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8. Kapitel
Bei den Eisengeln



Die schwarzen Berge wurden von Wind umtost. Das Heulen war das einzige Geräusch in der tristen Landschaft. Graue Wolken am Himmel verdeckten das Licht der Sonne. Darian blickte auf das Messer am Boden, unfähig sich zu bewegen. Es war eindeutig das Jagdmesser von Taris. Warum lag es blutverschmiert zwischen den schwarzen Steinen? Schließlich schnaubte sein Wallach unruhig und Darian stieg aus dem Sattel und schritt langsam auf das glitzernde rote Metallstück zu, welches er vor wenigen Jahren mit viel Mühe geschliffen und in einen selbst geschnitzten Griff eingefasst und Taris geschenkt hatte. Den Anlass wusste er schon gar nicht mehr. Vielleicht hatte er sich einfach geschnitten? Aber dann hätte es wieder aufgehoben…
Im Süden war leichtes Donnergrollen zu hören und Darian wandte endlich den Blick von dem Messer. Ein weiteres Grollen und… ein raues Krächzen. Er schaute nach oben in den eisernen Himmel. Ein kleiner schwarzer Punkt bewegte sich langsam auf ihn zu.
Die Krähe.
In weiten Kreisen segelte sie dem Erdboden entgegen. Direkt vor Darian landete sie schließlich.
„Du schon wieder.“
Ein lautes Krähen war die Antwort. Der Vogel flatterte mehrmals auf und ab, bis Darian verstand, dass er ihm folgen soll.
„Im Moment habe ich sowieso keine Anhaltspunkte. Wo kommst du her?“
Ein vorwurfvoller Blick.
„Natürlich, wie willst du mir auf so eine Frage antworten. Hat eine Feuerelfe dich geschickt?“
Ein Hüpfen.
„Leben sie in den Bergen?“
Ein Schritt zur Seite.
„Sind sie Gefangene?“
Eine Mischung aus Schritt und Hüpfen.
„So kommen wir nicht weiter. Ich folge dir, wo auch immer du mich hinbringst. Vielleicht finde ich Taris und die anderen ja wieder.“
Doch das war nur eine ausgesprochene Hoffnung, von der er kaum glaubte, dass sie je in Erfüllung gehen würde.

Die roten Scheinwerfer verschwanden, als Nora von der Zufahrt auf die Straße abbog. Es war Samstagfrüh und ihr Flieger nach London ging um 9:00 Uhr. Selina war mit ihr aufgestanden und sah den Lichtern, die jetzt kaum noch kleine Punkte waren, nach. Als die Motorengeräusche vollständig verklungen waren, ging sie zurück ins Haus, machte Musik an und begann mit solch einer Euphorie ihren Eastpak zu packen, dass sie nicht bemerkte, wie das Wetter umschlug und Regen immer lauter gegen die Scheiben prasselte. Als sie fertig war und in die Küche ging, um sich etwas zu essen zu holen war draußen ein Unwetter im Gange, wie sie noch nie eines erlebt hatte. Blitze zuckten vom Himmel und der Regen war so dicht, dass sie den Waldrand nicht mehr sehen konnte. Sie stellte sich ans Fenster und wartete auf Bell und Surim. Bei dem Gedanken an ihre Aufgabe musste die lächeln. Das Wetter spielte auch hier manchmal ziemlich verrückt. Sie konnte immer noch nicht glauben, dass die nur Wetterfee spielen sollte. Was hatte Xera-
Ein helles Licht…


(Regen klatschte gegen die Scheibe)
Ein OP-Saal…
Rote Augen…
Ein Skalpell…


(Ein greller Blitz zuckte vom Himmel)
Blut…


(Ein lautes Donnergrollen)
Der Traum kam mit einer solchen Wucht in ihr Gedächtnis zurück, dass sie erschrocken aufatmete. Ihre linke Schulter tat plötzlich höllisch weh und Tränen schossen ihr in die Augen. Selina rannte ins Bad und riss sich das T-Shirt vom Leib. Das Mal der Hüterin pulsierte in allen möglichen Farben. Seine Oberfläche schimmerte wie Perlmutt. Es fühlte sich an wie ein zweiter Herzschlag, als würde es leben. Selina bekam Angst. Was war da los? Keiner hatte gesagt, dass das Zeichen solche Erscheinungen hat. Wo war Bell nur, wenn man sie brauchte!?
Genau in dem Moment läutete es. Selina warf sich ihr Shirt wieder über, der Schmerz blieb jedoch, brennend und stechend.
Vor der Tür stand Bell, trocken, trotz des Gewitters, doch das interessierte Selina nicht.
„Bell…Ich…Das Mal…Es…Ich hab Angst!!“, war alles was sie zustande brachte.
Bell blickte bestürzt auf das in Tränen aufgelöste Kind und nahm es in den Arm. Als sie jedoch Selinas Schulter berührte, zuckte sie zurück.
„Was ist passiert?“, fragte sie beunruhigt.
„Ich…Ich weiß nicht. Ich h…hab etw…was geträumt u…und m…mich erinnert und d…dann hat e…es weh…ehgetan.“, brachte Selina unter schluchzen hervor.
„Scht…Scht…“, Bell nahm Selina erneut in den Arm, sorgsam darauf bedacht, das Mal nicht zu berühren. Sie gingen gemeinsam ins Haus und setzten sich ins Wohnzimmer. Bell nahm Selinas Hände und hielt sie fest. Langsam verschwand der stechende Schmerz aus ihrer Schulter. Nach und nach beruhigte sich Selina und sie atmete wieder langsamer.
„Was war das?“, kam es schließlich leise aus ihrem Mund.
„Ich weiß es nicht. Es was auf jeden Fall nicht normal. Die Schmerzen sind noch da, ich hab nur deine Wahrnehmung dafür geschwächt. Solange du in meiner Nähe bleibst, spürst du sie nicht.“
„Danke.“
„Wir sollten so schnell wie möglich nach Berund. Es gibt da etwas, was auch ich erst gestern erfahren habe, dich betreffend. Es kommt noch ein bisschen mehr auf dich zu, als das Wetter in meiner Welt.“

Stille herrschte am Tisch des Eisengelrates. Selina hatte von ihrem Traum erzählt und es hatte sich ehrfürchtiges Schweigen über den Raum gelegt. Keiner hatte je von einer Xera gehört, außer Surim, der ebenfalls seine kurze Geschichte preisgegeben hatte.
„Dann haben wir also noch ein Problem.“, brach Emalie das Stillschweigen.
„Noch eins?“
Emalie wechselte einen kurzen Blick mit Feon, der nickte.
„Selina, du musst ein bisschen mehr tun, als Unwetter abzuschwächen. Das Amulett, welches dir bei deiner Aufgabe helfen sollte, besteht aus vier Teilamuletten, gemäß den vier Elementen. Diese sind verschwunden, kurz bevor du in unsere Welt getreten bist.“
Selina sah sie nur fragend an.
„Das Amulett wurde immer in Anwesenheit des Hüters zusammengefügt. Als man in Berund erfuhr, dass du kommen würdest, traf man die nötigen Vorbereitungen, doch die Elementanhänger waren nicht mehr da. Keiner hat etwas bemerkt. Wir gehen davon aus, dass sie gestohlen wurden.“
„Oh. Das heißt…?“
„Wir müssen die Anhänger finden, bevor jemand es schafft sie zusammenzufügen und ungeahnte Kräfte freisetzt. Dann wäre nicht nur unsere Welt in Gefahr, sondern auch deine.“
„Und wie?“
„Wir werden in Gruppen danach suchen. Die Eisengel sind für das Element Wasser verantwortlich, die Nachtwesen für Luft. Die Feuerelfen sollten sich eigentlich dem Feuer annehmen, aber es fehlt noch jegliche Spur von ihnen. Der Waldläufer sollten das Erdamulett finden können. Du musst wissen, dass die Elemente ihren Vertretern eher folgen, als anderen.“
„Aber sie könnten doch überall sein, oder? Wo sollen wir anfangen zu suchen?“
„Nachdem was du uns eben berichtet hast, gibt es da jemanden, der an dir und deinem Mal interessiert ist. Warum dann nicht auch an den viel Teilamuletten? Wir werden also versuchen diese Xera zu finden und in Erfahrung bringen, was sie von dir will. Und wir haben nicht mehr viel Zeit. Wenn in deiner Welt der Winter einbricht, herrscht hier das reinste Chaos, wenn niemand das Wetter unter Kontrolle hat.“
Nach dieser Ansage trat erneut Stille ein. Selina merkte erst jetzt, dass sie schon wieder total müde war und sich am liebsten hingelegt hätte um einfach nur zu schlafen. Allerdings wollte sie auch nicht von Bell weg, da sie Angst hatte, dass die Schmerzen wieder kommen würden. Zum Glück schien diese mal wieder genau, was sie bedrückte und bat darum sich und Selina zu entschuldigen.
Draußen an der frischen Luft, die trotz des ganzen Schnees kein bisschen kalt war, atmeten sie beide einmal tief durch.
„Ziemlich viel auf einmal, oder? Mal wieder, ich weiß. Und es tut mir unendlich leid, dass wir dir diese schwere Bürde auflasten, aber du wurdest ausgewählt und gegen die Wahl der Elemente kann man leider nichts machen.“
„Ich weiß. Ich werde mein Bestes tun, um euch zu helfen. Auch wenn ich dich und die anderen noch nicht allzu lange kenne, mag ich euch und eure Welt. Irgendwie habe ich eine Verbindung zu der Anderswelt. Und wenn Xera wirklich etwas damit zu tun hat, habe ich schon eine Idee, wie wir sie finden und zur Rede stellen können.“
„Darüber mach dir jetzt erst einmal keine Gedanken. Wie geht es deinem Mal? Tut es noch weh?“
„Im Moment nicht.“
„Gib mir deine Hände und ich werde die Blockade lösen, dann wissen wir ob der Schmerz noch da ist.“
Bell nahm Selinas kalte Hände in die ihren, die warm waren, und schloss die Augen. In Selinas Kopf löste sich plötzlich eine Barriere und sie spürte die Kälte an Gesicht und Händen. Ihr Mal blieb ruhig.
„Mein Mal nicht, aber dafür ist mit jetzt unendlich kalt.“
Sie entzog sich Bells Griff und steckte ihre Hände in die Jackentaschen um sie zu wärmen.
„Komm mit, ich bring dich an einen angenehmeren Ort.“
Sie überquerten den Platz vor der Ratshöhle. Es war eine runde Fläche und erinnerte an einen Dorfplatz, nur dass in der Mitte kein Brunnen stand, sondern ein Monument, welches einen Hypogreifen zeigte, der seine Flügel schützend über die Eisengel hielt. Bell ging direkt neben der Statue vorbei und Selina hätte schwören können, dass die aus Eis gehauenen Augen des Tiers ihnen folgten. Sie liefen eine kleine Straße entlang und Bell hielt auf eine kleine Höhle zu, die noch relativ neu aussah. Im Inneren stand ein Bett, ein Schrank, ein Tisch mit einem Stuhl und an der linken Seite prasselte ein Kaminfeuer in Blau, Weiß und Türkis.
„Wer wohnt hier?“
„Du natürlich!“, antwortete Bell mit einem breiten Grinsen im Gesicht.
„Wir konnten dich ja nicht einfach in eine von unseren Höhlen wohnen lassen, wo es für dich eiskalt wäre. Außerdem ist sie direkt neben meiner und noch ein bisschen weiter wohnt Darian. Zum Essen kannst du zu mir kommen, aber wir werden übermorgen nach Berund aufbrechen und dann wird es für dich wieder angenehmer mit den Temperaturen.“
„Das wäre doch nicht nötig gewesen! Ich hoffe du hast dir nicht zu viel Stress wegen mir gemacht?“
„Das hab ich doch gern gemacht. Möchtest du etwas essen? Ich hab Salat gemacht. Du kannst deine Sachen einfach hier lassen und dich noch kurz frisch machen, wenn du magst. Meine Höhle ist die rechts neben deiner. Surim müsste eigentlich auch noch kommen.“
„Okay.“
„Bis gleich!“
Bell umarmte Selina und eilte mit fröhlich wippenden Schritten nach draußen. Selina sah sich noch einmal um, dann fing sie an ihren Rucksack auszupacken. Der Schrank war weiß, wie die übrigen Möbel auch. In das Holz war das Muster eines Baumes geschnitzt, den Selina nicht kannte. Die Blätter erinnerten sie an Eiszapfen und auf der Rinde waren Millionen kleine Schneeflocken zu erkennen. Sie fragte sich, wer zu so feiner Arbeit fähig war.
Als alles verstaut war, ging sie zu einer Tür an der Rückwand. Dahinter verbarg sich ein wunderschönes Badezimmer. Alles strahlte in Weiß und Türkis. Der Wasserhahn hatte die Form eines Hypogreifenkopfes und die Hebel für warm und kalt waren wie ausgebreitete Flügel geformt. Sie wollte das Wasser aufdrehen, doch bevor ihre Hand das Metall Berührt hatte, plätscherte das kühle Nass bereits ins Waschbecken. Wie gebannt starrte sie auf die klaren Tropfen, die am Beckenrand hochspritzten. Selina formte ihre Hände zu einer Schale, fing das Wasser auf und wusch sich das Gesicht. Sie wollte schon nach dem Flügel greifen, doch sie zog ihre Hand wieder zurück und stoppte das Wasser mit ihrer Willenskraft. Nach den letzten Tröpfchen, die noch aus dem Hahn kamen, breitete sich eine Stille über den Raum. Selina konnte es nicht glauben. Wenn sie Wasser zum Fließen bringen konnte, was war ihr dann noch alles möglich. Und wie würden ihre Kräfte sich entwickeln, wenn sie erst das Amulett hatte? Plötzlich wurde sich von Angst gepackt. Was, wenn sich ihre Kräfte dann gar nicht mehr kontrollieren konnte? Eilig verließ sie das Bad, warf sich eine Jacke über und lief zu Bell. Diese hatte den Tisch gedeckt und verteilte gerade den Salat auf die drei Teller.
„Da bist du ja! Ich dachte schon…was ist denn los? Du siehst aus, als hättest du einen Geist gesehen!“
„Ich kann Wasser mit meinem Willen kontrollieren. Und ich weiß nicht, ob es nur Wasser ist, oder auch die anderen Elemente.“
„Aber das ist doch wunderbar! Dann kannst du…Moment. Aber du hast das Amulett noch gar nicht. Wie ist das möglich? Könntest du mir das kurz mal zeigen?“
Selina trat vor den Herd und konzentrierte sich auf Wärme. Kleine blaue Flammen züngelten empor. Bell geriet total aus dem Häuschen.
„Du kannst die Elemente aufrufen! Ohne Amulett! Das gab es noch nie! Selina, du musst etwas ganz Besonderes sein, wenn dir die Vier Elemente folgen. Versuch es mal mit Luft!“
Ein wenig überrascht, dass es ausnahmsweise mal etwas Gutes war, was passierte, beschwor Selina einen Windstoß, der sie kleine blaue Flamme ausblies.
„Das ist ja fantastisch! Aber was geschieht mit Erde? Du könntest ein kleines Loch in den Boden schlagen.“
„Ich will dein Haus nicht in Schutt und Asche legen. Das probiere ich draußen aus.“
Wenig später standen die beiden vor einem kleinen Krater auf der Straße.
„Was ist das denn?“
Surim stand auf der anderen Seite der Vertiefung.
„Selina hat Macht über alle Vier Elemente und das ohne Amulett!“
„Wie ist das möglich?“
„Das habe ich mich auch schon gefragt. Aber jetzt essen wir erst einmal etwas.“

Impressum

Texte: Text copyright by Alex Sunbird. Cover copyright by Alex Sunbird.
Tag der Veröffentlichung: 13.11.2010

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