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7.Kapitel
Die Aufgabe



Das stete Geräusch der Hufe auf dem trockenen Weg wurde vom Wind und dem entfernten Donnergrollen fast übertönt. Der von Darian angeführte Trupp bewegte sich nur langsam durch das unwegsame Gelände. Die Straße war seit Ewigkeiten nicht mehr genutzt worden-genau gesagt, seit die Feuerelfen verschwunden waren. Immer wieder tauchte der dunkle Horizont der Schieferebene auf und der westliche Vulkan erhob sich drohend über das Land. Im Süden war Berund längst hinter den Bergen verschwunden.
„Darian!“
Taris schloss zu dem Eisengel auf.
„Sollten wir nicht langsam eine Rast einlegen? Die Pferde können langsam auch nicht mehr.“
„Ich hatte gehofft irgendwo ein sicheres Versteck zu finden-eine Höhle oder ähnliches.“
„Wohl kaum in dieser Gegend.“
„Also gut.“
Taris gab den anderen ein Zeichen und sie hielten an. Es dauerte nicht lange, dann hatten sie ihr Lager aufgeschlagen und nach einem kargen Mahl zogen sie sich in ihre Zelte zurück. Nur Taris und Darian waren noch auf und hielten die erste Wache.
„Da gäbe es noch ein Problem.“, fing Taris erneut an.
„Ich weiß nicht wie lange uns das Wasser noch reicht, wenn…-was hast du vor?“
Darian war aufgestanden und ging zu seinem Wallach.
„Ich werde eine Quelle suchen.“
„Alleine?“
„Du hast hier, solange ich weg bin, das Sagen.“
„Aber…“
„Kein Widerspruch. Noch bin ich da, um Befehle auszuteilen.“
Er grinste seinen Freund an und zog seinem Pferd die Trense über den Kopf. Taris war jedoch gar nicht zum Lachen zu Mute.
„Was, wenn du von Greifern angegriffen wirst?“
„Wenn ich bis zum Morgen nicht zurück bin, wirst du den Trupp weiterführen. Wartet nicht auf mich, das würde nur eure Zeit verschwenden.“
Inzwischen war Darian aufgesessen und schaute Richtung Norden wo sich dunkle Wolken auftürmten. In der Ferne konnte man einen Vulkan ausmachen.
„Wenn sie erkennen, was du bist, werden sie dich töten!“
„Dagegen kann ich etwas machen.“
Die langen dunkelblauen Flügel des Elfen zogen sich in seinen Rücken zurück, bis nichts mehr davon übrig war. Taris rollte die Augen.
„Ach, ich vergesse immer, dass du uns anderen gegenüber gewisse Vorteile hast.“
„Ich würde nur zu gerne die Person kennen, der ich das zu verdanken habe.“
Darian‘s letzte Worte gingen in einem Donnergrollen unter und Taris ging nicht weiter darauf ein. Auf ein Signal den Eisengels trabte das Pferd an. Ein paar Meter folge er noch dem Weg, der nach Norden führte, dann bog in das unwegsame Gelände der tristen Hügellandschaft ein. Nach einer Stunde hatte sich die Landschaft kaum verändert, bis auf den Mond, der ein kleines Stückchen weitergewandert war. Bis zum Sonnenaufgang war es noch lang und Darian hatte kaum geschlafen. Das sanfte Schaukeln seines trabenden Wallachs machte ihn immer müder und müder. Er kämpfe gegen den Schlaf an, aber am Ende forderten die Anstrengungen der letzten Tage ihren Tribut.
Das erste, was der Eisengel hörte, war Wasser. Er war zu Hause in seiner Höhle. Draußen floss der kleine Gebirgsbach vorbei und plätscherte fröhlich über die eisigen Steine. Allerdinges war das auch das einzige Geräusch in seiner Umgebung. Wo waren das Scharren und Klappern seiner Nachbarn, die Gespräche der Frauen in den Gärten und die Rufe der spielenden Kinder?
Mit einem Ruck war er hellwach. Das Pferd, auf dem er saß, hatte den Kopf gesenkt um zu saufen. Plötzlich erinnerte er sich wieder. Er war nicht zu Hause, sondern in der Näher der Schieferebene und suchte nach Wasser, welches er offensichtlich gefunden hatte. Jetzt wo er sich dessen bewusst geworden war, erfasste er seine Umgebung mit allen Sinnen. Es waren tatsächlich keine anderen Geräusche zu vernehmen. Auch konnte er kein Zeichen von Leben erkennen, außer…am anderen Ufer stand eine schwarze Krähe mit aufmerksamen Augen, die ihn beobachteten. Er fragte sich, was sie wohl in diese lebensfeindliche Gegend geführt hatte. Als er sie jedoch genauer betrachtete, entdeckte er ein dünnes Lederband an ihrer Kralle. Sie gehörte jemandem.
Sein Pferd hatte seinen Durst inzwischen gestillt und wollte weiterlaufen, doch Darian sprang von seinem Rücken und führte es über den seichten Fluss. Seine in Öl getränkten Stiefel hielten das Wasser vorerst von seinen Füßen fern, aber an einer tieferen Stelle schwappte es über den Rand hinein. Wenigstens den Schutz vor Kälte hätte ich von Mutter erben können, dachte er bei sich.
Die Krähe hatte sich unterdessen nicht von der Stelle gerührt. Am Ufer angekommen, ließ die Zügel los und schritt bedächtig auf sie zu. Jetzt, wo sie Aufmerksamkeit erregte, trippelte die Krähe nervös hin und her, sodass Darian das Band immer schlechter erkennen konnte.
„Halte doch still. Ich tue dir nichts.“
Zu seiner Verwunderung beruhigte sie sich ein wenig. Nur noch wenige Zentimeter trennten ihn jetzt noch von der Krähe und er konnte das Lederband endlich genauer betrachten. Es war ausgefranst und alt und die Witterung hatte ihm stark zugesetzt, jedoch war noch ein Rest roter Farbe zu erkennen. Ein Botenvogel der Feuerelfen.
Darian konnte seine Entdeckung noch gar nicht fassen, da war der Vogel es leid so angestarrte zu werden und er erhob sich mit sanftem Flügelschlagen in den Himmel. Er wollte ihm folgen, doch bis Darian sein Pferd erreichte, war er schon hinter den Spitzen der Hügel verschwunden.
„Gut, dann zurück zum Lager.“
Es war schon hell und seine Männer waren wahrscheinlich schon weitergezogen. Er schwang sich geschickte in den Sattel und ihm wurde schmerzlich bewusst, dass er keine Ahnung hatte, wo er sich befand, da er den Großteil des Rittes geschlafen hatte.
„Weißt du den Weg noch?“
Er tätschelte dem Wallach den Hals, der sich darauf schnaubend in Bewegung setzte. Auf sein Pferd konnte er sich immer verlassen. Er markierte den Weg mit kleinen Eissäulen, die er aus dem Boden wachsen ließ, doch da die Luft so trocken war, gerieten sie nur zwei bis drei Fuß hoch.
Nach wenigen Stunden erreichte er den verlassenen Rastplatz. Wenn sie früh aufgebrochen waren, hatten sie fast einen halben Tag Vorsprung. Er trieb den Wallach zu einer schnelleren Gangart an. Jetzt, wo er einem Weg folgte, übernahm Darian wieder die Führung.
Während er dahinritt, überlegte der Elf, wie sie das Wasser zu sich schaffen könnten. Er müsste sich ein paar Männer suchen und zu der Stelle zurückkehren, doch diese würde immer weiter von dem weiterziehenden Trupp entfernt liegen. Sie müssten einen anderen Weg finden und…
Der Wallach war stehen geblieben und schnaubte unruhig. Darian wollte in zwischen den Ohren kraulen, doch er erstarrte mitten in der Bewegung. Vor ihm auf dem Boden lag das Jagdmesser von Taris, welches Darian ihm geschenkt hatte, als hätte der Freund es bei einem scharfen Ritt verloren, doch die rot glänzende Flüssigkeit an der Klinge zeugte davon, dass etwas viel schlimmeres passiert war…

Auf der Lichtung war es nahezu windstill. Die Vögel zwitscherten in den Baumwipfeln und freuten sich über den milden Herbsttag. Das Gras schimmerte saftig grün im hellen Sonnenlicht und am blauen Himmel flogen vereinzelt ein paar Wolkenfetzen, wie weiße Seidentücher in einer sanften Brise. An diesem idyllischen Plätzchen hatte sich ein sonderbares Trio versammelt. Ein Eisengel in Weiß und Türkis gekleidet, ein Waldläufer in braun-grünem Umhang und ein Menschenmädchen in Jeans und grüner Sweatjacke. Die drei unterhielten sich angeregt. Vor allem der Eisengel sprach mit dem Mädchen, welches aufmerksam zuhörte, und der Waldläufer warf nur hin und wieder etwas ein.
Gwin, der die Szene aus einiger Entfernung beobachtete, nickte zufrieden. Jetzt würde Selina endlich alles erfahren. Am äußeren Rand seines Gesichtsfeldes tauchte plötzlich etwas Großes, Weißes auf. Es war ein Wolf. Zuerst erschrak Gwin, doch dann erkannte er, dass der Wolf zu dem Waldläufer gehörte. Das Tier schaute kurz in seine Richtung, als hätte es ihn bemerkt, beachtete ihn dann jedoch nicht weiter. Ich sollte verschwinden, Wolfsnasen sind besser, als mancher vermutet, ermahnte Gwin sich selbst. Langsam zog er sich in die Dunkelheit der Bäume zurück und löste sich mit einem leisen Windhauch in Staub auf.

Selina, Bell und Surim saßen zusammen in einem Kreis-wenn man es so nennen konnte- auf dem noch warmen Erdboden. Shira hielt in der Nähe der Lichtung Wache, sodass die Elfen endlich mit Selina reden und alle noch offenen Fragen beantworten konnten. Zuerst wollte sie wissen, wer diese Xera war, doch alles, was Surim wusste, war, dass sie ein Wolfrudel beherrschte und grausam mit allem und jedem umging, der sich nicht ihrem Willen beugte. Auch Selinas Gespräch mit der Frau gab keinen weiteren Aufschluss. Schließlich wechselten sie das Thema und sprachen über die Elfenwelt.
„Du hattest mir erzählt, wie ihr die Anderswelt gefunden habt, aber nicht, wie sich die verschiedenen Stämme in der neuen Welt zurechtgefunden haben. Wie funktioniert euer Leben, ohne Krieg um Land oder Rechte und solches Zeug?“
„Das war eigentlich nicht schwer. Die Eisengel, Feuerelfen und Nachtwesen kamen in diese Welt und fanden eine gerecht geordnete Räterepublik vor. Wir mussten nur ganz nett fragen, ob wir uns in dieses System mit einbinden könnten und natürlich hatte keiner etwas dagegen. Aaron hast du schon kennen gelernt. Er war es auch, der den damaligen Vorsitzenden des Rats davon überzeugt hatte, uns mit in die Regierung aufzunehmen. Der Rat bestand aus acht, mit dem Vorsitz aus zehn Elfen. Aaron war der Berater von Ferro, der jedoch während der Aufstände in Berund angeblich an Altersschwäche starb. Die meisten waren fest davon überzeugt, dass er ermordet wurde.“
„Von Waldläufern.“, warf Surim ein.
„Was??“, Selina musste sich konzentrieren, um nicht den Faden zu verlieren.
„Die Waldläufer“, erklärte Bell weiter, „waren zu der Zeit ein wenig unzufrieden mit der Handhabung der geheimen Gängen unter Berund und wollten die Regierung stürzen. Natürlich gingen nicht alle gewaltsam vor“, sie warf Surim eine Blick zu, „doch es entstand eine starke Abneigung ihnen gegenüber. Schließlich wurden sie in die Menschenwelt verbannt. Vielleicht kann Aaron über die Vergangenheit hinwegsehen und dir eine zweite Chance geben.“
„Nachdem ausgerechnet ich dich dazu gebracht habe die Waldläufern nicht zu hassen und sich auch noch in einen zu verlieben.“
Alle drei lachten.
„Aber zurück zu der Anderswelt. Inzwischen ist Aaron Vorsitzender und Gwin sein Berater. Die Eisengel leben in den Bergen, die Nachtwesen in Berund, die Wölfen gibt es nicht mehr und die Feuerelfen sind spurlos verschwunden. Erinnerst du dich an die Reiter die wir in Berund gesehen haben? Sie wurden wegen den Greifern geschickt. Darian war bei ihnen. Ihm ist eine interessante Idee gekommen als er auf dem Weg nach Hause war. Die Feuerelfen könnten irgendwo im Norden sein, entweder in Gefangenschaft oder in sonst einer ernsten Lage. Auf jeden Fall ist er mit einigen Kriegern auf dem Weg dorthin gemacht um sie zu suchen. Ich sterbe fast vor Sorge!“
„Er ist erwachsen, Bell. Ihm wird schon nichts passieren. Ich war damals auch ziemlich abenteuerlustig, wenn du dich vielleicht an einige unserer Ausflüge erinnerst.“
„Allerdings!“
Die zwei Elfen mussten wieder lachen und Selina schmunzelte. Sie hatte noch so viele Fragen. Wahrscheinlich konnte sie ihr ganzes Leben damit zubringen, Fragen über diese neue Welt zu stellen, die sich direkt vor ihren Augen verborgen hatte und jetzt plötzlich mit all ihren Eindrücken auf sie losstürmte. Und natürlich ihre besondere Aufgabe als Hüterin der Elemente, was auch immer das werden sollte…

„Eigentlich nichts weiter als Unwetter in der Anderswelt abschwächen oder verhindern. Alle paar Jahre passiert es, dass das Wetter bei uns verrücktspielt, aber das ist nicht so schwer, glaub mir. In Berund wirst du alles lernen, was du wissen musst. Zwei bis drei Mal die Woche komme ich dich also besuchen und wir machen einen kleinen Ausflug in die Anderswelt. Mit der Zeit wirst du dich daran gewöhnen und es macht wirklich Spaß!“
Das waren Bells Worte gewesen, auf die Frage was genau Selina eigentlich zu tun hatte. Sie saß in ihrem Zimmer und ließ den Tag Revue passieren.
Sie hatte mit…nun ja…etwas mehr gerechnet, nach all dem was sie durchgemacht hatte, was ja alles mit der Begegnung dieser Elfe angefangen hatte. Die ganze Aufregung und Hektik- nicht zu vergessen die Begegnung mit Xera, die nach Selinas Gefühl auch irgendwas damit zu tun hatte-alles nur wegen Unwetter in der Anderswelt??
„Glaub mir, das ist schwieriger als du denkst.“, hatte Bell auf Selinas leicht enttäuschtes Gesicht gesagt.
Das musste doch eine spannendere Aufgebe sein als Wetterfrosch zu spielen! Das…!
„SELINA??“
„Ich bin hier!“
„Wo, hier?“
„Na, hier eben!“
Sie stand auf und ging zur Treppe.
„Kukuk!“
„Ich hab Döner mittgebracht. Ohne Blaukraut, ohne Scharf.“
„Super. Ich hab nämlich mächtigen Kohldampf.“

„Und wasch hascht du heut scho gemacht?“, fragte Nora zwischen ihrem Döner hindurch.
„Nicht viel. Hausaufgaben, gelernt mit Emma telefoniert. Und du?“
„Ich habe mein Büro aufgeräumt. Und einige Unterlagen für London bekommen. Ich bin die Ferienwoche und die folgende weg, was gut ist, dann musst nicht immer pünktlich aufstehen und nach den Ferien kannst du bei Emma bleiben. Ich hab schon mit ihrer Mutter gesprochen. Du freust dich bestimmt auf sturmfreie Bude, oder?“
„Du wirst mir auf jeden Fall fehlen. Ich werde wahrscheinlich alles lesen, was ich diesem Haus finden kann und im Wald spazieren gehen…“
„Verlauf dich ja nicht! Und ruf mich jeden Abend an“
Mist.
„Jeden zweiten Abend? Nach London ist es teurer.“
„Na gut, jeden zweiten oder dritten Abend. Aber dann auch wirklich!“
„Natürlich! Und mach ganz viele Fotos! Ich will mindestens eins von dir in einem Taxi und in einer Telefonzelle!“
Nora musste so lachen, dass sie sich fast an ihrem Döner verschluckte.
Sie redeten noch ein wenig über England und seine Klischees und um acht Uhr schauten sie Grey’s Anatomy. Dass man noch so normale Sachen machen konnte nach so einem Tag, wundere sich Selina, während Derek sich durch seine wundervollen Haare fuhr.

Sie lag auf einem OP-Tisch, um sie herum war es still. Wo waren die Ärzte? Sie brauchte doch noch eine Narkose… Vielleicht würde Derek oder Dr. Grey sie operieren? In ihrem Gesichtsfeld tauchte eine schwarz gekleidete Gestalt auf, ihre Augen waren wie schwarze Löcher in ihrem weißen Gesicht. Es sah aus wie ein Totenschädel.
„Hallo, mein Kind. Du bist etwas Besonderes, weißt du noch? Aber du hast etwas, was ich haben möchte. Wärst du so nett mir deine Schulter zu zeigen?“
Selina richtete sich auf und zog den Kittel von ihren Schultern.
„So ist es gut.“
Die Gestalt nahm ein Skalpell und machte einen runden Schnitt um das Zeichen der Hüterin. Selina verlor langsam das Bewusstsein. Das letzte, was sie sah, war Xera, die höhnisch auf sie hinabblickte…

Impressum

Texte: Text copyright by Alex Sunbird. Cover copyright by Alex Sunbird.
Tag der Veröffentlichung: 13.11.2010

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