4.Kapitel
Antworten
„Herr, sie kommen! Sie überqueren gerade den Markplatz!“
„Bereitet ihnen einen angemessenen Empfang. Der Hüter der Elemente soll sich hier wie zu Hause fühlen.“
„Herr…es ist…wie soll ich sagen…es ist eine Hüterin. Bell hat ein Mädchen bei sich.“
„Was? Ein Mädchen? Das ist…das wundert mich…“
Die hohen Flügeltüren schwangen auf und ein weiterer Bediensteter kam herein.
„Herr Aaron, Bell ist jetzt am Palast angekommen. Gwin begleitet sie hierher.“
„Bringt noch zwei Stühle. Aber bevor ich mit dem Mädchen rede, will ich mit Bell unter vier Augen sprechen. Ich warte im hinteren Zimmer auf sie.“
Aaron verschwand hinter einer kleinen Holztür, die in einen Nebenraum führte. Genau in dem Moment ging die Flügeltür erneut auf und Bell und Selina betraten den Raum. Der Bedienstete eilte zu der Elfe, flüsterte ihr etwas zu und trat zurück. Bell sagte Selina, dass sie gleich wieder da sei, und ging ebenfalls in den hinteren Saal.
Die Tür knarzte leise beim Öffnen. Mit einem letzten ermutigenden Blick zu Selina, betrat Bell den kleinen Raum.
„Herr Aaron, Ihr wolltet mich sprechen?“
„Bitte, wie oft muss ich dich noch daran erinnern, dass du mich nicht ‚Herr‘ nennen sollst, Tochter.“
„Ja Vater, verzeih mir. Ich nehme an du willst wissen wer das Mädchen ist…“
„Vor allem will ich wissen WARUM es ein Mädchen ist.“
„Nun ja…sie entsprach am ehesten der Prophezeiung Amalias. Keine Eltern, Abenteuer liebend und sie hat mir geglaubt und ist ohne Wiederstand mitgekommen. Sie stellt nicht viele Fragen. Trotzdem ist sie neugierig.“
„Aber warum liegt das Schicksal der Elfen in der Hand eines MÄDCHENS! Sie dir die alten Geschichten unserer Welt doch einmal an! Milieus, Padon, Tiak und all diese großen Krieger. Ihnen verdanken wir unser Leben und alle ließen sie ihr Leben für uns. Uns jetzt soll ein Menschenmädchen uns retten?!“
„Vater, bitte! Ich kann nichts dafür, dass sie als Hüterin der Elemente auserwählt wurde. Ich habe ihr alles erklärt und von den Wölfen weiß sie auch schon. Sie ist die Richtige, auch wenn sie eine Kriegerin ist. Die Zeiten ändern sich; die alten Traditionen können nicht immer gewahrt werden.“
„Du hast ja recht; ich hatte mich nur so darauf eingestellt, einen Menschenjungen hier begrüßen zu dürfen…Lass uns jetzt zu ihr gehen. Wie heißt sie doch gleich?“
„Selina. Sie heißt Selina…“
Die Straßen waren eng und die Nachtwesen machten nur langsam Platz. Selina fühlte sich immer noch unwohl; alle starrten sie an. Als sie sich vom Marktplatz entfernten, wurde die Straße leerer. Die hohen Türme des Palastes kamen näher. Bell zügelte ihr Pferd vor dem offenen Tor des gigantischen Bauwerks. Ein geflügeltes Wesen mit Fledermausohren und Tennisball großen Augen eilte die Stufen zu ihnen hinunter, verneigte sich und forderte sie auf, ihm zu folgen.
„Das ist Gwin, der persönliche Sterndeuter und Berater Aarons.“, flüsterte Bell Selina zu.
Gwin führte sie durch die weiten Gänge der Residenz von Aaron. In der großen Halle angekommen, kam ihnen gleich ein Diener entgegen der Bell etwas ins Ohr flüsterte.
„Ich komm gleich wieder. Hab keine Angst.“
Bell verschwand hinter einer kleinen Tür im hinteren Teil des Saals. Selina schaute sich um. Die hohen Wände waren mit Schnörkeln und Tieren aus Stein verziert, der Boden aus Bernstein und Marmor und durch die großen Fenster fiel das Sonnenlicht auf den langen, dunklen Holztisch in der Mitte des Raums. Selina wurde aus ihren Gedanken gerissen, als hinter der Holztür laute Stimmen ertönten, eine davon erkannte sie als die Bells, die andere war die eines Mannes. Die einzigen Worte, die sie verstand waren „Warum“ und „Mädchen“. Dann wurde es wieder still und kurze Zeit später kam Bell in Begleitung eines etwas älteren, in einen blauen Mantel gehüllten Mannes zurück in den Saal.
„Selina, das ist Aaron.“, sagte Bell auf den Mann deutend.
„Ich bin froh dich hier begrüßen zu dürfen, Selina.“
„Die Freude liegt ganz auf meiner Seite, Herr Aaron.“
„Gut. Setzt euch doch, die restlichen Ratsmitglieder müssten jeden Moment zur Besprechung eintreffen, dann…“, Bell unterbrach das Ratsoberhaupt.
„Ich habe Selina versprochen, dass sie hier Antworten auf ihre Fragen bekommt. Sie hatte nun schon so lange Geduld, wir sollten ihr jetzt wirklich ALLES erzählen.“
„Nun…dann…Gwin! Schicke jemanden zu den Mitgliedern. Die Versammlung findet Morgen statt.“
„Ja, He…“, Doch dieses Mal war es Selina, die ihm den Satz abschnitt.
„Ich muss doch wieder nach Hause! Ich kann nicht bis Morgen hier bleiben! Ich muss zur Schule, Nora weiß nicht wo ich bin und überhaupt…was muss besprochen werden?!“
Bell versuchte Selina zu beruhigen: „Die Zeit vergeht in dieser Welt nicht so schnell wie in deiner. Die Tage hier sind doppelt so lang. Wenn du drei Stunden aus deiner Welt abwesend bist, hast du sechs Stunden hier verbracht. Und da du erst eine Stunde hier bist, hast du noch fünf. Und was Morgen betrifft, hole ich dich natürlich wieder wie vorhin ab.“
Selina schaute erleichtert drein. So ging Gwin Boten ausschicken und Selina stellte ihre Fragen. Nach kurzem Überlegen, entschloss sie sich zu Folgendem:
„Warum wurde ich ausgewählt die Hüterin der Elemente zu sein?“
„Das ist die längste Geschichte von allen, aber ich versuche es kurz zu fassen. Bell hat dir bereits erzählt, dass die Elfen einst in der Menschenwelt lebten, und du hast auch erfahren, wie wir hierher kamen. Aber du musst wissen, dass nicht alle Elfen mit in diese neue Welt gekommen sind. Manche blieben bei den Menschen, weil sie bei ihnen ihre große Liebe gefunden, und schließlich auch Familien gegründet hatten. So blieb auch das Blut unseres Volkes in deiner Welt. Einige der Halbelfen trugen noch Merkmale der langlebigen Wesen an sich und wurden immer noch gejagt und verfolgt; ähnlich wie Hexen, nur dass sie wegen heller Haut, Flügelansätzen oder spitzten Ohren verbrannt und eingekerkert wurden. Aber das ist lange her. Einige Familien schaften es, sich im Verborgenen zu halten, bis aus den Elfen Mythen und Legenden wurden. Genau so auch deine Vorfahren. Selina in deinen Adern fließt Elfenblut und nur Menschen mit Elfenabstammung können zum Hüter oder zur Hüterin auserwählt werden. Bis jetzt waren es immer männliche Halbelfen, die unsere Welt vor nahenden Gefahren geschützt und gerettet haben; du bist das erste Mädchen welches unsere Welt betritt.“
Nachdem Aaron geendet hatte, musste Selina erst einmal das verdauen, was sie eben gehört hatte. Sollte das heißen, dass sie von Elfen abstammt? Von diesen Sagenumwobenen Wesen, in deren Welt sie sich gerade befand? Plötzlich wurde ihr die Tragweite dieser Tatsache bewusst. Alles was sie über Elfen in unzähligen Büchern gelesen hatte waren freie Erfindungen von irgendwelchen Schriftstellern und enthielten doch einen großen Funken Wahrheit, die Elfen selbst. Sie saß vor ihr. Eine reale Elfe aus Fleisch und Blut mit großen schimmernden Flügeln und spitzen Ohren. Bell musste die Veränderung in Selinas Gesicht aufgefallen sein.
„Alles in Ordnung?“
„Jaja, das ist alles nur so… unglaublich.“, mehr konnte sie im Moment nicht sagen.
„Lass dir Zeit, das ist viel auf einmal, das stimmt.“
Aarons Stimme hallte immer noch durch ihren Kopf. Die Sonne schien durch die hohen Fenster und als Selina ihre Gedanken wieder geordnet hatte, stellte sie ihre nächste Frage.
„Was genau war das, was mich damals in den Kissen gehalten hat…“, und zum wiederholten Mal schilderte sie die Nacht. Aaron lächelte, bevor er antwortete.
„Das war der Moment, in dem du mit dem Zeichen der Hüter versehen wurdest. Der kurz aufflammende Schein, das waren die Kerzen, die vor deinem Haus aufgetaucht sind, um dich vor dem Bösen zu bewahren. Du müsstest etwas an der linken Schulter haben.“
Selinas Hand schnellte sofort zu der besagten Stelle und tastete nach einer Unebenheit. Tatsächlich spürte sie dort einen kleinen Kreis der sich leicht von der Haut abhob.
„Das ist…“, Bell hatte Selinas T-Shirt leicht zur Seite geschoben und betrachtete das Mal eingehend.
„Ich kann die Symbole der vier großen Elemente erkennen. Flammen, Wellen, Wolken und Hügellandschaft. Bringt einen Spiegel; das musst du dir ansehen, Selina!“
Einer der Bediensteten eilte sogleich mit einem Handspiegel herbei und Bell hielt diesen so, dass Selina den Kreis sehen konnte. Er war in vier gleichgroße Teile geteilt und die einzelnen Felder schimmerten sogar leicht in den Farben rot, blau, weiß und grün. Es sah schön aus.
„Geht das wieder weg?“, fragte Selina.
„Manchmal. Wir wissen nicht genau, wie sich das Mal verhält, auf jeden Fall schützt es dich bis zu einem gewissen Grad vor Gefahren; sonst hat es keine weiteren Auswirkungen.“
Selina legte den kleinen Spiegel beiseite und wollte gerade ihre nächste Frage stellen, als plötzlich ein Bediensteter durch die hohen Flügeltüren gestürmt kam und schwer atmend vor Aaron zum Stehen kam.
„Herr, sie kommen! Zwei Dutzend Greifer verlassen gerade die Schieferebene!“
Aaron überlegte kurz, dann schlug er mit Befehlen um sich.
„Schickt ihnen dreißig berittene Bogenschützen entgegen, sie sollen diese abscheulichen Kreaturen vom Himmel holen. Gwin, rufe die Ratsmitglieder auf der Stelle zusammen. Bell, bring das Mädchen in ihre Welt zurück. Wenn auch nur ein Greifer die Festung erreicht, möchte ich sie in Sicherheit wissen.“
Auf einmal kam Bewegung in den Saal und auch draußen vor der Burg lag die Stimmung hecktischen Treibens in der Luft. Selina und Bell wollten aufbrechen, doch die Elfe wollte warten, bis die Bogenschützen den Innenhof verlassen hatten.
„Was sind Greifer und die Schieferebene?“
„Greifer sind dunkle und gefährliche Flugwesen, die in der Schieferebene hausen; die Schieferebene befindet sich im nördlichen Teil dieser Welt. Aber hab ich dir das nicht schon mal erzählt?“
„Kann sein…“ Es war schlicht weg einfach zu viel Information auf einmal.
Kurze Zeit später ritten die Krieger in Eile an ihnen vorbei, auf die Straßen der Stadt hinaus. Aus den letzten Reihen löste sich jedoch ein Reiter und kam auf die zu.
„Darian!“, das war Bells aufgebrachte Stimme.
„Was machst du hier? Ich wollte, dass du zu Hause bleibst!“
„Ich rette Berund vor einem Angriff der Greifer, siehst du doch! Und du kannst mich nicht davon abhalten!“
Mit diesen Worten machte er kehrt. Er warf noch einen verwunderten Blick auf das Mädchen, welches hinter seiner Mutter auf dem Pferd saß, dann preschte er den anderen hinterher.
„Wer war das?“
„Mein Sohn!“, antwortete Bell leicht säuerlich, dann spornte sie das Pferd an und sie flogen über die Straßen der Stadt die flache Graslandschaft bis zu dem Wald im Süden der Anderswelt. Selina hing ihren Gedanken nach und nahm die Gegend um die herum wieder nur bruchstückhaft in sich auf.
Hüterin der Elemente, dachte sie noch, als sie die Höhle zu ihrer Welt erreichten, das wird mir niemand glauben; aber als hätte sie ihre Gedanken gelesen, sagte Bell mahnend:
„Du darfst mit niemandem, wirklich NIEMANDEM darüber reden! Das ist sehr wichtig, damit wir Elfen geheim bleiben.“
„Natürlich.“ Meinte Selina, bevor sie von der Elfe wieder in ihre Welt geführt wurde.
Texte: Text copyright by Alex Sunbird.
Cover copyright by Alex Sunbird.
Tag der Veröffentlichung: 06.05.2010
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