffnete, sagte Sandra: „Ich wollte mal sehen, wie es hier aussieht.“

Sie betrachtete die modernen, cremefarbenen Fliesen mit der schwarzen Abschlusskante, die große Badewanne und die Dusche, sowie die Toilette und das Waschbecken mit dem großen Spiegelschrank darüber.

Alles war modern und sauber.

„Ein schönes Bad“, meinte sie schließlich.

Irgendwie klang das betrübt, doch Josie verstand nicht, warum.

Als sie wieder im Zimmer waren, wandte sich Sandra wieder ihrer Tochter zu.

„Brauchst du irgend was? Hast du Hunger oder Durst?“, fragte sie eifrig.

„Im Moment hab ich keinen Hunger. Daddy macht mir immer so um sieben Abendbrot“, überlegte Josie.

Sandra sah sich um. „Ich glaube, wir werden essen gehen müssen. Wenn du willst zeig ich dir die Gegend und dann suchen wir uns ein nettes Lokal.“

„Kann ich vorher Daddy anrufen?“ fragte Josie.

Sandra schüttelte bedauernd den Kopf. „Tut mir leid, Schätzchen. Ich habe ihn angerufen, als du auf der Toilette warst. Er hatte aber nicht viel Zeit, ich konnte ihm nur sagen, dass wir gut angekommen sind. Er lässt dich grüßen und wünscht dir viel Spaß. Ich glaube, er war gerade bei Rose.“

Sie wartete lauernd ab, was Josie wohl antworten würde.

„Ja, das kann sein. Vielleicht schläft er bei ihr“, sagte das Mädchen schulterzuckend.

Sandra hatte so etwas zwar erwartet, immerhin hatte sie die beiden zusammen gesehen, trotzdem durchfuhr es sie eiskalt, als sie ihre Vermutungen bestätigt wusste.

Trotz des inneren Aufruhrs spielte Sandra ihre Rolle weiterhin perfekt.

Scheinbar gelassen sagte sie: „Ja, bestimmt.“

Auch, als Josie munter weiter plapperte, lächelte sie und tat, als sei sie bereits in alles eingeweiht.

„Weißt du, Daddy hat eine tolle Idee gehabt, wie er für Melissa einen Sandkasten bauen kann, der einen Deckel auf Rollen hat. Da kommt dann ein Spielturm drauf und irgend was zum Klettern. Ich darf dann immer mit Melissa spielen, wenn wir am Wochenende dort sind. Heute wollte Daddy mit Rose in den Baumarkt fahren, um alles zu holen, was er braucht. Und die Tante von Melissa kommt dann auch helfen. Sie hat Melissa zwei Katzen geschenkt, Pebbles und Bam Bam. Die sind ganz süß. Wenn wir bei Rose schlafen, spielen wir immer ganz viel mit ihnen und geben ihnen Futter.“

Innerlich kochte Sandra vor Wut. Also schliefen sie regelmäßig bei dieser miesen kleinen Schlampe. Und so, wie es aussah, fand Josie das auch noch ganz toll. Erst hatte sie ihr mit Sex den Mann weggenommen und jetzt nahm sie ihr das Kind weg, indem sie ihr Haus in ein verdammtes Wunderland verwandelte. Und Dave half ihr auch noch dabei! Und in ihre Scheiß-Familie war er anscheinend auch schon ganz integriert, fehlte ja nur noch die Scheidung, dann hätte dieses Flittchen ihn genau da, wo sie ihn haben wollte.

Sandra wusste genau, dass Rose nicht locker lassen würde, bis Dave sie heiratete.

Als Dave zuletzt bei ihr gewesen war, hatte er nur allzu deutlich gezeigt, dass er sie immer noch wollte. Und dann hatte er einfach mittendrin Schluss gemacht. Da konnte nur eine Frau wie Rose dahinter stecken. Sie hatte sich ihm bestimmt an den Hals geworfen, sobald sie wusste, dass er es wirklich durchgezogen hat.

Doch das war momentan alles unwichtig. Wichtig war, dass sie sich jetzt auf ihren Plan konzentrierte.

Sie musste nur daran denken, dass sie noch eine Chance hatte, wenn sie Dave bewies, dass sie eine gute Mutter sein konnte.

Sicherlich würde er zunächst mal sauer sein, doch wenn sie ihn in ein paar Tagen anrief, konnte sie ihm alles erklären und dann würde er kommen und mit eigenen Augen sehen, wie gut es Josie bei ihr ging. Und dann würde alles gut werden.

Sich gewaltsam aus ihren Überlegungen reißend, sagte sie zu Josie:

„Ein paar Tage wirst du es ja auch ohne deine Freundin aushalten, oder? Und jetzt lass uns raus gehen, wenn wir den Strand entlang gehen, finden wir bestimmt früher oder später einen Imbiss oder ein kleines Restaurant, in das wir gehen können.“

Sie gingen einen Weg entlang, der hinab ans Wasser führte.

„Ist das das Meer?“, fragte Josie.

„Nein“, antwortete Sandra, „nur ein großer See. Ich war als junges Mädchen oft hier. Ich dachte, es wäre eine gute Idee,wenn wir hier unseren kleinen Urlaub verbringen.“

„Und das Wasser schmeckt nicht salzig?“

„Nein, es schmeckt normal.“

„Das ist ja noch besser als das Meer. Da brennt es immer in den Augen und wenn man sich verschluckt ist es ganz eklig.“

„Ja, ich weiß. Wart ihr denn in den Ferien am Meer?“

„Wir waren einmal vor den Ferien dort und einmal in den Ferien“, berichtete Josie, glücklich, dass ihre Mutter sich so plötzlich für sie interessierte.

„Bestimmt mit Rose und Melissa“, warf Sandra ein.

„Ja, na klar. Beim letzten Mal haben sie uns dann gesagt, dass sie jetzt zusammen sind. Das war vor ungefähr zwei Wochen.“

Sandra runzelte die Stirn. Zwei Wochen. Das konnte nicht sein. Sie mussten schon viel länger zusammen sein. Es war schon mehr als einen Monat her, dass Dave sich von ihr getrennt hatte.

Sie hatten es anscheinend ziemlich lange vor den Kindern geheim gehalten.

Kinder waren schließlich dumm.

Josie gefiel der See und die Umgebung mit den vielen bewaldeten Hügeln.

Es war ziemlich viel los, überall gab es Ständchen, an denen man Eis, Limo, Kaffee, Hot Dogs und Burger bekommen konnte.

Hin und wieder gab es auch kleine Lokale, in denen man Pasta und Pizza oder auch Steaks und Pasteten essen konnte.

Zwischendurch gab es auch mal eine Smoothie-Bar oder ein Veganer-Restaurant.

Sandra ging mit Josie die Promenade ein gutes Stück entlang, bis sie in eine ruhigere Gegend kamen. Die Häuser sahen auch nicht mehr aus wie Ferienhäuser und Hotels, sondern wie Wohnhäuser.

„Wenn wir Glück haben, ist da noch dieses kleine Restaurant, das ich von früher kenne. Die hatten die beste Pizza der Welt.“

Josie wusste nicht allzu viel über ihre Mutter und ihre Kindheit. Deshalb war sie ziemlich neugierig.

Sie bogen in eine Straße ein, in der sich ein Geschäft an das nächste reihte.

Schließlich kamen sie an einem kleinen Lokal an, das zwischen einer Boutique und einem Friseurgeschäft lag.

„Da ist es. Ich hoffe, dass es noch genau so gut ist wie früher.“

Sie traten ein und Josie fiel als erstes auf, dass hier alles alt und verbraucht aussah.

Die Tischdecken waren fadenscheinig, die Vasen auf den Tischen hatten teilweise abgeplatzte Stellen, selbst die Blumen darin sahen blass und welk aus.

Ein junger Mann stand gelangweilt hinter der altmodischen Theke.

Als er sah, dass Gäste eingetreten waren, wirkte er fast erstaunt. Schnell nahm er zwei Speisekarten von dem Stapel und eilte auf Sandra und Josie zu, ehe sie es sich vielleicht anders überlegten.

„Guten Abend, darf ich Ihnen einen Tisch empfehlen?“, fragte er rasch.

„Ja, gerne“, sagte Sandra lächelnd.

Der Kellner brachte sie an einen Tisch in einer kleinen Nische und gab ihnen die Speisekarten.

Josie nahm eine, obwohl sie noch nicht richtig lesen konnte.

Sandra bestellte eine Cola, Josie einen Saft. Dann las Sandra laut vor, was alles auf der Karte stand.

Schließlich entschied sich Josie für eine Kinder-Pizza mit Käse, Salami und Broccoli, Sandra wählte eine Pizza mit Salami, Oliven, Sardellen und Artischocken.

„Sagen Sie mal, arbeitet in der Küche noch der gleiche Pizzabäcker wie früher? So vor fünfzehn Jahren?“, fragte Sandra den Kellner, als sie die Bestellung aufgegeben hatte.

„Nein, tut mir leid. Allein in den letzten fünf Jahren hat der Besitzer dreimal gewechselt. Und mit den Besitzern auch immer das Personal. Aber mein Pizzabäcker ist sehr gut, das garantiere ich Ihnen.“

„Sie sind der Besitzer?“

„Ja. Es ist mein erstes eigenes Geschäft. Momentan läuft es noch nicht so richtig, weil mein Vorgänger hier ziemlichen Mist gebaut hat. Ehrlich gesagt, habe ich noch gar kein richtiges Personal. Mein Vater ist der Pizzabäcker. Er macht eigentlich alles da drin alleine, aber es ist einfach nicht genug zu tun, um jemanden einstellen zu können.“

„Also, wenn Ihr Vater gut ist, werden Sie es bestimmt schaffen. Es spricht sich herum, wenn jemand gutes Essen anbietet“, meinte Sandra.

Der junge Mann neigte den Kopf. „Ich hoffe es.“

Er ging, um seinem Vater die Bestellung zu geben.

Josie, die eigentlich noch nie erlebt hatte, dass ihre Mutter nett zu einem Kellner war, sagte:

„Der arme Mann.“

Sandra nickte. „Ja, aber so läuft das leider.“

Als die Pizzen dann endlich auf dem Tisch standen, probierten die beiden neugierig.

Der Teig war knusprig und luftig, die Soße schön würzig und sie Zutaten frisch und gut.

Sandra nickte dem jungen Mann aufmunternd zu.

„Wunderbar“, sagte sie.

Sie aßen und tranken noch etwas und plauderten dabei. Josie bekam noch eine Kugel Eis und als Sandra bezahlte, gab es noch einen Schnaps auf Kosten des Hauses und einen Lutscher für Josie.

„Zum Glück muss ich nicht fahren“, sagte Sandra, als sie draußen auf der Straße standen.

Das kleine Gläschen Grappa war ihr gleich in die Beine gegangen. Wenn es ein Laster gab, das Sandra nicht hatte, dann war es Trinken.

Gemeinsam gingen sie den ganzen Weg wieder zurück zum Motel.

Es war schon ziemlich spät, als sie ankamen und Josie ging gleich unter die Dusche, Sandra ging nach ihr.

Später lagen sie dann gemeinsam in dem großen Bett und sahen fern, Sandra schlief schon nach kurzer Zeit ein, Josie jedoch lag noch eine ganze Weile wach.

 

 

42.: Das lange Warten

 

Am Morgen hielt es Dave nicht alleine in dem großen, stillen Haus aus.

Rose hatte Melissa in den Kindergarten gebracht und war zur Arbeit gefahren.

Dave überlegte, was er tun sollte.

Zunächst mal trank er einen Kaffee und rief dabei auf dem Revier an, um nachzufragen, ob es schon etwas neues gäbe.

Foreman und Dryer waren gerade unterwegs, doch der Cop, der am Telefon war, wusste über den Fall Bescheid.

„Nachdem die Meldung in den Nachrichten war“, erklärte er, „haben wir eine Menge Anrufe bekommen, aber bisher war noch keine brauchbare Spur dabei. Das einzige, das wir bisher herausfinden konnten, ist, dass Ihre Frau ein Auto auf ihren Namen zugelassen hat. Vor einer Woche. Deshalb haben wir die Meldung an alle Stationen in Kalifornien weitergegeben und die Suche bis zu den Grenzen ausgeweitet. Und in Oregon, Nevada und Arizona ist bereits die Polizei benachrichtigt. Und bis nach Mexiko kommt sie sowieso nicht. Jetzt, wo wir ein Kennzeichen haben, ist es sowieso nur noch eine Frage der Zeit, bis wir sie haben.“

Dave war einerseits beruhigt, weil die Polizei Sandras Autokennzeichen kannte, andererseits war er auch beunruhigt, weil sie jetzt ein Auto hatte. Seit gestern Mittag konnte sie längst über alle Berge sein.

Er legte auf und fuhr sich mit einer Hand durch die Haare. Er seufzte und nahm seine Tasse wieder in die Hand.

Irgendwann war sie endlich leer und Dave räumte sie gleich in die Spülmaschine.

Rose hatte ihm ihren Ersatzschlüssel gegeben, damit er kommen und gehen konnte, wie er wollte.

Also ging er hinaus, schloss die Haustür ab und setzte sich in sein Auto.

Er hatte sich überlegt, was er tun könnte und ihm war etwas eingefallen, das er total vergessen hatte.

Seine Eltern wussten noch gar nicht, was passiert war.

Dave wollte nach Marina fahren und es ihnen persönlich sagen.

Er wusste gar nicht, wann er zuletzt dort gewesen war und irgendwie erschien es ihm tröstlich, nach Hause zu fahren.

Die fünfundzwanzig Minuten Fahrt waren angenehm, trotz der Wärme, die sich bereits über dem Tag ausbreitete.

Als er die bekannten Straßen entlangfuhr und überall etwas Neues entdeckte, kam ihm unwillkürlich der Gedanke, ob ihm seine Eltern ebenso fremd und gleichzeitig vertraut sein würden.

Sein Elternhaus lag noch immer inmitten von Bäumen. Sein Vater hatte nicht viele Hobbys, aber von seiner Mutter hatte er die Leidenschaft fürs Gärtnern geerbt.

Allerdings beschränkte sich sein Garten auf Nutzpflanzen. Nur im Vorgarten hatte er außer den Bäumen ein paar Büsche und Blumenbeete, die keine Nahrung lieferten.

Dave ging den Weg entlang, der schnurgerade vom Gehweg zur Haustür führte.

Das Auto seines Vaters stand in der Einfahrt, also war er bestimmt zu Hause.

Er klingelte. Nach einiger Zeit hörte Dave Schritte hinter der Tür.

Sein Vater öffnete und sah ihn erstaunt an.

„Na, das ist aber mal ne Überraschung“, sagte John Simmons. „Komm doch rein, Junge.“

Er legte eine Hand auf Daves Rücken und dirigierte ihn so ins Wohnzimmer.

„Willst du einen Kaffee? Oder lieber ein Bier?“ bot er an.

Dave zuckte mit den Schultern. „Ein Bier wäre vielleicht angemessen.“

Argwöhnisch schaute sein Vater ihn an, doch er sagte nichts, stattdessen ging er in die Küche, um zwei Flaschen Bier aus dem Kühlschrank zu holen.

Als er zurückkehrte, setzte er sich neben Dave und gab ihm eine der Flaschen.

Sie stießen miteinander an und tranken erst mal einen großen Schluck.

„So, dann schieß mal los. Irgend was ist doch “, meinte John schließlich.

Dave trank noch einen Schluck, erst dann war er in der Lage, zu sprechen.

„Ich hab euch doch erzählt, dass ich mich von Sandra endgültig getrennt habe und was danach passiert ist.“

Er machte eine Pause, als erwarte er, dass sein Vater etwas sagen würde, doch der sah ihn nur an.

„Jedenfalls war danach alles in Ordnung, Sandras Therapeutin meinte, dass sie eingesehen hätte, dass die Trennung besser für alle ist. Aber gestern, als ich Josie vom Kindergarten abholen wollte, war sie nicht mehr da. Die Kindergärtnerin hat mir gesagt, dass sie bereits von ihrer Mutter abgeholt worden ist. Sie hat sie entführt.“

Nun, da er das Wesentliche gesagt hatte, fühlte Dave sich wesentlich besser.

Sein Vater legte ihm den Arm um die Schulter, eine Geste, die Dave unter normalen Umständen sonderbar vorgekommen wäre.

„Das ist furchtbar. Hast du die Polizei eingeschaltet?“

„Ja, selbstverständlich. Sie haben sogar schon etwas herausgefunden. Sandra hat jetzt ein Auto und die Polizei kennt das Kennzeichen. Sie sagen, es sei nur eine Frage der Zeit, bis sie Sandra finden. Es kommt auch ab heute landesweit im Fernsehen.“

„Gut, gut. Hoffentlich tut diese irre Schlampe dem Kind nichts an, sorry für die Wortwahl.“

Dave nickte. „Es sind genau die richtigen Worte. Die Therapeutin sagt zwar, dass sie nicht glaubt, dass Sandra Josie etwas tun wird, aber bis gestern hätte sie auch nicht geglaubt, dass sie sie entführen würde.“

Die beiden Männer saßen einen Moment lang schweigend da, doch ihre ernsten Mienen sprachen Bände.

„Wir müssen deiner Mutter Bescheid sagen“, sagte John schließlich.

„Fahren wir zu ihr ins Geschäft?“

„Ja.“

Sie tranken ihr Bier aus und verließen dann das Haus.

Sie fuhren mit Daves Wagen.

Unterwegs fragte John seinen Sohn: „Was glaubt denn die Psychiaterin, warum Sandra das gemacht hat? Wenn nicht einfach, um sich an dir zu rächen?“

Dave zuckte mit den Schultern. „So genau hat sie das nicht gesagt. Nur, dass Sandra vielleicht versuchen will, mich zurückzugewinnen. Indem sie beweist, dass sie sich gut um Josie kümmern kann. Aber es kann ja auch genau so gut sein, dass sie mich erpressen will. Mittlerweile traue ich ihr alles zu. Und so verrückt sie auch sein mag, sie ist verdammt schlau. Immerhin war sie in der Lage, ihre Betreuerin und ihre Therapeutin zu täuschen, so dass jeder dachte, sie sei endlich bereit, mitzuarbeiten. Außerdem hat sie es irgendwie geschafft, Geld zu beschaffen, sonst hätte sie sich kein Auto leisten können. Und sie muss ja auch irgendwo mit Josie bleiben, Essen kaufen, eventuell Kleidung. Das kostet auch alles Geld. Eigentlich dürfte sie kein Geld haben, deshalb ist die große Frage, woher sie es hat.“

Als sie an dem Blumenladen ankamen, in dem Daves Mutter arbeitete, war zum Glück gerade kaum Betrieb. Eine Kundin wurde von einer jungen Frau bedient, sonst war niemand vorne im Laden.

Die Verkäuferin erkannte John und rief ihm beim Eintreten zu: „Marjory ist hinten.“

Dann kümmerte sie sich weiter um die Kundin.

John ging an ihr vorbei durch eine Tür.

Dave folgte ihm und fand sich in einer Art Lagerraum wieder. Es war ziemlich kalt, damit die Blumen frisch blieben.

Marjory Simmons stand mit dem Rücken zu ihnen an einem Tisch und stellte ein Arrangement zusammen.

„Mom“, sagte Dave, darauf drehte sich seine Mutter erstaunt um.

„Dave! Was für eine Überraschung!“, rief sie erfreut.

„Hi, Mom“, antwortete Dave.

Als seine Mutter ihn umarmte, roch sie das Bier in seinem Atem.

„Habt ihr etwa schon getrunken?“, fragte sie leicht vorwurfsvoll.

„Marjory“, sagte John, „es ist etwas passiert.“ Er sah Dave an.

„Mom, Sandra hat Josie entführt“, sagte der.

Er erzählte seiner Mutter erneut, was alles passiert war.

Ungläubig riss Marjory die Augen auf und schlug die Hände vor den Mund.

„Oh Gott!“, rief sie aus. „Das arme Kind! Hoffentlich stößt ihr nichts zu!“

Sie stellte die gleichen Fragen wie John, die gleichen Fragen, die auch Dave sich seit gestern stellte.

Keine davon ließ sich wirklich beantworten, weil er einfach nichts wusste. Er wiederholte nur, was Dr. Sumner und die Polizisten gesagt hatten, doch auch die hatten nur Vermutungen geäußert.

„Und dir muss es ja furchtbar gehen“, meinte Marjory plötzlich.

„Das schlimmste ist, dass ich gar nichts tun kann. Ich nehme an, dass ich noch aufs Revier muss, um eine richtige Aussage zu machen. Aber sonst kann ich nur abwarten. Zum Glück habe ich Rose, sie kümmert sich wirklich rührend um mich. Momentan schlafe ich bei ihr. Zu Hause würde ich es nicht aushalten.“

„Wer ist Rose?“, fragte Marjory.

Dave runzelte die Stirn. Hatte er seinen Eltern wirklich nichts von ihr erzählt?

„Rose ist meine Freundin“, erklärte er. „Ich kenne sie schon länger, Josie ist mit ihrer Tochter befreundet. Wir waren früher nur gute Freunde, zusammen sind wir erst seit zwei Wochen.“

„Vielleicht hast du uns deshalb noch nichts von ihr erzählt“, meinte sein Vater.

„Ich habe ein paar Fotos von ihr auf dem Handy.“

Natürlich wollten seine Eltern sie sehen und er zeigte ihnen die Fotos, die in den letzten Wochen entstanden waren.

Bilder von ihrem Zoobesuch, vom Strand und von Roses Haus.

Marjory und John waren sich einig, dass sie nett aussah.

„Bring sie doch mal mit her“, meinte seine Mutter, dann beeilte sie sich, hinzuzufügen: „Natürlich erst, wenn alles mit Josie ausgestanden ist.“

Sie blieben noch eine Weile im Laden. Bevor sie gingen, kaufte Dave einen kleinen Blumenstrauß für Rose.

Er blieb auch nicht mehr lang bei seinem Vater, er hatte Rose versprochen, Melissa vom Kindergarten abzuholen.

Auf dem Weg dorthin versuchte er, nicht ständig an Josie zu denken, doch es fiel ihm ziemlich schwer. Erst, als er beim Überholen eines Trucks fast ein anderes Auto rammte, riss er sich zusammen.

Schließlich erreichte er aber den Kindergarten heil und gesund.

Natürlich war es komisch für ihn, wieder hier zu sein, wo das ganze Drama angefangen hatte.

Jeder, der ihm begegnete, schien zu wissen, was passiert war. Miss Janice erkundigte sich besorgt nach dem Stand der Dinge. Sie bekam das gleiche zu hören, das er auch schon seinen Eltern gesagt hatte.

Dann nahm er Melissa in Empfang und machte, dass er fort kam.

Als sie beim Haus ankamen, war es gerade ein Uhr.

Melissa hatte im Kindergarten schon gegessen, also bereitete er sich nur ein paar Sandwiches zu und legte ein paar auf einem Teller in den Kühlschrank, damit Rose auch gleich etwas essen konnte wenn sie kam.

„Was sollen wir jetzt machen?“, fragte Dave Melissa.

Melissa zuckte mit den Schultern. „Die Katzen versorgen?“, meinte sie zweifelnd.

So richtig Lust schien sie nicht gerade zu haben.

„Wenn wir das erledigen, freut sich deine Mutter bestimmt“, sagte Dave.

Das spornte Melissa wieder an und sie machten sich an die Arbeit.

Sie reinigten das Katzenklo, spülten die Näpfe aus und gaben Pebbles und Bam Bam Futter.

Es dauerte gar nicht lang und Dave erbot sich, mit Melissa ein paar Seiten in einem Lese- und Spielbuch für Vorschüler durchzuarbeiten.

Er verglich insgeheim Melissas Art, zu arbeiten mit der von Josie.

Während Josie immer erst mal bockte und behauptete, sie wisse nicht, wie es geht, betrachtete Melissa eingehend die Seite und dachte über die Aufgabe nach, die Dave ihr vorlas.

Dann versuchte sie die Aufgabe zu lösen und blieb auch dann bei der Sache, wenn sie beim ersten Mal falsch lag.

Dave hoffte, dass Josie sich das auch bei Melissa abguckte, wie sie sich auch schon andere gute Eigenschaften abgeguckt hatte.

Dann fiel ihm wieder ein, dass seine Tochter fort war und er nicht wusste, ob er sie je wieder sah.

Sofort fühlte er sich schuldig, weil er Josie mit Melissa verglich.

Als Rose um kurz nach zwei von der Arbeit heimkehrte, war er erleichtert.

Melissa nahm ihre Mutter gleich in Beschlag und berichtete ihr, dass sie schon mit Dave die Katzen versorgt und gelernt hatte.

Rose freute sich und gab erst ihrer Tochter und dann Dave einen Kuss, wobei der Kuss für Dave natürlich etwas länger ausfiel.

Dave revanchierte sich mit den Sandwiches, die er hervorzauberte.

Sie setzten sich an den Esstisch und Dave ließ Rose von ihrem Tag erzählen.

Sie redete im Allgemeinen nicht besonders viel über die Arbeit, deshalb dauerte es nicht lange, und Rose wusste nichts mehr zu berichten.

„Was hast du denn so gemacht?“, fragte sie Dave.

„Ich war drüben in Marina bei meinen Eltern. Ich musste ihnen persönlich sagen, was passiert ist, bevor sie es aus dem Fernsehen erfahren.“

„Ja, natürlich. Wie haben sie reagiert?“

„Naja, besorgt natürlich. Sie waren sehr betroffen und wollen auf dem Laufenden bleiben.“

Dave erinnerte sich plötzlich an den Blumenstrauß, den er für sie gekauft hatte.

„Ich hab dir was mitgebracht“, sagte er und eilte in den Waschraum, wo er die Blumen vorläufig in Wasser gestellt hatte.

Rose freute sich über den hübschen Strauß.

„Oh, danke! Der ist aber süß!“

„Freut mich, dass er dir gefällt. Nur ein kleines Dankeschön.“

Sie suchte eine Vase aus ihrer Vitrine aus, in die er gut passte und stellte ihn ins Wohnzimmer.

„Da fällt mir ein, du weißt ja noch gar nicht, dass die Polizei schon was Neues wusste. Sie haben raus gefunden, dass Sandra ein Auto auf ihren Namen zugelassen hat. Sie suchen jetzt auch bis in die Nachbarstaaten nach ihr. Der Cop meinte, dass sie mit dem Nummernschild schon viel anfangen können.“

Rose nickte. „Das hört sich ganz gut an, oder?“, fragte sie.

Dave zuckte mit den Schultern. „Ich weiß es nicht. Dass sie ein Auto hat, macht auch ihre Möglichkeiten wesentlich größer. Sie war ja schon stundenlang unterwegs, als die Fahndung richtig begann. Sie hätte zum Beispiel nach Arizona fahren können und von dort aus mit Josie in den nächsten Flieger Gott weiß wohin nehmen können. Offensichtlich ist sie ja irgendwie zu Geld gekommen. Aber ich bin sicher, dass die Polizei das irgendwie überprüfen kann.“

Rose wusste nicht, was sie darauf sagen sollte. Alles erschien so trostlos und es gab nichts, das man tun konnte außer zu warten.

Wenn sie sich schon so furchtbar um Josie sorgte, wie musste es dann erst Dave gehen?

Sie wusste genau, dass er nicht so ruhig war, wie er sich den Anschein gab.

Seine Hand bewies es, die immer noch recht demoliert aussah.

Dave nahm Roses Hand. „Wenn du nicht wärst, würde ich wahrscheinlich verrückt werden“, sagte er leise, bevor er sie küsste.

Als sie beide wieder zu Atem gekommen waren, meinte Dave: „Weißt du was? Wir könnten doch trotzdem in den Baumarkt fahren und die Sachen holen, die wir für den Spielplatz brauchen. Ich weiß nicht, wohin mit mir, ich kann ja nicht den ganzen Tag nur dasitzen und warten, dass ich einen Anruf bekomme. Ich hätte dann morgen wenigstens was zu tun.“

Rose war einverstanden.

Sie riefen Melissa und fuhren los.

Dave war froh, eine gute Ablenkung gefunden zu haben. Im Baumarkt war er ganz in seinem Element, er prüfte fachmännisch die Dicke und die Qualität der Materialien und der Werkzeuge, bevor er sie in den Wagen legte.

Melissa, die normalerweise für einen Einkauf im Baumarkt nicht zu begeistern war, plapperte fröhlich drauflos und fragte bei jedem Teil, das Dave in die Hand nahm, für was es gut sei und was damit gebaut werden sollte.

Rose war froh, dass Dave nun wenigstens etwas hatte, mit dem er sich ablenken konnte. Er hatte ja recht, man konnte nicht einfach warten, man musste etwas mit seiner Zeit anstellen.

An der Kasse erbot sich Dave, die Hälfte zu übernehmen.

„Aber nein“, meinte Rose, „wieso denn? Du machst sowieso schon so viel. Die meiste Arbeit wirst ja bestimmt du haben.“

Dave bestand darauf. „Wenn du willst, dann behalte ich die Geräte, wenn alles fertig ist, aber ich will auch was dazu beitragen, es war ja schließlich meine Idee.“

Rose gab sich geschlagen.

Jeder bezahlte zweihundert Dollar und von dem restlichen Geld holten sie ein paar Burger und Fritten als Abendessen.

Als sie wieder bei Rose ankamen, war es schon zu spät, um gleich mit dem Graben anzufangen, doch Dave legte sich in der Garage schon alles zurecht, was er am nächsten Tag so brauchte.

Melissa war ziemlich nervös, Rose musste sie einige Male ermahnen, sich zum Schlafen fertig zu machen.

Als sie dann endlich im Bett lag, setzte sich Rose noch zu ihr.

„Mommy, meinst du, dass es Josie gut geht?“, fragte ihre Tochter.

„Bestimmt, mein Schatz. Auch, wenn Sandra sie nicht einfach mitnehmen durfte, ist sie ja trotzdem Josies Mutter und wird bestimmt gut auf sie aufpassen.“

Melissa war noch klein genug, um die Welt in Schwarz und Weiß aufteilen zu können.

Eltern, Polizisten, Lehrer und der Nikolaus sind stets gut, wogegen Fremde, die einem Süßigkeiten andrehen wollen und Hexen immer böse sind.

Rose wollte ihr die Illusion noch nicht rauben, das Leben würde es früh genug tun.

Wie erwartet, war Melissa mit der Erklärung zufrieden.

„Ja, du hast recht, Mommy.“

Beruhigt legte sie ihren Kopf auf das Kissen.

Rose küsste sie auf die Stirn und verließ dann das Zimmer.

Unten wartete schon Dave mit zwei Gläsern Wein auf sie.

„Oh, danke“, sagte Rose, als sie sich neben ihn auf das Sofa setzte und ihm ein Glas abnahm.

„Sollen wir sehen, was im Fernsehen läuft?“, schlug Rose vor.

Dave nickte. Rose kuschelte sich an ihn und schnappte sich die Fernbedienung.

Es liefen einige Filme, doch sie konnten sich nicht so recht einigen.

Rose wollte „In Time“ sehen, Dave war für „300“.

Schließlich einigten sie sich auf einen Roast auf Comedy Central, diesmal war David Hasselhoff an der Reihe.

Sie lachten und gaben ihrerseits spitze Bemerkungen von sich, die sich durchaus mit denen der Roaster messen konnten.

Als die Sendung fertig war, lief eine Wiederholung von „Friends“ und Rose merkte plötzlich, wie müde sie war.

„Willst du das noch sehen? Ich denke, ich gehe langsam ins Bett“, meinte sie.

„Nein, ich bin auch müde.“

Sie schalteten den Fernseher aus und gingen nach oben.

Nachdem sie sich beide schnell geduscht hatten, schlüpften sie unter die Decken.

Roses Haar war noch nass und klebte an ihrer Schulter.

Dave schob es beiseite und nahm sie in seinen Arm.

Er begann, sie sanft zu streicheln und Rose rückte unwillkürlich näher an ihn heran.

Doch sie wollte ihn zu nichts drängen, deshalb hielt sie ihre eigenen Hände im Zaum.

Als seine Liebkosungen zielstrebiger wurden, ging ihre Zurückhaltung zum Teufel und sie liebten sich leidenschaftlich.

Hinterher lagen sie noch wach da und Dave fing an, zu reden.

„Weißt du, ich wünschte, ich wüsste wenigstens, ob es Josie gut geht. Diese Ungewissheit frisst mich jetzt schon auf, dabei ist sie noch nicht mal zwei Tage fort. Wenn ich an all die Eltern denke, die ich schon in den Nachrichten gesehen habe. Manche Kinder tauchen gar nicht mehr auf. Und die Eltern leben dann für immer mit diesem Hauch von Hoffnung, bis zu ihrem Tod. Das ist grausam.“

Seine Stimme hing noch im Raum und Rose zögerte einen Moment, ehe sie etwas sagte.

„Ich bin sicher, dass du nicht zu diesen Eltern gehörst. Du wirst Josie bestimmt wieder bekommen. Sandra ist zwar durchgedreht, aber sie wird Josie nichts antun. Ich kenne sie nicht persönlich und weiß nicht, ob sie fähig wäre, ihr wirklich zu schaden, aber ich weiß, dass sie auf dich fixiert ist. Es geht ihr nicht um Josie, sondern um dich. Ich denke, dass Dr. Sumner recht hat. Sie will dir etwas beweisen und riskiert alles, um diese letzte Chance zu nutzen. Solange sie glaubt, dass noch ein Fünkchen Hoffnung besteht, wird sie Josie nichts tun.“

Rose hatte leise gesprochen, doch Dave war beeindruckt von ihrer festen Überzeugung, die er heraushörte.

„Weißt du, was mich nur wirklich irritiert? Dass das Leben trotzdem weitergeht. Ich müsste doch weinend dasitzen und das Telefon bewachen, ich dürfte an nichts Freude haben, weder am Essen, noch am Wein und erst recht nicht am Sex. Und trotzdem schmeckt es mir ausgezeichnet, und zwar alles davon. Ich habe irgendwie ein schlechtes Gewissen deshalb.“

Das war es also, was ihn bedrückte.

„Oh, aber das brauchst du nicht. Stell dir vor, du würdest nichts essen und nicht schlafen und nie für ein bisschen Entspannung sorgen. Dann wärst du in ein paar Tagen ein Wrack und hättest keine Kraft, um dich zu freuen, dass Josie wieder da ist.“

Dave stellte sich vor, wie er, klapperdürr und mit tiefen schwarzen Schatten unter den blutunterlaufenen Augen, Josie in seine Arme schloss.

Er lachte. „Ja, du hast recht. Und ich hätte dann auch keine Kraft mehr, um Sandra zu erwürgen.“

„Ich würde es eher so aussehen lassen, als hätte sie sich selbst gerichtet“, meinte Rose.

„Gewisse Kreise würden sich bestimmt um dich reißen“, gab Dave zurück.

„Ich habe leider keine Kontakte, das Geld könnte ich nämlich gut gebrauchen.“

„Ich kann dir meine Schwester vorstellen.“

Rose prustete los. „Wow, jetzt hast du dich selbst gedisst.“

Sie unterhielten sich noch eine Weile, doch bald wurde Rose müde und schlief ein.

Dave lag noch länger wach und dachte an Josie, die jetzt Gott weiß wo war.

 

 

43.: Ein entscheidender Anruf

 

Am nächsten Morgen rief Dave gleich bei der Polizei an.

Sie teilten ihm mit, dass Sandra an einer Tankstelle vor Fresno gesehen worden war.

Da sie wussten, dass Sandra einige Zeit dort gelebt hatte, konzentrierte sich ihre Suche nun in diese Richtung.

Sie hatten noch ein paar Fragen an ihn und baten ihn, ins Präsidium zu kommen.

Darauf hatte Dave schon gewartet.

Er sollte erst um fünfzehn Uhr erscheinen, also hatte er noch eine Menge Zeit, um Melissa in den Kindergarten zu bringen und in seine Wohnung zu fahren, um sich frische Wäsche zu besorgen und nach der Post zu sehen.

Vielleicht könnte er sogar schon mit dem Spielplatz anfangen, wenn er sich beeilte.

Melissa war ziemlich pflegeleicht, was das Frühstück und das Anziehen betraf, so dass er sogar früher als geplant mit ihr aus dem Haus ging.

Natürlich wollten alle im Kindergarten wissen, ob es schon etwas neues gab, doch Dave hatte keine Lust, jetzt näher auf alles einzugehen, deshalb sagte er nichts genaues.

Kaum war er wieder draußen, da saß er auch schon im Auto und war auf dem Weg nach Hause.

In seiner Straße war ungewöhnlich viel los, überall standen Autos und Busse, in denen Leute saßen.

Dave fragte sich, was das zu bedeuten hatte. Als er vor seinem Haus hielt und ausstieg, erfuhr er es sogleich.

Aus allen Richtungen schossen die Menschen aus ihren Autos hervor und rannten auf ihn zu.

Sie trugen riesige Mikrofone und Kameras, andere hatten kleinere Mikrofone dabei.

„Mr. Simmons! Mr. Simmons!“ riefen einige. „Wissen Sie schon etwas Neues über den Aufenthaltsort Ihrer Tochter?“

Eine schlanke Frau mit braunen Haaren fragte: „Wie stark ist die Gefährdung, die von Ihrer Frau ausgeht?“

Ein junger Mann im flotten Anzug hielt ihm sein Mikro entgegen. „Weshalb waren Sie nicht zu Hause?“ fragte er, als ginge es ihn etwas an.

Aus der Nähe konnte Dave die Aufschriften auf den Mikrofonen erkennen.

Kanal Neun, Kanal Sechs, California News.

Reporter! Bei ihm! Dave war schockiert über das Aufgebot und wusste sich nicht anders zu helfen, er rannte an die Haustür und schloss auf.

Drinnen lehnte er sich einen Moment lang gegen die Tür, als erwarte er, dass sie eingetreten wurde.

Dann wandte er sich dem Briefkasten zu.

Darin lag jede Menge Werbung, ein paar Speisekarten von Pizza-Services und ein Brief von seiner Autoversicherung.

Er schloss seine Wohnungstür auf und schlüpfte durch die Tür.

Alles war still, bis auf das Ticken der Wanduhr im Wohnzimmer, das er hören konnte.

Dave begutachtete den Schaden, den er angerichtet hatte und schüttelte den Kopf über sich selbst.

Dann ging er ins Wohnzimmer und öffnete den Brief.

Es war ein Angebot für ein Zusatzpaket, das er nicht brauchte.

Dave nahm das Telefon zur Hand. Er hatte jede Menge verpasste Anrufe auf dem Display, die meisten davon von Nummern, die er nicht kannte.

Auf der Mailbox waren auch Nachrichten, Dave hörte sie ab, in der unbestimmten Hoffnung, eine Nachricht von Sandra oder Josie darauf zu haben.

Die meisten Nachrichten kamen von der Presse, alles Angebote für Interviews.

Dann gab es ein paar Nachrichten, bei denen der Anrufer gleich wieder aufgelegt hatte.

Eine Nachricht kam von einem Mann, der nur sagte, dass er dringend mit Dave reden müsse. Er hatte seine Nummer auf dem Band hinterlassen.

Einige Nachrichten später war der gleiche Mann zu hören.

„Mr. Simmons, bitte rufen Sie mich an, es ist sehr dringend. Ich habe schon ein paar mal angerufen und niemanden erreicht. Bitte, wenn Sie das hören, rufen Sie mich an. Es könnte sein, dass ich weiß, wo Ihre Tochter ist.“

Er hatte wieder seine Nummer hinterlassen, diesmal schrieb Dave sofort mit.

Sein Herz klopfte wie wild, er konnte es in seinem Kopf dröhnen hören.

Er legte auf und pfiff auf die Nachrichten, die noch kommen könnten.

Das hier war wichtiger. Dave wählte mit zittrigen Fingern die Nummer, die auf dem Papier stand. Es war eine Handy-Nummer, also würde bestimmt jemand dran gehen.

Nach dem dritten Klingeln hörte Dave ein Knacken, dann: „Hallo?“

Es war die gleiche Stimme wie auf dem Anrufbeantworter.

Dave versuchte, etwas zu sagen, doch plötzlich war sein Hals ganz trocken.

Er räusperte sich. „Ja, hallo, Dave Simmons am Apparat. Ich habe eine Nachricht von Ihnen bekommen. Es geht um...“

Er kam nicht dazu, weiter zu sprechen, der Mann am anderen Ende der Leitung unterbrach ihn.

„Ja, ich weiß, ich habe bestimmt zehn mal angerufen. Sie sind nicht leicht ans Rohr zu kriegen.“

Dave wusste nicht genau, ob darauf eine Antwort erwartet wurde, also blieb er stumm.

„Mein Name ist Gary Ingalls. Ich weiß nicht, ob Ihnen mein Name was sagt...“

Diesmal kam er nicht dazu, auszusprechen. Dave unterbrach ihn.

„Ich weiß, wer Sie sind. Sandra hat mir alles über Sie erzählt. Sie sind der Mann, der sie vergewaltigt hat.“

Dave wusste nicht, was das alles sollte. Wie kam dieser Kerl, der aus Sandra gemacht hatte, was sie war, dazu, ihn anzurufen?

Die Stille am anderen Ende der Leitung währte nur kurz.

„Mr. Simmons, ich weiß, dass ich als Vergewaltiger verurteilt wurde und dass mich das nicht gerade glaubwürdig macht. Aber es war nicht ganz so, wie Sandra es damals dargestellt hat. Es soll keine Entschuldigung sein, denn Sandra war damals minderjährig, aber es war keine Vergewaltigung.“

Er ließ diese Worte auf Dave wirken.

„Wie meinen Sie das?“

„Ganz einfach. Sandra war vielleicht erst vierzehn, aber sie hatte es faustdick hinter den Ohren. Ich war nur einer in einer langen Reihe von Kerlen, alt oder jung, mit denen sie damals etwas hatte. Ich hoffe, ich trete ihnen nicht zu nahe, immerhin haben Sie sie geheiratet.“

Dave dachte unwillkürlich an das Geld, das Sandra irgendwie aufgebracht hatte, um sich ein Auto zu kaufen und ihre wahnsinnige Aktion zu finanzieren.

„Mr. Ingalls, ich weiß gerade nicht, was ich denken soll“, gab er zu.

„Das heißt, dass Sie genügend Zweifel an Sandra haben, um mir kurz zuzuhören.“

Das klang ziemlich logisch. „Ja, gut.“

„Ich erkläre Ihnen nur ganz kurz, was damals war, es ist lange her und ich habe weiß Gott genug für meine Dummheit gebüßt. Glauben Sie mir, als Vergewaltiger hat man im Knast nichts zu lachen. Jedenfalls war es so: Ich war eine Weile mit Sandras Mom zusammen, ich schlief oft bei ihr. Manchmal hatte sie einen Job, bei dem sie früh raus musste. Ich hatte damals keinen Job und lag oft noch ziemlich lange im Bett. Eines Morgens schlüpfte Sandra unter die Decke und fing an, an mir rum zu spielen. Am Anfang merkte ich es wirklich nicht, dass sie es war. Ich soff damals ziemlich viel und war noch im Tran. Und als ich es merkte, konnte ich mich nicht mehr beherrschen. Und ich schwöre bei Gott, dass sie es wollte. Und zwar immer wieder. Ich hatte ein schlechtes Gewissen wegen ihrer Mutter und weil sie noch so jung war, aber sie provozierte mich immer wieder so sehr, dass wir es bestimmt drei oder vier mal in der Woche machten. Als ich dann endgültig einen Schlussstrich zog, drohte Sandra mir, dass sie alles ihrer Mutter sagen würde. Ich glaubte nicht, dass sie es durchziehen würde. Immerhin hatte sie ja damit angefangen. Dass sie es als Vergewaltigung darstellen würde, hätte ich damals nicht geglaubt. Ich habe sieben Jahre gesessen.“

Als die Pause nach seinen Worten länger wurde, sagt Dave: „Ich glaube Ihnen. Ich weiß nicht warum, aber ich glaube Ihnen.“

„Gut. Möchten Sie wissen, warum ich glaube, dass ich weiß, wo ihre Tochter ist?“

„Natürlich.“

„Ich habe noch Kontakt mit Sandras Mutter. Oder besser gesagt wieder. Sie hat mir erzählt, dass Sandra immer zu ihr kam, wenn sie wieder Scheiße gebaut hatte. Und zwar solange, bis sie Sie kennenlernte. Ich denke, Sandra hat niemanden sonst auf der Welt, zu dem sie gehen könnte als ihre Mutter.“

„Meinen Sie? Sie hat seit Jahren kaum mit ihr gesprochen. Ich selbst habe sie nie kennengelernt.“

„Sie ist ihre Mutter“, sagte Gary Ingalls schlicht.

„Und wo genau lebt ihre Mutter? In Fresno?“ fragte Dave.

„Östlich von Fresno ist ein großer See, der Millerton Lake. Dort gibt es ein Gebiet mit Hotels, Promenaden und Restaurants. Sandras Mutter hat dort ein Motel. Es heißt Dennison Motel. Die Gegend heißt Dumna Cove.“

Dave schrieb alles mit und fragte: „Wie kann ich Ihnen jemals danken?“

„Sorgen Sie dafür, dass Sandra eingesperrt wird, das ist schon genug.“

Sie legten auf.

Dave wählte gleich die Nummer der Polizei und erzählte von dem Gespräch.

 

 

44.: Die Maske fällt

 

Josie tollte im Wasser herum, während Sandra sich mit einem Eisverkäufer unterhielt, der ihr schöne Augen machte.

Sandra genoss es wie immer sehr, bewundert zu werden und flirtete mit dem jungen Mann.

„Es muss schwierig sein als alleinerziehende Mutter“, bemerkte er gerade.

„Es ist wirklich ziemlich anstrengend“, sagte Sandra mit einem Blick Richtung Wasser.

„Aber es war die richtige Entscheidung. Ich konnte es Josie nicht mehr länger zumuten.“

Sie brach ab, als hätte sie zu viel verraten und senkte den Kopf.

Als sie wieder aufblickte, seufzte sie und meinte lächelnd: „Und wenn ich auch nicht viele Gelegenheiten habe, mal zu entspannen, genieße ich doch jede Minute in Freiheit.“

Der Eisverkäufer blickte diese schöne junge Frau an und fragte sich, was sie wohl schon alles durchgemacht hatte.

Er wusste nicht so genau, was er sagen sollte, deshalb lächelte er nur und meinte: „Das ist schön.“

Sandra schenkte ihm ein hinreißendes Lächeln und strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht.

Sie trug einen chicen schwarzen Bikini und hatte einen Pareo so um die Hüfte gewickelt, dass der Schlitz ihr linkes Bein freigab.

Sie wusste genau, wie sie ihre Reize betonen musste.

„Aber lassen wir das, Matt,“, sagte sie, „es gibt schönere Themen als die Vergangenheit. Vielleicht können Sie mir ein paar Tipps geben, was ich hier noch so mit meiner Tochter unternehmen kann.“

Matt überlegte und sagte dann: „Naja, der See ist hier in der Gegend schon so ziemlich das beste, was wir für die Freizeit haben. Es gibt hier viele Angebote. Tretboot-Fahren, Ruderboot fahren, Wakeboarding, aber das ist eher noch nichts für Ihre Tochter..“

„Und was kann man abends so machen? Gibt es hier Clubs oder Bars?“ fragte Sandra.

„Ja, natürlich, auf der Promenade gibt es Cocktail-Bars, Cafés und Clubs. Es gibt auch ziemlich viele Restaurants.“

Natürlich wusste Sandra ziemlich viel über die Gegend. Im weiteren Kreis existierte tatsächlich nichts außer dem See und den kleineren Seen mit ihren Vergnügungs-Anlagen.

Ihr gefiel es einfach, sich mit dem jüngeren Mann zu unterhalten und zu flirten.

Josie kam aus dem Wasser und rannte auf ihre Mutter zu.

„Mommy, sieh mal, was ich gefunden hab!“ rief sie fröhlich.

Sie hielt ihr einen glatten, schwarzen Stein entgegen, der in der Sonne glitzerte.

„Oh, der ist aber schön“, meinte Sandra.

„Mommy, ich krieg langsam Hunger.“

„Okay, wir gehen erst ins Motel und machen uns frisch, dann suchen wir ein nettes kleines Lokal.“

An Matt gewandt, sagte Sandra: „Nun, ich denke, dass wir morgen auch wieder hier sein werden. Arbeiten Sie auch morgen?“

Der junge Mann lächelte und sagte: „Ja, ich bin morgen auch wieder hier. Also sehen wir uns dann?“

„Na klar, wenn es nicht regnet kommen wir wieder hier her.“

Sie lächelte ihm nochmal zu, dann ging sie mit Josie wieder zu ihrem Platz, sammelte ein, was herumlag und stopfte alles in die Tasche, die sie mitgebracht hatten.

Josie zog sich ein T-Shirt über, nachdem sie sich notdürftig abgetrocknet hatte und schlüpfte in ihre Sandalen.

So gingen sie die zehn Minuten Fußweg zurück ins Motel.

Als sie in ihrem Zimmer ankamen, hing ein Zettel an der Tür.

Sandra las, was darauf stand: Komm rüber ins Büro, wenn du da bist. Allein.

Sonst stand da nichts. Sie schloss auf.

„Mommy, was steht da?“ fragte Josie.

„Ich soll mal kurz ins Büro kommen. Geh du doch schon mal und such dir was zum Anziehen raus, ich bin gleich wieder da.“

Josie öffnete gehorsam die Reisetasche und Sandra schloss die Tür wieder.

Sie ging an der langen Reihe von Türen vorbei zu dem Büro.

Drinnen saß wieder die ältere Frau, Sandras Mutter, an der Rezeption, sie las in einem Magazin und schaute erwartungsvoll auf, als sie die Tür hörte.

„Guten Abend“, sagte Sandra.

„Hallo. Komm zu mir und setz dich, ich muss mit dir reden“, sagte ihre Mutter.

Sandra gehorchte. Hinter dem Tresen war nur wenig Platz, mit den zwei Stühlen war es richtig eng.

Normalerweise stand der Stuhl, auf dem sie saß, zusammengeklappt an der Wand, wie sie wusste.

„Was gibt es denn so dringendes? Josie ist ganz alleine drüben.“

„Halt's Maul“, entgegnete die Ältere unwirsch. „Hör lieber gut zu, was ich zu sagen habe. Du bist berühmt, Schätzchen. Dein und Josies Gesicht sind auf allen Kanälen. Du bist aus der Klapse abgehauen und hast dein Kind entführt, ja? Dumm genug. Hierher zu kommen ist noch dümmer. Was glaubst du, wie lange es dauert, bis die Bullen hier auftauchen? Die haben heutzutage Computer, die finden sofort raus, wo du herkommst und dann finden sie mich und dann ist dein Spiel aus. So wie sie sagen, haben sie die Grenzen schon abgesichert und in den Nachbarstaaten wird auch nach dir gefahndet.“

Sandra schloss die Augen. „Sie suchen also landesweit nach mir. Okay. Mach dir keine Sorgen Mom, so schnell finden sie mich hier nicht. Ich habe nicht umsonst mit zwanzig meinen Namen geändert. Ich denke, wenn ich morgen früh abhaue, ist es immer noch früh genug.“

Entgeistert starrte ihre Mutter sie an. „Spinnst du? Du packst noch heute deine Sachen zusammen und verschwindest hier. Hoffentlich kriegen sie dich und sperren dich weg. Und jetzt mach, dass du mir aus den Augen gehst.“

Sandra erhob sich und ging wortlos zur Tür.

Als sie wieder in ihrem Zimmer war, saß Josie fertig umgezogen auf dem Sofa. Sie hatte den Fernseher eingeschaltet.

Sandra setzte sich auf die Lehne.

„Josie, es gibt ein Problem mit dem Zimmer. Wir müssen hier fort. Die Besitzerin hat mir eben gesagt, dass es hier Ungeziefer gibt. Sie muss alle Leute wegschicken und dann kommt der Kammerjäger.“

Josie sah sie an. „Und wohin gehen wir jetzt? Müssen wir jetzt wieder nach Hause fahren?“

Sandra lächelte und sagte: „Mal sehen, ob wir in der Gegend noch ein Plätzchen finden.“

Allerdings bezweifelte sie das. Die Leute sahen alle fern oder informierten sich im Internet.

Wenn sie jetzt losziehen würde, um ein Zimmer für die Nacht zu suchen, würde sie bestimmt schnell eines hinter Gittern angeboten bekommen.

Sie ging ins Bad und sammelte alles ein, das ihr oder Josie gehörte. Dann warf sie alles in ihre Tasche und ging zurück ins Zimmer, um mit der Wäsche weiter zu machen.

„Soll ich was helfen, Mommy?“ fragte Josie.

„Nein, es ist besser, du bleibst da sitzen und rührst dich nicht. Das fehlt mir noch, dass du jetzt hier anfängst, zu packen“, sagte Sandra unwirsch.

„Mommy, was ist denn los?“ fragte Josie, nun ängstlich.

„Ruhe jetzt! Ich will hier keine Minute länger bleiben.“

Ihre Rolle als perfekte Mutter hatte Sandra voll und ganz vergessen.

Josie rutschte tiefer in die Polster und bewegte sich nicht. Sie verstand nicht, warum ihre Mutter plötzlich so aufgebracht war und warum sie sich wieder so verhielt wie früher, als sie noch bei ihnen gewohnt hatte.

Plötzlich klopfte es.

Sandra fuhr herum. „Josie, geh noch mal ins Bad, bevor wir gleich losfahren“, wies sie ihre Tochter an.

Josie musste zwar nicht, aber so, wie ihre Mutter gerade gelaunt war, hörte sie lieber, bevor sie richtig sauer wurde.

Sie ging ins Bad und schloss die Tür hinter sich.

Wieder klopfte es, diesmal lauter.

Sandra holte aus ihrer Handtasche eine kleine Pistole und steckte sie sich in den Bund ihrer Bikinihose, den Pareo drapierte sie so, dass man sie nicht sehen konnte. Dann öffnete sie die Tür, in der Erwartung, ihre Mutter vor sich zu haben, die sie zur Eile antreiben wollte.

Statt dessen stand Dave vor ihr. Sie verharrte mitten in der Bewegung, unsicher, ob sie die Tür wieder zuschlagen sollte.

Doch Dave kam ihr zuvor und stellte einen Fuß in die Tür.

„Sandra, wo ist Josie?“ fragte er sofort, als er sie nirgends im Zimmer entdecken konnte.

Er ignorierte den Kloß, den er augenblicklich im Hals verspürte.

Statt zu antworten, trat Sandra zur Seite und ließ ihn eintreten.

„Sandra, antworte mir, oder ich schwöre bei Gott, dass du es bereuen wirst“, sagte Dave, diesmal etwas lauter.

„Josie geht es gut. Sie ist im Bad“, sagte sie ruhig. „Ich habe mich gut um sie gekümmert.“

Dave wusste nun, dass Dr. Sumner und Rose richtig gelegen hatten. Er erlaubte sich trotzdem kaum, erleichtert auszuatmen, denn noch hatte er seine Tochter nicht gesehen und Sandra war gleich auf den ersten Blick erkennbar verwirrt.

„Ich hole sie jetzt“, sagte er.

„Nein Dave, erst haben wir beide ein Gespräch. Das schuldest du mir.“

Dave konnte kaum glauben, wie dreist sie war, er fand keine Worte, also sprach Sandra weiter:

„Erst mal bin ich schon zufrieden, wenn du mir zuhörst. Du hast die Polizei eingeschaltet. Das war beschissen von dir. Immerhin bin ich Josies Mutter, dachtest du, ich würde ihr was tun? Ich hätte mich in zwei Tagen sowieso bei dir gemeldet. Ich wollte dir nur beweisen, dass ich mich ändern kann. Ich habe die Verantwortung für Josie übernommen und mich gut um sie gekümmert. Du kannst sie fragen, sie hatte viel Spaß mit mir. Ich finde, ich habe eine Chance verdient.“

Dave, der wirklich so wütend war, dass er Sandra am liebsten erschlagen hätte, schrie sie an.

„Spinnst du vollkommen? Du durftest Josie nicht mal besuchen, ohne dass ich dabei gewesen wäre und da hast du gedacht, es wäre okay, sie einfach heimlich in einen netten kleinen Urlaub mitzunehmen?“

Sandra, die innerlich mit einem Ausbruch gerechnet hatte, lächelte.

„Ja, es war nicht nett, sie einfach mitzunehmen, ohne dir etwas zu sagen, aber du wärst ja doch nie einverstanden gewesen.“

„Natürlich nicht!“

„Aber es war auch nicht nett, mich einfach als Verrückte abzuschieben, damit man freie Bahn hat bei der Nächsten“, schleuderte sie ihm entgegen.

Josie, die im Bad fertig war und den Streit hörte, öffnete die Tür und sah ihren Vater.

„Daddy!“ rief sie aus und wollte auf ihn zueilen, doch Sandra hielt sie am Arm fest.

„Nicht so schnell! Du bleibst bei mir!“ schrie sie.

Dave wollte gerade auf sie zuspringen und ihr das Kind entreißen, das vor Angst anfing zu weinen.

Da holte Sandra mit der freien Hand die Pistole hervor und hielt sie Josie an den Kopf.

Dave prallte zurück.

„So ist es brav“, höhnte Sandra. „Vielleicht hörst du mir jetzt mal zu. Ich weiß nicht, ob du verstanden hast, warum ich das alles getan habe. Ich liebe dich, Dave. Und wenn ich dich nicht mehr haben kann, werde ich dafür sorgen, dass du in deinem Leben nicht mehr froh wirst, und wenn ich selbst dabei draufgehe. Ich hoffe, du verstehst jetzt, worauf ich hinaus will.“

Dave konnte nicht sprechen, sein Blick war starr auf die Waffe an Josies Kopf gerichtet. Er sah nicht einmal Josie, die leise weinte und die Augen fest geschlossen hielt.

Nur die Waffe existierte und die Hand, die sie hielt. Der Finger, der ruhig auf dem Abzug lag.

Er nickte.

Sandra entspannte sich etwas. „Gut. Du wirst jetzt also Folgendes tun: Du nimmst dein Handy und rufst diese kleine Schlampe an, die dich rum gekriegt hat und sagst ihr, dass es aus ist. Und zwar unmissverständlich. Dann werden wir zusammen zu unserer Wohnung fahren und ich gehe nicht wieder zurück in dieses beschissene Wohnheim.“

Ihr Gesicht hellte sich auf. „Oh, es wird ganz wundervoll werden. Wir werden wieder vereint sein und ich werde dir die Ehefrau sein, die du willst. Ich werde alles für dich tun, ich werde mich sogar bemühen, eine bessere Mutter zu sein. Du wirst sehen, du wirst es nicht bereuen.“

Sie kehrte zurück in die Wirklichkeit und sagte kalt: „Und jetzt ruf an.“

Dave unternahm einen schwachen Versuch: „Die Polizei sucht nach dir“, sagte er.

„Ja ich weiß, Schatz. Ist das nicht aufregend? Du hast ja bestimmt die Nummer, sag ihnen, es war alles ein Missverständnis.“

Dave hoffte inständig, dass Rose und die Polizei schlau genug waren, um zu merken, was los war.

Alleine konnte er erst was gegen sie ausrichten, wenn sie die Waffe ablegte, bis dahin war er machtlos. Er musste sich auf ihr Spiel einlassen und sie darin schlagen, das war seine einzige Chance.

„Okay. Ich rufe Rose an. Und auch die Polizei“, sagte er matt.

Sandra lächelte. „Gut.“

Dave holte sein Handy langsam aus seiner Hosentasche und wählte Roses Nummer.

Sie meldete sich nicht, vielleicht war sie gerade im Auto unterwegs. Als die Mailbox ansprang, tat Dave einfach so, als würde sie ihm antworten: „Hey, Rose. Ich bin's. Ich muss dir was sagen. Ich habe Sandra und Josie gefunden...Ja, Josie geht es gut...Hör mal, deswegen rufe ich gar nicht an. Ich rufe an, um dir zu sagen, dass es aus ist zwischen uns...Nein, sag jetzt nichts, lass mich ausreden...Sandra hat sich so toll um Josie gekümmert, ich habe mich in ihr getäuscht. Ich werde sie wieder mit zu mir nach Hause nehmen. Sie ist die Richtige für mich.“

Einer plötzlichen Eingebung folgend, rief er: „Wenn du das nicht verstehen kannst, hatte Sandra vielleicht doch recht, was dich betrifft!“ Er legte auf.

Sandra sah ihn unsicher an. „Was hat sie gesagt?“

Aus Mangel an Erklärungen sagte Dave nur: „Das will ich vor Josie nicht wiederholen.“

In Sandras Augen blitzte Triumph auf. Alles lief wie am Schnürchen für sie.

„Okay, jetzt ruf noch die Bullen an. Lass dir was einfallen“, wies sie ihn an.

Dave wählte die Nummer, die er gespeichert hatte.

„Ja, guten Abend, Dave Simmons am Apparat“, sagte er, als jemand ran ging.

„Ja, genau, die Entführung. Hören Sie, Sie können die Suche einstellen. Ich habe Sandra und Josie gefunden.“ Er lauschte.

„Ja, Josie geht es gut. Sandra hat sich gut um sie gekümmert. Deshalb rufe ich an. Sandra hat gedacht, dass ich Bescheid wüsste. Sie...sie hatte mir eine Nachricht hinterlassen, aber sie hatte nur meine alte Nummer. Sie hat also eigentlich gar nichts getan, im Gegenteil, sie hat mir bewiesen, dass sie eine gute Mutter ist und ich werde sie wieder bei uns zu Hause aufnehmen.“

Er hoffte, dass er dick genug aufgetragen hatte um einerseits Sandra zufriedenzustellen und andererseits den Cop am anderen Ende der Leitung stutzig werden zu lassen.

Sandra konnte die Antwort nicht hören, doch Dave atmete erleichtert auf.

Hilfe war auf dem Weg. Jetzt musste er Sandra nur so lange beschäftigen, bis sie gerettet waren.

Als er aufgelegt hatte, sah er Sandra an. „Wir sind frei“, sagte er, seine Worte sorgfältig wählend.

Sandras Augen leuchteten auf, sie ließ die Pistole sinken und ließ Josie los, die noch einige Sekunden mit fest geschlossenen Augen dastand, bevor sie sich ihrem Vater in die Arme warf.

Dave konnte es kaum glauben, dass er Josie endlich wieder hatte, und noch waren sie nicht außer Gefahr. Sandra hatte immer noch die Waffe und so gern Dave es auch glauben würde, er wusste, dass sie misstrauisch bleiben würde.

„Was tun wir jetzt?“ fragte Dave. Er versuchte, sie anzulächeln.

Sandra musste nicht lange überlegen. „Wir hauen aus diesem Drecksloch ab. Wir fahren nach Hause und dann verbringen wir einen netten Abend als Familie, bevor du und ich unsere Wiedervereinigung alleine feiern.“

Sie lächelte dabei so anzüglich, dass Dave unwillkürlich Schauer über den Rücken liefen, allerdings keine angenehmen. Er konnte nicht glauben, dass sie dachte, dass sie von nun an glücklich und zufrieden bis an ihr Lebensende zusammen leben würden. Wie stellte sie sich das denn vor? Nach diesem Tag würde Josie vermutlich eine Therapie brauchen. Nur eine Verrückte konnte wirklich glauben, dass er sie trotz der Pistole, mit der sie seine Tochter bedroht hatte, noch liebte.

An diesem skurrilen, fast gruseligen frühen Abend hatte Dave noch oft die Gelegenheit, sich zu fragen, wie verrückt Sandra wirklich war.

Sie benahm sich auf der Fahrt nach Hause, als wären sie gerade auf dem Rückweg von einem netten kleinen Familienausflug. Sie redete unaufhörlich von ihrem neuen Leben, verteilte Getränke und Sandwiches, die sie unterwegs gekauft hatten und versuchte, Dave und Josie zu Unterhaltungen zu animieren. Dabei lag die ganze Zeit über die Pistole auf ihrem Schoß.

Josie saß verstört hinten auf ihrem Kindersitz in Daves Auto. Sie gab nur verstockte Antworten, und das auch nur, wenn Sandra sie direkt ansprach. Sie sah ihre Mutter nicht für eine Sekunde an.

Dave sah, dass Josie furchtbare Angst hatte, doch er konnte nichts tun, um ihr sagen, dass alles gut werden würde. Sandra ließ ihn nicht aus den Augen.

Als die endlose, furchtbare Fahrt sich endlich ihrem Ende näherte, war es schon nach zehn. Josie war eingeschlafen, doch ab und zu wimmerte sie.

Sandra war endlich verstummt und Dave konnte sich auf die Straße konzentrieren.

 

 

45.: Showdown

 

Rose hatte den strikten Befehl erhalten, sich nicht der Wohnung zu nähern. Sie konnten nicht riskieren, dass Sandra sie sah.

Nachdem sie Daves Nachricht gehört hatte, wusste sie zunächst nicht, wie sie reagieren sollte. Ihr war zwar klar, dass er gezwungen worden war, sie anzurufen und Schluss zu machen, doch sie hatte keine Ahnung, was sie nun tun sollte.

Irgendwann rief sie das Revier an und erzählte den Cops von der Nachricht.

Dort wusste man bereits Bescheid und sie baten Rose, zu kommen.

Seitdem wartete Rose auf dem Revier darauf, dass es etwas Neues gab. Sie hatte mitbekommen, dass etliche Polizisten in der Nähe von Daves Wohnung postiert wurden. Sie wollten erst warten, ob irgendein Zeichen von Dave kam, der sich bemerkbar machen sollte, sobald sie eingreifen konnten.

Was passieren würde, wenn sie fertig waren mit warten, wusste Rose nicht genau, doch sie hatte genügend Filme gesehen, in denen Häuser umstellt wurden. Auch in den Nachrichten war so etwas oft zu sehen.

Mit einem flauen Gefühl im Bauch saß sie jetzt seit fast drei Stunden auf diesem Stuhl.

Sie war nur froh, dass sie daran gedacht hatte, Melissa bei Cleo unterzubringen. Sie hier dabei zu haben war ein furchtbarer Gedanke. Rose hatte noch nie so viele Junkies und Nutten auf einmal gesehen. Jedenfalls nicht mehr seit dem College.

Ansonsten herrschte hier die gleiche Atmosphäre wie in einem großen Warteraum eines Krankenhauses, wo die Angestellten beschäftigt hin und her eilen und die Patienten und Angehörigen nichts tun können als warten.

Rose blätterte in Zeitschriften, bis die gesamte Welt der Celebrities durchgekaut war.

Immerhin wusste sie jetzt, wer gerade zugenommen hat, wer sich in der Öffentlichkeit ungeschminkt gezeigt hat, wer welche Essstörung hat und wer betrügt oder betrogen wird.

Rose war wieder einmal froh, nicht berühmt zu sein.

Als sie gerade eine neue Zeitschrift nehmen wollte, diesmal eine mit Ideen für schöneres Wohnen, kam plötzlich ein bisschen Leben in die Bude.

Mehrere Polizisten stürmten in ein Büro, in dem der Chief saß und irgendwas in ein Mikrofon sagte.

Instinktiv wusste Rose, dass es um Dave ging.

Sie ließ das Büro nicht aus den Augen, versuchte in den Gesichtern zu lesen, doch sie sah nichts anderes als Anspannung.

 

Sandra war gerade ins Bad gegangen und Dave lag nackt und verzweifelt unter der Decke im Bett.

Er fühlte sich benutzt und beschämt, doch er hatte gar nichts anderes tun können.

Sandra hatte ihn zwar nicht direkt gezwungen, doch die Pistole hatte die ganze Zeit über auf dem Nachttisch gelegen und dieses Weib hatte jede seiner Bewegungen genauestens verfolgt.

Erst später war sie unvorsichtig geworden. Dave hatte sich schlafend gestellt und sie hatte die Gelegenheit genutzt, um duschen zu gehen.

Als Dave endlich das Wasser in der Dusche rauschen hörte, schlug er die Decke zurück, rannte nackt wie er war hinaus in den Flur und öffnete die Wohnungstür. Er stellte den kleinen Hebel um, der das Türschloss offen hielt, so dass man die Tür von außen einfach aufdrücken konnte.

Leise rannte er ins Zimmer zurück und schickte eine SMS an Rose. Er war sich ganz sicher, dass sie bei den Cops war und ihnen Bescheid sagen konnte.

Er schrieb nur: Sie können jetzt reinkommen.

Als die Nachricht draußen war, schaltete er sein Handy ab und legte sich wieder hin.

Als er gerade darüber nachdachte, sich wenigstens einen Slip anzuziehen, hörte das Wasser auf, zu rauschen.

Dave wartete ab, bis Sandra wieder das Zimmer betrat.

Als sie sich auf das Bett setzte, tat Dave so, als hätte sie ihn geweckt.

„Hey“, murmelte er, „wo willst du hin?“

Sandra sah ihn an. „Ich komme gerade aus der Dusche.“

„Oh, wie lang hab ich denn geschlafen?“

„Nicht lang, vielleicht eine halbe Stunde.“

Dave setzte sich auf. „Ich gehe auch mal wohin“, meinte er, küsste seine Frau, wie er hoffte zum letzten Mal, und stand auf. Beiläufig nahm er sich seinen Slip, der auf dem Boden lag und betete, dass im Bad noch irgend etwas zum Anziehen rumlag.

Er hatte Glück, er fand eine Jogginghose und ein T-Shirt in der Schmutzwäsche, die er von Rose mitgebracht hatte. Er zog sich an und trat hinaus in den Flur, wo sich undeutlich ein schwarzer Schemen abzeichnete, der neben der Garderobe hockte.

Daves Herz schlug bis zum Hals, als er dem Mann ein Zeichen machte.

Eine Hand hob sich und bedeutete ihm, wegzubleiben.

Dave machte ein paar Schritte rückwärts und beobachtete, wie sich noch mehr Schemen zu dem ersten gesellten, der sich nun an der Schlafzimmertür postiert hatte, sein Gewehr im Anschlag.

Einer der Schatten kam auf ihn zu, es war erstaunlich, wie leise er in dieser dicken, gepanzerten Uniform war. Der Zeigefinger der rechten Hand wanderte erst zum Mund, um Dave zu bedeuten, dass er still sein sollte, dann hielt der Polizist seine Hand in Hüfthöhe. Dave verstand sofort, dass er Josie meinte. Er deutete wortlos auf die Tür, vor der er stand.

Der Polizist schnappte Dave am Arm wie ein ungezogenes Kind und ging mit ihm in Josies Zimmer. Er verriegelte die Tür von innen, dann deutete er auf Josies Bett.

Dave setzte sich vorsichtig hin. Das Kind schlief tief und fest und bekam von allem nichts mit.

Es dauerte höchstens ein paar Sekunden, die Dave und der Polizist in der atemlosen Dunkelheit des Zimmer verharrten, doch es kam Dave vor, als würde nie etwas passieren.

Plötzlich ertönte ein spitzer Schrei im Schlafzimmer. Es gab Gepolter und ein großes Stimmengewirr.

Ein Schuss ertönte und Dave zuckte zusammen.

Dann ging alles ganz schnell.

Die Tür öffnete sich und zwei der Polizisten kamen herein, sie machten das Licht an.

Josie, die von dem Lärm und dem Schuss wach geworden war, sah die vielen fremden Männer in Kampfuniform in ihrem Zimmer und fing an, zu weinen. Dave nahm sie in den Arm und flüsterte ihr zu, dass alles gut werden würde.

Von irgendwoher war Dr. Sumner gekommen. Sie setzte sich zu Dave und Josie auf das Bett und machte ein ernstes Gesicht.

„Was ist passiert?“ fragte Dave.

„Es ist vorbei, Mr. Simmons. Sandra ist keine Gefahr mehr für Sie und für Josie“, antwortete sie.

„Haben die Polizisten Mommy geschnappt? Ich hab einen Schuss gehört. Und vorher hat Mommy geschrien und alles war laut.“

Dr. Sumner sah Dave an, doch er schüttelte nur stumm den Kopf.

„Weißt du, Josie, du hast in den letzten Tagen ganz schön viel erlebt, nicht wahr?“ fragte die Ärztin.

Josie nickte. „Ich weiß gar nicht so genau, was los ist“, sagte sie leise. „Ich habe mich so gefreut, weil Mommy endlich wieder gesund war, sie war ganz lieb und hatte viele neue Kleider für mich dabei, wir haben in Restaurants gegessen und sie hat überhaupt nicht rum geschrien, als ich was verschüttet hab. Aber gestern, als wir aus dem Zimmer raus mussten, war sie auf einmal wieder ganz böse zu mir.“

Dave hörte zu, wie Dr. Sumner mit Josie über das Eintreffen ihres Vaters und die Drohung mit der Pistole sprach und kam sich furchtbar überflüssig vor.

Er war fast froh, als ein Polizist kam, der ein paar Fragen an Dave hatte und mit ihm in den Flur ging. Als er den Helm abzog, entpuppte er sich als Sergeant Foreman.

Er befragte Dave über den genauen Hergang und Dave berichtete, wie er Sandra am Millerton Lake gefunden hatte, wie sie Josie mit der Waffe bedroht hatte und ihn damit zwang, Rose und die Polizei anzurufen. Dann die endlos lange Fahrt nach Monterey, der noch längere Abend zu Hause.

Als Foreman ihm nähere Fragen zu dem Abend stellte, wollte Dave erst nicht so recht mit der Sprache raus.

Doch der erfahrene Cop merkte, dass Dave ihm etwas verschwieg.

„Mr. Simmons, ich glaube, Sie verheimlichen mir etwas. Meinen Sie nicht, es wäre besser, Sie würden mir alles sagen?“ fragte er.

Schließlich überwand sich Dave und sagte: „Ich weiß, es klingt blöd, weil ich ein Mann bin und Sandra eine Frau, aber sie hat mich gezwungen...naja, Sie wissen schon.“

Foreman sah ihn nur an, also sprach Dave weiter.

„Eigentlich hat sie mich nicht gezwungen, aber ich musste mitmachen, weil sie sonst gewusst hätte, was los war. Und die ganze Zeit war diese verdammte Pistole in ihrer Reichweite.“

„Es klingt nicht blöd. Sie brauchen jetzt keine Schuldgefühle haben“, beruhigte ihn der Cop.

„Es war eine verdammt üble Situation. Psychisch gestörte Menschen sind für Laien total unberechenbar. Sie haben getan, wovon Sie überzeugt waren dass es nötig war. Wären Sie nicht mit ihr verheiratet, oder wären Sie die Frau, dann würde jeder sofort sagen es handle sich um Nötigung, wenn nicht sogar Vergewaltigung. Sie haben ein Recht darauf, als Opfer angesehen zu werden, auch wenn Sie ein Mann sind.“

Dave nickte und richtete seinen Blick einen Moment lang auf die Schlafzimmertür.

„Wenn Sie wollen, können Sie ja mit einem Psychologen sprechen. Und Mrs. Elliott wird es von unserer Seite nicht erfahren, falls Sie sich darüber Gedanken machen“, sprach Foreman weiter.

„Ja, das wäre mir sehr unangenehm. Ich muss es ihr sagen, weil ich ihr gegenüber ehrlich sein will, aber ich weiß nicht, ob sie mir glauben wird.“

„Mrs. Elliott wird es Ihnen bestimmt glauben. Sie weiß, dass Sie sie lieben.“

„Sie war die ganze Zeit bei Ihnen, oder?“ fragte Dave.

„Ja, sie hat stundenlang auf dem Revier gewartet, bis Ihre Nachricht kam. Wie haben Sie das überhaupt geschafft? Die SMS abzusetzen?“ fragte Foreman interessiert.

„Ich hab so getan, als wäre ich eingeschlafen.“ Dave erzählte ihm, wie er schnell die Tür geöffnet und die Nachricht geschickt hatte, bevor Sandra aus dem Bad kam.

Als er erzählte, wie er es geschafft hatte, aus dem Zimmer zu kommen, grinste Foreman.

„And the Oscar goes to...“, witzelte er, dann wurde er wieder ernst.

„Sie werden vermutlich noch ein paar Aussagen machen müssen, aber das hat Zeit bis morgen oder übermorgen.Wir sehen jetzt zu, dass wir hier verschwinden, damit Sie und Ihre Tochter zu sich kommen können. Vielleicht wäre es besser, Sie gingen wieder zu ihr. Ihre...Ihre Frau wird bald weggefahren und dann muss da drinnen noch sauber gemacht werden.“

„Darf ich Sie noch etwas fragen?“

Foreman nickte.

„Wie genau...?“ fragte Dave unsicher, er wusste nicht genau, wie er es formulieren sollte.

Doch Foreman verstand auch so, was Dave meinte.

„Als Ihre Frau uns sah, wusste sie gleich, dass sie verloren hatte. Sie schrie, dass sie sich nicht einsperren lassen würde und dass sie lieber tot sei als Sie aufzugeben. Dann richtete sie die Pistole auf ihre Schläfe und drückte ab.“ Er trug das so nüchtern wie möglich vor.

Dave schluckte. Er hatte sich schon gedacht, dass es so gewesen sein musste.

Das dramatische Ende eines dramatischen Lebens.

Foreman bat ihn nochmal, zu Josie zu gehen, als die Stimmen hinter der Schlafzimmertür lauter wurden.

Dave gehorchte und ging zurück ins Kinderzimmer, wo Dr. Sumner noch auf dem Bett saß.

Josie war eingeschlafen, ihr Kopf ruhte auf dem Schoß der Ärztin.

„Mr. Simmons, wie geht es Ihnen? Es war ein langer Tag, nicht wahr?“ fragte sie ihn, als er sich ihr gegenüber auf einem Stuhl niederließ.

„Das kann man wohl sagen.“ Dave dachte an die Worte von Sergeant Foreman und fasste sich ein Herz.

„Dr. Sumner, ich habe da etwas auf dem Herzen“, begann er. Dann erzählte er ihr, was passiert war.

Sie hörte aufmerksam zu und nickte zwischendurch, bevor sie sagte:

„Mr. Simmons, Sergeant Foreman hat vollkommen Recht. Sie hatten Order, Sandra hinzuhalten, bis Hilfe eintraf und bei Gelegenheit ein Zeichen abzusetzen. Sie haben Rose nicht betrogen, Sie haben nur getan, was getan werden musste. Werden Sie es ihr erzählen?“

Dave nickte. „Ja, schon. Aber ich weiß noch nicht, wie. Sie wird bald da sein, hat Sergeant Foreman gemeint. Ich denke, sie lassen sie erst herkommen, wenn der...der Leichnam fort ist.“

„Ja, das denke ich auch“, meinte Dr. Sumner.

„Was meinen Sie, wie Josie es verkraften wird?“ fragte Dave vorsichtig.

Dr. Sumner überlegte lange, ehe sie antwortete.

„Sie wissen, dass ich darüber nicht einfach so eine professionelle Meinung abgeben kann. Aber als Mensch kann ich Ihnen sagen, dass Josie es wahrscheinlich ganz gut verkraften wird. Sie sollten sie natürlich beobachten, es wird sich auf jeden Fall bemerkbar machen, wenn sie doch ein bisschen Hilfe braucht um mit allem fertig zu werden.“

„Danke“, sagte Dave. Er wusste es sehr zu schätzen, dass sie das gesagt hatte.

„Wie sieht es denn mit Ihnen aus?“ fragte Dr. Sumner.

„Mit mir?“ Dave wusste nicht genau, was sie meinte.

„Nun, Sie haben ja schließlich auch einen Schock erlitten. Erst wurde Ihre Tochter entführt, dann wurden Sie gezwungen, sich zu verstellen, um ihrer beider Leben zu retten und dann erschießt sich Ihre Frau auch noch. Ich könnte mir vorstellen, dass Sie selbst auch ein bisschen Redebedarf haben.“

Dave überlegte. „Es war wirklich ein bisschen viel in den letzten Tagen. Aber ich weiß nicht. Ich bin einer von den Menschen, die gerne selbst alles mit sich ausmachen. Daran habe ich zwar zu knabbern, aber ich glaube schon, dass ich es schaffe.“

„Wenn doch etwas sein sollte, scheuen Sie sich nicht, jemanden zu kontaktieren. Sie brauchen sich deshalb nicht zu schämen. Sie müssen ja nicht zu mir kommen, wenn Sie das nicht möchten, es gibt genug Kollegen da draußen.“ Sie lächelte.

Dave erwiderte das Lächeln. „Also, wenn ich Hilfe in Anspruch nehmen müsste, dann wäre es bestimmt Ihre. Sie können ja auch noch am ehesten alles nachvollziehen, schließlich kennen Sie Sandra. Kannten“, verbesserte er sich rasch.

Es klopfte leise an der Tür. Dave sagte gedämpft. „Herein“.

Rose trat ein. Dave stand auf und sie umarmten sich lange.

Er war sich nicht ganz sicher, aber er meinte, Tränen in ihren Augen zu sehen.

„Gott sei Dank geht es euch gut“, sagte Rose, als sie sich von Dave löste.

Sie berührte vorsichtig Josies Haar, wie um sich zu vergewissern, dass sie auch wirklich da war.

Wieder öffnete sich die Tür, Foreman trat ein.

„Mr. Simmons, wir sind soweit fertig. Unsere Cleaner sind aber noch bei der Arbeit. Wenn es nicht allzu viele Umstände macht, wäre es besser, wenn Sie die Nacht woanders verbringen, sonst werden Sie keine Ruhe haben.“

Dave nickte. Es grauste ihn sowieso, hier zu schlafen, wo Sandra sich das Leben genommen hatte.

Er weckte Josie nicht, er trug sie einfach so, wie sie war, ins Auto und schnallte sie auf ihrem Sitz fest. Ihre einzige Reaktion war ein Schnarchen, das sie von sich gab, als die Tür sich schloss.

Dr. Sumner verabschiedete sich und fuhr nach Hause, wo sie sich einen Whisky einschenken würde, um kurz zu vergessen, dass sie diesmal versagt hatte.

Inzwischen fuhr Dave mit Josie voraus in Roses Haus, während Rose erst noch zu Cleo fuhr, um Melissa abzuholen.

Dave öffnete die Tür mit Roses Schlüssel und trug Josie nach oben in das Gästezimmer.

Er ließ ein Nachtlicht an und ließ die Tür angelehnt, als er das Zimmer verließ.

Nervös ging er nach unten und kochte eine Kanne Tee.

Endlich klopfte es an der Tür. Dave beeilte sich, zu öffnen.

Rose stand alleine da. „Melissa war schon eingeschlafen, Cleo meinte, dass sie ruhig über Nacht da bleiben kann.“

Dave war erleichtert. Je eher er Rose alles beichten konnte, desto besser.

Sie setzten sich auf das Sofa. Dave hatte den Tee schon auf dem kleinen Tisch bereit gestellt.

Jeder nahm eine Tasse und trank einen Schluck.

„Rose, ich muss dir etwas sagen“, begann Dave.

Rose stellte ihre Tasse ab und sah ihn an. „Ja?“ Sie hatte plötzlich ein komisches Gefühl im Bauch.

„Vielleicht fange ich lieber ganz am Anfang an, bei dem Anruf.“

Dave wurde erst beim Erzählen bewusst, dass alles an einem einzigen Tag passiert war.

Er berichtete Rose von von der wahren Geschichte Gary Ingalls', seiner Fahrt bis zum Millerton Lake und der Suche nach dem Motel, das Sandras Mutter gehörte. Dass sie ihr Auto vor dem Appartment geparkt hatte, war pures Glück, er hätte ungern ihre Mutter mit hinein gezogen.

Er versuchte, so oberflächlich wie möglich über Sandras Waffe zu reden, auch wenn er sich an den Augenblick, als sie sie an Josies Kopf hielt, noch am deutlichsten erinnern konnte.

Schließlich schilderte er die lange Heimfahrt und den furchtbaren Abend, bis er schließlich zum Kern der Sache vordringen musste.

„Und was ich dir unbedingt erzählen muss, ist, dass...Sandra wollte...ich habe...“

Er wusste einfach nicht weiter.

Doch Rose wusste auch so, was er sagen wollte. Sie brauchte einen Moment, um es aussprechen zu können, ohne in Tränen auszubrechen.

„Du hast mit ihr geschlafen, weil du ihr etwas vormachen musstest.“

Dave schluckte. „Ja. Ich fühle mich furchtbar deshalb, das musst du mir glauben. Schon allein wegen dir, aber auch wegen mir selbst. Ich fühle mich dreckig.“

Er wusste selbst nicht so genau, wie er es am besten ausdrücken sollte.

Rose nickte nur. Sie atmete ein paar mal tief durch und sagte sich selbst, dass er es bestimmt nicht selbst gewollt hatte und dass sie deshalb nicht sauer sein durfte.

„Wenn...wenn ich in deiner Situation gewesen wäre, hätte ich bestimmt genauso gehandelt“, sagte sie leise, aber bestimmt. „Und ich würde dann hoffen, dass du Verständnis hast. Mach dir also keine Gedanken darüber, wie es mir dabei geht, das ist absolut zweitrangig. Du und Josie, ihr habt furchtbare Sachen erlebt, die es sonst nur im Film gibt. Und ich weiß, dass du Angst hattest, du konntest überhaupt nicht einschätzen, was Sandra als nächstes tun würde und du wolltest Josie beschützen.“

Als Dave Roses Worte hörte, war er sehr erleichtert. Eigentlich wusste er selbst nicht, warum er Angst vor ihrer Reaktion gehabt hatte. Er hätte wissen müssen, dass sie ihn verstehen würde.

„Ich kann mit allem fertig werden, solange ich nur dich an meiner Seite habe“, sagte er.

Rose lächelte. „Oh, das passt gut“, sagte sie. „Ich habe nämlich nicht vor, dich jemals zu verlassen.“

Dave zog sie in seine Arme. „Das will ich auch hoffen.“

Sie redeten noch eine Weile über Josie und Sandra.

Doch der Tag war hart gewesen und sie waren beide sehr müde.

Sie gingen nach oben ins Bad. Dave duschte zuerst, während Rose sich die Zähne putzte und ein Gesichtspeeling machte. Dann tauschten sie. Dave putzte Zähne und cremte sich ein, während Rose duschte. Als sie fertig war, gingen sie ins Bett.

Dave konnte noch lange nicht einschlafen, er lag wach und lauschte den regelmäßigen Atemzügen, die zu ihm herüber drangen. Dabei ließ er die letzten Tage Revue passieren. Immer wieder dankte er Gott dafür, dass er seine Tochter gesund und munter wieder hatte.

 

 

46.: Das Leben fängt neu an

 

In den nächsten Tagen passierten viele Dinge auf einmal.

Josie hatte ganz gut verstanden, was an jenem Abend passiert war. Dave hatte viele ausführliche Gespräche mit ihr geführt und er machte sich berechtigte Hoffnungen, dass sie alles gut verarbeiten würde. Er hatte trotzdem einen Termin bei Dr. Sumner gemacht. Es konnte ja nicht schaden.

Sandra wurde beigesetzt. Nur Dave, Rose, Melissa und Josie waren anwesend. Einmal glaubte Josie, die Frau aus dem Motel gesehen zu haben. Es sah aus, als versteckte sie sich hinter einem großen Busch. Sie schien zu weinen.

Dave traf sich mit Gary Ingalls. Er wollte dem Mann persönlich danken, der ihm den entscheidenden Tipp gegeben hatte.

Er traf auf einen sehr gütigen, einfachen Mann, der um das Mädchen, das ihn einst ins Gefängnis gebracht hatte, weinte, als sei seine Tochter gestorben. Und in gewissem Sinne war das ja auch so.

Dana rief Dave auf dem Handy an, um ihm zu sagen, dass er noch Sandras persönliche Sachen im Wohnheim abholen musste.Das erledigte er noch am gleichen Tag.

Die Kartons brachte er in seine Wohnung, die er eigentlich gar nicht mehr benutzte. Der Gedanke, auch nur noch eine Nacht dort zu verbringen, war für ihn ebenso erschreckend wie für Josie.

Er überlegte, die Wohnung zu verkaufen. Sie hatte ihm sowieso nie besonders gut gefallen. Er hatte bei dem Wort „Eigentum“ immer an ein Haus mit Garten gedacht. Sandra hatte auf der Wohnung bestanden. Sie hatte keine Lust, einen Garten zu pflegen oder mehr als ein Stockwerk zu putzen.

Vom Treppensteigen ganz zu schweigen.

Jetzt allerdings konnte er tun, was er wollte. Was ihn zögern ließ, war ein Gedanke, der seit einiger Zeit in Dave keimte. Er war, seit er mit Rose zusammen war, mehr bei ihr als bei sich zuhause gewesen. Und obwohl sie ständig zusammen waren und es auch mal zu kleinen Reibereien kam, verstanden sie sich doch meistens wirklich gut. Sie hatten zu einem gemeinsamen Rhythmus gefunden und Dave wusste, wenn sie zusammen leben würden, so mit allem Drum und Dran, würden sie sich genauso gut verstehen. Er wusste nur nicht, ob Rose das genauso sah.

 

So gingen die Tage im Nu vorüber. Josie kam mit Melissa in die Vorschule, dadurch wurden sie alle etwas abgelenkt.

Dave ging auch bald wieder arbeiten. Er erledigte nur noch seine letzten Pflichten, bevor er sein Leben wieder aufnahm. Die Aussage bei der Polizei, der ganze Papierkram. Es war erstaunlich, an was man alles denken musste.

Doch auch das ging vorüber und irgendwann war Dave wieder unterwegs zu seinen Patienten.

Aus den Tagen wurden bald Wochen und inzwischen befand sich kaum noch Bekleidung in Daves Wohnung. Es wurde Zeit, eine Entscheidung zu fällen.

Eines Abends saß Dave mit Rose auf der Bank im Garten. Es wurde langsam etwas kühler, dafür war das Wetter um so schöner.

Sie sprachen gerade von den Aufgaben, die ihre Kinder in der Vorschule machten, als Daves Handy klingelte. Es war Donnie.

„Dave, entschuldige, dass ich dich so spät noch störe. Ich wollte dir Bescheid sagen, dass ich ein paar Tage nicht im Geschäft bin“, sagte er.

An der Stimme seines Freundes erkannte Dave gleich, dass etwas nicht stimmte.

„Alles in Ordnung, Don? Bist du krank?“ fragte er.

„Nein. Mit mir ist alles okay. Es ist meine Mutter. Sie liegt im Sterben. Ich soll bei ihr bleiben, falls sie noch ein paar klare Momente hat. Das soll vorkommen. Und danach werde ich viel zu tun haben. Du hast das ja selbst erst alles durchgemacht“, sagte Donnie bedrückt.

„Das tut mir wirklich leid, Donnie“, sagte Dave mitfühlend. „Ich wünsche dir ganz viel Kraft.“

Sie legten auf.

Dave erzählte Rose, was los war.

„Oh, der arme Donnie. Ja, das ist schwer. Hoffentlich bekommt er eine Chance, sich zu verabschieden.“

Sie schwiegen einen Moment. Todesfälle waren zur Zeit nicht gerade ihr Lieblingsthema, deshalb suchten sie beide nach etwas anderem, über das sie sprechen konnten.

„Ist das Katzenklo eigentlich sauber?“ fragte Dave schließlich.

Natürlich war es das nicht.

Also erbot sich Dave, das zu übernehmen.

Sie gingen rein und ließen Donnie und seine Mutter hinter sich.

 

Nachdem Helen gestorben war, blieb Donnie noch ein paar Tage zu Hause.

Dave ging bei ihm und Brenda vorbei, um sein Beileid auszusprechen.

Auch Rose kam einmal vorbei und brachte ihnen einen Kuchen. Dave war allerdings gerade unterwegs, so dass sie ihn nicht sah.

Als Donnie endlich wieder mitarbeitete, hatte er alles schon ganz gut verkraftet. Es war für ihn nicht besonders überraschend gekommen, immerhin war seine Mutter schon sehr lange krank gewesen.

Schon am nächsten Tag lud er Dave, Rose und die Mädchen zum Kaffeetrinken ein.

Dave war zwar überrascht, sagte dann aber für den Samstag zu.

Auch Rose war überrascht, als sie von der Einladung hörte.

„So bald nach der Beerdigung kann ihm doch wohl kaum der Sinn nach Kaffeeklatsch stehen“, meinte sie. Dave zuckte nur mit den Schultern.

Am Samstag sah aber zunächst alles danach aus, als wolle Donnie tatsächlich nur einen Nachmittag mit seinem Freund und seiner Familie verbringen.

Als die Kuchenteller abgeräumt waren, schenkte Brenda nochmal Kaffee nach.

Melissa und Josie gingen nach oben, um mit den Jungs zu spielen.

Sie waren kaum zur Tür hinaus gegangen, als Donnie sagte:

„Wisst ihr, ich bin wirklich froh, dass ihr nach allem, was passiert ist, so glücklich miteinander seid. Ihr seid jetzt schon eine ganze Weile zusammen, oder?“

Dave überlegte kurz. „Etwas mehr als drei Monate.“

„Ach, das kann man doch so gar nicht sehen“, winkte Donnie ab.

„Wieso denn das?“ fragte Rose interessiert.

„Also, wenn ihr mich fragt, wart ihr schon viel länger ein Paar. Ich habe euch zusammen gesehen und gleich gewusst, dass ihr zusammen passt. Brenda hat es auch gleich gemerkt, stimmt's, Schatz?“

Schatz nickte eifrig. „Ja, wir haben so oft darüber geredet. Und als du dich dann von Sandra getrennt hast, wurde es ja auch immer offensichtlicher. Nur ihr zwei Esel habt nichts gemerkt.“

Rose grinste. „Und nur weil wir eigentlich schon zusammengehört hätten, soll diese Zeit dazu gezählt werden?“

Donnie schüttelte den Kopf. „Eigentlich geht es ja auch gar nicht um die Zeit, die man zusammen ist. Wie glücklich man ist, wie gut man zusammen passt, das zählt doch viel mehr.“

Dave und Rose sahen sich an und lächelten.

„Seht ihr!“ rief Brenda. „Ihr strahlt euch an.“

Dave sagte: „Okay, ich habe den Verdacht, ihr zwei wollt auf etwas Bestimmtes hinaus.“

Donnie nickte eifrig. „Natürlich. Dazu wollte ich gerade kommen. Als meine Mutter gestorben ist, kamen zwangsläufig viele Fragen auf. Unter Anderem mussten wir uns überlegen, was jetzt weiter mit ihrem Haus passieren soll. Wir haben uns zwei Möglichkeiten zurechtgelegt. Und da kommt ihr ins Spiel.“

Rose nagte an ihrer Unterlippe. Die Wendung, die das Gespräch nahm, gefiel ihr nicht. Wollte Donnie die Miete erhöhen? Wollte er das Haus selbst benutzen? Oder wollte er es verkaufen? Sie konnte es nicht einschätzen und wartete angespannt ab, was Donnie und Brenda im Sinn hatten.

Dave jedoch schien ganz und gar zu begreifen, worauf Donnie hinaus wollte. Es machte ihn auch nervös, jedoch aus einem anderen Grund.

„Rose, du wohnst gerne in dem Haus, oder?“ fragte Donnie.

Rose nickte.

„Und Dave ist fast immer da, oder? Soweit ich weiß, hat er die letzten Wochen immer bei dir übernachtet.“

Wieder nickte sie.

„Und zwischen euch lief doch alles gut, oder? Keine nennenswerten Streits oder Meinungsverschiedenheiten?“

„Ich weiß nicht genau, auf was du hinaus willst, Donnie, aber wir verstehen uns sehr gut.“

Dave nickte nur, um es zu bestätigen.

„Ich weiß, meine Fragen sind ein bisschen indiskret, aber ich muss einfach wissen, wie ernst es euch ist, bevor ich es sagen kann.“

Dave sagte: „Ich kann nur für mich sprechen, aber ich hoffe, dass Rose es genauso sieht wie ich. Ich liebe sie und ich bin mir absolut sicher, dass wir zusammen gehören und mir ist es verdammt ernst.“

Rose lächelte. „Ich liebe Dave auch und ich weiß, dass das mit uns funktionieren wird.“

Donnie grinste. „Mehr wollte ich nicht wissen. Dann werde ich euch jetzt sagen, was wir für eine tolle Idee hatten. Möglichkeit eins: Alles bleibt beim Alten. Möglichkeit zwei: Ihr zieht endgültig zusammen und kauft das Haus. Das kommt bestimmt ein bisschen plötzlich, ihr könnt es euch ja gut überlegen und die Details besprechen wir, wenn ihr euch einig seid.“

Er hatte sehr schnell geredet und Rose begriff erst nach einer Weile, was Donnie da gerade vorgeschlagen hatte.

Dave hatte sich auf seinem Stuhl zurückgelehnt und die Arme vor der Brust verschränkt. Er grinste wie ein Kater, der an der Sahne genascht hatte.

„Ich finde, es lohnt sich auf jeden Fall, darüber nachzudenken“, sagte er. „Ich denke schon seit ein paar Wochen darüber nach, meine Wohnung zu verkaufen. Das Geld, das nach Tilgung des Kredits übrig bleibt, könnten wir als Anzahlung nehmen.“

Rose starrte die anderen an und wusste nicht genau, was sie sagen sollte.

„Also, ich fühle mich gerade ein bisschen überrumpelt“, gestand sie.

„Dann lass dir ruhig Zeit, über alles nachzudenken. Solange du nicht sicher bist, bleibt einfach alles so, wie es ist“, beruhigte Donnie sie.

„Das ist nett. So große Entscheidungen wollen wohl überlegt sein.“ Rose entspannte sich etwas.

Trotzdem konnte sie den Rest des Nachmittags an nichts anderes mehr denken und bekam kaum etwas von den Unterhaltungen mit.

Dass Dave tatsächlich bereit wäre, mit ihr zusammen zu ziehen, hatte sie total überrascht.

Sie hatte natürlich auch schon daran gedacht, doch sie hatte sich nie getraut das Thema anzuschneiden, aus Angst, Dave würde sich von ihr bedrängt fühlen.

Als sie sich gegen Abend von Donnie und Brenda verabschiedeten, war Rose erleichtert. In den eigenen vier Wänden würde sie viel besser nachdenken können.

Zu Hause erwähnten weder Dave noch Rose den Vorschlag Donnies, bis die Kinder im Bett waren.

Sie setzten sich gemeinsam an den Tisch in der Küche, jeder hatte ein Glas Wein vor sich stehen.

„Was denkst du über Donnies Vorschlag?“ fragte Dave direkt.

Rose drehte ihr Weinglas hin und her. „Ich habe schon oft darüber nachgedacht“, sagte sie.

Dave hob erstaunt die Augenbrauen. „Tatsächlich? Warum hast du nie was gesagt?“

„Ich war mir nicht sicher, was du davon hältst. Aber wenn du so prompt mit der Anzahlung kommst, hast du wohl auch schon mal darüber nachgedacht und auch noch nie was gesagt.“

„Touché“, meinte Dave. „Mir ging es doch genauso. Also findest du die Idee gut?“

„Natürlich. Ich meine, du bist sowieso immer hier. Da könnte man sich die Kosten für deine Wohnung auch sparen. Und da ich keinen Grund sehe, warum wir uns in naher Zukunft trennen sollten, ist es das Risiko wert.“

Dave war einen Moment sprachlos. „Du redest wie ein Versicherungsheini. Was ist denn damit, dass wir uns lieben und Tag und Nacht zusammen sein wollen? Das wäre jetzt meine erste Überlegung.“

Rose lachte. „Den Punkt habe ich schon abgehakt, ich bin bei Punkt zwei: Gibt es Gründe, die dagegen sprechen? Nein? Abgehakt. Siehst du?“

„Du bist wirklich verrückt“, meinte Dave kopfschüttelnd, aber lächelnd.

„Wir müssen nur Punkt drei klären.“

„Und der wäre?“ fragte Dave interessiert.

Rose grinste. „So unangenehm es ist, müssen wir uns über die Finanzierung und den Vertrag Gedanken machen. Es wäre schließlich unfair, wenn du mehr bezahlst als ich. Also müssen wir uns da was überlegen wegen deiner Anzahlung.“

Dave nickte. „War mir klar, dass du dir deshalb Gedanken machst. Aber du hast doch gehört, was Donnie gesagt hat. Die Details klären wir dann noch. Du kannst ihm deine Sorgen vortragen und er überlegt sich was. Aber ich persönlich finde es absolut unnötig. Wir zwei wollen doch zusammen bleiben. Und wir passen so gut zusammen, außerdem passt auch alles andere. Unsere Kinder sind unzertrennlich und wir sind schon fast eine kleine Familie. Wovor hast du denn Angst? Dass ich dir vorhalten kann, dass du nicht so viel bezahlt hast wie ich? Glaub mir, wenn ich könnte würde ich dir noch viel mehr geben als nur die Anzahlung auf dieses Haus. Du bist meine Frau, verheiratet oder nicht. Und ich will für dich sorgen. Und für Melissa auch. Ich liebe sie wie eine eigene Tochter, weil sie deine Tochter ist.“

Rose hörte ihm zu und schalt sich selbst eine dumme Kuh. Sie hatte geredet, als würde sie nicht in ihn vertrauen. Oder in ihre Beziehung.

„Ich wollte nur nicht, dass du denkst, ich könnte dich ausnutzen. Ich weiß, das ist dumm.“

Dave seufzte. „Ja, sehr dumm. Du bist einer der uneigennützigsten Menschen, die ich kenne. Ich würde nie auf den Gedanken kommen, du würdest mich ausnutzen.“

Rose lächelte und küsste Dave.

Sie wusste selbst nicht, warum sie sich solche Gedanken gemacht hatte.

 

Nachdem sie sich also einig waren, dass sie es wagen wollten, ging alles ganz schnell. Sie setzten sich noch ein paar mal mit Donnie zusammen, der ihnen einen wirklich guten Preis machte.

Dave kümmerte sich gleich um den Verkauf der Wohnung.

Alle Möbel, selbst das Geschirr wollte er am liebsten dort lassen.

Die Schäden, die er bei seinem Wutausbruch angerichtet hatte, beseitigten Handwerker.

Dave hatte einfach keine Lust, seine Energie weiter in sein altes Leben zu stecken.

Er holte mit Rose an einem Wochenende sämtliche persönlichen Sachen ab und vergaß auch nicht die Kartons mit Sandras Zeug.

Als die Wohnung hergerichtet und soweit geleert war, brachte Dave sämtliche Schlüssel der Maklerin, die den Verkauf übernommen hatte.

Dann richtete er sich bei Rose ein, zuletzt durchsuchte er Sandras Kartons.

Er sortierte aus, was er noch für Josie aufheben konnte, den Schmuck beispielsweise.

Die Kleidung und alles, was er nicht gebrauchen konnte, sammelte er in einem großen Sack ein und warf alles in einen Container für Altkleider.

Unter den Sachen, die er behielt, war auch ein großes, ledernes Buch, das er noch nie gesehen hatte.

Es war eine Art Tagebuch, das Sandra in ihrer Jugend angefangen hatte. Sie hatte nicht besonders regelmäßig hineingeschrieben, trotzdem war der Inhalt äußerst aufschlussreich.

Es war nicht nur genau beschrieben, wie sie Gary Ingalls verführt und schließlich in den Knast gebracht hatte, sondern auch, wie sie sich das Geld für ihr Auto beschafft hatte.

Wie er vermutet hatte, war sie anschaffen gegangen. Es widerte ihn geradezu an, wenn er daran dachte, dass er mit ihr geschlafen hatte. Er nahm sich vor, sich testen zu lassen.

Das schlimmste an dem Tagebuch war, dass es Sandra anscheinend gefallen hatte, mit so vielen Typen ins Bett zu gehen. Oder in den Laster zu steigen, wenn man so wollte.

Aber es war nicht nur der Inhalt der Einträge, die Dave schlimm fand. Es gab auch zahlreiche eingeklebte Bilder, meist zeigten sie Sandra nackt, oft genug mit ihren Händen zwischen den Beinen. Es gab sogar das Cover einer DVD, bei der Sandra offensichtlich die Hauptdarstellerin war. Eine der Hauptdarstellerinnen. Neben anderen nackten Schönheiten, die sich gegenseitig anfassten, lächelte auch Sandra in die Kamera. Eine sehr junge Sandra, vielleicht kaum achtzehn.

Dave wusste nun mehr über seine verstorbene Frau, als ihm lieb war.

Nachdem er alles gelesen hatte, verbrannte er das Buch in einer Feuerschale im Garten.

 

Dave ließ sich bald danach beim Arzt auf alle möglichen Geschlechtskrankheiten testen.

Es dauerte unendlich lange zwei Wochen, bis er das Ergebnis hatte.

In dieser Zeit wurde Rose immer schweigsamer. Sie wusste von dem Bluttest und dem Grund dafür und das alles schien ihr ziemliches Kopfzerbrechen zu bereiten.

Als endlich der Brief mit dem Ergebnis kam, war Rose aufgeregter als Dave.

„...dürfen wir Ihnen die Ergebnisse für folgende Tests mitteilen“, las Dave vor. „Negativ, negativ, negativ, negativ, negativ....“

Er schwenkte vor Freude das Papier in der Luft, auch Rose war ganz aus dem Häuschen.

Sie fiel Dave um den Hals und rief: „Oh, Gott sei Dank! Ich hatte solche Angst!“

Dave sah sie an und grinste. „Scheint so, als müsstest du ständig Angst um mich haben.“

Rose knuffte ihn. „Und um mich vielleicht nicht? Und außerdem muss ich dir was sagen. Jetzt, wo du gesund bist.“

Dave war auf einmal ganz Ohr. „Ja?“

„Ich war zwar noch nicht beim Arzt, aber so wie es aussieht, bin ich schwanger.“

Rose schloss einen Moment die Augen, nachdem sie das losgeworden war.

Sie hatte es schon die ganze Zeit mit sich herumgeschleppt und furchtbare Ängste ausgestanden, weil sie immerhin die Möglichkeit in Betracht ziehen musste, dass Dave HIV oder sonst einen Virus in sich trug, der dem Baby schaden konnte.

Dave war einen Moment lang perplex. Schwanger! Ein Baby!

Er wusste wirklich nicht, ob er lachen oder weinen sollte.

Schließlich entschied er sich fürs Lachen.

„Schwanger! Oh, wir werden ein Baby haben! Das ist wundervoll!“ rief er aus.

Rose lächelte erleichtert. Bei dem ganzen Trubel um den Bluttest hatte sie gar nicht darüber nachgedacht, was Dave von der Neuigkeit halten würde. Doch in den paar Sekunden, in denen Dave sprachlos gewesen war, hatte sie Höllenqualen durchlitten.

„Ja, das ist es. Ich habe Montag einen Termin beim Arzt, aber der Test war positiv. Und die üblichen Symptome sind da. Bis auf die Übelkeit, die kommt wohl erst noch.“

Sie waren sich einig, es den Mädchen erst zu sagen, wenn der Arzt es bestätigt hatte.

Die Tage bis zum Arzttermin vergingen furchtbar langsam. Der Sonntag zog sich dahin wie Kaugummi. Als Rose am Montag endlich aufbrach, blieb Dave mit den Mädchen zurück, die noch nichts von ihrem Glück ahnten.

Zwei Stunden später kam Rose zurück. Ihr Gesicht sprach Bände. Glücklich hielt sie das erste Ultraschallbild in der Hand.

Gemeinsam betrachteten sie es, bevor sie Josie und Melissa dazu holten.

„Was ist das, Mommy?“ fragte Melissa. „Ein Gummibärchen?“

Rose lachte. „Nein, das ist ein Baby. In meinem Bauch.“

Die Mädchen schauten erst Rose, dann sich gegenseitig an, bevor sie in frenetischen Jubel ausbrachen.

„Wir kriegen ein Baby!“ riefen sie immer wieder.

 

Die Freude, die sie alle empfanden, teilten auch ihre Freunde und Daves Eltern mit ihnen.

Rose hatte die beiden schon einige Male eingeladen und sich gleich mit ihnen verstanden.

Mit der Zeit wuchs Roses Bauch, gegen Weihnachten sah man deutlich, dass das Bäuchlein nich von einem guten Abendessen kam.

Die Feiertage verbrachten sie in aller Ruhe zu Hause.

Als es Frühjahr wurde, behinderte ihr Bauch Rose immer mehr bei der Arbeit.

Irgendwann hatte Dave genug davon.

„Es wird Zeit, dass du aufhörst, zu arbeiten“, sagte er besorgt.

„Aber ich würde ja kaum Arbeitslosengeld bekommen und es ist ja auch alles in Ordnung.“

Diese Ausrede ließ Dave nun nicht mehr gelten.

„Rose, sei nicht so stur. Das Geld, das dann fehlt, ist nicht so schlimm. Außerdem weiß ich auch schon, wie wir das lösen.“

Rose schüttelte den Kopf. „Und wie, bitte schön?“

Statt zu antworten, sank Dave vor ihr auf die Knie und fummelte aus seiner Hosentasche umständlich ein kleines Kästchen hervor.

„Rose Elliott, willst du mich zum Mann nehmen?“ fragte er ernsthaft.

Rose stand wie zu Stein erstarrt, als sie den Ring sah, der in dem Kästchen in einem Kissen steckte.

„Dave, du bist ja verrückt! Natürlich will ich!“ rief sie.

Dave steckte ihr den Ring an den Finger. Am nächsten Morgen sagten sie es den Mädchen, die sich gleich als Blumenmädchen anboten.

 

Es wurde keine sehr große Hochzeit. Sie hatten nur fünfundzwanzig Gäste, deshalb entschieden sie sich, die Feier im Garten abzuhalten.

Es wurde viel gelacht, getanzt und fotografiert.

Am Abend wurde alles von vielen kleinen Lichtern beleuchtet.

Der DJ spielte gerade ein langsames Lied, zu dem einige Paare über die „Tanzfläche“ auf der Terrasse schwoften.

Auch Rose und Dave tanzten.

„So, Mrs. Simmons, da wären wir also verheiratet. Und bald kommt unser kleiner Logan auf die Welt.“

„Ja“, antwortete Rose lächelnd. „Ich weiß gar nicht, womit ich so viel Glück verdient habe. So brav war ich doch nun wirklich nicht immer.“

Dave grinste. „Wo wir gerade beim Thema sind. Du schuldest mir noch eine Antwort.“

Rose sah ihn fragend an.

„Ja, das weißt du vielleicht nicht mehr, aber damals, an dem Tag, an dem Josie entführt wurde, hast du etwas gesagt. Es ging darum, in der Nähe von Cops keine Drohungen auszusprechen und dass du wegen so was ähnlichem schon mal verhaftet wurdest.“

„Oh Gott, du willst doch nicht etwa wissen, was damals passiert ist?“ fragte sie entsetzt.

Dave grinste sie an. „Aber selbstverständlich. Ich muss doch wissen, mit wem ich verheiratet bin.“

„Du hast recht“, meinte Rose grinsend. „Aber weißt du was? Ich erzähle es dir später.“

 

 

ENDE

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 19.06.2015

Alle Rechte vorbehalten

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