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Kapitel 3


Ich stand heulend vor Ians Haustür, als ich bemerkte, dass Dereks Auto vor der Tür stand. Scheiße. Um das besser verstehen zu können, sollte man wissen, dass ich seit dem Kindertagen irgendwie in Derek verliebt war.
Verdammt, aber ich kannte ja die Leier. Er hatte eine Freundin, zu meinem Unglück die OBERZICKE Cadance, die keiner mochte, aber mit der man besser klarkommen sollte, wenn man von ihr nicht als Schulschlampe verschrien werden wollte. Das ist schon einigen passiert, die nie etwas derartiges getan haben, aber es GEWAGT haben, etwas Schlechtes oder Kritisierendes über ihre Majestät zu sagen. Cadance und ich befanden sich im Augenblick in einem friedensartigen Schwebezustand. Solange ich Derek nicht zu nahe kam, was schwierig war, denn er war der Leadsänger bei unserer Band, ließ sie mich in Ruhe. Was sie als „zu nahe“ deklarierte, war auch fragwürdig. Am besten nicht ansprechen oder ansehen, dann konnte man mit Cadance klar kommen.

Trotzdem musste ich ihm ja nicht mir rot geränderten Augen begegnen, gerade wenn ich aussah wie Frankensteins Gesellenstück. Tja, dass meinte meine Mutter also mit „Murphy's Gesetz“. Meine Mutter. Bäh. Nicht daran denken. Ich wischte mir also die Augen trocken, wobei meine Mascara nicht verschmierte, da aufgrund extrem langer Wimpern nicht vorhanden. Ich darf doch auch mal Glück haben!

Ich hatte auch noch einmal Glück (dies zog ein Dankesgebet an Gott nach sich), denn Ian machte die Tür auf. Er beäugte mich misstrauisch. Wahrscheinlich dachte er, eingebildet wie er manchmal war, ich hätte seinetwegen geweint und er versuchte jetzt abzuschätzen, ob ich ihm eine scheuern könnte.

Tat ich aber nicht. Stattdessen ließ er mich wortlos ein, gab mir eine Tasse Kakao (ja, ich weiß, dass ist albern, aber es beruhigt mich immer noch und ich hasse Kaffee) und ließ mich - wie man so schön sagt - „ankommen“, ohne sofort Fragen zu stellen. Dafür mochte ich ihn gleich ein wenig mehr.
Ich sah mich in seinem Zimmer um. Es war blau. Blau? Seit ich Ian kannte, also seit 13 Jahren, war sein Zimmer gemäß seinen Lieblingsfarben immer grasgrün gewesen. Ich entschied mich also für dieses etwas unverfänglichere Thema. „Du hast renoviert. Sieht gut aus.“ Er lächelte. „Ja, mein Bruder hat mir geholfen. Derek kann einfach besser malen als ich. Aber-“, er zog ein Kuvert aus einem Ordner, der auf seinem Schreibtisch stand. „Ich habe eine Zusage bekommen.“ Ich dachte sofort an das College. „Ian! Du hast dich schon beworben? Wieso hast du mir das noch nicht erzählt?“
Er grinste. „Außer meinen Eltern und meinen Geschwistern weiß es noch keiner. Und weil Derek der Erste war, der es erfahren hat, nehme ich an, das Cadance es auch weiß.“ Insgeheim rollte ich mit den Augen. „Ich wollte es dir erst erzählen, wenn ich angenommen wurde.“ Er machte eine Spannungspause. „Also...“, drängte ich ihn ungeduldig. Eine meiner weniger charmanten Eigenschaften. „Wo hast du dich überall beworben? Ich nehm mal an, Dartmouth, Stanford, Cambridge, das hat mir zumindest meine Mutter nahegelegt.“
Ian schüttelte sich. „Nach GB? Igitt. Die essen da frittiertes Mars. Ekelerregend.“ Ich nickte zustimmend. „Also nicht Cambridge. Wo denn dann, mach es nicht so spannend.“
„Tja, ich folge meinem besten Freund.“ Er hielt mir denn Brief hin und als ich das Wappen der Universität sah, fiel ich staunend rückwärts auf Ians Bett und starrte das Papier an. „Was? Du bist in HARVARD angenommen? Machst du es jetzt wie Jake?“ „Sagte ich ja. Jacoby braucht noch einen Mitbewohner. Und da ja noch Zeit ist, hab ich mich halt auf gut Glück erstmal nur in Harvard beworben. Ich hab es dir doch gesagt, ich mach das.“ Fasziniert von sich selbst nahm er mir den Brief weg und staunte so vor sich hin, während er immer wieder flüsterte: „Ich hab ne Zusage. Harvard ich komme!!!“

„So, Superman. Schluss mit der Selbstbeweihräucherung.“ Er sah enttäuscht aus und legte den Brief zur Seite. „Sind wir wieder Freunde?“, fragte er plötzlich mit Dackelblick. Ich sah ihm nicht in die Augen. Kurze Zeit später wurde ich weich. Schien in der Familie zu liegen, dass man mich mit diesem Blick rumkriegen konnte. Nicht zu allem, Freunde, nicht zu allem. „Ja, meinetwegen.“, meinte ich großzügig. „Na ja, eigentlich, brauche ich deine Hilfe. Oder deinen Rat. Oder beides.“ Er salutierte und warf seinen nicht vorhandenen Heldenumhang nach hinten. Ich lächelte. „Wie kann ich Madam helfen? Streit mit meinem Bruder? Er hat sowas angedeutet....“ Wie bitte? Da wollte ich ihm gerade von meinen ECHT wichtigen Problemen erzählen, und da.....das war doch nicht zu fassen!!!! „Öhm....“. Ich war verwirrt. „Nein, wir haben uns nicht gestritten, also, nicht, dass ich wüsste....“ Er zuckte mit den Achseln. „Egal, vielleicht hat er mal wieder Stress mit Cadance. Die ist aber auch eine blöde Zicke, nicht wahr?“ Im ersten Moment dachte ich, dass er mich damit testen wollte, aber er blickte mich völlig ernsthaft an. Ich prustete. „Was geht denn mit dir ab? Du bist doch sonst nicht so.....“, wollte ich wissen.

„Ach, sie nervt mich einfach. Taucht hier ständig auf und geht meinem Bruder auf die Nerven. Dann erzählt sie überall, wie toll sie sich mit Lina versteht , aber hinten rum lästert sie ab. Sie will nur mit dem Cheerleader befreundet sein, weil sie es selbst zu nichts bringt.“ So kannte ich Ian wirklich nicht. Er nahm seine kleine Schwester Evangelina, ihres Zeichens beste Freundin von Ebony und Cadance, sonst nie in Schutz. Hatte sie auch nicht nötig. Evangelina war selbstbewusst genug, unsere Schulsprecherin, stets perfekt geschminkt und wagte sich nicht, mit dem „niederen“ Volk zu kommunizieren. Schadete scheinbar ihrer Gesundheit. Laut meines besten Freundes verbrachte sie ihre freie Zeit zwischen dem Badezimmer, Vivienne Westwood und den Cheerleadertreffen. Ich hatte sie noch nie gemocht, aber sie war immer nett zu mir. Ich war in ihren Augen der geborene Cheerleader, aber ich wollte mich nicht auch noch ihrem Hofstaat anschließen. Das sie mich nicht ständig in der Luft zerriss, das war mir Freundschaft genug.


Ich ließ mich SO leicht von meinem eigentlichen Thema ablenken, dass war doch echt nicht zu fassen.
„Ähm, Ian? Ich wollte dir doch was erzählen....das ist echt wichtig!“ Er setzte sich zu mir auf die Bettkante. „Also.....ich hab...nein, anders.“ Er sah mich neugierig an. „Als du weggegangen bist, hab ich doch die Tür zugeknallt, nicht wahr?“ Mein bester Freund nickte. „Dann ist unser Bild von der Wand gefallen und dahinter war ein....Safe.“ Jetzt war sogar Ian, den sonst so gut wie nichts aus der Ruhe brachte, aufgeregt. „Was war drin, sag schon? Waffen, Sprengsätze, Drogen?“ Ich lachte. „Ian, du schaust echt viel zu viele Krimiserien. Nein, aber eine Kiste. Mit einem Brief, und mit Fotos. Ian, ich hab herausgefunden, dass Edison nicht mein Vater ist.“

Ian schüttelte den Kopf und meinte: „Nee, oder? Das...das ist ja total......cool!!!“

Wie bitte? Ich erzählte ihm davon, dass meine Mutter mich 16 Jahre lang belogen hatte, und er fand das cool. Vielleicht spinnt er sich in Gedanken schon wieder eine Geschichte zusammen, die man für CSI:NY gebrauchen könnte.
„Ian, mein Vater ist tot. Ich werde ihn nie wieder sehen.“. „Das tut mir echt Leid. Ist schon fies von deiner Mum. Und was machst du jetzt?“
„Das ist jetzt ein Scherz, oder? Ich will trotzdem herausfinden, wer er war. Von meiner Mutter erfahre ich das ganz sicher nicht. Aber er war Italiener, er kam aus Florenz. Wo soll ich denn da anfangen?“ Ich seufzte. „Ist 'ne bescheuerte Idee, oder? Ich bin halt einfach naiv.“
Er lachte. „1. Nein, du bist nicht naiv. 2. Ja, das ist eine bescheuerte Idee. Aber ich werde dir trotzdem helfen.“

Ich umarmte meinen besten Freund und machte mich auf den Weg nach Hause.


Ich bog in die 288 East 105th ein, wo wir unser kleines Häuschen hatten. Dabei stieß ich fast mit Ebony zusammen, die wohl meinen Bruder besucht hatte. Es war schon dunkel, und ich hätte sie mit der Mütze ihres Cardigans, die sie tief ins Gesicht gezogen hatte, beinahe nicht erkannt. „Ebony! Hey, lange nicht gesehen? Wie geht’s?“ Sie blinzelte mich wütend aus ihren blauen Augen an. „Das solltest du lieber mal Blake fragen. Der hat sie doch nicht mehr alle. Er hat gesagt, er kommt am Samstag nicht, weil er zu so 'nem komischen Gitarren-Freak-Treffen will. Achtung, O-Ton deines Bruders: <JA, das ist mir eben wichtig. Das ist nur einmal im Jahr!!!> Genauso wie mein Geburtstag, du Idiot, hab ich gesagt, und bin gegangen. Sydney, war das blöd?“ Sie unterbrach ihren Redefluss und biss sich unsicher auf die Lippe. WOW, das Ebony mich um Rat fragte. Sonst war sie der Cheerleading-Psychologe, der auf alles eine Antwort hatte. Sie und Blake waren sowieso das Traumpaar der Schule, gleich nach Derek und dem Schneewittchen. Ich nannte sie so, wenn ich mich über sie aufregte oder mir nichts Besseres einfiel. Sie hatte eben schwarze Haare und war auch noch stolz darauf. Blöde Kuh. „Ach quatsch, der kriegt sich schon wieder ein. Außerdem, was will er eigentlich da? Hallo, du bist seine Freundin.“ Ich ergriff mal Partei für die Mädchenseite. „Genau! Das hab ich ihm auch gesagt. Endlich versteht mich mal jemand. So, ich muss los.“ „Klar, wir sehen uns ja morgen in der Schule.“ Sie winkte und wollte sich schon zum Gehen umdrehen, als sie noch sagte: „Ach, Sydney: wenn wir uns nicht mehr vertragen, zwingst du ihn dann trotzdem zu kommen? Ich hätte ihn gerne dabei.“ Ich nickte. „Nichts lieber als das. Seine Launen will ich nicht auch noch ertragen müssen, Tage danach. << Ach, wär ich doch nur gegangen>>“ Wie lachten, als wären wir die besten Freundinnen, obwohl wir das eigentlich nicht waren. Verrückter Tag.

Zuhause stellte ich erleichtert fest, dass meine Mutter nicht da war. In der Küche hing ein Zettel in der krakeligen Handschrift meines Bruders geschrieben: „Hey Syd.“ - Ich hasste es, wenn man mich so nannte- „Komme heute später nachhause“ -Es war bereits halb 11. Wie viel später denn noch“ - Essen steht im Kühlschrank, Mama ist bei Sophie. Bis dann, B.

Super. Ein weiterer Abend, an dem ich mich mit nichts beschäftigen konnte. Schlimmer ging es doch echt nicht mehr.Also ignorierte ich das Essen im Kühlschrank, griff mir meine Tasche und ging frische Luft schnappen.

Im Central Park war um diese Uhrzeit nur noch wenig los. Ein paar ganz motiverte Jogger und die üblichen Obdachlosen und Drogendealer konnte man dort natürlich finden, aber Massenmörder und ähnliche Personen waren sogar für New York zu unüblich. Normalerweise werden hier keinen alten Damen ihre Handtaschen geklaut und Mädchen werden nicht in Büsche gezogen und ausgeraubt. Normalerweise. Heute musste ich jedoch beobachten, wie so etwas geschah. Ein Mann mit klischeehaft dunklen Klamotten und einer tief ins Gesicht gezogenen Mütze hielt einem jungen Mädchen, nicht älter als ich den Mund zu und schleppte sie aus dem Weg. Ich starrte eine Weile in ihre Richtung, wie gelähmt. Dann schaltete ich sofort. Auf meinem Handy war die Speed -Dial- Nummer 1 schon immer 911 gewesen. Jetzt wusste ich wieder, wozu dies gut war. „16. Revier, Officer Norway. Guten Abend?“, meldete sich eine Stimme am Telefon. „Sydney Bennett hier, ich bin im CP, direkt am Metropolitan Museum. Hier wird gerade ein junges Mädchen....entführt oder so. Sie müssen schnell kommen.“ „Ok, habe verstanden. Miss, tun sie nichts Unüberlegtes. Wir sind sofort da.“ Ich legte auf und tat etwas Dummes. Etwas, was ich noch nie getan hatte. Ich widersetzte mich der Anweisung eines Police Officers. Nicht, dass ich jemals von denen Anwesiungen bekommen hätte, aber..... Nun ja, ich folgte dem Mann. Bis zu der Stelle, an er ich sie das letzte Mal gesehen hatte. Keiner war da. Und ich fiel in Ohnmacht.


Eigentlich fiel ich nicht direkt in Ohnmacht, mir hatte jemand einen Stein an den Kopf geworfen. Als ich wieder aufwachte, hörte ich eine Stimme neben mir: „Wir können keine Mitwisser gebrauchen, Allegra.“


Och nö. Wieso passierten solche bescheuerten Dinge eigentlich immer mir? Da will ich einmal, nur EIN EINZIGES VERDAMMTES Mal meine Ruhe haben, über sinnlose Dinge nachdenken und mich nicht mit anderen Menschen beschäftigen müssen, da werde ich gekidnappt.


- Fortsetzung folgt-

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 27.04.2011

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
mal wieder für meine neugierige Schwester.....

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