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Der Fluch der Quincy

Es war eine stürmische Nacht. Der Wind heulte und zerrte an den Masten. Längst waren alle Segel eingeholt, um dem Wind keine Angriffsfläche mehr zu bieten. Das Wasser brodelte und das Schiff stöhnte unter jeder neuen Welle. Auf dem Deck der Devilsfire war niemand zu sehen. Schwer prasselte Regen auf das raue Holz. Im Ruderhaus hielt sich Clarkson, der Steuermann, krampfhaft am Steuerrad fest. Hin und wieder zog er an seiner Zigarre, die fest mit seinem Mund verwachsen schien. Viel konnte er nicht tun. Es war in solchen Nächten besser das Schiff dem Meer zu überlassen.

Fat-Chicken, der Smutje, rollte unruhig in seiner Koje hin und her, soweit ihm das möglich war bei seiner Leibesfülle. Seit mehr als zehn Jahren war er nun schon der Koch auf der Devilsfire. Eigentlich müsste er sich längst an solche Nächte gewöhnt haben. Doch in dieser Nacht war irgendetwas anders. Er spürte, wie sich eine seltsame Angst durch seine Eingeweide wühlte. Charlotte, seiner dicken fetten Henne, die ihn nun schon seit vier Jahren begleitete, schien es ähnlich zu ergehen. Ständig plusterte sie sich auf, scharrte und kratzte mit ihren Füßen über die Holzplanken der Kombüse, ohne ihr fröhliches Gegacker hören zu lassen. Fat-Chicken schlief immer in seiner Kombüse. Einen anderen Ort konnte er sich nicht vorstellen. Als er damals auf der Devilsfire anheuerte, hatte er das zur Bedingung gemacht.
Eine Koje war schnell gezimmert und ein kleiner Wandschrank eingebaut. Mehr brauchte er nicht. Ein weißes Laken trennte seine Schlafstatt vom Rest der Kombüse.

Eigentlich hieß er George Booters, aber seit er vor vier Jahren diese Henne rettete, die auf einer Planke im Meer trieb, und sich weigerte sie zu schlachten, wurde er nur noch Fat-Chicken genannt.

Er erinnerte sich noch genau an diese Nacht. Wie das Schiff brannte und die Schreie der Sterbenden über das Meer gellten. Sie hatten die Quincy, ein englisches Schiff, nur durch Zufall aufgetan. Eigentlich wollten sie sich nach dem letzten Überfall etwas Ruhe gönnen und schipperten deswegen in ungefährlichen Gewässern. Die Beute, die sie gemacht hatten, würde für die nächsten Wochen reichen. Im Hafen von Tanger würden sie die Schmuckstücke und das Gold eintauschen, gegen Lebensmittel und Schnaps. So sehr er sich bewusst war, dass die Raubzüge nicht ohne Tote stattfanden, war er dennoch immer erleichtert, wenn es für alle glimpflich aus ging. Damals war es anders gewesen.

Dichter Nebel waberte über der See, Sichtweite wohl weniger als einhundert Meter. Clarkson entdeckte die Quincy erst, als es schon fast zu spät war ihr auszuweichen. Aber er schaffte es die Devislfire noch beizudrehen.
Small-Face, der Käpt´n wurde sofort an Deck geholt. Die Gelegenheit war günstig, da der Nebel jegliches Geräusch verschluckte und wohl niemand auf der Quincy ahnte, dass ein Piratenschiff längsseits lag. Die Befehle von Small-Face waren kurz und ließen keinen Spielraum für Überlegungen. Es dauerte keine zehn Minuten bis die Hälfte der Mannschaft sich auf dem Vorderdeck der Quincy befand. Allen voran der Lord.
Fat- Chicken traute ihm nicht. Er war erst seit vier Monaten an Bord der Devilsfire. Wie er richtig hieß wusste er nicht. Jeder nannte ihn nur den Lord, wahrscheinlich, weil er darauf bestand, dass der Schiffsjunge täglich seine Stiefel putzte. Und niemals trank er Schnaps, immer nur Wein. Jedenfalls endete die Nacht in einem Massaker.
Wie man ihm später berichtete hatte der Lord alle Engländer einfach abgeschlachtet. Er stachelte die anderen zu diesem Blutbad an und letztendlich verfielen alle Beteiligten in einen wahren Blutrausch. Es waren auch Frauen und Kinder an Bord der Quincy. Der Lord nahm keine Rücksicht. Er steckte das Schiff in Brand bevor alle wieder zur Devislfire zurückkehrten. Fat-Chicken lief ein kalter Schauer den Rücken herab. Das Bild der brennenden Quincy tauchte wieder vor seinen Augen auf. Das merkwürdige Flackern der Flammen im Nebel, das letzte Ächzen des Schiffes, bevor es in den Fluten versank. Einfach gespenstisch..

Sie lagerten dort noch in einiger Entfernung, bis der Morgen graute und mit klarer Luft über das Meer strich. Von der Quincy war nichts mehr zu sehen, außer ein paar Fässer, Reisekisten und Holzplanken, die auf dem Wasser trieben. Auf eben einer solcher Planke hockte die Henne.

Der Smutje setzte sich auf und lauschte den Klängen des Sturmes. Small-Face hatte nach der Sache den Lord im nächsten Hafen von Bord gezwungen. Das ging nicht ohne vorherige Streitereien ab, an die sich Fat-Chicken nur zu gut erinnern konnte. Schließlich fanden sie hier, in seiner Kombüse, genau vor dem weißen Laken statt. Dem Käpt´n war von einem der Männer zugetragen worden, dass eine alte Frau auf der Quincy, die Devilsfire mit einem Fluch belegte, bevor der Lord ihr den Kopf abhieb.
Seeleute, Piraten, allesamt grundsätzlich furchtlos, waren dennoch unglaublich abergläubig. Der Käpt´n wollte so den Fluch abwenden. Was ihm wohl auch gelang, denn die Devilsfire jagte wie eh und je unbehelligt durch die Meere.

Fat-Chicken seufzte, als er an den Käpt´n dachte. Small-Face war vor wenigen Wochen der Syphillis anheim gefallen, einer weit verbreiteten Krankheit unter den Seemännern. Passiert war das Ganze im letzten Hafen. Nun waren sie schon seit zwei Wochen unter neuer Flagge auf Fahrt. Die Devilsfire ohne Käpt´n, das hatte sich wie ein Lauffeuer in den Spelunken am Hafen verbreitet. Viele Kämpfe wurden ausgefochten, doch letztendlich gab es immer einen Sieger. Die Mannschaft akzeptierte ihn stets, den Stärkeren. Es blieb ihnen auch nichts anderes übrig. Wo sollten sie auch hin? Auf normalen Handelsschiffen fanden Piraten keinen Platz, unerwünschtes Gesindel.

Fat-Chicken hielt es in seiner Kombüse nicht mehr aus. Er packte sich Charlotte und schlich an Deck.
Die See hatte sich etwas beruhigt, es regnete nicht mehr und leichte Nebelfetzen krochen über das Wasser. Am Horizont war schon ein erster Schimmer des Tages zu erkennen. Der Smutje flüsterte leise auf Charlotte ein, die sich immer noch ständig aufplusterte. Aus dem Ruderhaus sah er den Zigarrenstummel von Clarkson aufglühen. Alles war in bester Ordnung.

Fat-Chicken schimpfte sich eine alte Unke und stapfte zur anderen Seite des Decks.

Plötzlich gackerte Charlotte aufgeregt und veranlasste so Fat-Chicken, sich noch einmal umzudrehen. Er erstarrte. Wie aus dem Nichts waren die Umrisse eines Schiffes aufgetaucht.
Es war hell erleuchtet und alle Segel waren gesetzt. Ein Schrei blieb ihm in der Kehle stecken als er die Flagge erkannte. Es war die Quincy.
Entsetzt wich er zurück. Auf der Treppe zum Deck hörte er die schweren Stiefel des Käpt´n. Harsch klang die Stimme vom Lord, als er etwas zu Clarkson herauf rief.

Impressum

Texte: copyright by Perdita Klimeck
Tag der Veröffentlichung: 23.09.2010

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