diem perdidi
Endlich Feierabend. Müde drehe ich den Schlüssel an meiner Wohnungstür. Niemand der mich erwartet, die Wohnung ist so leer, wie ich mich fühle.
Ich verspüre Hunger, doch fehlt mir jegliche Lust die Küche auch nur im Ansatz zu betreten.
Der Mantel findet seinen Platz nicht, wie vorgesehen, an der Garderobe, sondern an der Lehne eines der schwarzen Esszimmerstühle. Die Tasche, vollbepackt mit Akten, landet in einer Ecke des Zimmers.
Das Telefon schrillt nervtötend, doch ich nehme nicht ab. Wozu auch, ist sowieso nur wieder jemand der mir sein Herz ausschütten will. Sollen sie mir doch alle mal im Mondschein begegnen.
Lustlos schalte ich den Computer ein.
"Sie haben 10 mails" Warum in aller Welt will mir ständig jemand Viagra andrehen?
Klick, klick..ein wenig spiele ich noch mit der Maus. Alles eintönig, alles grau, einfach langweilig.
Off, das Ganze. Vielleicht hilft ein heißes Bad.
Während das Badewasser einläuft betrachte ich mein Gesicht im Spiegel. Zwei Falten ziehen meine Mundwinkel nach unten.
"Was, was schaust du mich so an. Gefällt dir nicht was du siehst? Noch nie müde gewesen, ausgelaugt?"
"Schon", antwortet der Spiegel, "aber ich hatte Grund dazu."
"Wie, und ich nicht? Du weißt doch gar nichts von meinem Tag."
"Nein, das nicht, aber du kannst ihn mir doch erzählen."
Energisch will ich loslegen, doch scheinen mir plötzlich die Worte zu fehlen. Was, denke ich verzweifelt, was habe ich heute nur getan?
"Siehst du, sagt der Spiegel...dir fällt nichts ein. Du hast den Tag verloren. Aber vielleicht können wir das Problem deiner Sprachlosigkeit lösen, wenn ich dir ein paar Fragen stelle."
Fragen? Ich bin verwirrt und neugierig.
"Hast du bemerkt, das heute in der Frühe, die Vögel sangen um den Tag zu begrüßen?
Und später, auf dem Weg zur Arbeit, spürtest du die Wärme der Morgensonne auf deiner Haut?
Wie war das, als du ins Büro kamst, sahst du den neuen Haarschnitt deiner Kollegin, die dich erwartungsvoll anlächelte? Hörtest du das fröhliche "Guten Morgen" des ersten Kunden, das nur dir galt?
Hast du die Verzweiflung deines Azubis bemerkt, weil die letzte Klausur nicht so war, wie er es sich gedacht hatte?"
Frage um Frage schlägt mir der Spiegel um die Ohren.
Nein, höre ich mich schreien, ....nichts habe ich bemerkt, so hör doch endlich auf....
Der Spiegel verstummt abrupt und kleinlaut wende ich mich ab.
Das Badewasser ist fertig, ich drehe den Hahn zu und gebe noch schnell ein paar Tropfen Lavendelöl ins Wasser, bevor ich mich entkleide und in das warme Nass gleiten lasse.
Wohliger Duft schlägt mir entgegen und irgendwie schafft er es, dass ich meine Augen schließe und meine Gedanken treiben lasse. Sie dümpeln dahin, wie ein kleines Stück Holz auf einem Weiher. Stranden für einen Moment im Morast des Tages am Ufer, nur um sich kurze Zeit später wieder davon zu lösen und dem Verlauf eines kleinen Abflusses zu folgen der sich in einem nahen Bach ergießt. Gleichmäßig gleiten sie durch das erfrischende Nass und lauschen dem Gluckern des Baches.
Eingelullt, durch die beruhigenden Töne, kehre ich wieder zurück. Zurück in mein Bett, zurück zu dem Moment, als der Wecker klingelt und eine Hand sich in meine schiebt.
"Guten Morgen Liebes, na, gut geschlafen?" Viktor lächelt mich an und gibt mir einen Kuss auf die Stirn. Das macht er jeden Morgen und ich finde es wunderbar. So wie ich ihm jeden Morgen seinen Kaffee zubereite, während er im Bad ist. Auch heute genieße ich das genüssliche Seufzen von ihm, als er den ersten Schluck nimmt. Ich liebe dich - pocht mein Herz.
Die Sonne scheint und ich freue mich darüber, dass ich gestern einen Parkplatz vor dem Haus gefunden habe. Das ist nicht so einfach in unserer Straße, manchmal muss ich schon recht weit laufen um an mein Auto zu gelangen.
Die Fahrt zur Arbeit ist heute ein Vergnügen, endlich mal kein Stau auf der Autobahn.
Vor der Eingangstür wartet schon Frau Deters mit ihrem Rollator. Ich lasse sie rein, obgleich wir noch geschlossen habe und bitte Sie noch einen Moment Platz zu nehmen. Dankbar nickt sie mir zu.
Nach und nach trudeln meine Kollegen ein und auch Denis, der Azubi, huscht noch kurz vor Öffnung an seinen Platz. Das Telefon klingelt ununterbrochen, Kunden nehmen meine Zeit in Anspruch und dennoch finde ich zwischen all dem Trubel eine Gelegenheit meine Kollegin Inge anzurufen. Sie ist seit Tagen beurlaubt, weil es Ihrer Tochter gesundheitsmäßig schlecht geht. Es freut mich zu hören, dass es der Kleinen besser geht.
Die Mittagspause ist angefüllt mit der Urlaubsplanung, ich versuche jedem gerecht zu werden. Meinen schiebe ich irgendwo dazwischen. Meine Tochter ist erwachsen, Viktor mag nicht verreisen, also was soll´s.
Kundengespräche am Nachmittag halten mich im Büro fest, draußen läuft alles Bestens, ich weiß, dass ich mich auf meine Kollegen verlassen kann. Welch ein Glück!
Es ist schon mehr als eine Stunde Feierabend, die Kollegen sind längst zu Hause. Ich bin ausgelaugt, raffe mich aber noch auf das Geburtstagsgeschenk für Denis zu verpacken und eine Karte vorzubereiten, damit morgen früh gleich alle unterschreiben können. Was für ein Tag, ich habe das Gefühl er ist nur so an mir vorbeigeflogen.
Von der Heimfahrt bekomme ich nicht viel mit, das Auto kennt den Weg. Müde drehe ich den Schlüssel an meiner Wohnungstür.....
Das erkaltete Wasser holt mich wieder zurück. Schnell noch ein Körperpeeling, abduschen und in den Bademantel einwickeln. Mir geht es gut und es reizt mich dem Spiegel eine lange Nase zu drehen. Doch ich lasse es, reine Zeitverschwendung. Auch wenn ich seine Fragen mit einem klaren Nein beantworten müsste, so verloren wie er es mir glauben machen wollte, war der Tag gar nicht.
Und Müdigkeit, steht auch mir zu.
Diem perdidi? Nein, ganz und gar nicht...
Texte: Text und Covergestaltung
copyright by
Perdita Klimeck
Coverfoto Gesicht
copyright by
Frank Gebauer
Tag der Veröffentlichung: 03.04.2011
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