Klammheimlich hatte sie sich gelöst, die Zeit.
Sich aufgemacht, davongestohlen.
Einmal aus der Reihe tanzen, dachte sie. Einfach den starren vorgegeben Zwängen entfliehen.
Zuversichtlich, dass es niemand bemerken würde, schlich sie an den Strand.
Der Sand kitzelte ein wenig, aber es war ein gutes Gefühl.
Die Zeit lächelte und vergrub sich ein wenig in der Kühle des Schaumes, den die Wellen als helle Spur hinterließen.
Ein Sandkäfer fand das wohl gar nicht lustig und begann wild scharrend, sein Revier
zu verteidigen.
" Lass gut sein", sagte die Zeit. "Ich geh ja schon. Es gibt so viele Dinge, die hier auf mich warten."
Ein wenig traurig drehte sich die Zeit um und begann davon zu schlendern.
"Hey", rief der Sandkäfer, nun neugierig geworden. "Was sind das denn für Dinge?"
Verwirrt, dass sich jemand für sie interessierte hielt die Zeit inne.
Sie streckte sich vor dem Sandkäfer aus und wippte unruhig mit den Füßen.
"Ach", sagte sie. "So genau weiß ich das auch nicht..eben einfach..alles."
"Alles?", entgegnete der Sandkäfer. "Wie meinst du das?
Hast du denn nicht schon alles gesehen?"
"Naja", meinte die Zeit. "Ich habe schon vieles kommen und gehen sehen. Immer im gleichen Rhythmus.
Doch ich war nie richtig frei." Die Zeit stieß einen lauten Seufzer aus und eine kleine Träne kullerte in den Sand.
Der Sandkäfer kratzte sich am Kopf und schüttelte ein paar kleine Körnchen vom linken Flügel.
Die Zeit..und nicht frei..darüber hatte er noch nie nachgedacht.
Bemüht die traurige Zeit aufzuheitern, stupste er sie sanft in die Seite.
"Schau dir die Sonnenstrahlen an, wie sie tanzen. Tu es ihnen gleich, und du wirst dich bestimmt besser fühlen."
Das ließ sich die Zeit nicht zweimal sagen. Sie erhob sich, streckte ihre müden Glieder und fing an zu tanzen.
Sie drehte sich im Kreise, erst langsam und dann immer schneller.
Dem Sandkäfer schwindelte es schon, allein bei dem Anblick.
Verrückt, dachte er bei sich, verrückt, die Zeit hat den Verstand verloren.
Endlich stand die Zeit still und wies , etwas außer Atem, auf den Wind.
"Sieh nur, wie er sich wiegt und mit den Wellen spielt. Er ist ungebunden, frei, und singt sein Lied, als gäbe es keinen Morgen.
Ich dagegen bin gefesselt, an starre Normen gebunden. Und was das Schlimmste ist, niemand mag mich. Dem einem bin ich zu schnell, dem anderen zu langsam, egal was ich tue ich kann es keinem Recht machen. "
Nach diesen Worten verlor die Zeit wieder eine Träne und setzte sich seufzend auf eine Welle.
Mittlerweile war auch der Wind aufmerksam geworden .
Er drehte noch eine Runde und lehnte sich behutsam an ein Stück Holz, welches er zuvor an den Strand geschwemmt hatte.
"Schwester", grollte er. " Du irrst. Ich und frei? Davon kann keine Rede sein.
Sicher, ich kann mich bewegen, komme an Orte von denen du nur träumen kannst, dennoch bin ich gebunden. Jeder Tag ist ein Kampf, oft drohe ich zu schwinden und ich muss viel Kraft aufbieten um mich halten zu können."
Verwundert schaute die Zeit ihn an. "Gebunden, an wen bist du denn gebunden ?"
"Kannst du dir das denn nicht denken", fragte der Wind. "Ich bin an dich gebunden.
Denn du bist es, die ich brauche um mich immer und immer wieder neu zu formen.
Schau dich an, wenn einer frei ist, dann doch du."
Sprachlos schaute die Zeit den Wind an. Ihre Gedanken kreisten. Sie sollte frei sein, wie kann das möglich sein?
Der Sandkäfer hob seinen Kopf , zwickte den Wind in die Seite und grinste.
"Bist du es nicht, die hier am Strande hockt und losgelöst von allem Sein den Traum der Freiheit lebt? Die Sonne dort, sie wird auch untergehen ,
wenn du mal nicht in deiner Kammer sitzt. Weil sie an dich gebunden ist, so wie der Mond und all die Sterne. Wie jedes Leben, hier auf dieser Welt. Die Wellen kommen und gehen immer im gleichen Takt. Wir sind alle ein Kreis. Nichts ist von Dauer, einzig Du, weil du in unserer Mitte sitzt."
So hatte es die Zeit noch nie gesehen. Ein Glücksgefühl stieg in ihr hoch.
"Danke liebe Freunde", sagte sie. Umarmte noch ein letztes Mal den Wind, der sich ein wenig zierte,
und warf verschmitzt ein Körnchen Sand vor das rechte Vorderbeinchen des Sandkäfers.
"Wir sehen uns wieder", versprach die Zeit und verschwand auf leisen Sohlen.
"Klar", murmelte der Sandkäfer." Irgendwann, wenn es an der Zeit ist."
Texte: copyright by Perdita Klimeck
Tag der Veröffentlichung: 11.07.2009
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Für Anna-Lena, Mariele, Paul, Max, Cora-Helene und Jost