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Lux vel Ignis Dei

Prolog


Die Grenzen der Erkenntnis
liegen gebunden
am Ende des Horizontes.
Selbst freien Geistern
wird hier
Einhalt geboten.

So wie nur das Meer
seine Wellen versteht
und nur der Wald seine Erde,
so wird der Mensch
auch nur die Welt verstehen
auf der er wandelt.

Zum Himmel gereicht allein der Glauben,
dass des Wächters Grenzen
uneingeschränkt.
Und sein Licht und sein Feuer
über allem leuchtet.


I

Er wartete, geduldig, so wie es seinem Wesen entsprach. Wenn er da ist der Moment, der eine, würde er seinen rechten Arm heben und ihm die Hand reichen. Wie wertvoll ist doch der Glaube, dachte er, während sein Blick liebevoll über das alte Boot glitt. Aus einer Eingebung heraus tauchte er das Meer mit einer kurzen Handbewegung in schimmerndes Licht.
Die Sonne hielt inne in ihrem Lauf und blinzelte ihm zu, wissend was sie zu tun hatte. Ihre ganze Kraft ballend, verharrte sie als glutrote Scheibe am Horizont. Lächelnd beobachtete Uriel das Farbenspiel, welches sie auf die Wellen zauberte. Viel Zeit blieb ihm nicht mehr. Nur noch wenige Minuten, dann würde sie im Meer versinken. Nur sein Licht bliebe dann noch, um Pietro zu führen.




Vor Stunden schon hatte Pietro die Ruder aus der Hand gelegt und ließ sich von den Wellen treiben. Müde war er, der alte Mann, so müde. Wellen umspielten sanft den Bug, und streichelten, wie die zarte Hand einer Mutter, die alten Planken des Bootes. Er liebte dieses Geräusch, dieses leise


Gluckern und Plätschern, das Flüstern des Meeres. Ab und an unterbrach der Schrei einer Möwe diese Musik. Doch in seinen Ohren fügte er sich auf wundersame Weise in die Melodie ein. Hier war seine Heimat, nur hier fühlte er sich frei.
Natürlich hatte er mit diesem Element auch schon manchen Kampf ausgefochten. Er wusste genau, wie schnell sich die weiche Melodie in einen vor Wut brüllenden Chor verwandeln konnte. Warum, hatte er nie verstanden. Aber vielleicht war das genau der Punkt. Dieses Nichtverstehen, ließ ihn achtsam sein, demütig und respektvoll. Ist es nicht das, was einem Feund gebührt, Achtung, Demut und Respekt?
Er tauchte seine Hände in das kühle Nass und genoss die Berührung. Ein tiefes Gefühl der Dankbarkeit weitete sein Herz, als er sah, wie die untergehende Sonne seinen Freund in ein magisches Licht tauchte. Ein Licht, dass er sehnsüchtig erwartet hatte. Nur noch einen Augenblick, dachte er. Lass mir noch die Zeit zuzusehen, wie mein Freund sie mit offenen Armen empfängt. Dann bin ich bereit, deinem Licht, dem anderen, zu folgen.


Uriel wartete ihn noch ab, diesen einen Moment. Mit dem letzten, schon verblassenden Abendrot, reichte er dem Fischer die Hand und geleitete ihn dorthin, wo ein anderes Licht ihn zärtlich umfing.




I I



Albert rieb sich die Augen. So müde er auch war, sein Geist konnte nicht ruhen. Das kalte, diffuse Licht der Schreibtischlampe beleuchtete einen Wust von Papier. Der ganze Schreibtisch war davon bedeckt. Ein Meer von Zahlen, die sich zu komplizierten Berechnungen fügten.
Zeit seines Lebens hatte er nach Antworten gesucht. Grenzen, die gab es für ihn nicht. Ganz der Wissenschaft verschrieben, hatte er das Leben vergessen.
Sicher, ein paar Rätsel hat er lösen können. Aber dieses eine, es blieb im Verborgenen, so sehr er auch suchte. Manchmal glaubte er sich der Lösung ganz nah, doch dann war sie plötzlich ferner denn je. Sein rational denkender Verstand ließ keinen Richtungswechsel zu.
Nur heute, klopfte ganz weit entfernt ein kleiner Gedanke an eine der hinteren Pforten und nur, weil er so müde war, öffnete er das Tor einen kleinen Spalt.
Was, wenn es sie doch gäbe, flüsterte eine Stimme, so schwach, dass er sie kaum vernahm. Dennoch schienen die Worte eindringlich. Was, wenn sie da wäre, diese eine Grenze, die den Verstand vom Glauben trennt?
Wenn jemand sie so bewacht, dass kein Sterblicher sie je überschreiten könnte?


Uriel wandte sich an den Schöpfer allen Lebens, des Himmel und der Erde. " Es wird kein Leichtes sein, ihm das Tor zum Licht zu öffnen."
Der Schöpfer lächelte milde. " Uriel, du bist nicht nur der Wächter, alleine dir obliegt es die Menschen zu führen.
Weit über diese Grenzen hinaus, dafür habe ich dir das Licht gegeben.
Deine Aufgabe ist es die Blinden sehend zu machen. Nun eile, mein Freund, seine Zeit ist fast abgelaufen."




Mit einer ärgerlichen Handbewegung wischte Albert die Flüsterstimme fort. Grenzen, für den Verstand gibt es keine Grenzen, es muss einen Weg geben. Er versuchte sich auf seine letzten Berechnungen zu konzentrieren, doch konnte er keinen klaren Gedanken mehr fassen.
Grauer Nebel hüllte ihn ein, Angst kroch durch seine Glieder, machte sich in seinem Herzen breit, zog es zusammen und ein Gefühl von Enge, nahm ihm die Luft zum Atmen. Noch nicht, dachte er, nicht jetzt, ich bin noch nicht am Ziel.




Mitleid erfüllte Uriel, dennoch, ein kleines bisschen Schadenfreude konnte er sich nicht verkneifen. Wie blind Albert doch war, obgleich er stets mit weit geöffneten Augen seine Welt betrachtet hatte. Sich seiner Aufgabe bewusst, näherte er sich dem Schreibtisch.
Ein Lichtschwall ergoss sich über Albert und die Nebel wichen. Vorsichtig berührte Uriel mit seiner Hand die gebeugten Schultern des Mannes.
"Hab keine Angst", sagte er mit gütiger Stimme. "Das Ende wird dein Anfang sein alles zu verstehen, was es im Leben nicht zu verstehen gilt."
"Wer bist du?" Albert wandte sein Gesicht ab, weil ihn das Licht unangenehm blendete.
"Einer der Erzengel, ich bewache die Grenze zwischen irdischer und göttlicher Erkenntnis. Eine Grenze von der du glaubtest, sie würde nicht existieren. Sieh dich um, sieh wie klein du bist, ein Staubkorn, allein, hinter hohen Mauern."
"Aber ich weiß....."
"Nichts weißt du, nicht mehr und nicht weniger als jeder andere Erdenbürger .Schau ihn dir doch an, deinen kleinen Geist, was nützt er dir noch in dieser Stunde?"
Albert wurde unsicher bei diesen Worten und zögernd wandte er sich dem Lichte zu. Es erschien ihm nun nicht mehr so bedrohlich. Er umfasste es mit beiden Händen und einem unwiderstehlichem Drange nachgebend tauchte er sein Gesicht in die Flut. Und er sah...


Man fand ihn am nächsten Tag, vornübergebeugt an seinem Schreibtisch. Die rechte Hand hielt einen Stift umklammert und quer über einer mathematischen Berechnung standen die Worte : Ich bin das Licht.
Noch Jahre später sagte man, er sei friedlich, aber in geistiger Umnachtung gestorben.




Epilog




Uriel stand zu seiner Rechten und blickte auf das alltägliche Chaos der Erde. " Herr, wird es immer so sein?".
Der Schöpfer nickte. "Solange es Menschen gibt."


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"Was man nicht sieht"
Kurzgeschichten
Softcover, 230 Seiten
Preis 10,80 ¤

ISBN 978-3-942104-04-3

Sperling-Verlag 2011

Impressum

Texte: copyright by Perdita Klimeck
Tag der Veröffentlichung: 31.07.2010

Alle Rechte vorbehalten

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