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Als die Sonne noch schien




Wie beschreibe ich meinen kleinen Bruder am Besten?

Ich denke, wenn ich sage er war ein "Gute-Laune-Mensch", trifft es das ganz gut. Klar, auch er hatte seine Tiefpunkte, aber meistens war er bester Laune und steckte auch alle damit an.
Er sang und tanzte ständig – völlig ohne Grund, riss Witze und nahm das Leben nicht ernster, als er unbedingt musste. Er hatte die Gabe, seinen Mitmenschen stets ein kleines Lächeln auf die Lippen zaubern zu können … bis zu jenem schicksalhaften Tag im März.

Ich wusste nicht wohin mit all meinen Gefühlen und Gedanken. Deshalb schrieb ich sie ihm auf – allein deshalb, weil er sich an die ersten Tage nicht erinnern kann. Es half mir, die ersten Tage durchzustehen…

Dies sind meine Briefe an ihn.

Mittwoch




Geliebter Bruder,



ich musste gerade eingeschlafen sein. Es war ca. 22:30 Uhr oder 22:45 Uhr. Mein Handy lag wie immer neben meinem Bett – für genau den Fall, der nie eintreten sollte und es genau in diesem Augenblick mit dem lauten Einsetzen des Klingeltons tat. Ich spähte müde aufs Display. Unbekannt. Schlaftrunken nahm ich ab. Es war unsere Mutter. Sie weinte, nahezu hysterisch. „... Polizei war gerade da ... Felix ... schweren Unfall ... im Krankenhaus ...“.

Mein Herz setzte aus. Ich war sofort hellwach, auch wenn ich fast nichts verstanden hatte. Durch viele – für sie in dem Augenblick sehr unangenehme - Rückfragen fand ich heraus, dass Du einen schweren Verkehrsunfall an einer Kreuzung hattest. Du hättest die Vorfahrtsregeln missachtet und seist nun im Krankenhaus. Die Polizei hatte Mama soeben informiert. Sie und Papa würden jetzt zu Dir fahren, Oma und Opa zu unserer kleinen Schwester gehen. Sie hatte von alledem noch nichts mitbekommen und schlief behütet in ihrem Bett.
Das ist dann wohl das Positive, wenn alle auf demselben Grundstück leben. Wenn man Hilfe braucht ist immer schnell jemand zur Stelle.
Wir legten auf und ich saß da wie gelähmt. Ein Unfall. Ich hatte seit längerem eine nicht näher definierbare Angst, dass einem meiner Lieben etwas passieren könnte. Das kennst du bestimmt, so eine innere Unruhe, die man nicht näher erklären kann. Jedoch bezog sich dieses Gefühl nie auf Dich. Unsere Großeltern sind nicht mehr die jüngsten, deshalb hatte ich um die beiden mehr Angst gehabt als um Dich. Du warst junge 19 Jahre alt, vor Lebensfreude und Energie nur so strotzend. Wer oder was um alles in der Welt sollte das ändern?
In diesen Augenblicken bekam ich die Antwort.

Draußen hörte ich jemanden den Namen unseres keinen Hundes rufen. Als ich die Stimme erkannte sprang ich automatisch aus dem Bett und rannte – in Po-langem Flanellhemd – nach unten, griff geistesgegenwärtig nach meinem Schlüssel und ging die Waschbetonplatten ums Haus nach vorne. „Ich pass auf ihn auf“, hörte ich mich sagen. Mama, die bis dahin verzweifelt nach dem kleinen Rabauken gerufen hatte, nickte nur.
„Ruf mich bitte an, sobald du etwas weißt“, bat ich. Unsere Mutter nickte wieder. Auch sie funktionierte nur.
Ich schnappte mir den schwarzen Racker und stand zwischen den Häusern, barfuß auf den eiskalten Platten, während Papa das Auto aus der Garage fuhr, Mama einstieg und beide davon fuhren.

Oma und Opa wackelten hektisch quer über den Hof und verschwanden in unserem Elternhaus. Sie sahen mich nicht. Ich stand da. Gerry auf dem Arm. Betäubt.
Ich blinzelte erst, als das Licht des Bewegungsmelders erlosch. Langsam setzte ich Gerry wieder auf die Erde. Ich bemerkte, dass ich zitterte.
„Komm, Gerry“, lockte ich. Langsam lief ich wieder nach hinten, zwang mich zu atmen, aber ich bekam keine Luft. Wie ich auf die Stufe vor unseren Hauseingang kam, weiß ich nicht mehr. Ich weiß nur noch, dass ich – ohne Strümpfe und Unterwäsche, noch immer nur im Flanellhemd – mit meinem Po auf den blanken Platten – auf der Stufe saß und mich der erste Krampf schüttelte. Ich heulte und schrie, zitterte, schluchzte, schnappte nach Luft... Es sollte nicht der Letzte in dieser Nacht bleiben.
Irgendwann realisierte ich, was ich da tat. „Lächerlich“, schimpfte ich mich selbst. „Steh‘ auf und stell‘ dich nicht so an, das kann doch nicht so schwer sein!“ Es half, mir Anweisungen zu erteilen.
Ich versuchte, etwas zu sehen. Nichts außer finstere Nacht. „Gerry? ... GERRY?“, rief ich, von neuer Panik gepackt, und stand auf. Doch ein Knacken und sein vertrautes, leises Fußgetrappel verriet mir, dass er auf dem Weg zu mir war. Ich fummelte den Schlüssel ins Schloss und der Bewegungsmelder im Windfang tat seinen Dienst. Ein Blick nach unten verriet mir, dass der Kleine neben mir stand.
Dort im Flur wählte ich dann das erste Mal Stephans Nummer. Natürlich konnte er nicht abnehmen, immerhin war er auf der Arbeit – Nachtschicht. Die Haustür fiel hinter mir ins Schloss während ich Gerry so ruhig wie möglich erklärte, dass er keine Angst haben müsse, dass er jetzt erst einmal bei mir bliebe und dass Mama und Papa sich dann melden würden. Kein Grund zur Sorge also.
Gerry wartete bis ich fertig erzählt hatte, stand dann auf und stolzierte mir voran die Treppe nach oben, blieb an der Wohnzimmertüre stehen. „Nein, Gerry. Wir gehen ins Bett. So ist keiner von uns zweien alleine.“
Ich probierte es mehrmals bei meinem Freund, doch ob er mich zurückrief oder ich ihn erwischte weiß ich nicht mehr. Ich erklärte ihm kurz und knapp unter Tränen und Schluchzern, dass mein geliebter kleiner Bruder einen schweren Unfall hatte, ich aber nicht wüsste wie es ihm geht, er aber wohl am Leben sei. Ich versprach, anzurufen sobald ich etwas wisse und legte auf.

Mein Kopf fing an zu arbeiten. Was war passiert? Wie schwer warst du verletzt? Warst du alleine im Auto? War dein bester Freund bei dir? War er mit in deinem Auto gewesen? War er Zeuge? Ist dein Unfallgegner auch verletzt? ... Facebook!
Ich stand von meinem Bett auf und lief eilig ins Wohnzimmer. Das mir der Gedanke nicht schon früher gekommen war. Sollte irgendjemand etwas wissen, würde ich es im World Wide Web herausfinden. Mit meinem Laptop und einer Kerze stiefelte ich zurück ins Bett. Erst als ich mich am PC anmelden wollte und nur verschwommen sah bemerkte ich, wie sehr ich noch weinte. Und ich fror. Die Steinplatten hatten volle Arbeit geleistet.
Ich meldete mich an. Während der Laptop seine Daten lud entzündete ich die Kerze. Ich wusste nicht weshalb, aber sie spendete mir Trost. Das Licht im Dunkel, wie passend.
Als Erstes suchte ich mir im Internet eine passende Bibelstelle. Inzwischen war es etwa 1 Uhr morgens.

„Darum sage ich euch: Alles, was ihr bittet in eurem Gebet, glaubet nur, dass ihr’s empfangen werdet, so wird’s euch werden.“ Mk 11,24



Damit begann ich mein Gebet. Ich betete für unsere Eltern und für unsere Großeltern, dass sie die Kraft hätten, dies durchzustehen. Ich betete für Dich. Dass du gesund seist und, falls nicht, dass du schnell gesund werden würdest. Dass es uns allen gut gehe und der Herr bei uns sei.
Das war das erste von sehr vielen Gebeten, die folgen sollten. Vielen Gebeten, die mir ein paar Sekunden der Ruhe, Besinnung und Hoffnung schenkten.

Ich durchforstete also als nächstes Facebook. Genauso wart ihr doch: Sobald etwas passiert war wurde es gepostet. Und wenn jemand etwas von Dir und dem geschehenen Unfall gewusst hätte, hätte ich es – wenn überhaupt irgendwo – dort finden können. Und tatsächlich. Dein bester Freund postete um 00:10 Uhr „Autos kann man ersetzen, Menschenleben nicht.“
Er hatte sogar auf Groß- und Kleinschreibung geachtet. Also schrieb ich ihm eine private Nachricht. Ob es ihm gut ginge und was er wisse. Die Antwort folgte erst am nächsten Morgen. Der Schock säße tief, er wisse du liegest in Coburg und dein Auto sei in XXX (Fehlinfo!), mehr wisse er nicht. Wieso postete er das mitten in der Nacht, woher wusste er das? […] Mein erster Gedanke, der sich hoffentlich nicht bewahrheiten würde: Der weiß was. Und hält dicht.
Ich nehme gerne vorweg, dass er sich am Tag nach dem Unfall und von da an regelmäßig bei unserer Mutter meldete. […] Ob er wieder anrufen dürfe um zu erfahren wie es dir ginge. […]

Als Mama sich in der Unfallnacht das erste Mal meldete, klang sie gefasster. Du hättest dir den Knöchel gebrochen und würdest gerade untersucht werden. Es bestünde keine Lebensgefahr.
Ich war erleichtert und betete erneut. Da ich Oma und Opa darüber informieren sollte und ich das Brennen der eiskalten Platten noch auf meiner Haut spürte war ich diesmal schlauer und zog mir eine Hose und meinen Bademantel über. Ich hatte in der Zwischenzeit öfters gehustet und meine Lunge schmerzte leicht – wobei die Heulerei mit Sicherheit ihren Teil dazu beigetragen hatte. Um eine Erkältung zu vermeiden zog ich noch Socken an, weckte Gerry, ließ ihn sein Geschäft erledigen und lief die paar Meter ins Haus unserer Eltern. Ich hörte, dass sich unsere Großeltern unterhielten.

„Ach da sind sie ja“, sagte unser Opa.
„Nein, ich bin’s“, antwortete ich halblaut im Treppenhaus, immerhin wollte ich unsere kleine Schwester nicht wecken. Ich lief die Stufen nach oben und trat ins Zimmer; Oma lag unter einer Decke auf der Couch, Opa lag daneben. So detailliert wie möglich erzählte ich ihnen, was unsere Mutter mir mitgeteilt hatte. Du seist an der Kreuzung von XXX kommend auf dem Weg nach Hause gewesen und hättest ein Auto übersehen. Heute weiß ich, dass das Auto von rechts kam, deine Beifahrerseite getroffen hatte, ihr das Stop-Schild umgemäht habt und beide im Feld gelandet seid. Das Feld, für das der Bauer bereits am Donnerstagmittag Schadensersatz haben wollte. Das Feld, auf dem du dich mehrfach überschlagen hast. Das Feld, an dem dein Leben fast zu Ende gewesen wäre. Das Feld, an dem wir täglich auf dem Weg zur Arbeit vorbei fahren.
Ich weiß heute auch, das vermutet wird, du seist – sehr untypisch für dich – nicht angeschnallt gewesen. Das hat dir vermutlich dein Leben gerettet. Ebenso weiß ich, dass dein Unfallgegner recht glimpflich mit ein paar Rippenbrüchen und etlichen Prellungen davonkam.

Ich wollte eigentlich gleich wieder gehen, doch du kennst ja Oma und Opa. Unser 75jähriger Opa rekonstruierte fachmännisch den Unfall, während Oma schimpfte, dass deine Weibergeschichten mal noch dein Tod seien. Es war nach 3 Uhr morgens, ehe der PickUp unserer Eltern in die Garage rollte. Es dauerte eine ewige Minute, ehe Mama, leichenblass, in der Tür stand. Sie erzählte uns erneut, dein Fuß sei gebrochen. Deine Milz sei gerissen und du nicht ansprechbar. Die Polizei hätte dir eine Blutprobe entnommen, um zu testen, ob du Alkohol im Blut hättest. (Hattest du nicht.) Und die nächsten 48 Stunden seien kritisch. Und als der Arzt das zu ihre sagte, brach sie zusammen.

Du weißt, wie sensibel unsere Mutter auf Stress reagiert. An dieser Stelle wäre es vielleicht auch gut zu erwähnen, dass sie vom Unfallzeitpunkt an innerhalb von wenigen Wochen sehr viel an Gewicht verlor.
Oma und Opa stellten noch ein paar Fragen und gingen nach Hause. Ich hingegen ging mit Mama in dein Zimmer und wir suchten deinen Impfausweis und deine Krankenversichertenkarte. Letzteres erfolglos. Mama saß auf den Knien vor deinem Lowboard an der Wand des Kachelofens während sie das Coburger Krankenhaus über deine letzten Impfungen informierte. Etliche Fragen sprudelten aus mir heraus, ich kann mich jedoch nur noch daran erinnern, dass ich irgendwann damit aufhörte, da es Mama damit sichtlich unwohl ging – allein deshalb, weil sie selbst noch keine genauen Informationen hatte. Da Mama hatte verlauten lassen, dass niemand von deinem Unfall wissen sollte, fragte ich Papa noch, was ich sagen sollte, wenn mich jemand darauf ansprechen würde. Fuß gebrochen, war die Antwort. Wir einigten uns dann jedoch auf die Version, dass es dir nicht gut ginge und wir noch nichts Genaues wüssten, dass dein Zustand kritisch sei und wir um Diskretion bitten.
Damit ging ich wieder zu mir. Ich informierte meinen Freund stets sobald es neue Infos gab, schrieb noch bis in die frühen Morgenstunden mit ihm. Um 4:30 Uhr sah ich das letzte Mal auf die Uhr. Um 6:00 Uhr klingelte der Wecker. Um 7:00 Uhr stand ich, mit unserem Hund bewaffnet, an meinem Auto und starrte auf den Eingang zu unserem Büro.

Donnerstag




Geliebter Bruder,



das Einzige, das ich tun konnte, war mich um dein Handy zu kümmern. Ich setzte mich gleich früh morgens mit deinem Dienstanbieter in Verbindung und ließ deine SIM-Karte sperren. Dein Handy war unauffindbar. Nicht am Unfallort, nicht in deinem total zerstörten Auto, nicht im Krankenhaus. Wir vermuteten, dass es irgendwo zerquetscht wurde.
Der Mann des Callcenters, vermutlich Ende zwanzig oder Anfang dreißig, war sehr nett. Er wirkte erschüttert und sprach sein Mitgefühl aus, versicherte mir die SIM-Karte zu sperren. Ich fragte, ob es eine Möglichkeit gäbe, dich vor anfallenden Kosten zu schützen. Er riet mir, mit einem Nachweis des Krankenhauses der bestätigte, dass du geschäftsunfähig warst, eine Stilllegung des Vertrages zu erwirken. Das tat ich dann auch. Für sechs Monate wäre der Vertrag still gelegt. Zu diesem Zeitpunkt lagst du noch im künstlichen Koma. Wir könnten den Vertrag jederzeit wieder aktivieren. Da dein Handy versichert war hätte sogar eine Chance bestanden, dein Handy ersetzen zu lassen. Jedoch kam – und hier nehme ich wieder Infos vorweg - Freitagnachmittag Mama stolz mit deinem Handy in der Hand zurück. Es lag im RTW. Wir hingen es ans Ladekabel und da Mama deine PIN kannte schalteten wir es an. Es funktionierte. Ich versuchte, mich anzurufen, doch es klappte nicht. SIM gesperrt. Alles ok. Wir schalteten dein Telefon wieder ab. Ich hoffe sehr, dass das alles in deinem Interesse war!
Am Donnerstagmorgen hat auch dein Onkel angerufen und sich hörbar bestürzt nach deinem Befinden erkundigt. Es folgten viele Telefonaten zwischen unserer Mutter und ihrem Bruder in diesen Tagen.

Du lagst in der Nacht auf und am Donnerstag tagsüber weitestgehend im künstlichen Koma oder auf dem OP-Tisch. Als man dich nämlich am Vormittag weckte hattest du über Bauchschmerzen geklagt. Sofort hat man dich – zusätzlich zum regelmäßigen Intervall – untersucht. Du hattest Flüssigkeit im Bauchraum und kamst sofort in den OP. Es sollte sich herausstellen, dass dein Leberriss aufgehört hatte zu bluten, die Milz aber nicht. Diese blutete in deinen Bauch. Man verklebte die Risse und versorgte dich ausreichend, ehe man deine Naht von der Brust den ganzen Bauch entlang mit Metallklammern verschloss. (Heute weiß ich, dass es genau andersherum war und es deine Leber ziemlich zerfetzt hatte. Wir hatten eine Fehlinfo erhalten.) Die Stunden am Donnerstag, von ca. 15:00 Uhr als wir von der anstehenden OP erfuhren bis ca. 20:30 Uhr, als Mama anrief und sagte, dir ginge es „gut“, waren die wohl schlimmsten in meinem Leben. Noch schlimmer, als die Unfallnacht selbst. Man wusste, du lebst, und man wollte Dich auf keinen Fall gehen lassen!
Und nicht nur die schlimmsten Stunden in meinem Leben. Du kannst dir wirklich nicht vorstellen, wie es einem da geht.
Man hat keinen Hunger und kann auch nicht essen, selbst wenn man sich dazu zwingt (wir haben uns in diesen Tag oft gegenseitig ans Essen erinnert), man kann an nichts denken und doch arbeitet der Kopf ständig, man kann sich auf nichts konzentrieren, man kann keinen klaren Gedanken fassen, man kann nicht lesen, nicht fernsehen, es kommt kein Gespräch zu Stande ... Man wünscht sich, dass das Telefon endlich klingelt, doch wenn es das dann endlich tut zuckt man zusammen und traut sich nicht, abzunehmen. Das Herz tut weh weil es so heftig schlägt, man zittert. Doch bis dahin sitzt man da und schaut ins Leere. Und die Zeit läuft. Tick. Tack. Tick. Tack. Tick ...

Ich war echt positiv überrascht, wie Oma und Opa das alles so gut aushielten. Sie schlugen sich tapfer. Oma weinte viel und Opa war der festen Überzeugung, dass du wieder gesund wirst. Allerdings hatte er Angst – und das war seine einzige Angst, die er offen aussprach und zuließ -, du könntest Folgeschäden wie zum Beispiel ein Hinken zurück behalten.
Du kannst mir das jetzt gerne übel nehmen, aber mir ist es im Moment so egal, ob du später mal humpelst oder nicht. Seit inzwischen vier Tagen – ich schreibe nämlich am Sonntag - bangen wir nun schon um dein Leben: um das Leben des geliebten Sohnes, das Leben des Enkels, des Bruders, des Schwagers in spe, des Freundes und Kumpels. Seit vier Tagen kann uns niemand sagen, ob du überlebst, geschweige denn, ob du wieder der Alte wirst.

Samstag




Geliebter Bruder,



heute durfte ich Dich das erste Mal besuchen. Mamas Stimme war schon komplett weg, weil immer wenn man dich besuchte sollte man dir etwas erzählen. Mama rief um ca. 7:30 Uhr am Morgen an und meldete sich mit „Keine Angst es ist alles ok. Ich möchte dich nur etwas fragen“. Sie wusste, wie es mir ging, wenn mein Telefon klingelte. Ihr ging es nämlich mindestens genauso.
Sie fragte, ob ich dich besuche wollte. Ob ich mir das zutraute. Sie würde es mit der Station abklären und auch, wann wir am Besten vorbeikommen sollten.
Ich wusste von unseren Eltern, dass du eine Beule mittig der Stirn hattest, dass du schlimm aussehen würdest und dass deine Lippe sehr dick sei. Dein Gesicht hatte ich auf einem Bild von Mamas Handy bereits gesehen. Du hattest gefragt „Was ist da los?“, und Mama hat Dir deine Lippe fotografiert und gezeigt. Du warst damit zufrieden und wir zu Hause konnten Dich sehen.
Ich traute es mir zu, dich zu besuchen. Du warst nicht mehr intubiert und dein Gesicht hatte ich mir – das musste ich mir im Nachhinein eingestehen - schlimmer vorgestellt.
Du kennst mich. Ich habe im Hinterkopf stets die schlimmsten Szenarien und Alternativen in realer Ausführung parat und freue mich immer sehr, wenn es besser kommt als das, was meine Ängste mir voraussagen.

Innerhalb von 15 Minuten saßen wir bereits im Auto auf dem Weg zu dir. Ich fuhr. Du warst erschöpft, hattest die meiste Zeit deine Augen geschlossen. Wir standen jeder zu einer Seite deines Bettes. Du hattest kurz aufgesehen, als wir reinkamen. Später flüsterte ich zu Mama, ob du mich denn erkennen würdest. Sie sprach zu dir. „Felix?“ „Hm.“ Es war mehr ein Stöhnen als eine Antwort. „Schau mal, wen ich dir heute mitgebracht habe.“ Du hast Mama angesehen. „Da drüben“, sagte sie und deutete zu mir. Du hast deinen Kopf umgewandt und mich angesehen. Eine endlose Sekunde, zwei.
Dann verzog sich dein Mund, und wäre deine Lippe nicht so dick und du nicht so schwach gewesen wäre dein Lächeln sicher wunderschön und voll deiner Lebensfreude gewesen. „Die Lotte“, hast du mich erkannt. Ich war so glücklich. Leider hast du dich nicht erinnern können, dass du am Vortag bereits drei Mal Besuch von unseren Eltern hattest, und an den Tag davor auch nicht. Du hast alles, was länger als zwei oder drei Stunden her war wieder vergessen.
Am Nachmittag besuchten wir dich wieder, und du wusstest nicht mehr, dass wir drei Stunden zuvor schon einmal bei dir waren. Du hast auch fast nur geschlafen und kaum reagiert. Nach 45 Minuten (die Höchstzeit für Besuche übrigens), sind wir sehr traurig wieder gegangen. Mein Freund war gefahren und auf dem Heimweg hat Mama bitterlich geweint und ihm erklärt, er solle das bloß nie seiner Mutter antun. In XXX angekommen waren wir noch schnell einkaufen ehe ich unsere Großeltern anlog und behauptete, dein Zustand hätte sich nicht verschlechtert.

Sonntag




Geliebter Bruder,



heute morgen, als Mama und Papa dich besuchte haben, hattest du vor Schmerzen geschrien. Zum Glück war ich nicht dabei. Du bekommst seit gestern Abführtropfen oder so etwas in der Art und hast schon drei Einläufe verpasst bekommen, doch du weigerst dich, in deine Bettpfanne zu machen. Du willst zu Hause auf die Toilette. Das wird wohl nichts werden, kleiner Bruder.
Sobald du jedoch einmal dein Geschäft erledigt hättest dürftest du wieder essen. Darauf warteten wir jetzt alle.

Heute Nachmittag sollte ich dich eigentlich alleine besuchen – vorausgesetzt ich käme damit klar, dass du unter Schmerzen schreist. Ich hatte Angst – immerhin mussten wir bei Dir immer gute Laune haben und durften keine Schwäche zeigen - und bat Mama, mich zu begleiten. Mein Freund fuhr wieder, und wir durften 45 wertvolle Minuten bei Dir verbringen. Du hast zwar oft „Au“ oder „Schmerzen“ gesagt, doch das war für mich verkraftbar. Deine Lippe schien auch abgeschwollen zu sein. Du sahst wieder ein bisschen mehr nach Dir selbst aus, und klangst auch ein bisschen mehr nach Dir. Dein Blutdruck war allerdings Besorgnis erregend hoch. Mama und ich standen vor den piepsenden Monitor und hofften, dass sich das bald gäbe. Die Schwester hatte Mamas inneren Kampf bemerkt und war so freundlich, uns das mit dem Blutdruck zu erklären. Die Maschine maß deinen Blutdruck wohl direkt in der Arterie. Dieser sei dann auch etwas höher, als wenn man ihn „auf die altmodische Art“ am Arm messen würde. Sie tauschte dann auch ein paar Elemente aus und kontrollierte deinen Blutdruck manuell. Mama hatte währenddessen stumme Tränen vergossen. Der Anblick, dich da so liegen zu sehen, schmerzte sie sehr.
Du musst wenn du fit bist sehr lange ein sehr braver Sohn sein, ich denke, das bist du ihr schuldig!
Und heute am Vormittag hättest du eine kleine Menge sehr flüssigen Stuhlgang gehabt (woran du dich erinnern konntest), deshalb solltest du am Abend sogar etwas Essen dürfen.
Ich hatte gemerkt, dass du wach warst obwohl du dich nicht bewegt hattest und deine Augen geschlossen waren. Ich beugte mich zu dir, streichelte – wie immer wenn wir dich besuchten – deine Hand. „Möchtest du, dass ich dir etwas erzähle oder möchtest du lieber deine Ruhe haben?“ „Hm.“ „Ruhe haben?“ „Mm.“ „Erzählen?“ „Hm.“
Ich habe dir erzählt, dass unsere kleine Schwester – die dich so gerne besuchen wollte, jedoch auf der Intensivstation keinen Zutritt hatte - heute mit mir ihren ersten KiGo hatte. Das unser Thema Ostern war, dass es Sonntagnachmittag um 15:15 Uhr wäre, dass es draußen ganz warm sei. Das die Sonne scheine. Ich hatte dich gefragt, ob du dich an Vincent erinnern würdest. Ich habe dir erzählt, dass er gestern Abend da war und dass er dich ganz lieb grüßen lässt.
Was ich ausgelassen habe war die Tatsache, dass Mama beim Anblick, wie sein Auto auf den Hof rollte, so sehr von Weinkrämpfen gepackt wurde dass sie ihm nicht unter die Augen treten konnte. Unser Papa hat dann ein paar Worte mit ihm gewechselt, ehe er wieder ging.
Du warst höflich genug ab und an „Hm“ zu brummeln. Irgendwann fragte ich, ob wir gehen oder noch ein bisschen bleiben sollten. „Hm“, war deine Antwort. „Gehen?“, fragte ich. Als du den Kopf geschüttelt hast fragte ich „Bleiben?“. Du hast genickt.
Ich erzählte wieder irgendetwas, streichelte dich und hoffte, du müsstest nicht zu sehr leiden. Oft hast du mich mit „Au“ oder „Schmerzen“ unterbrochen. Wir fragten dann „Wo? Wieder im Bauch?“ und du hast jedes Mal bejaht. „Das wird bald besser Felix. Du musst auf die Toilette gehen, dann wird der Bauch besser.“
Deine Antwort: „Meine Hose ist gar net runter gezogen.“ Hinter mir musste Mama so lachen. Ich habe dir dann – angestrengt nicht zu lachen - erklärt, dass du keine Hose anhättest sondern nur einen Kittel. „Achso“, war deine Antwort. Im größten Elend musste man noch lachen.
Ein paar Minuten später hast du wieder über Schmerzen geklagt. Ich hatte dich gefragt, ob wir noch bleiben sollten. Die 45 Minuten waren um und deine – erneut sehr höfliche – war „Wie ihr wollt.“ Dir sei es egal. Wir verabschiedeten uns. Meist mit den gleichen Worten. Das abends (oder je nach Tageszeit morgen früh oder heute Mittag) Mama und Papa bzw. ich wieder kommen würden, dass du tapfer sein solltest und stark sein müsstest und das wir dich sehr lieb hätten. Wir wissen nie, ob wir dich nicht das letzte Mal sehen, das letzte Mal deine Hand halten würden.
Als ich ums Bett lief hast du deine Augen geöffnet und mich angeschaut. „Hey, du hast ja deine Augen offen“, freute ich mich und lief noch einmal zu dir. Ich drückte deine Hand und streichelte über deine Stirn, verabschiedete mich nochmal und versicherte dir erneut, dass ich dich sehr lieb hätte. Dann ging ich.

[…]

Gerade hat Mama geklingelt. Sie kommt gerade von Dir. Als sie bei dir angekommen waren war sie fix und fertig, sie durften nicht zu dir, der Oberarzt war bei Dir und du hattest geschrien.
Das Erste, was du zu Mama sagtest, als unsere Eltern zu dir durften war „So ein Rohr“, dazu zeigtest du ca. 5 cm Durchmesser, „so eine Schräge“, du zeigtest mit deiner Handfläche einen 45°-Winkel, „unentgratet in meinem Arsch.“
Da du nach wie vor der Meinung warst, zu Hause auf die Toilette gehen zu müssen hat man dir deinen Darm anderweitig entleert. Jetzt durftest du auch Essen, aber du wolltest noch nicht. Du hast in einem ganzen Satz erzählt, dass du am Dienstag OP-Termin hättest – die Sprunggelenkfraktur war noch immer nicht versorgt. Du wusstest noch, dass Mama und ich dich am Nachmittag besucht hatten (ca. 4 Stunden Zeitspanne) und du hattest gefragt, ob dein Handy kaputt sei. Obwohl Mama Dir das schon am Freitag erklärt hatte, natürlich hattest du das inzwischen vergessen, erklärte sie erneut das es bei uns sei und du es haben könntest, sobald du auf Normalstation wärst. Ich bestelle jetzt gleich eine neue SIM-Karte für Dich!

Ich weiß, es wäre gesünder, meine Erwartungen niedrig zu halten. Nicht davon auszugehen, dass es ab jetzt stetig bergauf geht. Obwohl Mama sagt, es sei der beste Abend den sie seit dem Unfall mit Dir hatte, versuchen wir alle, unsere große Freude zu dämpfen um uns vor weiterem großem Kummer zu schützen. Dennoch: Hoffnungsvoll gehe ich heute schlafen.
Ich liebe Dich!

Montag




Geliebter Bruder,



ich besuche dich jetzt immer mindestens einmal täglich. Während dieser Zeit nutze ich meine Überstunden sinnvoll und fahre tagsüber zu Dir ins Krankenhaus. Am Morgen möchte Mama dich immer besuchen, abends ist für Papa die einzige Möglichkeit, dich zu sehen – der Mittag bleibt für mich.
Heute Morgen ging es dir leider wieder viel schlechter. Dein Blutdruck war viel zu hoch und du hattest Schmerzen. Geistig warst du aber wieder ziemlich fit. Du antwortest in ganzen Sätzen und erinnerst dich noch immer, dass du am Vortag Besuch hattest. Das gibt uns Mut. Mama und ich haben beschlossen, dass du die OP gut überstehst und der Rest schnell verheilt und du auf jeden Fall durchkommst: Du hast gar keine andere Wahl!

Heute am Nachmittag durfte ich Dich dann auch besuchen. Ich bin gegen 15 Uhr auf der Arbeit los gefahren und in Richtung XXX getuckert. Natürlich war das Parkdeck voll, weshalb ich in einer Seitenstraße parken und zum Krankenhaus laufen musste. Das Wartezimmer der Stationen 41/42 war voll, doch ich hatte Glück und durfte gleich zu Dir. Dein Bettnachbar vorne an der Ecke war weg, auf seinen Monitoren stand entlassen, doch Dir gegenüber lag jetzt jemand. Ich bin langsam zu dir hin. „Felix?“, flüsterte ich. Du hast nicht reagiert, doch als ich um dein Bett herumlief hast du erschrocken aufgesehen. Doch du hast mich erkannt. Ich habe mich erkundigt, wie es dir ginge. Du warst sehr erschöpft und hast meist nur mit „hm“ und „mm“ geantwortet. Durst hattest du keinen und essen wolltest du auch nicht. Aber als ich dich fragte ob du heute schon etwas gegessen hättest, hast du genickt. „Was denn?“, wollte ich wissen. „Schokopudding.“ Ich grinste. „War gut?“ Du hast den Kopf geschüttelt. Da blieb das Krankenhausessen seinem Ruf wohl treu. Ich habe dich gefragt, ob ich dir etwas erzählen solle oder ob du lieber deine Ruhe möchtest. „Ich höre gern zu“, hattest du geantwortet. Ich habe alle Namen aufgezählt, die mir einfielen und die nach Dir gefragt haben und entsandte dir beste Grüße. Ich erzählte – mal wieder – vom Wetter. Es war sonnig und sehr warm. Und ich erzählte (erneut) von Katjas erstem Kindergottesdienst, dummerweise von meinem kaputten Auspuff (ich hatte Angst, du würdest nach deinem Auto fragen), vom Skiausflug unseres Kollegen. „Jetzt fällt mir gerade auch nichts mehr ein“, gestand ich irgendwann. Immerhin konnte man jetzt nicht mehr dreimal täglich das Gleiche erzählen. „Soll ich Dir das nächste Mal etwas vorlesen und ein Buch mitbringen?“ Das hattest du bejaht, doch auf die Frage, was dich interessiere sagtest du wieder, es sei dir egal. Du hast oft das Gesicht verzogen und gestöhnt. „Dein Bauch?“, fragte ich jedes Mal, was du immer bejaht hast. Der Bauch war für uns immer ein heikles Thema, da du am Donnerstag ja auch den Bauch gezeigt hast, als mein deine inneren Blutungen feststellte. Einmal fragte ich, ob du aufs Klo müsstest. Du hast bejaht. „Soll ich einer Schwester Bescheid sagen?“ Wieder hast du bejaht. Ich war schon halb um dein Bett rum als ich mich innehielt und mich vergewisserte: „Du musst groß?“ Als du auch da genickt hast beeilte ich mich, einer Schwester Bescheid zu geben. Ich habe dich informiert, dass sie unterwegs sei und als sie kam schickte sie mich nach draußen. Brav wartete ich vor der Tür, ehe ich wieder rein durfte. Der Deckel deines silbernen Schiebers lag auf dem Fensterbrett. „Ich hoffe, ich verschrecke dich dadurch nicht, aber ich kann das im Moment noch nicht so kontrollieren mit dem Stuhlgang.“ Ich war perplex. Zum Einen, weil es ein vollständiger deutlicher Satz war. Zum Anderen, weil du so höflich warst und Dir über so etwas überhaupt Gedanken gemacht hast. „Ach Quatsch“, entgegnete ich, „es ist doch gut, wenn es klappt. Dann werden deine Bauchschmerzen endlich besser. Du musst Dir da echt keine Gedanken machen!“ Und ich meinte es wirklich so. Wir haben uns noch darüber unterhalten, dass du dringend essen müsstest. Dein Bauch täte zwar noch ein paar Mal weh, doch sobald du wieder regelmäßig isst würdest gingen deine Bauchschmerzen auch weg. Auch, dass deine Kopfschmerzen schlimmer wären, wenn deine Augen auf sind, habe ich versucht, dir zu erklären. Dass liege an deiner Gehirnerschütterung, hatte ich dir erklärt, und es würde noch etwas dauern, und dann seien die Kopfschmerzen nicht schlimmer wenn die Augen offen sind, sondern gehen komplett weg. Die Schwester fragte, ob du einen Pudding oder ein Eis essen möchtest, doch das wolltest du leider nicht.
Ich habe dir auch erzählt, dass deine Lippe besser werde und deine ersten Grindchen abfallen würden. Dass deine OP morgen hoffentlich gut klappen würde und dass du dann das Schlimmste hinter dir hättest.
Auch fiel während meines Besuchs einer deiner Elektroden ab, ohne dass ich es bemerkte. Erschrocken sah ich, dass dein Monitor piepte und die Linie für deinen Herzschlag fehlte. „Felix?“, fragte ich panisch. „Hm?“ „Alles ok?“ „Hm.“ Es dauerte ein paar Momente, ehe ich ruhiger wurde und realisierte, dass am Monitor etwas von falscher Verbindung stand. Ich war erleichtert und irgendwann kam deine Schwester und hat die Elektrode ausgetauscht.
Als ich gehen musste, da die 30-45 Minuten Besuchszeit mehr als um waren, fragte ich Dich, ob ich dich auf die Stirn küssen dürfte. „Wenn es dich nicht stört dass du dann nach Schweiß stinkst“, war deine Antwort. Ich lächelte. Als ob mir das jetzt etwas ausmachen würde. Ich kam, obwohl ich mich streckte, nicht ganz zu deiner Stirn. Du kamst mir entgegen und ich küsste dich auf deine schweißnasse, kalte Stirn. Ich versprach, Dich wieder zu besuchen, sobald ich dürfte und ging schweren Herzens und vergaß ganz, dir zu sagen, dass ich dich lieb hätte. Bitte sei mir nicht böse deshalb. Ich wünsche mir, dass du das auch so weißt.
Ich hoffe, deine OP findet morgen statt und ab dann geht es dir besser. Dein Fuß wäre dann versorgt und der Rest wird hoffentlich auch bald... Ich habe Angst!
Ich liebe dich!

Zusammenfassung




Mein Bruder hat seine OP am Dienstag gut überstanden und wurde am Mittwoch auf Normalstation verlegt. Am Donnerstag haben wir zu Hause beim Betrachten seiner Röntgenbilder festgestellt, dass ein Bruch übersehen wurde. Aufgrund dessen und sehr unfreundlicher Behandlung auf der chirurgischen Station wurde er am Freitag auf eigenen Wunsch in ein anderes Krankenhaus verlegt. Nach einer weiteren Woche auf Station durfte er am Gründonnerstag nach Hause.

Die ersten Wochen verbrachte er im Bett, Fortbewegung war nur mit dem Rollstuhl möglich. Später benötigte er ihn immer seltener und Krücken reichten aus – und irgendwann fing er an, ohne Hilfsmittel durch die Gegend zu humpeln.

Milz und Leber erholten sich wieder, die Nieren- und Becken- sowie die Lungenprellung verheilten, die Schnittwunden wurden zu Narben.

Knapp drei Monate nach dem Unfall sieht man seinem Gang noch an, dass er eine Verletzung am Knöchel hat. Jedoch ist sein Lachen wieder da, er tanzt wieder und singt … wenn man ihn ansieht, ihm zuhört und Zeit mit ihm verbringt könnte man denken, es hätte den Unfall nie gegeben.
Als Angehörige bekomme ich die Bilder jedoch nicht aus dem Kopf. Viele ungeklärte Fragen halten mich noch immer nachts wach. Und die Angst, dass so etwas wieder passieren kann, ist allgegenwärtig.

Schlusswort




Ich möchte all den Menschen danken, die meiner Familie während dieser Zeit ihr Mitgefühl ausgedrückt und ihre Hilfe nicht nur angeboten, sondern einfach ungefragt gehandelt haben.

Außerdem möchte ich all den Menschen, die etwas Ähnliches durchleben müssen sagen: Gebt die Hoffnung nicht auf! Nehmt Hilfe an! Zwingt euch, euren Alltag zu leben. Achtet auf euch. Esst. Trinkt. Und sucht etwas, dass euch Trost spendet.


Impressum

Texte: Alle Rechte vorbehalten. Veröffentlicht auf bookrix.de und hierschreibenwir.de.
Bildmaterialien: Alle Rechte vorbehalten.
Lektorat: k. A.
Übersetzung: Originalsprache
Tag der Veröffentlichung: 06.06.2012

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
für alle, die jemals um das Leben eines geliebten Menschen bang(t)en

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