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Kapitel 1


Ich wollte weg. Weg von dieser Stadt, weg von diesem Land, weg von ihr. Von der, die mein Leben verändert hatte. Für immer. Die Bäume zogen noch schneller an mir vorbei. Ich spürte nicht, dass ich rannte. Ich spürte nicht, dass der Wind mir meine schwarzen Locken aus dem Gesicht wehte. Ich spürte nicht, dass die Wunde an meinem linken Arm noch immer blutete. Das einzige, das ich spürte war meine Angst. Meine Angst vor ihr. Meine Angst vor dem, das gleich passieren würde. Meine Angst vor mir selbst.



Erschrocken richtete ich mich auf. Zog meinen verschwitzten, zitternden Arm zu mir. Nichts. Keine Wunde, keine Narbe, nur ein Kratzer, der von meinem Kater stammte. Normalerweise hätte ich jetzt mein Handy, das neben mir auf dem Bett lag genommen und geguckt wie spät es ist. Aber dazu war mein Körper viel zu zittrig. Außerdem brauchte ich keine Uhr, um zu wissen, dass es vor 4 Uhr war. Die Rotkehlchen waren still. Alles war still. Langsam wurde sogar mein Körper wieder still. Mein Kopf sank ins Kissen, meine Augen fielen zu. Ich wollte mich nicht wehren. Ich wollte meinem Körper noch ein wenig Erholung gönnen.

Ein schwarzes Etwas zischte an mir vorbei. >>Komm mit.<<Wollte meine Intuition sich nach 18 Jahren mal melden? Von mir aus. Ich war eh schon hinter dem Tier. Ein Wolf wie ich feststellen durfte, als er mir eine kleine Verschnaufpause gönnte. Er begann wieder zu laufen. Langsamer als vorhin. Ich wusste nicht, ob er das wegen mir tat, oder ob er langsam müde wurde. Wo wollte das Vieh überhaupt hin? Und warum lief ich wie ein Bekloppter hinter ihm her? Ich hatte eindeutig besseres zu tun. Er schlug einen scharfen Bogen. >>Wir sind gleich da.<< Hatte der Wolf mit mir gesprochen? Ich verlor noch völlig den Verstand. >>Tust du nicht.<< Er sprach nicht. Und trotzdem hörte ich ihn. Leise. Ganz leise. Er blieb stehen. Ich sah mich um. Noch mehr Wölfe. Sie sahen mich an, als wäre es das selbstverständlichste, dass ein Mensch bei ihnen war. Mir wurde schwindelig, ich spürte wie mein Körper langsam zu Boden glitt. Der Wolf kam näher und leckte über meine Wunde. Mir wurde schwarz vor Augen.



>>Sehr erholsam, danke Unterbewusstsein.<< Murmelte ich, während ich meinen Körper zwang, sich aufzurichten. Langsam versuchte ich mich hinzustellen. Meine Beine zitterten. Ich kam mir vor, wie ein neugeborenes Fohlen. Nach fünf Minuten zittern, an der Bettkante festhalten, fluchen und mich fragen, warum der scheiß Traum mir so real vorkam, schätzte ich, dass meine Beine bereit waren einige Schritte zu machen. Langsam bewegte ich mich auf den Kleiderschrank zu. Schon wieder kam ich mir wie ein kleines Fohlen vor. Ich ließ mich vor meinem Kleiderschrank sinken, kramte eine Röhrenjeans, mein „Little Kitty“ T-shirt, eine Unterhosen und ein paar Socken heraus und schlich ins Bad. Das eiskalte Wasser half mir, wieder klar zu denken.

Was fand ich so schlimm? Ich hatte geträumt. Träume waren normal. Albträume auch. Obwohl der Traum mir in einer Erzählung nicht wie ein Albtraum vorkommen würde. Ich würde denken, dass die Person einfach zu viel Twillight geguckt hat. Aber ich hasste Twillight, und meine Träume waren normalerweise langweilige 2D Filmchen. Dieser hier war nicht wie die anderen gewesen. Er war realer, es kam mir vor als wäre es schon passiert, oder als würde es noch passieren. Träumte man nicht manchmal Sachen die später passierten? Egal, ich durfte mich nicht damit verrückt machen. Von mir aus konnte ich später mal schwarze Haare und eine riesige Narbe haben. Von mir aus konnte ich mich später auch ab und zu in einen Wolf verwandeln. War doch nicht schlimm, ich mochte Wölfe. Aber jetzt wollte ich erst mal essen. Irgendetwas Menschliches tun.

Mein Bruder saß in der Küche, neben ihm konnte ich noch einen anderen Mann erkennen.
>>Hey, Fif.<< begrüßte er mich. Ich reagierte nicht, sondern starrte weiter auf den Mann neben ihm. Ich konnte nicht viel erkennen. Sie hatten das Licht nicht angeschaltet, die Sonne war noch nicht aufgegangen.
Mein Bruder bemerkte meinen Blick zuerst.
>>Farkas. Den kennst du ja schon, oder?<<
Ich nickte. Farkas hatte meinen Bruder schon ein paarmal mit seinem Porsche abgeholt oder zu Hause abgesetzt. Manchmal hatten sie sich vor der Türe miteinander unterhalten.
>>Fark? Meine Süße will nachher nochmal vorbeikommen. Könntest du…<<, fing mein Bruder an.
>>Klar.<<, unterbrach Farkas ihn, offenbar genauso wenig an den Details interessiert, wie ich.>>Ich muss eh noch zu Max.<<
>>Willst du mitkommen?<< Jetzt sah er mich mit seinen braunen Augen direkt an. Ich konnte meinen Blick nicht von ihnen lösen. Mein Gesicht spiegelte sich in ihnen. Immer noch nicht in der Lage mich von seinem Blick zu lösen, beobachte ich, wie mein Gesicht sich veränderte. Meine Züge wurden härter, meine Haare wurden schwarz und kitzelten jedes Mal, wenn mein Oberkörper sich im perfekten Rhythmus mit meinen schnellen, trainierten Beinen bewegten, meinen Nacken. Die Perspektive änderte sich, ich sah mich von hinten…ein Schatten tauchte neben mir auf, er berührte mich an der Schulter…mein Bruder.> Es ist nur dein Bruder.<, beruhigte ich mich selbst in Gedanken. Ich rannte nicht, ich stand in der Küche und starrte auf den Boden. Ich spürte einen Blick auf mir ruhen. War noch jemand hier? Ich richtete meinen Blick nach vorne. Farkas. Ja, natürlich. Farkas, der mich eben gefragt hatte, ob ich mit ihm zu seinem Max wollte. Und der immer noch eine Antwort erwartete. >>Kl-Klar.<<, stammelte ich, bemüht mich nicht noch einmal in seinen Augen zu verlieren. Wer war Max überhaupt? Egal, Max war nicht hier. Max war weg. Ich und Farkas mussten uns bewegen, um zu ihm zu kommen. Wenn wir uns bewegten musste ich ihm nicht in die Augen sehen. Alles war besser als hier mit ihm zu sein und die Geschichten in seinen Augen zu beobachten.


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Tag der Veröffentlichung: 16.11.2011

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