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1. Kapitel

 

Keuchend rannte ich durch die Straßen Venedigs. Das Geräusch meines Atems hallte von den Wänden der engen Gassen wieder, doch ich hielt nicht an um ihn zu beruhigen. Stattdessen wurde ich schneller, da die braune Fassade unseres Hauses in Sicht kam. Ich stürzte zur Tür herein und erfasste mit einem Blick das Geschehen: drei Soldaten standen in unserem kleinen Laden und mein Vater lag ihnen zu Füßen. Meine Mutter und meine kleine Schwester Marina standen in die Ecke gedrängt da, während einer der Soldaten sie mit einem Schwert in der Hand vorwarnte, nichts Unverzeihliches zu tun. Natürlich hatte ich gewusst, dass mein Vater viele Schulden hatte, seit dem Tag, an dem ein Brand die Werkstatt zerstört hatte, aber dass es so schlimm ist wusste ich nicht. Mein Vater war Glasmacher. Er stellte Gegenstände aus feinstem Muranoglas her - ein besonderes Glas, welches ausschließlich in Venedig hergestellt wird. Er war kurz davor gewesen seinen Wunsch zu erfüllen, nämlich ein Meister in seinem Handwerk zu werden - ein Maestro. Doch dann gab es diesen schreckligen Brand, bei dem alles zerstört wurde. Monatelang konnten wir keine neuen Waren mehr herstellen, da wir erstmal die Werkstatt wiederherstellen mussten. So kam es, dass sich Schulden anhäuften, die wir nicht bezahlen konnten. Als die Soldaten kamen, war ich gerade auf der Piazza San Marco gewesen um ein paar Erledigungen zu machen. Meine Freundin Ysabella hatte mir erzählt, dass Wachleute in unserem Haus seien, woraufhin ich Hals über Kopf losgestürmt bin, um meinen Vater davor zu bewahren, ins Verließ gebracht zu werden. Im nach hinein stellte sich dies als eine sehr törichte Idee heraus, ich keinen Plan hatte, wie ich das anstellen sollte. Insgeheim verfluchte ich mich für meinen immer noch rasselnden Atem, der mein übereiltes Kommen verriet. ,, Wer bist du, Mädchen?”, fragte der eine Soldat mit einem langen, roten Bart und stahlgrauen Augen. ,, Ich bin die älteste Tochter, Scarlett!”, meinte ich eingeschüchtert und deutete einen leichten Hofknicks an. Das reichte dem Soldat anscheinend, denn er meinte nur:,, Gut! Dann geh rüber zu deiner Mutter und ihr sperrt jetzt endlich diesen Narren in den Kerker, wenn er nicht mehr bereit ist, Abgaben für sein Land zu bezahlen!”, knurrte Rotbart und spuckte verächtlich auf den Boden. Die Anderen zwei Männer zerrten meinen sich windenden Vater hoch und wollten ihn gerade zur Tür schaffen, da gellte ein heiserer Schrei durch den Raum:,, Nein! Ich weiß, wir können keine materiellen Dinge abgeben, um unsere Schulden zu begleichen, aber unsere Tochter, Scarlett, sie kann Englisch.” Meine Mutter sah mit einem verzweifelten Blick zu den Wachmännern und sah sie flehend an. ,, Ja und? Was soll uns das sagen, Weib? Dies ist schließlich nichts besonderes.”, fragte Rotbart misstrauisch. ,, Ihr sucht doch ein englischsprachiges, junges Mädchen für die Pilgerfahrt nach Canterbury. Nehmt unsere Tochter! Sie wird mit euch gehen!”, flehte sie und ich war erschreckt darüber, wie dringend diese Bitte war, die Bitte, mich statt meinem Vater mitzunehmen. Dies versetzte mir einen schmerzhaften Stich, doch ich sagte nichts. Einen Moment dachte Rotbart nach. ,, Wie sollen wir sicher sein, das ihr uns nicht betrügt? Sprich Mädchen! Ich will es hören!” Er wandte seinen harten Blick mir zu und ich fing an wie er mir befohlen hatte Englisch zu sprechen. ,, Ihr Englisch ist gut. Woher kann sie es?”, fragte er einer der Soldaten mit freundlichen braunen Augen anerkennend. ,, Ich bin Britin!”, rühmte sich meine Mutter stolz. ,, Okay! Abgemacht! Sie wird mit auf die Pilgerreise gehen und der Mann hier darf bleiben!”, unterbrach Rotbart das Geplänkel. Erleichtert atmete meine Mutter auf, während es sich bei mir anfühlte, als hätte ich Blei im Magen. ,, Wir werden jedoch einen Soldaten in der Nähe des Hauses postieren, damit die Kleine ja nicht auf die Idee kommt bis morgen abzuhauen. Wir werden sie noch vor der Dämmerung abholen lassen!”, verkündete Rotbart und die Soldaten verließen das Haus. Als die Tür zuschlug umarmte meine Mutter meinen Vater stürmisch, während ich auf einem Stuhl zusammensackte. ,, Kind, es tut mir wirklich Leid, aber was sollte ich denn tun? Ohne deinen Vater würden wir alle verhungern.”, meinte meine Mutter entschuldigend. Ich nickte nur. Ich verstand. Lieber das eigene Kind hergeben und es wahrscheinlich nie wieder sehen, als den Gatten auch nur ein paar Tage lang aus den Augen zu verlieren. Ich stand auf und ging zur Tür. ,, Wo willst du hin?”, fragte meine Mutter nervös. ,, Zu Ysabella und Gabriel.”, antwortete ich. ,, Aber, aber…”, stotterte sie. ,, Niemand hat gesagt, dass ich nicht das Haus verlassen darf!”, fauchte ich und verließ das Haus. Tränen rannen mir die Wangen herunter und der kalte Wind schnitt mir ins Gesicht. Für einen Februar in Venedig war es dieses Jahr überaus kalt. Es lag sogar noch etwas Schnee, zumindest eine ganz dünne Schneeschicht. Ich rannte und rannte und rannte, bis ich mich in einer Sackgasse wieder fand. Ich ließ mich gegen die Wand sinken und weinte ununterbrochen. Mein Schluchzen hallte laut von den Wänden wieder, doch das war mir egal. Irgendwo musste auch der Soldat sein und aufpassen, dass ich nicht weglief, doch auch er interessierte mich nicht. Momentan interessierte mich nur die Tatsache, dass meine eigene Mutter mich gegen meinen Vater ohne einen Moment zu zögern eingetauscht hat, als wäre ich irgendeine Ware. Ich weiß nicht, wie lange ich in dieser dunklen, verlassenen Gasse saß und versuchte den schmerzhaften Schlag zu verkraften. Nur die Schneeglöckchen waren Zeugen meiner Trauer und vielleicht noch ein Soldat oder eine Katze, doch die gingen mich alle nichts an. Ich hätte wahrscheinlich die ganze Nacht dort verbracht, doch nach langer Zeit tauchte plötzlich Ysabella auf. Sie setzte sich zu mir und ich lehnte mich schluchzend gegen sie. Sie schloss mich in ihre dürren Arme und wartete bis ich ausgeweint hatte. Sie sagte nichts, sondern saß einfach nur da und ließ mich weinen. Als ich mir endlich die verbliebenen Tränen vom Gesicht wischte, sah sie mir das erste Mal direkt ins Gesicht und fragte:,, Warum weinst du, Scar? Was kann denn so schlimm sein, das du Tränen vergießt? Es muss Ewigkeiten her sein seit du dass das letzte Mal getan hast.” Ich wischte mir noch einmal übers Gesicht und antwortete dann mit gebrochener Stimme:,, Meine eigene Mutter hat mich gegen meinen Vater eingetauscht." ,, Eingetauscht? Warum? Was ist denn passiert?", fragte sie ruhig und schaute mich durchdringend mit ihren großen, braunen Augen an. ,, Soldaten kamen und wollten meinen Vater mitnehmen, weil er seine Schulden nicht mehr begleichen konnte. Sie wollten ihn ins Verließ bringen." Sie überlegte einen Moment und spielte dabei mit ihrem langen, hellblonden Haar, wie sie es immer tat. ,, Und da hat dich deine Mutter gegen ihn eingetauscht?", fragte sie weiter und ich nickte nur. ,, Ich glaube, ich kann sie etwas verstehen. Sieh, ohne deinen Vater könnt ihr nicht überleben. Er ist derjenige, der das Geld einbringt und deine Mutter könnte das nicht, schließlich ist sie eine Frau und du weißt, dass niemand gerne mit einer Frau Geschäfte macht. Außerdem, sie muss an euch alle denken. An dich, an deinen Vater, an sich und natürlich an Marina! Allen würde es schlecht gehen und ich denke mal, das wollte sie einfach nicht.", erklärte Ysa mir. Danach schwiegen wir einige Zeit lang. Das was sie sagte klang so klar und einleuchtend, dass ich verstand. Ich verstand meine Mutter und fühlte mich im nach hinein etwas dumm. Sie hatte dies tun müssen und war ich nicht losgelaufen, um meinem Vater zu helfen? Ich nickte und signalisierte Ysabella so, dass ich verstand. Ich wischte mir mit deiner Hand noch mal übers Gesicht, um auch die letzten Tränenspuren zu beseitigen, und lächelte sie dann leicht an. Da meinte sie:,, Eine Frage habe ich aber noch: Inwiefern hat sie dich eigentlich eingetauscht? Schließlich bist du ja nicht im Verließ gelandet." ,, Ich soll als Pilgerin mit nach Canterbury gehen, aufgrund dessen dass ich Englisch spreche. Mehr weiß ich auch nicht.", erzählte ich. Einen Moment lang sagte sie gar nichts, doch dann meinte sie plötzlich mit großen Augen:,, Du sollst als Pilgerin mit nach Canterbury? Nach England? Etwa als Pilgrim of the Snowdrops?” ,, Ich weiß nicht…", antwortete ich etwas verwirrt. ,, Mein Gott! Weißt du denn eigentlich was das bedeutet?", sprach sie aufgeregt. Ich schüttelte nur den Kopf. ,, Weißt du, vor vielen Jahrhunderten gab es einen Krieg zwischen England und Italien. Die Engländer hatten Venedig schon fast eingenommen, da trafen sie ein Abkommen. Wir ergeben uns und dafür lassen sie uns in Ruhe. Es gab jedoch noch einen Teil der Abmachung: alle 100 Jahre müssen die Venezianer fünf Pilgerinnen nach Canterbury schicken, wobei diejenige, die als erste ankommt den Kronprinzen von England heiraten muss!”, erklärte sie mit leuchtenden Augen an. ,, Also werde ich als Pilgerin nach Canterbury geschickt um mich mit vier Anderen darum zu streiten, wer den Kronprinzen heiraten darf? Wo bleibt der gute Teil?!”, fragte ich sie perplex wegen ihrer Freude. ,, Du hast die Chance Königin zu werden!”, meinte sie nur, als wäre ich überaus langsam. ,, Ja und?! Was ist wenn der Kronprinz ein Idiot ist?! Was ist, wenn ich eher wie eine Sklavin, als eine Königin behandelt werde, schließlich bin ich eigentlich ja so was wie eine Kriegsgefangene?”, fragte ich sie mit hochgezogenen Augenbrauen. Sie schüttelte jedoch nur den Kopf und murmelte etwas, was sich für mich nach ,,Dickkopf” anhörte Dann stand sie auf, zog mich auf die Beine und drängte mich die Gasse entlang. Dabei meinte sie:,, Na komm! Gabriele wartet bei mir Zuhause.” Verwirrt sah ich sie an. ,, Was macht Gabriele bei dir Zuhause? Ich dachte, er müsste heute arbeiten?”, fragte ich. ,, Er hatte früher Schluss, weil Soldaten gekommen sind und die Piazza San Marco geräumt haben. Wahrscheinlich für die Zeremonie der Pilger:”, vermutete sie. ,, Die was?”, rief ich ahnungslos. ,, Na die Auswahl der Pilger für England, du Dummerchen!”, sprach sie, als müsste ich davon wissen. ,, Auswahl? Ann muss es ja mehrere Bewerber geben! Warum nehmen die dann mich wenn, wenn sie sonst wen haben könnten?", fragte ich sie verwirrt. ,, Ach Scar, mach dir doch darüber keine Gedanken. Du bist dabei und hast die Chance deines Lebens! Du willst den Kronprinzen nicht heiraten? Ist doch unwichtig. Du lässt dir einfach Zeit auf deinem Weg und schon musst du dies nicht tun, schließlich wird nur die Pilgerin verheiratet, die zuerst ankommt. Aber sieh es doch mal so: Du siehst so viel von der Welt! Du hast die Chance, die den meisten hier vergönnt bleibt. Außerdem gehst du auf eine Pilgerreise! Du kannst für dein Seelenheil sorgen, sodass du dir darum keine Sorgen mehr machen musst. Sieh doch einfach mal die Guten Sachen und nicht immer nur die Schlechten", sprach sie aufbauend. Ich dachte über ihre Worte nach und kam zu dem Schluss, dass sie Recht hatte. Vielleicht sah ich das alles doch etwas zu überdramatisch. Eigentlich hatte es doch auch seine Vorteile! ,, Ich glaube, du hast Recht. Eigentlich ist die ganze Situation doch gar nicht so schlimm.", stimmte ich ihr zu und gab ihr ein kleines Lächeln. Sie lächelte zurück und wir bogen nun in friedlicherer Stimmung in die nächste Gasse ein. Da tat sich mir aber doch noch eine Frage auf: ,, Woher weißt du eigentlich soviel darüber ,, Meine Großmutter war bei der Pilgerung dabei gewesen, kam aber nicht als Erste an. Aber dafür hat sie uns ganz viele Geschichten darüber erzählt, schon als wir noch klein waren. Daher weiß ich das alles.”, meinte sie Schultern zuckend. Mit "wir" meinte sie sich und ihre drei Geschwister Cortese, Alessandro und Giana. Schweigend überquerten wir die Ponte di Rialto. Da fiel mir noch etwas ein:,, Wie hast du mich eigentlich gefunden?” ,, Ein Soldat ist aufgekreuzt und hat mir gesagt wo du zu finden bist.”, meinte sie locker. Also hatte ich Recht gehabt mit meiner Vermutung, das ich beschattet worden bin. Wir bogen in eine heruntergekommene Gasse ein und wandten uns nach rechts, zu dem schmalen Türeingang von Ysabellas Haus. Sie öffnete die Tür und wir traten ein. ,, Bella! Du hast Scarlett gefunden!”, Cortese, Ysabellas zweitjüngste Schwester, kam uns entgegen. Sie lächelte mich aus ihrem runden Gesicht heraus an und verschwand im Nebenzimmer. Cortese war vier Jahre alt und hatte einen roten Lockenkopf mit Grübchen im Gesicht. Wir folgten ihr in die Küche in der vier weitere Personen waren: Alessandro, Giana, Ysabellas Mutter Meliore und Gabriele, ein Freund von mir. ,, Scarlett!”, Meliore kam zu mir herüber und schloss mich in ihre Arme. Sie war eine etwas fülligere Frau mit schon silbernem Haar und einem freundlichen, aufgeschlossenen Gesicht. ,, Du weißt ja gar nicht, was für einen Schrecken du uns eingejagt hast, als der Soldat in unser Haus kam!”, meinte sie mit einem weichen Blick und ließ ein tiefes Lachen hören. Entschuldigend lächelte ich sie an. ,, Mutter weißt du was?”, mischte sich Ysa ein, ,, Scar wird eine der Pilgerinnen sein, die nach England geht!” ,, Wirklich? Das ist ja großartig!”, rief sie und strahlte mich an. Als sie jedoch meinen Gesichtsausdruck sah, verblasste das Lächeln. ,, Na freust du dich denn gar nicht Kind?”, fragte sie sorgenvoll. Ich schenkte ihr ein trauriges Lächeln und erklärte:,, Ach, ich tue dies ja nicht freiwillig. Ich gehe mit, da sonst mein Vater ins Verließ müsste. Ich war noch nie solange von Zuhause weg und stell die vor, ich würde als erste ankommen! Dann müsste ich irgendeinen Prinzen heiraten, den ich nicht kenne, und würde nicht mehr zurückkehren können…" Einen Moment lang herrschte Stille in der Küche. ,, Ach Kind, jetzt mach dir doch nicht so viele Gedanken. Das wird schon! Du wirst sehen, alles wird gut werden.", sprach sie zuversichtlich und schloss mich fest in ihre Arme. Der Geruch von frischem Brot stieg mir in die Nase und die Sorgen schienen kleiner zu werden. Hier konnte ich mich immer wie zu Hause fühlen, sodass kein Platz für Sorgen blieb! Sie ließ mich wieder los und wir schwiegen einen Moment lang. ,, Wann soll es denn losgehen?”, fragte sie nach einer Weile. ,, Morgen.”, sprach ich leise und mein Magen zog sich bei den traurigen Blicken zusammen. Die Idee selbst rief zwar große Begeisterung hervor, aber mich gehen zu lassen fiel ihnen doch schwer, schließlich war dies so was wie meine zweite Familie. ,, Morgen also.”, wiederholte Ysa. ,, Vielleicht solltest du dann jetzt besser gehen. Dann bist du morgen ausgeschlafen. Wir werden uns dann an der Piazza San Marco bei dir verabschieden!”, meinte Meliore und blinzelte schnell. Ich nickte nur und stand auf. Alle zusammen begleiteten mich zur Tür und umarmten mich nacheinander. Als die Tür ins Schloss fiel, fühlte ich mich, als wäre eben schon der Abschied gewesen und ich würde keinen von ihnen je wieder sehen. Tränen standen mir, genau wie eben Meliore, in den Augen. Hastig wischte ich sie weg und machte mich auf den Heimweg.

2. Kapitel

Am liebsten wäre ich noch eine Weile in Venedig herumgelaufen und hätte meine Lieblingsplätze aufgesucht, aber ich wusste, dass ich immer noch unter Bewachung stand und nicht jeder musste von diesen Orten erfahren, zumal nicht alle zugelassen waren. Also ging ich langsam nach Hause, jeden Umweg mitnehmend, um ja lange zu brauchen. Ich strich über den kalten Schnee auf den Fensterbrettern der Häuser und pflückte ein paar der Schneeglöckchen, die durch die Lücken der Steine auf der Straße sprossen. Als ich endlich Zuhause ankam, war schon die Dunkelheit hereingebrochen, obwohl es als ich losgegangen war gerade mal gedämmert hatte. Ich atmete noch einmal die kalte Luft ein und betrat dann unser Haus. Niemand war im Laden, sodass ich die Treppe nach oben ging. Das Knarren der Dielenbretter verriet mein Kommen schon als ich gerade mal auf der zweiten Stufe stand. ,, Scarlett? Scarlett!”, drangen die wütenden Rufe meiner Mutter zu mir herunter, ,, Wo warst du, Mädchen?! Es ist schon dunkel! Ich dachte du wärst weggelaufen!” Jetzt stand ich am Ende der Treppe meiner wütenden Mutter gegenüber. Blondes Haar verriet mir, das Marina hinter ihr stand. ,, Ich bin ja da.”, meinte ich traurig und ging den Flur entlang zu meinem Zimmer. ,, Komm sofort wieder her!”, kreischte sie aufgebracht und kam hinter mir her. Ich schlüpft in mein Zimmer und schloss die Tür ab. Als meine Mutter merkte was ich getan hatte, schlug sie lautstark schimpfend gegen die Tür, in der Hoffnung, ich würde öffnen, was ich nicht tat. Ich ließ mich auf mein Bett sinken und zog das einzige Buch was ich besaß hervor. Bücher waren teuer, aber eine kurze Zeit lang hatten wir so viel verdient, dass mein Vater mir sogar eins gekauft hat. Zumindest hat er es jemandem abgehandelt, der Bücher für nicht allzu viel verkaufte. Gedankenverloren begann ich in dem Buch zu lesen, wobei ich das Hämmern total ausblendete. In dem Buch ging es um eine junge Magd namens Fiuola, die sich in den Königssohn Giuliano verliebte. Am Ende verlassen beide heimlich das Land und lebten als Händlerfamilie in Preußen. Ich fing an in dem Buch zu lesen und war so vertieft, dass ich gar nicht bemerkte, dass das Hämmern aufgehört hatte. Erst ein leises Klopfen brachte mich wieder in die Wirklichkeit zurück. ,, Scar? Lass mich rein! Ich bin es, Marina!”, flüsterte eine zarte Stimme und ich öffnete die Tür. Marina schlüpfte mit einem halben Laib Brot, etwas Wurst und einem Wasserkrug ins Zimmer und ließ sich auf meinem Bett nieder. Ich schloss die Tür wieder zu und setzte mich neben sie. ,, Hier! Das habe ich dir mitgebracht! Mutter war so wütend gewesen, dass sie dir kein Abendbrot geben wollte.”, erzählte sie und reichte mir das Essen. Ich räumte meinen Nachttisch leer, breitete mein Abendbrot auf dem Tisch aus und begann zu essen. Dabei betrachtete ich sie von der Seite her. Ihr langes, blondes Haar, mit dem sie immer spielte, wenn sie nervös war, ihre strahlend blauen Augen, die jeden durchschauten und einen oft mit einem flehenden Blick ansahen, ihr rundes Gesicht mit den rosigen Wangen. Die Leute sagten immer, wir seien wie Tag und Nacht, Mond und Sonne, sie strahlte immer leuchtend hell, während ich mit meinem schwarzen Haar und den dunklen Augen, eher im Dunkeln blieb, solange sie mich nicht beleuchtete. Sie nahm meine Hand in ihre kleinen Hände und flüsterte:,, Ich will nicht das du gehst! Ich will das du hier bei Mama und Papa und mir bleibst!” Tränen traten ihr in die Augen und sie umschloss mich mit ihren kleinen, dünne Ärmchen. Ich zog sie enger an mich und strich ihr über das weiche Haar. ,, Ach Marina! Du weißt, ich kann nicht. Aber ich verspreche dir, ich werde immer an dich denken! Immer! Tag und Nacht, Tag für Tag! Hier! Nimm das, als Versprechen, dass ich immer an dich denke!” Ich holte eine kleine silberne Kette unter der Matratze hervor. Ein kleines, gläsernes Schneeglöckchen, war als Anhänger geformt. Ich hängte es ihr um den Hals und sie betrachtete es staunend. Ich wischte ihr eine Träne weg, die sich aus ihrem Auge gestohlen hatte und sie sah mich mit einem kleinen Lächeln an. ,, Danke!”, hauchte sie und schloss wieder ihre Arme um mich. ,, Nun weine nicht mehr!”, flüsterte ich ihr ins Ohr und sie schüttelte den Kopf. So schlief sie ein, in meinem Arm, sodass ich sie auf mein Bett legte, wo sie sich wie ein kleines Kätzchen zusammenrollte und ich mich daneben legen konnte. ,, Gute Nachte, Schwesterherz! Und keine Sorge, ich werde bestimmt wieder kommen.”, hauchte ich ihr ins Ohr und löschte die Kerze auf meinem Nachttisch.

3. Kapitel

Ein leises Klopfen an der Tür unten im Laden weckte mich. Jemand öffnete und sie sprachen kurz miteinander. Dann schloss sich die Tür wieder und schwere Schritte kamen die Treppe hinauf. ,, Scarlett! Aufstehen!”, rief die weiche Stimme meines Vaters. Die Ereignisse des gestrigen Tages wallten in mir hoch und ich stöhnte leise auf. Ich setzte mich auf und gähnte herzhaft. Mein Blick glitt nach draußen. Es war an vereinzelten Stellen noch dunkel, ansonsten war der Himmel blutrot. Ich stand auf und ging zu meinem Schrank. Ich holte mein bestes Kleid heraus und zog es an. Dann ging ich zu der Schale mit kaltem Wasser auf einem Hocker in der Ecke und wusch mir das Gesicht. Als letztes nahm ich einen kleinen ledernen Beutel und suchte meine wenigen Besitztümer zusammen, die unter meiner Matratze versteckt lagen. Eine kleine gläserne Muranoglasperle welche nicht mehr verkauft werden konnte, da sie einen Kratzer hatte, ein geflochtenes Band, von Ysabella , ein getrockneter Kranz aus Efeu, Lavendel und Jasmin, von Marina, eine grob gearbeitete Kette von Gabriele und mein Buch. Ich befestigte den Beutel an dem Gürtel an meiner Taille und henkte mir noch schnell meine Kette mit den Kreuz um. Dann wandte ich mich zur Tür und schloss sie auf. Da erwachte Marina und fragte leise:,, Musst du jetzt los?” Ich nickte nur. ,, Warte! Ich komme mit!”, ungeschickt stand sie auf und wankte schlaftrunken auf mich zu. ,, Nein! Du bleibst hier! Du bist doch noch gar nicht angezogen!”, erinnerte ich sie schnell. Sie blickte verärgert an sich herab und wollte gerade zur Antwort ansetzen, da meldete sich meine Mutter zu Wort:,, Außerdem soll Scarlett erstmal allein kommen und wir werden hinterher kommen!” Streng sah sie Marina an, die entnervt seufzte und sich wütend auf mein Bett setzte. Ich ging zu ihr herüber, kniete mich vor sie hin und hob ihr Kinn an, sodass sie mir in die Augen sehen musste. ,, Marina, du hörst mir jetzt genau zu! Du wirst dich jetzt anziehen und ihr werdet dann zusammen zur Piazza San Marco gehen. Dort werde ich sein und werde mich von dir verabschieden, verstanden?”, sprach ich ernst und sah sie dabei durchdringend an. Sie seufzte nur leise und drückte mich dann an sich. ,, Verstanden!”, flüsterte sie mir ins Ohr und ließ mich wieder los. Ich nickte leicht und stand auf. Dann drehte ich mich zur Tür um und ging zu meiner Mutter, die mich die Treppe herunter brachte. Zwei Soldaten standen in unserem Laden und sahen sich angespannt um. Als sie mich bemerkten, strafften sie sich und gingen zu Tür. Ich zog meinen Umhang an, umarmte meine Mutter, welche mir ins Ohr flüsterte:,, Du schaffst das!”, und folgte den Soldaten. Zusammen mit den Soldaten ging ich durch die Straßen Venedigs. Kalter Wind blies mir um die Ohren, sodass ich meinen Umhang enger um mich zog. Wir überquerten die Ponte dell'Accademia, gingen über den Campo Morosino und dann geradewegs zur Piazza San Marco. Kein einziger Stand war aufgebaut, stattdessen waren ein Altar mit der Bibel und eine hölzerne Truhe vor der Basilica di San Marco aufgebaut. Viele Menschen waren auf dem Platz versammelt. Vor allem adlige Mädchen waren vertreten. Ich konnte kein Händlerkind entdecken. Schüchtern folgte ich den Soldaten zu einem Mann neben der Basilica. Er hatte papierene Haut und sah aus, als würde er in jedem Moment zu Staub zerfallen. Er hatte kleine, eingefallene, blaue Augen die hinter einer Brille wirr um sich blickten. Er war ohne Frage ein Pfarrer. ,, Ah, du bist bestimmt Scarlett Pelliano. Ich habe dich schon erwartet!”, meinte er mit schwacher Stimme. Ich vollführte einen Knicks und sah ihn erwartungsvoll an. ,, Hattest du jemals von diesem Fest gehört?”, fragte er und strich sich das weiße Haar aus der Stirn. ,, Nein, euer Gnaden!”, antwortete ich und machte einen weiteren Knicks. ,, Wie hatte ich das von einer Händlergöre auch erwarten können!”, sprach er mit einem entnervten Ton in der Stimme, der auf eine keine geringe Abneigung schließen ließ.,, ,, Also, ich erkläre dir die Regeln: Jeder der fünf Auserwählten bekommt einen Soldaten, bestimmte Kleidung und eine Goldmünze. Mit diesen Hilfsmittel muss man versuchen, die Kirche in Canterbury zuerst zu erreichen. Wer sie zu erst erreicht, heiratet den Kronprinzen, die Anderen müssen zurückkehren.” ,, Ich hoffe du konntest mir Folgen. Bei einem Kind wie dir kann man sich da nie so sicher sein…", meinte er abwertend. Ein scharfer Stich durchfuhr mich. "Ein Kind wie dir" Ich bin die Tochter eines Händlers und nicht eines Betrügers! Was bildete er sich ein? Ich ließ ihn jedoch nichts von meiner Entrüstung wissen und nickte nur. Er sah mich zweifelnd an, wollte sich jedoch gerade abwenden, als ihm noch etwas einzufallen schien:,, Ach ja, und eines sollte ich dir noch sagen: deine Eltern werden nur von ihren Schulden befreit, wenn du zuerst an der Kirche von Canterbury ankommst! Ansonsten ist dies hinfällig und deine ganze Familie einschließlich dir werden im Verließ landen. An deiner Stelle würde ich mich anstrengen!” Mit einem fiesen Lächeln auf den Lippen drehte er sich um und verschwand in der Menge. Erstarrt erfasste ich die Bedeutung seiner Worte. Ich würde zuerst ankommen müssen! Ich würde heiraten müssen! Ansonsten wäre alles umsonst gewesen sein und alle würde ein schreckliches Schicksal erstürmen. Marina im Verließ? Das würde sie nicht überstehen! Nicht meine kleine, zarte Marina…Also würde ich dies schaffen! Für Marina! Ich drehte mich zu den Soldaten um, die immer noch neben mir standen, und fragte:,, Was wird jetzt als nächstes passieren?” ,, Du wartest hier, bis die Zeremonie beginnt und dann wirst du als Auserwählte nach vorne gebeten.”, antwortete mir ein junger Soldat mit pechschwarzem Haar. Ich nickte, nur als Zeichen dass ich verstanden habe. Da erklangen auch schon Trompeten, als Zeichen für den Beginn der Zeremonie. Die Leute traten beiseite und vielen auf die Knie, sodass ein freier Durchgang entstand. Ein Abt in langen roten Roben ging zusammen mit zwei Männern diesen Gang entlang. Der eine Mann hatte einen schwarzen Spitzbart und eine stattliche Figur. Er trug eine glänzende Rüstung und ein funkelndes Schwert. Sein arroganter Blick glitt über die Menschen, als wären sie Ungeziefer. Ich kannte ihn nicht. Vielleicht war er aus England... Der zweite Mann hatte braunes, schütteres Haar und strahlend blaue Augen. Sein leuchtender Blick sprach von Stolz, als er die Menschen musterte. Ihn kannte ich: Er war Venedigs Stadtherr! Alle drei schritten zum Alter und wandten uns dann ihre Gesichter zu. Der Abt teilnahmslos, der Spitzbart arrogant und der Herrscher stolz. Der Abt begann als erster zu sprechen:,, Liebes Volk, wir haben uns heute hier versammelt, um die Auserwählten aus unserer Mitte zu erwählen und sie zu "the Pilgrims of the Snowdrops" erklären. Alle Teilnehmer haben ihren Namen in diese Truhe geworfen und nun wird unser Stadtherr Guliano Pemont die Namen auserwählen.” Der Abt öffnete die Truhe, die mit vielen gefalteten Pergamentstücken gefüllt war, und unser Stadtherr streckte die Hand aus und zog das erste Stück heraus. Er glättete es und las vor:,, Orabella Medici!” Ein Mädchen mit rotem Haar und einem herzförmigen Gesicht erhob sich aus der Meng und schritt schüchtern den Gang entlang auf den Altar zu. Dort legte sie ihre kleine Hand auf die Bibel, die auf dem Altar lag, und murmelte einige Worte, die ihr der Abt diktiert, welcher auch die Bibel hielt. Als sie fertig war zeichnete sie ein Kreuz vor ihre Brust und verschwand in die Basilica. Dann trat Guliano Pemont wieder vor und griff in die Truhe. ,, Madolina Roldoro!”, rief er und ein zartes Mädchen mit rabenschwarzem Haar und blassen Zügen stand auf und ging selbstsicher zum Altar vor. Sie vollführte die gleiche Prozedur wie Orabella vor ihr und ging dann auch in die Basilica. Es wurden zwei weitere Mädchen aufgerufen. Einmal ein überaus kleines Mädchen mit fuchsrotem Haar namens Letita Bisacco und ein zierliches, junges Mädchen mit blondem Haar und feixendem Blick namens Rosanella Franscescon. Als letztes wurde mein Name aufgerufen:,, Scarlett Pelliano!” Ich stand auf und ging nach vorne. Dort traf mich der erzürnte Blick des Abt, der forschende Blick des Herrschers und der misstrauische Blick des Spitzbartes. Ein Murmeln ging durch die Menge, als sie mich als Händlerin enttarnten. Ich legte meine Hand auf die Bibel, wie die anderen es auch getan hatten, und sprach dem Abt nach:,, Ich, Scarlett Pelliano, Tochter von Francesco Pelliano und Lyana Snowdan schwöre, den von Gott vorgegebenen Weg zu bestreiten und alle meine Kräfte dafür zu gebrauchen, an der Kathedrale in Canterbury anzukommen. Ich werde fair sein und keinem der anderen Pilgerinnen mit unfairen Mitteln entgegenkommen. Amen!” Mit einem letztem Blick, der mich eigentlich hätte erdolchen sollen, entließ man mich und ich verschwand in der Basilica.

4. Kapitel

Ich war zwar schon unendlich viele Male in dieser Basilica gewesen, doch jedes Mal begeistert sie mich wieder. Die marmornen Wände, die Säulen aus Porphyr, Jaspis, Serpentin, Alabaster und Marmor, die vielen, wunderschönen Skulpturen aus unterschiedlichsten Epochen und, vor allem die hohe Decke mit den großartigen Mosaiken, die der Basilica ihren Namen gegeben haben: Goldene Basilika. Staunend trat ich zu den anderen Auserwählten, die demnächst meine Feinde sein würden. Ein schwer lastendes Schweigen lag in der Luft, während wir auf das Eintreffen des Abts warteten. Nach einer gefühlten, stillen Ewigkeit traf dies auch ein. Er kam mit der Bibel unter dem Arm auf uns zu, gefolgt von unserem Stadtherren und dem Spitzbart. Er baute sich vor uns auf und sprach mit tiefer Stimme:,, Ihr seid also die Auserwählten! Eine schwere Last ruht auf euren Schultern, denn ihr müsst unsere Stadt, das wunderbare Venedig, repräsentieren! Einer von euch wird in den nächsten Tagen nicht nur eine der Auserwählten, sondern auch die Braut des Kronprinzen sein. Um euch auf dies vorzubereiten, wird jeder von euch nun mit je einer Zofe mitgehen, die euch eure Kleider gibt und euch fertig macht. Dann werdet ihr wieder hier erscheinen und ihr werdet euren Soldaten kennen lernen, der euch den ganzen Weg über begleiten wird. Sie sind alle Soldaten der königlichen Garde und könne kein italienisch sprechen, sodass ihr schon auf dem Hinweg eure Sprachkenntnisse unter Beweis stellen müsst. Also, bis in einer halben Stunde!” Mit wehendem Umhang verschwand er, gefolgt von Giuliano Pemont und dem Spitzbart. Fünf Zofen tauchten auf und machten einen Knicks vor uns, was mir ziemlich merkwürdig erschien, da eigentlich ich diejenige war, die dies tat. Anscheinend war ich aufgestiegen, mit meiner Rolle als Pilgerin. Ich folgte einem Mädchen in ungefähr meinem Alter mit langen, blonden Haaren und einem flickenbesetzten Kleid, wie meine anderen Zuhause im Schrank. Sie brachte mich in einen kleinen Raum im oberen Teil der Basilica und schloss die Tür hinter mir. Sie besorgte eine fein verzierte Schale mit klarem Wasser und ein rot-braunes Kleid. Dann nahm sie mir meinen Beutel ab und half mir aus meinem Kleid heraus. Ich wusch mir das Gesicht mit dem kalten Wasser und fühlte mich sogleich erfrischt. Sie half mir in das Kleid herein und begann es hinten zuzubinden. Währenddessen fragte ich sie:,, Wie heißt du eigentlich?” Überrascht sah sie mich an. Dann antwortete sie mit leiser Stimme:,, Luana, Signorina!” Ich nickte leicht. ,, Ich bin Scarlett!”, stellte ich mich freundlich vor. Sie warf mir einen überraschten Blick zu, band dann aber mein Kleid weiter zu. ,, Weißt du wer der Mann mit dem Spitzbart ist? Ich weiß es nämlich nicht.", fragte ich sie neugierig. Erschrocken guckte sie mich aus ihren großen, blauen Augen an. ,, Das ist der Zeremonienmeister des englischen Königs Henry.", erzählte sie, während sie mein Kleid weiter zuband. ,, Er erscheint mir seltsam…weißt du näheres über ihn?", sprach ich weiter und musterte das an der Wand hängende Bild. ,, Ich weiß nichts aus eigener Erfahrung, aber man sagt, er sei ein schreckligen Mann und man sollte sich lieber von ihm fern halten. Außerdem weiß jeder, dass er es auf die Königskrone abgesehen hat.", murmelte sie nach einem Moment der Überlegung. Während ich über ihre Worte nachgedachte, band Luana geschwind mein Kleid fertig zu. Das Kleid war schwerer und dicker als ich es von meinen gewohnt war und ich hatte das Gefühl nach unten gezogen zu werden. Luana, die meine leichte Verwirrung mitbekommen hatte erklärte:,, Der Stoff ist so schwer, damit er euch warm hält und vor Regen schützt.” Ich nickte, als Zeichen, dass ich verstanden hatte. Sie holte ein paar braune, flache Schuhe hervor, setzte mich auf einen hölzernen Stuhl und zog sie mir vorsichtig an, als wären sie aus Glas. Sie zauberte eine feine Bürste aus ihrer Rockfalte hervor und begann meine Haare zu kämmen, was gar nicht so leicht war, durch meine widerspenstigen, bronzenen Locken. Währenddessen fragte ich:,, Wenn jeder weiß das der Zeremonienmeister es auf die Krne abgesehen hat, warum entlässt ihn der König dann nicht?" ,, Er vertraut ihm. Er glaubt keinem dieser gemurmelten Worte und hält die Freundschaft. Man könnte es als leichtsinnig beschreiben, aber man muss verstehen, dass sie sich ihr ganzes Leben lang kennen, sodass König Henry natürlich nicht mit einem Verrat rechnet. Doch seine Söhne lassen sich nicht so leicht täuschen. Sie begegnen dem Zeremonienmeister eigentlich immer mit Misstrauen und passen somit auf.", erzählte Luana in leichter Plauderstimme, während sie an meinen Haaren herumwerkelte. Überrascht über diese vielen Informationen fragte ich:,, Woher weißt du all diese Dinge über die Gegebenheiten in England?” Mit einem leichten Lächeln in der Stimme sprach sie:,, Mein Cousin und meine Cousine arbeiten am königlichen Hof. Meine Cousine, Fayola, ist eine Zofe und mein Cousin, Lane, ist Soldat der persönlichen Garde von Prinz Griffin. Ich schreibe viel mit den Beiden und daher weiß ich das alles auch, da sie mich viel darüber informieren. Im Hintergrund erfährt man halt viel, schließlich gibt niemand Acht auf Zofen oder Soldaten." Das Kämmen meiner Haare war schon in einem gleichmäßigen Rhythmus übergegangen und ich glaube, sie bemerkte es nicht einmal mehr, da sie so in Gedanken versunken war. ,, Mein Cousin soll übrigens auch hier sein. Fayola hat erzählt, er wird eine von euch begleiten.", berichtete sie und ich zog überrascht die Brauen hoch. Wie von selbst hörte sie auf meine Haare zu kämmen und flocht sie zu zwei Zöpfen. Sie zog mich auf die Beine, drehte mich einmal im Kreis und nickte zufrieden. Dann nahm sie meinen Beutel und ließ ihn in ihre Rockfalte gleiten. Beunruhigt beobachtete ich, wie meine Besitztümer verschwanden. ,, Du darfst keine Besitztümer bei dir tragen, da jeder die gleiche Chance haben soll und somit die gleichen Sachen bekommt.”, erklärte sie rasch, ,, Deine Sachen werde ich dem Soldaten geben, der dich begleiteten wird. In Canterbury bekommst du sie zurück.” Ich nickte nur und Luana gab mir einen genauso dicken, grauen Umhang, wie das Kleid, welchen ich mir eng um den Körper schnürte. Dann verließen wir den Raum. Wir gingen den gleichen Weg zurück, den wir gekommen waren und trafen im Mittelschiff der Basilica auf Madolina und Orabella, die genau die gleichen Kleider trugen wie ich. Nach wenigen Augeblicken trafen auch Letita und Rosanella ein. Als alle da waren trat der Abt auf und begann zu sprechen:,, Da nun alle hier versammelt sind, werde ich euch nun den jeweiligen Soldaten zuteilen und euch euer Pilgerzeichen und eure Goldmünze geben, euer einziger wertvoller Besitz während der Reise. Wer sie aufgebraucht hat, bevor er in Canterbury ankommt, und nicht mehr weitermachen kann, muss aufgeben und der Soldat wird euch dann zurück nach Venedig bringen. Also spart sie euch auf. Nun, lasst uns beginnen!” Der Abt klatschte in die Hände und die Tore der Basilica flogen auf. Fünf Soldaten mit ledergeschütztem Körper und einer übergezogenen rot-braunen Tunika, die zu unseren Kleidern passte, marschierten herein und stellten sich in geordneter Position auf. Dann holte der Abt eine Liste hervor und rief auf:,, Signorina Rosanella, bitte!” Rosanella und eine ältere Frau, anscheinend die Zofe, die sie hergerichtet hatte, traten nach vorne und der Abt griff in eine Falte seiner Gewänder um einen kleinen silbernen Gegenstand hervorzuholen. Von Weitem konnte ich es nicht erkennen, aber der Abt befestigte es an Rosanellas Kleid. Dann griff er wieder in die Falte und holte eine goldene Münze hervor, die er ihr mit einem väterlichen Lächeln in die Hand drückte. Als letztes schnippte er und ein Soldat mit grauem Haar trat an Rosanellas Seite. Die Zofe überreichte ihm Rosanellas Habseligkeiten und dann rief der Abt Madolina auf, während Rosanella, ihr Soldat und ihre Zofe wegtraten. Nach dem gleichen Muster schritt die Aufteilung voran bis nur noch ich übrig war. Der Abt rief mich nach vorne und zog das silberne Abzeichen aus seiner Tasche. Jetzt konnte ich erkennen, dass ein silbernes Schneeglöckchen darin eingelassen war. Außerdem stand in eleganter Schrift ,, Pilgrim of the Snowdrops” darunter - Pilgerin der Schneeglöckchen. Schmerzhaft wurde ich an Marina erinnert, der ich noch gestern Abend meine Kette mit dem Schneeglöckchen geschenkt hatte. Dann reichte mir der Abt noch die Goldmünze, wobei er kein Lächeln auf den Lippen hatte, wie bei Rosanella, sondern mit einer Grimasse zeigte, wie sehr ihm dies alles widerstrebte. Er schnippte einmal wobei er den Blick nicht von mir wendete, und ein Soldat erschien. Ich sah jedoch weiterhin den Abt an, da ich mich nicht traute den Blick abzuwenden. Erst ein Schrei brachte mich wieder zur Besinnung. Luana hatte sich auf den Soldaten gestürzt und umarmte ihn jetzt stürmisch, wobei sie dabei immer wieder ,,Lane” murmelte. Da fiel mein Blick zum ersten Mal auf den Soldaten. Er hatte schwarzes Haar und überaus dunkle Augen, die das Mädchen in seinen Armen freudestrahlend musterten. Seine Haut hatte eine relativ dunkle Nuance und das Lächeln auf seinen Lippen schien sehr oft aufgesetzt zu werden. Er war mit Abstand der Jüngste, denn im Gegensatz zu ihm waren alle anderen alt, schließlich schien er nur ein paar Jahre älter als ich zu sein. Als Luana sich endlich von ihm löste, färbte sich ihr Gesicht fast sofort rot, da sie den Blick des Abts bemerkt hatte, der sie genervt musterte. Lane überreichte sie den Beutel mit meinen Habseligkeiten, murmelte mir eilig noch ein "Viel Glück!" zu und ging dann zu den anderen Zofen, die sie alle vorwurfsvoll musterten. Ich ging auch zurück zu den anderen Auserwählten, gefolgt von meinem Soldaten, Lane. Da rief der Abt mit erhobenen Händen:,, Nun, da jeder seinen Soldaten und seine Habseligkeiten hat, kann die Reise beginnen!”, und wir stürmten auf die Tore der Basilica zu.

5. Kapitel

 

Kalte Morgenluft umfing uns, als wir nach draußen traten, doch durch den neuen Umhang fror ich nicht. Ich hastete durch die Menschenmassen, die uns zujubelten, aber für mich waren sie nur verschwommene Punkte, die unerreichbar schienen. Ich hatte nur noch einen Gedanken: Ich musste dies schaffen. Für meine Familie. Für Marina. Aus diesem Grund geriet ich auch ins Straucheln, als eine kleine Gestalt gegen mich prallte, als ich gerade das Ende der Masse erreicht hatte. ,, Scar!”, rief meine kleine Schwester, während sie mich festhielt. Da kamen auch meine Eltern, Ysabella und Gabriel in Sicht und drängten sich eng um mich. ,, Du wolltest doch nicht gehen, ohne dich zu verabschieden, oder?”, fragte meine Mutter mit einem traurigen Lächeln auf den Lippen. ,, Natürlich nicht! Ich verabschiede mich doch natürlich von euch.”, log ich leicht rot werdend. Bei diesen Worten schlang Marina ihre Arme noch fester, als wollte sie mich nie mehr loslassen. ,, Wann kommst du wieder?”, fragte Marina mit zittriger Stimme. ,, Ich weiß es nicht…”, wich ich aus, schließlich würde ich, falls ich es schaffen sollte als Erste anzukommen, für immer in England bleiben. Da schniefte Marina laut und begann zu weinen. Mutter zog sie sachte von mir weg und nahm sie in ihre Arme, damit ich mich verabschieden konnte. Also wandte ich mich als erstes Ysabella und Gabriel zu. Beide sagen mich traurig an, wobei Ysabella genau wie Marina Tränen in den Augen hatte. ,, Hier! Das ist für dich! Von meiner Familie, Gabriel und mir!”, sprach Ysabella unter Schluchzern und drückte mir einen kleinen Samtbeutel in die Hand. Mit zittrigen Händen öffnete ich ihn und entdeckte ein kleines, silbernes Armband mit einem gläsernen Anhänger in Gestalt eines Löwen, dem Markuslöwen, das Wahrzeichen Venedigs. Ich erinnerte mich noch genau daran! Seit Ysabella und ich acht waren, haben wir vor dem Schmuckstand auf der Piazza San Marco gestanden und die wertvollen Gegenstände betrachtet. Eines Tages kam dieses Armband auf den Tisch. Ich hatte es mir so sehr gewünscht, doch es war zu teuer, als dass jemand es mir gekauft hätte. Jeden Geburtstag habe ich auf dieses Armband gehofft und nun lag es in meiner Hand. Mit nun ebenfalls mit Tränen in den Augen schloss ich sie in meine Arme und schluchzte ihr ein ,,Danke” ins Ohr. Sie nickte nur, während mir ihre Tränen auf die Schulter tropften. ,, Meine Familie konnte leider nicht kommen. Sie haben es nicht geschafft. Ich soll dir Viel Glück von ihnen wünschen.", flüsterte sie nur. Ich nickte nur zum Verständnis da ich nicht sprechen konnte. Ich löste mich langsam von ihr und lächelte sie traurig an, dann wandte ich mich Gabriel zu. Er weinte nicht, aber sein Gesicht sah aus, als wäre es aus Stein gemeißelt. Dies war nie ein gutes Zeichen war, denn dann war er um seine Maske bemüht, die seine Gefühle nicht verriet. Ich schloss ihn auch in meine Arme und bedankte mich ebenfalls. Er hielt mich lange fest und löste sich auch nur langsam von mir. Er sah mich einen Moment lang Stirn runzelnd an und wandte seinen Blick dann etwas hinter mir zu. Er wandte sich von mir aber und steuerte auf dieses Etwas hinter mir zu. Ich drehte mich um und sah, dass er zu meinem Soldaten ging. Er sprach leise und mit zusammengekniffenen Augen zu ihm und das Gesicht des Soldaten verfinsterte sich, je länger das Gespräch anhielt. Zuletzt nickte der Soldat knapp und Gabriel kam zu mir zurück. Ich betrachtete ihn nur Stirn runzelnd, sagte aber nichts. Ich ging zu meinem Vater und umarmte auch ihn. Sein Gesicht war bleich, was einen starken Kontrast zu seinen rotgeränderten Augen darstellte. Er schloss mich in seine Arme, als wolle er mich festhalten, und meine Träne tropften auf seinen Umhang. ,, Pass auf dich auf!”, hauchte er mir ins Ohr und ließ mich vorsichtig los. Ich sah ihn ernst an und nickte dann. ,, Ich werde dich stolz machen!”, gab ich zurück und sah ihm noch einen weiteren Moment in die Augen. ,, Das brauchst du nicht, denn ich bin es schon.", antwortet er nur während seine Stimme am Ende brach. Dann wandte ich mich Mutter und Marina zu. Marina hielt sich an Mutters Kleid fest, als könne es ihr Halt geben, und sah mich mit verweinten Augen an. Mutter hingegen weinte immer noch, versuchte aber mich zu bestärken, statt zu verunsichern, was ihr jedoch nicht allzu gut gelang. Ich umarmte auch sie und sie flehte:,, Scarlett, es tut mir so Leid! Ich wollte das nicht! Ich wollte nicht, das du uns verlässt. Ich bin eine schreckligen Mutter! Ich hoffe du kannst mir verzeihen!”, dabei wurde sie so stark von Schluchzern gerüttelt, dass ich mitbebte. ,, Mutter! Ich habe dir schon längst verziehen! Ich habe es verstanden!” Ich hielt sie ein paar Zentimeter von mir entfernt, damit ich sie ansehen konnte und lächelte sie leicht an. Sie lächelte traurig zurück und ließ mich dann los. Sogleich kam Marina auf mich zugestürmt und sprang mir in die Arme. Ich drückte sie fest an mich und schloss für einen Moment die Augen, wobei meine Tränen auf ihr Kleid tropften, was jedoch niemanden störte, denn auch ihre Tränen flossen auf meinen Umhang. ,, Du musst jetzt stark sein!”, flüsterte ich ihr ins Ohr und drückte einen Kuss auf ihr Schläfe. Sie sah mich an und nickte ernst. Ich setzte sie ab und sie sprach:,, Warte! Ich habe noch etwas für dich!” Sie kramte in der Falte ihres Kleides, bis sie auf das Gesuchte stieß. Sie schloss ihre Hand darum und hielt sie mir hin. Ich öffnete meine Hand und sie ließ den Gegenstand in meine Hand fallen. Es war ein kleines, selbstgebundenes Büchlein. Neugierig blätterte ich in dem selbstgebundenen Büchlein und las einzelne Sätze. ,, Eigentlich solltest du es erst zum Geburtstag kriegen. Ich habe alle Geschichten die du mir mal erzählt hast aufgeschrieben und daraus dieses Buch gemacht. Ich hoffe du magst es.”, erklärte sie leicht schüchtern. Vor Glück war ich sprachlos, was sie jedoch falsch deutete. ,, Also, du musst es nicht mitnehmen.”, entschuldigte sie sich traurig und wollte es mir abnehmen, während ihr Tränen die Wange herunterrollten. ,, Ob ich es nicht mag?”, fragte ich sie mit leuchtenden Augen, ,, Marina, ich liebe es! Es ist das schönste Geschenk, was ich je bekommen habe!” Strahlend wischte ich ihr die Tränen von den Wangen. ,, Also magst du es?”, fragte sie hoffnungsvoll. ,, Aber natürlich!”, sagte ich grinsend, nahm sie hoch und wirbelte sie durch die Luft. Als ich sie wieder absetzte, atmete ich noch einmal tief durch. Ich warf einen Blick zu meinem Soldaten und sprach dann zu allen:,, ich muss jetzt gehen! Ich werde wiederkommen und dann werde ich euch auch etwas schenken! Versprochen! Lebt wohl!" Und mit diesen Worten drehte ich mich um, nickte dem Soldaten zu und machte mich auf Venedig zu verlassen.

6. Kapitel

Schweigend hetzten der Soldat Lane und ich durch die Gassen Venedigs um das nächste Schiff zu erreichen. Es gab keine Schiffe die bereitstanden um uns mitzunehmen; wir mussten uns selbst eins besorgen. Da die anderen Mädchen höchstwahrscheinlich schon fort waren, mussten wir uns beeilen um sie wieder einzuholen. Keuchend kamen wir am Hafen an und ich ließ meinen Blick über die vielen Fischkutter wandern. Ich rannte einfach zu dem ersten Fischer, der gerade den Anker einholte, hinüber und fragte laut:,, Heya! Wohin fahrt Ihr? Fahrt Ihr zufälligerweise rüber zum Festland?” Überrascht blickte der Fischer auf und musterte mich misstrauisch. Anscheinend war er kurz davor gewesen, mir eine patzige Antwort zu geben, doch dann blieb sein Blick an Lane hängen, der bedrohlich hinter mir stand, und er meinte nur:,, Nein! Ich fahr nur zur Isola del Tronchetto rüber!” Dann wandte er sich schnell ab, schnürte den Anker am Boot fest und fuhr los, ohne uns noch mal anzugucken. Seufzend schüttelte ich den Kopf und ging weiter. Am nächsten Boot, das ablege bereit stand, hielt ich wieder an und fragte den Fischer das Gleiche wie den Ersten. Er verneinte ebenfalls. Ich ging weiter. Eine Weile lang bekam ich weiterhin Absagen, doch dann gab mir einer der Fischer einen Tipp:,, Versucht's mal bei dem Typen dahinten, Signorina. Er meinte, er möchte dorthin!” Ich bedankte mich und ging nun aufgeregt, zu dem genannten Mann hinüber. ,, Entschuldigt, Signore, ich habe gehört, Ihr fahrt rüber zum Festland?”, sprach ich ihn an. Er sah auf und schaute mich abschätzend an. ,, Aye, und?”, gab er zurück und betrachtete mich misstrauisch. ,, Hätten sie noch Platz für mich und meinen…Partner? Ich bin Pilgerin und suche eine Mitfahrgelegenheit.”, fragte ich ihn versucht freundlich, doch er achtete eh nicht auf mich, sondern auf Lane, der ihm wirklich Angst einzujagen schien. ,, Aye, kommt an Bord, Lady, wir legen ab!”, antwortete er. Erfreut stieg ich ein. Auch Lane kam an Bord, jedoch etwas zögerlicher als ich. Der Mann legte ab und das Boot fuhr los. Der Mann und Lane setzten sich beide an die Ruder und begannen das Boot anzutreiben. Ich setzte mich auch, bestaunte aber die Umgebung, statt zu arbeiten. Natürlich hatte ich schon tausend Mal das Wasser mit seinen vielen schillernd blau-grünen Farben gesehen, aber immer wieder war ich begeistert, vor allem, da dies vielleicht das letzte Mal sein könnte, dass ich es sehe. Ich seufzte niedergeschlagen. Im Herzen war ich halt doch eine echte Venezianerin! Ich streckte meine Hand aus und durchbrach mit meinen Fingerspitzen die kühle Wasseroberfläche. Es war zwar kalt, aber gefroren war das Wasser nicht. Dort wo meine Finger das Wasser berührt hatten, erstreckten sich nun immer größer werdende Kreise. Ich holte meine Hand wieder aus dem Wasser heraus und steckte sie unter meinen Umhang, um sie zu wärmen. Langsam kam das Festland in Sicht. Bunte Punkte, die anscheinend Menschen, Häuser und Boote darstellen sollten, erschienen am Horizont, während ich gespannt darauf wartete, anzulegen. Doch das Boot fuhr langsamer und schien gleich ganz stehen zu bleiben. ,, Was ist los? Warum werden wir langsamer?”, fragte ich den Fischer. ,, Dort kommt ein Boot, welches vor uns den Hafen verlassen muss, damit wir einen Anlegeplatz haben, da alle anderen besetzt sind. Wir müssen warten.”, erklärte der Fischer. Ich schaute zu dem genannten Boot und sah gerade noch, wie blondes Haar und eine rot-braune Tracht es verließen. Rosanella und ihr Soldat waren also vor uns angekommen! ,, Wie lange wird das dauern?”, fragte ich mit angespannter Stimme. ,, Ein paar Minuten, viertel Stunde, keine Ahnung!”, rief er aus. Ich schaute mich hektisch um. Da entdeckte ich eine freie Stelle, die zwar nicht als Anlegeplatz geeignet war, aber bei der Lane und ich mühelos aussteigen konnten. ,, Fahren sie darüber!”, wies ich den Fischer an und er tat was ich sagte. Frohen Mutes sprang ich von Bord an Land und sagte dann zu dem Fischer:,, Danke das ihr uns mitgenommen habt!” Er nickte mir zu und meinte nur:,, Kein Problem, Lady.” Dann wendete er und wartete auf eine freie Anlegestelle. Ich wartete jedoch nicht ab bis er eine gefunden hatte, sondern machte mich auf den Weg durch die Stadt. Hoffentlich war Rosanella die Erste gewesen! Während ich mich durch die Menschenmassen wand fragte ich Lane beiläufig:,, Wie lang ist der Weg von Venedig nach Canterbury?” Er drehte sich zu mir um und antwortete:,, Elf Tage, MyLady, wenn sie schnell sind!” Ich nickte verstehend und hetzte weiter durch die Massen, wobei Lane sich beeilen musste hinterherzukommen, schließlich war ich kleiner und flinker als er. Als sich schließlich die Menschen zerstreuten und Lane mich eingeholt hatte, wäre ich um ein Haar in Rosanella rein gerannte, die plötzlich neben mir auftauchte. ,, Hey, pass doch auf!”, fauchte sie. Dann erkannte sie mich. ,, Na guck mal einer an! Das Händlermädchen! Solltest du nicht mit den Anderen noch in Venedig sein und auf ein Schiff warten?” Sie warf mir einen feixenden Blick zu und ich antwortete:,, Tja, ich hab meins gekriegt. Solltest du nicht noch drüben sein und deinen Eltern vorheulen, unter was für schrecklichen Verhältnissen du armes, adeliges Ding hier losgeschickt wird, schließlich ist doch dies alles unter deinem hochnäsigen Niveau?” Sie schnappt aufgebracht nach Luft und rief:,, Wie kannst du es wagen, du, kleine Händlergöre, mich, eine Adlige reinen Blutes, zu beleidigen?!” Oh wie ich diesen Moment liebte, in dem ich mich nicht dem Kastenwesen unterwerfen musste! Ich beugte mich zu ihr vor und sagte, sodass nur sie es verstehen konnte:,, Nein bist du nicht! Du bist eine Pilgerin auf dem Pfad Gottes und dein reines Blut kann dich in diesem Augenblick vor nichts beschützen!” Erschrocken sah sie mich an, wobei sie jedoch verstand, dass ich richtig lag. Ich warf ihr noch einen letzten Blick zu und stürzte vorwärts, bevor sie sich wieder gefangen hatte. Lane und ich gingen noch lange weiter, wobei es nicht nur bei dieser Stadt blieb, sondern wir immer mehr durchquerten. Ich kaufte mir unterwegs ein einfaches Brot und Wasser - Lane hatte selbst Essen und Trinken - und wir ließen uns einen Moment lang nieder um zu Mittag zu essen. Niemand von uns sprach bei unserem Mahl, wodurch ich die Zeit für ein Gebet nutzte. Plötzlich machte ich ein Geräusch hinter mir aus. Als ich meinen Kopf in die Richtung wand schaute mich ein kleines Mädchen frech grinsend an. Sie hatte blonde Zöpfe und graue Augen. Ihre Wangen waren gerötet und Grübchen zierten ihr Gesicht. Sie schien aus einer Händlerfamilie zu kommen mit ihrem schlichten, aber gepflegtem Aussehen. Da fiel mir plötzlich eine lange Narbe in ihrem Gesicht auf, die von ihrer Schläfe bis zu dem Ende ihrer Lippen auf der anderen Gesichtshälfte reichte. Bestürzte verkrampfte ich mich und starrte das Mädchen an. Doch ehe ich irgendetwas tun konnte, fiel eine Erinnerung über mich herein. Ich war zehn Jahre alt gewesen und hatte in unserer Straße zusammen mit Ysabella gespielt. Plötzlich öffnete sich eine Tür schräg gegenüber von unserem Haus indem eine neue Familie eingezogen war, eine Bäckerfamilie. Die dicke Frau des Bäckers kam mit wutverzerrtem Gesicht heraus vor sich ein kleines Mädchen. Eine frische Narbe zierte ihr Gesicht und Tränen rannen ihr Gesicht herunter. Die Frau holte aus und schlug ihr ins Gesicht, während sie das kleine Mädchen beschimpfte und ihr erklärte, sie solle nie wieder kommen. Als die Frau zum zweiten Schlag ausholte, hatte sich das Mädchen umgedreht und war weggerannt und in einer Gasse verschwunden. Auch die Frau war wieder ins Haus gegangen. Ysabella und ich hatten uns damals angesehen und ins Haus gestürzt. Dort hatten wir meiner Mutter von dem Mädchen erzählt. Meine Mutter hatte nur den Kopf geschüttelt und die Frau mit den schlimmsten Worten verwünscht, die ich je von ihr gehört hatte. Damals hatte ich nicht verstanden, warum meine Mutter so wütend gewesen ist. Heute weiß ich, warum. Das Kind konnte dort draußen nicht überleben. Vielleicht, wenn es Glück hatte, würde sie einen Monat überleben, höchstens zwei aber mehr auch nicht. Das Kind hatte keine Chance. Und das alles bloß, weil diese herzlose Frau, es einfach davon geschickt hatte. Wahrscheinlich weil es ein Brot zu lange drin gelassen hatte oder weil es nicht artig war. Aber dies war keine angemessene Strafe. Keine menschliche Strafe! Ich hatte das Kind nie wieder gesehen. ,, Hey, alles okay?”, fragte mich Lane und holte mich wieder zurück in die Wirklichkeit. Ich war keine zehn Jahre alt und spielte vor unserem Haus mit Ysabella. Ich war 16 Jahre alt und war weit weg von Venedig mit Lane, einem Soldaten den ich an diesem Tag erst kennen gelernt hatte und mit dem ich auf dem Weg nach England war, um den englischen Prinzen zu heiraten, der in diesem Moment auf das Mädchen wartete, welches als erstes ankam. ,, Na klar!”, sagte ich versucht munter, ,, Wir müssen nur wieder weiter. Sonst überholt uns Rosanella noch!” ich stopfte das restlich Brot und die Flasche mit Wasser in die Falte meines Kleides und ging zügig weiter. Als es dunkel wurde, ließen Lane und ich uns etwas abseits von einer kleinen Stadt nieder und machten ein Feuer, um uns zu wärmen und die Tiere fern zu halten. Ich wickelte mich in meinen Umhang ein und kauerte mich vor das Feuer. Lane setzte sich ebenfalls vor das Feuer und wärmte sich daran, wobei er jedoch immer sein Schwert in der Hand behielt. Ich aß noch etwas von meinem Brot und trank etwas von dem Wasser und starrte letztendlich überaus müde in die Flammen. Lane hingegen schien überhaupt nicht müde zu sein und beobachtete lieber unsere Umgebung, was mich überaus nervös machte. ,, Konntet ihr es euch aussuchen, mit hier her zu kommen, oder wurdet ihr gezwungen?”, fragte ich letztendlich um ihn von seiner ewigen Wachsamkeit abzulenken. ,, Prinz Griffin hat mir befohlen mitzukommen, nicht gezwungen.”, antwortete er schlicht ohne mich eines Blickes zu würdigen. ,, Ist das nicht ein und dasselbe? Befohlen und bezwungen. Beides muss man machen, ob man willst oder nicht.”, stellte ich verbittert fest und warf einen Stein ins Feuer. ,, Nein. Befohlen kann man eher mit gebeten vergleichen.”, gab er zurück und musterte mich nun neugierig. ,, Aber man muss es machen, also kann es nicht gebeten sein, weil in dem Fall wird man gefragt und hat zwei Möglichkeiten. Na gut! Bei befohlen hat man auch zwei Möglichkeiten: folgen oder Pranger!”, erwiderte ich siegesgewiss. ,, Touchez!”, gab er zurück, während sich ein leichtes Lächeln auf seine Lippen stahl. ,, Da! Ich hab's gesehen! Ihr habt gelächelt!”, rief ich aus und grinste ihn an. Zuerst versuchte Lane sein Lächeln zu verbergen, doch dann gab er auf und schenkte mir ein wirklich breites Grinsen. ,, Was ist mit euch? Warum seid ihr hier und nicht bei eurer Familie, wenn ich fragen darf, Lady Scarlett.”, fügte er schnell noch hinzu und sah mich schuldbewusst an. ,, Ach! Ich hasse diese ganzen Höflichkeitsfloskeln! Ich bin Scarlett oder Scar, wie mich meine Freunde nennen.”, stellte ich mich nun persönlich vor. ,, Lane.”, murmelte er überrascht, sah mich dann aber wieder fragend an. ,, Nun?”, fragte er neugierig. Ich seufzte. ,, Mein Vater hatte Schulden seit unsere Werkstatt gebrannt hat die er nicht begleichen konnte., und bevor die Soldaten meinen Vater mitnehmen konnten, hat sich meine Mutter eingeschaltet und mich gegen meinen Vater eingetauscht.”, erzählte ich trocken. ,, Hört sich nicht gerade nach der idealen Familie an!”, meinte Lane nur nachdenklich und schaute ins Feuer. ,, Ach, wenn sie mich nicht gegen irgendwelche Leute eintauscht ist sie eigentlich die beste die man haben kann .”, gab ich Augenzwinkernd zurück und unterdrückte ein Gähnen. ,, Vielleicht solltet ihr jetzt lieber schlafen! Morgen steht ein langer Tag vor uns." Ich nickte nur. Gute Nacht, Scarlett!”, sprach er und betonte vor allem meinen Namen. Ich grinste ihn nur an und entgegnete auf seine Unbewegtheit hin:,, Schlaf auch ein bisschen Lane! Nicht mal Soldaten sollten 24 Stunden ohne Schlaf verbringen!” Ich schloss die Augen und schickte n, das er uns beschützen möge. Dann schlief auch ich ein, weit weg von Zuhause, wo ich nicht hingehörte, neben einem Mann, den ich kaum kannte.

7. Kapitel

Das Läuten von Glocken weckte mich. Ich schlug die Augen auf und war einen Moment lang orientierungslos, bevor ich mich an den gestrigen Tag erinnern konnte. Lane war anscheinend schon eine Weile wach, denn er hatte seine Sachen zusammengeräumt und lief nun aufbruchsbereit auf und ab. Ich setzte mich gähnend auf und rieb mir den Schlaf aus den Augen. ,, Guten Morgen, Lady Scarlett!", begrüßte mich Lane förmlich und verbeugte sich. Ich verdrehte die Augen und meinte seufzend:,, Hatten wir das nicht gestern schon? Dieser ganze Höflichkeitsquatsch wird viel zu sehr überbewertet! Außerdem stehe ich eigentlich unter euch, schließlich seid ihr ein Soldat und ich nur ein einfaches Händlermädchen." Lane betrachtete mich Stirn runzelnd und entgegnete dann:,, Jetzt nicht mehr. Jetzt seid ihr Pilgerin und somit steht ihr außerhalb der Kasten." Überrascht sah ich ihn an. ,, Wirklich? Also bin ich jetzt so was wie eine Unberührbare?", fragte ich ihn beunruhigt. ,, Nein! Ihr seid doch keine Unberührbare! Ihr seid eine edle Pilgerin.", rief er erschrocken aus. Etwas beruhigter wandte ich mich von ihm ab und begann meine Sachen einzupacken. Unberührbare waren Kastenlose, die sich in den Abgründen der Stadt herumlungern und zwielichtige Geschäfte betreiben. Schon als kleines Kind wurde mir eingebläut, nie mit solchen Personen in irgendeiner Art Kontakt aufzunehmen und bis heute habe ich mich auch daran gehalten und habe nicht vor etwas daran zu ändern! Ich wusch mir mein Gesicht mit etwas Wasser aus meiner Flasche und packte dann all meine Sachen zusammen. Dann machten wir uns auf um weiter zu kommen. Unterwegs öffnete ich meine Zöpfe und kämmte sie mit meinen Fingern durch, um sie dann neu zu flechten. Während Lane und ich unseren Weg fortsetzten schaffte ich es ihn in ein Gespräch zu verwickeln, was ihn wirklich zu interessieren schien: Glas. Ich erzählte ihm alles über unsere Glaswerkstatt, was wir herstellten, wie wir damit handelten, was ich machte und vieles mehr. Er erzählte mir, wie er früher immer das Glas in den Schaufenstern bewundert hatte, es sich aber bis heute nie leisten konnte, da es einfach zu teuer für einen einfachen Soldaten war. Ohne das wir es merkten, rauschten die Städte nur so an uns vorbei und wir hielten nur an, um etwas zu Mittag zu essen. Ich ein Stück meines Brotes und Lane etwas Brot und Käse, von dem er mir jedoch nichts abgeben durfte und zu sehr Soldat war, um dieses Gesetz zu brechen. Eine Regenwolke tauchte kurzzeitig am Himmel auf und ergoss sich über uns, sodass wir uns in einer Schenke unterstellten und etwas tranken. Als Lane und ich uns nach dem Regen wieder aufmachten merkte ich plötzlich eine Hand in der Falte meines Kleides. Als ich meinen Blick umwandte, begegnete ich dem entsetzten Blick eines leicht dicklichen Mannes der ein Dieb zu sein schien. Blitzartig schnappte er sich mein Geld und riss das Pilgerzeichen an sich und wollte gerade fliehen, als Lane ihn mit einem gut gezieltem Schlag zu Boden warf und ihn lässig mit seinem Schwert dort gefangen hielt. ,, Was haben wir denn da? Eine Ratte!", zischte er mit blitzenden Augen. Der Mann, der kein Wort zu verstehen schien, winselte nur ängstlich und sah mich Hilfe suchend an. ,, Antworte Mann, sonst lass ich die Wache holen, die dich dann vor den Stadtrat bringt!", fuhr Lane ihn an und ließ sein Schwert kurz vor der Nase des Diebes tanzen. Dieser heulte jedoch nur erstickt auf und schlug dann verängstigt die Hände vors Gesicht. ,, Jämmerlich!", spie Lane und fuhr dem Mann mit der Klinge übers Gesicht, sodass sich Blut darüber ergoss, ,, Sprich endlich!" ,, Lane, lasst ihn! Er versteht euch nicht!", versuchte ich Lane zu beruhigen und stellte mich zwischen ihn und den Mann. ,, Dann hat er Pech! Er hat eine Bestrafung verdient! Er sollte mir eigentlich dankbar sein, schließlich bringt Diebstahl mindestens einen Tag lang Pranger ein.", zischte Lane und Feuer loderte hinter seinen Augen. ,, Lasst ihn! Ihr habt ihn schon hart genug bestraft, indem ihr ihn vor der ganzen Stadt lächerlich gemacht und ihm seine Beute genommen habt.", fuhr ich ihn an, mit meiner ganzen Autorität die ich aufbringen konnte, an. Da stockte Lane und ließ sein Schwert widerwillig aber ergeben sinken. Ich nickte ihm nur zu und kniete mich neben den Mann. ,, Alles in Ordnung mit euch?", fragte ich den Mann nun auf italienisch. Er nickte nur leicht und sah mich mit großen Augen an. Ich riss ein Stück Stoff aus meinem Unterrock und reichte es ihm, damit er sich damit das Blut von der Wange wischen konnte. Er nahm es und wischte sich über den Schnitt, aber ohne seinen Blick von mir abzuwenden. Ich sammelte meine Sachen wieder auf und verstaute sie in meiner Rockfalte. Von dem Pilgerabzeichen entfernte ich den Stoff, der von meinem Kleid hängen geblieben war, als der Mann es achtlos abgerissen hat, sodass jetzt ein Loch in meinem Kleid prangte, und steckte es wieder an. Dann holte ich das restliche Brot hervor teilte es in zwei Stücke und reichte dem Mann die eine Hälfte. ,, Hier für Euch!", sprach ich leise und erwiderte den Blick des Mannes. Dieser starrte mich mit großen Augen an, ohne das Brot in meiner Hand zu beachten, und schien nach etwas in meinen Augen zu suchen. Plötzlich schnellte seine Hand hervor ergriff mein Handgelenk, zog mich zu sich und hauchte mit seinem alkoholgeschwängertem Atem:,, Danke!" Dann schnappte er sich das Brot, sprang auf und rannte davon, ehe ich ihm antworten konnte.

8. Kapitel

So schritten die Tage davon. Jeden Morgen standen Lane und ich auf, frühstückten zusammen und machten uns dann auf um voran zu kommen. Einmal begegneten wir zufälligerweise Letita, die zusammen mit ihrem Soldaten auf dem Markt etwas zu kaufen schien, und wir gingen schnell weiter, ehe einer von ihnen uns bemerkte. Ansonsten sahen wir keinen der Anderen, was mir auch ganz Recht war, zumindest solange es nicht bedeutete, dass wir die Letzten sind. Währenddessen lernten Lane und ich uns immer besser kennen, sodass er mich auch schon bald nicht mehr mit Lady ansprach. Man konnte schon fast sagen, dass ich ihn mochte. Die Tage verflogen wie im Flug und ich vergaß zwischendurch sogar meine Sorgen, dass ich es nicht schaffte. Schon bald waren zehn Tage um und wir waren am Hafen in Frankreich angekommen, von wo aus wir zum englischen Festland gebracht werden würden. Wir müssten nur noch ein Schiff finden! Doch anscheinend hatte Lane etwas ganz anderes im Kopf. ,, Komm mit!", rief er und begann gen Innenstadt zu gehen - die falsche Richtung. ,, Was?! Wir müssen ein Schiff bekommen und nicht zum Einkaufsbummel in die Innenstadt gehen!", rief ich ihm nach, doch er winkte mich nur zu sich ohne anzuhalten. Sollte nicht eigentlich ich sagen, wo es langgeht? Ich holte ihn ein und zischte wütend:,, Wenn irgendwer uns jetzt überholt ist das alles deine Schuld!" Er grinste jedoch nur und meinte:,, Ja, wäre es, aber wir müssen uns ja nicht überholen lassen. Komm mit! Es wird auch was für dich drin sein, versprochen!" Also trottete ich ihm, immer noch leicht säuerlich aber neugierig, hinterher. Wir bogen um Gassen, wechselten die Straßenseite, drängten uns an Menschen vorbei, bis wir vor einem kleinem Haus stehen blieben und Lane an dessen hölzerne Tür klopfte. Die Tür öffnete sich und ein älterer, mürrisch blickender Mann mit kaum Haaren auf dem Kopf und einer Lederschürze um den Bauch öffnete uns. Sein Gesichtsausdruck änderte sich jedoch sofort, als er Lane erkannte und er sprach in gebrochenem Englisch - wie es jeder an der Küste zu sprechen schien:,, Hauptmann! Was macht ihr denn hier?" Lane war Hauptmann in der der königlichen Gilde von Prinz Griffin und war daher, neben seinem Herr, bekannt. Der Mann machte schnell Platz und wir traten ein. Ein muffiger Geruch hing in der Luft und das kleine Haus war kaum beleuchtet, sodass man alles nur schemenhaft erkennen konnte. Wir waren nicht die einzigen in dem Raum. Es waren noch eine Frau und zwei Kinder anwesend. ,, Ich hatte Clay doch mitteilen lassen, dass ich vielleicht kommen würde. Wo ist er?", fragte Lane und sah sich in dem kleinen Raum um. ,, Keine Sorge Hauptmann, ich lasse gleich nach ihm schicken. Aurélie, könntest du bitte Clay suchen gehen. Und Eleonore hol doch ein paar Kerzen, Brot und Schinken und etwas Wasser!", rief der Mann und winkte uns zu einem großen Tisch. Ein kleines Mädchen, Aurélie, sprang gleich los, um den Jungen, Clay, zu holen, während eine ältere Frau, anscheinend die Frau des Mannes, loseilte um das Gewünschte zu holen. ,, Nein, nein Eleonore, das wird nicht nötig sein. Wir müssen gleich weiter! Meine Begleiterin ist Scarlett Pilgerin. Wir müssen eiligst weiterkommen! Kennt ihr vielleicht jemanden, der uns rüber auf's englische Festland bringen könnte oder der uns sein Boot leihen würde?", erkundete sich Lane. Der Mann überlegte einen Momente, während Eleonore ein paar Kerzen auf den Tisch stellte und entzündete. Endlich konnte man mehr sehen! Der Mann war ein in die Jahre gekommener Fleischer, nach der blutbefleckten Schürze zu urteilen, und hatte einen fleischigen Körperbau. Schweißflecken waren auf seinem Hemd sichtbar und dicke Tränensäcke zierten sein Gesicht. Die Frau, Eleonore, hingegen hatten ein vollkommen gepflegtes Äußeres. Ihr Haar war grau und fein säuberlich hochgesteckt. Sie trug ein violettes Kleid mit ein paar geflickten Stellen und einen kleinen Ring an ihrer linken Hand. Sie war im Gegensatz zu ihrem Mann sehr dünn und eine spitze Nase stach aus ihrem Gesicht hervor. In der Ecke des Zimmers spielte ein kleiner Junge in abgetragenen Sachen und löchrigen Schuhen mit Zinnsoldaten und ließ sich nicht von den Besuchern stören. Plötzlich flog die Tür auf und das Mädchen, Aurélie, betrat mit einem Jungen im Schlepptau das Haus. Das musste Clay sein. Clay musste ein, zwei Jahre älter sein als ich und war mindestens einen halben Kopf größer. Er hatte braunes Haar welches er sich mit einer fließenden Bewegung aus dem Gesicht strich und mit Abstand die ordentlichsten Sachen in diesem Haus. Sein Gesicht war markant, aber kein harter Ausdruck lag in ihm. Jedoch fiel eins in seinem Gesicht ganz besonders auf: seine Augen. Sein eines Auge hatte die Farbe von Smaragd, während das andere Rehbraun war. Sowas hatte ich noch nie gesehen! Der Junge betrat mit einer Ausstrahlung den Raum, die mich die Luft anhalten ließ. Es war, als würde sich die ganze Atmosphäre ändern. Auch die anderen schienen den Atem anzuhalten, denn es herrschte für eine lange Zeit Stille. Erst Clay durchbrach sie, als er Lane erkannte:,, Du bist gekommen! Ich wusste es!" Ein Lächeln breitet sich auf Lanes Gesicht auf und er sprach fröhlich:,, Natürlich! Hab ich doch gesagt, Brüderchen!" Erschrocken zuckte ich zusammen. Brüderchen? Er war Lanes Bruder? Davon hatte Lane mir nichts erzählt! ,, Danke dass ihr auf ihn aufgepasst habt! Ich würde ja gerne bleiben, aber wir müssen dringend weiter. Wir werden ein anderen Mal wiederkommen und dann werde ich mich richtig bedanken! Ist euch vielleicht noch was eingefallen?", sprach Lane. Der Mann schüttelte den Kopf und wollte gerade antworten, als ihm Eleonore zuvor kam:,, Der alte Todd hat ein Boot, das er gerade nicht braucht. Vielleicht würde er es euch leihen. Versucht es mal da!" Erfreut sah Lane sie an. ,, Dank Euch! Ihr helft uns wirklich! Ich kann noch nicht sagen wann wir wiederkommen, aber wir werden euch demnächst als Dank besuchen und dann wird es ein Festmahl geben. Bis dahin, einen schönen Tag noch und viel Glück im Laden!", verabschiedete sich Lane und wir verließen das Haus.

9. Kapitel

Zielstrebig schritt Lane voran, sodass Clay und ich Mühe hatten hinterher zu kommen. Anscheinend hatte Lane den Weg schon oft zurückgelegt, denn nach seinem Tempo zu urteilen hätte er zu unser Ziel auch blind finden können. Wir waren auf dem Weg zu dem Mann, der, nach Eleonore zu urteilen, ein ungenutztes Boot für uns haben sollte, der alte Todd. Ruckartig blieb Lane stehen und wandte sich einem winzigen, von mir nicht bemerkten, Haus zu. Lane streckte die Hand aus und klopfte dreimal an die hölzerne Tür des Hauses, sodass ich schon fast befürchtete, sie würde auseinander fallen, bei dem Verfall des Hauses. Doch gegen meine Befürchtungen blieb das Haus und deren Tür heil und sie wurde von einem alten Mann geöffnet. Einem sehr alten Mann! Der Mann war klein und lief mit gebeugtem Rücken. Seine papieren Haut wirkte, als würde sie jeden Moment abblättern und weggeweht werden, sodass es schien, als hätte der Mann den Bau des Hauses miterlebt. Das musste der alte Todd sein. Der alte Todd blinzelte gegen das grelle Sonnenlicht ehe er seine Besucher begutachtete. Sein Blick wanderte über Clay und mich, ohne eine Regung zu zeigen. Erst als er Lane sah hielt er einen Moment lang den Atem an, ehe er heiser rief:,, Du! Du bist wieder da! Komm rein, komm rein!" Er stieß die Tür weiter auf und zog Lane mit einer unerwarteten Wendigkeit ins Haus. Clay und ich wechselten einen überraschten Blick und folgten dann Lane und dem alten Todd ins Haus. Ein muffiger Geruch lag im Haus und alles lag in einem Dämmerlicht, sodass man leicht über, auf dem Boden verstreut liegendem Müll, stolperte. Das Haus war ein Grauen! Wenn das Boot genauso aussah könnte das eine lustige Fahrt werden. Einmal fiel ich über einen Gegenstand und wäre Clay nicht gewesen, wäre ich hart mit dem Kopf auf dem Boden aufgeschlagen. Endlich kamen wir am Ziel des alten Mannes an und konnten uns auf einer dreckigen, löchrigen Couch niederlassen. ,, Also was kann ik für disch tun?", fragte der alte Mann mit einer kindlichen Aufregung. Mir fiel auf, dass er nur zu Lane sprach, nicht zu Clay oder mir. ,, Wir wollten fragen, ob wir uns dein Boot leihen könnten. Eleonore meinte, du bräuchtest es in der nächsten Zeit nicht mehr, wir jedoch umso mehr. Dies ist meine Begleiterin Scarlett Pilgerin und wir müssen unbedingt auf's englische Festland kommen.", erzählte Lane. Der Mann überlegte, während er mir eingehende Blicke zuwarf. ,, Ik hab in der Tat ein Boot. Kommt mit! Ich leih's euch. Aber ich brauch's wieder! Und zwar nächste Woche. Meine Cousine kommt und ik muss se mit'm Boot abholn.", willigte der alte Todd, während sich die Laune beim Gedanken an seine Cousine etwas zu verschlechtern schien. ,, Danke Todd!", rief Lane und schenkte ihm ein Lächeln. ,, Jaja!", murrte der Alte und führte uns vor sich hin grummelnd weiter ins Innere ins Haus. Plötzlich strömte Tageslicht in den dunklen Tunnel und wir standen an der Anlegestelle eines Boots. Das musste es sein! Es war wirklich gut gepflegt und zeigte keine Zeichen des Verfalls wie das Haus. ,, Das isses! Ik hoff' du kannst damit umjehn, denn der Junge und de Piljerin könn's bestimmt nich'!", spie der Alte. Er war anscheinend etwas wütend darüber, das Lane nur wegen des Boots gekommen ist. ,, Danke Todd! Du hast was gut bei mir!", rief Lane während wir in das Boot einstiegen. ,, Jaja, nu haut endlich ab! Nächste Woche, Lane, nächste Woche!", erinnerte des Alte. ,, Ja, du wirst es wieder haben!", gab Lane zurück, ehe er das Boot in Bewegung setzte und der alte Todd sich immer weiter entfernte. Auch Clay nahm sich ein Ruder und zusammen fingen sie an zu paddeln, sodass bald ein gleichmäßiger Rhythmus entstand Die Sonne schien warm auf uns herab und ein leichter Wind ließ meine Haare wehen. Die Wellen schlugen sanft gegen unser Boot und ließen es leicht schunkelnd zurück. Es war ein angenehmes Gefühl. Die Wärme der Sonne, der kühlende Wind, das gleichmäßige Schaukeln des Bootes, das leise Plätschern des Wassers,…Langsam wurde ich müde und meine Augenlieder wurden schwer. Ehe ich mich versah, versank ich leise in einem traumlosen Schlaf.

Impressum

Texte: alle beinhalteten Personen, Handlungen usw. sind eigenes geistiges Eigentum
Bildmaterialien: Das Cover gehört urheberrechtlich Google
Tag der Veröffentlichung: 05.12.2011

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Widmung:
Ich widme es meinen Freunden, meiner Familie und meinen Lesern.

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