Was heißt schon leben, wenn man eigentlich gar nicht lebt? Wenn man einfach nur wie eine leblose Hülle in der Gegend rum rennt?! Von außen sieht ein Mensch immer anders aus, als er wirklich ist. Man sagt, die Augen seien der Spiegel der Seele. Aber wenn die Leute um mich herum in meine Augen sehen, sehen sie nicht, wie schlecht es mir damals gegangen ist. Meine Seele war kaputt. Sie war total zerfressen. Von Koks und Heroin. Und jetzt erzähle ich meine Geschichte…
Ich war 13 als ich das erste Mal auf einer Party war. Mein Schwarm Moritz hat mich eingeladen und ich bin durchs ganze Haus gehüpft, als ich das meiner Mutter erzählt habe. Moritz wurde damals schon 16. Eigentlich wäre ich nicht alleine gegangen aber meine Freundin hat eine Stunde vorher abgesagt. Ich hatte daran gedacht, nicht hinzugehen, was vielleicht auch besser gewesen wäre, wenn ich jetzt daran so denke, aber ich wollte einfach hingehen. Wieso weiß ich eigentlich gar nicht. Es war einfach so. Und als ich vor dem Haus stand, dröhnte schon die Musik bis auf die Straße. Ich hatte schon ein komisches Gefühl im Bauch aber ich schüttelte es einfach ab.
Ich klingelte und ein ziemlich besoffener Junge machte mir die Tür auf und kotzte neben mir in das Blumenbeet. Schon da hätte ich mich umdrehen und gehen müssen. Aber ich tat es nicht. Ein folgenschwerer Fehler!
Ich ging angewidert an ihm vorbei und lief einfach da hin, wo die Musik am lautesten war. Moritz kam auf mich zu, umarmte mich und ich war überglücklich. Aber dann sah ich die ganzen Mädels, aufgetakelt und voll die Tussis, die Moritz total anschmachteten. Und Moritz machte mit, er baggerte sie an. Ich war etwas beleidigt und setzte mich in die Hinterste Ecke auf ein Sofa und schaute den tanzenden Leuten zu.
Moritz kam auf einmal zu mir. Ich weiß nicht mehr genau, was er zu mir gesagt hat, auf jeden Fall gab er mir ein kleines Tütchen mit weißem Puder. Ich will es nicht entschuldigen, aber wusste damals gar nicht, was das ist, wie die Wirkung von Koks ist und ich war einfach neugierig. Er meinte etwas wie: >>Ziehs dir rein man, das knallt richtig.<< Er streute mir es auf den Tisch, nahm einen Strohhalm vom nächstbesten Glas und drückte ihn mir in die Hand. Ich schniefte einfach, so wie der Typ neben mir.
Bei mir hat's übelste Entspannung ausgelöst, mir war alles sowas von egal, ich war einfach genial drauf, hatte aber keinen Bewegungsdrang. Ich hatte einfach total gute Laune, war aber auch total benebelt. Ich bekam gar nicht mehr mit, wie mich andere an laberten. Ich wollte einfach nur cool sein und Moritz beeindrucken. Ja, ich weiß, die Idee war total scheiße.
Wie ich nach Hause kam, weiß ich nicht mehr, aber ich wachte irgendwann morgens auf. Es war Sonntag. Mir gings gut. Ich hatte keine Beschwerden oder sowas.
Am Montag in der Schule guckten mich alle komisch an. Vor allem die Zehntklässler. Ich kam in meine Klasse, die Jungs riefen mir Sachen hinter mir her, wie: >>Na, biste wieder geil drauf?<<, und: >>Deine Unterwäsche ist ja mal richtig geil?!<< Ich wusste gar nicht, wie mir geschah. Aber ich konnte es ahnen. Jemand musste Fotos von mir gemacht haben, als ich total benebelt war. Mir war das so unendlich peinlich, ich wäre am liebsten im Boden versunken, ich schämte mich so, dass ich mich krank stellte und nach Hause fuhr. Ich heulte den ganzen Tag.
Als meine Mutter nach Hause kam, fragte ich sie nach Geld. Ich sagte, ich wollte shoppen gehen und sie gab mir 50 Euro. Ich lief durch die Straßen um mich abzulenken, als ich den Typ von Moritz sah, der neben mir sich was reingezogen hat. Er sah mich, sprach mich an und meinte, dass ich mehr haben könnte, wenn ich nur wollte. Ich wollte nicht mehr aber irgendwie wollte ich doch. Niemand kann dies verstehen, der sowas noch nie erlebt hat. Man will mehr. Immer mehr. Man denkt, sowas kann alle Sorgen verschwinden lassen. Wie Alkohol. Und wenn man sich was reinzieht, dann fühlt man sich gut. Wie auf Wolke sieben. Man hat super Laune, Glücksgefühle. Aber ich verneinte. Ich wollte nicht. Aber der Typ drückte mir ein winziges Päckchen in die Hand. Er meinte, ich bekomme es Gratis, wenn ich wieder zu ihm komme und was kaufen würde. Dann verschwand er. Ich packte das Päckchen schnell weg und lief nach Hause.
Ich saß am Schreibtisch. Meine Mutter lag vor dem Fernseher und schlief. Ich starrte das weiße Pulver an. In meinem Kopf schwirrten Sätze wie: >>Wenn dus machst, geht es dir besser.<< >>Mach es bloß nicht, das macht alle nur noch schlimmer.<< Aber dann tat ich etwas, was mein komplettes Leben veränderte…
In Wochenabschnitten ging ich immer zu Pascal- meinem Dealer. Ich holte mir meinen Stoff um wieder ein paar glückliche Momente im Leben zu haben. Ich hielt alles geheim. Meine Mutter erfuhr nichts, sie war sonst immer arbeiten, nie für mich da. Meine Freunde wanden sich von mir ab, selbst meine beste Freundin Caro. Immer wenn ich traurig war, zog ich mir Koks rein. Pascal gab mir einmal Heroin. Aber mich selber spritzen konnte ich nicht. Mein Leben war ein Leben auf Zeit. Ich war damals schon ziemlich abhängig, wollte es aber nie wahrhaben. Ich bezahlte Pascal erst vom Taschengeld, dann von dem Geld was mir meine Mutter gab. Ich log sie an, meinte, dass wir Geld für die Schule brauchten und dass einer meiner Freunde Geburtstag hatte und ich ihm was kaufen wolle. Aber nach einiger Zeit drehte sie mir den Geldhahn zu. Mein Vater ist nach meiner Geburt abgehauen, ich wusste nicht wo er lebte und wie es ihm ging.
Ich wusste keinen anderen Ausweg mehr. Ich fuhr einmal unsere Bundesstraße mit dem Fahrrad ab, wo die ganzen Nutten standen. Ich weiß bis heute nicht, wie ich auf die Idee kam, aber eines Tages am späten Abend schlich ich mich sehr geschminkt aus dem Haus. Ich lief die Bundestraße ab. Die Frauen rauchten und zogen sich was rein. Natürlich war ich angewidert, aber … Aber ich brauchte einfach das Geld. Ich wollte schließlich den Stoff haben, ich brauchte ihn, ich war schließlich abhängig.
Dann hielt schon das erste Auto an. Ich kann mich nicht mehr richtig dran erinnern, ich hab es mit den Jahren einfach verdrängt. Es war widerlich. Ich konnte Nächte danach gar nicht schlafen. Ich war 14 geworden, als ich zum ersten Mal mit einem Freier eingelassen habe. Ich hatte daran gedacht, es sein zu lassen. Doch als der Stoff wieder alle war, konnte ich nicht anders. Ich wusste nicht, was ich machen sollte, ich war einfach verzweifelt. Wenn ich nachts nicht schlafen konnte, verfluchte
ich Moritz. Er war schuld, dass ich abhängig wurde. Ich weinte mich in den Schlaf.
Nach ungefähr 2 Wochen sackte ich in der Schule zu sehr ab. Ich schrieb nur noch 6en. Der Lehrer sprach mich darauf an. Ob ich Familiäre Probleme hatte und kam mir mit irgendeinem Psychoscheiß. Ich schrie ihn an, er sollte sich selber um seine eigenen Probleme kümmern.
Ich wollte nicht mit ihm reden. Ich wollte mit niemanden reden! Jeder war mir inzwischen egal geworden! Nur noch ich und meine Drogen. Jede Nacht träumte ich davon. Die Abstände, in denen ich mir das Koks reinzog, würden immer kürzer, die Menge wurde mehr. Meine Gedanken drehten sich nur noch um Drogen. Wie kam ich an sie drann? Was, wenn mich die Polizei auf dem Strich entdeckt? Was , wenn ich auf der Straße erwischt werden, mit Drogen in der Tasche und wenn ich selber völlig high war? Ich hatte wirklich Angst. Aber die Einsicht, damit aufzuhören, war nicht da. Noch nicht.
Ich schmiss die Schule. Haute von Zuhause ab. Ich lebte unter eine Brücke, hatte neue Freunde gefunden. Ihnen ging es genauso wie mir. Meine Eltern waren mir in diesem Moment scheißegal. Sie hatten ein Spießerleben und achteten nur auf Etikette! Ich war froh, dass ich sie rumgekriegt hatte, dass ich auf Moritz Party konnte. Ich meine, ich fühlte mich wirklich zu der Zeit super! Ich hatte durch die Drogen neue Freunde kennengelernt.
Um zu überleben sind wir alle abwechselnd losgezogen um zu klauen. Die Leute zeigten mir, wie man „richtig klaute“. Ohne erwischt zu werden. Ich weiß heute, dass es bescheuert war, diese Leute als meine Freunde zu bezeichnen. Aber früher fand ich es so! Ich war zum Beispiel froh, nicht mehr auf den Strich gehen zu müssen! Und dann kam der Tag, an dem ich mich änderte.
Als wir gerade auf den zu einem weiteren Beutezug waren, traf ich meine ehemalige beste Freundin. Ich glaube, da war ich schon 15. So genau, kann ich mich nicht dran erinnern, mein Zeitgefühl lies nach ein paar Wochen mit meinen neuen Freunden schon nach.
Ich möchte das Gespräch nicht preisgeben, auf jeden Fall habe ich mich auf ein Gespräch mit meiner besten Freundin eingelassen. Sie hat auf mich eingeredet. Ich muss heute sagen, dass ich mit 15 wirklich naiv war. Jeder konnte mir Sachen einreden und ich befolgte diese. Schwer war es für andere auf jeden Fall nicht, mich zu irgendwelchen Sachen zu zwingen.
Meine beste Freundin riet mir, mich selber in eine Entzugsklinik einweisen zu lassen. Sie habe mit meinen Eltern geredet. Sie vermissen mich sehr, meinte sie. Und ich spürte, dass auch ich sie tief im Inneren vermisse. Mein Zuhause. Mein Zimmer. Mein altes Leben.
14 Jahre später
Nach einer langen Zeit in der Entzugsklinik hatte ich geschafft, von den Drogen wegzukommen. Dank meiner besten Freundin. Schwer zu glauben, ja, dass ein einziger Satz einer besten Freundin jemanden wie mich aus so einem Teufelskreis holen kann. Denn ich dachte, ich komme dort nie wieder raus. Und diesen Satz werde ich niemals vergessen: „ Glaubst du wirklich, dass das Leben, welches du jetzt führst, besser für dich und alle andern ist, bist du wirklich si bescheuert und glaubst das?“
Heute bin ich 29 und mir geht es gut. Aber ich kann nicht sagen, dass mich das Ganze nicht mitgenommen hat. Für mich hat der Satz: „Wunden verschwinden, Narben bleiben“ eine ganz andere Bedeutung bekommen. Heute arbeite ich als KFZ-Mechatronikerin und genieße mein Leben. Meine alten Freunde aus der Schule habe ich verloren. Den Preis musste ich zahlen. Zu meinen Eltern habe ich wieder guten Kontakt, auch meine beste Freundin steht mir Jederzeit zur Seite. Ich danke Gott dafür, dass er mir eine weitere Chance gegeben hat. Denn das Leben was ich früher gelebt habe, war ein Teufelskreis, aus dem ich beinahe nicht gekommen wär. Ich danke meiner besten Freundin.
Nachwort
Ich danke der Person, die hier Unbekannt bleiben möchte für die Ausführlichen Gespräche und der Geduld, die sie aufgebracht hatte. Ich schreibe aus der Ich-Perspektive und hoffe, dass sie sich als Leser somit besser in die Person hineinversetzten können. Ich hoffe, ich habe die Gefühle nahezu richtig zum Ausdruck gebracht. Dennoch muss ich sagen, dass man niemals so fühlen kann, wie der Betroffene, denn dazu muss man in der Lage sein. Und das wünsche ich keinem!
Sabrina F.
Tag der Veröffentlichung: 18.10.2010
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