Prinzessin May und die Essenz von Joluh
IV von Prinzessin May Saga
Summa Dornigen
Schlagwörter:
Fantasy, Science Fiction
May feiert glücklich ihren 18. Geburtstag, aber kaum volljährig ziehen schon
wieder dunkle Wolken auf und bringen ihre Freunde und ihre Familie in Gefahr.
Hinweise auf die Quelle von Mays Fähigkeiten, eine fremde außerirdische
Zivilisation und ein schrecklicher Unfall fordern May wie noch nie in ihrem
Leben. Und dann wird sie auch noch selbst entführt ...
Band #4
Geschrieben von Summa Dornigen (summadornigen@geit.de)
May feiert glücklich ihren 18. Geburtstag, aber kaum volljährig ziehen schon wieder dunkle Wolken auf und bringen ihre Freunde und ihre Familie in Gefahr. Hinweise auf die Quelle von Mays Fähigkeiten, eine fremde außerirdische Zivilisation und ein schrecklicher Unfall fordern May wie noch nie in ihrem Leben. Dann wird sie auch noch selbst entführt ...
Es schrillte laut in Sukis Kopf. Es war weniger die Stimme von Sab, als die Tatsache mal wieder nach dem Frühstück eingeschlafen zu sein. Die nächtliche Schicht war mit ihren vielfältigen Aufgaben ungewöhnlich lang und anstrengend gewesen. Der Pilot mit der Wuschelmähne hatte nach der kleinen Mahlzeit nur mal kurz den Kopf auf den Tisch im Sors gelegt und war in einen tiefen Schlaf gefallen. Wenigstens hatte sich diesmal niemand einen Scherz erlaubt und sie mit Marmelade oder Ketchup eingeschmiert. »Äh, was ist denn?« »Tut mir leid dich zu wecken, aber wir haben da einen Auftrag für dich.« »Ich hatte doch gerade Nachtschicht.« Suki fragte sich gar nicht, woher Sab von ihrem Schlafverhalten wusste. Wahrscheinlich hatte sie sie mal wieder über die Kameras im Sor aufgespürt. »Ich weiß. Das Orakel will es so!«
»Das Orakel verlangt mich?«, entfuhr es dem Piloten viel zu laut für ihre Umgebung und zog die Blicke ihrer Kollegen auf sich. Suki war schlagartig hellwach. »Ja, der Text lautet "Suki, Shizuka"« Suki schluckte. Diesen Namen hatte sie auf der Station noch nie gehört. Ohne noch weiter mit Sab zu sprechen, stürmte sie wie eine Rakete aus dem Lokal und rannte dabei Tori über den Haufen, der krachend mit seinem Tablett zu Boden ging. »Hey, das wollte ich noch essen!« »Tut mir leid, ich hab es eilig.« Im Hangar stand ihr Gleiter bereits mit offener Tür zum Abflug bereit. Suki konnte kaum klar denken. Sie hatte den Namen ihrer Schwester außerhalb ihres Familienkreises ewig nicht gehört. Meinte das Orakel überhaupt ihre Schwester oder war das Ganze nur ein dummer Zufall?
Sab gab ihren Gleiter sofort frei und er schoss sogleich aus der Station. So lange war ihre Schwester jetzt schon verschwunden. Die vergangenen Jahre hatte sie nach einer Spur gesucht. Selbst Jaque war auf ihren Wunsch hin darauf angesetzt worden, nach ihrer Schwester zu suchen und jetzt kam die Information direkt vom Orakel. Was sollte sie machen? Musste sie sie retten? Aber dann könnte sie ihre Identität nicht preisgeben. Das wäre zu gefährlich. Vor allem für ihre Eltern. Ja, ihre Eltern. An sie hatte Suki bisher gar nicht gedacht. Wie froh müssten sie sein, wenn sie Shizuka endlich wieder in ihre Arme schließen konnten? Was wenn es überhaupt nicht um ihre Schwester ging?
Die Koordinaten führten sie in ihre alte Heimat. Mitten in Tokio, nur wenige Kilometer von der Wohnung ihrer Eltern entfernt. Als sie mit ihrem Gleiter eintraf, wurde sie von ihrer eigenen Vergangenheit eingeholt. Ihre Schwester, wenn sie es denn wirklich war, hatte sich bereits vom Dach gestürzt, genau wie sie selbst viele Jahre zuvor. Suki hatte keine Wahl. Mit den Waffen ihres Gleiters verpasste sie der Frau eine Betäubung und fing sie direkt mit einem Transportring in der Luft ein. Ganz wie Mergy es damals bei ihr gemacht hatte. Einzig eine Betäubung war ihr selbst damals erspart geblieben. Es vergingen einige, unendlich lang wirkende, Sekunden, bis Suki den Mut fasste und nach hinten auf die Rückbank blickte. Zu groß war die Angst jetzt doch noch enttäuscht werden.
Vorsichtig schob sie der unbekannten Person die Haare aus dem Gesicht. Tränen schossen ihr aus den Augen. Es war ihre Schwester. Es war wirklich Shizuka. Sie sah alt aus und deutlich älter, als sie es selbst war. Sie wirkte krank, mager und zerbrechlich. Schnell brachte sie ihren Gleiter wieder in einen Steigflug und beorderte den Doc auf das Flugdeck.
May stürmte derweil in die Krankenstation, traf hier aber nur auf neun Piloten, die offensichtlich versetzt worden waren. »Wir sollten hier zum monatlichen Check-Up erscheinen.«, verteidigte Tori die Anwesenheit der Truppe. »Jaque, wo ist der Doc?«, fragte May direkt in ihre Hand und erfuhr von der neuerlichen Situation. Der Doc und Sandra waren auf dem Weg zum Hangar, um dort den neuen Patienten entgegen zu nehmen. Das Letzte was er bei seiner Rückkehr gebrauchen konnte, war ein Raum voller gaffender Kollegen. Ohne nachzudenken handelte sie: »Ok, ihr geht ins Sors und wartet, bis der Doc euch rufen lässt.« Es gab kein Zögern und es wurden auch keine weiteren Fragen gestellt. Die Meute brach einfach nur hastig auf, bevor May ihre Meinung vielleicht doch noch änderte. Es war nicht nur die gewonnene Freizeit, sondern auch die Autorität von May als Kommander, die ihre Kameraden zum schnellen Handeln bewegte. Das war immer noch ungewohnt, da sie selten so direkt Kommandos gab und damit ihre Führungsposition hervor hob.
Eigentlich wollte May ihr Glück und ihren Dank dem medizinische Team aussprechen. Der Doc hatte sie gestern komplett unerwartet überrascht. Sie war einige schwere Einsätze geflogen und musste auch ihre, immer noch geheimen, Fähigkeiten intensiv nutzen. Als sie total erschöpft in ihr Schlafzimmer trat, traute sie ihren Augen nicht. Da stand es. Einfach so. Als ob es nichts besonderes wäre parkte es wieder an seinem Platz. Ihr kuscheliges Bett war wieder da. Ohne zu zögern hatte sie sich mit ausgebreiteten Armen auf das so lang ersehnte Möbel fallen lassen und wurde von der weichen Unterlage sanft aufgefangen. »Ich hab dich so vermisst.«
Wie einen alten Freund schien sie ihr Bett im Liegen umarmen zu wollen. Sie kuschelte mit ihrem so vermissten Kumpel bereits einige Minuten, als es ihr durch den Kopf schoss. Wenn das Bett wieder da war, dann bedeutete das auch, ihre Behandlung wäre abgeschlossen. Sie wäre wieder komplett geheilt. Aber sie hatte sich doch wie jeden Morgen im Spiegel angesehen und ihr Gesicht war noch nicht geheilt gewesen? Oder doch? Nein. Da war sie sich zu hundert Prozent sicher. Trotzdem sprang sie auf und stürmte ins Bad. Egal wie genau sie hinsah, sie konnte die ungleichmäßige Trennlinie, die ihre Körperhälften so lange gezeichnet hatte, nicht mehr ausmachen. Sie war wirklich wieder gesund. Die Prinzessin war wieder wie neu. Wie hatte sie das nur übersehen können?
Die erste Nacht in ihrem Bett war so unglaublich gewesen. Sie hatte seit der Geschichte mit dem Schlaftank nicht mehr so gut und so tief geschlafen. Aber ihr wurde auch wieder bewusst, für wie selbstverständlich sie ihr Bett bereits vorher genommen hatte. Unweigerlich musste sie an ihre erste Nacht auf der Station denken. Naja, eigentlich war es damals die Zweite gewesen, hatte sie die Erste doch im Sessel am Fenster ihres Wohnzimmers verbracht. Es war so ein tolles Gefühl gewesen in dieses warme, weiche und vor allen Dingen sichere Bett zu steigen. Wenn sie eins aus ihrem Unfall gelernt hatte, dann wie wichtig es war dankbar für die Dinge zu sein, die sie umgaben, auch wenn diese Objekte längst wie eine Selbstverständlichkeit auf sie wirkten.
Sie folgte den Piloten auf die Promenade, als es ihr einfiel. In all ihrer Freude und Dankbarkeit hatte sie ihren Freund vergessen. Sie war dran und sollte ihn eigentlich abholen. Noch bevor sie den Lift erreichte, öffnete dieser seine Pforten und ein hastiger Nim spurtete heraus. Er war sichtlich erleichtert, als er seine Freundin vor sich sah und umarmte sie innig: »Jaque hat gesagt, du wärst auf der Krankenstation. Ich hatte Angst dir wäre etwas passiert!« Es lag so viel Sorge in seiner Stimme. Nim hatte wirklich Angst um sie gehabt, was May einerseits zeigte wie wichtig sie ihm war, aber andererseits hatte sie ihm aber auch Sorgen bereitet und das wollte sie nicht.
»Es tut mir leid. Aber es ist wirklich etwas passiert.« May löste sich aus der Umarmung und tat einen Schritt zurück: »Fällt dir nichts auf?« May hielt ihm abwechslungsweise ihre linke und rechte Seite hin und Nim versuchte intensiv den Grund für ihr Verhalten zu finden. Es musste etwas Gutes sein, weil sie so grinste, aber er fand den Grund nicht schnell genug heraus. »Ich bin wieder ganz ich.«, platze der erfüllte Wunsch aus der kleinen Prinzessin. Nim nahm seine Freundin in den Arm. Er freute sich für sie und zeigte das überdeutlich. »Was ist da los?«, fragte der Pilot plötzlich aus der Umarmung heraus und über Mays Schulter hinweg. Doc, Sandra und eine von Tränen gezeichnete Suki traten gerade mit einer schwebenden Trage in die Halle und bewegten sich in Richtung Medic One.
»Ich muss nachsehen, was da los ist.«, war May schon wieder im Kommandermodus. Sie drückte ihrem Freund noch einen kurzen Kuss auf und verschwand, wie die kleine Gruppe zuvor, in der weißen Tür mit dem roten Kreuz. Suki hatte dem medizinische Team ausführlich Auskunft gegeben. Die junge Frau war ihre so lange vermisste kleine Schwester. Auch wenn Doc und Sandra der Name egal war und sie jede Person gleich behandelten, so fühlte sie sich deutlich wohler, wenn die Beteiligten wussten, um wen es sich bei der neuen Patientin handelte und wie wichtig ihr das Mädchen war.
Auf der Krankenstation blieb Suki hinter der Scheibe zurück und beobachte jeden Schritt der Ärzte. Dabei durchdachte sie jede Möglichkeit ihres weiteren Vorgehens. Wenn Shizuka aufwachte, dann dürfte ihre Schwester sie nicht sehen. Zu groß war die Gefahr, die für ihre Familie entstehen könnte, wenn sie sie erkennen würde. Sab durchdachte ihre Situation auf dem Kommandodeck ebenfalls und liess sich da oben in ihrem Turm auch Gedankenspiele ablaufen. Aber das konnte Suki in ihrer Angst und Ungewissheit natürlich nicht wissen. May trat hinter ihre Freundin: »Wer ist das?«
»Meine Schwester.« »Das ist deine Schwester?« »Ja, jetzt habe ich sie nach all den Jahren endlich gefunden und ich kann trotzdem nicht bei ihr sein.« »Sagt wer?« »Das wäre zu gefährlich. Sie und meine Eltern dürfen nichts von mir und dem Ray Team erfahren.« »Ist schon klar, aber wenn das Ray Team zufällig eine Agentin der Japanischen Regierung an Bord holt, die dann auch noch zufällig auf ihre gerade gerettete Schwester trifft, dann klingt das durchaus plausibel.«
Suki versuchte noch die weitreichende Bedeutung der Worte zu verarbeiten, da war ihre Freundin schon einen Schritt weiter: »Jaque, aktiviere das Personenidentitätsprotokoll für Suki. Evakuierungsmodus für ihr Quartier. Füll ihren Kleiderschrank mit Hosen, Hemden und passenden Jacketts. Was halt Agenten so im Büro tragen.« Diese weiterführenden Worte klangen in Sukis Ohren wie ein kleines Wunder. May öffnete ihr die Tür zu ihrer Schwester. Nicht erst in einigen Wochen. Nein sofort. »Hey, nicht träumen. Los in dein Quartier und umziehen, Agentin Yamamoto« Suki trabte ohne ein weiteres Wort in ihr Quartier.
Sab auf dem Kommandodeck nahm es mit einem Schmunzeln, da May ihre gedanklichen Vorbereitungen bereits obsolete gemacht und sogar einige Details zugefügt hatte, die ihr selbst nicht eingefallen waren. May setzte ihre selbst erfundene Mission fort, zitierte Jiyai in den Vorraum der Krankenstation und gab ihr ebenfalls eine kleine Aufgabe, nicht ohne noch einmal deutlich auf die Wichtigkeit hinzuweisen. Dann erst ging der kleine Kommander zum Doc: »Wie geht es ihr?« »Sie hat einige kleine Verletzungen, Entzündungen, Infektionen und diverse schlecht verheilte Knochenbrüche. Nichts was wir nicht hinbekommen. Beunruhigender sind ihre Blutwerte. Sie hat wohl über sehr lange Zeit regelmäßig Drogen genommen und dürfte schwere Entzugserscheinungen haben, wenn sie wieder zu sich kommt. Ich kann versuchen sie mit der gleichen Technologie wie die Phantomschmerzen zu behandeln, aber das wurde noch nie gemacht und ich habe keine Ahnung wie da die Langzeitauswirkungen aussehen.« May war sichtlich geschockt über den Gesundheitszustand des Familienmitgliedes ihrer Freundin.
Was hatte die Schwester ihrer Freundin wohl in den letzten Jahren alles erdulden und ertragen müssen? May hatte sich oft überlegt, was wohl mit ihr passiert wäre, wenn Mergy nicht aufgetaucht wäre. Dieses Mädchen hatte keinen Mergy gehabt und unfassbare Dinge durchleben müssen. Langsam ließ die Wirkung des Betäubungsmittels nach, welches der Kampfgleiter mit den kleinen Nadelspitzen auf sie abgefeuert hatte. »Hallo.«, begrüßte May die neue Patientin mit einem Lächeln. »Wo bin ich? Bin ich tot?«, fragte Shizuka noch leicht abwesend, aber wohl schon um ihre letzte Aktion wissend.
Langsam schien sie klarer zu werden und sah sich unsicher um. »Nein, du wurdest gerettet. Das hier ist die Krankenstation auf der Ray Team Raumstation.« »Einmal zurücktreten, bitte. Hier wird immer noch behandelt.«, gab der Doc zu verstehen und wandte sich direkt wieder an Shizuka: »Keine Angst. Es wird jetzt für einige Sekunden etwas Lauter.« Die Flügel unter dem Tisch rumpelten nach oben und begannen zu rotieren, während sich der Doc und Sandra am Datenschirm die Werte ansahen. May erinnerte sich noch zu gut an ihre ersten Anwendungen und die nervigen Wartezeiten. Sukis Schwester hatte keine Probleme mit ihrer Haut, aber hier ging es anscheinend mehr um Schädigungen ihrer inneren Organe.
Der Doc hatte offensichtlich beschlossen, diese, eigentlich für Mays Krankheit entworfene Maschine, als sinnvolle Ergänzung für den Behandlungssaal zu nutzen. Es wäre auch nicht so einfach gewesen Shizuka in den Scanner an der Wand zu stellen, während sie bewusstlos oder zumindest noch benebelt war. Schließlich stoppte das Ungetüm wieder und verkleinerte sich auf die für May so gewohnte Weise unter der Liege. Das Mädchen auf dem Tisch kannte die ungewöhnliche Maschine natürlich nicht und blickte hastig in jede Richtung aus der ein Geräusch kam.
»Ich bin May. Wer bist du?«, fragte May direkt ohne jegliche Förmlichkeit. »Ich bin Shizuka, Shizuka Yamamoto.« May aktivierte unauffällig einen Init mit ihrem Handcontroller und Jaque führte seine damit verbundenen Anweisungen aus. Er gab Jiyai das verabredete Zeichen. Wenige Sekunden später stürmte Jiyai auf die Krankenstation und spielte ihren Teil der Scharade: »Kommander May, hier sind sie. Die neue Verbindungsagentin der Japanischen Regierung, Yamamoto, ist auf der Station eingetroffen und sucht sie bereits.« »Noch ein Yamamoto?« May schaute mit einer gehobenen Augenbraue zur Patientin auf dem Tisch hinüber, deren Blick jetzt ebenfalls an ihren Lippen klebte. »Schick sie herein.«, brachte May es zu Ende. Jiyai eilte nach draußen, um nur wenige Momente später mit Suki wieder einzutreten. May musste sich das Grinsen sichtlich verkneifen. Suki sah zwar eigentlich sehr wichtig und repräsentierend aus, aber wer Suki kannte, wusste genau, diese Eigenschaften passten überhaupt nicht zu der sonst so quirligen Person.
»Es tut mir leid. Ich habe sie versetzt. Aber vielleicht können sie hier etwas Licht in die Sache hier bringen. Manchmal geht das Schicksal nämlich seltsame Wege.«, erklärte May, aber Suki hörte schon gar nicht mehr zu und nahm ihre Schwester in den Arm. Shizuka wusste gar nicht wie ihr geschah. Es brauchte einige Momente, bis sie die ebenfalls um Jahre gealterte Suki erkannte. »So einmal umsteigen bitte.«, forderte der Doc und klopfte auf das zweite Bett, welches Sandra gerade parallel hinter dem wuchtigen Gerät geparkt hatte. Sie unterstützten Shizuka, die wohl langsam verstand, was da um sie herum passierte. Die Anwesenheit ihrer großen Schwester am Krankenbett war für diese Erkenntnis sicherlich ein großer Hinweis.
May sah zu, wie Suki, ihre Schwester und Sandra in einen der Krankenzimmer verschwanden. Eigentlich wollte sie noch ihre ursprünglich geplante Danksagung durchführen, aber der Zeitpunkt war abermals unpassend. Den dankbaren Blick ihrer Freundin vor Augen, schritt sie wieder auf die Promenade und hinüber ins Sors, wo Nim schon mit dem Frühstück auf sie wartete. »Alles Ok mit Suki?«, fragte er neugierig, aber May wiegelte nur ab und gab nur die nötigsten Informationen Preis. Zusammen verdrückten sie die Brötchen und unterhielten sich über allerlei belanglose Dinge. Nim hatte etwas auf dem Herzen, aber der Zeitpunkt war noch nicht gekommen, obwohl das Geheimnis schon seit einigen Tagen an ihm nagte und ihn quälte.
Die wichtigste Mahlzeit des Tages wurde abrupt von einer wutschnaubenden Suki unterbrochen, die mit hochrotem Kopf und in ihrer Agentenuniform in den Saal stürmte. »Uh, du bist das allwissende Orakel. Du rettest die Welt und deine Familie, aber andere Menschen sind dir scheißegal. Wir, die unnützen Normalos, sind für dich doch nur Fußabtreter. Wir sind nicht wichtig. Du bist echt das Letzte!« Die restlichen Personen im Raum verstummten schlagartig, was die von Suki hervorgebrachten lautstarken Worte nur noch zu verstärken schien. »Hey«, warf Nim sich mit schützenden Worten vor seine Freundin. »Halte du dich da raus!«, brüllte Suki so hart in Richtung Nim, wie May sie noch nie gehört hatte. Es lag so viel Verachtung und Ablehnung in ihren Worten. Damals, als sie ihre Verachtung nur gespielt hatte, war es schon schlimm, aber das hier schlug alles.
»So eine Freundin brauche ich nicht. Niemand braucht so jemanden!« So schnell wie sie aus der Krankenstation aufgetaucht war, so schnell und wutschnaubend war sie auch wieder dorthin verschwunden. Vorsichtig fasste Nim die Hand seiner Freundin, die ihre Tasse immer noch auf halbem Weg zu Mund zitternd hielt und ansonsten erstarrt da saß. Vorsichtig dirigierte er die Tasse wieder auf den Tisch, löste die Hand und hielt sie fest: »Sie meint das bestimmt nicht so.« May reagierte nicht. Zu frisch waren die Worte, die in ihrem Kopf kreisten und Verwirrung stifteten.
Ohne das es die Beiden bemerkten hatte sich Mergy dem Tisch genähert und setzte sich an die freie Tischkante: »Jetzt weisst du also wie sich das anfühlt.« Langsam wurde May wieder klarer und bemerkte Mergy. »Was?« »Naja, bei Suki scheint auch gerade das Herz die Kontrolle übernommen zu haben.« May dachte über seine Worte nach und er hatte recht. Das war nicht die Suki, die sie kannte. Sie war so zornig und gemein gewesen. Genau wie der kleine Kommander selbst, als sie von den Seem und deren Schuld an dem Tsunami erfahren hatte, war Suki nun von Wut erfüllt. Ihr Herz hatte die Kontrolle übernommen. Ihre Suki war nicht so. »Alles bereit für unsere kleine Überraschung?«, fragte Mergy Nim direkt. »Überraschung?«, war May jetzt wieder voll da. Nim grinste und bestätigte geheimnisvoll, die Vorbereitungen seien bereits abgeschlossen. »Gut, ich denke jemand braucht sofort etwas Ablenkung.« Mergy zog May am Arm hoch und kaum war sie auf den Beinen, da hatte sich Nim schon die andere Hand geschnappt.
Gemeinschaftlich zogen sie May über die Promenade in den Lift und alles was sie dort erfuhr war der Zielort: Es ging in Hangar 3. Auf ihre neugierigen Fragen gingen die Beiden gar nicht ein. Schließlich schoben ihre Freunde May in den großen Hangar, in dem schon ein Manta mitten auf dem Deck parkte. Die hintere Luke war aufgeklappt und auch das Deckenteil, war offen. »Das ist ja mein Chopper!«, staunte May, als sie von hinten in das Fluggerät schaute: »Und was sind das für Dinger?« »Das ist die Ray Team Version eines Choppers.« »Da fehlen ja die Räder.« Statt einer normalen Bereifung hatten die Fahrzeuge nur vorne und hinten einen verkleinerten Stalk, der für einen sicheren Stand sorgte.
»Brauchen sie nicht. Das nennt sich Air-Ride.«, grinste Mergy. May brach in Lachen aus, wusste sie doch, was ein Air-Ride war. Damit bezeichnete man eigentlich das Luftfedersystem an einem Motorrad. Nim verstand den Witz nicht so wirklich, ließ es sich aber nicht anmerken. »Da du morgen quasi erwachsen wirst, haben wir beschlossen, dir einen kleinen Ausflug zu spendieren. Alles einsteigen. Nim fliegt.« »Nim kann doch gar nicht Motorrad fahren.« »Kann ich doch. Ich habe, wie du, heimlich meinen Führerschein gemacht.«, grinste ihr Freund schelmisch zurück und kletterte an den Fahrzeugen vorbei nach vorne ins Cockpit.
Der Flug zur Erde dauerte nicht länger als üblich und der Landeplatz war von Dunkelheit und Finsternis umgeben, als der Manta aufsetzte. Die Bikes wurden aus den Halterungen gelöst und Mays Fahrzeug als erstes auf die Straße gerollt. Straße war vielleicht zu viel gesagt, denn der Boden war sandig und mit kleinen Kieseln übersät. Mergy startete als erster sein futuristisches Gefährt. Die Stalks fuhren ein und es schwebte. Im nächsten Moment erstrahlte an der Oberseite ein Profil, welches sich langsam um die nicht vorhandene Achse vergrößerte. Ein holographisches Rad bildete sich. Nim tat es ihm gleich und rollte sein Zweirad aus dem Schiff. Als letzte startete May ihr deutlich längeres Gefährt. Es klang wenigstens wie ein Motor und nicht wie das hochfrequente Heulen einer Flugzeugturbine, wie sie schnippisch anmerkte.
Die Scheinwerfer der Fahrzeuge leuchteten erstmals das komplette Gelände aus. Es war ein kleiner Parkplatz oder eine größere Haltebucht direkt an einem Berg. Bäume säumten sowohl die Straße als auch den Schotterplatz ein. Der Manta verschwand beim Abflug halb durch die Dunkelheit und halb durch die zugeschaltete Tarnung. »Los geht es!«, rief Mergy und fuhr voran. Nim wartete auf seine Freundin und nebeneinander begannen sie ihren Ausflug. Die Straße führte sie um den Berg und ins Tal, wo sie mit ihren Motorrädern die Dunkelheit durchschnitten. Als langsam die Sonne am Horizont aufging und die Natur zögerlich in stimmungsvolles Licht hüllte, war es ein unglaublich schöner Anblick. Autos waren nur sehr wenige unterwegs. Die paar Menschen, die schon unterwegs waren erkannten sie nicht. Erst als viel später ein gelber Bus vor ihnen fuhr und sie ihn langsam überholten, hörte man May rufe aus dem Inneren. Die Kinder waren auf dem Weg in die Schule und trommelten wild gegen die Fensterscheiben, während May mit ihrem wehenden Zopf nur winken konnte und dabei langsam an ihnen vorbei zog.
Ab und zu änderte Mergy die Richtung. Es wirkte zufällig, aber May ahnte das Mergy bestimmt ein Ziel hatte. Ohne Plan würde er nie auf so einen Ausflug gehen. Als das riesige Gebäude vor ihnen auftauchte hätte May fast vergessen zu lenken. Sie hatte es schon so oft im Fernsehen gesehen. Die Werkstatt, der Laden und die hinteren Räume des Glaspalastes waren ihr vertraut, wie kaum ein anderes Bauwerk auf dem Planeten. Zielstrebig steuerte Mergy über den Parkplatz auf die Firma zu. Es waren bereits einige Touristen und Kunden vor Ort, die sogleich eine Überraschung der besonderen Art erlebten, als die kleine Ray Team Truppe auftauchte. Mergy stellte sein Motorrad aus und erntete als erster ein gewaltiges »Ohh« der Menge, als die Räder sich auflösten und die Stempel für einen sicheren Stand sorgten. May und Nim parkten direkt neben dran und wurde nicht weniger genau dabei beobachtet.
Ohne weiter auf die Menschen vor dem Laden einzugehen, folgte May ihren älteren Kollegen in den Laden. Hier wollte sie schon immer mal einfach so hinein gehen und die schönen Motorräder in Ruhe betrachten. Die Standbilder aus dem Fernsehen und die kleinen Bilder im Internet waren nie nach ihrem Geschmack gewesen. Es kam ihr vor als wäre sie durch den Bildschirm in eine neue Welt eingetaucht. Sie war nie hier gewesen und doch kannte sie jeden Winkel und jedes Motorrad in der Ausstellung. Da stand es. Das war schon immer ihr absolutes Lieblingsmotorrad von allen gewesen.
Zentimeter für Zentimeter sog sie das Kunstwerk in sich auf. Sie bemerkte gar nicht, wie Mergy und Nim auf Abstand gingen. »Setzen sie sich doch mal drauf!«, hörte sie eine tiefe brummige Stimme neben sich. »Das geht nicht. Das ist verboten!« »Hier bin ich das Gesetz und ich sage Aufsteigen!« Die Stimme war tief, dunkel und ihr doch auf eine seltsame Art vertraut. May drehte vorsichtig ihren Kopf. Ihre Augen wurden groß. Mehr als ein unsicheres und stotterndes »Hallo« brachte sie nicht heraus, als sie Harry, der Chef der Motorradschmiede, höchstpersönlich neben sich erkannte. Mergy und Nim schauten sich in die Augen und klatschen sich ab. Der Plan war gelungen. Wenn May so unsicher war, dann hatten sie sie voll erwischt und die Überraschung war mehr als nur gelungen.
Ehrfürchtig durchschritt sie die extra für sie geöffnete Absperrung und näherte sich dem Objekt ihrer Begierde, welches nun glänzend vor ihr stand. »Nur zu.«, wurde sie wiederholt aufgefordert, da sie erneut zögerte. Die Details, die sie auf den Fotos nicht hatte sehen können, betrachtete sie nun besonders genau. Aber auch andere technische Lösungen interessierten sie. Im Laden war längst nichts mehr normal. Die Motorräder und die Anwesenheit des Chefs im Laden waren in den Hintergrund gerückt. Die Kameras waren auf May und ihre Begleiter gerichtet. Selbst das Team der Fernsehserie stand in der wachsenden Menge und filmte die Geschehnisse mit. Einen Rundgang durch die Werkstatt ließ sich May nicht zweimal anbieten. Dort traf sie weitere bekannte Gesichter. May hätte bereits alleine und ohne fremde Hilfe ihren eigenen Chopper gebaut, prahlte Mergy. So kam es, dass May ihre Fähigkeiten unter Beweis stellen und die Halterungen für den Öltank an einen Rahmen schweißen durfte. Nach einigen Proben an einem Stück Altmetall wagte sie den Versuch mit dem komplett anderen Schweißgerätemodell. Sie verzichtete auf die Scheibe und schaute direkt durch ihre Kontaktlinsen geschützt in das grelle Licht, was erst für etwas Verunsicherung bei den Gastgebern sorgte.
Dann begutachteten die Umstehenden ihre Arbeit. »Simon, du bist gefeuert. Sie ist besser als du!«, erklärte der Firmenchef. Die Menge lachte und schließlich wollte der Meister persönlich auch die Ray Team Bikes sehen und so beschloss man eine Rundfahrt zu machen. Extra für May ließen sie ihr Lieblingsmodell aus der Ausstellung holen und sie durfte damit fahren. Umgekehrt wurden die beiden Ray Team Bikes mit den Angestellten bestückt, die der Chef dabei haben wollte. Auch ihre Ray Team Kollegen bekamen Bikes und nach einer kleinen Einweisung beider Seiten waren sie zu sechst unterwegs.
Immer wieder wechselten sie die Positionen und schauten sich die fahrenden Kunstwerke gegenseitig an. Das Fernsehteam war mit einem Pickup immer dabei, überholte oder ließ sich langsam auf der linken Spur zurückfallen. Die Fahrt ging einige Stunden durch das Umland und endete schließlich vor einem Haus, welches May ebenfalls aus dem Fernsehen kannte. Die Frau von Harry wartete bereits auf die kleine Meute. Im Garten wurde mit Steaks, Würstchen, allerlei Salaten und Dipps ein spontanes Barbecue veranstaltet. Eine für May komplett neue Art der Nahrungszubereitung, die sie nur zu gern probierte.
Es war wie ein unwirkliches Familienfest. Mergy nannte es »verwirrendes Crossover« und spielte damit auf die beiden nur aus dem Fernsehen bekannten Gruppen, die sich hier in einer Fernsehserie trafen. »Warum macht ihr keine Fernsehserie? Ich meine ihr habt ja sogar euren eigenen Sender.«, fragte Simon interessiert Nim, der darauf keine Antwort wusste und hilfesuchend Richtung Mergy blickte. »Das Problem ist, die meisten Personen wären immer nur mit Sonnenbrille oder schwarzem Balken zu sehen.«, erklärte dieser: »Im Gegensatz zu euch, sind auf uns viele Leute ziemlich sauer. Es gibt sogar Gruppierungen, die ein Kopfgeld auf einzelne Mitglieder oder Angehörige des Ray Teams ausgesetzt haben. Viele von uns haben Familie und Freunde auf der Erde. Sie wären ein einfaches Ziel für diese Menschen.« »Ist wie bei den Comic Superhelden. Die eigene Identität muss geschützt werden.«, fügte Nim hinzu.
»Du hast niemanden?«, fragte Betty sichtlich bestürzt zurück, denn Nim trug, wie May auch, keine Brille. Nim lächelte: »Ich habe sie!«, und deutete auf May die sich angeregt mit dem deutlich wuchtiger wirkenden Firmenchef Harry unterhielt. »May hat auch niemanden auf der Erde?«, prallte die Gegenfrage zurück. »Ihre Eltern sind ebenfalls auf der Station. Im All zu leben ist weniger Schlimm als es klingt. Da oben ist eine komplette Stadt. Unser Zuhause.«, versuchte Nim das Bedauern seiner Gesprächspartnerin zu reduzieren: »Es wird ja auch niemand gezwungen beim Team zu bleiben. Im Gegenteil. Die Entscheidung dort zu bleiben fällt, vor dem Hintergrund der eigenen Vergangenheit, oft sehr einfach aus. Ohne das Ray Team wären die meisten Menschen an Bord wohl nicht mehr am Leben.« Betty lauschte seinen Ausführungen. Sie hatte anscheinend viele Berichte von Daneen gesehen und kannte somit auch viele der traurigen Geschichten, die die Reporterin immer als kleine Episoden unter dem Titel »Inside Pilot!« veröffentlichte.
Schneller als von den Beteiligten angenommen, verronnen die Stunden. Mergy ließ den Manta direkt vor dem Anwesen auf dem kleinen Platz landen und gab eine kleine Führung durch das eigentlich nur aus einem Raum bestehende Schiff. Dann wurden die Bikes verladen und nach einer herzlichen Verabschiedung, startete Nim die Flugmaschine und hob ab, während May und Mergy an der noch offenen Heckklappe den immer kleiner werdenden Menschen zu winkten. »Das war schön.«, lächelte May und schloss Mergy in eine feste Umarmung: »Danke!« »Nim hat geholfen.«, versuchte Mergy die Danksagung zu verteilen, aber May klebte dennoch für weitere Sekunden an ihm.
»Wir sollten die Bikes einlagern, sonst spielen die anderen damit herum, oder willst du, nach all dem Lob, deines wieder mit in dein Quartier nehmen?«, fragte Mergy nachdem der Manta in Hangar 3 gelandet war. »Nein, einlagern wäre gut.« »Alles klar, Lagerraum 6 sollte groß genug sein, um eventuell auch mal an den Teilen zu arbeiten.« Die drei schoben die Motorräder aus der Halle und durch den Gang in das angewiesene Lager. Mergy hatte recht. Der Raum war perfekt, um ihn auch als kleine Werkstatt nutzen zu können. Es gab sogar schon Halterungen am Boden, die bei einem Ausfall der Gravitation oder einem Schlag gegen die Station ein verrutschen der Ladung verhindern sollten. So fixiert würden die Fahrzeuge nicht durcheinander fliegen und beschädigt werden können. In jedem Fall war ihr Bike sicherer als einfach im Quartier an der Wand gelagert zu werden.
»Danke nochmal für den schönen Ausflug. Das hat wirklich Spaß gemacht.« »Ja, es war ein schöner Tag.« »Dann werde ich euch Beide mal alleine lassen.«, grinste Mergy und verschwand als erster im Lift. »Können wir noch auf der Promenade halt machen?«, fragte May. »Es ist keine gute Idee mit Suki zu sprechen.«, wies Nim sie noch einmal auf das recht kurze Gespräch während des Flugs hin, bei dem Mergy und Nim bekundeten es wäre an Suki die Sache zu bereinigen. »Will ich ja auch nicht. Ich will zum Doc und zu Sandra. Heute Morgen bin ich wegen dem Zwischenfall ja nicht dazu gekommen. Ich hoffe sie sind beide noch da.« Als May auf die Station, kam war sie erleichtert das medizinische Personal alleine anzutreffen. »Könnt ihr mir mal kurz helfen?«, fragte May zweideutig in den Raum. Sofort standen Beide vor ihr und fragten nach dem medizinischen Problem.
May breitete ihre Arme aus und schloss das Personal in eine Umarmung ein: »Ich wollte mich heute morgen schon bei euch bedanken. Ich war sicher keine einfache Patientin. Ohne euch wäre ich nicht mehr am Leben oder würde für immer mit zwei Gesichtsfarben umherlaufen. Danke schön.« »Dafür sind wir ja da.«, lächelte Sandra. »Trotzdem war mir das wichtig.« May wünschte einen schönen Abend und begab sich zum Ausgang, wo sie auf Suki traf, die gerade das Krankenzimmer ihrer Schwester verließ. Mehr als ein leises »Hallo« sagte May nicht zu ihrer Freundin und ließ sie buchstäblich links liegen. »Warte! Bitte.«, hörte sie wieder die Tonlage der alten Suki. Zögernd und immer noch die Worte von Mergy im Ohr drehte sie sich langsam um.
»Es tut mir so leid. Ich weiß gar nicht was mit mir los war. Du bist meine beste Freundin und ich hoffe das du mir verzeihen kannst.« Die Stimme von Suki wirkte ehrlich und so vertraut wie all die Jahre zuvor. Am Liebsten hätte sie es genauso gemacht, wie Suki bei ihrer Superkräftebeichte vor einigen Jahren, aber bei dem Zustand ihrer Schwester und der ganzen Situation wäre es aber dann doch reichlich unangemessen gewesen. »Nächstes Mal, erst nachdenken, ok?«, flachste May und boxte mit der Faust leicht gegen die Schulter ihrer Freundin. »Wir sind noch Freunde?« »Klar. Unnützer Normalo? Denkst du wirklich so über dich?« »Ach, ich habe in meinem Leben nie etwas auf die Reihe bekommen. Ich bin nicht wichtig.« »Trish sagt immer jeder Mensch ist wichtig und ich denke sie hat recht. Das Schicksal ist wie eine große Maschine und jeder von uns ist ein kleines Teil, ohne das nichts funktionieren würde.«
»Ich bin nur das Ersatzteil im Deckel. Es wird nie wirklich gebraucht und geht entweder verloren, oder wird mit der Maschine zusammen entsorgt.« Sie glaubte wirklich was sie da sagte. Der Ton in ihrer Stimme zeugte davon. »Du bist wichtig!« »Hallo? Immer wenn bisher etwas wichtiges passiert ist, bin ich außer Gefecht oder nicht da. Ich bin nutzlos.« »Hey, du hast in den letzten Jahren so viele Menschen - ja sogar den ganzen Planeten - gerettet. So ganz unwichtig kannst du da ja wohl nicht sein.« »Ich soll die Welt gerettet haben? War ich dabei? Ich kann mich jedenfalls nicht daran erinnern.« May musste grinsen. Suki hatte es auch nicht verstanden. Naja, sie selbst wurde ja auch erst von Trish darauf gestoßen. »Ja, du. Ohne dich hätte Mergy damals niemals rechtzeitig einen Gleiter bekommen, um die Computer der Draken anzuzapfen.«
»Das ist doch nur ein blöder Zufall gewesen.« »Es gab schon ziemlich viele blöde Zufälle in den letzten Jahren, findest du nicht? Zu viele wie ich finde! Die können nicht alle - naja - zufällig gewesen sein. Mergy findet mich, Mergy findet Dich. Die Seem finden meinen Vater. Ich denke der Typ, der die Maschine gebaut hat, hat einen Plan für uns alle und gibt ihr ab und zu den ein oder anderen Schubs in die richtige Richtung. Wenn das mit deiner Schwester nicht passiert wäre, dann wärst du nie Teil des Ray Teams geworden und die Welt wäre von den Draken zerstört worden.« »So habe ich das noch gar nicht gesehen. Du bist wirklich ein Schlaukopf, wie Mergy immer sagt.«, grinste Suki jetzt deutlich positiver gestimmt als noch wenige Augenblicke zuvor. »Da bin ich auch nicht selbst drauf gekommen.«, beschwichtigte ihre Freundin.
»Danke. Du hast Shizuka gerettet.« »Habe ich doch gar nicht. Das war eine andere May in einer anderen Zeitlinie.« »Ich muss mich aber bei einer May bedanken und du bist die einzige die hier ist.« »Hat sie bestimmt gerne gemacht.«, grinste May verschmitzt und war froh wieder so offen mit ihrer Freundin reden zu können. »Dein Freund wartet.«, deutete Suki mit den Augen auf die streifige Tür, durch die man deutlich Nim auf der Promenadentreppe sitzen sehen konnte. »Du bist jetzt wichtiger.«, lächelte May und bemerkte wieder einen dunkeln Schatten in Sukis Gesicht: »Was ist los?«
»Ich hab Mergy nie für meine Rettung gedankt. Für keine der Rettungen.«, brachte sie zögerlich und schuldbewusst heraus: »Wann hast du dich bedankt?« May konnte sich noch genau an diesen wundervollen Moment erinnern, in dem sie ohne Schuhe, nur mit ihren alten zerrissenen Lumpen bekleidet auf dem warmen flauschigen Teppich im Schlafzimmer stand und Mergy ihren Dank aussprach: »Direkt nach meiner Ankunft in meinem Quartier.« »Ich bin so ein Versager.« »Bist du nicht. Mergy hat dich auf die Station geholt, damit du als Teil des Teams etwas bewirken kannst und das hast du getan. Mehr wollte er nicht.« »Trotzdem. Das ist peinlich. Du bist so viel jünger als ich und hast immer schon so verantwortungsvoll gehandelt. Für mich war immer nur der Spaß wichtig. Ich werde das nachholen. Ich hab wohl noch viel nachzuholen. Nicht nur mit meiner Schwester.«
Die Suki, die vor May stand, hatte urplötzlich eine komplett andere Einstellung zum Leben bekommen. Hatte sie vorher das Schicksal ihrer Schwester einfach nur verdrängt und versucht die dunklen Gedanken mit Spaß und Freude zu übermalen, wollte sie anscheinend jetzt offensiv mit ihrem Leben umgehen und in ihrer Vergangenheit aufräumen und sie abschließen. »Nun geh zu Nim. Ich muss auch mal etwas alleine hinbekommen.«, lächelte Suki und schubste sie sanft Richtung Ausgang: »Bei Nim entschuldige ich mich auch noch und auch bei Tory.« »Bei Tory?« May wurde hellhörig. Suki mochte ihn sehr und auch Tory war wohl nicht abgeneigt.
Seit der Silvesterfeier knisterte es zwischen den Beiden, ohne das auch nur einer den ersten Schritt machte. »Ich hab ihn heute morgen umgerannt und später als ich wie eine Heulboje auf der Promenade gehockt habe, wollte er mich trösten. Ich war ziemlich fies zu ihm.« »Er hat dich gern.«, lächelte May mit einem Zwingern. »Ich mag ihn auch.«, kamen leise Worte aus Sukis Mund. »Dann sag ihm das einfach.«, stupste May noch einmal mit der Faust gegen die Schulter ihrer Freundin und verschwand aus der Krankenstationstür.
May zog Nim an den Armen auf die Beine und drückte ihm einen dicken Kuss auf: »Danke, für das Warten.« »Auf dich würde ich ewig warten.« Mit einem Lächeln und Arm in Arm verschwanden beide im Lift, nicht ohne sich weiter zu küssen. Erst als sie Mays Quartier erreichten, trennten sich ihre Wege. May schaute Nim hinterher und überlegte kurz. »Warte! Willst du hier bleiben?« »Bei dir?« »Ich hab wieder ein Bett! Schon vergessen?« »Nur wenn du es auch wirklich willst.« May zog ihren Freund küssend in ihre Wohnung, die sich automatisch hinter ihnen sanft und fast lautlos verschloss.
May, immer noch im Morgenmantel, hatte just ihre Frühstückswünsche an Jaque übermittelt und damit begonnen die Gegenstände, die aus dem Nahrungsverteiler sprudelten, auf dem Tisch zu verteilen, als jemand an der Tür laut gab. Kaum hatte sie die Wohnungstür geöffnet, da fiel ihr auch schon Suki um den Hals: »Herzlichen Glückwunsch. Nach Gestern wollte ich wenigstens der erste Gratulant sein.« Suki drückte ihre Freundin kräftig durch und ihr Blick fiel auf den gedeckten Tisch im Wohnbereich: »Oh, du erwartest Besuch, dann sollte ich schnell wieder gehen.« »Ist für Nim. Er duscht noch.«
»Nim? – Hier? – Nein! – Er hat? – Du hast? – Ihr habt?« Suki stammelte konzeptlos und verdrehte ebenso verwirrt ihre aufgerissenen Augen, während May nur da stand und fast so wie Sor grinste. »Ich bin schon weg und in anbetracht der neusten Fakten solltest du zu deinem Freund unter die Dusche steigen. Anweisung einer Freundin. Männer mögen das!« Nur Bruchteile einer Sekunde später war Suki schon wieder verschwunden und hinterließ neben einer einrastenden Wohnungstür auch eine unsichere May. Sie stand wieder alleine im Raum und überlegte. Sollte sie wirklich? Zögerlich machte sie sich schließlich auf den Weg ins Bad.
Suki stand unterdessen gedankenversunken im Lift. Ihre Gedanken kreisten aber nicht nur um die eigentlich sensationellen Neuigkeiten ihrer Freundin, sondern auch um ihre eigene Freundschaftskiste mit Tori. Er verdiente auch noch eine Entschuldigung. Nicht wegen dem unsanften Zusammenstoß im Sor, sondern wegen dem was später passiert war. Sie hatte wie eine Heulboje auf der Treppe der Promenade gesessen, als Tori mit einigen Piloten zum Mittagessen in das Stationslokal wollte und an dem von ihr belegtem Aufgang vorbei kam. Er hatte seine Begleitung vorgeschickt und sich wirklich nett um Suki bemüht und sich kümmern wollen, aber sie war nicht in der Verfassung gewesen seine Hilfe anzunehmen.
Wie schon zuvor May hatte sie ihn auf übelste Weise zusammengestaucht. »Ausgerechnet Tori.«, schoss es ihr immer wieder durch den Kopf. In den letzten Monaten waren sie sich näher gekommen. Sie hatten oft zusammen gehockt und es war wirklich schön gewesen. Erst jetzt, erst heute und mit klaren Gedanken wurde ihr bewußt wie gerne sie ihn wirklich hatte. Hatte sie jetzt schon alles wieder kaputt gemacht? Im Nachhinein war er doch total süß zu ihr gewesen. Wie er unsicher da stand und fragte ob er ihr helfen könne. Und sie war so widerlich gewesen.
Bei Sor suchte sie direkt am Tresen stehend nach ihm, während Sor ihr Frühstückstablett zusammenstellte. Tori saß mit Honk und Trill an einen Tisch. Die Pilotin zögerte einen Moment, gab sich dann aber doch einen Ruck und setzte sich zu ihnen an den Tisch und wünschte einen guten Morgen. Die Drei antworteten freundlich. Tori war sichtlich reserviert und wusste nicht so recht was er jetzt machen und wie er reagieren sollte. Das war ihm nach Gestern auch nicht wirklich zu verübeln. Ohne auch nur den Blickkontakt mit Suki zu suchen, drückte er sich ein Brötchen in den Mund. Suki selbst kam sich in ihrem edlen Hosenanzug sowieso vor wie ein Fremdkörper. Optisch paßte sie so allenfalls in ein Großraumbüro. »Hey, Tori. Das gestern tut mir so leid. Du wolltest mir nur helfen und ich war so gemein und fies zu dir.«, suchte Suki schließlich das Gespräch.
Natürlich wussten alle am Tisch von Sukis Ausrastern und so waren sie gespannt, was jetzt passieren würde. »Ich war so durcheinander. Es tut mir wirklich total leid.«, brachte Suki noch heraus und konnte sich auch eine Träne nicht verkneifen. »Ist schon gut.«, hörte sie Tori, als würde er ganz weit weg stehen, dabei war Tori keine zwei Meter entfernt und sprach laut und deutlich. »Wirklich?«, fragte Suki unsicher nach. »Ja, ich hab gehört wie du May zusammengefaltet hast. Da bin ich ja wohl noch recht glimpflich davon gekommen.«, lächelte er über den Tisch, reichte ihr ein Taschentuch und war offensichtlich selbst froh, die Lage mit Suki geklärt zu wissen.
»Stimmt.«, wurde Suki schon wieder etwas lockerer: »Bei May war ich auch schon. Suki on Tour: Alles aus ihrem neuen Album Entschuldigung.« Die Jungs mussten laut lachen und Honk verschluckte sich sogar an seinem Brötchen. »Und jetzt musst du zur Strafe ihre Sekretärin spielen?«, war es Trill, der mit einem schelmischen Kichern auf die Uniform anspielte. Auch Suki musste lachen. Der Streit war schon fast vergessen. So erzählte sie den Dreien die Geschichte mit ihrer Schwester. Bisher hatte sie nur mit May darüber gesprochen. Mergy und das restliche Kommando wussten ja wahrscheinlich sowieso um ihre Vergangenheit.
»Hätte ich nicht von dir gedacht.«, lächelte Nim zu May hinüber: »Stille Wasser sind eben doch tief!« May hatte sich gerade das lila Kleid übergestreift, als Nim von hinten an May heran trat und ihr seine Arme um den Körper legte, sie sanft an sich drückte und den Kopf auf ihrer Schulter absetzte. Direkt gegenüber im Schrank stand ein ebenso glückliches Paar und strahlte ihnen aus dem Spiegel entgegen. May genoss die morgendlichen Zärtlichkeiten. Es war so unglaublich schön gewesen neben Nim aufzuwachen und seine Arme zu spüren, die sich beschützend um sie klammerten. Seine Wärme. Sein Atem im Nacken. Alles neue Eindrücke, die sie schon jetzt, nach nur einer gemeinsamen Nacht, nicht mehr missen wollte.
»Wir sollten Frühstücken.«, lachte May in den Spiegel. Nim stimmte zu und wurde gleich immer noch an ihr hängend ins Wohnzimmer gezogen. »Hey, Frühstück für Zwei!«, jauchzte ihr Freund überrascht, hatten sie doch noch nie im Quartier gefrühstückt. Sekunden später saßen beide am Wohnzimmertisch und bedienten sich an den üppigen Dingen, die auf dem Tisch bereit standen. Jaque hatte sich nicht lumpen lassen und reichlich bereit gestellt. »Ich hab noch ein Geburtstagsgeschenk für dich. Aber dazu bräuchte ich allerdings deine Hilfe. Das ich heute Nacht hier bleibe, konnte ich ja nicht wissen.« »Ein Geschenk? Heute neben dir aufzuwachen, war doch schon das tollste Geschenk. Ich kann mir nichts besseres vorstellen.« »Naja, es ist auch nur etwas Kleines. Jaque transportierst du das kleine Geschenk vom Tisch in meinem Quartier zu uns auf den Tisch?« »Transporte innerhalb der Station werden nur mit Genehmigung der Kommandoebene ausgeführt.«, kam die Antwort, die er bereits erwartet hatte. May erlaubte den Transport und eine kleine mit Papier und einer Schleife umhüllte Schachtel erschien auf dem Tisch.
»Mach sie auf.« Vorsichtig schob May die Schleife vom Päckchen und öffnete die Klebestreifen, die das Papier an seinem Platz hielten. Schließlich war die lila Umhüllung locker und ebenfalls von der kleinen Schachtel entfernt. »Das ist ja eine von Mergys Figuren. In einem Kampfgleiter!«, lachte May fröhlich beim Betrachten der Packung. Mergy hatte vor einigen Monaten ein Geschäft mit dem Hersteller eingefädelt, weil gerade im Bereich Spielzeug ein großer Markt für das Ray Team bestünde, wie er meinte. Der kleine Kampfgleiter war nur eines von vielen Dingen, die in den letzten Wochen auf den Markt gekommen waren oder noch kommen würden. Zwar hatte diese Figur nur eine grobe Ähnlichkeit mit einem Ray Team Kampfgleiter, aber Mergy hatte Lizenzen für das offizielle Logo verkauft, die den Wert der Produkte noch einmal anheben sollten. Sab hatte damals nur geunkt Mergy würde es nur machen, um seine eigene Sammlung zu vergrößern. So ganz unrecht hatte sie damit zwar nicht, denn Mergy hatte eine große Kiste mit allerlei Figuren bekommen, aber es ging ihm vordergründig darum den Namen des Ray Teams zu nutzen, um damit Geld zu verdienen.
Und das klappte nicht einmal schlecht. Mit den Gewinnen unterstützte das Ray Team bereits diverse Projekte und Kinderheime auf der Erde, die ohne die Gelder schon längst nicht mehr existieren würden. Die hämischen Sprüche von Sab wiegelte er einfach ab und meinte nur sie solle mal auf die Original Sab Tassenwärmer warten. Die wären der Knaller! Nachdem er den Ausflug für May geplant hatte und Nim keine Ahnung hatte, was er ihr zum Geburtstag schenken könnte, hatte er ihm zwei der Schachteln als Anregung gegeben. »Der ist ja aus Holz!«, kicherte May, als sie sich Maserung der braunen Plastik Einzelteile des kleinen Gleiters genau ansah. Schnell waren die Teile aus ihrer Halterung gelöst und zusammengesteckt. Es dauert nicht lange und das kleine Modell war flugfertig.
Der Pilot saß an seinem Platz hinter dem Steuer ihres Plastik-Holzkampfgleiters mit Klappdach und wartete auf seine erste Mission. Mit leisen fauchenden Geräuschen hob der kleine Flieger vom Tisch ab und flog einige Runden um die zwei Verliebten am Tisch. Nim stutzte für einige wenige Sekunden. Eigentlich konnte das kleine Spielzeug weder fliegen, noch Geräusche machen. Dann schaltete er. Seine Freundin nutzte ihre besonderen Fähigkeiten, um diese Spezialeffekte zu erzeugen. »Ich hatte deine Windkräfte komplett vergessen.« »Das finde ich auch gut so. Du sollst mich ja nicht nur wegen meiner Superkräfte gerne haben, sondern das ganze Paket mögen.« May lächelte etwas verlegen und strich sich noch eine Strähne hinter die Ohren, die mal wieder ihrem Haargummi wohl entkommen war.
»Du hast schon einmal etwas von einem Paket gesagt. Was bedeutet das?«, fragte Nim leicht unsicher über diese Bemerkung. »Mergy hat einmal gesagt, wenn man sich verliebt, dann immer in das ganze Paket. Aussehen, Charakter, Stimme und so weiter.« »Da gehören dann aber auch deine Superkräfte rein, oder?« »Naja, darum habe ich es dir ja auch sagen wollen, mich aber nicht getraut. Ich wollte nicht als ein Monster oder als ein Freak da stehen, den du nicht mehr willst.« »Ich finde dich genau richtig, so wie du bist. Wunderschön, Klug, Weise, ein bisschen verrückt und mit Superkräften!« Nim musste lachen, weil Mays Kopf sich wegen der vielen aufgereihten Komplimente ein wenig rot verfärbte. Er wollte sie aber nicht weiter in Verlegenheit bringen und kam nochmal auf den kleinen Flieger zu sprechen.
»Das ist klein Nim! Der soll auf dich aufpassen, wenn ich mit der Mystery unterwegs bin.«, schnitt Nim ein Thema an, über das May nicht gerne sprach. Das Team hatte vor einigen Monaten beschlossen die Flotte um ein weiteres Schiff zu erweitern und sich außerhalb des Sonnensystems blicken zu lassen, wie Mergy es nannte. Die Besatzung sollte nur aus Freiwilligen bestehen und Nim war einer der Ersten, der seinen Namen auf die Liste setzte. Ihm hatte das Abenteuer am Rande des Sonnensystems gefallen. Seine Neugier war geweckt und er wollte wissen, was es da draußen noch so alles gab. Ihr Freund wollte Aliens treffen und fremde Welten besuchen. May hatte aus Angst versucht ihn davon abzuhalten, aber diese Reise war sein größter Wunsch.
Immer wenn er von den Flügen in der Oortschen Wolke und vom Finden des alten Seem-Schiffes erzählte, hatte er so ein Funkeln in den braunen Augen. Für May war der Planet vor ihrer Tür wie ein gigantischer Spielplatz, ihr großes Abenteuer. Immer wenn sie sich unerkannt in den Großstätten zwischen den Menschen bewegte, war sie in einer neuen Welt voller wunderlicher Dinge und voller Abenteuer. Wenn eine Stadt erforscht war, konnte sie aus tausenden Städten auf dem ganzen Planeten einfach ein neues Abenteuer auswählen und antreten.
Nim war diese blaue Kugel längst zu klein geworden. Seine Abenteuer lagen da draußen und so versuchte May nicht weiter ihren Freund von der Reise abzuhalten. »Und wer passt auf dich auf?«, fragte sie aber dennoch. »Dafür habe ich klein May.« »Klein May?« »Schau mal hinten auf die Schachtel, da ist ein kleines Bild.« »Das ist ja ein lila Kampfgleiter. Soll ich das sein?« »Wie viele Piloten kennst du, die einen lila Kampfgleiter fliegen?« »Die haben ein Spielzeug von mir gemacht?«
Intensiv versuchte sie das kleine Bild auf der Schachtel mit ihren Augen zu vergrößern, um jedes Detail zu erfassen. »Meine Freundin ist eben berühmt!« Nim konnte nicht umhin diesen Satz sehr besitzergreifend zu betonen. Ja, sie war seine Freundin und er war stolz darauf sie so nennen zu dürfen. »Du hast den?«, fragte May leicht unsicher, ob sie das jetzt richtig verstanden hatte. »Ja, Mergy hat mir beide Modelle zukommen lassen. Ich dachte so haben beide Minipiloten ihre Aufgabe.« »Den muss ich mir heute Abend unbedingt ansehen.«
»Alles bereit?«, fragte Mergy unsicher. »Katie, Jin und Reiko fehlen noch. Ansonsten sind wir komplett und einsatzbereit.« »Jaque, wo ist sie?« »Gerade in den Lift gestiegen. Ziel Kommandodeck!« »Ok, wehe jemand vermasselt es. Mergy an Daneen, 30 Sekunden!« Unsicher schaute May aus dem Lift. Sie spürte förmlich etwas ungewöhnliches in der Luft liegen. Mergy hatte bisher jedes Jahr eine Party geplant, aber die Tour mit dem Motorrad war ja auch schon eine Überraschung der besonderen Art gewesen. »Katie steckt auch fest! Kabine 14, zwischen Quartierring und Kern in Sektion 2.«, vermeldete Sab lautstark über dem Kommandodeck und schien May zu ignorieren.
»Das Liftsystem spinnt!«, erklärte Suki, die wegen ihrer Schwester Innendienst schob und an den internen Sensoren saß, ihrer Freundin nur kurz: »Hab ich doch gesagt, aber mir legt man lieber Trödeln zur Last!«, warf sie vorwurfsvoll in den Raum. »Ja, tut mir leid. Sowas ist vorher noch nie vorgekommen.«, erklärte Sab ziemlich unfreundlich für eine Entschuldigung. »Daneen an May. Hast du kurz Zeit? Ich hab da ein Problem, bei dem du mir helfen könntest.« May schaute sich um. Alle waren beschäftigt und selbst Tin bemerkte sie nicht einmal, als sie aus der Tür zu den Servicetunneln kam.
»Hier kann ich momentan sowieso nichts machen. Ich bin unterwegs.«, erklärte May ihrer Hand und trat zurück in den Lift: »Obere Kuppel!« Der Lift verschloss die Türen, rumpelte und blieb stehen. Für einen Moment überlegte sie durch die Luke in der Decke zu fliegen, aber dann fragte sie auf dem Kommandodeck nach: »May an Kommandodeck. Ich stecke auch im Lift fest. Zwischen Kommandodeck und oberer Kuppel.« »Yes!«, machte Mergy eine Siegerpose.« »Wir sind vollzählig!«, bestätigte Trish seinen fragenden Blick. »Tin an May, ich schick dir einen Terminal. Schließe ihn an den Lift an!«
»Das geht doch nicht wegen dem Transportblocker!«, erwiderte May. »Sie ist wirklich gut.«, merkte Mergy an, während Tin nur mit einem Lächeln antwortete. »Die Blocker habe ich wegen der Systemfehler aus Sicherheitsgründen Stationsweit deaktiviert. Beeile dich. Ich brauche die Daten solange der Lift noch klemmt.« May hielt ihre Arme nach vorne als würde sie ein Tablett tragen. Mit einem Lichtstrahl erschien der kleine flache Terminal einige Zentimeter über ihren Händen und plumpste schließlich in selbige. Suki verschwand gefolgt vom gesamten Kommandotrupp mit einem wirbelnden Transporterstrahl, während May nichts ahnend die Klappe öffnete, das Kabel aus der Wand zog und mit dem Gerät verband.
Sofort sprang der Computer auf einen Diagnosebildschirm und zeigte ein blinkendes »manueller Halt!« neben anderen Angaben zu diesem und den anderen Kabinen, die sich weiter frei durch die Station bewegten, wie man an den kleinen Kästen sehen konnte. Kleine Zahlen in den umherschiebenden Kästchen deuteten die Zahl der Personen an, die mit einer Kabine transportiert wurden. »May an Tin. Der Lift wurde manuell angehalten.« »Pst.«, ermahnte Mergy die kleine Menge und Tin antwortete: »Ok, stecke den Terminal in die Wartungshalterung und setzte die Fahrt fort. Wer sich auch immer in das Liftsystem eingeklinkt hat, hat dabei Spuren hinterlassen. Ich finde den Verantwortlichen schon.« Tin biss sich in den Arm, hätte sie doch fast durch einen Lacher alles vermasselt. Es war totenstill im Raum. Alle Anwesenden lauschten mit den Ohren Richtung der eckigen Bodenluke. Langsam konnte man die hastigen Schritte im Treppenhaus hören. »Tut mir leid, ich hab im Lift festgesteckt!«, brachte May noch heraus und wurde durch ein lautes »Überraschung!« untermalt vom dem lustigen Tröten einiger Rollpfeifen unterbrochen.
»Wer ist der Beste? Ich hab dich wieder einmal drangekriegt!«, triumphierte Mergy und drückte seinen Findling fest an sich: »Herzlichen Glückwunsch!« Neben dem Kommando waren auch Suki, Katie, Sandra, ihre Eltern und Nim in der Sternenkuppel und alle gratulierten dem jungen Kommander feierlich zum 18. Geburtstag. Zu Mays erstaunen war auch Sor anwesend, um mit einer ausgiebigen Umarmung seiner Freundin zur Volljährigkeit zu gratulieren. »Liftproblem, was?«, boxte May den Leiter der Technologieabteilung in die Seite. »Mergy meinte wir müssten dich schon plausibel ablenken. An deinen Geburtstag hast du jedenfalls nicht gedacht, als du durch die Luke geschaut hast, oder?«, umschrieb Tin die Idee hinter der Scharade. »Ja, ihr habt mich alle hereingelegt.«
Sor verteilte Getränke und die Mannschaft stieß auf das nun volljährige Geburtstagskind an. »Darf ich mal kurz um Aufmerksamkeit bitten. Es war vor fast fünf Jahren, als ich dieses Mädchen mit dem Faible für Lila aufgelesen habe. Zuerst hatten wir hatten keine Ahnung was wir mit ihr überhaupt anstellen sollten.« »Sab wollte mich in einen Kinderhort stecken!« »War nur so eine Idee.«, schmunzelte Sab. »Ja, ich musste mich damals, ohne zu wissen wo das alles hinführen würde, durchsetzen. May selbst hatte da wohl eigene Vorstellungen. Kaum einen Tag auf der Station, gab es einen legendären Saftunfall, sie hat erste Freundschaften geschlossen und sich bereits in der medizinischen Abteilung positiv hervor getan. Am Zweiten rettete sie gleich ihr erstes Leben und von der heimlichen Ausbildung zum Kampfgleiterpiloten will ich hier gar erst nicht anfangen. Ich habe einmal gesagt du sollst mich stolz machen. Mission erfüllt, höchster Schwierigkeitsgrad. Ich bin gespannt was da noch alles auf uns zu kommt. Auf May!«
Es wurde auf May angestoßen und Sor schnitt den großen Schokoladenkuchen an, der von oben einem Gemälde glich. Die weiße Zahl 18, von der Form den Stationstürmen nicht unähnlich, schwebte in einem mit Sternen verzierten Schockladenweltall. Ein lila Kampfgleiter mit Mangafigur schien geradewegs aus dem unteren Teil der riesigen Zahl auf den Betrachter zu zu fliegen. Rundherum eingerahmt durch flackernde Kerzen, die May in einem Zug bereits unter Jubel ausgeblasen hatte.
»Die neue Stationsbeschichtung wurde aktiviert und funktioniert gemäß der Vorgaben.«, leitete Tin das erste Gesprächsthema der Sitzung ein: »Dadurch erhalten wir vier Prozent der benötigten Standardenergie.« »Nur vier Prozent? Ich dachte die würde mehr bringen.«, warf Mergy ein. »Mehr ist aber leider nicht drin. Die, der Sonne zugewandte, Teilfläche der Station ist ja nicht wirklich groß. Nur mit der Solarstrahlung wären es im besten Fall 1.5%. Durch die Nutzung der normalen Raum und Hintergrundstrahlung wird das Ganze deutlich effizienter. Mehr geht aktuell nur, wenn wir die Stationsfarbe ändern, dann könnte die Beschichtung effektiver arbeiten. Mehr als sechs Prozent sind aber selbst dann nicht drin. Zusätzliche Flächen würden mehr bringen.«
»Nur über meine Leiche. Die Station soll unserem Namen entsprechend ein Leuchtfeuer sein und keine Grablampe.« May schmunzelte. »Seine Station«, hatte Sor damals gesagt und genau so verhielt er sich mal wieder wie der Schlossherr. Er hatte klare Vorstellungen wie die Station optisch und funktionell sein sollte und in dem Punkt war er nicht kompromissbereit. Er war der König des Schlosses, obwohl auch andere hier durchaus das Sagen hatten.
»Also bleibt es bei den anderen Sparmaßnahmen?«, erkundigte sich Trish nach dem weiteren Vorgehen. »Ja, wir haben keine Wahl. 50% der holographischen Anlagen müssen wir abschalten. Sowohl die Holoräume bei Sor, als auch für Training und Labornutzung.« »Was ist mit Sor selbst?«, mischte sich nun auch Sab in die Unterhaltung ein. »Wir schalten ihn ab. Seine Systeme brauchen übermäßig und rund um die Uhr Energie. Die Besatzung kann sich selbst ohne viel Aufwand an den Nahrungsverteilern bedienen.«
»Ihr wollt Sor abschalten?«, war nun schlagartig auch May beteiligt und glaubte nicht was sie da gerade zu hören bekam. »Wir müssen. Unsere Energiereserven sind begrenzt. Die Angriffe der Draken haben uns viele Reserven gekostet. Maximal zwei Jahre kommen wir mit den Resten noch aus. Aber auch nur wenn wir sorgsam damit umgehen.« »Die Fusionsreaktoren erzeugen doch mehr Energie als nötig.«, warf May direkt zurück und hoffte auf Rückendeckung von Tin. »Wir haben keine wirklich funktionierenden Fusionsreaktoren.«, erstaunte Tin die Unwissenheit von May. »Aber so steht es doch in den Datenbanken.«, verstand May nicht so recht, wie sie die Situation zu verstehen hatte. Unsicher schaute sie in die Runde.
»Es scheint, als hättest du die Unterlagen nach deiner Beförderung zum Kommander nicht erneut gelesen.«, erklärte Mergy schließlich die Situation: »Wir benutzen Materiewandler als Energiequelle. Das was du und alle anderen als Reaktorwürfel kennst, sind bessere Batterien. Wir haben uns in den Atomendlagern auf dem Planeten bedient und die alten Brennelemente in Tinium gewandelt.« »Tinium?« »Eigentlich wollte ich es Perfectium nennen, weil die atomare Struktur so perfekt ist, aber das gab es schon und Mergy meinte Tinium wäre auch perfekt.«, mischte auch Tin bei den Erklärungen mit.
»Die Lager auf der Erde sind so gut wie leer und aufgrund der letzten Atomunfälle auf dem Planeten und der massiven Nutzung alternativer Energiegewinnungsmethoden, wurden die meisten Reaktoren abgeschaltet und somit wird deutlich weniger Atommüll produziert als noch vor einigen Jahren. Unsere Tinium Reserven gehen nun langsam zur Neige und selbst mit strahlendem Material zu hantieren ist uns zu gefährlich. Es ist noch nicht kritisch, aber wir müssen sparen, bis wir eine dauerhafte Lösung gefunden haben.« »Können wir denn keine echten Fusionsreaktoren bauen?«
»Doch können wir. Das Problem liegt wie bei den Gravitationsgeneratoren in der Größe. In der Sonne funktioniert die Methode ziemlich gut, aber im kleinen Maßstab wird das Ganze instabil und im Weltall oder gar in einem Kampfgleiter im Kampfeinsatz ist das Ergebnis somit unbrauchbar. Mehr als drei Minuten haben wir es nicht einmal unter optimalen Laborbedingungen hinbekommen. Ich versuche die Seem und die Draken Energiequellen zu reproduzieren, aber ich verstehe noch nicht so recht, wie es bei den Drakenschiffen funktioniert. Die Mutterschiffe scheinen ja eine Art Fusionskern zu haben und die kleinen Jäger nur eine Energiezelle, darum müssen die im Kampf immer zum Tanken zu den Basisschiffen zurückfliegen. Die Seem benutzen einen dem Tinium nicht unähnlichen, aber wohl natürlichen, Stoff als Treibstoff, den sie aus sogenannten Kranarkristallen gewinnen. Also auch keine wirkliche Hilfe, bis wir selbst eine solche Quelle finden würden.«, erklärte Tin ihr bisherigen Bemühungen das Problem zu lösen.
»Ich werde das nicht zulassen. Ihr dürft Sor nicht abschalten.«, blieb May trotz der neuen Fakten hart. »Ich weis du siehst ihn als Freund, aber er ist immer noch eine Maschine.«, brachte Trish ihre Meinung in die Runde. »Warum schmeißen wir nicht Nim, Suki und ein paar von meinen anderen Freunden von Bord. Da sparen wir auch noch ordentlich an Nahrung, Wasser und Lichtenergie.« »Das ist ja wohl etwas komplett anderes.«, blieb Mergy bei seiner Meinung. »Ist es das? Du müsstest doch am Besten wissen, was Sor ist und wie er sich fühlt. Du hast ihn als Gesellschafter konzipiert und ihm Gefühle gegeben, damit er sich besser in die Lage von Menschen einfühlen kann. Und jetzt, wo er endlich von den ersten Leuten akzeptiert und als eigenständige Person respektiert wird, wollt ihr ihn wieder wie eine alte ungeliebte Puppe, die man nicht mehr haben will, in die Kiste zurück sperren?«, führte May ihr Plädoyer weiter aus: »Und den Piloten – Ja, ich nehme mich da nicht aus – nehmt ihr den Ansprechpartner und Freund.«
Stille strömte durch den Raum. Offensichtlich hatten diese eindringlichen Worte gesessen. »Vielleicht könnten wir Sor auf einen Avatar reduzieren und ihm selbst die Möglichkeit geben sein Hologramm zu aktivieren und deaktivieren, wenn niemand im Sor ist. Damit sparen wir immer noch eine Menge Energie und würden ihm seine Freiheit nicht beschränken. Das wäre sicherlich ein Kompromiss, mit dem wohl alle hier Leben können. Das Personal muss sich zu Stoßzeiten dann gegebenenfalls parallel an den Nahrungsverteilern bedienen, auch wenn das Sor selbst nicht gefallen wird.«, war es Trish, der die ursprüngliche Funktion von Sor als neutralem Gesellschafter, die sie selbst schon vergessen hatte, immer noch als sehr wichtig ansah.
May war erleichtert, als sie die Lösung vernahm und nahm sich selbst vor, weniger verschwenderisch mit der, bisher als unbegrenzt angesehenen, Energie umzugehen: »Damit bin ich einverstanden. Danke!« »Gut kommen wir dann zu Punkt zwei. Wir haben einen Kapitän für die Mystery ausgewählt.«, war es nun Mergy, der die Stationssitzung fortsetzte, »Moon wird das Kommando bekommen.« »Moon? Das kann nicht gut gehen. Er wartet nur auf eine Gelegenheit Leute zu schikanieren und herumzukommandieren. Ihm geht es nur um Macht. Darum andere Menschen zu unterjochen.«, war es erneut May, die eine Entscheidung der Anderen anzweifelte.
»Er hat sich in den letzten Jahren deutlich zum Positiven entwickelt und sich diese Chance sichtlich verdient.«, sprach sich auch Sab für diese Beförderung aus. May war unsicher. Nim würde mitfliegen und wenn Moon Mist bauen würde, dann wäre er in Gefahr, aber sie konnte dem nichts entgegensetzen, da ihre älteren Kollegen sich offensichtlich gemeinsam für Moon entschieden hatten. Mehr als ihre Zweifel vorbringen konnte sie in diesem Fall nicht. Es gab keine Argumente, die sie hätte einsetzen können.
»Doc, wie sieht es mit der medizinischen Versorgung bei der Mission aus?«, erkundigte sich Trish. »Es werden laut Liste einige erfahrene Ersthelfer dabei sein. Ich denke Sandra und ich brauchen nicht mit auf die Reise zu gehen. Es sind ja keine Kampfhandlungen geplant, oder?« »Nein, die Mystery wird nur ein wenig die Nachbarschaft erkunden und soll sich ansonsten aus allem heraushalten.«, bestätigte Mergy die eigentliche Mission. May hörte schon gar nicht mehr richtig zu.
Moon würde das Schiff mit ihrem Nim an Bord kommandieren. Die Bedenken, die sie schon seit dem Einschreiben von Nim hatte, waren nicht geschrumpft. Im Gegenteil. Jetzt machte ihr die Reise richtig Angst. Aber was sollte sie tun? Sie könnte Einwände geltend machen, aber ihre Kollegen wollten Moon eine Chance geben. Beweise hatte sie auch keine. Die einzige Alternative war, selbst das Kommando des Schiffes zu übernehmen, was ihr auch schon angeboten worden war. Das wollte der kleine Kommander aber auch nicht. Sie interessierte sich nicht dafür, was da draußen war. Ihre Familie war hier auf der Station, wenngleich Nim bereits einen ziemlich wichtigen Platz in dieser Familie einnahm.
Ihr Vater war immer noch gegen Nim. Als Nim damals auf die Station zurückgekehrt war, hatte May versucht ihren Freund auch ihrem Vater näher zu bringen, aber das ging mehr als nur nach hinten los. Nim konnte sie keinen Vorwurf machen. Er hatte sich stets von seiner besten Seite gezeigt und war trotz diverser unschöner Andeutungen und diversen Versuchen seitens ihres Vaters, der ihm immer wieder und ohne Umschweife klar zu machen versuchte, er sei nicht der Richtige für May, stets ruhig geblieben. Ihr Liebster hatte sogar Jin in Schutz genommen, weil die Situation quasi über Nacht eine erwachsene Tochter zu haben, für ihn neu war, aber das lag jetzt schon diverse Monate zurück und gebessert hatte sich an der Lage nichts.
Nim hatte sogar die Kurse ihres Familienoberhaupts besucht und seine Kampfsporttechniken erlernt. Aber anstatt ihn objektiv zu beurteilen, stellte er Nim nur immer wieder vor den anderen Teilnehmern bloß, indem er ihn als Demonstrationsgegner benutzte, der natürlich immer verlor und unsanft zu Boden ging. Unzählige Male war Nim auf der Krankenstation behandelt worden, weil er Blessuren und sogar einige Knochenbrüche erlitten hatte. Trotzdem machte er May keine Vorwürfe und es war nie ein Thema zwischen den Beiden, auch wenn May ihren Vater mehrfach lautstark und ohne Wissen ihres Freundes zur Rede gestellt hatte.
Den Rest der Sitzung ließ May in Gedanken versunken an sich vorbei streichen. Sie bemerkte gerade noch wie die Sitzung ein Ende fand und konnte ihre Unaufmerksamkeit unbemerkt hinaustragen. Dachte sie jedenfalls. Mergy hatte die Veränderung schon während der Sitzung bemerkt. Etwas stimmte mit seiner Ziehtochter nicht. Er beließ es aber während der Besprechung dabei, um sie nicht vor ihren Kollegen zu outen. Mergy sprang einfach in ihren Lift und so hatten sie unbemerkt einen Moment zu zweit: »Alles ok, bei dir?« »Ja, ich mache mir nur Sorgen um Nim.« »Das verstehe ich. Aber als Kommander muss man auch manchmal Befehle geben, die einem persönlich nicht gefallen. Egal ob man sie nun selbst gegeben hat, oder man ihnen einfach nur zustimmen muss.«
»Ja, ich weiss, aber es ist nicht einfach und ich traue Moon nicht.«, gab sie mit leicht ängstlichem Unterton zu verstehen, als sich die Türen des Liftes auf der Promenade bereits wieder öffneten. »Gib ihm eine Chance, vielleicht ist er gar nicht so schlimm, wie du denkst.« »Ich hoffe du hast recht.« Mergy bog auf die Krankenstation ab, deren Tür sich bereits hinter dem im anderen Lift gereisten Doc auf der anderen Seite wieder schloss, während May Kurs auf das Sors nahm. Sie hatte weder Hunger noch Durst, aber sie musste nachdenken und ein Stuhl mit Blick auf die Erde war dafür wie geschaffen.
Sor kam ihr, ungewohnterweise, mitten im fast leeren Laden entgegen. Noch bevor May auch nur ein Wort sagen konnte, wurde sie von ihm umarmt und fest an sich gedrückt. Das hatte er noch nie ohne Aufforderung getan und umso überraschter wurde May von dieser Geste: »Danke. So etwas hat noch nie jemand für mich gemacht.« May wusste für einen Augenblick gar nicht was er meinte. Plötzlich wurde es ihr klar. Sie hatte für ihren Freund gekämpft und gewonnen. Auch wenn sie in der Schlacht um Moon's Kommando auf der Mystery keine Argumente vorbringen konnte, so war sie im Fall Sor dennoch siegreich gewesen. Sors Problem war dringlicher. Ihm drohte die Abschaltung und sie hatte für ihn eingestanden, ohne dass es ihr wirklich bewusst war.
»Freunde müssen doch zusammenhalten.«, flüsterte sie in enger Umarmung in sein nicht vorhandenes Ohr: »Du warst immer für mich da und es ist schön, nach all den Jahren auch einmal etwas für meinen grauen Freund mit den komischen T-Shirts tun zu können.« Sor löste die Umarmung und sein riesiger grinsender Mund wirkte aus der Nähe noch gewaltiger, als üblich. May setzte sich ans Fenster und wiegelte eine Bestellung einfach ab. Eigentlich wollte sie hier ihre Situation überdenken, aber Sors Reaktion hatte ihre Angst geschmälert, ihre Gedanken in eine andere Richtung geworfen und etwas zerstreut.
Ein leises Klappern ließ sie den Blick von der blauen Kugel zurück in den Saal schwenken. Der Duft von heißer Schokolade stieg ihr in die Nase. Bevor sie etwas sagen konnte, hatte sich Sor schon umgedreht und war auf dem Rückweg zu seinem Tresen. May musste lächeln und genoss weiter den Blick auf die vorbei drehende Erde. Nur diesmal mit dem Geschmack von Sahne und Schokolade auf ihrer Zunge.
Suki stand derweil in ihrem Quartier oder was davon noch übrig war. Es war buchstäblich ein Gästezimmer geworden. Ja, genau genommen wohnte sie in ihrem eigenen Gästezimmer. Schon mehrmals hatte sie darüber geflucht, aber es war der einzige Weg und heute war es zwingend nötig. Der Doc hatte die Entzugserscheinungen ihrer Schwester in den letzten zwei Wochen in den Griff bekommen. Ohne das Shizuka selbst es auch nur ahnte sorgte ein Chip in ihrem Arm für die Linderung. Die ständigen Krämpfe und das Verlangen waren wie von Zauberhand verschwunden. Shizuka sah auch sonst viel gesünder aus und hatte deutlich an Farbe zugelegt. Die äußeren Wunden waren schon am ersten Tag geschlossen worden, aber die Inneren würden noch deutlich mehr Zeit in Anspruch nehmen, auch wenn die gebeutelte Schwester sich nichts anmerken ließ.
Die Pilotin konnte das Erstaunen im Gesicht ihrer Schwester noch sehen, als der Doc ihre alten, von Entzündungen geschundenen, Narben einfach verschwinden ließ. »Können wir nicht einfach nach Hause fahren?«, maulte Shizuka. »Das könnten wir, aber ich will sie nicht überrumpeln. Das wird gleichermaßen ein Schock und eine große Freude für sie.«, erklärte Suki und forderte Jaque auf eine Gesprächsverbindung mit ihren Eltern herzustellen: »Du sagst erst einmal nichts, ok!« Suki war eindringlich wie schon lange nicht mehr und Shizuka wagte es nicht zu widersprechen. Ihre Schwester war eine Agentin. Sie hatte eine bedeutende Arbeit. Sogar beim Ray Team begegnete man Suki mit großem Respekt. Dadurch wuchs selbiger auch in der kleinen Schwester, die nun gebannt auf den Schirm schaute.
Die Stimme ihres Vaters erklang. Shizuka zog es innerlich alles zusammen. Diese Stimme weckte so viele Erinnerungen in ihr. »Hallo Papa, hier ist Suki. Ist Mama auch da?« »Ja, ist sie. Ist etwas passiert?«, fragte er nun in deutlich besorgterer Stimmlage. »Ja, aber nichts schlimmes. Sitzt ihr gerade?«, fragte Suki sicherheitshalber nach. Ihr Vater lief gerne mal mit dem Telefon durch die kleine Wohnung und wenn die Bombe platzen würde, dann könnte so viel passieren. Suki hatte sich genau überlegt was sie sagen würde und ausgemalt was sie damit auslösen würde. »Ja, wir sitzen und hören dir zu.«, erklärte nun auch ihre Mutter. Shizuka war jetzt vollkommen ihren vom Aufkeimen der schon fasst verblassten Erinnerungen und den damit aufkommenden Gefühlen erlegen. Tränen rannen an ihrem Gesicht herunter und tropfen auf den Teppich.
»Ich bin momentan im Weltraum. Auf der Ray Team Station!«, trällerte die Agentin in den Raum und erntete deutliches Staunen auf der anderen Seite der nicht vorhandenen Leitung. Sie hatte sich sooft gewünscht ihren Eltern von dieser schon so alltäglichen Tatsache zu berichten. »Das ist aber nicht alles. Hier ist jemand der euch sprechen möchte.« »Ja, wer denn?«, fragten ihre beiden Eltern fast zeitgleich. Wer beim Ray Team würde sie wohl sprechen wollen? »Mama, Papa, hier ist Shizuka.«, platze die Bombe mit zittriger Stimme. Erstmal passierte gar nichts. Suki konnte sich vorstellen, wie sich beide unsicher und mit offenem Mund ansahen. Das war zumindest eine ihrer Vorhersagen gewesen. Sehen konnte sie die Beiden ja nicht. »Shizuka, bist du es wirklich?«, fragte die Mutter nun ebenfalls. Es war kein Hellseher nötig, um die Unmengen an Tränen zu spüren, die auch auf der Erde gerade vergossen wurden. Zu deutlich war das Zittern in ihrer Stimme zu erkennen.
Shizuka war unfähig noch etwas zu sagen und heulte nur noch leise vor sich hin. Suki flossen zwar auch Tränen die Wangen hinab, aber sie musste sich zusammenreißen. Jetzt war nicht der Augenblick für Emotionen. Sie war die große Schwester und musste wenigstens jetzt alles richtig machen. »Shizuka weint vor Freude eure Stimme zu hören. Wir kommen gleich nach Hause. Das Ray Team stellt uns ein Raumschiff und wir landen auf dem Dach.«, versuchte sie sachlich zu bleiben. »Ist das wirklich wahr?«, fragte jetzt ihr Vater erstmals wieder deutlich nach und war ebenfalls deutlich zittriger in der Stimme. »Es ist wahr. Heute Abend sind wir wieder alle zusammen!«, bestätigte Suki noch einmal die Lage. Dann wurde die Unterhaltung durch eine Durchsage unterbrochen. Suki war sofort klar, was hier vorging. Jaque wusste von dem Gespräch mit ihren Eltern und Suki konnte auch nicht den Kommunikator in ihrer Hand nutzen, ohne sich zu verraten. Also posaunte die Stimme von Sab laut durch das Zimmer und rief Agentin Suki dazu auf sich zum Abflug in Hangar 3 einzufinden.
Das war nur mehr ein weiterer Beweis für ihre Eltern. Ihre Töchter waren beim Ray Team und würden noch am selben Tag zu ihnen zurückkehren. »Wir müssen los, sonst verpassen wir unseren Flug. Spätestens in 30 Minuten sind wir da. Bis gleich.«, gab Suki ihren Eltern noch eine zusätzliche Erklärung und beendete die Übertragung. »Mama und Papa haben richtig geweint.«, brachte die selbst als Heulboje agierende Shizuka undeutlich heraus. »Was hast du denn gedacht? Sie haben ziemlich viel geweint in den letzten Jahren. Das haben wir alle!« Die Worte erschienen Suki nach dem aussprechen selbst sehr hart. Bisher hatte sie auf alle Fragen recht ausweichend reagiert. Sie hatte nicht viel von den Tagen, Wochen und Monaten nach dem Verschwinden ihrer Schwester erzählt. Ihren eigenen Sprung vom Dach hätte sie ja auch nicht plausibel erklären können, ohne alles zu verraten.
Die ältere Schwester war dankbar für den kurzen Moment alleine im Schlafzimmer. Sie zog sich um. »Erdkleidung«, nannte sie das schon leicht spöttisch. Der Rollkoffer stand wie immer fertig gepackt und unbenutzt im Schrank. Als sie den Kleiderspender schloss, stand sie sich selbst gegenüber. Einige lange Momente starrte sie in die von Gefühlen aufgewühlten Augen von Erdling Suki. Im Wohnraum kniete Shizuka auf dem Hocker vor dem Fenster und schaute auf die Station und die Sterne hinaus. Erde und Mond waren rotationsbedingt auf der anderen Seite des weißen Schlosses und entzogen sich aktuell ihrem Blick. »Gehen wir!«, holte Suki sie wieder in die Station zurück.
Nachdenklich folgte Shizuka ihrer Schwester durch den Korridor in den Lift, dem Suki direkt und ohne Probleme oder Unsicherheiten in der Bedienung das Ziel nannte. Auf dem Hinweg hatte Shizuka noch ihren Umgang mit der Technologie bewundert. Jetzt hatte sie andere Dinge im Kopf. Ihre Eltern waren so aufgeregt und froh gewesen ihre Stimme zu hören und sie selbst bekam keinen Ton raus. Sie war Schuld und hatte damals ihr eigenes Leben komplett vermasselt. Nein, sie hatte das Leben ihrer ganzen Familie vermasselt. Suki hatte jetzt einen bedeutsamen Beruf und eine Aufgabe, wie sie neidlos anerkennen musste. Was würde sie in Zukunft machen?
Trotz all der verwirrenden Gedanken nahm sie ihre Umgebung deutlich wahr. Als der Hangar sich vor ihnen öffnete und sie die große Halle mit den Mantas und Transportern betraten, war deutlich zu sehen, wie ihre staunenden Augen noch einmal anzuwachsen schienen. »Agentin Yamamoto?«, fragte Nim gespielt unsicher nach. »Ja, das bin ich. Das ist meine Schwester. Wir haben einen Flug nach Tokio gebucht.«, spielte Suki sicher und mit etwas Witz gewürzt die Scharade mit. »Dann sind sie hier richtig. Darf ich bitten?« Nim deutete auf die offene hintere Klappe des Mantas. Offensichtlich sollte er nach dem Absetzen seine reguläre Arbeit antreten und hatte deswegen keinen Transporter bekommen.
Suki und Shizuka setzten sich artig auf die seitlichen Bänke und starrten sich stumm in die Augen. Deutlich war zu hören, wie Nim sich die Startfreigabe holte, während sich auf der anderen Seite die Luke surrend und rumpelnd schloss. Das kleine Schiff hob langsam ab und der Pilot warf einen Blick auf die leicht bedrückte Stimmung im Fond: »Sie können gerne hier vorne die Aussicht geniessen.« Die Worte fanden nur langsam Gehör. Shizuka war trotz der Anspannung neugierig und stellte sich hinter den zweiten Sitz. »Hinsetzen kostet das Selbe!«, erkläre Nim. Er bekam allerdings keine Antwort.
Mit verklärtem Blick sah Shizuka die Station am Schiff vorbeifliegen und die blaue Kugel in der Ferne wachsen, während Suki nun hinten weiter gedankenversunken auf die karge Metallwand schaute. Zu mächtig war ihre Anspannung vor diesem emotionalen Großereignis. Die Schuld, die sich über all die Jahre angesammelt hatte, war zwar nicht gänzlich von ihren Schultern gefallen, aber es war leichter. Die dunklen Erinnerungen nicht mehr in der Kisten ganz unten in ihrem Herzen lagern und wegsperren zu müssen gaben ihr eine Leichtigkeit, die sie schon lange nicht mehr kannte. Die Dämonen in ihr waren längst nicht mehr so mächtig wie noch einige Tage zuvor.
Ihre Schwester war endlich wieder da und wenn man von ihren Drogenproblemen absah, war sie vollkommen gesund. Sie schien zumindest nach außen hin mit der Vergangenheit abgeschlossen zu haben. Innerlich würde sie nach den schrecklichen Erlebnissen wohl nie wieder ihren Frieden finden. »Schau mal! Tokio von oben! Die vielen Lichter. Schön.« Lautlos sauste das leicht ovale Gefährt über den Nachthimmel. Nim hatte keine Ahnung wie ihr Ziel aussah, aber die Koordinaten von Sab waren sehr genau und das er auf einem Dach landen würde, wusste er auch. Leise fauchend näherte sich das Fluggerät der Dachkante und fuhr seine verstümmelt wirkenden Landefüße aus. Für einen kurzen Moment konnte Shizuka ihre Eltern im Lichtschein des Mondes sehen, dann drehte Nim um 180° und setzte auf.
»Mama und Papa stehen da draußen!«, war Shizuka erstaunt. »Was hast du denn gedacht wo die auf uns warten?«, war Suki schon leicht patzig. Ihre Schwester dachte immer noch nicht über den Tellerrand hinaus und das wurmte sie. Während sie sich alle Möglichkeiten tausendmal ausgemalt hatte, bestaunte ihre kleine Schwester nur den Flug und die funkelnde Stadt. Suki stieß unsanft mit der Faust gegen den Schalter neben der Tür. Sofort rumpelte das Portal leicht und teilte sich mechanisch in die zwei Hälften. Das Dach klappte nach oben, während der untere Teil zur Einstiegsrampe wurde.
Shizuka stand bereits neben Suki, als die beiden Personen auf dem Dach vom Licht aus dem Bauch des Mantas bestrahlt wurden. Für einige winzige Momente war es still. Nim konnte zwar auf dem Bildschirm sehen, was passierte, traute sich aber nicht sich umzudrehen. Dieser Moment war für Suki und ihre ganze Familie zu wichtig, als das er als Fremder da stören wollte. Shizuka stürzte direkt auf ihre Eltern zu und wurde mit offenen Armen empfangen. Zögerlich brachte auch Suki die Schritte vom Schiff auf das Dach hinter sich. Immer wieder schauten ihre Eltern ungläubig das wiedergefundene Kind an, strichen ihr die langen Haare aus dem Gesicht und zogen sie wieder fest an sich.
Einige Momente stand Suki ausgeschlossen neben dem Bündel aus Körpern, die durch Arme wie ein Heuballen verbunden wurden. Ihr Vater löste die Verbindung und schloss Suki in das Paket mit ein. Jetzt waren sie nach all den Jahren, den Vorwürfen und Streitereien wieder vereint. Es würde sicherlich noch einige Zeit dauern bis man die Vergangenheit ruhen lassen könne, aber das Schlimmste war endlich überstanden. Da war sich Suki sicher. »Agentin Yamamoto?«, unterbrach Nim die innige Begrüßung nach einigen langen Sekunden und schlagartig sprang der vorher so feste Ballen auf. »Kommander Mergy lässt ausrichten, man habe bereits Ersatz für sie angefordert hat. Ihre Dienststelle gibt ihnen ebenfalls freie Hand. Nehmen sie sich die Zeit die sie brauchen!« Suki lächelte nur: »Danke!« Nim schloss das Tor ins Innere des futuristischen Gefährt und wenige Sekunden verstrichen, bis es leise abhob und im Nachthimmel verschwand.
Die Tränen liefen May das Gesicht herunter, als sich die innere Tür der ovalen Luftschleuse von Turm 2 schloss. Dort war er verschwunden. May kam sich in dem großen Raum verloren vor. Nun war er wirklich weg. Es war zwar nicht die erste Fahrt, die er mit einem der neuen Schiffe machte, aber es würde die längste Zeit werden, die sie bisher getrennt sein würden. 34 endlos lange Tage würde es dauern, bis sie ihn wieder in ihre Arme schließen könnte.
Fast zwanzig Minuten brauchte May, um den Ort wieder zu verlassen. Jetzt war sie wieder alleine. Naja, nicht im Wortsinne alleine, aber die Zeit die sie sonst mit ihrem Freund verbrachte, würde sie jetzt alleine verbringen. »Nein, wird sie nicht!«, schoss es May durch den Kopf. Sie würde dem Rat von Mergy folgen. »Freundschaften pflegen und den eigenen Hobbys wieder etwas Zeit widmen.«, hatte er es damals formuliert. Ja, es war an der Zeit sich auch etwas von Nim zu lösen. Er war nicht da und ihre Tage würden jetzt komplett anders verlaufen, als sie es schon lange gewohnt war. Auch wenn sie ihn jede Sekunde vermisste, so würden etwas mehr Arbeit und Unternehmungen mit ihren Freunden die Zerstreuung bringen, die sie benötigte.
Als erstes ersuchte sie Jaque ihr eines der kleineren freien Labore zuzuteilen. Die Meisten der Räume im äußeren Ring waren bereits vermietet und Wissenschaftler der verschiedensten Länder gingen auf der Station ein und aus. Viele wohnten zeitweise auf der Station und brachten Abwechslung in das Stationsleben, weil man überall neue Gesichter traf, egal wo man sich bewegte. Labor 82 war ihr neues Reich. Es war zwar nur etwa so groß wie ihr Wohnzimmer aber für ihre Zwecke bestens geeignet. Immerhin hatte sie damals bereits ein Motorrad darin gebaut, aber sie wollte nicht wieder Monate lang eine Baustelle in ihrem persönlichen Reich liegen haben.
Nachdem sie einige Stunden damit verbrachte die nötige Ausrüstung herzustellen und in ihren neuen Räumlichkeiten zu verteilen, machte sie sich auf um bei Sor zu Mittag zu essen. Es war nicht wirklich ungewohnt hier alleine nach einem Tisch zu suchen. Oft war Nim nicht in der gleichen Schicht, aber das würde jetzt für die nächsten Tage immer so sein. Also setzte sie sich an den Tisch der nicht mehr ganz so frischen Frischlinge, die sie freudig begrüßten. May ließ von ihren neuerlichen Erlebnissen auf der Station berichten und erfuhr so selbst auch einige Neuigkeiten. Es gab wohl ein neues Holoprogramm bei dem man selbst wilde Autorennen fahren konnte. Die neuen Kadetten bedauerten noch nie die Gelegenheit gehabt zu haben es selbst zu probieren, weil es, wegen der Energiekriese nur in einem der Holoräume, meist nur recht spät am Tag lief und zudem völlig überfüllt war.
Meena und Na Yeon fanden es deutlich spannender ihre regulären Trainingseinheiten im Kampfgleiter in den Holoräumen bald antreten zu dürfen. Die Kadetten hatten fleißig an den ihnen gestellten theoretischen Aufgaben gearbeitet und Sab motivierte sie durch bereits in Aussicht gestellte praktische Arbeiten. May musste an ihre Zeit zurückdenken. Wie oft hatte sie damals geflucht, weil der Terminal die Zusammenarbeit einfach einstellte. Diese kleine Gruppe hatte da wohl weniger Schwierigkeiten. So wie es aussah, fanden sie aber auch Zeit für andere Dinge. Die Dinge, die Mergy immer von May erwartet hatte: »Mit Freunden abhängen und Spaß haben.« Bis auf Suki hatte sie damals niemanden und aufgrund des Altersunterschiedes war es immer schwierig gewesen einen gemeinsamen Konsens zu finden.
Eins fand May sichtlich interessant. Obwohl sich der Altersunterschied zwischen Suki und ihr sich nicht geändert hatte, waren sie jetzt auf einer Ebene. May hatte aufgeschlossen und diese fehlenden Jahre einfach übersprungen. Innerlich musste sie Mergy für die wenigen Momente danken, in denen er sie schon fast gezwungen hatte das Kind in sich heraus zu lassen. Diese kleine Gruppe war zusammen angetreten, das Alter war ausgeglichen und die Interessen und der Hintergrund ähnlich. Sie genossen ihr neues spannendes Leben, ihre gewonnene Freiheit und die vielen abwechslungsreichen Aufgaben, die sie auf ihr zukünftiges Leben beim Ray Team vorbereiten sollten.
Die Kadetten verschwanden nach dem Essen schnell wieder, weil wohl der erste medizinische Kurs beim Doc auf dem Programm stand. Es war keine Spur mehr von den ängstlichen und scheuen Geschöpfen, die sie damals aufgesammelt hatte, zu finden. Auch wenn sie die vormals auf 21 gesetzte Alterseinstufung deutlich unterschritten, hatten alle das gleiche Ziel Kampfgleiterpiloten zu werden. Selbst Jiyai, die schon lange beschlossen hatte eine medizinische Ausbildung zu machen, klang bei dem Gedanken an das Fliegen in einem Kampfgleiter oder Manta richtig euphorisch, auch wenn es vorerst nur ein virtueller Flug war.
May wurde erst wieder aus den Gedanken gerissen, als Sab in ihrem Kopf ertönte. Sie hasste es, wenn das passierte. Sab hatte sich zwar gebessert, aber der fiese Nachgeschmack in der Stimme war für immer in ihrem Kopf eingebrannt. »Die letzte Wissenschaftsgruppe trifft jeden Moment ein. Du bist mit Begrüßen und Einweisen dran.«, blieb Sab sachlich, obwohl sie jeden Grund hatte sauer zu sein. Diesen Termin hatte May komplett vergessen. Hastig schnappte sie sich den flachen Computer vom Tisch und machte sich auf in den Lift. Es waren insgesamt 8 Personen aus Deutschland, Italien und China, die ihre Labore und Quartiere beziehen wollten.
Unterwegs aktualisierte sie noch einmal die Informationen über die neuen Kunden. Ja, es waren Kunden, wenngleich es genau genommen nur die Mitarbeiter der Kunden waren. Es gab auch einige Chefs, die selbst einen Einblick in die vorhandenen Möglichkeiten haben wollte, bevor sie sich entschieden Personal zu entsenden. Sab hatte schon im Vorfeld einige Kandidaten ausgefiltert, die nur einen gratis Ausflug ins All unternehmen wollten und deren finanzielle Situation keinerlei Geschäftsbeziehungen ermöglichten. Dank Jaque konnten aber derartige Versuche minimiert werden und durch die Tatsache, auch so Einblick geben zu können, war diese Art von Besuch weitestgehend unmöglich worden.
Die Tagesschicht war fast vorüber. May kreiste in Gedanken versunken über New York, ihrer Lieblingsstadt, die nach einer relativ ruhigen Nacht gerade wieder zu Leben begann. Immer wieder zwang sie sich die Geräusche der Stadt zu filtern und nach Menschen in Not zu suchen, als Sab sich über den Bordfunk meldete. »Es gibt ein Passagierflugzeug im Anflug auf Heathrow mit Problemen. Das ist was für dich. Naja, das Orakel meint es wäre etwas für dich.« Sab klang wieder sehr freundlich. Es war immer noch ungewohnt sie so zu hören. Man wartete immer auf einen kleinen fiesen Spruch oder zumindest eine barsche Textfrase, die zur schnelleren und effektiveren Arbeit antreiben sollte, aber die kam nicht. »Verstanden.« May brauchte als Kommander keine Erlaubnis für einen Sprung. So fackelte sie nicht lange und öffnete einen Vortex in den Unterraum. Es blieb kaum Zeit das Rot in sich auf zu nehmen, als sich das Ende des Tunnels öffnete und den Gleiter wieder entließ.
Von London wusste May nicht viel. Klar kannte sie die wichtigsten Gebäude, aber die Menschen und deren Lebensart war völlig ihr Fremd. Natürlich waren da Sab, Sandra und der Doc, die neben ein paar Piloten auf der Station das Britische Empire vertraten, aber die waren auch mehr angepasst, als das sie versuchten sich wie echte Briten zu verhalten. Naja, zumindest wirkten sie nicht viel anders und auch ihre Essgewohnheiten unterschieden sich nicht groß von den der anderen Besatzungsmitglieder. Wenn man es genau nahm, tat May es ihnen gleich. Sie fraß sich auch gerne durch alle Kulturen und nur weil ihre Mutter ein Lokal mit ihrer Landesküche betrieb, schätzte May die Speisen anderer Länder nicht weniger.
Es dauerte nur einige kurze Momente bis der Rettungspilot den großen Stahlvogel am Himmel ausgemacht hatte. Das riesige Flugzeug taumelte in der Luft wie ein Blatt Papier. Ein Scan brachte auch keine guten Nachrichten zu Tage. Das Heckleitwerk war schwer beschädigt. Selbst wenn man das Flugzeug jetzt sofort reparieren könnte, wäre es unmöglich es rechtzeitig zu stabilisieren, geschweige denn vor dem Aufschlag hochzuziehen. »Da ist nichts mehr zu machen. Sie werden abstürzen.«, merkte May über die von Sab nach dem Sprung wieder aufgebaute Funkverbindung an. Sab schaute irritiert drein. Hatte May gerade das Flugzeug aufgegeben? Einfach so? »Dann transportiere die Leute da einfach heraus.« »Nein, das dauert zu lange. Selbst ohne Sicherheitsmodus schaffe ich mit dem Gleiter maximal ein Viertel der Passagiere.«, kam wieder nur eine pessimistische Antwort aus dem Mund des kleinen Kommanders.
Trish hatte dem Gespräch zugehört und zog ebenfalls sichtlich irritiert die Schultern hoch, als sich Sab schon fast Hilfe suchend zu ihr umdrehte. »Ich probiere etwas anderes.«, hörten die Beiden in der Kommandozentrale noch und dann riss die Verbindung ab. May schoss mit ihrem Gleiter am Flugzeug vorbei in die Tiefe. Die wenigen Passagiere, die sich nicht mit geschlossenen Augen am Sitz festklammerten, konnten den lila Kampfgleiter für einen kurzen Moment sehen und es keimte gleich ein kleiner Funke der Hoffnung in ihnen auf. Vielleicht besiegelte diese Lage doch noch nicht ihr Ende. Aber erst einmal passierte nichts. Zumindest nicht in der Luft. May sah ihr Ziel bereits. Der Hyde Park im Zentrum Londons. Mit dem Transporter setzte sie sich auf einer großen begrünten Fläche ab und holte tief Luft. Dann verband sie sich mit ihrem Element, während ihr Kampfgleiter mit Autopilot und im Tarnflug unbemerkt über der grünen Insel, inmitten der von Blech und Mauern bevölkerten Landschaft, kreiste.
Erst nur ein Trichter aus Luft, aber dann weiter und weiter dehnte sie ihre Verbindung aus, bis sie das Flugzeug erreichte, welches sich immer noch unaufhörlich trudelnd durch die Luft Richtung Boden schraubte. May nahm noch einmal einen tiefen Zug und dann brüllte sie zusammen mit dem Kampfgleiterschrei, der von der kontrollierten Luft über der Stadt entfesselt wurde, ihre Anstrengung heraus. Den Menschen, die sich an diesem Nachmittag im Park aufhielten, war Mays Ankunft im rotierenden Lichtkegel natürlich nicht verborgen geblieben. Wieder war sie Ziel unzähliger Foto und Filmkameras. Aber niemand hatte eine Ahnung welcher Sensation sie gleich beiwohnen würden. Der kleine Kommander stemmte sich mit aller Gewalt gegen das sich weiter unaufhörlich dem Erdboden nähernde Flugzeug. Mit dem rechten Fuß nach vorne und der linken Hand in den Himmel drückend stand sie in ihrem Lila Kleid auf der Wiese, als würde sie gleich mit ihrem Fitnessprogramm beginnen. Wäre es nicht offensichtlich, dass hier ein Ray Team Kommander stand, hätte man die Aktion auch einfach als »Verrücktes Mädchen schreit im Park« abtun können.
So aber blieben alle Anwesenden auf Abstand und warteten gespannt was passieren würde. Von dem Unheil, welches sich im selben Moment über ihren Köpfen in den Wolken zusammenbraute, hatten sie keinerlei Kenntnis. Auch Sab und Trish tappten sprichwörtlich im Dunkeln. Sie sahen das Flugzeug mit den hochauflösenden Kameras der Ray Team Satelliten vom Orbit aus, aber die dicken flauschigen Wolken, die diesen Tag recht mild machten, versperrten optisch die Sicht auf Mays Position und ließen die Kommander blind in ihrem Kommandostand wortwörtlich auf besseres Wetter warten. Das Flugzeug rumpelte mehrfach und May ließ als erstes die Triebwerke absterben, in dem sie ihnen den zum Betrieb nötigen Sauerstoff entzog. »Die Triebwerke sind jetzt auch ausgefallen! Ich versuche sie neu zu starten!«, merkte der Copilot an. »Selbst wenn die wieder starten, wir schaffen es nicht!«, war der Pilot, wie bereits einige Sekunden zuvor May, dabei die geänderte Lage noch einmal durchzurechnen.
Der Copilot machte als erster die erstaunliche Entdeckung, die er sich nicht erklären konnte: »Wir sinken immer langsamer!« »Das kann nicht sein!« »Sehen sie doch!« »Das müssen starke Aufwinde sein.« »Wir werden weiter über die Stadt getrieben. Ohne die Triebwerke können wir die Maschine nicht mehr von London fernhalten.« Mit aller Macht versuchten sie die größte aller möglichen Katastrophen abzuwenden. Es würde hunderte oder gar tausende von Tote am Boden geben, wenn sich das Flugzeug eine Schneise durch die historische Stadt brennen würde, aber das Flugzeug reagierte schon wegen der massiven Schäden am Heck nicht mehr auf die Bewegungen der Steueranlage. Die, alternativ zur Steuerung nutzbaren, Triebwerke versagten nun ebenfalls komplett den Dienst und ließen sich nicht mehr starten, egal wie intensiv es die Mannschaft versuchte.
Die Gesetze der Physik galten zwar immer noch, aber nur, wenn man die Luft als steuerbare Kraft einrechnete und nicht nur als wetterabhängige Variable. May jedoch spürte die Physik mit all ihrer Gewalt. Das Abbremsen und Umlenken der Energie des tonnenschweren fallenden Metallklumpens forderte ihre Fähigkeit wie schon lange nicht mehr. Der eigene Schrei diente nicht dazu Aufmerksamkeit zu generieren, sondern vielmehr der eigenen Motivation. Längst war die Flugmaschine unter der Wolkendecke angekommen und jetzt konnten auch die Passagiere die Themse sehen, die sich immer größer werdend durch die alte Stadt schlängelte.
Die Nase immer noch auf Sturzflug näherte sich das Geschoss nun auch dem Park und erstmals wurde den Parkbesuchern bewusst, was hier wirklich passierte. Oder besser warum May hier war. Das dieses Mädchen den Jet steuerte war dennoch ohne das nötige Hintergrundwissen nicht einmal zu erahnen. Viele der Menschen rannten um ihr Leben. Zu allgegenwärtig waren die Bilder von explodierenden Flugzeugen, dem glühenden, vom Kerosin genährten, Feuer, wenn es aus den Wracks lief und natürlich die vielen Brandverletzungen, die man bei solchen Gelegenheiten immer wieder in den Medien zu sehen bekam.
Viele der Hobbyfilmer machten keinerlei Anstalten zu flüchten. Das waren die Bilder ihres Lebens und sie dachten nicht einmal daran hier vielleicht auch ihre letzten Bilder zu drehen. Einige zogen sich dennoch hastig, aber immer noch weiter filmend zurück. Niemand, abgesehen von den Piloten, bemerkte in den Adrenalin getränkten Sekunden, die unnatürliche Flugbahn, auf der sich das Flugzeug befand. Es flog seitwärts, schräg, mit der Nase nach unten und viel zu langsam für ein Objekt dieser Größe im unkontrollierten Fall. Der kleine Superheld aktivierte seine letzten Kraftreserven und wie ein Baseball, der mit einer nach oben gestreckten Hand gefangen wird, drückte die riesige Nase des noch riesigeren Flugzeugs schließlich sanft gegen die im direkten Vergleich winzige Hand. Für einen Augenblick schien dieses kleine, ja sogar mehr winzig klein wirkende, Mädchen das gigantische Flugzeug wie ein überdimensioniertes Spielzeug in der Hand zu halten.
Durch die Schäden am Heck gelangte May mit der Luft ins Innere, suchte und entriegelte die Fahrwerksmechanik, die die Räder rumpelnd aus den Flügeln und dem Bug ausklappen und einrasten ließ. Ein letztes Mal holte der kleine Kommander intensiv Luft. Die Nase des riesigen Objekts erhob sich wieder und brachte sich mit dem Heck voran auf eine Höhe, drehte sich zurecht, um dann als ganzes endlich unsanft auf das Fahrwerk zu krachen. Die Last fiel von May ab und sie trennte nun auch die energieraubende Verbindung mit dem Sauerstoff. Ihre Atmung war schnell und der schnaufende Held merkte erst jetzt, welche Energien dieser Einsatz gekostet hatte. Mehr als sie selbst es gedacht hatte. Ihr wurde leicht schwummrig und sie sank auf ihre Knie.
Auf der Station hatte der Doc auch einen Notruf von Mays Gleiter bekommen, der standardgemäß mit den Implantaten des Mädchens die Vitalzeichen überwacht und die Warnsignale an die Station weiter gereicht hatte. Eine Antwort bekam er von May nicht und so war er auf den Kommandostand der Station geeilt, wo Sab ihm auch keine schlüssigen Neuigkeiten mitteilen konnte. Immer noch versperrte ein dichtes Wolkenband die Sicht. Den Kampfgleiter und dessen Sensoren konnten sie nicht gefahrlos ansteuern, ohne eventuell Mays Aufgabe zu behindern. Vielleicht brauchte ihn May und durch diese Überwachung dann würde man sie oder andere Menschen unnötig in Gefahr bringen.
Dann endlich schob sich eine kleine Lücke in der Wolkendecke an die richtige Stelle. Sofort war klar, warum May nicht antwortete. Wie ein riesiger Fremdkörper parkte das gewaltige Flugzeug mitten im Grünen. Die letzten Male, wenn sie sich so verausgabt hatte, war sie ohnmächtig geworden und hatte Stunden zur Erholung benötigt. Dieses Mal sahen sie, durch die massive Vergrößerung des Bildes, ihre junge Kollegin vor dem Flugzeug knien und schnaufen. Die Türen des Passagierflugzeugs waren bereits geöffnet und die gelben Rettungsrutschen rollten sich deutlich sichtbar aus. Dann sah man wie das Flugzeug evakuiert wurde. May bekam davon nichts mit. Wild schnaufend und der Ohnmacht nahe, rang sie nach der Luft, nach ihrem Element, welches sie dieses Mal nur zu konsumieren verstand. Es dauerte Minuten, bis sie wieder etwas klarer war und sie die blanken schwarzen Schuhe bemerkte, die sich in ihr Blickfeld stellten. Langsam hob sie ihren Blick. Die schwarzen Hosen und das weiße Hemd gehörten dem Kapitän, der ihr die Hand entgegenstreckte.
May zögerte nicht, griff zu und wurde mit festem Zug nach oben gezogen, bis sie noch etwas wackelig, aber schließlich doch auf ihren eigenen zwei Beinen stand. »Danke.«, pustete sie mit einem schweren Ausatmer ihren Dank entgegen. »So wie es aussieht haben wir zu danken.«, lächelte der Uniformierte sie an und erst jetzt bemerkte sie die jubelnde und klatschende Menge um sie herum, die sich nun aus Parkbesuchern, Flugzeugpassagieren und ersten Rettungskräften zusammensetzte, die gerade begannen einzutreffen: »Auch wenn ich keine Ahnung habe, was hier gerade passiert ist.« May schaute sich um und eins war klar. Das hier konnte man nicht einfach mit einem Grabling oder ihrem fliegerischem Können erklären. Ab heute würden ihre Kollegen wirklich ernsthaft Fragen stellen und sie würden wissen wollen, wie der kleine Kommander dieses Wunder vollbracht hatte.
Vielleicht war es an der Zeit zu ihren Kräften zu stehen und sie offen als Teil von May zu präsentieren. Ihre Mutter hatte schon immer Zweifel gehabt, aber die Reaktionen von allen, die bisher ihr Geheimnis kannten, war durchweg positiv gewesen. Es wurde akzeptiert und alles war normal geblieben. Selbst Nim vergaß ihre verschiedenartigen Möglichkeiten, die die Fähigkeit, Luft zu kontrollieren, mitsichbrachte. Ja, mit dem heutigen Tag würde sich einiges ändern und sie war bereit dafür. Ein letztes Mal schaute sie in die umstehende, jubelnde und dankbare Menge, dann ballte sie ihre Hände zu Fäusten und legte sie Überkreuz vor die Schultern. Ein letzter Atemzug, dann schwang sie die sich öffnenden Hände am Körper nach unten und nach hinten weg und schoss in die Höhe. Deutlich konnte sie die »oh»s und »ah»s der Menge hören, dann verschwand sie in den Wolken, wo sie in den Kampfgleiter umstieg und den Rückweg zur Station antrat.
»Ich will sie in der Krankenstation sehen.«, wies der Doc an. »Das wird ihr nicht gefallen.« »Das ist mir egal. Ihre Fähigkeiten beanspruchen ihren Körper bis zur Belastungsgrenze. Nur weil sie heute nicht komplett umgekippt ist, ist nicht automatisch alles in Ordnung.« May ließ den Kampfgleiter automatisch fliegen und wieder versuchte ruhig zu atmen. Erst im Landeanflug wurde sie wieder selbst aktiv und neben der Landeerlaubnis bekam sie auch gleich noch eine Einladung auf die Krankenstation. »Der Doc würde mit Blasrohr und Betäubungspfeilen nach ihr jagen, wenn sie nicht erscheinen würde.«, hatte Sab gesagt. Eigentlich eine ziemlich lustige Vorstellung, aber sie war einfach nur müde und wollte ins Bett. Widerstrebend bewegte sie sich dennoch erst zur Krankenstation, wo der Doc sie wie immer freundlich erwartete und gleich in den Scanner beorderte. »Wenigstens muss darin ich keine blöden Fragen beantworten!«, dachte sich May während das Licht ihren Körper abtastete.
Der Doc schaute auf einem Terminal nach den Daten, ihm entfuhren einige »Hmm« und dann erschien ein kleines Döschen mit Tabletten im Verteiler an der Wand. »Hier. Davon nimmst du jedes Mal eine, wenn du deine Kräfte stärker einsetzen willst. Bei einem Flugzeug, einen Berg oder ähnlichem nimm ruhig zwei oder drei, dann geht es dir schneller besser. Das Mittel gleicht die wichtigsten Defizite in deinem Körperhaushalt aus. Besser eine Tablette zu viel als gar keine!« Hatte er wirklich Berg gesagt? Und warum stellte er keine dummen Fragen zu den Fähigkeiten? »Das war es?«, fragte May unsicher. »Ja, es sei denn du hast noch etwas auf dem Herzen?« »Nein, alles gut.« Sie schnappte sich das Röhrchen und marschierte los. In der Tür blieb der müde Kommander doch noch einmal stehen und drehte sich um: »Was war das gerade?« »Was meinst du?« »Sonst bist du, naja deutlich penetranter, wenn es um meine Versorgung geht.« Der Doc lächelte: »Bisher hattest du keinerlei Mitspracherecht, wenn es um deine Behandlung ging. Jetzt bist du Volljährig. Stand zumindest auf deinem Kuchen.«
»Ich hatte überhaupt kein Mitspracherecht?« »Nein, diesen Part haben Mergy und später deine Eltern übernommen. Jetzt bist du erwachsen, und kannst, wie die anderen Piloten auch, nun in diesen Punkt selbst über deinen Körper und deine Gesundheit bestimmen, auch wenn es angesichts deiner Kommandertätigkeit etwas seltsam klingt.« May lächelte und verzog sich auf die Promenade. Im Lift schaute sie sich das Röhrchen genau an und schluckte eine der Tabletten. Seltsam war das schon. Meistens brauchte man keine Medizin. Jaque platzierte sie einfach im Essen oder in den Getränken. Aber es leuchtete schon ein. Es wäre eine gute Idee, diese Medizin immer dabei zu haben und nicht erst bei der nächsten Mahlzeit zu verzehren. Hunger hatte sie jetzt jedenfalls keinen.
May schleppte sich ins Schlafzimmer und wie so oft zuvor fiel sie einfach aufs Bett und sofort in Tiefschlaf.
Die Prinzessin saß wie fast jeden Morgen im Sors und schlürfte an ihrem Kakao. Schon vorher hatte sie sich informiert ob die Statusmeldungen der Mystery planmäßig eingetroffen waren. Oft waren einige der alle 3 Stunden gesendeten Informationspakete beschädigt. Einige fehlten gänzlich. Sie waren entweder aus Schlampigkeit nie gesendet worden, oder im Unterraum verloren gegangen. Mit steigendem Abstand wurde die Signalqualität immer schlechter.
Dennoch versuchte May nicht an das Schlimmste zu denken. Auch wenn jetzt schon seit 13 Stunden jede Meldung ausgeblieben war, versuchte sie die Gedanken an Nim nach ganz Hinten zu verbannen. Naja, nicht wirklich die Gedanken. Vielmehr die damit aufkommenden Sorgen wurden regelmäßig in einer Kiste hinten in ihrem Schlaukopf verstaut.
In ihren Gedanken versunken bemerkte May ihre Umgebung nicht. Ansonsten wäre ihr aufgefallen, wie sie von der langsam anwachsenden Meute beäugt wurde. Es dauerte, bis ihre Augenwinkel bemerkten was offensichtlich war. War es wirklich das, was sie vermutete? Ohne erkennbar auf die Umgebung zu reagieren, aktivierte sie den kleinen flachen Terminal und wählte eine ihrer persönlich zusammengestellten Nachrichtenquellen aus. Eine weitere Suche war zwecklos. Fast bildschirmfüllend sah sie sich mit dem übergroßen Flugzeug in der Hand. Weiter unten auf der selben Internetseite gab es noch kleinere Bilder von den Passagieren, die das Fluggerät verließen. Der Titel des Ganzen war in Schriftsatz und Farbe an den stählernen Helden angelehnt. »Eigentlich ein logischer Schritt, wenn man nur einen Buchstaben ändern muss.«, dachte May beim Betrachten der Überschrift mit dem Titel: »Supermay!«
Man brauchte kein Experte zu sein und ein folgender Blick in die Runde reichte, denn die damit verbundenen hektischen Bewegungen der Piloten an den Nebentischen, verrieten es. Thema des Tages war May. Freak des Tages vielleicht sogar. »Jaque, aktiviere die Überwachung des Sors und zeichne auf.«, kommandierte May, stand gleichzeitig von ihrem Platz auf und schaute sich um. Ohne etwas in die Menge zu sagen, hatte sie die volle Aufmerksamkeit. »Ja, ich habe das Flugzeug gefangen und ja ich habe dafür keinerlei Technologie benötigt. Ich bin in der Lage mich mit der Luft zu verbinden und diese zu kontrollieren. Dadurch kann ich Schilde errichten, Dinge bewegen und fliegen lassen oder eben auch Flugzeuge in der Luft abbremsen.« May blieb sachlich und monoton, während es im Saal jetzt still war.
Selbst Sor hatte seinen Bestell- und Lieferdienst sofort eingestellt, um sie nicht zu stören. Schlagartig schwebten die kleinen Tabletts mit zentralem Henkel, die neben Salz und Pfeffer auch Ketchup und Tabasco beherbergten, still etwa 30 Zentimeter über den Tischen. Dann flogen sie rotierend zur Decke und weiter durch den Raum und erzeugten dabei verwundertes erstaunen, welches sich bis auf einige kurze Worte nur in Raunen äußerte. May selbst hob auch vom Boden ab und schwebte in knapp einem Meter Höhe über dem Boden in Richtung Tür zur Promenade.
»Das komplette Stationspersonal wird eine Aufzeichnung dieser Demonstration zugesandt bekommen. Ich werde keine weiteren Demonstrationen machen und auch keine weiteren Fragen beantworten!« May legte einen besonders ernsten Ton an, um ihre Aussage zu untermauern. Die kleinen x-förmigen Ufos sausten noch einmal wild rotierend durch den Raum und dann fand jedes einen Tisch und landete sanft. May selbst setzte direkt am Tresen neben Sor zur Landung an, der mit seinen großen Augen ihren Einflug genau zu beobachten schien, obwohl er eigentlich nur ein Bild war und die Sensoren der Station nutzte.
»Tut mir leid wegen dem Trubel hier, aber es ging nicht anders.«, entschuldigte sie sich bei der Maschine aus Licht. »Kein Problem. Das war einmal etwas anderes! Regelrecht interessant.« Sor zog die Mundwinkel hoch. »Jaque schneide die Aufzeichnung der Demonstration zusammen und schicke den Film via Nachricht an das komplette Stationspersonal.« »Ja, Kommander!«, ertönte seine sanft monotone Stimme in ihrem Kopf, während sie sich auf den Lift zu bewegte und die Blicke in ihrem Rücken förmlich spürte.
»Das war ja so cool. Kommander May ist echt der Hammer.«, merkte Shizuka an, die nach ihrer morgendlichen Untersuchung beim Doc auf der Station die erste Mahlzeit des Tages einnehmen durfte, bevor es wieder auf die Erde ging. Suki zog die Augenbrauen hoch: »Der Hammer?« »Findest du nicht? Sie ist nicht nur wunderschön, sie hat auch noch Superkräfte. Was sie damit alles machen kann. Das ist doch voll praktisch.« »Sie setzt ihre Fähigkeiten aber nur ein, um anderen Menschen zu helfen und nicht um sie zu unterhalten oder sich einen Weg zu sparen.«, erklärte Suki und ihrer Schwester entgleisten die Gesichtszüge: »Du wusstest davon?« »Klar, ich habe schon einige Male mit ihr zusammen gearbeitet.«, erwiderte die Agentin schon fast routiniert, obwohl sie schon wurmte bisher nur von Telekinese erfahren zu haben. »Hat sie einen Freund oder eine Freundin?«, wurde Suki weiter gelöchert. »Ja, ich hab sie einige Male mit einem Piloten gesehen.«
Suki musste sich anstrengen, um vage genug zu bleiben und ihrer Schwester nicht das Gefühl zu geben, sie wäre hier Zuhause. »Kenne ich den? Sieht der gut aus?« »Keine Ahnung. Ich habe ihn seit meiner Ankunft nicht gesehen. Wieso willst du das alles wissen?« Shizuka antwortete nicht und starrte durch die Menge hindurch auf die jetzt leere Promenade. »Was ist mit dir los?«, fragte Suki eindringlicher weiter, aber es kam erneut keine Antwort. May selbst hatte sich direkt mit einem Gleiter zur Erde aufgemacht. Ruhe würde sie jetzt erst einmal sowieso nicht bekommen. Jede Person auf der Station würde sie anstarren und tuscheln. »Vielleicht sollte ich morgen einfach einmal wieder etwas sprengen?«, schoss es May durch den Kopf, während sie langsam über das Meer zog.
»May hat es ja ordentlich krachen lassen.«, merkte Mergy auf dem Kommandodeck an, nachdem er die Nachricht gesehen hatte. »Ich bin mal gespannt, wie die anderen jetzt mit ihr umgehen. Vielleicht war es keine gute Idee die Tarnung aufzugeben?«, meldete Trish Zweifel an. »Wäre nach gestern wohl auch ziemlich schwer gewesen.«, fügte Sab der Unterhaltung hinzu: »Sie ist in allen Medien auf der Erde das Thema Nummer eins. Ich denke hier auf der Station wird es nicht anders sein.« »Ich bekomme eine Anfrage vom Pentagon. Haben wir einen Gleiter ohne Kennung im Einsatz?«, war Trish bereits wieder zur Tagesordnung übergegangen.
»Haben wir eine Positionsangabe? Vielleicht ist der Navigationsschild defekt, absorbiert die Signale nicht mehr korrekt und ist für das Radar sichtbar?« Mergy drehte sich wieder zu seiner Konsole um: »Ich aktiviere Sensoren von Satellit 36. Verdammt das Teil ist wendig. Ich erwische es nicht. Jaque kannst du es verfolgen?« »Ja, Kommander. Das Objekt ist definitiv vom Ray Team.« »Ist es?«, ertönte es jetzt zusammen aus den Mündern von allen drei Personen auf dem Kommandodeck. »Es ist Kommander May.«, erklärte der Computer. »Das kann nicht sein, ihr Gleiter befindet sich 200 Kilometer weiter südlich.«, versuchte Sab diese Erklärung zu verwerfen. »Es ist nicht ihr Gleiter. Es ist May selbst.«
»Kannst du die optischen Sensoren auf sie ausrichten und uns ein Bild zeigen?«, wurde Mergy neugierig. Auf dem großen Schirm sah man May über den klaren Himmel schießen. Immer wieder machte sie mit ausgestreckten Armen eine Rotation um die eigene Achse, nur um dann ihre Arme wieder an anzulegen und in eine andere Richtung weiter zu fliegen. »Unglaublich. Ich meine wir wussten sie kann fliegen, aber das?« »Wie schnell ist sie?«, fragte Mergy neugierig nach. »Derzeit Mach 2.1, aber die Messung ist nicht unbedingt genau. Ihrer mögliche Höchstgeschwindigkeit schätze ich, anhand ihrer Richtungswechsel, deutlich höher ein.« »Weitere Objekte am Himmel. Kampfflugzeuge auf Abfangkurs!«, wurde Trish unruhig.
»Sab, teile dem Pentagon mit, um was es sich bei dem vermeintlichen Feind handelt!« »May hat sie bereits bemerkt und ist eine Wende geflogen.« »Die werden sich gleich gewaltig wundern!«, schmunzelte Mergy. Unrecht hatte er nicht, als May plötzlich zwischen den Flugzeugen hindurch schoss, wendete und nun parallel zwischen ihnen flog. Ohne es zu wollen waren die beiden Luftschiffe zu ihrer Eskorte geworden. May streckte ihre Arme aus und rotierte einmal um ihre Achse. Sie genoss es endlich mal frei und ohne die Gefahr ihre Fähigkeiten zu verraten umher fliegen zu können.
Klar hätte sie auch vorher so umherfliegen können, aber wenn jemand vom Ray Team sie beobachtet hätte, wären wieder Lügen fällig gewesen. Auch wenn es ihr leichter fiel auf globaler Ebene zu Lügen und ihr diese Falschaussagen auch keine schlaflosen Nächte bereiteten, gefiel es ihr generell nicht. In der letzten Zeit war das aber nie ein Problem gewesen. Ihre Kollegen hatten, auch wenn keine Fragen mehr kamen, immer geglaubt sie führe geheime Tests mit Ausrüstung durch. Sie freuten sich wohl insgeheim eines Tages ebenfalls frei wie ein Vogel am Himmel zu fliegen. Diesen Zahn hatte sie ihnen heute beim Frühstück gezogen. May war ebenfalls gespannt, wie die anderen Piloten und Kadetten nun auf sie reagieren würden.
Mergy wollte nicht von Anja geliebt werden, weil er Kommander beim Ray Team war und sie wollte keine Freunde, die sich nur für ihre Fähigkeiten und ihren damit erzeugten Ruhm interessierten. Wenn sie jetzt abgelehnt würde, wäre ihr das egal. Sie hatte bereits echte Freunde gefunden und die waren mehr Wert, als jede geheuchelte Bekanntschaft. Jetzt genoss sie erst einmal die Stille, die nur von den wenigen Windgeräuschen unterbrochen wurde, die sie in ihre unsichtbare Flughülle eindringen ließ. Die Soldaten waren sichtlich erstaunt. May winkte ihnen noch einmal zu, legte die Arme an ihren Körper und ließ die Jets hinter sich. Obwohl die Piloten es mit ihren Nachbrennern versuchten, hatten sie keine Chance ihr noch einmal so nahe zu kommen.
Im Tiefflug über das Meer ging ihre kleine Reise gemütlicher weiter. Festland sah die Prinzessin der Lüfte erst wieder, als sie in zentral Afrika die Küste erreichte. Unter ihr lag Kamerun. May kannte das Land zwar von ihren Prüfungen her, konnte es aber aus der Luft und ohne genaue Position und technische Hilfe nicht namentlich bestimmen. Unter ihr lag die Steppe und May reduzierte die Geschwindigkeit und Höhe deutlich, um dieses ihr fremde Land näher zu betrachten. Dichte Regenwälder säumten ihren Weg. Giraffen und Antilopen, die über das flache Land zogen, wirkten auf May fast wie ein Magnet und sie wandte sich von der undurchsichtigen grünen Bewaldung ab. Sie folgte den Tieren einige Zeit und drehte schließlich ab. Eine unpassend wirkende Felsformation in der Ferne erhaschte ihre Aufmerksamkeit. Je näher sie kam, desto mehr waren die die drei Beulen fehl am Platze, die zur Hälfte im Boden zu stecken schienen.
Plötzlich stockte May der Atem und das Entsetzen ließ sogar ihre Konzentration auf die Luft schwinden. Für einen kurzen Moment verlor sie die Kontrolle und drohte sich selbst in den Boden zu bohren. Erst im letzten Moment brachte sie sich in Position und stemmte ihre Beine dem Boden entgegen. Ihre Knie knickten ein und versuchten die harte Landung abzufedern, als wären sie nur aus diesem Grund da. May zögerte. Ihr Blick war starr auf den Boden vor ihren Füßen gerichtet. Sie hoffte inständig es wäre nur eine Täuschung gewesen, aber als sie vorsichtig ihren Kopf hob, zog sich alles in ihr zusammen.
Drei Elefanten lagen dort blutend am Boden. Unzählige Wunden deuteten auf ein wahlloses Abschlachten hin. Der kleine Kommander hatte noch nie einen echten Elefanten gesehen. Sie kannte die mächtigen Tiere nur aus den Filmen und Bildern der Datenbanken, aber diese friedlichen Geschöpfe waren die ersten, die sie mit ihren eigenen Augen sah. Mit Motorsägen waren ihre Stoßzähne aus dem Kopf gesägt worden. Alles war voller Blut. Ohne es zu merken stand sie bereits darin. Unbändige Wut stieg in May auf. Diese anmutigen grauen Riesen hatten niemandem etwas getan. Sie wurden getötet, damit sich jemand einen Aschenbecher oder einen Untersetzer aus ihren Zähnen auf den Schreibtisch stellen konnte.
May strich mit der Hand über die faltige Haut, während sie um das tote Tier herum ging. Zwischen den drei Elefanten machte sie eine noch grausigere Entdeckung. Ein kleiner Elefant lag in der Mitte. Dieses Junge hatte nicht einmal Stoßzähne und wurde nur abgeschlachtet, weil es am falschen Ort war. Die Tränen tropften May bereits vom Kinn, während sich ihre Wut schon mit der Luft verband. Wie eine Feuerwand, die von einem Streichholz, welches man in eine riesige Pfütze aus brennbarem Material wirft, breitete sich die Luft ringförmig um die Elefanten aus.
Er dauerte nicht lange und ein sich schnell bewegendes Fahrzeug war ausgemacht. Eine nähere Untersuchung mit ihrer Fähigkeit brachte die Werkzeuge der Tötung, sowie das Elfenbein zum Vorschein. May schoss senkrecht in die Luft und auf ihr Ziel zu. Wie eine runde Torte, die man Stück für Stück abträgt, formierte sich die Luft neu. Sand und Staub wurde mitgerissen und zog seine Bahn auf den Wagen zu. Schließlich war der Wagen kreisförmig von einer grauen Wand eingeschlossen. Einen Kilometer in jede Richtung konnten die vier Männer sehen, dann war da die Wand von einigen hundert Metern Höhe.
Mergy hatte einmal gesagt: »Angst kann dein Feind sein. Wenn man sie aber richtig einsetzt, ist sie auch dein größter Verbündeter.« Genau diesen Verbündeten rief May nun zur Hilfe. Sie zerlegte aus der Ferne den Wagen, der nun der einzige Schutz der Monster vor dem Ungewissen war. Die Räder fielen ab und der Geländewagen krachte unsanft auf seinen Unterboden. Die Türen knallten, als die Scharniere und Bolzen brachen. Dann flogen sie im hohen Bogen davon und rotierten in der Ferne noch einige Male, bevor sie regungslos liegen blieben. Das massive Dach war genauso spielend entfernt. May drückte und bog die Holme und Rohre zusammen. Mit einem weiteren Knall war es weg. Hinter ihren Waffen versteckend, saßen die Vier ängstlich da.
May musste sich konzentrieren. Die konstante Wand war kein Problem, aber nun wurde es erst richtig interessant. Sie holte noch einmal tief Luft und dann passierte das für die Männer unfassbare. Ein Elefant schritt durch die Staubwand und trabte auf den Wagen, oder was davon über war, zu. Die Männer eröffneten das Feuer, aber es war eben kein echter Elefant. May wartete bis er ganz dicht war und ließ ihn zusammen fallen. Die Gesichter der Männer sprachen Bände. Sie mussten die gruselige Erscheinung für einen Geist gehalten haben und genau das hatte May beabsichtigt. Zwei weitere Elefanten trabten durch die graue Begrenzung und stürmten direkt auf ihre Mörder zu. Wieder wurde geschossen. »Diese Idioten glauben doch tatsächlich sie hätten damit Erfolg gehabt.«, schoss es May durch den Kopf, die oben, leicht hinter der der Luftmauer verdeckt, schwebte.
Einer der Elefanten wurde augenscheinlich tödlich getroffen und er verpuffte in seine Bestandteile. Der Zweite allerdings krachte in den Wagen und schleuderte ihn mit dem Rüssel um seine Längsachse. Die Typen waren schlagartig ohne Deckung. May achtete darauf, niemanden mit den Metalltrümmern zu verletzen oder gar zu töten. Die Waffen entsorgte sie, in dem sie sie einfach, wie den letzten Elefanten auch, in der Luft in ihre Einzelteile zerlegte und in alle Himmelsrichtungen verstreute. »Jetzt könnte ich meinen Gleiter gebrauchen.«, schoss es May durch den Kopf, hätte ihr Plan doch deutlich mehr Nachdruck, wenn sie die nötige Ausrüstung dabei hätte.
Mergy beobachtete die Show zusammen mit den Anderen auf dem Kommandodeck von oben. Eigentlich hatte man genug andere Dinge zu tun, aber Mays neues Ich und die neuerliche intensive und öffentliche Nutzung ihrer Fähigkeiten, war doch Anreiz genug einmal genauer hinzusehen. Mergy fluchte immer wieder, wenn sich eine der kleinen bauschigen Wolken an die entscheidenden Stellen schob und er den Satelliten neu ausrichten musste. Als die Verbrecher auftauchten und May es offensichtlich mit ihnen aufnehmen wollte, beschloss er ihr den Gleiter getarnt zu schicken.
In Mays Kontaktlinsen erschien so plötzlich wieder der Menüpunkt für die Gleiterkontrolle. Sie erkannte sofort, woher das Fluggefährt so plötzlich kam und wer sie da von oben beobachtete. Mit, wenn auch gespielt, leicht missmutigem Blick salutierte May in den Himmel, was auf dem Kommandodeck für einige Schmunzler sorgte. Das wütende Ray Team Mitglied landete im Inneren der, von der staubigen Wand erzeugten, Fläche und forderte vom Gleiter ihre Bewaffnung an. Seit ihrem Training hatte sie nie wieder eine dieser Pistolen in der Hand gehabt und jetzt waren es gleich zwei.
Diese Minikanonen mit Griff, waren den Pistolen, die auf der Erde weit verbreitet waren, optisch nicht unähnlich. Von der Funktionalität waren sie allerdings mehr mit einer Maschinenpistole vergleichbar, mit dem Unterschied und der Möglichkeit auch mal eine Tür in eine Hauswand schießen zu können. Ein Nachladen ware auch erst nach einigen Wochen Dauerfeuer nötig. Wenn man es genau nahm also doch ganz anders als die Waffen auf der Erde, wenngleich sie auch töten konnten. May ließ den Wall zusammenstürzen und presste den Staub wieder auf die Erde. Schlagartig sah es so aus, als wäre alles nur ein böser Traum gewesen.
Mit den Waffen als Verlängerung ihrer Arme lief May langsam auf die Typen zu, die bereits wieder anfingen sich hochzurappeln. Einer der Männer griff zu einem im, wieder auf dem Bodenblech stehenden, Wagen angebrachten Funkgerät und versuchte jemanden anzufunken. Mit einer Salve Projektile, die das Auto vom Heck bis zur Front im Millimeterabstand perforierten, vernichtete sie auch diese letzte Hoffnung auf schnelle Hilfe: »Probleme mit dem Wagen?« Die Vier starrten das Mädchen nur an, während sich hinter ihnen schon wieder unerkannt Elefanten aus dem Staub erhoben.
Erst ein lautes Trompeten ließ die Wilderer aufschrecken und den Ernst der Lage erkennen. »Ihr habt etwas, dass euch nicht gehört!«, stellte May mehr eine Frage als eine Aussage in den nicht vorhandenen Raum. Es gab keinen Zweifel sie wollte das Elfenbein. Die Männer schauten sich unsicher im Umkreis um, aber es war weg. May hatte die Stoßzähne beim Entwaffnen einfach weit aus dem Wagen hinausgeschleudert und die Meute war jetzt genau da, wo sie sie hin haben wollte.
»Das Elfenbein ist weg! Wir haben es nicht mehr!« »Erzählt das nicht mir! Erzählt das ihnen!«, erklärte May mit beiden Waffen hinter die Männer deutend, die sich vorsichtig umdrehten. Einer der Luftelefanten stieg auf die Hinterbeine und trompetete laut über die offene Steppe. Der Boden bebte als das große Tier wieder aufstampfte. Die Männer schauten sich fragend und zitternd an, während sie sich möglichst dicht an den Wagen drängten. May steckte die Waffen hinter den Rücken, wo sie für die in der Falle sitzenden Kerle unsichtbar in den Gleiter transportiert wurden. Mit den nun freien Händen hob sie die Kettensäge auf, an der noch deutlich sichtbar das Blut und die Knochensplitter ihrer Opfer haftete: »Da habt ihr aber Glück. Er gibt sich auch mit euren Zähnen zufrieden.« Die Augen der Typen wurden aufgerissen. May drückte drei der Männer in eine Position, in der sie den Vierten nicht sehen konnten und fixierte sie mit ihren Fähigkeiten. Der Vierte schrie und wimmerte mit dem Krach der aufheulenden Kettensäge um die Wette.
May verpasste dem Typen eine Betäubung und transportierte ihn in den Gleiter. Ein Hologramm von dem was vermeintlich passiert war, sorgte dafür, dass auch der Zweite den Schock seine Lebens bekam. So wiederholte sich das Spiel, bis alle gestapelt im Gleiter lagen. Es dauerte nicht lange, bis May die Behörden via Funk kontaktiert hatte und Koordinaten übermittelt bekam. An einer Station transportierte der Pilot die Vier zusammen mit dem Elfenbein, welches sie als Beweis ebenfalls beim Überflug eingesammelt hatte, nach unten, wo zwei Männer und zwei Frauen in Uniform bereits auf die Pakete warteten.
May selbst zog nachdenklich und langsam eine Kurve bevor sie zur Station zurück kehrte.
»Guten Morgen. Wir haben einiges auf der Liste, fangen wir also gleich an. Der Doc hat eine Meldung zu machen.«, begann Sab die Sitzung. »Ja und ausnahmsweise mal etwas erfreuliches.«, lächelte der Doc: »Wir haben unseren ersten offiziellen Ray Team Bürger. Sadi und Honk haben ein Mädchen bekommen. Stattliche 3534 Gramm schwer, gesund und die stolzen Eltern würden sich natürlich über Besuch freuen.« May freute sich für die Beiden. Honk war jetzt nicht gerade ihr Favorit, aber Sadi sah das wohl schon länger anders. Wenn man es genau nahm, war Honk seit seiner Beziehung mit Sadi deutlich ruhiger und ausgeglichener geworden. Als der Doc vor etwa sechs Monaten darum bat, Sadi wegen ihrer Schwangerschaft aus der aktiven Pilotenliste zu nehmen, hatte Sab noch ein wenig geunkt und ihre üblichen Kommentare abgelassen.
Mergy blieb damals wie immer gelassen und pochte darauf, das Ray Team sei kein Millitärclub und es stünde jedem frei sein Leben so zu leben, wie er es wolle. Jetzt jedenfalls hatte Sab den neuen Super-Jüngling augenscheinlich schon besucht und zeigte eine Seite von sich, die May und wohl auch die anderen Kommander am Tisch, so gar nicht kannten. Immer wieder hob sie die niedlichen Finger und kleinen Füßchen hervor und unterstrich mit den eigenen Fingern einmal mehr auf die Winzigkeit.
»Kommen wir wieder zurück zu den Tagespunkten.«, schob Trish das Thema wieder in die langweilige Alltagsrealität zurück: »May, du hast einige Punkte?« »Ja.«, war May schlagartig auf ihre Arbeit konzentriert. »Wir sind hier um die Menschen zu schützen und wir retten neuerdings auch den kompletten Planeten vor potentieller Gefahr.« May holte weit aus, um zum Punkt zu kommen: »Wir sollten die Tiere nicht vergessen. Ihr habt diese Monster gesehen, die die Elefanten nur wegen ihrer Stoßzähne abgeschlachtet haben. Das muss aufhören!« »Wir können Gleiter, die in Bereitschaft sind, über die Parks bewegen, aber es fehlt uns einfach an Personal um alle Wilderer dieser Welt zu stellen.«, machte Sab einen durchaus zustimmenden und positiven Vorschlag. »Mergy hatte da eine Idee, die man vielleicht umsetzen könnte, um den Wilderern das Wasser abzugraben.«, führte May weiter aus. »Wow, hatte ich? Toll! War ich dabei als ich die hatte?« Mergy hatte keine Ahnung wovon sein kleiner Schützling da redete.
»Du hast einmal gesagt, wenn wir Geld reproduzieren würden, dann würden wir der Wirtschaft schaden.« »Ja, so etwas in der Art habe ich durchaus einmal gesagt.« »Gut, ich denke wir sollten der Wirtschaft schaden. Der Wirtschaft der Elfenbeinhändler. Wenn wir in Massen repliziertes Elfenbein zu Niedrigpreisen auf den Markt werfen, dann sinken die Preise ins Bodenlose und es lohnt sich nicht mehr Elefanten zu töten.« »Eigentlich eine gute Idee. Wir müssen mit den Behörden sprechen. Die Einfuhr von Elfenbein in die meisten Länder ist bereits verboten, führt aber nur zu erhöhtem Schmuggeln.«, hatte sich auch Tin anscheinend schon früher mit dem Thema beschäftigt.
»Müssen wir doch gar nicht!«, war es wieder May, die ihren Plan weiter untermauerte: »Sollen die doch weiter Schmuggeln. Wenn wir denen jede Woche einige Container Elfenbein auf die Straße setzen, dann werden die nicht weniger verkaufen wollen, sondern mehr. Sie gehen mehr Risiko ein und werden erwischt. Oder sie verkaufen mehr und die Preise sinken.« »Ich denke wir sollten alle darüber nachdenken und in einer späteren Sitzung werden wir darüber entscheiden, wie wir vorgehen.«, führte Sab die Sitzung weiter: »Was hast du noch?« »Ich hätte da noch etwas. Das paßt gerade zum Thema. Wenn es dir recht ist.«, war es Daneen, die meistens nur Aufmerksam zuhörte und nur Fragen stellte, wenn es für ihre Aufgaben potentiell interessante Punkte gab. May nickte.
Sab erteilte Daneen das Wort und sie übermittelte den Dank der Sea Sheppards für die Hilfe des Teams. Es hatte einen Zwischenfall gegeben. Nicht der Erste, wie alle am Tisch wussten, aber ohne das Team hätte die Organisation ein weiteres Schiff verloren und die Mannschaft hätte auf kleinen Booten und Rettungsinseln auf Hilfe warten müssen. »Vielleicht können wir mehr tun. Wäre auch in Mays Interesse.«, war es Mergy der das Wort an sich zog: »Da gab es doch diesen Unfall mit dem Hubschrauber. Der Pilot ist verletzt und sie haben keinen Ersatz für die Maschine. Ich denke wir sollten einen Manta dort stationieren.« »Du willst einen Manta an diese Gruppe abtreten?« »Natürlich nur mit Piloten!«
»Viel spaß. Ich glaube kaum das jemand Lust hat auf so einem Kutter anzuheuern, wenn er im Weltall mit Raumschiffen die Welt retten kann.« »Doch wenn ich mich recht erinnere gibt es da jemanden der begeistert wäre. Jaque prüfe die Datenbank der Piloten zum Thema.« »Gibt es nicht!«, warf May ein: »Ich habe sie alle gelesen.« »Nicht in den Standardfeldern, sondern in dem Überraschungsquiz.«, schmunzelte Mergy. »Du hast dir die Aufzeichnungen angesehen?«, war nun Trish überrascht. »Ich bin noch nicht durch, aber ist ganz interessant. Die waren ja dazu gedacht sich einen Eindruck zu verschaffen und das mache ich. Naja, immer wenn ich nicht schlafen kann, schaue ich nochmal ein oder zwei.«
May konnte sich gut an ihren Test erinnern. Eigentlich wollte sie gerade ins Bett, als der Computer die unerwartete kleine Prüfung ausspuckte. Teilweise belanglose Fakten, teilweise Fragen zu ihrer Meinung zu allerlei Dingen. Nichts was man einfach so mit ja oder nein beantworten konnte. Die Antworten waren deutlich anspruchsvoller. Fachwissen und Rechenkünste halfen da genauso wenig wie die späte Uhrzeit. Was sie von der Aufgabe des Teams hielt? Warum sie Pilot werden wollte? Wem würde sie auf keinem Fall vertrauen? Unweigerlich zuckte May gleichermaßen zusammen, wie ihr ein Grinsen entfuhr, welches nicht unbemerkt blieb. »Deinen habe ich schon gesehen! War sehr informativ!«, brachte es Mergy auf den Punkt und zwinkerte Sab zu, die anscheinend noch keine Ahnung hatte. Wem sie niemals trauen würde? Mays Antwort war von Unbehagen und Unwissenheit geprägt gewesen. Sie kannte kaum Menschen auf der Station und die einzigen sonstigen Kontakte waren Sor und die Stimme in den Nahrungsverteilern und den Liftsystemen. Eine Stimme der sie nicht traute. Sabs Stimme!
Wrecker war die Person die Jaque als besagte Person ermittelte. May kannte ihn kaum. Sein Spitzname kam wohl noch aus den Trainings, bei denen er regelmäßig seine virtuellen Gleiter zerstörte. Mittlerweile hatte er diese Peinlichkeit überwunden, aber den Namen dennoch offiziell angenommen. Vielleicht sollte das seine Bereitschaft signalisieren, gerne für die gute Sache einen Gleiter zu opfern, wenn es nötig war. »Wenn wir Wrecker da herunterschicken, dann ist er dem Kapitän unterstellt und er sollte auf dem Schiff stationiert sein. Die durch die Anflüge zur Station eingesparte Energie sollte den von Sab so geliebten Energiehaushalt nicht belasten. Im Gegenteil. Er kann diese Energie nutzen, um Nahrung und Diesel für das Schiff zu erzeugen. Naja, würde ich mal so schätzen.«, setzte Mergy seinen Vorschlag in einen brauchbaren Rahmen. »Ja, dürfte in etwa hinkommen.« »Wenn es keine Einwände gibt, würde ich das mit Wrecker besprechen und dann kann Daneen die Sache mit den Sheppards klären.«, schloss Mergy seinen Vorschlag ab, der von allen Seiten akzeptiert wurde.
»Was haben wir sonst noch?« »Wir sollten alle Abteilungen der Station an diesen Sitzungen beteiligen. Nicht als Pflicht, sondern nur wenn sie teilnehmen wollen.«, nahm May ihre vorher zugeteilte Redefreiheit wieder auf. »Welche denn noch?«, war es nun Mergy, der erstaunt über diese Idee nachfragte. »Sash mit ihrem Friseursalon. Mama mit ihrem Lokal, Papa mit seiner Karateschule und auch Sor verdienen eine Möglichkeit sich zu Problemen oder Wünschen zu äußern. Nicht jeder mag es direkt einen Kommander im Gang oder ihn beim Essen anzusprechen. Vieles wird bestimmt nur verdrängt, nur weil man niemanden stören will.«, legte May nach.
»Wir können nicht alle Internas gegenüber dem restlichen Personal offenlegen.«, war Sab mal wieder auf dem Zug der Geheimniskrämerei und des Vertuschens aufgesprungen. »Müssen wir ja auch nicht. Sie bekommen die Möglichkeit an den Sitzungen teilzunehmen und vorzusprechen. Wenn alles gesagt und geklärt ist, oder niemand teilnimmt, dann gehen wir zum normalen Tagesgeschehen über.« »Dann sollten wir vielleicht eine Art gewählten Sprecher für die restliche Mannschaft einführen, der hier stellvertretend für dritte Vorspricht, oder, falls nötig auch Piloten und Kadetten hier vorsprechen läßt.«, hatte Mergy die Linie der Gleichberechtigung direkt an Sab vorbei gezogen.
Die hochgezogenen Mundwinkel von May sprachen Bände. Hatte sie nur eine Möglichkeit gesucht, den Abteilungen zu helfen, hatte Mergy gleich jedem auf der Station diese Möglichkeit eingeräumt. »Ich denke das ist alles in allem eine gute Idee.«, brachte sich nun auch Trish ein: »Da hätte ich auch schon mal selbst drauf kommen können. Schließlich sind wir keine Diktatur und versuchen alles Gemeinschaftlich zu lösen. Es scheint wir haben intuitiv vieles richtig gemacht, sonst wäre es sicher schon zu einer Meuterei gekommen.«
»Jaque, wie sieht es aus?«, fragte Sab in den Raum. »Bisher wurden keine Signale oder Signalbruchstücke empfangen.«, ertönte es für alle hörbar von der Decke. »Damit haben sie bereits zwölf Meldetermine verpasst.« May war angespannt. Sie hatte komplett vergessen danach zu fragen. Das Gemetzel an den Elefanten und die Offenlegung ihrer Fähigkeiten hatten die Oberhand gewonnen und sie abgelenkt. Die Mystery war verschollen. Nim war verschollen! »Wir müssen sie suchen!«, war es Mergy, der May die Worte förmlich aus dem Mund nahm und damit heraus platzte. Wenn man es genau nahm, war May deswegen sogar froh. So war sie nicht die überreagierende Freundin, sondern konnte die, in Wahrheit nicht vorhandene, Distanz wahren. Innerlich war die vorher da gewesene Angst wieder zurück und um ein vielfaches stärker als vorher nagte sie an ihr. Fragen über Fragen schossen der Prinzessin durch den Kopf.
»Ich denke da sind wir uns einig.«, war Sab erstaunlicher Weise sofort der seiner Meinung: »Die Vanquist sollte eigentlich in zwei Stunden die Hope ablösen. Sie ist abflugbereit und die Mannschaft ist ausgeruht. Wer übernimmt das Kommando?« »Ich mach das!«, hörte sich May sagen, noch bevor sie richtig darüber nachgedacht hatte. »Bist du sicher?«, fragte Mergy vorsichtig nach, um ihr nicht das Gefühl zu geben, man würde ihr die verantwortungsvolle Aufgabe nicht zutrauen. May nickte, während ihr Kopf noch daran arbeitete die eigentliche Entscheidung zu verarbeiten. »Wir brauchen medizinisches Personal und Grabbler sollte mitfliegen.«, erklärte Tin. »Grabbler? Ich dachte er wäre dir ein Dorn im Auge?«, war Trish sichtlich überrascht diesen Namen zu hören. »Er ist gut. Sein Verständnis für unsere Technik ist überragend. Man muss ihn nur unter Kontrolle halten. Was in der Theorie gut aussieht, muss in der Praxis nicht genauso gut funktionieren.«
»Gut, dann sollten wir die Mannschaft informieren.« »Ich will die Besatzung vorher im Backbord-Hangar der Vanquist sehen. Es soll niemand mitfliegen, der nicht will.«, war nun May erstmalig seit ihrer Zusage wieder aktiv beteiligt. Mergy beendete die Sitzung, damit sich jeder an die ihm zugeteilten Aufgaben machen konnte. May berichtete erst einmal ihrer Mutter über die Geschehnisse und ihre Entscheidung. Natürlich war Reiko nicht begeistert ihre Tochter auf dieser Rettungsmission zu wissen, aber sie hatte auch keine Möglichkeit ihr Mädchen aufzuhalten. Das hätte wohl niemand geschafft. Der kleine Kommander hielt es kurz und setzte seinen Weg auf die Vanquist fort, wo ihre Kammeraden schon im ausladenden Hangar warteten. May selbst war noch nie hier gewesen.
Die Schiffsdokumentation und dessen Aufbau hatte sie bereits vor Monaten gefressen, aber gesehen hatte sie noch nichts von alle dem. Mittig vor der ihr erwartungsvoll entgegenblickenden und gar nicht mehr so viel älter wirkenden Gruppe stoppte sie: »Hallo zusammen. Ihr habt bereits erfahren, was passiert ist und was wir vor haben, also fasse ich mich kurz. Sollte jemand diese Mission nicht antreten wollen, so habe ich dafür vollstes Verständnis. Das Ray Team stand immer für den Schutz der Menschen auf dem Planeten, daher bitte ich jeden, der die Teilnahme verweigert sich bei mir persönlich innerhalb von 15 Minuten hier abzumelden, damit wir Ersatz finden können. Das war es auch schon. Abflug ist wie geplant um 15 Uhr.« May blieb im Raum stehen, um etwaigen Missionsverweigerern die Chance zu geben sich diskret bei ihr zu melden, aber einzig Sandra und Jiyai blieben zurück und kamen auf sie zu.
»Kommander May, ich würde gerne an der Mission teilnehmen!«, war es Jiyai, die ungewohnt förmlich das Wort an May richtete. »Du weißt es kann da draußen gefährlich werden? Was da vielleicht auf dich zu kommt hat so gar nichts mit den normalen medizinischen Aktivitäten auf der Station zu tun.«, versuchte May den Jüngling auf die Konsequenzen hinzuweisen. »Ja, ich weiss. Ich will helfen und meinen Teil dazu beitragen.« May schmunzelte. Hatte sie vor vielen Jahren bestimmt auch nicht anders auf Mergy gewirkt, als sie ihn um die Teilnahme an der Prüfung gebeten hatte.
Die damalige Aufgabe war aber nur ein Spiel verglichen mit dem was auf Jiyai zu kommen könnte. »Nun ich habe in der medizinischen Abteilung nichts zu sagen. Wenn Doc und Sandra denken du wärst eine Hilfe und sie dich dabei haben wollen, dann spricht von meiner Seite nichts dagegen.«, erklärte May. »Wollen sie!«, war es Sandra die sich nun erstmals in die Unterhaltung einmischte. »Wenn das so ist, willkommen an Bord!« »Danke!«, war Jiyai sichtlich froh einer so wichtigen Mission beiwohnen zu dürfen.
Beide verschwanden und ließen May in der Halle zurück. Das Mädchen ließ den großen stillen Raum auf sich wirken. Eigentlich war er wie der Hangar auf der Station aufgebaut. Nur die Flügel des Buchstaben T fehlten. Der Hangar bestand nur aus einem Tunnel, an dessen Rückwand die Mantas im Regal parkten. Lediglich ein Transporter, der einige Meter vor dem Regal parkte und die Standardkonsole auf der anderen Seite des Regals, zerstörten die Symmetrie. Das Zugangstor war seitlich, einige Meter neben der Konsole angebracht. So hatte man von der Konsole freien Blick ins All und niemand konnte durch die Tür in den Hangar ohne bemerkt zu werden. Der Blick nach draußen war aktuell allerdings noch durch die massiven Rolltore versperrt.
Anscheinend wollte niemand von der Reise zurücktreten, was May positiv stimmte und den Team- und Familienfaktor untermauerte. Alle waren für einander da. Auch in dieser heiklen Situation. May prüfte die vollständige Anwesenheit der Besatzung und nahm die noch fehlenden Personen direkt an der Schleuse in Empfang. Der Kapitänsneuling wusste es nicht, aber sein Vorgehen war dem einer Kreuzfahrt auf der Erde nicht unähnlich. Ihr Vater fand sich, zu ihrem Erstaunen, ebenfalls vor dem ovalen Loch im Turm ein und versuchte May von ihrem Vorhaben abzubringen. Aber May weigerte sich. Auch die Seitenhiebe, sie würde diese Rettungsmission nur wegen Nim machen, der sich sich selbst unverantwortungsvoll in Gefahr gebracht hätte, ließen May in keinster Weise von ihrem Entschluss abbringen. Im Gegenteil. Ihr Vater stichelte wie schon unzählige Male zuvor gegen ihren Freund, was ihr bitter aufstieß. Es war vergeblich.
»Alle Systeme geprüft und bereit!«, meldete Charlie, der sonst immer das Kommando der Vanquist hatte und nun als Stellvertreter fungierte, beim Eintreten von May auf der Brücke. May setzte sich auf den zentralen Stuhl und gab den Befehl die Tubes einzuholen und die Schotts zu schließen. Die Tubes sahen von Außen wie ovale Rohre aus, welche wie ein Teleskop bis zu 12 Meter ausgefahren werden konnten. Von Innen sah sie aus wie ein normaler Stationskorridor, der die Verbindung zwischen zwei Schiffen oder eben auch mit der Station herstellen konnte. Nach einem weiteren Befehl setzte sich das gewaltige Schiff langsam in Bewegung. Meter um Meter schoben sich die Türme der Station an den Fenstern nach hinten, bis das Schiff nur noch vom Weltraum umgeben war.
»Eingehendes Signal von der Station!«, meldete Hati und legte auf Mays Anweisung hin das Signal auf den zentralen holographischen Schirm, auf dem man sogleich Sab, Trish und Mergy sehen konnte. »Seid vorsichtig da draußen und holt unsere Leute heil zurück!«, gab Mergy eine mehr oder weniger unsinnige Anweisung. »Verlasse dich darauf!«, feuerte May schnippisch zurück und erteilte die Sprungerlaubnis. Mit dem Unterraumsprung riss auch die Verbindung ab. Jetzt waren sie wirklich auf sich selbst gestellt. Die letzten bekannten Koordinaten der Mystery wurden als vorläufiges Ziel definiert und May gab Anweisungen nach weiteren Signalen oder Zeichen zu suchen. Egal ob von der Mystery oder von den Draken. Alles wäre hilfreich.
Der Kommander selbst zog sich in ihr Büro zurück. Ja, es war jetzt offiziell ihr Büro und auch wenn es mit dem der Station identisch war, fühlte es sich fremd an. Die Figuren auf dem Tisch fehlten genauso wie das Bild von Mergy und ihr auf dem Motorrad. Ja, selbst das Bild von Mergy und Anja, welches seit einiger Zeit dort parkte, fehlte ihr. Das Rot des Unterraums schimmerte durch die beiden Scheiben hindurch in ihr neues Domizil und machte den Ort auch nicht gerade vertrauter.
Dreißig Stunden waren sie bereits unterwegs, als May im unteren Bett ihrer Kabine geweckt wurde. Ja, auch hier hatte man auf den Luxus für Vorgesetzte verzichtet und das komplette Personal hatte die gleichen Räumlichkeiten. Einzig die Tatsache, eine Einzelunterbringung bekommen zu haben, konnte sie ihrem Rang als Kommander und jetzt zusätzlich noch Kapitän verbuchen. Ansonsten waren es die selben Kabinen, mit Nasszelle, Tisch, Stühle und Nahrungsverteiler, die sie damals schon in der Wüste aufgestellt hatten. Das kleine Fenster ließ die wabernden roten Lichtstrahlen ins Innere. Niesha teilte ihr mit, man hätte einen Funkruf der Draken aufgefangen, der, nach einer vorläufigen und noch unvollständigen Entschlüsselung, wohl ein Ruf nach Verstärkung war. »Können wir den Ursprung der Nachricht ermitteln?«, wusste May, es würde jetzt ernst werden. »Ist bereits geschehen. 23 Minuten bei maximaler Geschwindigkeit.« »Kurs setzen. Maximale Geschwindigkeit.«, bestätigte May den Vorschlag und Sonny setzte die angewiesene Flugrichtung.
Der noch unerfahrene Kapitän machte sich auf den Weg zur Brücke, wo sie auch dem Rest der Mannschaft den Ernst der Lage bekannt gab: »May an die Mannschaft. Stationen besetzen und Kampfbereitschaft herstellen.« »Geschwindigkeit reduzieren. Folgende Sprungkoordinaten an die Mantas.«, wies May an und verteilte die Aufgaben: »Die Draken können wahrscheinlich Unterraumaktivitäten erkennen. Bis zum Sprung mit Minimalenergie fliegen!« Die Mantas flogen in den Unterraum und verteilten sich, während die Vanquist sich weiter auf direktem Kurs näherte. »Sobald wir gesprungen sind, ausweichen und volle Energie auf die Schilde. Einen kompletten Scan des Gebietes anfertigen.«, ging May weiter ihrer Aufgabe nach. Niemand zweifelte oder hinterfragte ihre Anweisungen und May selbst war so auf die Rettung der Mystery und das weitere Vorgehen konzentriert, dass sie weder an Nim, noch an die ungewohnte Situation selbst dachte.
»Registriere massives Waffenfeuer im Normalraum!«, meldete Charlie, der die Waffenkonsole besetzt hielt. »Dann los! An alle Sprung!«, kommandierte May über einen offenen Kanal an alle Flachdrachen. Als sie den Normalraum erreichten, waren sie noch einige tausend Kilometer vom Schlachtfeld entfernt, aber nur so konnten sie gefahrlos in den normalen Raum springen, ohne von den Draken noch vor dem Eintritt ins Visier genommen zu werden. Die kleine Flotte näherte sich schnell dem Kampfgebiet, während die Draken den neuen Zielen Priorität zuschrieben. »Da ist die Mystery! Sie ist schwer beschädigt. Keine Kommunikation möglich.«, meldete Niesha.
»Volles Waffenfeuer auf die Kreuzer.«, wies May an und die massive Strahlenkanone entlud ihre tödliche Ladung in einem geraden roten Strich, der mittig auf einem Drakenschiff endete. Endlose 20 Sekunden dauerte es, bis der Strahl Auswirkungen zeigte. Kleinere Explosionen deuteten Schaden auf dem Drakenschiff an, aber die große Zerstörung blieb aus. Die Vanquist wurde massiv geschüttelt. Sie bebte förmlich. »Schwere Schäden am Backbordhangar.«
»Rolle um die Längsachse ausführen. May an Grabbler, wir brauchen angepasste Schild und Waffenkonfigurationen.«, war May bei der Sache, erkannte aber, den bereits alles andere als guten Ablauf ihres Einsatzes: »Den Geschützen der Kreuzer ausweichen.« »Die Mystery sieht nicht gut aus. Noch ein oder zwei Treffer und die brechen auseinander.«, war Niesha deutlich besorgt um das Schwesterschiff als sie die gesammelten Daten auf ihrem Schirm prüfte. »Sonny setze uns zwischen die Mystery und die Draken.«, wies May an.
»Dann kann ich die Draken nicht mehr mit der Hauptwaffe erfassen.«, brachte Charlie die Konsequenzen der Aktion laut in den Raum. »Unsere Waffen sind derzeit sowieso nutzlos. Wir müssen die Mystery evakuieren und hier verschwinden!«, gab May weitere Anweisungen. »Das ist unmöglich, wenn wir die Schilde für den Transport auch nur teilweise senken sind wir erledigt. Wenn wir hier warten sind wir ebenfalls erledigt.«, widersprach Charlie seinem Kapitän, nicht ohne ihre vorherigen Anweisungen trotzdem auszuführen.
May spielte in ihrem Kopf alles durch, aber egal wie sie es drehte. Sie hatten keine Chance die Mystery oder deren Besatzung zu retten, ohne selbst schwere Schäden davon zu tragen. Die Mantas taten ihr bestes und vernichteten die kleinen Jäger, aber selbst diese Aufgabe war nicht so einfach wie noch einige Monate zuvor. Die kleinen Biester waren deutlich zäher und hielten dem normalen Waffenfeuer stand, während die Mantas nur ausweichen konnten, um nicht selbst schwere Schäden zu erleiden.
»Registriere weitere Unterraumaktivität. 22 Vortexe öffnen sich!« Niesha war in Panik. Ihre Stimme war laut und vibrierte vor Angst. Auch May konnte sich ein »Oh, nein!« nicht verkneifen. Die Verstärkung für die Draken war da. »Sie eröffnen das Feuer!«, meldete ihre Kollegin an den Sensoren ängstlich zitternd noch bevor die Schiffe den Vortex verlassen hatten. »Die – die – die feuern auf die Draken!«, hatte die Verwirrung Oberhand gewonnen. »Was?«, erhob sich May von ihrem Sitz und schaute aus dem seitliche Fenster, wo sie die massiven Explosionen der ersten Drakenkreuzer sehen konnte.
»Bestätigt. Die Freund–Feind Erkennung identifiziert die Schiffe als 85% Seem!«, brachte Charlie die Erklärung noch bevor May einen genauen Blick auf die unbekannten Schiffe werfen konnte. Die Angreifer drehten von den angeschlagenen Ray Team Schiffen ab und wendeten sich den neuen wirklich bedrohlichen Raumschiffen zu. »Empfange Waffen und Schildkonfiguration von Grabbler! Soll ich sie verteilen?«, fragte Charlie seinen Kapitän. »Konfigurationen verteilen! Kanal zu den Mantas öffnen. Angriffe mit den Seem koordinieren. Kurs ins Kampfgebiet setzen und Feuer frei mit allem was wir haben!«, wies May an. Das riesige Kriegsschiff der Menschen drehte bei und flog nun mit allen Kanonen und Geschützen wild um sich ballernd mitten in die Kampfzone.
Die Oberhand der Draken sank binnen weniger Minuten in eine Unterzahl, bis schließlich auch der letzte Kreuzer vernichtet und die letzten Jäger ohne Energie im All trieben oder vernichtet wurden. »Zurück zur Mystery. Medizinisches Personal und nicht benötigte Repligens auf die Mystery transportieren. Kanal zu den Seem öffnen. Hier spricht Kommander May vom Ray Team. Vielen Dank für ihre Hilfe.« Auf dem Bildschirm erschienen die Seem, bei deren Anblick die anderen Besatzungsmitglieder auf der Brücke leicht zusammenzuckten.
»Kommander May. Es ist uns eine Ehre. Wir befinden uns auf einer wichtigen Mission und können leider nicht länger hier verweilen.«, ertönte es aus der Kommunikation. »Sie haben mehr getan, als wir hätten erwarten konnten. Vielen Dank und gute Reise!«, verabschiedete sich der Kommander und die Verbindung wurde beendet. In der Ferne konnte man die ovalen Eier mit Aufbauten in den roten Tunneln verschwinden. Lediglich ein Schiff blieb zurück und wurde noch von einigen Repligen repariert, wie May auf Nachfrage erfuhr.
Nachdem May das Kommando wieder an Charlie übergeben hatte, machte sie sich auf in die medizinische Abteilung, wo die ersten Verletzten eingetroffen waren. May schnappte sich einen Autodoc-Koffer und ließ sich ebenfalls auf die Mystery transportieren. Auch wenn sie der Kapitän war, so war sie auch ausgebildetes medizinisches Personal und dürfe sich dieser Aufgabe nicht versperren, nur weil sie zusätzlich auch der Kapitän war. Das jedenfalls hatte sie auch Charlie erklärt, als dieser unsicher fragte wohin sie verschwinden würde.
Der Transporter setzte sie auf Ebene 2 des Ray Team Kreuzers ab. Es sah schlimm aus. Wand und Deckenelemente lagen am Boden oder versperrten komplett verbogen den Weg oder zumindest die Sicht. Verbindungsleitungen und technische Komponenten aus den Wänden und Decken lagen, wie die Bildschirme defekt oder flackernd mitten im Korridor. May schloss ihre Augen und tastete die Trümmer ab. Sie vernahm ein leichtes Schnaufen in einem der kleineren Seitengänge. Es dauerte bis sie sich ihren Weg durch die Trümmer gebahnt hatte. Schließlich, unter einem der großen Bildschirme im Gang, fand sie Sash.
Der Bildschirm war schnell aus dem Weg geräumt und Sash schaute sie mit großen Augen der Verwunderung an. »Keine Panik, ich bin es wirklich. Die Vanquist ist hier um euch zu holen!«, erklärte May grob die Sachlage, um keine Zeit zu verschwenden. Sash hatte große Schmerzen und May wurde schnell klar, warum. Ein massiver Träger hatte sich in ihren rechten Oberarm gebohrt. »Hey, das wird jetzt etwas weh tun. Ich frier dich danach sofort ein. Ok?«, erklärte May ihr weiteres Vorgehen. Sash konnte nur ein wortloses »Ja« von sich geben, während May ihr den Autodoc an den anderen Arm legte.
Die Retterin holte schließlich tief Luft, suchte sich einen Punkt des Trägers und stemmte sich mit aller Gewalt gegen dessen Seiten, die sich nach innen verbogen und die Stabilität reduzierten. Dann schließlich brach der Träger und schwebte über dem Stationsfriseur in den Gang und krachte zu Boden. »Du hältst gefälligst durch!«, wies May Sash an: »Du machst jetzt hier nicht schlapp, verstanden!« May wartete nicht auf eine Bestätigung, sondern zog den zweiten Teil des Trägers von ihrem Arm, nur um ihn ebenfalls in den Gang zu werfen. Sash schrie vor Schmerzen und Blut schoss aus ihrer Wunde, was May durch Druck auf den Autodoc und dem resultierenden Ganzkörperdruckverband aus Medifluid unterband. Es sah schrecklich aus, wie sie da mit schmerzverzerrtem Gesicht hinter dem Glas lag, aber es war der einzige Weg. May aktivierte noch das Notsignal und wenige Sekunden später verschwand der Klotz in einem Lichtwirbel.
Auf dem weiteren Weg nach Vorne traf sie schon andere Piloten vom selben Suchtrupp und so beschloss sie auf die Brücke zu gehen. »Hier ist niemand verletzt!«, hörte sie die Reaktion von Moon auf das Türgeräusch: »Bringt den Antrieb in Ordnung, wir müssen die anderen Draken verfolgen.« »Sag mal spinnst du jetzt komplett!«, konnte May nicht glauben was sie da für einen Mist hörte. »Wir brauchen eure Hilfe nicht. Wir kommen alleine klar!«, war Moons einzige Reaktion auf May selbst. »Das Schiff ist ein Trümmerhaufen, der Antrieb ist schwer beschädigt und das ganze Schiff droht auseinander zu brechen. Da hinten sterben unsere Leute!«, versuchte May ihn auf den Boden zu holen. »Dafür haben wir die Krankenstation!«, erklärte Moon trocken weiter. »Die Krankenstation gibt es nicht mehr.«, versuchte May mit einem letzten Satz klarer Worte zu ihm durch zu dringen, aber es war zwecklos: »Ich enthebe dich hiermit deines Kommandos und stelle dich unter Arrest.«
»Du? Ohne deine Kommandofreunde bist du nichts und hast hier gar nichts zu melden!«, blaffte Moon nur und blieb auf seinem Stuhl sitzen, wie ein trotziger König. »Raus da!«, wurde May härter. »Ohne Waffen? Wie willst du das anstellen?« »Ich brauche keine Waffen! Ich bin die Waffe!«, gab May mit einem wütenden Unterton zu Protokoll. Mit einer Wischbewegung und den Füßen voran nach oben, rotierte Moon über die Lehne des Stuhls nach hinten und krachte mit dem Rücken an die schmale Wand zwischen Büro und Konferenzraum, an der er 20 Zentimeter über dem Boden einfach kleben zu bleiben schien. »May an Charlie. Transportiert Moon in ein leeres Quartier. Arrestmodus.« »Verstanden«, tönte es in ihrem Kopf und wenige Momente später verschwand Moon, wie Sash zuvor in einem Strudel aus Licht.
Als May sich umdrehte und die verwirrten und ängstlichen Gesicher ihrer Kollegen sah, wurde ihr klar was sie getan hatte. Noch nie hatte sie ihre Kräfte so direkt gegen einen anderen Menschen eingesetzt. Ok, sie hatte mal Leute umgestoßen oder vom Strand ins Meer geworfen, aber noch nie hatte sie jemanden aus den eigenen Reihen angegriffen und sich einen direkten Vorteil verschafft. Der Kommander hatte seine Wut an ihm ausgelassen.
Moon war jetzt nicht verletzt und würde vielleicht ein paar blaue Flecken und eine Beule bekommen, aber dennoch. Die Besatzung der Mystery hatte zudem keine Ahnung von ihren Kräften. Ihre Abreise hatte vor ihrem großen Outing stattgefunden. Die Botschaft war nun gesendet und vor ihr standen die Zeugen, die keine Ahnung hatten, was da gerade passiert war. »Das klärt sich auf, wenn wir wieder Zuhause sind. Wir haben jetzt wichtigeres zu tun.«, dachte May innerlich und blieb ruhig, um ihre Besatzung nicht noch mehr zu verwirren oder gar zu verängstigen.
»Solange, du hast ab jetzt das Kommando über dieses Schiff oder besser den Trümmerhaufen.« »Ich? Nein, ich kann das nicht!« »Doch du kannst! Du warst schon immer meine erste Wahl für den Posten als Kapitän, aber ich wurde vom restlichen Kommando überstimmt und jetzt wird diese Entscheidung korrigiert.«
Unsicher setzte sich Solange auf ihren neuen Platz. »Den Antrieb können wir wohl vergessen. Statik und Lebenserhaltung haben Priorität, damit die Vanquist den Eimer gefahrlos abschleppen kann. Die Draken werden nicht einen unserer Träger auf ihre Trophäenliste setzen. Das lasse ich nicht zu!«, erklärte May: »Vertraue einfach deinem Instinkt. May an Vanquist. Transport zur Krankenstation.« »Wie sieht es aus?«, fragte May Sandra direkt und ohne Verzögerung nach ihrer Ankunft am gewünschten Ziel. »Die Besatzung ist vollständig, aber wir haben auch einige Schwerverletzte, die ich nur ungern unter potentiellen Kampfbedingungen behandeln möchte.«, erklärte Sandra, während May Jiyai dabei beobachtete, wie die sich sorgsam um die Patienten kümmerte, die bereits aktiv behandelt wurden.
»Nim?«, stellte sie die kürzeste und dennoch bedeutsamste Frage überhaupt, die sie bisher immer auf die Arbeit konzentrierend, so weit wie möglich verdrängt hatte. »Es gab wohl einen Unfall beim Landeanflug mit seinem angeschlagenen Manta. Er hat diverse innere Verletzungen und ein schweres Hirntrauma. Ich kann hier nichts für ihn tun. Er ist dahinten bei den anderen Mediblöcken.«, versuchte Sandra ruhig und besonnen zu bleiben, um May nicht unnötig zu belasten. May marschierte sofort zu den Blöcken. Es lagerten zwölf der Klötze zu jeweils sechs übereinander an der Wand.
Der vierte von unten auf der linken Seite war Nim. Sie konnte nur seitlich in die Kiste schauen. Deutlich war Blut zu erkennen, welches an seinem Gesicht haftete. Seine Augen waren geschlossen. Ohne es zu merken stand May schon einige Minuten neben ihm, als Sandra sich zu ihr gesellte: »Du kannst hier nichts machen. Es ist deine Aufgabe uns alle wieder sicher nach Hause zu bringen. Konzentriere dich darauf und ich achte auf Nim und die Anderen. Das ist meine Aufgabe. Ja?« May musste einsehen, wie recht sie hatte. Nim hatte nur eine Chance, wenn er mit der Ausrüstung der Station und außerhalb von Kampfhandlungen behandelt würde. Wenn sie ihm wirklich helfen wollte, dann ging es nur so.
Einen letzten Blick auf ihren Freund werfend, der ihr trotz der wenigen Zentimeter, die sie trennten, so fern erschien wie nie zuvor, marschierte sie zurück auf die Brücke. »Alles ok?«, fragte Charlie entsetzt, als er seine Vorgesetzte sah. »Ja, wieso?«, war May erstaunt. »Wegen dem Blut.« May schaute ihre Arme an. Sie hatte Blut von Sash an ihren Armen und wohl auch im Gesicht. Das war ihr nicht einmal aufgefallen und wohl auch ein weiterer Grund, warum man sie auf der Brücke der Mystery so angesehen hatte. Sandra war einfach nur professionell und hatte es ignoriert. Am liebsten wäre sie sofort losgerannt und hätte sich das Zeug abgewaschen. Sie mochte Sash.
Auch wenn sie bisher nicht oft in ihrem Salon war, so hatten sie sich bei den wenigen Gelegenheiten immer nett unterhalten und jetzt klebte ihr Blut wie ein Mahnmal an ihrem Körper. Nein, das Blut war vergossen worden und wenn es dazu diente sie Taff erscheinen und an die eigentliche Aufgabe erinnern zu lassen, dann wäre das jetzt nur dienlich. Sie hatte die Rettungsmission auf der Mystery angetreten, um den Anderen ihre Gleichwertigkeit zu zeigen. Sie war nicht wichtiger oder höher stehender als jeder andere auf dem Schiff. Sie war nicht der distanzierte Kapitän, der seine Leute in die Schlacht schickt, weil er es kann. Sie war jemand der sich auch selbst buchstäblich die Hände dreckig machte und dem jedes Mitglied der Besatzung wichtig war.
»Ist nicht meins! Wo stehen wir?«, fragte May normal nach dem Status und erfuhr ihr Stellvertreter hatte einige Mantas in den Unterraum geschickt, wo sie nach Draken Ausschau hielten. Außerdem hatten die Mantas der Mystery bereits zur Reparatur im Hangar der Vanquist platz genommen. Zu Mays entsetzen waren es jedoch nur zwei. Die anderen waren vernichtet worden. Auf die Mystery konnten sie nicht, da deren Hangars mehr Löcher und Beschädigungen hatten als Mergy's Jeansweste. Zwei der eigenen Mantas fegten bereits den Weltraumschrott zusammen, damit keine für den Feind nützliche Technologie im All zurück bleiben würde. Charlie war wirklich kompetent. Er hatte bereits viel Erfahrung was die Führung eines Schiffes und seiner Besatzung anging, auch wenn er nie vorher als Anführer in einer Kampfsituation war, hatten ihn die Aufgaben am Rande des eigenen Sonnensystems durchaus gefordert und seiner sonst ehr aufmüpfigen und schleifenden Arbeitsmoral gut getan.
»Gute Arbeit! Wenn wir noch Repligens übrig haben, dann direkt zur Mystery damit. Die Statik muss wiederhergestellt werden, damit wir den Pott abschleppen können. Wir müssen hier so schnell wie möglich weg. Ich bin in der Technik.«, gab May ergänzende Anweisungen und verschwand wieder durch die Tür, durch die sie gekommen war. In der Technik traf sie auf Grabbler, der am Terminal einige Repligens kontrollierte. Erschrocken sah er May fast genauso an, wie zuvor Charlie auf der Brücke. »Ist nicht mein Blut.« Der Kommander kam so einer Frage zuvor. »Das war gute Arbeit mit den Konfigurationen.«, lobte der junge Kapitän seinen Maschinisten, ganz wie sie es von Mergy gelernt hatte. »Gelegentliches Lob erhöht die Motivation.«, hatte er damals gesagt. May machte das automatisch. Nicht nur weil sie es gelernt hatte, sondern auch, weil sie es als richtig empfand. Er hatte schon seinen Teil zur Mission beigetragen.
»War nicht nur mein Verdienst. Es war leichter die Waffen– und Schildsignaturen der Seem zu kopieren, als sie selbst zu erstellen.«, erklärte dieser ehrlich. »Können wir die Wiederherstellung der Statik der Mystery beschleunigen?« »Leider nein, ich habe alle verfügbaren Repligens beider Schiffe im Einsatz. Ich könnte Repligens abziehen, um Selbstreplikationen durchzuführen, aber in der Zeit könnte das Schiff von alleine auseinanderbrechen. Stellenweise reichen schon kleine Bewegungen der Außenhülle, um ganze Sektionen aufzureißen. Die seitlichen Hangars dienen ja nicht nur als Mantabucht, sondern sind auch Teil der schiffsweiten Statik.«, erklärte er Fakten, die May bereits bekannt waren. Sie ließ sich aber nichts anmerken und konnte seinen Ausführungen nur zustimmen.
Tin hatte ihm wahrscheinlich noch eine Standpauke verpasst, damit er nicht auf volles Risiko ging und das zeigte sichtbar Wirkung. »Gib Bescheid, wenn das Schiff stabil genug ist, um es durch den Unterraum zu schleppen. Wir sitzen hier mitten auf dem Präsentierteller und die Fliegen wissen wo der Kuchen steht.«, umschrieb May recht blumig die aktuelle Lage. »Verstanden.« So wie es aussah war alles unter Kontrolle und so machte sich May auf in ihr Quartier, wo sie eine Dusche nahm und die Kleidung wechselte. Gerade als sie wieder frisch gekleidet und sauber auf dem Gang stand ertönte Charlie in ihrem Kopf und teilte ihr mit, die Mantas hätten Draken ausgemacht, die sich ihrer Position näherten.
May beorderte die eigenen Flieger sofort zurück auf das einzig funktionierende Schiff und erkundigte sich nach dem Zustand des Zweiten. Zu ihrer Überraschung waren die Reparaturen bereits weiter fortgeschritten, als erwartet. Solange hatte die verbliebende Besatzung eingeteilt, um mit Replisticks die einfach zugänglichen Stellen im gesamten Schiff zu reparieren. Die Menschen waren nicht so genau und gleichmäßig wie die Repligens, aber ein abschließender Korrekturdurchgang eines Repligens an einer solchen Stelle war deutlich schneller als eine Komplettreparatur durch eine Maschine alleine. Dadurch hatten sie einige Stunden Zeit gespart. Zeit, die sie jetzt dringend brauchten. Auf der Brücke angekommen, waren die letzten Mantas bereits im Landeanflug. May beorderte die Vanquist über die Mystery und aktivierte die unteren Greifstrahlwerfer. Zielkoordinaten für eine optimale und sichere Fixierung aus dem Maschinenraum, kamen ihr dazu sehr gelegen.
Kaum war das Paket verschnürt, gab sie die Anweisung den Antrieb langsam zu starten und vorsichtig zu beschleunigen. Sanft und fast unmerklich setzte sich das massive Bündel mit der Lichtverbindung in Bewegung. Es dauerte einige Minuten, bis das sie genug Geschwindigkeit für den Sprung hatten. Niesha meldete just mehrfache Unterraumsignaturen, als sie gerade noch unerkannt springen konnten und das Rot des Unterraums ihnen den Weg nach Hause zu zeigen schien.
Die Freude über die Flucht währte nur wenige Minuten. Niesha bemerkte etwas im Unterraum. Erst waren es Geistersignaturen, die ab und zu im Grenzbereich auftauchten. 10 Minuten später war es Gewissheit. Mindestens elf Drakenkreuzer folgten ihnen und wenn man die aktuellen Sensordaten nahm, waren sie schneller unterwegs als die gebündelten Ray Team Schiffe. Zwölf Stunden und achtundzwanzig Minuten, so berechnete Niesha, würde es dauern, bis die Draken in Reichweite wären und das Feuer eröffnen könnten. Das die Vanquist am Heck keine Waffensysteme hatte, war nur ein Nachteil in dieser Situation.
Die Kanonen im hinteren Bereich hätten durchaus die Möglichkeit gehabt, das Feuer zu erwidern, aber die Energie dafür stand nicht zur Verfügung, da man diese für die Greifstrahlwerfer benötigte. Außerdem war der Waffeneinsatz im Unterraum wegen möglicher Gefahren für das eigene Schiff von Tin untersagt worden. Das zusätzliche Volumen und Gewicht der Mystery benötigte, verglichen mit dem Vakuum des Normalraums, auch deutlich mehr Antriebsenergie im roten Plasma und machte das Bündel auch nicht gerade schneller.
May spielte gedanklich alle Taktiken durch, die ihr einfielen. Das Ergebnis war immer das selbe. Entweder würden beide Schiffe vernichtet oder nur die Mystery. Elf Schiffe waren jetzt nicht viel, aber waren es wirklich nur diese Schiffe? Oder kamen da noch mehr, die nur noch nicht auf den Schirmen zu sehen waren? Die beste Lösung war in den Normalraum zu springen, die Mannschaft an Bord zu holen, die Mystery aufzugeben und sich dem Feind zu stellen. Die angepassten Waffen und Schilde würden funktionieren und sie hätten zumindest eine gute Chance, aber es würde auch den Draken Hoffnung auf einen Sieg geben. Wie in der Schlacht um die Erde, als die ersten Kreuzer der Draken von den Menschen vernichtet wurden, würde die Vernichtung der Mystery die Draken mental aufbauen.
Diese Option würde sie wählen, wenn der andere bessere, aber auch gefährlichere, Plan fehlschlagen würde, der sich gerade in ihrem Kopf formierte. Ohne ein weiteres Wort stürmte sie vom Kommandodeck direkt in die Technik und erläuterte Grabbler ihr Vorhaben. Der war begeistert, was aber mehr darauf beruhte, dass May gerade etwas verlangte, was von Tin bisher immer vehement abgelehnt wurde. »Die Energieversorgung der Vanquist darf auf keinen Fall gefährdet werden. Wenn das passiert sind wir alle erledigt. Bekommst du das hin?«, fragte May eindringlich und holte Grabbler auf den Boden zurück.
»Ja, das klappt. Da bin ich mir sicher!«, versicherte Grabbler und May konnte die Ernsthaftigkeit in seinen blauen Augen sehen. »Gut, wenn du Leute oder sonstige Ausrüstung brauchst, bekommst du sie. Du hast knapp zwölf Stunden.«, erklärte May. »Ich muss mir ein oder zwei Repligens von der Mystery zurückholen. Hoffen wir, dass die den Unterraumtransport überstehen.«, dachte Grabbler schon weiter.
May schaute noch kurz auf der Krankenstation vorbei und legte sich hin. Die viele Verantwortung und die Ausführung der ganzen Aufgaben zehrten doch mehr an ihr, als sie es selbst wahr haben wollte. So legte sie sich auf das Bett und dachte nach. Über Nim, über Grabbler und auch über die Seem. Sie waren noch da und hatten es wohl nicht zuletzt dank ihrer Hilfe geschafft sich erfolgreich gegen die Draken zu behaupten und ihr Volk zu finden. Gerne hätte sie mehr von ihnen erfahren, aber sie draußen im All zu wissen, war ein gutes Gefühl.
Charlies Stimme im Kopf weckte sie nach einigen Stunden. Sie hatte vergessen es auf die Kabine umzuschalten. Es war ein unangenehmes Gefühl. Als wenn er neben ihr lag und ihr ins Ohr flüsterte. Dieses Privileg stand nur Nim zu. Die Draken wären in zwanzig Minuten in Feuerreichweite. Deutlich schneller als ursprünglich gedacht. Es waren gerade mal Elf Stunden vergangen. Grabbler berichtete ihr er bräuchte noch mindestens eine halbe Stunde für die restlichen Umbauten und letzte Tests. Ein Zeitfenster, das May ihm nicht geben konnte.
Auf der Brücke war die Lage angespannt. Charlie gab gleich die aktuellen Zeitinformationen durch, während Niesha die Verfolger scannte und ihre Aktionen prüfte. »Sie haben anscheinend ihre Systeme etwas verbessert und sind jetzt deutlich schneller.«, erklärte Niesha. »Alle Piloten sollen sich in die Mantas setzen. Wenn Plan A nicht klappt, dann müssen wir springen, die Mystery räumen und uns den Draken stellen.«, erklärte May wieder nur den halben Plan. »Es sind zweiundvierzig Schiffe. Das sind zu viele.«, korrigierte Niesha die Zahl der Drakenschiffe deutlich nach oben und bestärkte nur May darin, den vermeintlich waghalsigeren Plan als den besseren anzusehen.
»Die ersten Schiffe kommen in Reichweite. Registriere Energieanstieg in ihren Bugkanonen.«, war nun Charlie zum ersten Mal unsicher und zeigte so etwas wie Angst. »Die Technik will Kontrolle über den Haupttransporter.«, fragte Niesha unsicher was dieser ungewöhnliche Wunsch zu bedeuten hatte und May gewährte ihn blindlings. Wenige Augenblicke rumpelte die Vanquist heftig. »Feuern die schon?«, fragte May unsicher. »Nein. Aber wir haben ein, nein zwei Hüllenbrüche auf dem Maschinendeck. Die Navigationsschilde in dem Bereich sind ausgefallen.«, ermittelte Niesha die Ursache.
May allerdings verstand den Grund. »May an Alle. Auf massive Beschleunigung vorbereiten. May an Technik. Ich würde jetzt gerne überrascht werden!« »Das sind keine Hüllenbrüche. Da fehlen komplette Teile der Außenwand.«, fügte Charlie hinzu: »Massiver Energieanstieg in den Antriebsmodulen.« Moon schaute in seiner Zweimannzelle vor dem Fenster stehend in den roten Raum: »Massive Beschleunigung? Ist die irre?« Kaum hatte er die Worte ausgesprochen, da wurde er von den Füßen gerissen und krachte schmerzhaft zwischen den Betten an die Wand.
May und den anderen auf dem Kommandodeck ging es nicht anders. Sie wurden hart in ihre Sitze gepresst. Dann war alles vorbei. »Abstand zu den Schiffen vergrößert sich.«, trällerte Niesha und bemerkte das Offensichtliche erst gar nicht. Vor ihnen schimmerte der Unterraum nun in grellen Grüntönen. Wie Tin es vorhergesehen hatte, war die Farbe von der Geschwindigkeit und dem Lichtspektrum abhängig. »May an Technik alles in Ordnung bei euch?«, fragte sie unsicher, hatte sie doch länger keine Antwort bekommen.
»Alle Systeme im grünen Bereich, aber lange hält der Energiekern die Belastung nicht aus. Der Maschinenraum wird jetzt vom Unterraumplasma durchspült. Das greift andere Systeme an. Wenn wir jetzt ein Problem bekommen, kann ich nichts mehr machen.«, war Grabbler besorgt über seine eigene Erfindung. »Habt ihr da unten ein Fenster?«, fragte May neugierig, hatten die Worte doch mehr technischer Natur geklungen. »Nein, wieso?« »Sucht euch mal eins.«, grinste May und schaute mit den anderen in das funkelnde Grün des Raums.
»Haben wir die Draken abgehängt?« »Nein, sie sind noch da. Die werden uns doch nicht in den Erdsektor folgen, oder?« »Ich hoffe nicht, aber wir sind fast da und passieren in wenigen Momenten den Satellitengürtel. Nachricht zur Station senden: »Bär an Höhle. Haben den Honig. Bienen sind sauer!« »Grabbler an May, der Antrieb fällt langsam auseinander. Es kann jeden Moment zum Totalausfall kommen.« Die Lage wurde von Sekunde zu Sekunde dramatischer.
»Ein unbekanntes Objekt hat gerade Ikarus 78 passiert.«, meldete Trish, während Sab eine Meldung bekam, die sie nicht deuten konnte: »Jaque, was ist damit?« »Die Nachricht wurde ohne korrekte zeitliche Kompensation verschickt ist gestaucht. Ich rechne sie auf Normalzeit um!« »Bär an Höhle. Haben den Honig. Bienen sind sauer!«, ertönte Mays Stimme leicht durch Störungen angefressen auf dem Kommandodeck. Mergy schaltete sofort: »Alle Piloten in ihre Gleiter.«
Ein Rumpeln zeugte von nichts Gutem. Auf der Vanquist wurde es dunkel und dann gab es einen gewaltigen Schlag. Die Schiffe krachten in den Normalraum und durch den fehlenden Greifstrahl zwischen ihnen kollidierten sie dabei unsanft. Der Vortex wurde durch die Geschwindigkeit der beiden Schiffe regelrecht aus dem Unterraum gerissen, sodass sich der rote Trichter für einen kurzen Moment in den Normalraum umstülpte, bevor er wie ein Strudel wieder zurück klappte und hinter ihnen verschwand. Kaum hatte sich der Vortex geschlossen wurde die Besatzung der Vanquist wieder umhergeworfen. Eine gigantische Explosion breitete sich von den großen Löchern im Maschinenraum seitlich ins All aus. Das Plasma im Inneren hatte sich entzündet und wie ein Plusar feuerte das Schiff seinen hellen Schweif in beide Richtungen.
Einige sich nähernde Gleiter konnten dem massiven und unerwarteten Feuerstoß gerade noch ausweichen. Aber auch die Besatzung der Vanquist hatte ein Problem. Ohne Antrieb, aber immer noch deutlich schneller als mit funktionierendem Antrieb technisch möglich, schossen die beiden riesigen Schiffe unkontrolliert und schon jetzt mehr seitwärts auf den Planeten zu. Die Mantas in den Hangars des Flaggschiffes konnten aufgrund der Geschwindigkeit gerade mal so wie angewiesen starten, um zu helfen die Draken bekämpfen. Auf der Station konnte man nur hilflos zusehen wie sich die beiden Schiffe umeinander rotierend auf den Planeten zu bewegten. Egal was sie anstellen würden, man würde die beiden Schiffe nicht rechtzeitig erreichen, bevor sie an der Atmosphäre zerschellten oder beim unkontrollierten Eintreten in selbiger verglühen würden. Die im All befindlichen Gleiter waren jedenfalls nicht Kraftvoll genug um auch nur eins der beiden Schiffe zu bremsen.
Es gab sowieso nicht viel Zeit um darüber nachzudenken, denn die Draken strömten in den Erdraum und bekamen ihr Fett weg. Die ersten Alienschiffe kamen kaum aus dem Vortex, da wurden sie schon vom massiven Waffenfeuer zerstört. Die weiteren Schiffe sprangen direkt in das Trümmerfeld ihrer eigenen kleinen Flotte. »Antrieb aktivieren, sofort!« »Wenn wir den jetzt einschalten, dann ist der gleich wieder kaputt!«, tönte es zurück. »Wenn wir ihn nicht einschalten, sind wir kaputt!«, kommandierte Solange zurück. May hatte sich gerade mit den anderen Piloten und auch dem leicht taumelnden Moon auf den Weg in die Hangars gemacht, um den letzten Manta zur Flucht zu nutzen, als der Boden unter ihnen abermals weggerissen wurde. Aus der anderen Richtung kugelte die Besatzung der Technikabteilung auf sie zu. Unbeholfen stolperte und rollte die Brückenbesatzung zuerst in den Hangar. Durch den offenen Tunnel konnten sie die Erde sehen, die rotierend aus ihrem Blickfeld verschwand.
May aktivierte die Hangarkonsole, die mit den wenigen Informationen von den Notsystemen des restlichen Schiffes versorgt wurde, bestätigte was sie bereits sahen. Während sie noch überlegte, wie das möglich sei, öffnete sich ein Kommunikationskanal auf dem Terminal und zeigte Solange in ihrem Kommandosessel. »Tut mir leid. Wir mussten euch rammen, aber es war der einzige Weg die Vanquist zu bremsen. Beide Schiffe befinden sich jetzt außerhalb der der Erdanziehung. Medic One ist bereits auf dem Weg. Die neuen Waffenkonfigurationen wurden an die Flotte übermittelt.«, meldete sie sachlich die Dinge, die May zwischenzeitlich entgangen waren.
Der Kapitän der Vanquist war sichtlich erleichtert: »Genau so habe ich mir das vorgestellt! Genau so!« May war regelrecht überschwänglich in ihrer Stimmlage und Solange verstand sofort, wie das jetzt gemeint war. Um sie herum tobte immer noch eine Raumschlacht, die aber recht schnell beendet wurde. Neun weitere Verfolgerschiffe wurden vernichtet, bevor die Restlichen abdrehen, die Flucht ergriffen und nach der üblichen Pause, die, wie Tin vermutete, technisch bedingt war, in den Unterraum verschwinden konnten. Mergy beorderte einige Stationsmantas die Draken zu verfolgen. Auf diese Weise wollte er den schnellen und vollständigen Rückzug ihrer Feinde garantieren und das Sonnensystem wieder sicher machen.
Sandra war mit ihrem Manta bereits auf Ray Team One gelandet, hatte ihre kleinen eisigen Frachtboxen entladen und half zusammen mit Jiyai die wenigen Verletzten, die sie noch zu versorgen hatte in die Krankenstation zu bringen. Als May mit dem letzten Manta die Vanquist verließ, konnte sie bereits sehen wie zwei Paar Grabblings gerade seitlich an ihrem Schiff andockten und begannen es zur Station zu ziehen. Gleiches passierte mit der Mystery, die bereits vor ihnen im All schwebte und ihr Ziel fast erreicht hatte. Im Stationshangar stapelten sich bereits die Mantas. Da es nicht genug Boxen für alle Schiffe gab und diese auch nicht zur Station gehörten, platzierte und stapelte Jaque sie im Auftrag von Sab nur lieblos vor den Regalen.
May blieb noch einige Minuten alleine im Pilotensitz des Mantas sitzen. Es war überstanden. Die Mission war ein Erfolg gewesen. Als der nachdenkliche Missionskommandant schließlich den Hangar verließ, waren ihre Kollegen lange weg. Sie hatte nur noch ein Ziel. Jetzt wo ihre Mission, ihre Aufgabe, beendet war, wollte sie zu Nim. Sie war seine Freundin und jetzt hatte sie nur noch diese eine Sache zu erfüllen. Als sich die Tür der ansonsten leeren Liftkabine auf der Promenade öffnete, wurde sie schlagartig von Jubel und Applaus überschüttet. Das Personal der Vanquist und viele Andere warteten bereits auf den Kapitän der Stunde.
Einzig Sandra und Jiyai fehlten. Mehr konnte May auf den ersten Blick nicht sehen. Unsicher ging sie einige Schritte in den überfüllten und plötzlich doch so klein wirkenden Raum. Es war ihr sichtlich unangenehm so begrüßt zu werden. »Danke, ich weiß das wirklich zu schätzen, aber wir haben die Sache zusammen durchgestanden. Als Gruppe, als Team. Jeder an Bord der beiden Schiffe hat sein Bestes gegeben und seinen Teil dazu beigetragen, um diese Rettungsmission zu einem Erfolg zu führen.«, versuchte sie das ihr entgegen gebrachte Lob zurückzuwerfen und sich gleichzeitig einen Weg durch die Menge zu bahnen.
Ihre Eltern oben auf der Balustrade bemerkte sie dabei gar nicht. Die Krankenstation wirkte Kilometer entfernt und es dauerte, bis May ihren Weg durch den Trubel gefunden hatte. Einige der Piloten waren bereits aufgetaut und lagen auf den Tischen, wo der Doc und Sandra sie behandelten. Jiyai huschte zwischen den Betten umher und versorge die Ärzte mit Ausrüstung und die Patienten mit Kissen, Decken und Getränken. Nim war ebenfalls bereits aufgetaut und wurde gerade versorgt. May konnte nicht sehen, was sie machten und wie es ihm ging, aber es gab keine Hektik und so schien alles unter Kontrolle.
»Hallo Bär, wie geht es dem Honig?«, spielte Mergy auf seine eigene lockere Art auf den Funkspruch an. »Ich weiß es nicht.«, hörte May sich von ganz weit weg sagen. »Wenn du einen Experten in dieser Hinsicht suchst, dann bin ich der Richtige. Ich habe hier schon so oft gestanden und mich hilflos gefühlt, wenn du da drin gelegen hast.« May schaute erstaunt zur Seite in die Augen ihres älteren Freundes. »Was denn? Glaubst du ich habe immer oben im Turm gehockt, bis der Doc mir berichtet hat, was mit dir los ist?« May hatte sich nie Gedanken darum gemacht. Mergy war, ohne es sie wissen zu lassen, für sie da gewesen. May lehnte sich an ihren viel größeren Beschützer, ohne den Blick von ihrem Freund hinter der Scheibe abzuwenden.
»Ich wollte sichergehen. Die Draken sollten uns nicht verstehen, wenn sie den Funk abhören.«, setzte May das Thema zurück auf Anfang, um sich etwas abzulenken. »Ja, ich weiss.«, schmunzelte Mergy. »Moon hat richtig Mist gebaut, wie es scheint.«, beteiligte sich Trish, die bisher von May unbemerkt auf der anderen Seite von Mergy stand, an der kleinen Sitzung. »Wir haben ihn erst einmal weiter auf Eis gelegt, bis wir wissen, wie wir weiter vorgehen und wir die Logs gesichtet haben.«, erklärte Mergy.
Die Worte prallten an May aber schon wieder ab. Ihr war egal was mit Moon passierte, solange er ihr nicht begegnete. Nim so zu sehen, war schrecklich. Wenn sie wenigstens an seinem Bett sitzen und seine Hand halten dürfte, aber das war zumindest vorerst unmöglich. Erst mussten alle Patienten behandelt werden. Sie würde ansonsten nur im Weg herumstehen oder Fragen stellen und das Personal von wichtigen Dingen und Entscheidungen ablenken. Soviel musste sie sich selbst eingestehen.
Zwanzig endlose Minuten standen die Drei nun schon vor der Scheibe. »May du kannst jetzt zu ihm reingehen, wenn du willst.« May reagierte nicht. Zu tief war sie in ihren Gedanken versunken und spulte immer und immer wieder die schönen Augenblicke, die sie mit Nim verbracht hatte, vor ihrem inneren Auge ab. Mergy pickte mit dem Finger wie ein Specht auf ihre Schulter. Erst jetzt holte sie die Realität wieder ein. »Ich denke mit May meint sie dich!«, lächelte Mergy freundlich zu ihr hinunterschauend in die verwirrten Augen, stellte aber das rhythmische Picken in ihre Schulter dabei nicht ein. »Du kannst zu ihm rein.«, wiederholte Jiyai ihre Aussage. May schaltete und schoss zwischen den Beiden hindurch in den Behandlungsraum.
»Und wie ist deine erste richtige Mission gelaufen? Es war bestimmt nicht so einfach wie gedacht, oder?«, erkundigte sich Mergy bei dem Jüngling. »Ich hatte ziemliche Angst, als wir angegriffen wurden. Alles hat sich bewegt und ist umhergeflogen.«, erklärte Jiyai in einer leicht von sich selbst enttäuscht wirkenden Tonlage. »Als die ersten Verletzten eintrafen, was war dann?«, fragte sie Mergy weiter aus. »Es war schon schlimm. Viele waren schwer verletzt. Überall war Blut und es sind alles Menschen, die ich sonst fast jeden Tag sehe.«, führte Jiyai weiter aus.
»Lass mich raten. Du hast deine Arbeit gemacht und erst jetzt denkst du darüber nach, was wirklich alles passiert ist, oder?« Jiyai schaute erstaunt zu dem deutlich größeren Kommander hoch. »Alles um sich herum ausblenden und einfach die nötige Arbeit machen, ist das Schwerste. Egal ob du Kommander, Kapitän oder Arzt bist. Wenn du in deinem Alter schon so reagierst, dann wirst du einmal einen verdammt guten Doc abgeben. Du kannst stolz auf dich sein.«
Ja, Jiyai war sichtlich stolz. Besonders darauf, von Mergy selbst und dazu vor Trish so gelobt zu werden. Es war wirklich ihre erste echte große Mission gewesen. Nicht nur mal eine Schnittwunde heilen, oder in der Krankenstation herumsitzen und auf Notfälle warten. Sie war bei einer Rettungsmission dabei und hatte geholfen viele Leben zu retten. Egal wie schrecklich die Kampfsituationen auch gewesen waren, sie war stark geblieben und hatte nicht gekniffen.
May begleitete Nim mit samt Bett in ein Krankenzimmer. Sandra meinte er würde noch einige Stunden schlafen, aber sie hatte keine Chance May davon abzuhalten an seinem Bett zu warten. Endlich konnte sie seine Hand halten und sanft streicheln. In seinem Gesicht waren immer noch Spuren von dem Blut, aber die Wunden selbst waren verschwunden.
Fast drei Stunden dauerte es, bis Nim langsam erwachte und sie erstaunt ansah. »Was machst du denn hier?«, fragte er mit trockener Kehle. May hielt ihm ein Glas Wasser an den Mund: »Ich wohne hier. Also nicht speziell hier in diesem Zimmer.«, versuchte May unsicher ihre Freude zu verstecken. »Wir sind wieder Zuhause?« »Ja, schon 4 oder 5 Stunden. Du warst eine ganze Weile eingefroren.«, erklärte May. »Ich weiß nur noch das ich im Landeanflug war. Mein Manta hatte Probleme mit dem Antrieb. Ich wurde von etwas getroffen und bin durch den Hangar geschleudert. Mehr weiß ich nicht.«, versuchte sich Nim an die vergangenen Ereignisse zu erinnern.
»Dich haben die Trümmer eines Drakenjägers erwischt und deinem Manta den Rest gegeben.«, versuchte May etwas Licht in seine Geschichte zu bringen. »Du solltest jetzt schlafen. Ja?«, forderte May ihren Freund auf, der ihren unausgeruhten Zustand ebenfalls bemerkte: »Du aber auch. Du bist Müde. Das sehe selbst ich. Nicht hier. In deinem Bett.« »Ich will hier bei dir bleiben.« »Mir geht es gut. Geh´ nach Hause und schlaf dich aus. Versprich es mir.«, forderte Nim. May wollte ihn nach all der Zeit der Ungewissheit nicht alleine lassen, aber ihr Freund bestand darauf und wenn man es genau nahm hatte er auch Recht damit.
Sie drückte ihm noch sanft einen Kuss auf, strich ihm vorsichtig über das Gesicht, bevor sie das Zimmer verließ. Sandra und Jiyai waren auch nicht mehr zu sehen. Anscheinend hatten sie sich bereits schlafen gelegt, denn der Doc war alleine in der Station. Die Halle war leer und auch im Sor war niemand. Ihr grauer Freund selbst hatte sich wohl abgeschaltet. Die Türen des Dragonfly waren verschlossen. »Jaque, wie spät ist es?«, fragte May unsicher. »Es ist 2:05 morgens.«, erklang die Uhrzeit für die Umgebung unhörbar. May hatte durch die Anstrengungen und Sorgen, wie sie erst jetzt bemerkte, jedes Zeitgefühl verloren und so legte sie sich auch ins Bett. Es dauerte trotz der Strapazen noch eine ganze Weile, bis sie sich endlich soweit entspannte, um einzuschlafen. Zu viel war in den letzten Tagen passiert. Zu viele böse Geister spukten ihr noch im Kopf herum.
Als der junge Kommander erwachte und nach der Uhrzeit fragte, war es bereits halb Vier am Nachmittag. Jaque berichtete ihr von einer Manipulation ihres Wecktermins seitens Mergy. Auch ihre Kommunikation hatte er blockieren lassen, um sie in Ruhe ausschlafen zu lassen. Eigentlich war es gut gemeint und so hatte sie mehr als nur die etwas über vier geplanten Stunden geschlafen. Aber May wollte gleich früh morgens wieder bei Nim sein und ärgerte sich über die nicht abgesprochene eigenmächtige Aktion ihres deutlich älteren Freundes.
Deutlich schneller als üblich machte sie sich fertig. Trotz des längst vermurksten Zeitplans schaute sie bei ihren Eltern rein. Beide waren sichtlich froh sie gesund und munter vor sich zu sehen, hätten sich aber über eine zeitnahe Rückmeldung gefreut und nicht erst Stunden später. Deutlich war dieser Wunsch auf Informationen zu spüren. Ja, sie hatte nur an ihre Aufgabe und natürlich auch an Nim gedacht. Das ihre Eltern sich auch um sie Sorgen machen würden, hatte May dabei komplett ausgeblendet. Es tat ihr leid. Zumindest bis zu dem Zeitpunkt, als ihr Vater verlangte, sie solle sich nicht immer so für Andere in Gefahr bringen. Wie er das sagte? Andere! Als wären das nur fremde Leute, die in Not geraten waren. Und mit den Anderen meinte er sicherlich hauptsächlich Nim.
»Diese Anderen sind meine Freunde. Sie würden für mich das Selbe tun. Außerdem bin ich Kommander. Das ist meine Arbeit. Wenn dir das nicht gefällt, dann kann ich daran nichts ändern. Ich würde es jedenfalls sofort wieder tun.« May war außer sich. Einfach zusehen und warten? Nein, dazu wäre sie nicht im Stande. Dieses Vorgehen hatte sie vorher schon Wochenlang praktiziert und auf Signale und Lebenszeichen gehofft. May konnte noch einige Satzfetzen hören, bevor sich die Türen des Quartiers hinter ihr schlossen. Hauptsächlich war es ihre Mutter, die versuchte die Aussage ihres Vaters zu beschwichtigen, aber May ignorierte es.
Mit Wut im Bauch stieg sie in den Lift. Ja, ihre Arbeit war ab und zu gefährlich. Selbst ihr Vater sollte davon schon etwas mitbekommen haben, aber so unhöflich von den Menschen zu reden, die ihn hier freundlich aufgenommen hatten, war einfach nur respektlos. May war sich sicher. Diese Worte waren hauptsächlich von seiner Abneigung Nim gegenüber genährt. Bisher hatte er immer nur kleine Anspielungen gemacht, aber die Aktionen gingen immer direkt und offensiv gegen ihre Liebe. »Sie haben nicht einmal gefragt wie es ihm geht!«, maulte May gedanklich in sich rein und fragte sich das Selbe. Als sie in die Krankenstation trat, sah sie nur Sandra rückwärts und geduckt aus einem der Krankenzimmer kommen. Nur wenige Bruchteile von Sekunden später flog ein Tablett und die dazugehörigen Besteckteile nebst Lebensmittel durch die Tür in den Flur. Bratensoße tropfte von Sandras weißem Kittel, während sie die Bestandteile des Mittagessens einigermaßen aufsammelte.
»War das Sash?«, fragte May unsicher die wuterfüllte Stimme nicht richtig erkannt zu haben, die die rechte Hand des Docs mit allerlei Flüchen auch akustisch aus dem Raum geworfen hatte. »Ja, sie will nichts essen!« »Das sehe ich.«, lächelte May und zupfte eine Krokette aus dem Haar des medizinischen Personals. »Danke.«, schmunzelte diese leicht traurig: »Wir konnten ihren Arm nicht retten.« »Habe ich etwas falsch gemacht? Ich hab sie geborgen und eingefroren!«, war May regelrecht schockiert und besorgt sie könne selbst daran schuld sein. Schon der Gedanke einen Arm zu verlieren ließ sie erschaudern.
Was musste das für ein Gefühl sein? »Nein, du hättest nichts tun können. Er wurde regelrecht zerquetscht.« »Das war ein Querträger der Deckenkonstruktion. Der hatte sie regelrecht auf dem Boden festgeklemmt.« »Ja, so etwas habe ich mir schon gedacht. Dich trifft keine Schuld. Du hast ihr das Leben gerettet. Ok?« Sanft hob Sandra mit zwei Fingern das Kinn ihrer kleineren bedrückten Kollegin und forderte förmlich nach der richtigen Antwort: »Wir müssen uns jetzt überlegen, wie wir ihr helfen. Es ist kein Problem ihr in ein paar Wochen eine Schnittstelle für einen künstlichen Arm an die Schulter zu operieren, aber sie muss es auch wollen. Ohne ihre Mithilfe können wir ihr nicht helfen.«
»Ich habe da eine Idee.«, war May, wie schon so oft in solchen Dingen, einen Schritt weiter: »May, an Mergy. Wir brauchen dich auf der Krankenstation.« »Mergy? – Klar – Logisch – Gute Idee!«, stammelte Sandra über den spontan in die Tat umgesetzten Vorschlag, der ihr erst nach einigen Überlegungen einleuchtete. May ging derweil in Nims Zimmer. Es war leer. Das Bett war noch zerwühlt. Für einen Augenblick bekam sie Angst, aber wenn etwas passiert wäre, hätte Sandra doch bei ihrer Begegnung sicher etwas gesagt und sie nicht blind ins leere Zimmer laufen lassen. Nur Momente später öffnete sich die seitliche Tür zum Badezimmer. »Hey, so gefällst du mir doch gleich viel besser.«, begrüßte Nim seine Freundin und gab ihr einen intensiven Kuss und eine noch intensivere Umarmung.
Ihn wieder in ihre Arme zu schließen war das Schönste, was ihr seit Tagen passiert war. »Du siehst auch besser aus.«, erwiderte May: »Was ist das für ein Shirt?« Nim trug ein blaues T-Shirt, auf dem, in schwarz umrandeten roten Buchstaben auf zwei Zeilen verteilt »I'm with Supergirl!« stand. Darunter ein farblich passender Pfeil nach links. »Ich hab deine Post bekommen!« »Welche Post?« May war verwirrt. »Die Nachricht mit dem Film. Du hast im Sors alles umherfliegen lassen.«, erklärte Nim ausführlicher: »Ab jetzt musst du immer links von mir laufen!« Nim sah lachend seine verdutzte Freundin an, die erst jetzt erkannte was das alles zu bedeuten hatte.
»Keine Heimlichkeiten mehr, was?« »So sieht es aus!«, war May glücklich und stellte sich demonstrativ auf die richtige Seite neben ihren Freund. Als wäre es genauso geplant gewesen, trat Sandra just in dem Moment durch die Tür und musste gleich schmunzeln, als sie die Beiden und den Schriftzug sah: »Du kannst gehen. In den nächsten Tagen keine Anstrengungen, kein Sport und keine Einsätze.« »Verstanden! Danke für alles.«, bedankte sich Nim, aber Sandra verwies nur auf May, die ihn ja erst im All hatte finden und sicher zurückbringen müssen. Ein lautes Knurren unterbrach den kurzen Moment der Stille. »Ich glaube wir sollten beide was Essen gehen!«, merkte Nim vorsichtig an, während May noch versuchte ihren lauten Magen hinter einem roten Kopf zu verstecken.
Mergy stand derweil mit dem Arm das Gesicht schützend eine Wand weiter im Krankenzimmer nebenan und gab eine seltsame Figur ab. »Was soll der Blödsinn?«, fragte Sash nur muffelig. »Vorsichtsmaßnahme! Falls du noch Besteck oder Eier gehortet hast. Immerhin könntest unverhofft das Feuer eröffnen.« »Ha, ha, sehr witzig.«, brummte Sash, während Mergy sich einen der beiden Stühle schnappte und verkehrt herum darauf Platz nahm. Die Arme legte er auf die Lehne und den Kopf oben drauf. »Und? Wie geht es?«, zündete er die Bombe. »Mir fehlt ein Arm! Wie soll es mir schon gehen. Ich bin ein Krüppel und die wollen mich zu einem seelenlosen Robotermonster machen.«, deutete Sash auf den Tisch an der Raumseite. Sie war sichtlich ungehalten. Der Arm, den Sandra als Beispiel im Zimmer gelassen hatte, lag immer noch wie ein Mahnmal auf der Tischfläche. Nur halb mit Haut überzogen schien er sie selbst von dort aus regelrecht auszulachen.
»Wow, und ich dachte wir wären so etwas wie Freunde und würden uns gegenseitig respektieren.«, schien Mergy das Thema zu wechseln. »Was?« Die Patientin zog ihre Mundwinkel fragend hoch und setzte einen verständnislosen Blick auf. »Es tut schon weh, wenn du mich als seelenloses Monster bezeichnest, nach all der Zeit, die wir uns schon kennen und nach allem was wir zusammen durchgestanden haben.« »Ich bin das Monster, nicht du!«, versuchte Sash dieses komische Missverständnis zu erklären. Mergy war ein Freund. Er hatte sie damals gerettet und ihr dieses Leben ermöglicht. Er war der Letzte, den sie hätte beleidigen wollen.
Nicht nur Sash erinnerte sich in diesem Moment an die Vergangenheit. Auch durch Mergys Kopf schwirrten die Bilder ihrer ersten Begegnung. Mergy schwebte mit seinem Gleiter über Philadelphia. Er suchte nach einer jungen Frau, die vom Kommando als geeignet eingestuft wurde. An ihren üblichen Plätzen fand er sie aber nicht. Ihr Schlafplatz war verwaist, ihre wenigen Habseligkeiten unter der Brücke waren allerdings noch da. Mergy erweiterte den Scan und entdeckte fünf Signaturen nur wenige Kilometer von ihrem Schlafplatz entfernt, die sich schnell bewegten.
Das Mädchen wurde von vier größeren Personen verfolgt und regelrecht durch die Straßen gehetzt. Als Mergy die Szenerie erreichte rannten die fünf gerade über einen Sportplatz. Ohne Effekthascherei erschien Mergy zwischen den beiden Parteien auf dem Spielfeld und rief die Typen dazu auf die Jagd einzustellen. Baseballschläger, Ketten und Messer wurden ihm entgegen gesteckt. Trotz der Bewaffnung hatten die Angreifer keine echte Chance. Mergy entwaffnete sie der Reihe nach und verpasste ihnen einen Betäubungsschuss aus seinem Arm. Der Letzte zog eine Waffe und feuerte einige Male auf Mergy, bevor auch er zu Boden ging.
Mergy blieb still stehen und prüfte die immer noch vom Scanner überwachte Szene mit seiner Brille. Das Mädchen hatte sich hinter einer Mauer versteckt und schaute offensichtlich zu ihm hinüber. Mergy marschierte langsam und leicht torkelnd vom Schlachtfeld weg und fiel dann einfach nach vorne um. Es dauerte einige Momente, dann hörte er ein Schnaufen näher kommen. Mit einem Ruck wurde der Kommander auf den Rücken gedreht und schaute in die abgekämpften und verschwitzten grünen Augen, die jetzt erstaunt auf ihn hinunter blickten: »Sie?« »Hallo Sasha, schön dich wieder zu sehen! Ich bin übrigens Mergy. Test bestanden. Ich gratuliere.«, begrüßte Mergy sie ebenfalls, wenn auch mit einem frechen Grinsen. Sasha sprang auf und machte einige Schritte rückwärts, während Mergy sich aufrappelte und das Gras von den Kleidern klopfte.
»Verfolgen sie mich etwa?«, fragte Sasha immer noch bereit sofort wieder zu fliehen. »Ja, schuldig.«, sprach Mergy und gab unsichtbar für die junge Dame Jaque das Kommando die Polizei zu rufen. »Wir sollten hier verschwinden. Ich denke wir beide haben kein Interesse der Polizei zu begegnen.«, lächelte Mergy: »Dahinten ist ein 24 Stunden Diner. Ich lade dich ein und beantworte all deine Fragen.« Unsicher nickte die junge Frau und schaute sich um. Ihre ehemaligen Angreifer rührten sich nicht. »Keine Sorge. Die schlafen nur und haben beim Aufwachen heftige Kopfschmerzen.« Sie folgte dem ihr mehr oder weniger unbekanntem Mann, der keinerlei Anstalten machte sie zu bedrängen oder ihr Folgen zu kontrollieren.
Die Tür des Diners klingelte. Der Duft von Frittiertem und Kaffee lag in der Luft. Aus einer Jukebox trällerte Elvis und außer der Bedienung und einem Koch im Hintergrund war niemand zu sehen. Die Wände waren mit verschiedenen Idolen der Amerikanischen Geschichte verziert. Die dicken roten Ledersitze luden nur so dazu ein sich einfach drauf zu werfen. Mergy deutete auf eine Bank am Fenster und setzte sich auf die gegenüberliegende Seite. »Ja, das ist mal etwas anderes! Hier die Karte. Kannst bestellen was du willst. Ich hab Taschengeld bekommen.«, lachte Mergy und steckte seinen Kopf in eine zweite Karte. Die Bedienung tat es dem Lokal gleich. Als wäre sie einem der Popart Poster entsprungen trug sie die für einen Diner dieser Art übliche zeitgemäße Kleidung und fragte nach den Wünschen der beiden Gäste.
Sasha war unsicher, aber Mergy wiederholte es gäbe kein Limit. Zögerlich bestellte sie einen großen Cheeseburger mit Fries und eine Cola. »Na das ist mal eine Ansage. Ich nehme das Gleiche!«, bestellte auch Mergy sein Mahl. »Was für ein Test?«, stellte seine Begleitung erstmals eine Frage. »Nun ja, als ich letzte Woche versehentlich meinen Geldbeutel absichtlich verloren habe, wollte ich sehen, wie es um deine Ehrlichkeit bestellt ist. Es waren 100 Dollar darin, die du gut hättest gebrauchen können. Trotzdem hast du ihn mir zurück gegeben und nicht einmal auf einen Finderlohn bestanden. Die 10 Dollar musste ich dir förmlich aufdrängen. So etwas gibt bei mir Pluspunkte.«
»Heute wollte ich dich eigentlich nur zum Essen einladen. Die Typen kamen mir dazwischen und weil du nicht weggelaufen bist, sondern hinter der Mauer zugeschaut hast, habe ich dich noch einmal auf die Probe gestellt, um zu sehen ob du mir helfen würdest. Mich retten zu wollen gibt nämlich ebenfalls Bonuspunkte.«, grinste Mergy ausführlich und ohne Hast. Lediglich die Gänsefüßchen, mit denen er die gesprochenen Worte »versehentlich« und »verloren« einrahmte und die er mit den Fingern in die Luft malte, brachten zusätzliche Bewegungen in den großen Mann. Die Bedienung brachte die Getränke und verhinderte eine sofortige Gegenfrage des immer noch unsicheren Mädchens. »Ich dachte der Typ hätte sie getroffen, als er auf sie geschossen hat.«, begründete Sasha ihr Handeln. »Er hat mich ja auch getroffen, aber ich bin Kugelsicher.«, antwortete Mergy und erzeugte in Sasha nur ein Gefühl des Verarscht werdens.
»Bevor ich dir sage, was du gewonnen hast, möchte ich gerne einige Fakten abgleichen. Ist so eine Marotte von mir. Du bist Sasha Granger. Deine Mutter starb an einem Aneurysma im Gehirn, da warst du sechs. Bis zu deinem vierzehnten Lebensjahr hast du bei deinem Vater gelebt, bis dieser beim Überqueren einer Straße von einem Lastwagen erfasst und getötet wurde. Ab diesem Zeitpunkt hast in einem Heim gewohnt und später eine Ausbildung als Frisörin begonnen. Durch einige widrige Umstände, an denen du keinerlei Schuld trägst, wurdest du gefeuert und infolge dessen hast du nur wenig später deine Wohnung verloren. Trotz unzähliger aktiver Versuche bist du, wie man schon schön sagt, durch das Raster des Systems gefallen und lebst seitdem auf der Straße. Ist das in etwa korrekt so?«, stellte Mergy eine weitere Frage, die Sasha schon lange vor dem Ende der Selbigen mit dem Erstaunen in ihrem Gesicht beantwortet hatte. »Ja, aber woher wissen sie das alles?« »Wir haben recherchiert und suchen nur die Besten der Besten. Du bist so jemand.« »Ich?«, Sasha schnaufte: »Ich bin ein Niemand!«
Die Bedienung stellte die Teller mit der bestellten Nahrung auf den Tisch und wünschte einen guten Appetit. »Wow, sie verstehen die Bedeutung von Groß! Danke!«, freute sich Mergy über die ordentliche Portion und auch sein Gegenüber begann sofort zu essen. »Genau! Du bist Niemand und wir sind der Club der Niemande. Von unserer Sorte gibt es mehr als du vielleicht denkst. Kommen wir jetzt du deinem Preis.«, setzte Mergy seine Erklärung fort, nachdem er ein großes Stück vom mit Fleisch gefüllten Brötchen gebissen, gekaut und geschluckt hatte: »Wir stellen dir einen eigenen Frisörsalon und eine eigene Wohnung zur Verfügung. Eine Menge neuer Freunde, die wenn man es genau nimmt, auch gleichzeitig deine Kunden sein werden, wirst du auch finden. Außerdem wirst du an diversen Ausbildungs- und Weiterbildungsprogrammen teilnehmen. Die Highlights hier wären Kampfsport und Fliegen. Du wirst allerdings deine Brücke gegen eine Raumstation eintauschen müssen.« Da war es wieder. Spielte dieser Typ nur mit ihr oder hatte er einfach nur einen ernst zu nehmenden Dachschaden?
»Klar, sie kommen vom Mars.«, war Sash mittlerweile deutlich lockerer und kaufte ihm trotz der beeindruckend klingenden Angaben nichts von der Geschichte ab. »Nein, ich komme aus Deutschland. Ich wohne und arbeite nur auf einer Raumstation. Auf dem Mars war ich aber auch schon. Habe den defekten NASA Rover gemopst. Jetzt steht er in einer Vitrine.« »Ja, genau und natürlich sie haben ein Raumschiff, welches unsichtbar über dem Gebäude schwebt.« »Gut geraten. Wir nennen die Raumschiffe Kampfgleiter. Ich habe aber den ironischen und abwertenden Tonfall in deiner Stimme durchaus wahr genommen.« »Sie halten mich wohl für sehr leichtgläubig.« Mergy konzentrierte sich einen Moment auf seine Brillensteuerung. »Was siehst du da draußen?« Sasha schaute auf die Straße.
Ein paar parkende Autos, die von den Laternen leicht beleuchtet wurden und die Nachtbeleuchtung einer kleinen Schneiderei auf der anderen Seite war alles was zu sehen war. »Da ist nichts.« »Schau genauer hin!«, wies Mergy an und ließ die Perfektion der Tarnung, die den Kampfgleiter vor neugierigen Blicken schützte, für einige Momente schwinden. Ganz kurz konnte nun auch Sasha den Gleiter verschwommen wie eine Fata Morgana sehen. Fragte sich aber sogleich ob das jetzt Einbildung oder echt war. »Ja, der war echt!«, beantwortete ihr neuer Möchtegern–Freund die gedankliche Frage: »Momentan sind wir noch im Aufbau, aber eines Tages wird jeder Pilot mit einem Kampfgleiter ausgerüstet sein, Menschenleben retten und Verbrechen bekämpfen.« Mergy legte eine Pause ein und Biss noch einmal herzhaft in seinen Burger.
»Ich liebe diese Burger. Der Einheitsmist auf der Station braucht deutlich mehr Varianz.«, lobte Mergy den Koch und machte gleichzeitig das Essen der Nahrungsverteiler schlecht. »Oh, ich muss los. Ich muss noch in England einer Ärztin das gleiche Angebot machen, wie dir. Wenn du Interesse hast deinem Leben eine neue Richtung zu geben und wenn du ein echtes Abenteuer erleben willst, dann sehen wir uns in einer Woche genau hier.«, erhob sich Mergy und legte 50 Dollar auf den Tisch: »Der Rest ist für dich.«
Sasha konnte sehen, wie er über die Straße ging, noch einmal schlaksig salutierte und sich dann in Luft auflöste. Sie hatte noch dreißig Minuten in dem Diner gesessen und gedankenversunken auch noch die kalten Reste vom Teller ihres Gegenübers vernichtet und die Wärme des Lokals in sich aufgenommen, bevor sie sich auf den Heimweg zur Brücke machte, die sie bis zu dem Zeitpunkt als ihr aktuelles Zuhause angesehen hatte. Mergy erschien wie versprochen eine Woche später und entführte sie in ihr neues Leben. Er hatte nicht übertrieben. Nicht nur ein Heim, sondern auch Freunde, hatte sie gefunden. Jetzt hatte sie eine Aufgabe, die über das bloße Schneiden von Haaren weit hinausging. Ja, Mergy hatte ihr Vertrauen nie enttäuscht. Er war immer fair gewesen und hatte ein offenes Ohr für ihre Probleme gehabt. Ihr Kollege selbst hatte sie gerade noch als Freunde bezeichnet und jetzt war er sauer, obwohl sie nicht so recht verstand warum eigentlich.
Mergy klinkte seinen Arm aus und warf ihn mittig auf das Bett: »Siehst du: Ich bin ein seelenloses Robotermonster!« Sash schluckte. Sie hatte Gerüchte darüber gehört, aber Beweise hatte es nie gegeben und jetzt lag sein Arm auf ihrem Bett. Es war nie ein Thema gewesen. Wenn Mergy einen künstlichen Arm hatte, dann war es ihr egal gewesen. Er wäre immer noch die selbe Person und jetzt war sie es, die nicht nur ihren Arm ablehnte, sondern auch sich selbst verleugnete. »Ich dulde kein Aufgeben. Du wusstest von der Gefahr mit der wir hier täglich Leben. Alle auf der Station wissen das. Wir haben die besten Ärzte und Möglichkeiten auf der Station. Möglichkeiten, die es da unten auf der Erde nicht einmal ansatzweise gibt. Als ich, ich weiß nicht einmal mehr wie viele Jahre es genau waren, meinen Arm verloren habe, gab es keinen Monsterarm. Mergy, der Krüppel, musste damit klar kommen und sich etwas ausdenken. Wenn Tin, Trish und ich sofort aufgegeben hätten, dann würde es das ganze Ray Team nicht geben.« Mergy schnappte sich seinen Arm, fädelte ihn in den schwarzen T-Shirt-Ärmel und rastete ihn wieder ein.
Der Arm begann zu leben. Er zuckte und die Finger bewegten sich nacheinander. »Du hast viele Fragen und willst wissen, wie dein weiteres Leben jetzt aussehen wird. Das ist verständlich, aber immer eins nach dem Anderen. Wichtig ist erst einmal, dass du lebst. Wichtig für mich und für deine anderen Freunde. Jetzt wird gegessen und den Anweisungen der Ärzte Folge geleistet. Das ist ein Befehl!« Ohne Sash die Chance zu geben noch etwas zu sagen oder sich zu entschuldigen, ließ er sie mit ihren wirren Gedanken alleine im Raum zurück: »Sandra, warte noch 10 Minuten. Wenn sie sich bis dahin nicht selbst bei dir meldet, bring ihr noch einmal etwas zu Essen. Ich denke es wird keine Probleme mehr geben.«
Im Konferenzraum warteten bereits die Verantwortlichen der Station. Mergy gesellte sich als Letzter dazu und setzte sich. Sab erteilte das Wort an ihre Kollegin. Tin beschwerte sich darüber, weil May eigenmächtig die Reparatur der Vanquist Antriebs- und Energiesysteme ausgesetzt hatte. May erläuterte ihre Gründe, aber Tin blieb störrisch. »Der Antrieb hat funktioniert.«, versuchte es May erneut. »Er ist explodiert.«, blieb Tin trotzig: »Ganz so wie ich es erwartet hatte.« »Ja und genauso wie Grabbler es erwartet hatte. Er hat mich davor gewarnt. Er wusste durch die provisorischen Modifikationen im laufenden Betrieb würde er nicht sehr lange funktionieren und ich alleine habe die Entscheidung getroffen ihn dennoch einzusetzen, weil es nötig war.« Tin verharrte auf ihrer Position: »Wir können keinen Antrieb brauchen, der uns immer gleich um die Ohren fliegt.«
»Erstens wäre ein echter Umbau deutlich sicherer und zweitens sind die Draken im Unterraum schneller als wir und das ist ein Problem, weil unsere Waffen dort nicht richtig funktionieren oder eben keine Zusatzenergie vorhanden ist. Grabbler hat sich bewiesen und gezeigt was er drauf hat. Wir sollten ihm die Chance geben und wenn es nicht klappt, dann bauen wir wieder den Standardantrieb ein. Fertig.« »Dann testest du den. Ich habe keine Lust mitten im Nirgendwo eine Panne zu haben.«, maulte Tin. »Kann es sein das du einfach nur beleidigt bist, weil jemand anderes deine Arbeit verbessert hat? Du hattest übrigens recht. Die Farbe des Unterraums verändert sich mit der Geschwindigkeit.«, versuchte es May mit klaren Worten, aber auch mit ein wenig schmeicheln: »Du hast mir damals die Möglichkeit gegeben und mir eine Chance eingeräumt mich zu beweisen. Grabbler hat sich durch seine Leistung auf der letzten Mission die gleiche Chance bei mir verdient.«
Erst jetzt bemerkten May und Tin die anderen schweigsamen Kommander am Tisch. Keiner hatte etwas gesagt oder beigetragen. Mergy stach ihr mit seinem süffisantem Lächeln sofort in die Augen. »Wo ich schon einmal das Wort habe. Ich finde es unmöglich von dir einfach so in meinem Leben herumzupfuschen.« May deutete direkt mit dem Finger auf Mergy, dem schlagartig die Gesichtszüge entgleisten. Anscheinend hatte er keine Ahnung, was May damit meinte. »Mir wurde erst vor kurzem erklärt ich könne aufgrund meines Alters nun selbst über meinen Körper und meine Gesundheit bestimmen. Wann ich mich wecken lasse ist also einzig und alleine meine persönliche Entscheidung. Das dir jemand an diesem Tisch dabei geholfen haben muss, ist mir klar, sonst hätte Jaque der Änderung niemals zugestimmt. Ich will auch gar nicht wissen, wer es war, sondern nur, dass es nicht mehr vorkommt.«
»Angekommen!«, zeigte sich Mergy einsichtig. Trish hielt sich auffällig zurück und vermied den direkten Augenkontakt. May war nach dem Anschneiden des Themas ihre Reaktion sofort aufgefallen. Sie war wohl seinem Wunsch nachgekommen und hatte ihrem väterlichen Freund bei seinem Unterfangen geholfen. »Gut kommen wir wieder zur Tagesordnung zurück. Die Mystery wird in zwei Tagen wieder voll einsatzfähig sein. Die Schäden an der Vanquist sind bis auf die besagten Systeme bereits behoben. May wird das mit Grabbler regeln und den neuen Antrieb ausgiebig testen. Erfahrungen mit systematischen Tests hat sie dank der Transporter ja bereits. Dann ist da noch die Sache mit Moon. Wie gehen wir vor?«
»Naja, wir können ihn nicht ewig wegsperren und die anderen Piloten werden ihm bestimmt auch regelmäßig zeigen, wie sie seinen Kommandostil fanden.«, versuchte Trish von der Weckergate-Affäre abzulenken: »Wenn wir seine Freiheiten stark einschränken und ihm bis auf weiteres die freien Tage streichen, sollte das genügen.« »Ein paar Zusatzschichten werden ihm auch gut tun.«, fügte Sab an. »Ja, wir hätten auf May hören und ihn nicht ganz oben auf die Liste setzen sollen. Vorschläge für den Ersatz?«, fragte Mergy mehr direkt seine Ziehtochter und nicht die gesamte Kommandotruppe. Er versuchte wohl damit auch seinen Eingriff in ihre Privatsphäre wieder ein wenig auszubügeln. »Solange! Sie ist genau richtig für den Job und hat bereits bei der Rettungsaktion mehrfach bewiesen, was sie kann, wenn man sie fordert.«
»Ihr Name wird mich zwar noch ins Grab bringen, aber ansonsten spricht nichts gegen die Französin als Kapitän.«, spielte Mergy auf den geschriebenen Namen und die damit verbundenen vermeintlichen Satzbaufehler in seiner Landessprache an. »Doc, wie sieht es bei dir aus.«, sprang der Kontrollfreak schon einen Punkt weiter. »Nach einigen anfänglichen Problemen ist Sash dank Mergy, wie ich gerade erfahren habe, wohl wieder in der Spur. Alle anderen Piloten wurden bereits entlassen. Was Sash angeht, so müssen wir noch ein paar Wochen warten, bis alles ordentlich ausgeheilt ist. Dann können wir das Interface für den Arm implantieren und dem bekannten Prozedere folgen.«, erläuterte der Doc: »Ich sehe da bislang keine Probleme.«
»Daneen wollte noch etwas vorbringen.«, setzte Sab die Sitzung mit dem nächsten Programmpunkt fort. »Ja, also Scheich Hazza Bin Zazed Al Nahyan, hat wie bereits schon im letzten Jahr förmlich angefragt, ob wir im Rahmen des jährlich statt findenden Air Race eine Delegation für eine Demonstration in Form eines Gleiterrennens nach Abu Dhabi schicken können. Er würde sich die Sache 10 Millionen US-Dollar kosten lassen.«, erklärte sie zusammenfassend die Anfrage. May hatte weder eine Ahnung was ein Air Race war, noch eine Vorstellung von der Geldmenge, konnte sich aber ihren Teil denken. »Das wäre eine nette Abwechslung für unsere Piloten. So ein Air Race ist ja nicht nur Geschwindigkeit. Es fordert höchste Präzision und Geschick.«, führte Tin aus und ließ die anderen am Tisch aufhorchen. »Ausgerechnet du, die sofort kotzt, wenn der Boden auch nur wackelt, stehst auf Flugrennen?«, traute sich Mergy als einziger die Frage laut zu stellen, die allen anwesenden Personen auf der Zunge lag.
»Ja, ich finde die recht unterhaltsam. Mitfliegen möchte ich da natürlich nicht.«, konterte der Kommander. »Wann ist das Event?« »In nicht ganz einem Jahr. So etwas wird ja immer weit im Voraus geplant.« »Hmm!« »Hmm, was?«, fragte diesmal Trish den Jeanswestenträger neben ihr. »Naja, was haltet ihr von einem Wettbewerb. Wir stellen draußen im All eine Rennstrecke auf und jeder Pilot kann vor und nach seinen Schichten Übungsflüge machen. Die zehn schnellsten dürfen dann zu dem echten Rennen in den Wüstenstaat.« »Es herrscht immer noch Energieknappheit. Die jüngsten Ereignisse waren nicht gerade förderlich für unsere Situation. Diese illegalen Straßenrennen, die neuerdings in den Holoräumen ausgetragen werden, sind auch nicht sehr energiesparend.«
»Wir müssen unseren Leuten etwas bieten und so ein Rennen ist nicht nur gut für die Motivation, sondern auch ein nicht zu unterschätzender Trainingsfaktor. Und das Rennprogramm ist wirklich erstklassig. Stiff hat nicht nur seine persönlichen Erfahrungen eingebracht, sondern auch die Programmierung hervorragend erledigt.« »Du hast es selbst probiert?« »Ich bin nicht allzu gut auf vier Rädern, aber es macht höllisch spaß durch die Straßenschluchten der verschiedenen Metropolen zu rasen und durch die Kurven zu driften. Der Wettbewerb unter den Piloten macht das Programm so interessant und gleiches gilt auch für so ein Luftrennen. Wenn sich nur die Besten für so ein Event qualifizieren können, dann wird die Meute in den nächsten Monaten freiwillig trainieren, ohne das wir auch nur einmal ein Murren hören.«
»Also auch wenn ich die Energiesituation immer noch als problematisch ansehe, muss ich sagen, der Motivations- und Trainingsfaktor ist hier durchaus hervorzuheben. Wer will schon Trainingsflüge machen und mit virtuellen Draken kämpfen. Das ist in der letzten Zeit schon oft genug in der Realität vorgekommen.«, teilte auch Trish ihre Meinung mit. Es wurden noch einige Details durchgesprochen und die Idee von Mergy durchgesprochen. Daneen bekam grünes Licht und sollte sich um die Gespräche mit den Verantwortlichen für die große Show der Sieger auf der Erde kümmern.
»Gut, wenn sonst nichts mehr ist, sind wir durch.«, schloss Sab die Sitzung. May war schnell im Lift verschwunden und zitierte Grabbler auf die Vanquist. »Ich schätze May hat uns heute mal wieder deutlich ihre erwachsene Seite gezeigt, was?« Tin hatte sich gerade an die Konsole für die Energiesysteme gesetzt und drehte sich mit dem Stuhl zu ihm um: »Ja, sie hat ja recht. Ich habe kein Patent auf die beste Lösung und bin wohl wirklich etwas eifersüchtig auf Grabblers kreative Lösung des Kühlproblems.« »Und wir müssen uns wohl auch mehr zurück halten, oder?«, deutete Mergy auf Trish, die empört dein schaute. »Wir? Du wolltest sie doch schlafen lassen. May hat bestimmt längst herausgefunden, wer das zweite Kommandomitglied war. Jetzt darf ich mich wegen deiner blöden Aktion bei ihr entschuldigen.«, war Trish sichtlich aufgebracht, weil die eigentlich sinnvolle Aktion so nach hinten losgegangen war.
May saß unterdessen alleine im Büro der Vanquist und schaute nach draußen durch den Kommandosaal des Raumschiffes hindurch ins All. Was hatten sie für Glück gehabt? Ohne die Seem, ja auch ohne Grabbler, wäre die Mission vielleicht nicht gescheitert, aber man hätte zumindest die Mystery verloren. Auch wenn das Retten der Besatzung geglückt wäre, hätten sie damit den Draken Mut gemacht und ihre Verwundbarkeit gezeigt. Eine Bewegung in ihrem Blickfeld brachte sie wieder in die Gegenwart zurück. Es war Grabbler, der sich mit seiner schwarzen Stoppelmähne im Kommandoraum umsah. Als sich ihre Blicke trafen, winkte May ihn zu sich rein.
Ihr älterer Kollege wirkte leicht unsicher. Deutlich mehr als noch auf der Mission. Anscheinend hatten ihr Führungsstil und die Ergebnisse der letzten Tage auch bei ihm deutlichen Respekt erzeugt und Mays Rang als Kommander auf ein noch festeres Fundament gesetzt. »Setz' dich.«, forderte der junge Kommander ihn auf. »Also erst einmal vorweg: Du hast hervorragende Arbeit geleistet. Ohne dich hätten wir deutlich mehr Probleme gehabt und wohl auch eins der Schiffe verloren.«, lobte May ihren Untergebenen. Der kleine Kommander war einfach nur ehrlich. Dieses Lob unter vier Augen sollte ihn motivieren aber auch etwas beruhigen. »Ich hab mir deine Pläne zum Umbau der Vanquist angesehen. Bist du nach deinen Erfahrungen mit dem modifizierten Antrieb immer noch immer der Meinung er würde einen dauerhaften Ersatz für das bisherige System darstellen?« »Ja, einige Details würde ich nach den neusten Daten ein wenig abändern, aber generell sehe ich keinen Grund, der dagegen spricht.«, erklärte der Techniker.
»Gut, dann hast du hiermit die Aufgabe die Vanquist mit deinem neuen Antriebssystem auszustatten.«, setzte May ihre Aufgabe fort. »Tin ist damit sicherlich nicht einverstanden.«, war Grabbler sichtlich erstaunt über so viel Zuspruch. »Lass Tin meine Sorge sein. Wie lange brauchst du?« »Mit der Planänderung etwa 30 Stunden. Es sind ja nur stärkere SSEs und die dafür nötigen größeren Energiesysteme mit einer neuen Plasmakühlung nötig. Einige bestehende Systeme müssen anders angeordnet werden, um Platz für die neuen Kühlwege zu schaffen.« »Die Repligen der Vanquist stehen dir zur Verfügung. Wenn du sonst noch Hilfe oder Ausrüstung brauchst, dann melde dich direkt bei mir.«
»Danke, für diese Chance!«, zeigte sich Grabbler dankbar. »Mir hat damals auch jemand so eine Brücke gebaut und du hast dir diese Chance durch deinen Einsatz auf der letzten Mission mehr als nur verdient. Ich erwarte ein solides Ergebnis. Wenn es länger dauert, dann will ich darüber informiert werden. Sollte es wider erwartend Probleme geben, dann ist es besser wir gehen auf den alten Antrieb zurück. Ich halte schließlich auch meinen Kopf dafür hin, klar?« »Ja, verstanden.« »Dann an die Arbeit.«, beförderte May ihren neuen Maschinisten verbal aus dem Büro.
Sie selbst blieb noch einige Minuten dort sitzen und verließ dann über den Stationsturm die Vanquist. Mit dem Lift ging es direkt auf die Promenade und zu Fuß weiter in die Krankenstation, wo sie den Knopf an Sash's Zimmertür drückte. Die Tür rauschte auf und Sash schaute ihr direkt mit einem Lächeln in die Augen. »Hey, du kannst ja schon wieder lachen. Schön!« »Sophie war eben hier.« »Sophie?« May kannte niemanden mit diesem Namen. Hatte sie Besuch von der Erde? »Sadis Tochter. Mit Mama natürlich.« »Haben sich Sadi und Honk also doch noch auf einen Namen geeinigt. Ich hatte noch überhaupt keine Zeit die Kleine zu sehen.« »Sie ist so süß!« »Ja, Sab war auch schon am Schwärmen.«, lachte May und Sash riss sie gleich mit: »Schön, dass du nicht mehr mit Tabletts wirfst.« »Du hast davon gehört?« »Ich war auf der anderen Seite der Tür. Dein Essen ist quasi direkt an mir vorbei geflogen.« »Tut mir leid. Ich bin komplett ausgerastet.«
Sash legte einen wirklich schuldbewussten Gesichtsausdruck auf. Nicht zu Letzt, weil sie noch keine Gelegenheit hatte sich bei Mergy zu entschuldigen: »Mergy hat mir gewaltig den Kopf gewaschen.« »Ja, er hat zwar oft Gefühlsverstopfung, aber so etwas kann er gut.« Sash musste laut auflachen, fragte dann aber nach, was May genau meinte. So erzählte sie ihr die Geschichte von Michael Vanquist, der ihr den Mut gegeben hatte sich der Situation zu stellen. Die Möglichkeit, Mergy hätte sich die Botschaft vielleicht nur ausgedacht, ließ sie weg. Sash klebte an ihren Lippen. May merkte, wie ihre Kollegin dieses völlig unbekannte Leben sichtlich berührte. »Du kannst froh sein. Er hätte dich direkt ohne Arm und mit Krankenhemdchen ins Sors transportieren können. Mich hat Mergy damals mit dieser Drohung zur Kooperation gezwungen.«, schloss May ihre Erzählung ab.
»Wirklich eine traurige und doch lehrreiche Geschichte. Daher hat die Vanquist also ihren Namen. Das wusste ich nicht.«, zog Sash ein positives Fazit. Dem kleinen Kommander gefiel es einmal mehr zu sehen wie das Vermächtnis eines längst verstorbenen Jungen weiterhin andere Leben beeinflusste. Egal ob von ihm so gedacht oder nicht. May erkundigte sich auch nach Sashs Vergangenheit und sie erzählte ihr von den ersten Begegnungen mit Mergy. Ohne es zu bemerken flogen die Stunden nur so vorbei. Erst als Sandra mit dem Abendessen in der Tür stand, wurden beide gewahr, noch nie so lange und so intensiv miteinander geredet zu haben, wie an diesem Tag.
Es war schon nach 20 Uhr als May die Krankenstation verließ. Im Sors war eine Menge los. Die Erlebnisse der letzten Tage und Wochen wurden ausgetauscht und abgeglichen. Nim saß ganz hinten im Lokal und schaute gedankenverloren aus dem Fenster, während seine Hand regelmäßig ein Stück Kuchen in seinen Mund beförderte. Es war schön ihn einfach nur zu beobachten. Die Last, die Ungewissheit und die Angst der vergangenen Wochen war verflogen. Zurückgeblieben war nur noch die Liebe, die sie für diesen Jungen empfand. Es war einfach schön zuzusehen, wie er seine Lieblingsspeise vertilgte. »Ich liebe dich!«, flüsterte sie ihm leise über die Luft ins Ohr, ohne auch nur in Menge vorzustoßen. Nim sah sich unsicher um, bis er May auf der Promenade ausmachte und verstand, wie die Tonübertragung funktioniert hatte.
Er ließ seinen restlichen Kuchen zurück und kam schnellen Schrittes auf seine Freundin zu, die erwartungsvoll in der nur von einigen Piloten bevölkerten Halle wartete. Sanft fielen sie sich in die Arme und küssten sich. »Das hat mir so gefehlt.«, brachte May kurz heraus, als sich ihre Nasenspitzen berührten und die Augenpaare sich gegenseitig betrachteten. »Mir auch!« Trotz des vielen Schlafes an diesem Tag machten sich beide direkt auf den Weg in Mays Quartier, um die innere Uhr wieder zu stellen, wie Nim das nannte. Es dauerte bis beide endlich den erholsamen Schlaf fanden, den sie gar nicht suchten.
Als May erwachte, war ihr die Situation genauso fremd wie ungewohnt. Die letzten Nächte war sie immer alleine gewesen und jetzt war er wieder da. Ihr Freund lag hinter ihr. Fast beschützend hatte er seinen Arm um sie geschlungen. Gleichmäßig spürte sie den Atem in ihrem Nacken. Es war ein schönes Gefühl ihn wieder um sich zu haben. Vorsichtig umschlang sie seine deutlich kräftigere Extremität mit Ihrer und genoss die Situation in vollen Zügen. Seine Freundin fühlte sich geborgen und sicher in seinen Armen. Das war so ein Moment, den man unendlich lange erleben möchte dachte das Mädchen, während sie zwar die Augen schloss, aber nicht versuchte weiter zu schlafen.
Nim wurde deutlich später wach. May spürte wie seine Atmung sich änderte, er sich streckte und es dabei vermied sie mit einer Bewegung oder einem Laut zu wecken. »Morgen!«, flüsterte May sanft: »Ich bin schon wach.« Dann drehte sie sich auf der Stelle um und schaute in die warmen Augen, die sie so liebte. Mit einem intensiven Kuss begrüßten sie sich und den neuen Tag.
Die wiedergewonnene morgendliche Zweisamkeit wurde von beiden Seiten genossen und zog sich bis zum Frühstück im Quartier hin, wo Beide von den Geschehnissen der letzten Wochen berichteten. Nim wollte auch wissen, wie es zur Offenlegung ihrer Fähigkeiten gekommen war und wie es sich so angefühlt hätte vor so vielen Menschen in London die wundersamen Kräfte zu beschwören, die ihr inne wohnten. Seine Freundin war einfach nur froh nicht mehr Lügen zu müssen. Es war eine gewaltige Last von ihrer Seele abgefallen und nicht jedes Mal überlegen zu müssen, brachte zusätzliche Erleichterung bei Einsätzen.
Eigentlich war es ja nur dazu gedacht gewesen etwas Abstand zur räumlichen Trennung von Nim zu bekommen, aber sie hatte auch einige Ideen, die sie gerne umsetzen und ausprobieren wollte. So prüfte der kleine Laborant noch einmal die Programmierung der Systeme und spielte einige Aufzeichnungen ab, die sie mit Suki vor einigen Tagen gemacht hatte. »Treten wir ihnen in den Arsch. Die haben doch Ärsche, oder?«, erschien Suki auf dem Kontrollschirm und May schmunzelte wie schon bei der Aufnahme selbst. »Kann man gebrauchen!«, redete sie mit sich selbst und gab der Datei eine die Bedeutung wiederspiegelnde Kennung und Schnitt ihre Freundin aus den Aufnahmen aus und fügte sie in eine neue Umgebung ein. Das Spiel wiederholte sich bereits einige Male, als es an der Tür klingelte.
May ließ die Tür öffnen und Nim steckte seinen mit fragendem Blick seinen Kopf hinein: »Du hast ein eigenes Labor? Darf ich rein?« »Klar.«, lächelte May. »Was baust du hier?«, fragte Nim gleich weiter und deutete auf die zwei glänzenden Metallboxen auf dem Boden: »Kühlschränke? Särge? Oder beides?« »Was ist ein Kühlschrank?«, fragte May mit unsicherem Blick den Nim mit offenen Augen erwiderte. Manchmal vergaß er die Tatsache, dass sie aus komplett verschiedenen Ecken der Erde kamen und May nicht alles kannte, obwohl sie sich schon durch riesige Haufen von Wissen gefressen hatte. »Da kommen Lebensmittel zum Kühlhalten hinein, damit sie nicht so schnell verderben.«, erklärte Nim mit einfachen Worten. May setzte schlagartig einen gleichermaßen entsetzten wie enttäuschten Blick auf und ließ ihre Schultern hängen: »So etwas gibt es schon?« Für einen Augenblick war Nim verwirrt. Doch dann bemerkte er den Schabernack, den seine Freundin mit ihm machte. »Oh, fast hättest du mich hereingelegt.«
»Nur fast?«, wippte May auf ihrem Stuhl hin und her: »Das Projekt ist noch geheim, aber du kannst mir trotzdem helfen.« »Klar, was muss ich machen?« »Zuerst brauche ich deine Erlaubnis dein Bild und deine Stimme aufzuzeichnen, um sie für meine Arbeit zu verwenden.« »Hologramme?«, hatte er offensichtlich gleich einen Einwand, den Sor schon bei ihrer Ankunft vor vielen Jahren vermeldet hatte. Er wollte kein Hologramm von sich in der Gegend rumlaufen sehen. »Menschen mögen es nicht!«, hatte Sor damals gesagt. »Nein, du bist Kapitän eines Trägerschiffes und ich brauche ein paar Antworten die du per Kommunikation an andere Schiffe gibst.« »Kapitän Nim. Klingt cool! Aber wozu das Ganze?«, bohrte Nim weiter nach. »Kann ich dir noch nicht verraten. Aber schau, Suki hat auch schon einen Satz Aufzeichnungen abgeliefert.«, umschiffte May das Geheimnis und drückte eine Taste auf ihrer Wissenschaftskonsole. »Treten wir ihnen in den Arsch. Die haben doch Ärsche, oder?«, erschien Suki auf dem Bildschirm. Im Stuhl des Kapitäns sitzend und mit dem neuen Hintergrund, sah es aus wie die Antwort eines echten Raumschiffkapitäns.
Nim verstand schnell. Er würde keinerlei plausible Antworten erhalten. Trotzdem erfüllte er seiner Freundin ihren Wunsch und setzte sich wie angewiesen auf einen Stuhl. May startete die Aufzeichnung: »Einfach mit einer kurzen Lücke die Funksprüche aussprechen. Wie bei diesem Star Trek.« »Geht klar!«, grinste Nim in die Kamera. »Der war schon mal gut!«, lachte May. Es gab keine Zweifel. Die Erfahrung von Nim als Fernsehkonsument zeigten Wirkung. Ohne Probleme ratterte er diverse Sprüche in die Kamera. Er hampelte sogar auf dem Stuhl herum, um schweres Waffenfeuer zu simulieren. May brauchte ihm gar nicht unter die Arme greifen, sondern nur hier und da eine Frage oder eine Anweisung über den unhörbaren Funk senden, damit er darauf reagierte, wie ein Pilot im Chefsessel. »Das war toll. Danke!«, waren sie schließlich am Ende der Session angekommen. »Und was kommt jetzt?«, bohrte Nim indirekt weiter. »Jetzt schneide und katalogisiere ich die Antworten. Wenn alles beisammen ist, kommst du in den zweiten Kühlschrank.«, blieb May nicht weniger nebulös als schon zuvor.
»Dann lasse ich dich in Ruhe arbeiten, bevor du noch etwas falsches abschneidest.«, lachte ihr Freund, der wie immer in Jeans, T-Shirt und Converse Sneakers herum lief, verabschiedete sich, nicht ohne ihr noch einen liebevollen Kuss zu geben, wieder zurück in seine vom Doc angeordnete Innendienstschicht in der Kommandozentrale. May schaute sich noch einmal die Aufnahmen ihres Geliebten an und vergaß dabei regelrecht ihre eigentliche Aufgabe. Erst Minuten später fügte sie den Hintergrund und offiziellere Kleidung ein und setzte entsprechende Schnitt– und Typmarkierungen. Grabbler meldete sich über die Kommunikation und teilte dem kleinen Kommander die aktuelle Lage auf der Vanquist mit. Der Antrieb war fertig und man könnte ihn nach einigen abschließenden Prüfungen in etwa einer Stunde praktisch testen. Das Zeitfenster passte May gut. Sie machte an ihren beiden metallenen Kisten selbst noch einige Tests und spielte die Aufnahmen von Suki und Nim ein.
Nachdem sie es mit dem Kommando abgesprochen hatte und Tin nach wiederholter Aussage diesem Test nicht beizuwohnen würde, was May angesichts der bei ihr immer auftretenden Übelkeit auch nicht krumm nehmen konnte, nahm sie ihren Posten auf der Brücke der Vanquist ein. Ihr Projekt, welches sie geheimnisvoll mit »Pocket Army« betitelt hatte, von wurde von Jaque in einen der unteren Frachträume des im Vergleich riesigen Schiffes transportiert. Anschließend prüfte der Kapitän die Anwesenheit des Personals. Neben Grabbler, der unten die Technik im Auge behielt, kamen noch Katie und Hati an Bord. Während Katie die üblichen Aufgaben auf der Brücke übernahm, gesellte sich die Technologie interessierte Hati in die dazugehörige Abteilung zu Grabbler. »Vanquist an Ray Team One. Wir sind soweit. Tube ist eingeholt und die Luken sind geschlossen.«
»Verstanden. Wir aktivieren die Grablings und ziehen euch aus dem Perimeter.« Nach Trishs Anmerkungen zur weiteren Vorgehensweise meldete sich auch noch Mergy zu Wort. Er wollte wissen wie lange der Testflug dauern würde. May blieb betont vage und gab nur ein Limit von etwa zehn Stunden vor, da man das neue Triebwerk auch im Dauertest prüfen wolle. Sie wollte diese einmalige Gelegenheit ja ebenfalls nutzen, um ihr neues Waffensystem testen, ohne das jemand auf der Station oder dem Planeten davon etwas mitbekäme. Bisher wussten ja, abgesehen von Suki und Nim niemand von ihrer Bastelei. Bestenfalls Jaque, der ihr die Teile besorgt und den Transport auf das Schiff durchgeführt hatte. May hatte ihr Projekt als Geheim eingestuft. Sab würde es wurmen, wenn sie auf die virtuelle Barriere treffen würde. Der misstrauische Kommander behielt gerne Dinge geheim, aber wiederum etwas selbst nicht zu wissen, gefiel ihm gar nicht.
So gesehen war es dann doch schade. »Wäre lustig sie so voller Neugier zu wissen.«, dachte der kleine Kapitän. Langsam schob sich das große Raumschiff zwischen den Türmen hindurch. Während man auf der Brücke noch entspannte und bestenfalls den Abstand zu den Türmen kontrollierte, waren die beiden Techniker im Bauch der Bestie angespannt und kontrollierten Berechnungen mit Sensordaten und Ausführungen mit den Maßvorgaben. Speziell Grabbler hatte den Druck auf seinen Schultern. May hatte ihm eine Chance gegeben, die er von Tin wohl erst in einigen Jahren bekommen hätte. Er wollte weder May noch sich selbst blamieren und Tin sein Können beweisen. »In der Theorie geht immer alles glatt, aber die eigentlichen Probleme kommen mit der Praxis.«, hatte ihn Tin mehrfach ermahnt, wenn er mit einer Idee ankam und dessen schnelle Umsetzung forderte.
Triumph oder Untergang war heute die Devise und wenn es zum Untergang käme, dann könnten sie nur noch mit dem Transporter im Landedeck vom sinkenden Schiff fliehen. Sab hatte die Mantas und den zweiten Transporter auf die anderen Schiffe und die Station beordert, um im Falle des Falles nicht auch noch wichtige Ausrüstung zu verlieren. Anscheinend vertraute man im Kommando Tins Urteil mehr als seinen Fähigkeiten. Übelnehmen konnte Grabbler diese Tatsache aber niemandem. Schließlich hatte Tin in den letzten Jahren immer wieder Technologien und Lösungen aus dem Hut gezaubert, die das Überleben des Teams mehr als einmal gesichert hatten, ohne das es dabei zu gravierenden Problemen gekommen war. Außerdem war sie der Chef der Technik und stand somit über allem, auch wenn May ein gewaltiges Loch in ihren Sockel gebohrt hatte, als sie ihm erlaubte den Antrieb nach seinen Vorstellungen umzurüsten.
»Sieht alles gut aus.«, stimmte Hati ihrem Kollegen zu. Sie hatte bei weitem nicht so viel Ahnung wie Grabbler, aber um die Vorgaben mit der Daten der aktuellen Ausführung zu vergleichen, reichte es allemal. Diese Aufgabe war mehr eine Fleißarbeit. Langsam entfernte sich das mit den seitlichen Hangars deutlich breitere als höhere Schiff von der Station. Die großen Weltraumgreifer trennten sich ab und flogen zurück zu ihren Heimathafen an der Außenwand eines Turms. »Wir fangen mit dem normalen Unterraumantrieb an und fliegen aus dem Sonnensystem. Dort angekommen schalten wir den neuen Plasmaantrieb zu.«, ließ May ihre Absichten auf dem ganzen Schiff verkünden, obwohl nur zwei Räume mit Personal besetzt waren. Das Schiff verschwand durch das sich öffnende Loch im verborgenen Weltraum. May wartete einige Minuten und fragte dann im Keller, wie sie die Technikabteilung scherzhaft nannte, nach und erkundigte sich nach dem Status. Grabbler war zufrieden. Der Antrieb funktionierte wie schon zuvor und hatte durch die Umbauten weder an Leistung verloren, noch produzierte er mehr Abwärme.
Die Satelliten und auch die Hope, die sich am Rand des Sonnensystems aufhielt, bemerkten das Schiff im Unterraum. Die kleinen Maschinen gaben still die normalen Positionsinformation des erkannten Objekts weiter, während die Hope, die Charlie übernommen hatte, bis sein Schiff wieder voll einsatzfähig war, direkt selbiges kontaktierte. May erklärte ihm den Testflug und das man auf Signale negativer Natur lauschen sollte. Schließlich wäre man, wenn bei dem Test etwas schief ginge und die Vanquist ohne Antrieb im All treiben würde, leichte Beute für die Draken oder etwaige andere Angreifer. Dann wurde es ernst. May ließ den neuen Antrieb zuschalten.
Grabbler sollte das neue System langsam in Betrieb nehmen und nur eine kleine Geschwindigkeitssteigerung produzieren. Mit einem über die Hülle des Schiffes entlang nach Innen getragenen Rumpeln öffneten sich die zwei großen Tore an den Seiten des hinteren Schiffsteils, während nur wenige Meter vor den neuen Löchern Öffnungen in Flugrichtung ausklappten, wie der Auswurf bei einer Pappschachtel mit Schokostreuseln. Der Plan war das Plasma des Unterraums mit diesen Öffnungen wie die Luft bei einem Sportwagen einzusaugen, um sie dann auf der jeweils gegenüberliegenden Seite durch das hintere Loch wieder auszustoßen.
Auf dem sich überkreuzenden Weg der beiden Ströme würde nun das Plasma die Antriebssysteme massiv kühlen und auf der jeweils anderen Seite des Schiffes stark erwärmt wieder austreten. So sollte ein Ausbrennen verhindert und ein Dauereinsatz mit erhöhter Leistung ermöglicht werden. Nach dem Senken der Navigationsschilde an den entsprechenden Bereichen wurde das neue Kühlsystem geflutet. Sofort reduzierten sich die Temperaturen des normalen Antriebs rapide und Grabbler schaltete ihn auf mehr Leistung. Die Farbe des Rots begann sich zu ändern. Erst unmerklich, dann schimmerte schon leicht das Grün durch. Grabbler war zufrieden und so wurde nach und nach mehr Energie in den Antrieb geleitet, während die Anspannung bei Hati und Grabbler nicht weniger rapide zunahm. Das Schiff beschleunigte und der Raum erstrahlte bereits in kräftigem Grün, obwohl Grabbler auf seiner neuen Scala gerade mal bei 60% der Energiezufuhr angekommen war. Einige Minuten blieb es dabei. Die Systeme blieben stabil und alle Messwerte waren mehr als gut. Grabbler selbst traute den optimalen Messwerten nicht so richtig und schickte einige Repligens los, um weitere Messungen vor Ort vorzunehmen.
Drei Stunden schossen sie nun schon um das Sonnensystem herum. Erst jetzt gab May die Erlaubnis die Leistung weiter zu erhöhen. Weitere 3 Stunden später war 80% die als Stabil gekennzeichnete Marke und man konnte schon erkennen, das Blau die kommende Grundfarbe werden würde. Mit 90% gab May aus Sicherheitsgründen ein niedriges Limit vor. Alle Gleiter und Mantas hatten diese Limitierung, die nur auf besonderen Befehl und mit besonderem Grund überschritten werden durften, weil die Technik im Grenzbereich und somit eventuell nicht zuverlässig arbeiten würde. Wo die genaue Grenze dieses Antriebs liegen würde, war noch gänzlich unerforscht. Vielleicht würde er schon bei 95% durchbrennen oder aber erst bei 110%. Fakt war, man wusste jetzt noch nicht einmal woher man die zusätzlichen 10% Antriebsenergie nehmen würde, da die im Unterraum unnötigen Waffenreaktoren ja bereits auf Maximum arbeiteten und ihre Energie beisteuerten.
Dieses Limit würde auf jeden Fall eine Versuchssonde prüfen, um kein Leben in Gefahr zu bringen. Gerade einmal 45 Minuten sauste das Schiff mit der auf 90% der geschätzten Maximalgeschwindigkeit durchs All, als Katie einen zerhackten Funkspruch aufschnappte. Nach Rücksprache mit den Technikern war klar, das die Verzerrungen durch die noch nicht aktualisierten Kommunikationssysteme zustande kamen. Also wurde zum ersten Mal seit vielen Stunden in den roten Raum zurück gebremst. Es war ein Notruf der Seem. Der Funkspruch war kurz und wiederholte sich. Er besagte nur das sie angegriffen würden und Hilfe bräuchten. »Hati, Grabbler auf die Brücke!«, kommandierte May ohne lange zu überlegen.
»Was ist los? Stimmt etwas mit dem Antrieb nicht?«, wurde Grabbler gleich unruhig. »Nein, die Seem haben einen Notruf geschickt. Wir haben das wohl einzige Schiff das schnell genug ist und sind wahrscheinlich wohl auch das einzige Volk, welches auf diesen Notruf entsprechend handeln kann. Ich würde gerne versuchen ihnen zu helfen. Wir sind nicht ansatzweise vollständig besetzt und haben nicht einmal Mantas, aber nach allem was die Seem für uns getan haben, ist es richtig wenigstens versuchen zu helfen. Das kann ich aber nur, wenn ihr alle zustimmt. Ich will niemanden unnötig in Gefahr bringen. Wenn es Probleme gibt, sind wir sofort weg. Außerdem habe ich noch ein geheimes Waffensystem im Lagerraum. Es ist zwar ebenfalls weitgehend ungetestet, dürfte aber trotzdem helfen. Seit ihr dabei?« Es dauerte nur wenige Sekunden bis Katie zustimmte und auch Grabbler und Hati wollten zumindest mal nachsehen, ob man den Seem helfen könne.
»Wir könnten dabei die neue Unterraumtarnung testen. Schaden kann sie nicht.«, platzte Hati ein anderes Geheimnis heraus. »Unterraumtarnung?«, fragte May neugierig nach. »Nicht wirklich eine Tarnung. Die Antriebssignatur wird durch einen Filter mit variablem Frequenzbereich abgeschirmt. So müsste es möglich sein selbst die Ikarusplattformen zu passieren, ohne von ihnen entdeckt zu werden. Das könnte uns einen taktischen Vorteil bringen, funktioniert aber nur im unteren Geschwindigkeitsbereich.«, erklärte Grabbler stolz seine Erfindung. »Wenn es keine Auswirkung auf den Antrieb hat, haben wir einen Plan. Alle auf eure Posten. Treten wir den Draken in den Arsch.«, motivierte May die minimale Mannschaft. Katie hatte das Signal bereits geortet und so setzten sie mit der aktuellen Maximalgeschwindigkeit Kurs.
»Haben die sich schon gemeldet?«, fragte Nim den Kommander in Jeansjacke nach dem verlassen des Liftes. »Wer? Die Vanquist?« »Ja.« »Nein, noch keine Neuigkeiten. Tin glaubt die sind gestrandet, weil die Hope sie seit Stunden nicht mehr auf dem Schirm hatte.« »Wir müssen sie suchen!« Nim war besorgt und seine direkten und unhöflichen Forderungen hätten bei Sab wohl gleich einen Wutausbruch erzeugt, aber Mergy blieb gelassen. »Willkommen auf der anderen Seite des Zauns!«, grinste Mergy. »Was für ein Zaun?« Der Wortschwall von Nim war schlagartig abgerissen. Der fragende Blick und die aufgerissenen Augen in seinem besorgten Gesicht sprachen Bände. »May ist erst einige Stunden weg und du bist schon so verzweifelt? Ich denke jetzt kannst du dir ein wenig vorstellen wie May sich während deiner Abwesenheit so gefühlt hat.« Nim schluckte. So hatte er das noch gar nicht gesehen. Erst jetzt begriff er wie tapfer seine Freundin die Wochen hier auf der Station ausgeharrt hatte, ohne zu wissen, ob es ihm gut ging. Mergy war jedenfalls locker drauf und das gab ihm zumindest ein wenig Gewissheit.
»Wir erreichen das Ziel nach meinen Berechnungen in 12 Minuten.«, erklärte Katie. May war das trotz schnellem Antrieb zu lange: »Grabbler wir erhöhen auf 95%.« Das Blau des Raums wurde noch strahlender und klarer. Auch nach mehrfacher Rückfrage war der Antrieb stabil. In angemessener Entfernung und auch weit genug, um nicht von den Sensoren der Draken, wenn es denn die Draken waren, die die Seem angriffen, wurde die Geschwindigkeit auf Rot gesenkt und der Antrieb mit dem neuen Filter maskiert. »Registriere Waffenfeuer im Normalraum. Es sind definitiv Draken.«, analysierte Katie die Situation. »Sobald wir gesprungen sind, Nase runter, untere Schilde senken und Frachtraum 6 öffnen.«
Immer noch einige hundert Kilometer vom Kampfgebiet entfernt, bohrte sich die Vanquist schließlich zurück in den normalen Raum. Wie angewiesen senkte Katie die Nase und öffnete das Lager, auch wenn sie keine Ahnung hatte, was May damit bezweckte. May tippte derweil auf ihrem am Stuhl montierten Terminal und aktivierte ihr geheimes Projekt, welches jetzt nicht nur einen Test, sondern gleich einen echten Kampfeinsatz meistern musste. »Es sind fast keine Seemschiffe hier. Nur kleine Jäger. Da passt höchstens ein Seem rein.«, analysierte die Katie die Situation. Sie machte gerade einmal vier der bekannten Aufklärerschiffe aus. Die deutlich kleineren Schiffe sahen mehr aus wie eine Rüstung für Fische. Wie ein Seem aus Metall. Zwar bewegten sich die Flossen nicht und es gab auch keinen gruseligen Mund, aber die generelle Form ähnelte denen der Lebensform Seem.
»Wo steckt ihre Flotte?«, fragte sich auch May, was hier vor ging. Es sah den Seem gar nicht ähnlich ihren Planeten fast ungeschützt zurück zu lassen. »Frachtraum schließen, Schilde und Nase wieder hoch.« Eine riesige blaue Kugel lag vor ihnen. Fast hätte man sie für die Erde halten können, aber es gab nur eine minimale Wolkendecke und eine Landmasse war zumindest auf dieser Seite nicht auszumachen. Es war ein gewaltiger Wasserplanet. »Kanal öffnen und Übersetzer aktivieren. Hier spricht Kommander May vom Ray Team. Dieser Planet steht unter unserem Schutz. Ziehen sie sich umgehend zurück oder sie werden vernichtet.«
Es gab keine Städte, die die Angreifer direkt bedrohen konnten wie auf der Erde und so blieben sie im All und feuerten von dort auf die Wasseroberfläche, unter der das Volk der Seem seine neue Heimat errichtet zu haben schien. Da die Drakenschiffe sich direkt nach dem Eintreffen des Ray Team Trägers neu auszurichten begannen, waren die ersten nun in Position. Der Tarnschild hatte funktioniert, denn Feindkontakt hatte man offensichtlich nicht erwartet. Eine Wolke von Jägern und das verspätete, aber gezielte Waffenfeuer diverser Kriegsschiffe, war Antwort genug. »Eine Salve Torpedos in die Jägerwolke.«, kommandierte May und einige blaue Kugeln verschwanden zwischen den Feinden, bevor eine Reihe von Detonationen die Jäger umeinander und gegeneinander wirbelten.
Fast die Hälfte der anfliegenden kleinen Schiffe war durch diese Aktion bereits erledigt. Die Vanquist rumpelte und hob den Kommander leicht aus dem Sitz. »Schwere Schäden am Steuerbordhangar. Die Draken zielen anscheinend gezielt auf unsere Hangars.« »Damit wollen die den Start von unseren Mantas verhindern.« »Wir haben doch gar keine Mantas?« »Genau, aber das wissen sie nicht. Rotation um die Längsachse. Machen wir ihnen das Zielen schwerer. May an alle Seemschiffe in der Nähe der Drakenkreuzer! Wir werden ein neues Waffensystem testen und können nicht für ihre Sicherheit garantieren, wenn sie sich weiterhin im Kampfgebiet aufhalten.«, gab May einen Funkspruch, den Katie nicht so recht einordnen konnte: »Wir übernehmen das!«
»May an Invisible und Vanish. Sprung!«, kommandierte May scheinbar wirres Zeug in die Kommunikation und noch bevor sich Katie fragend umdrehen konnte, erschienen zwei große Unterraumsignaturen auf ihrem Schirm. »Zwei Unterraumportale öffnen sich an Backbord und Steuerbord. Das ... das sind unsere!«, stellte der kombinierte Waffen–, Kommunikations– und Sensorenoffizier mit Erstaunen fest. »May an Invisible und Vanish. Wir nehmen sie in die Zange.« »Verstanden!«, antwortete Nim in einer Bildantwort über die Kommunikation. Nur Bruchteile von Sekunden später trällerte Suki: »Treten wir ihnen in den Arsch! Die haben doch Ärsche, oder?« Die beiden Schiffe beschleunigten längsseits an der Vanquist vorbei und zogen dabei deutlich mehr Waffenfeuer auf sich, als die nun deutlich zurück gefallene Vanquist. »Die Geschütztürme laufen heiß.«, wurde Katie unruhig. »Alle 500 Schuss eine Feuerpause von 50 Schuss einfügen. Zufällig, damit es kein Muster gibt.« Katie ließ die überhitzten Türme kurz pausieren und reduzierte die Feuerkraft des Erdenschiffes. Sie zielte derweil aber mit allen Geschützen weiter, sodass das eine Wiederaufnahme des Feuers ohne eine zusätzliche Verzögerungen durch das Anpeilen der Feinde erfolgen konnte.
Die beiden neuen Schiffe griffen direkt die großen Kreuzer der Draken an. »Die könnten ruhig mal ihre Mantas starten.«, merkte Katie an, die unentwegt auf die unzähligen kleinen Schiffe feuern ließ. »Die haben keine Mantas.«, erklärte May kurz und widmete sich wieder der Schlacht. »Und was ist mit ihren Geschütztürmen?«, fragte Katie weiter. »Haben die auch nicht!« Im Hintergrund des Schlachtgetümmels konnte man diverse riesige und grünlich schimmernde Explosionen sehen. Die Zahl der Feinde nahm rapide ab. Die Hangars der Vanquist waren immer noch das Hauptziel, aber mittlerweile konnte man auch einige Schiffe ausmachen, die versuchten mit Kamikazeaktionen das Schiff kampfunfähig zu machen. Sechs Geschütztürme hatte die Vanquist schon auf diese Art verloren. »Schotten schließen!«, forderte May und die Fenster des Schiffes verdunkelten sich und wurden durch Einblendungen auf den Scheiben des Kommandoraums ersetzt.
»Wir haben schwere Schäden erlitten und halten nicht mehr lange durch.«, ertönte der Funkspruch der Vanish auf dem Schirm. Die Wirkung bei May war nicht so groß wie die bei Katie. Nim wackelte einfach herrlich in seinem Stuhl hin und her und spielte seine Rolle richtig gut, während der Hintergrund mit kleinen Feuern und Explosionen die Lage optisch unterstrich. Katie kaufte ihm die Lage jedenfalls ohne Nachfrage ab. »Sofort aus dem Kampfgebiet zurückziehen und neu formieren.«, wies May an. »Verstanden.«, ertönte noch abgehackt die Antwort, dann sah man auf dem Bildschirm die gewaltige Explosion. »Das Notabschaltungssystem bei Beschädigung in Kampfeinsätzen.«, schoss es May durch den Kopf. Eine holographische Explosion mit anschließender Sprengung des Energiekerns, dessen Explosisionswelle alle Schiffe im Umkreis mit sich riss, ließ es wie die Vernichtung eines echtes Schiff aussehen. Die Invisible verschwand derweil im vermeintlich Unterraum und tauchte eine gefühlte Ewigkeit später an der Seite der Vanquist wieder auf. Katie schaute May entsetzt an. »Es war nur ein holographisches Schiff.«, lächelte May. »Holographisch?« »Naja, mit ein wenig mehr Bumms als Sor, aber eben komplett holographisch.« »Oh, Gott ich dachte schon. Ich meine.« Katie war zwar immer noch verwirrt, drehte sich aber zur Konsole um, ohne ihre vermurksten Sätze zu korrigieren.
»Die Draken ziehen sich zurück. Diverse Unterraumportale öffnen sich.«, erklärte Katie, während May sie aufforderte ihnen noch einige Torpedos hinterher zu schicken. Zwei der Schiffe schafften den Sprung nicht, der Rest entkam, wenn auch teilweise schwer beschädigt. Die Seem kümmerten sich um die verbliebenen Jäger, die die Draken wie immer ihrem Schicksal überließen. »Katie, Schutzluken wieder öffnen. Grabbler, Reparaturteams losschicken.« »Schon geschehen. Die Repligens sind bereits bei der Arbeit an den Innenträgern.«, war ihr neuer Techniker bereits auf Zack, zeigte Eigeninitiative und hatte bereits die wichtige Reparatur angeordnet. »Registriere eine massive Unterraumsignatur.« »Wie viele sind es?« »Ich sehe nur eine, aber die wird immer größer. Wenn ich die Ausmaße und Intensität hochrechne, dann würde nicht einmal Ray Team One, wenn sie im Unterraum fliegen könnte, eine so derartig gewaltige Signatur erzeugen. Entfernung nur noch 10 Kilometer. Sie wächst weiter!« »Vollen Schub zurück. Bring uns auf Abstand.«
Die Vanquist schob sich von der immer noch unsichtbaren Gefahr weg, während die vier Augen der kleinen Brückenmannschaft auf dem Punkt vor dem Schiff fixiert blieben. Dann öffneten sich 23 Vortexte und erhellten kurz den dunklen Raum mit ihren roten Trichtern. Eine kleinere Seemflotte sprang in den Normalraum vor der Wasserkugel und setzte sich vor die Vanquist. »Die paar Schiffe erzeugen eine so gewaltige Signatur?«, fragte May laut in den ungewohnt leeren Kommandoraum. »Die große Signatur ist noch da. Die Kleinen habe ich vorher überhaupt nicht bemerkt. Die wurden komplett überlagert. Wir werden gerufen.« »Auf den Schirm.« »Wir sind die Seem. Nicht feuern. Mehr Seemschiffe kommen!«, war die Nachricht genauso kurz wie eindeutig. »Energie von den Waffen abziehen, aber in Bereitschaft halten. May an Seem. Verstanden.« Katie führte die Order aus. Die noch funktionsfähigen Türme senkten sich ins innere des Raumschiffs und zeugte auch optisch vom Verstehen der Nachricht.
Dann riss der dunkle Weltraum auf und ein gigantischer roter Tunnel öffnete sich. Katie sorgte noch einmal ordentlich zusätzliche Entfernung zwischen dem unglaublich großen Vortex und der Vanquist. Sie hatte recht. Der Tunnel war mindestens doppelt so groß im Durchmesser wie ihre Heimatstation. Dann bohrte sich eine gewaltige Metallkuppel, die diese riesige Öffnung fast komplett ausfüllte in den Standardraum. May hielt es nicht mehr auf ihrem Sitz. Sie musste näher heran, obwohl es bei dem Anblick nicht wirklich etwas ausmachte, ob sie nun fünf Meter oder fünf Kilometer näher kam. Zu gewaltig war das immer noch teilweise im Unterraum steckende Gebilde.
»Ich registriere mehr als tausend Seem in dem Ding. Zahl rapide steigend. Ist das etwa ein Planet?«, fragte Katie den Blick zwischen Sensoren und Fenster hin und her wechselnd. May machte viele kleine Unebenheiten auf dem rundlichen Gebilde aus und ließ sie direkt als Einblendung auf dem Fenster der Brücke vergrößern. Es waren Bullaugen, wie bei den schon zur Gewohnheit gewordenen Seemkreuzern, nur größer, viel größer. Deutlich konnte sie hinter den Fenstern Seem sehen, die hinaus in den Weltraum schauten. Vielleicht beobachteten sie auch May dabei, die gerade staunend auf dem fremden Schiff die einzelnen Puzzleteile zu einem Bild zusammensetzte.
»Konnte das wahr sein?«, fragte sich May noch, als ein viel kleinerer Seem in das von ihr vergrößerte Fenster schwamm und ihre Vermutung bestätigte: »Das ist ein Flüchtlingsschiff. Hati, Grabbler kommt sofort auf die Brücke.« May konnte die Augen nicht von dem wirklich nur als gigantisch zu bezeichnenden Schiff abwenden. Den beiden Technikern ging es nicht anders, als sie auf die gigantische metallene Wand vor den Fenstern schauten. Dann endlich tauchte das Ende des Schiffes auf und die gewaltige rote Lavalampe schaltete sich hinter ihm wieder ab. »Da sind mindestens 14000 Seem an Bord. Es ist schwer zu sagen, weil die alle durcheinander schwimmen.«, bestätigte Katie noch einmal und wurde von May ebenfalls direkt zur Scheibe dirigiert, wo auch die beiden Anderen schon staunend standen. »Das ist ein Flüchtlingsschiff und wenn wir nicht gewesen wären, dann wäre es und all die Leben an Bord von den Draken vernichtet worden.«, erklärte May: »Solltet ihr je am Sinn eurer Arbeit zweifeln, dann denkt an diesen Moment. Jeder von euch hat seinen Teil geleistet. Das ist was wir machen. Das ist was wir tun!«
Minutenlang standen die Vier regungslos staunend vor der Scheibe und beobachteten das langsam auf den Planeten zu gleitende gigantische Gebilde. »So müssen sich die Menschen damals gefühlt haben, als die gewaltigen Zeppeline über ihren Köpfen entlang geschwebt sind.«, merkte Hati in Gedanken versunken an. »Ja, es ist so gewaltig und doch so zerbrechlich.«, fügte Katie hinzu, die direkt nach dem Aussprechen des Satzes durch ein Piepen ihrer Konsole in die Realität zurück geholt wurde. Sie legte die Steuerfunktionen direkt auf die Scheibe: »Die Seem rufen uns.« May setzte sich schnell in ihren Sessel und aktivierte das in beide Richtungen übertragene Bildsignal: »Kommander May. Die Seem stehen schon wieder tief in ihrer Schuld.« »Ahh, so ist das bei Freunden. Man hilft sich gegenseitig.«, beschwichtigte May die Aussage und untermalte den Satz mit einer Wischgeste, obwohl die Seem sicherlich keine Ahnung hatten, was diese Handbewegung darstellen sollte.
»Der Verlust ihres Schiffes tut uns leid.« »Die Mannschaft ist in Sicherheit und ein Schiff kann man ersetzen.«, drückte sich May so vage wie möglich aus, um nicht lügen zu müssen. »Es freut uns das zu hören! Der Pavan würde sie gerne auf den Planeten einladen.« May war verwirrt. Die Seem hatten bisher immer als Gruppe, als Schwarm, als Kollektiv und als »Wir« agiert. Jetzt gab es einen Seem, der sich Pavan nannte und sie einlud? May ließ sich ihre Verwunderung nicht anmerken und machte es genauso wie die Seem bei ihrem letzten Zusammentreffen. »Es tut uns leid, aber wir sind auf einer wichtigen Mission und bereits spät dran.«, legte sie die Wahrheit wieder so aus, um die Worte mit ihrem Gewissen in Einklang zu bringen: »Aber wir würden uns sehr freuen dieser Einladung zu einem späteren Zeitpunkt folge leisten zu dürfen.«
Die Seem bedankten sich noch einmal höflich für die unverhoffte Hilfe und May ließ die Invisible optisch im Vortex verschwinden. Praktisch wurde nur ein Vortex generiert und das Hologrammschiff verschwand im Inneren, während der Kühlschrank, wie Nim das eigentliche Waffensystem genannt hatte, getarnt zurück in den extra dafür geöffneten Frachtraum verschwand und sich abschaltete. Dann flog auch die im direkten Vergleich winzige Vanquist einen kleinen Bogen vor dem Metallzeppelin entlang und verschwand, nicht ohne das die Besatzung einen abschließenden Blick auf das riesige Rettungsboot warf, in einem Vortex. Mit maximaler Geschwindigkeit ging es zurück zur Erde. Vor dem Sonnensystem ließ May den Antrieb zurückfahren und die Tarnung des Selbigen aktivieren. Sie wollte prüfen, ob das neue Tarnsystem, wie von Grabbler versprochen, auch wirklich die Ray Team Sensoren in den Satelliten täuschen konnte.
Offensichtlich funktionierte es, denn als sie den Vortex in Erdnähe verließen konnten sie die, sich verrammelnde, Station sehen. Die massiven Luken schoben sich gerade auf der gesamten Station vor die Fenster. »Es ist die Vanquist.«, bemerkte Sab zuerst, was da durch den roten Raumspalt kam und pfiff die Piloten zurück, die bereits auf dem Weg in den Hangar waren oder von der Erde aus Kurs gesetzt hatten um ihre weiße Heimat zu verteidigen. »Wieso wurden sie von den Satelliten nicht erfasst?«, fragte Mergy in die Runde, während Trish die Beschädigungen auf dem ganzen Schiff bemerkte und bestätigte als Grund nicht den Antrieb, dessen Explosion diese Schäden verursacht hatte, wie Tin unkte, sondern eindeutig Waffenfeuer. Die Repligens an der Außenhülle zeigten überdeutlich die Streuungsbreite der beschädigten Teile. Mergy beorderte May umgehend auf das Kommandodeck der Station. Nim eilte hastig aus dem Lift, den er direkt an der Verbindung zwischen Raumschiff und Station verließ. Von Hati und Katie, die gerade aus dem Tunnel auf die Station traten, erfuhr er May wäre bereits vor ihnen von Bord gegangen und sei auf das Kommandodeck beordert worden.
Als seine Freundin selbiges erreichte, stand Mergy schon in einigem Abstand vor dem Lift. »Was ist passiert?«, legte er gleich los: »Die Schäden wurden von Waffen verursacht und nicht von einem Problem bei einem simplen Antriebstest!« Er war sichtlich ungehalten. May schluckte und zögerte für einen Moment: »Wir haben einen Notruf der Seem erhalten und reagiert.«, blieb sie vage und doch sachlich. »Du bringst einen mit Prototypantrieb ausgestatteten Träger, ohne ansatzweise vollständige Besatzung und ohne Rücksprache mit uns direkt in eine Kampfhandlung?«, wurde Mergy noch ungehaltener. Seine Lautstärke nahm deutlich zu. Er war richtig sauer, aber da war er jetzt nicht mehr alleine. »Ich dachte ich wäre auch ein Kommander!«, platze es regelrecht aus May heraus: »Oder ist es nur ein Titel ohne jede Bedeutung und ihr habt vergessen es mir davon zu berichten?« »Das ist nicht der Punkt!« »Ist es nicht? Ich finde schon!«, brummte May, drehte sich um und verschwand direkt wieder im Lift.
»Da hat jemand Mist gebaut.«, zische Sab zwischen ihren Zähnen hindurch. »Das kannst laut sagen.«, muffelte Mergy. Trish stieß einen Lacher aus: »Ich denke sie meint du hast Mist gebaut.« Mergy stemmte seine Hände abermals in die Seite und wendete sich ihr zu: »Ich?« »Ja, ich meinte dich. Wie war das noch mit dem voreiligen Ziehen von Schlüssen, ohne die Fakten zu prüfen?«, drehte sich Sab nun genüßlich mit dem Stuhl in seine Richtung und hob die Augenbrauen, während sie die komplette vorherige Unterhaltung nicht einmal den Blick von ihrem Bildschirm abgewendet hatte. »Es scheint als wäre May nicht die Einzige, die ein zu großes Herz hat und ab und an die Kontrolle verliert.«, erläuterte Trish leicht kichernd ihre Sicht. »Also, wenn ich mich richtig erinnere, hat ein gewisser Kommander selber unseren ersten, einzigen und komplett ungetesteten Kampfgleiterprototypen direkt und ohne Erlaubnis auf eine Mission genommen und damit das gesamte Ray Team Projekt riskiert.«, fügte Sab scharf hinzu.
Mergy brodelte innerlich. Ja, er war sauer auf Mays Aktion, aber seine Kollegen hatten auch ein wenig recht. Ohne die Fakten zu prüfen und ohne May auch nur die Chance zu geben, sich zu den Gründen ihres Handelns zu äußern, hatte er sie abgefertigt. Innerlich war er einfach nur froh sie wohlbehalten wieder zu haben, was für die Herztheorie sprach. Selbst Sabs angefügte Anekdote aus seiner Vergangenheit sprach gegen ihn. Dennoch zog er sich grummelnd in das Büro zurück und forderte die Aufzeichnungen Vanquist an. Dabei war er nicht der Erste. Trish, Tin und Sab sichteten bereits neugierig das potentiell spannende Material.
Der kleine und meist farbenfroh gekleidete Kommander wäre schließlich nicht das erste Mal für eine Überraschung gut und derartige Aktionen waren in der Vergangenheit immer ziemlich spektakulär abgelaufen. May verließ gedankenlos auf der Promenade den Lift. Die Menschenmasse im Sors war der letzte Ort, an dem sie sein wollte. Sie brauchte Ruhe um sich abzureagieren. Nim, der sich, sichtlich froh seine Freundin gesund und munter zu sehen, bereits näherte, war ebenfalls nicht erwünscht. »Nicht jetzt!«, wiegelte sie ihn, die ausgestreckte Hand mit der flachen Handfläche auf ihn gerichtet, einfach ab. Sie war so sauer. Unter keinen Umständen wollte sie die Wut auf Mergy an ihrem Freund auslassen.
May verzog sich, wie man es von einer ordentlichen Prinzessin erwartet, in ihren Turm. Es war genau genommen vielleicht nicht ihr persönlicher Turm, aber einmal belegt, war er es zumindest gewissermaßen und mit dem Verschließen der im Boden eingelassenen Luke setzte sie ein weiteres Zeichen. Sie wollte jetzt niemanden sehen. Nim hatte bereits vom Stationscomputer erfahren, wo sich May verkrochen hatte, musste sich wegen dem verschlossenen Loch aber geschlagen geben, denn ohne die Hilfe Dritter war es ihm unmöglich dort einzudringen. Mergy war unterdessen mit dem Ansehen der Beweise fertig und ärgerte sich bereits über sich selbst, während Tin muffelig versuchte an die Daten von Mays neuem Waffensystem zu gelangen. Jaque aber weigerte sich strikt, da May die Informationen nicht frei gegeben hatte. Somit waren sie Privat. Trish weigerte sich, immer noch die Weckeraffäre im Hinterkopf und selbst Sab fand die Idee May hier zu übergehen unpassend, obwohl sie diese neuartige Waffe und deren Fähigkeiten und Möglichkeiten doch selbst sehr interessierten.
Ohne ein Wort oder einen Blick zu den anderen Anwesenden marschierte Mergy aus dem Büro und direkt in den Lift. So bemerkte er nicht einmal das süffisante Schmunzeln von Sab, die all die Jahre auf eine derartige Situation gewartet hatte. Nim hatte sich in der Zwischenzeit auf die letzten Stufen der verdrehten Treppe gesetzt grübelte darüber nach, was er nun wieder falsch gemacht hatte. Erst das Schnaufen und Stöhnen von Mergy im Treppenhaus unter ihm, ließ ihn aus seinen Gedanken erwachen: »Wie ich diesen Looping hasse!« Schließlich traf er auf Nim, der seinen Weg blockierte.
»Was ist los?«, erkundigte sich Mergy, ohne seinen Fehler gleich vor ihm auszubreiten. »May ist sauer auf mich und ich habe keine Ahnung warum.«, antwortete er zögerlich. »Auf dich? Das glaube ich nicht.«, beschwichtige Mergy ihn: »Diesmal habe ich den Mist gebaut. Sie wollte bestimmt ihre Wut auf mich nicht bei dir abladen. Wenn ich in 10 Minuten nicht wieder draußen bin, dann Ruf den Doc. Er soll das Rettungsset zum Annähen von Köpfen mitbringen.«, war er schon deutlich lockerer als noch wenige Augenblicke zuvor: »Jaque, transportiere mich in die Kuppel über mir.«
May saß, die Füße angezogen und den Kopf an die Scheibe gelehnt, auf dem Sofa, und schaute zwischen den Türmen hindurch ins dunkle All. Sie dachte an die Seem und an die vielen Leben, die sie gerettet hatten, aber auch daran, wie wenig Mergy dieser Teil interessierte. »Was willst du?«, war May genauso unhöflich, wie das ungefragte Eintreten ihres väterlichen Freundes, dessen Eintreffen durch die leuchtenden Transportmarker unübersehbar in der Scheibe reflektierte. »Ich will mich bei dir entschuldigen. Sab hat mir auch schon den Kopf gewaschen. Voreilige Schlüsse und so.«, begann er holprig eine Erklärung zu formulieren.
»Revanche für meine Flugprüfung, was?«, fand May den Umstand recht amüsant. Sab hatte so wenigstens etwas positives aus der Situation gezogen. »Ja, genau. Ich habe mir die Fakten angesehen und wenn etwas noch peinlicher ist als meine Äußerungen von vorhin, dann wohl nur die Tatsache, dass ich an deiner Stelle genau das Selbe getan hätte.«, versuchte er sein handeln erklären: »Trish meinte ich hätte wohl auch ein zu großes Herz und würde die Kontrolle verlieren, wenn jemand den ich gerne habe in Gefahr gerät. Damit hat sie wohl recht.«
Sofort schossen May die Bilder vergangener Tage durch den Kopf. Es war wirklich nicht das erste Mal. Schon öfter war er so unbeherrscht mit einer Situation umgegangen. »Du bist Kommander. Ein Echter und nicht nur dem Namen nach. Einmal mehr hast du durch den Umgang mit deiner Besatzung und der Lösung des eigentlichen Problems bewiesen wie gut du wirklich bist.« May wendete ihren Blick erstmalig vom All ab. Eigentlich lag der Fokus ihres Blickes schon länger nicht auf den Sternen, sondern auf dem Spiegelbild des Kommanders, der recht hilflos mitten in dem kleinen Raum stand und um Verzeihung bat. »Ich hab dich gerne und es fällt mir schwer zu sehen, wenn du dich in Gefahr begibst.« May erhob sich von ihrem Platz und umarmte ihn. »Alles wieder gut?« »Ja!«
»Du hast aber trotzdem großen Mist gebaut.«, erklärte Mergy vorsichtig. May wich entrüstet zurück. Noch bevor sie auch nur die passenden Worte fand, legte Mergy nach: »In einer Beziehung geht es nicht nur darum Spaß zu haben, oder zusammen den Tag zu beginnen. Das Beste daran sind die Superkräfte!« Wovon faselte er da nun schon wieder. »Was?«, schüttelte May verwirrt den Kopf. »Ich rede von Nim. Anstatt seine Superkräfte für dich zu nutzen, hast du ihn einfach schroff abgewiesen. Das war ziemlich dumm.«, erklärte ihr älterer Kollege weiter. Was für Superkräfte sollte Nim haben und überhaupt woher wusste er das schon wieder alles?
»Hättest du dich mit Nim hingesetzt und ihm deinen Ärger über mich erzählt, hätte er dich in den Arm genommen und der Frust wäre einfach von dir abgefallen. Die von der Liebe geschaffenen Superkräfte sind vielleicht nicht geeignet um ein Flugzeug zu stemmen, aber auf ihrem Gebiet sind sie unschlagbar. Du musst lernen deine Sorgen, Ängste und auch deine Wut mit Nim zu teilen. Es ist keine Schwäche sich seinem Partner anzuvertrauen. Im Gegenteil. Es zeigt Nim, wie sehr du ihm vertraust und gibt auch ihm das Gefühl gebraucht zu werden.«
May dachte nach. Sie hatte ihn wirklich ziemlich hart abgewiesen. Mergy konnte in ihrem Gesicht sehen, wie die Worte in ihr arbeiteten. »Weißt du wie man einen Kopf tarnt?«, fragte Mergy schon wieder etwas komplett verrücktes und komplett seltsames. »Wie man was?«, verstand May ihren Freund schon wieder nicht. »Naja, Nim steht unten vor der Luke und ich hab gesagt, er soll den Doc schicken, damit er mir den Kopf wieder annähen kann, wenn ich nicht innerhalb von zehn Minuten wieder draußen bin. Wäre doch lustig, oder?«, erklärte Mergy. May verstand und fand die Idee eigentlich ganz witzig: »Ja, wäre es, aber wir sollten ihn nicht noch zusätzlich ärgern.« May ließ die Tür von Jaque wieder öffnen und Mergy stieg hinunter: »Kopf noch dran. War aber knapp.« May zog die Mundwinkel nach oben: »Dieser Spinner!«
Sekunden später steckte Nim seinen Kopf vorsichtig durch die Luke. So ganz traute er der Lage wohl noch nicht. »Hey, tut mir leid. Ich war eben so schroff zu dir. Ich wollte dich in meiner Wut auf Mergy nicht versehentlich verletzen und hab es am Ende doch getan, ohne es zu merken.«, war nun May daran sich zu entschuldigen. »Schon gut.«, erwiderte Nim und breitete einladend die Arme aus. Eine Einladung, die May nicht ausschlagen konnte.
Mergy war aufgeregt als er vor der Tür seines Heims auf der Erde ankam. Aufgeregter als jemals zuvor. Aber er durfte sich nichts anmerken lassen. Das war das Wichtigste. Immer wieder dachte er nur »Ruhig bleiben und tief durchatmen.« Anja sprang ihm bereits entgegen und in die Arme. »Hey, kann es los gehen?« »Verrätst du mir wohin es geht?« »Auf keinen Fall!« »Kann ich denn so gehen? Ich meine ich will auch passend angezogen sein und nicht durch meine Kleidung alles verderben.« »Ich verrate dir nicht wohin es geht, aber es ist ein besonderer Ort.«, lächelte Mergy und küsste sie sanft auf den Mund: »Und du siehst toll aus.«
Galant hielt Mergy seiner Angebeteten die Tür seines kleinen blauen Kleinwagens auf und ließ sie einsteigen. Altmodisch war er schon ein wenig, aber das mochte Anja und wenn man dann die Raumschiffe und Raumstationen dazu nahm, war es mit dem altmodisch Sein ja auch schnell wieder vorbei. Auf der anderen Seite einsteigend griff Thomas direkt in das Handschuhfach und zog ein schwarzes langes Tuch aus Kaschmir heraus. »Das ist ja schön!«, fühlte Anja direkt das es kein billiger Synthetikstoff, sondern von hochwertiger Qualität war.
»Du kannst es behalten, wenn ich es nicht mehr brauche, aber jetzt verbinde ich dir damit die Augen.« Mit einem breiten Grinsen schaute er seiner Freundin direkt in die Augen. Anja war verdattert. Das ihr die Augen verbunden werden sollten machte die Lage noch um ein vielfaches aufregender. »Oder sollen wir es lassen und den Imbiss im Ort besuchen?« Mergy überspielte seine Aufregung mit Humor. Das machte er immer so und wie so oft fiel es ihm erst nach der Anwendung von selbigem auf.
Anja hielt sofort ihren Kopf hin und bekam den Augenverband angelegt. »Ist das spannend!«, waren ihre einzigen Worte während der Prozedur. Mergy prüfte den ordentlichen Sitz der neuen Gesichtskleidung und startete den Motor. »Ist es weit?«, fragte Anja noch bevor sich die Räder in Bewegung setzten. »Nein, nicht sehr.« Mergy fuhr die Feldwege und kleineren Straßen ein wenig im Zickzack ab, bis er sicher war, dass Anja die Orientierung komplett verloren hatte. Eigentlich war es für den Plan nicht nötig, aber es machte ihm Spaß. Er konnte sehen, wie sie jede Bewegung und jedes Geräusch zu deuten versuchte. Schließlich enttarnte sich ein Manta direkt vor ihnen auf der Straße und öffnete die Heckklappe. Es war das erste Mal das Mergy seine Brillensteuerung für einen Manta einsetzte und dabei auch noch ein zweites Gefährt fuhr. Leicht holperig rumpelte der kleine Wagen in das Heck des Raumschiffs.
»Waren das Bahnschienen?«, fragte Anja sofort. »Hey, nicht linsen!«, ermahnte Mergy sofort, obwohl sie mit ihrem Rateversuch meilenweit daneben lag. »Ich schaue nicht. Ganz bestimmt.«, versicherte Anja und Mergy ließ den Manta getarnt aufsteigen ohne den Motor des Wagens abzustellen. Er ließ es immer wieder absichtlich rumpeln und die verringerten Dämpfer des kleinen flachen Schiffes taten ihr übriges bei Richtungswechseln. Anja hatte den Wechsel von der Straße in die Luft nicht bemerkt. Die Abgase des Wagens wurden durch die Systeme des Mantas gefiltert und ein Schild absorbierte die Schallwellen, damit es im Wagen nicht nach einer endlosen Tunneldurchfahrt klang, die es in ihrer Wohngegend nicht gab. Dann sprang der Manta für Bruchteile von Sekunden in den Unterraum und wieder hinaus. »Sind wir bald da?«, fragte Anja ungeduldig wie ein kleines Kind. »Ja, nur noch ein paar Kilometer!« Mergy schmunzelte, waren die letzten Kilometer doch verglichen mit der schon zurückgelegten Strecke wahrlich winzig.
Sanft schwebte der Manta über die Mondoberfläche und setzte lautlos auf. »So, da wären wir. Ich muss nur noch einparken.« Die Heckklappe öffnete sich wieder und Mergy parkte rückwärts ein, wie er es nannte. Es war ein unwirkliches Bild einen alten japanischen Kleinwagen auf dem Mond fahren zu sehen, aber das war der Plan. Mergy stellte den Motor ab und ermahnte zum Sitzenbleiben. Schnellen Schrittes und nicht weniger aufgeregt umlief er das kleine Fahrzeug, während der Manta sich tarnte und unsichtbar über der Szene auf seinen erneuten Einsatz wartete. »Darf ich bitten?«, reichte Thomas seiner Begleitung die Hand. Anja konnte sie nicht sehen, aber als sie sich Halt suchend umhertastete, ließ er seine Hand finden.
»Uh, das fühlt sich an wie ein Strand.«, kicherte Anja und versuchte einen festen halt auf dem weichen Untergrund zu finden. »Zwei Schritte und da ist fester Boden. Vorsicht! Vorher kommt noch eine Stufe!« Unbemerkt stand Anja nun auf einer großen extra für diesen Moment geschaffenen und mit edel anmutendem Teppich bespannten Platte mitten auf dem Mond. »Du darfst die Augenbinde jetzt abnehmen. Ich hoffe das Lokal gefällt dir.« Mergy spürte die Aufregung in sich aufsteigen, als Anja die Binde vom Kopf zog und die Haare zurecht streifte. »Ist das hier?«, fragte sie noch und drehte sich um. »Ein Planetarium? Eigentlich nicht.« Mergy musste lachen, denn sein Wagen parkte wirklich hier, mitten auf dem Mond. Vor den Beiden stand ein komplett eingedeckter Tisch zentral auf der bespannten Plattform. Seitlich im Hintergrund zwei weiße Zelte und direkt vorne die Erde in ihrer leuchtenden Pracht. Auch Ray Team One war auch leicht im Sonnenlicht funkelnd in der Ferne auszumachen, während leise Geigenmusik die Situation unauffällig untermalte. »Wir sind auf dem Mond!«, erfasste Anja ihre Lage richtig. »Ich muss meiner Freundin ja etwas bieten und unser letzter Ausflug in ein Restaurant ist ja nicht wirklich so gelaufen, wie wir uns das gewünscht hatten.«
Mergy hatte Anja schon vor einigen Wochen in ein edles Restaurant eingeladen. Anfangs war alles noch schön und romantisch gewesen, aber dann wurde es nur noch nervig. Kameras von den Nebentischen knipsten sie beiden unaufhörlich, ständig kam jemand an den Tisch und wollte ein Autogramm oder ein Foto mit den Beiden. Als Krönung fragte selbst ein Kellner nach einer Aufnahme. So mussten sich Superstars aus Film und Fernsehen fühlen. Beide waren sich einig: So etwas wollten sie nicht noch einmal erleben. Mergy geleitete Anja an den Tisch und schob ihr ganz traditionell den Stuhl an. Dann setzte er sich auf die andere Seite und ohne das er es geplant hatte, formierte sich für Anjas Augen das Bild seines Lebens. Links die Raumstation tief im All, rechts die Erde und dazwischen saß Thomas und schaute ihr direkt in die Augen.
»Das ist unglaublich. Diese Aussicht.«, blickte Anja Mergy direkt an. »Ja, die Aussicht ist wirklich wunderschön!«, schmunzelte Mergy zurück. Anja drehte sich unsicher um, aber hinter ihr stand nur das alte Auto und dahinter, nach einer endlos erscheinenden Krater-, Sand- und Geröllwüste, das Dunkel des Alls. Noch bevor sie etwas sagen konnte schaute ihr Mergy lächelnd in die Augen: »Ich meinte den Vordergrund.« Anja konnte nur verlegen und mit leicht rotem Kopf seinen Blick erwidern. Reiko trat aus einem der Zelte hervor und kam an den Tisch: »Ich wünsche einen guten Abend. Was darf ich zu trinken bringen?« Sorgsam rechte sie noch zwei Dragonfly Speisekarten und verschwand mit der Getränkebestellung.
»Sie muss hier jetzt für uns arbeiten?«, wurde Anja nachdenklich über den Preis des schönen Abends, kaum das die Getränke bestellt waren. »Ich habe sie um diesen Gefallen gebeten und sie hätte auch nein sagen dürfen. Das macht sie freiwillig. Wenn man es genau nimmt, ist es hier ja auch deutlich entspannender als das komplette Lokal auf der Station zu versorgen.« »Auf der Station gibt es jetzt nichts?« Anja war sichtlich erstaunt. Sogar den Stationsbetrieb hatte ihr Freund für dieses Treffen eingeschränkt. »Es gibt ja noch das Sors. Verhungern wird niemand. Nur die Köstlichkeiten von Reiko sind heute uns alleine vorbehalten.« Anjas Stimmung schwankte wieder auf die fröhliche Seite.
Nicht zu letzt der Respekt, den Mergy Reiko und ihren Kochkünsten entgegen brachte, hatte sie schon damals auf dem Stein beeindruckt. Er behandelte wirklich jeden gleich. Egal ob Piloten oder Köchin. Jeder tat in seinem Bereich etwas für die große Sache. »Die große Sache!«, so hatte er es ihr damals erklärt, als sie die erste Nacht zusammen verbracht hatten. Fast entglitt ihr ein Lacher bei dem Gedanken der Doppeldeutigkeit, den schon Mergy damals laut ausgesprochen hatte.
Unweigerlich dachte sie an damals. Damals? Es war erst ein knappes Jahr her und doch kam es ihr wie ein ganzes Leben vor. Ein Leben voller Abenteuer und Überraschungen, wie sie es nie zuvor erlebt hatte. Jin brachte die Getränke und Mergy stellte die Beiden einander vor. Anja hatte immer mal wieder neugierig nach den Dingen gefragt, die da oben im All so passieren und so hatte sie auch von dem Seemschiff und Jin erfahren. Begegnet waren sie sich allerdings noch nie. Mergy war zunächst selbst sichtlich überrascht Jin hier zu sehen. Der entgegnete aber nur es wäre an der Zeit etwas von der angehäuften Schuld abzutragen, die sich in den letzten Jahren angehäuft habe. Seine Ausdrucksweise war wie immer wahrlich meisterlich.
Endlich hatten die Zwei mal wieder die Möglichkeit an einem gemütlichen Ort unter sich zu sein und zu essen, ohne das sie selbst kochen oder die Fragen der Familie beantworten mussten. Angeregt unterhielten sich die Beiden und genossen die leckeren Dinge die Reiko kredenzte. Jin und Reiko waren wirklich dezent und respektierten die Privatsphäre ihrer Gäste. Nie mehr als nötig schauten sie aus ihrem abgetrennten Reich, um den Zeitpunkt für weitere Getränke und den Nachtisch zu ermitteln. Abschließend lieferte Reiko zwei Teller mit jeweils einem kunstvoll geformten Glückskeks auf einer nicht weniger aufwändig gefalteten Serviette.
Mergy machte den Anfang und knackte seinen Keks. Auf dem Zettel im stand liebevoll und verschnörkelt: »Der Mond ist nur der Anfang.« »Das ist ja eine komische Botschaft.«, merkte Anja an und knackte neugierig ihren Keks auf. Im Inneren fand sie allerdings neben dem weißen Papier noch einen Rubinring mit goldener Fassung. »Möge die Liebe endlos sein, wie dieser Ring.« stand auf der länglichen Botschaft und noch bevor Anja alles begreifen konnte, kniete Thomas auch schon vor ihr auf dem Boden: »Anja, wir sind noch nicht wirklich lange zusammen, aber ich weiß es schon eine gefühlte Ewigkeit. Du bist die eine Frau für mich. Die Frau mit der ich für immer zusammen sein möchte, mit der ich eine Familie gründen möchte. Darum möchte ich dich hier und heute fragen: Anja Nieland, würdest du meine Frau werden?« Anja lief eine Träne das Gesicht herunter. Aber etwas stimmte nicht. Es war keine Träne der Freude oder der Rührung. Anjas Gesicht war traurig und sie wirkte regelrecht bestürzt.
In diesem Augenblick erkannte Mergy, hier lief gerade etwas mächtig schief. Er hatte sich alle Mühe gegeben, aber die Reaktion war nicht die, die er erwartet oder erhofft hatte. Anja so weinend und traurig zu sehen, machte ihm schon nach Sekunden zu schaffen und tausend Gedanken zogen in seinem Kopf ihre Bahnen. Teils plausiblere Ideen, teils totaler Schwachsinn vernebelte seinen Verstand für einige lange Momente.
Schließlich fasste er einen klaren Entschluss und fragte vorsichtig nach: »Was ist los? Hab ich etwas falsch gemacht?« »Nein, das – das hier ist alles so wunderbar.«, brachte sie noch mehr unter Tränen heraus und ließ den Damm endgültig brechen. Mergy griff sich einen der gefalteten Vögel, schüttelte ihn auf und reichte ihr das Tuch. »Wir werden nie eine richtige Familie sein.« »Wieso nicht?«, fragte Mergy erneut und doch nicht weniger unsicher nach. »Ich kann keine Kinder bekommen und du wärst ein so toller Vater. Das habe ich gesehen.« Anscheinend spielte sie damit auf den Sohn seiner Schwester an, mit dem Thomas bei dessen Geburtstagsfeier im Garten gespielt hatte.
»Du hast eine Frau verdient, die dir eigene Kinder schenken kann.« »Hey, ich will dich und niemanden sonst.«, stellte Mergy gleich und ohne jegliche Verzögerung seine Sicht unmissverständlich klar: »Natürlich ist es schrecklich, wenn du keine eigenen Kinder haben kannst, aber diese Tatsache ist auch ein Teil von dir. Und ich liebe dich. Auch wenn das jetzt etwas plötzlich kommt, so hab ich mir selbst schon länger Gedanken über eigene Kinder gemacht. Ich werde schließlich auch nicht jünger. Mit May habe ich einige elterliche Erfahrungen sammeln dürfen und auch wenn sie – naja – schon fast fertig war, gab es einige sehr schöne und intensive Vater Tochter Momente zwischen uns. Es ist doch nur wichtig ob wir ein Kind gerne haben und ob es uns gerne hat. Woher es kommt ist doch letztlich egal, solange wir wie eine Familie zusammenstehen und für einander da sind. Diese Familie will ich mit dir und nur mit dir.«
»Es macht dir gar nichts aus?« Anjas Stimme war von Tränen durchtränkt und zittrig. »Ich finde es traurig, weil es dich traurig macht und wenn ich es ändern könnte, dann würde ich es sofort tun. Aber nicht weil es meine Gefühle für dich ändern würde, sondern für dich, weil ich will das du glücklich bist.« Anja Tränenbäche wurden durch ein leichtes, von den warmen Worten erzeugtes, Lächeln durchbrochen und sie beugte sich vor um Mergy zu küssen. Als sich die Lippen wieder voneinander lösten, war es erneut Mergy, der das Wort ergriff: »Ich will ja hier keinen weiteren Druck aufbauen, aber meine Knie bringen mich gerade um und ich habe noch immer keine Antwort auf meine Frage.«
»Ja, ich will dich heiraten.«, strahlte Anja und warf sich ihrem Freund entgegen, der sie einfach nur zu sich hinunter auf den flauschigen Teppich zog und küsste. »Das am Ende beide Personen auf dem Boden liegen, ist mir neu.« Mergy brach in Lachen aus und riss Anja gleich mit. »Wir sollten uns wieder hinsetzen. Was sollen die Chongs von uns denken?«, befand auch Anja die Lage sehr unpassend. Der Kommander stand auf klopfte kurz seine schmerzenden Knie und zog seine frischgebackene Verlobte zurück auf die Beine. Wenige Momente später saßen sie wieder züchtig auf ihren Stühlen.
Anja versuchte ihre verlaufende Schminke mit einem winzigen Spiegel aus ihrer kleinen Tasche zu retten, aber es war ziemlich aussichtslos. »Da fehlt aber noch etwas!«, grinste Mergy. Anja verstand nicht so recht, was er meinte. Erst als Mergy auf den Ring deutete verstand sie, was sie in dem leichten, selbst verursachten, Trubel komplett vergessen wurde. Vorsichtig, als wäre er aus Glas nahm sie ihn von dem Teller, auf dem auch noch die Keksteile und die Nachricht auf der kunstvoll geformten, vogelförmigen Serviette lagen und steckte ihn sich an den Finger. »Er paßt perfekt.«, lächelte sie und zeigte die beringte Hand über den Tisch. »Jaque macht selten Fehler.« »Jaque hat den Ring gemacht?«, fragte Anja unsicher zurück.
»Nein, ich kann doch nicht ein so wichtiges Ereignis durch eine billige Kopie ruinieren. Jaque hat deine Fingergröße für mich ermittelt. Der Ring stammt von einem Juwelier auf der Erde, der sich sein Geld wirklich hart erarbeiten musste. Sein Kunde war nämlich sehr wählerisch und brauchte zwei Wochen zur endgültigen Entscheidung.«, erklärte Mergy. »Er ist wirklich traumhaft schön. Das alles hier ist so traumhaft schön. Schade das ich niemandem davon erzählen kann.« »Klar kannst du. Sag einfach das ich, also Thomas, das Ray Team um diesen Gefallen gebeten habe. Die Schulden uns schließlich etwas.« Mergy schaute schelmisch drein und seine Mundwinkel zeigten eine Freude, die er sonst nur sehr selten so offen zeigte.
»Wir sollten langsam aufbrechen. Gehen wir zu mir, zu dir oder zu uns?« Mergy hob eine Augenbraue und Anja lachte wieder ganz so wie er es liebte. Vergessen waren die Tränen der vergangenen Minuten. »Zu dir.«, wählte Anja leicht unsicher das Apartment im Sternenschloss. »Auf zum Thomasmobil!«, rief Mergy mit erhobenem Zeigefinger. Er nahm seine frisch Verlobte an die Hand und führte sie zurück zu seinem Auto, welches immer noch wie ein Fremdkörper auf der Mondoberfläche wirkte. Er ließ die Dame seines Herzens ganz Gentleman like einsteigen und schloss die Tür hinter ihr. Hastig ging er ums Auto und stieg auf der Fahrerseite ein. »Und jetzt? Kann dein Auto wirklich fliegen?«, fragte Anja neugierig nach, hatte sie doch den Hinflug nicht einmal erahnt.
»Ich fürchte jetzt wird einiges von der Magie flöten gehen, die ich so mühsam aufgebaut habe.« Sanft legte er seine Hand auf ihr Bein und gab ihr noch einen Kuss. Dann tauchte der Manta vor dem Fahrzeug auf und öffnete die Heckklappe. Mergy startete seinen Wagen und fuhr hinten hinein. »Vorsicht Bahnschienen«, kommentierte er das Holpern des Wagens auf der Ladeluke. Anja lachte herzhaft und die Tränen auf ihrem Gesicht waren, wenn man von der verlaufenden Schminke absah, restlos vergessen. Der Flug zur Station dauerte, dank Unterraumantrieb, nicht lange und so fuhr er schon wenige Minuten später einfach aus dem Manta auf das Hangardeck der Station und parkte das Automobil mitten auf dem Feld für havarierte und zu untersuchende Gleiter und Mantas, als wäre es das normalste der Welt. »Und da sind wir auch schon.«, lächelte Mergy überglücklich, als er seiner Angebeteten die Fahrzeugtür öffnete. Nachdem er hinter ihr die Wagentür wieder verschloss, konnte Anja gerade noch sehen, wie der Manta in seine Parkposition im Regal geschoben wurde.
Dann war es still im Hangar und die beiden machten sich Arm in Arm durch die Flure und mit dem Liftsystem auf den Weg in Mergys Quartier. »Das sieht hier anders aus, hast du umgebaut?«, fragte Anja direkt, als sie die Tür durchschritten. Sie hatte recht. Da wo jetzt das große Regal mit den kleinen Figuren stand, war vorher eine Tür gewesen. Die war nun auf der anderen Seite der gleichen Wand. Neugierig schaute Anja durch die Tür hinter der sie das Schlafzimmer vermutete und auch fand. »Die Sicht auf Sonne, Mond und Sterne sollte man genauso wenig verschwenden wie den Blick auf die Erde. Bei der ursprünglichen Planung hat niemand an die Aussicht vom Bett aus gedacht und bei der zweiten Station wurden die alten Pläne sicherheitshalber übernommen, damit die Leute nicht ständig vor eine Wand rennen.« Mergy lachte bei der Formulierung selbst laut auf.
»Ist dir schon passiert, stimmt´s?«, lächelte Anja wieder mit diesem breiten großen Mund, dem Mergy nur ungern Wünsche abschlagen konnte und das Funkeln in ihren Augen forderte die Wahrheit. »Bin gestern ohne das Licht einzuschalten voll gegen die Wand gerannt.«, berichtete Mergy nicht ohne auch mit seinen Augenbrauen und dem Deuten auf die schuldige Wand auf den erlittenen Schmerz hinzuweisen: »Änderungen haben in diesem Quartier immer schon Beulen verursacht. Wenn ich da nur an meine erste Dusche denke, bekomme ich gleich wieder Kopfschmerzen.« Anja zog ihn zu sich und dann fielen sie, mit den Lippen verbunden, auf das große Bett, welches ihre Körper in weichen Wellen auffing.
»Da steht ein Auto auf dem Hangardeck!«, bemerkte die sonst so wachsame Sab verspätet das neue Gerät auf der Station. »Vielleicht eine neue Erfindung von Tin?«, spielte Trish mit, war sie doch zumindest teilweise über Mergys Pläne eingeweiht worden: »Nein, es ist keine Ray Team Technologie an Bord. Es ist ein normales altes rostiges Auto und verschandelt unser Hangardeck.« »Hmm, laut Nummernschild – Ja, das ist Mergys Auto. Ist er auf der Station? Er wollte doch mit Anja etwas unternehmen?«, bestätigte Sab was ihre Kollegin bereits vermeindlich ermittelt hatte. Jaque bestätigte, die eigentlich rethorische Frage, und somit die Anwesenheit von Mergy und Anja auf der Station.
Auch das die Beiden im Quartier des Kommanders verweilten konnte der Computer natürlich ohne Probleme ermitteln. Sab selbst konnte es nicht lassen und prüfte den Status: »Soso, das Quartier steht auf maximaler Privatsphäre.« Die beiden Kommander lächelten sich wissend an und konnten sich ihren Teil denken. »Jaque, schick einen Repligen los. Er soll das Fahrzeug mal komplett wieder herrichten, reinigen und volltanken.« Sab schaute Trish fragend an. »Naja, wenn es schon hier steht, dann können wir ihn auch auf Neuzustand zurücksetzen. Mergy scheint ja an der alten Rostlaube zu hängen. Außerdem tropft es dann nicht deinen geliebten Hangar voll.« Sab schmunzelte, hatte sie sich doch gar nicht über dererlei mögliche Probleme beschwert, aber dennoch bereits mit dem Gedanken gespielt genau diesen öligen Einwand als Argument gegen das Fahrzeug vorzubringen.
»Reiko an Ray Team One, erbitte um Landeerlaubnis.« »Landeerlaubnis für Hangar 3 erteilt.«, bestätigte Trish. »Reiko fliegt einen Manta?«, wurde Sab erst recht neugierig als die Küchentruppe zur Landung ansetzte: »Was ist hier eigentlich los? Erst das Auto und jetzt das?« Trish hatte keine Wahl und erklärte ihr zumindest grob, was hier heute passiert war: »Sie waren auf dem Mond. Also Reiko, Jin, Mergy und Anja. Ich weiß nichts genaues, aber ich denke Mergy hat Anja die Frage der Fragen gestellt.« »Die Frage der Fragen?«, platzte es nachdenklich aus Sab heraus. Es dauerte einige Sekunden, in denen Trish nicht ansatzweise Anstalten machte, auch nur eine winzige weitere Erklärung von sich zu geben. »Oh, die Frage!«, schaltete Sab schließlich. »Du bist heute nicht so recht auf der Höhe, oder?« Trish lachte mit einem deutlichen Unterton der Schadenfreude. »Meinst du sie hat ja gesagt?«, fragte Sab schließlich ohne eine Antwort auf ihren Zustand zu geben. »Naja, ich sage nur: Maximale Privatsphäre!«
Das Licht fiel durch die Fenster und traf den graugrünen Stein auf Anjas Ring. Sie war schon einige Minuten wach, saß im Bett und genoss die Aussicht auf den Planeten. Als Mergy die Augen öffnete sah er wie seine frisch Verlobte gerade mal wieder die Lichtstahlen in dem Edelstein brechen ließ. »Morgen!«, flüsterte er sanft und strich an ihrem Körper entlang. »Morgen!« »Scheint als wäre meine Wahl ganz gut gewesen.« Mergy lächelte verschmitzt. »Das ist meine Augenfarbe, oder?« »Naja, wenn ich schon der Frau meines Herzens einen Antrag mache, dann auch nur mit einem Ring, der speziell für sie gemacht wurde.« Anja lächelte und zuckte etwas zur Seite: »Das kitzelt!« »Ich mache doch nichts.« »Doch mit deinem Finger!«, erwiderte Anja und versuchte sich weiter von der Kitzelposition zu entfernen.
Als Mergy seine Hand unter der Decke hervorzog und anhob, war ihm schnell klar, was los war: »Der Finger ist kaputt.« »Kaputt?«, fragte Anja neugierig nach. »Ich habe einen mechanischen Arm. Schon vergessen?«, grinste Mergy. »Ehrlich gesagt. Ja.« »Ist das jetzt ein Problem?«, fragte Mergy unsicher zurück. »Nein. Natürlich nicht. Es tut mir leid wenn ich dir gestern den Abend versaut habe!« Mergys Gesichtsausdruck wurde schlagartig ernst und er zog sich in eine sitzende Position hoch. Hatte er etwas verpasst? Er schaute regelrecht erschrocken. Anja bemerkte sofort die Änderung in seiner Stimmung, aber noch bevor sie eine Frage dazu stellen konnte, war es Mergy der loslegte: »Du hast doch ja gesagt, oder?«
Seine Stimme war so zittrig und verwirrt, sodass Anja gleich schaltete, worum es ihm ging. Sie lächelte ihn an: »Ja, das habe ich!« Mergy ließ den angehaltenen Atem ausströmem und ihm entfuhr ein erleichtertes »Dann war der Abend genauso wie ich ihn mir vorgestellt habe.«. Erleichtert ließ er sich nach hinten fallen, wo erst das massive Rückenteil des Bettes ihn stoppte. »Es ist wirklich ok?« »Wir sind beide nicht perfekt, aber das muss auch so sein, sonst wäre es doch langweilig.« Mergy setzte sein verschmitztestes Lächeln auf und zog sich noch ein weiteres Stück nach oben, um seiner angehenden Ehefrau einen Kuss zu geben. »Frühstück im Bett oder bei Sor?«, erkundigte sich Mergy nach ihren Wünschen. »Ich kann etwas Trubel gebrauchen und du brauchst sowieso einen neuen Arm vom Doc.«
Eine ausgiebige gemeinsame Dusche und unzählige Küsse später kamen sie endlich auf der Promenade an. Das Sors war brechend voll und so wollte Anja ihnen schon einmal einen Platz suchen, während Mergy sich um seinen Arm kümmerte. Ein Zweiertisch ganz Hinten am Rand des Getümmels und direkt am Fenster war frei und so reservierte sich Anja diesen Platz. Abwechselnd schaute sie ins All und in die hauptsächlich gut gelaunte frühstückende Besatzungsmenge. »Guten Morgen!«, rief May ihr ziemlich laut zu und konnte die Antwort war kaum hören. »Moment!« Der Kommander in der lila Robe schloss kurz die Augen und schlagartig war es still: »So ist es besser! Wie ich sehe hast du euren Kuchenplatz bereits gefunden.« »Kuchenplatz?«, fragte Anja erstaunt nach. »Ups, verplappert.«, grinste May mit abgewendetem Blick: »Das soll dir Mergy erklären. Wo steckt er überhaupt?« »Sein Arm ist defekt.«
»Ah, der kleine Finger. Der geht immer als erstes kaputt.« »Genau.«, hob Anja ihre Hand und versuchte den kleinen Finger einzeln zu bewegen, wie Mergy das konnte und brachte unbeabsichtigt ein kleines Detail in Mays Blickfeld. »Nein. Er hat dich also endlich gefragt!«, griff May nach dem Arm und ließ das Raumlicht im Stein des Ringes funkeln: »Der ist ja schön. Das ist deine Augenfarbe, stimmt´s?« »Ja. Ist das nicht romantisch?« »Ich gratuliere dir. Er ist ein toller Fang!«, umarmte May Anja und drückte sie. »Ohne dich wäre das nicht passiert!«, traf Anja plötzlich eine Aussage die May verwirrte. Wusste sie auch vom Zeitreiseorakel und ihrem Anteil am Schicksal der Menschheit. Anja deutete Mays verwirrten Gesichtsausdruck richtig: »Ich meine damals, als du mir mit dem Papiervogel einen Schubs gegeben hast.«
»Ach das. Ich denke Mergy hätte auch nicht viel länger gewartet, wo du schon seine geheime Identität kanntest.« »Wie hast du das gemacht? Also das mit dem Vogel. Thomas sagt immer ich soll dich selbst fragen.« May zog die Mundwinkel nach oben und rollte amüsiert mit den Augen: »Ich hab so eine Art Superkraft und kann Luft kontrollieren. So habe ich auch das Flugzeug in London aufgefangen. Die Luft macht was ich will.« Anja wollte gerade nachfragen, ob das jetzt ein Scherz sei, als Mergy brüllend an den Tisch trat: »Wir hätten doch im Bett Frühstücken sollen!« »Nun schrei doch deine Verlobte doch nicht so an.«, kicherte May, weil Mergy gerade die unerwartete Stille bemerkte, während hinter ihm noch der Bär los war. »Hat Tin es also doch hinbekommen!«, merkte er an.
»Hinbekommen? Was?« »Ihren Silencer! Sie liebt den Trubel hier, aber hasst den Krach der hier manchmal herrscht. Sie will jeden Tisch mit einem Schalter ausstatten, der Geräusche reduziert und filtert, damit Ruhe ist und niemand mithören kann. « »Achso, nein hat sie nicht. Das mache ich.«, erklärte May und Mergy brauchte einige Sekunden um den darin verborgenen Sinn zu verstehen. »Das erklärt ihren mürrischen Gesichtsausdruck.«, deutete Mergy zu einem der Tische auf der anderen Seite, wo Tin mit einem Tablett saß und frühstückte. »Kein Problem.« May tastete sich aus der um den Tisch geschaffenen Blase in den Raum und erzeugte eine Zweite direkt um den Tisch von Tin, die sogleich unsicher und verwirrt umherschaute.
»Ich wünsche einen guten Appetit!«, hörte sie May als einziges Geräusch in ihrer kleinen unsichtbaren Kuppel und als sich ihre Blicke durch den lauten Raum hindurch trafen, lächelten sich beide zu. »Ich lass euch Turteltauben dann mal alleine. Soll ich die Geräusche hier wieder lauter machen?« »Ich denke, wenn es keine Umstände macht, dann lassen wir es so?«, fragte Mergy vorsichtig. »Alles klar! Guten Appetit!« May verließ die Blase und wanderte zu Tin hinüber, die gleich eine Frage nach der anderen Stellte. Mergy hatte recht. Sie werkelte an einem Gerät, welches genau diese Funktionalität bieten sollte und wollte Tipps und Ideen von May. Anja erkundigte sich derweil nach der Bedeutung des Kuchentisches und auch nach den angedeuteten Superkräften, zu denen Mergy jetzt, wo er wusste das May es nichts mehr aus machte, viel zu erzählen hatte.
Kommander Mergy wurde vom Alarm aus seinen Gedanken gerissen. Als er aus dem Büro in den Kommandosaal trat, stand Sab bereits voll unter Strom. »Ikarus 12 meldet einen möglichen Kontakt.«, blaffte sie nur kurz in den Raum und trommelte weiter mit den Fingern auf ihre Konsole ein. »Ein Schiff der Seem nähert sich.«, gab Trish ihrerseits zu Protokoll. »Sie haben direkt am Satelliten gestoppt. Was haben die vor?«, murmelte Sab, wie immer nur das Böse vermutend. »Vielleicht sollten wir sie einfach fragen?« »Das wird nicht nötig sein, sie haben bereits selbst Kontakt zum Satelliten aufgenommen.«
Auf dem Schirm erschienen die Seem in eigentlich schon fast gewohnter Weise. Einer im Vordergrund führte das Gespräch und zwei weitere konnte man im Hintergrund werkeln und umherschwimmen sehen. »Wir sind die Seem!«, hallte es aus den Lautsprechern des Kommandodecks. »Das wissen wir.«, lächelte Mergy ihnen entgegen: »Was können wir für sie tun?« »Wir benötigen ihre Hilfe.« »Einflugerlaubnis in den Erdsektor erteilt. Die Seem sind bei uns jederzeit willkommen.« »Wir danken.«, waren die letzten vom Computer übersetzten Töne, die von dem fremden Schiff übertragen wurden, dann hallte nur noch die Stimme von Sab durch den Raum. »Haben wir nicht schon genug Probleme mit Aliens gehabt?«
»Sie haben sich mehrfach als uns freundlich gesonnen gezeigt und haben uns ohne Aufforderung beigestanden. Ich denke diesen Bonus des Vertrauens haben sie sich hart erarbeitet und auch mehr als verdient. Eigentlich dachte ich du wärest jetzt freundlicher drauf und nicht mehr so biestrig. Oder ist diese Phase schon wieder vorbei?« Sab musste lachen, hatte Mergy doch fragend die Augenbrauen hochgezogen, wie er das immer machte, wenn er nicht eine nicht ganz ernst gemeinte Frage gestellt hatte, auf die er eine mehr oder weniger ernste Antwort erwartete. »Ja, du hast ja recht, ich sollte auch den Außerirdischen freundlicher gesinnt sein und nicht nur den Kadetten und Piloten.« »Trish an May, melde dich auf dem Kommandodeck.«, gab Trish eine mehr undeutliche als deutliche Anweisung, die doch eigentlich keine war. Noch bevor sich die Türen des Lifts öffneten und May den Weg auf das Kommandodeck freigaben, erschien das Schiff der Seem in gebührendem Abstand zur Station und setzte seine Reise langsam dahin gleitend fort, bis es wenige hundert Meter vor der Station endgültig zum Stillstand kam.
»Die Seem? Was wollen sie hier?«, fragte May gleich los. »Das werden wir gleich herausfinden. Lust auf einen Ausflug?« Sab war erstaunt und entsetzt von Mergys Aussage: »Du willst doch nicht ernsthaft da hinüber?« »Warum nicht? Ob wir sie nun in einem selbstgebauten Tank oder auf ihrem Schiff treffen ist doch wohl egal. Der Aufwand ist so jedenfalls deutlich geringer.« »Wir haben auch ein Kommunikationssystem, welches zumindest bei den Seem mittlerweile ziemlich gut funktioniert.«, erklärte Sab ihre eigentliche Vorstellung eines Treffens. »Ich finde es auch gut sie auf dem Schiff zu besuchen und persönlich mit ihnen sprechen. Die vorprogrammierten Transportringe von Tin haben wir doch noch im Lager.«, befand auch May Mergys Wunsch auf ein persönliches Treffen nicht so abwegig.
»Mergy an Seem, erbitten Erlaubnis an Bord kommen zu dürfen.«, gab Mergy sein Anliegen nun auch den Seem bekannt, die nicht weniger erstaunt über diesen ungewöhnlichen Vorschlag waren, als Sab noch wenige Augenblicke zuvor. Sie stimmten aber ohne zu zögern dem unerwartetem Besuch zu. Jaque transportierte die Ringe auf das Kommandodeck und wenige Augenblicke später schwammen Mergy und May im Schiff der Seem. Naja, eigentlich standen sie auf einem schmalen etwa drei Meter breiten Bereich, der keinerlei Technik enthielt und sich über die komplette Länge des Raumes erstreckte. »Es ist uns eine Ehre sie an Bord begrüßen zu dürfen.«, wurden die beiden Kommander herzlich empfangen. Gleichzeitig entschuldigten sich die drei schwimmenden Verbündeten dafür, für Gäste keine Sitzgelegenheiten oder sonstigen Möbel zu haben. Mergy war schon einen Schritt weiter und transportierte direkt zwei der Sessel aus dem Konferenzraum in den großen mit Wasser gefüllten Körper aus Metall. Jetzt saßen sich die beiden Kommander gegenüber und seitlich positionierten sich zwei der Seem um den nicht vorhandenen Konferenztisch.
May war lange nicht in einem Seem Schiff gewesen, aber es kam ihr mit Wasser gefüllt noch riesiger vor, als der nur mit der leere des Alls gefüllte löchrige Körper, den sie damals zusammen mit Tin untersucht hatte. »Wie können wir ihnen helfen?«, kam Mergy als erster auf den eigentlichen Grund für den Besuch zurück. »Die Seem sind ein friedliches Volk. Wir hatten nie viel Kontakt zu anderen Welten. Eine der wenigen Ausnahmen waren die Stri.« Entweder konnte der Übersetzer mit dem Namen nichts anfangen oder dieses Volk hieß wirklich so. Mergy und May ignorierten dieses kleine Kommunikationsproblem und lauschten weiter den Ausführungen ihrer neuen Gesprächspartner. Sie erklärten die Stri selbst seien auch ein friedfertiges Volk und man hatte mit ihnen intensiven Handel getrieben.
Mit dem Angriff der Draken und der Vernichtung ihrer eigenen Heimatwelt brachen auch diese Beziehungen mit dem, für die Menschen völlig unbekannten, Volk schlagartig ab. Jetzt hatten die Seem wieder einen Planeten und wollten die alten Kontakte erneut aufleben lassen. Wie sie aber feststellen mussten, wurden die Stri nun ebenfalls von den Draken heimgesucht, was anscheinend sehr ungewöhnlich war, da die Besonderheiten des Planeten es unglaublich schwer machen würden Kontrolle über das Volk der Stri auszuüben und die reichlich vorhandenen Ressourcen auszubeuten.
Die Seem führten die Aktion der Draken auf die neuerlichen Ereignisse und ihre großen Verluste zurück. Wenn sie sich einem unwirtlichen Ort wie den Planeten der Stri auswählen würden, dann wären sie bereits sehr verzweifelt. Die Seem waren zwar in der Lage es mit kleineren Gruppierungen aufzunehmen, aber mit einer ganzen Flotte wollten sie sich dennoch nicht alleine anlegen. »Von meiner Seite aus sehe ich kein Problem ihnen und den Stri zu helfen. Schließlich scheint das Problem ja erst durch unseren Widerstand entstanden zu sein. Aber ich kann das nicht alleine entscheiden. Das müssen wir gemeinsam mit dem Kommando auf der Station besprechen.«
»Das verstehen wir. Wir werden auf unserem Planeten zurückkehren und auf ihre Entscheidung warten.« Mergy musste ein lautes Lachen unterdrücken. »Das wird nicht nötig sein, wir sind nicht so träge, wie unsere Kollegen auf dem Planeten.« May musste lachen, als sie den verkniffenden Gesichtsausdruck ihres deutlich älteren Kollegen sah. Die Seem hatten sich offensichtlich intensiv mit der Erde und den herrschenden Regierungsformen auseinander gesetzt und es hatte sich, wenig verwunderlich, die Meinung gebildet, das Treffen von Entscheidungen wäre für die Menschen eine langwierige und komplizierte Angelegenheit. »Wir melden uns gleich wieder.«, bestätigte May noch einmal und beide verschwanden so schnell wie sie gekommen waren mitsamt ihren Sesseln im Lichtwirbel.
»Und? Was wollen sie?«, fragte Sab, kaum das der Transport abgeschlossen war, direkt los. »Freunde von ihnen sind in Schwierigkeiten und sie bitten uns um Hilfe.« »Jaque suche bitte in der Datenbank nach einem Volk mit dem Namen Stri. Der Name muss nicht zwingend richtig sein. Suche auch nach Ähnlichkeiten und leg die Informationen in den Konferenzraum.« »Ich nehme mal an, ihr wollt ihnen helfen, oder?«, war Trish noch auf neutralem Boden, während Sab die Situation schon vorher kritisch sah. Tin und der Doc gesellten sich zu der Kommandotruppe, die sich bereits komplett in den Konferenzraum begeben hatte, wo sie den anderen noch einmal die Fakten vorlegten. Jaques Informationen über die Stri waren begrenzt, aber die Angaben der Seem und sogar der eigenwillige Name stimmten.
Der Planet war riesig und reich an Erzen. Die Problematik war nicht wie ursprünglich von Mergy angenommen eine unwirtliche Atmosphäre, sondern die hohe Schwerkraft, die durch die enorme Masse des Planeten erzeugt wurde. Ein Mensch würde auf dem Planeten sofort zu Boden gedrückt und zerquetscht werden. Sab war wie erwartet gegen ein Eingreifen des Ray Teams, aber wurde überstimmt. »Wenn wir alle Schiffe schicken, dann ist unser Planet schutzlos.«, warf Sab ihren letzten Trumpf in die Waagschale. »Die Station ist auch noch da und mit den Gleitern, Mantas und den Satelliten im Orbit ist die Verteidigung ausreichend.«, erklärte Mergy.
»Wir sollten den Seem aber auch zeigen, dass wir nicht alle Schiffe schicken, falls es eine Falle ist.« »Es ist keine Falle!« , mischte sich erstmals auch May in die Diskussion ein. Sie hatte sich ansonsten nur zurückgehalten und die Argumente beider Seiten still zur Kenntnis genommen. »Wie auch immer, es kann nicht schaden, wenn wir ein Paar von Mays Überraschungspaketen aussetzen, erzählen, wir würden noch auf zurückkehrende Schiffe warten bevor wir dann losfliegen. Die sollen ruhig mehr als nur als drei Schiffe sehen.« »Wir haben aber nicht mehr.« »Das ist doch genau der Punkt.« »Was ist mit dem Kommando?«
Jetzt hatte May die komplette Aufmerksamkeit ihrer Kollegen, die diese Aussage nicht richtig verstanden. May erklärte ihnen, sie würden Seite an Seite mit den Seem kämpfen und es müsse im Vorfeld klar sein, wer die Regeln des Kampfeinsatzes definiert. Das Ray Team würde den Draken, wie eigentlich immer, die Chance zur Flucht geben ohne einen Kampf zu beginnen. Die Seem würden aber sicherlich anders vorgehen und die Draken direkt und ohne viele Worte angreifen.
Die anderen Kommander mussten es einsehen. Das jüngste Mitglied des Kommandos hatte hier bereits deutlich weiter gedacht, als ihre deutlich älteren und weitaus erfahreneren Kollegen. So bekam May die Aufgabe die Bedingungen für den Einsatz unmissverständlich mit den neuen Alliierten zu diskutieren und auszuhandeln. Dieser Kampfeinsatz würde nur unter Einhaltung dieser Bedingung durchgeführt und etwaige spätere Einsätze würden direkt an der Qualität dieser Zusammenarbeit gemessen. Mergy führte die Sitzung zu einem Ende und alle gingen an die nötigen Aufgaben.
May teilte den Seem ihre Entscheidung und die Rahmenbedingungen für den Einsatz mit. Sab setzte ein halbes dutzend von Mays Hologrammschiffen getarnt im All aus und ließ sie wenige Minuten später, aus dem Unterraum auftauchen und das erste Schiff unten an den Türmen andocken, während die oberen Türme nacheinander zum Beladen der echten Schiffe genutzt wurden. Trish und Mergy übernahmen das Kommando der Hope und der Vanquist. Mergy fragte May ob sie die Mystery übernehmen wolle, aber sie lehnte ab und überließ Solange diese Aufgabe. Sie hatte schon immer betont auch weiterhin auf normale Missionen gehen zu dürfen und jetzt wollte sie mal nicht die Befehle geben, sondern als Teil der Gemeinschaft ihren Beitrag leisten. Mergy respektierte ihren Wunsch. »Ein guter Kommandeur sollte jede Aufgabe, die er von seinen Untergebenen verlangt auch mindestens einmal selbst gemacht haben.« Diesen Satz hatte May damals nach ihrer Beförderung in einem Leitfaden gefunden, der zwar nicht vom Ray Team stammte, dessen Bedeutung ihr aber doch einleuchtete.
»Wir sind soweit. Mergy an die Seem, wir koppeln sie an unser Schiff. Damit sparen wir Zeit.« Die Seem verstanden und aktivierten ihren Antrieb erst gar nicht. Die Flugbahn der Vanquist, führte direkt über das Schiff mit den neuen schwimmenden Freunden. Mit den unteren Greifstrahlwerfern wurde das kugelige Schiff an das deutlich größere kantige Transportmittel des Teams gezogen und von dessen Schilden eingehüllt. Mergy verabschiedete sich noch kurz von Tin und Sab auf der Station und dann war die kleine Flotte auch schon im Unterraum verschwunden, wo das tiefe wabernde Blau die Schiffe umschloss.
May und Nim bezogen ihr Quartier auf der Vanquist. »Ich kann es immer noch nicht glauben. Du kommst einfach so mit. Du wolltest doch nicht von der Erde weg und Abenteuer erleben?« »Das ist etwas ganz anderes. Die Seem haben mir geholfen, sie haben meinen Vater gerettet und, wenn man es genau nimmt, auch dich. Ich betrachte sie als meine Freunde und wenn sie Hilfe brauchen, dann will ich für sie da sein.« »Meine May, wie ich sie liebe. Immer dabei zu helfen und das Richtige zu tun.«, grinste Nim und drückte ihr einen innigen Kuss auf: »Wie lange brauchen wir bis zu dem Planeten?« »Bis zu den Seem dauert es etwas über eine Stunde bei Höchstgeschwindigkeit, aber wir sammeln vorher noch einige Seemkreuzer ein und fliegen dann langsamer weiter. Die sind ja nicht so schnell wie unsere Schiffe. Wie lange wir dann noch bis zu den Stri brauchen weiß ich auch nicht.« »Dann haben wir ja etwas Zeit für uns.«, zwinkerte Nim seiner Freundin zu und zog sie auf das untere Bett. Schon den ersten, mehr gespielten als ernst gemeinten, Widerstand von May erstickte er mit einem weiteren Kuss.
»Suki in Agentenuniform im Hangar 3 melden.«, verkündete die immer noch ziemlich barsch klingende Stimme von Sab in Sukis Kopf. Erschrocken blickte sie sich um. Es gab nur eins was noch schlimmer war: Eine Sab, die neben einem stand und in diesem Ton redete. Suki ließ alles stehen und liegen. Wenn Sab sie persönlich aufrief, dann war es wichtig und eine Diskussion darüber war sowieso zwecklos. Es schossen ihr allerlei Gedanken durch den Kopf. Warum die Uniform? Die hatte bisher nur einem Zweck gedient. Damit hatte sie Shizuka überzeugen müssen, ein Agent zu sein, um jeden Verdacht ein Mitglied des Ray Teams zu sein, im Keim zu ersticken. Sie malte sich allerlei Szenarien aus, die einen Einsatz als Japanische Agentin erforderten. Als sich die Hangartore vor ihr öffneten war sie mehr als nur überrascht. Mitten auf dem Deck Stand ein Hubschrauber. Aber das war nicht nur irgendein Hubschrauber, er sah genauso aus wie der, mit dem Mergy sie damals aufgesammelt hatte. Der ursprüngliche Helikopter war beim Angriff der Draken mit der Station vernichtet worden, aber dieser Anblick ließ die Gedanken an diesen besonderen Moment in ihrer Vergangenheit in ihr aufsteigen.
Es war niemand sonst im Hangar und so fragte sie vorsichtig bei Sab nach, was sie dort solle. Sab blieb vage und meinte nur sie müsse einen neuen Kadetten einsammeln. Die Frage nach einem Piloten wiegelte Sab genauso schnell ab: »Der fliegt sich wie ein Manta mit Gleitersteuerung!« Diese mehr patzige als freundliche Erklärung war alles was Suki an weiterführenden Informationen bekam. Mit einem mulmigen Gefühl stieg sie hinter das Steuer des ungewohnten Fluggeräts, welches schon von außen durch seine fast komplett schwarze Lackierung Respekt einflößte. Angst, man könne von der Farbe auf das Ray Team schließen, hatte man wohl angesichts der komplett anderen Bauweise nicht.
Vorsichtig hob Suki ab und steuerte auf den Hangarausgang zu. Fast hätte sie in der Aufregung vergessen die Tarnung zu aktivieren. Das hätte wieder für Aufsehen gesorgt und Sab wäre wohl durch mindestens zwei Decken der Kommandoebene geschossen. Kaum hatte sie den Rand der Lufthülle des Planeten passiert, da funkte Sab ihr auch schon die Koordinaten für den Anflug. Suki schluckte. Es ging um Shizuka. Sie hatte Mergy, May und sogar Sab persönlich darum gebeten ihrer Schwester die gleiche Chance zu geben, die sie damals erhalten hatte, aber man lehnte den Vorschlag jedesmal ab.
Shizuka sei zu labil und das Risiko wäre zu hoch. Jetzt sah man es plötzlich anders und dann waren da noch ihre Eltern. Tausend Gedanken flogen durch ihren Kopf. Ja, sie war vor ihren Augen aus einem Manta gesprungen, aber da war sie nur Passagier gewesen. Jetzt hatte sie die Position von Mergy übernommen und würde selbst mit einem Hubschrauber ihre Schwester abholen. Erneut kamen Anweisungen von Sab über Funk. Sie solle sich weiter im Tarnflug nähern und die Daten aus Shizukas Multifunktionscontroller übermitteln. Sie wollten also wissen, ob sie Clean war. Ob sie es nach der Therapie beim Doc geschafft hatte ohne weitere Drogen auszukommen.
»Hoffentlich hast du keinen Mist gebaut.«, murmelte Suki vor sich hin und wartete zittrig auf eine positive Entscheidung. Als sie unsichtbar und lautlos am Dach vorbei flog, sah sie ihre Eltern, Shizuka und ein Satz Koffer auf dem Dach. Sie schauten gebannt in die Luft, konnten aber natürlich noch keinen Hubschrauber erkennen. Suki durchlebte bange Momente, bis endlich die erlösende Meldung von Sab eintraf. Sie durfte ihre Schwester einsammeln. Mit einem freudigen Lächeln auf den Lippen zog Suki ihr ungewohntes Fluggerät steil in eine Wolkenformation, die im Mondlicht nur spärlich vor dem Sternenhimmel zu erkennen war. Dann stürzte sie mit dem Hubschrauber und seinen holographischen Rotoren ungetarnt wieder in die Tiefe. Immer wieder konnte sie ihre Eltern in den Himmel deuten sehen, bis Suki schließlich langsam über dem Dach herab sank und landete.
Ihre Mutter erblickte Suki zuerst hinter dem Steuer des Hubschraubers und hielt sich vor Überraschung und vielleicht sogar auch Stolz die Hand vor den Mund. Auch ihr Vater konnte nicht so recht glauben, wer da den Hubschrauber flog. »Hey!«, begrüßte Suki die Drei noch während ihres Hopsers aus dem Cockpit. Sie wurde gleich von ihren Eltern in Beschlag genommen, während Shizuka nur darüber staunte, weil Suki dieses Fluggerät überhaupt beherrschte, waren ihre Eltern sichtbar stolz, weil man ihrer Tochter ein so wertvolles Fluggerät einfach so und ohne Aufsicht überließ. »Du passt gut auf sie auf, ja?« »Wenn sie diesmal auf mich und meine Kollegen hört, dann bestimmt.« »Das passiert mir nicht zweimal.«, grinste Shizuka schon, als seien die schrecklichen Erlebnisse der letzten Jahre nur ein schlechter Traum oder ein bizarrer Film gewesen.
Suki schob das Gepäck direkt auf die Rückbank und bat zum Aufbruch. Beide wurden noch einmal von ihren Eltern geherzt und dann ging der Flug los. Eigentlich wollte Suki ihrer Schwester direkt erklären, wohin die Reise ging, aber Shizuka stellte ohne Pause eine Frage nach der Anderen ohne auch nur ansatzweise auf eine Antwort zu warten. Also beließ Suki es dabei und ließ sie fragen stellen. »Wo fliegen wir hin?« »Ist unsere geheime Basis in einem Vulkan?« »Wie lange dauert der Flug?« Dann tauchte das schwarze Fluggerät ins All ein und Shizuka wurde für einen Moment still. Dann gingen die Fragen weiter, bis Suki sich vom Kommandozentrum der Station die Landeerlaubnis einholte.
»Musst du hier noch etwas erledigen?«, begann Shizuka erneut mit der Fragerei. Suki bejahte die Frage nur kurz und setzte auf dem Deck auf. »Soll ich hier warten?«, fragte Shizuka erstmals etwas, auf dessen Antwort sie auch gewillt war zu warten. »Nein, du kommst mit.«, erklärte Suki schon jetzt ein wenig genervt. Sie zog die Koffer aus dem hinteren Teil der Kabine und stellte sie auf eine schwebende, einem Kofferwagen am Flughafen nicht unähnliche, Vorrichtung, den Sab für die Beiden bereit gestellt hatte. »Das ist ja cool! Wieso fliegt das?« »Antigravitation.«, muffelte Suki nur und gab dem kleinen Flugschlitten einen Schubs in Richtung Hangartor.
Der fremde Ort ließ Shizuka endlich verstummen und Suki konnte zum ersten Mal etwas ihre Ohren entspannen. Eigentlich war es verwunderlich. Warum betrachtete sie immer noch so interessiert diese technische Umgebung, schließlich war sie einige Zeit an Bord der Station gewesen und hatte schon viel tollere Dinge gesehen? Suki beschloss ihre Schwester so richtig auflaufen zu lassen und so betraten sie erst einmal ihr eigenes Quartier, wo sie die unbequeme Uniform endlich loswerden konnte. »Ich bin gleich wieder da.«, gab sie nur zu verstehen und verschwand zum Umziehen in ihrem Schlafzimmer.
Shizuka sah sich um. Der Raum hatte sich seit ihrem letzten Besuch deutlich verändert. Er sah so gar nicht mehr nach Gästezimmer aus. Es befanden sich so viele Private Dinge in dem Raum. Einige kannte Shizuka noch aus ihrer gemeinsamen Kindheit, andere waren neu. Ein Bild tat es ihr besonders an. Ein Schnappschuss von Suki und May mit Partyhüten. Selbst jetzt, einige Wochen nach nach ihrer Rettung, hatte sie Suki nie so lachen gesehen. Eigentlich hatte Suki erwartet, die Tarnung würde durch ihre Wohnung von selbst auffliegen, aber es passierte nichts.
Also setzten sie ihre kleine Tour fort. Sab hatte Shizuka das Quartier gegenüber von Suki zugeteilt und so ging es nur zur Tür hinaus und auf die andere Seite des Gangs. »Drück auf die Platte.«, wies Suki an und Shizuka folgte ihren Anweisungen zögerlich und die Tür surrte leise auf. Die Wohnung war bis auf die übliche kahle Standardausstattung leer. »Und wer wohnt hier?«, fragte Shizuka sich erstaunt umsehend, während Suki dem Lastkarren ohne Räder einen ordentlichen Tritt verpasste, der ihn bis in die Raummitte gleiten ließ. »Du!« »Ich?« »Ist hier sonst noch jemand?« »Ich dachte wir fliegen in die Agentenbasis?« Suki klatschte sich die flache Hand auf die Stirn. Das Geräusch hallte sogar ein wenig von den kargen Wänden des fast leeren Raumes zurück: »Es gibt keine Agentenbasis und auch keine Agenten. Zumindest ich bin keiner.« Es war deutlich zu sehen, wie es in Shizuka arbeitete.
Aber auf die eigentlich logische Erklärung kann sie dann doch nicht: »Und was machen wir dann hier?« »Also ich arbeite hier und du wirst hier deine Ausbildung anfangen. Auspacken kannst du später. Jetzt gehen wir zu deiner Gruppe, die lernt nämlich schon.« Die Gesichtszüge ihrer Schwester entgleisten: »Du bist beim Ray Team?« »Endlich geschnallt, was? Das hat aber ganz schön lange gedauert.« Suki musste laut lachen. Der Ausdruck im Gesicht ihres Gegenübers war eine Mischung aus Verwirrtheit und Erstaunen. »Mama und Papa haben auch gesagt du bist Geheimagentin für die Regierung und ich dürfe das niemandem erzählen.« Schlagartig stoppte Suki, griff ihre Schwester mit beiden Händen an den Schultern und drehte sie zu sich: »Ich bin Ray Team Pilot und das darfst du erst recht niemandem erzählen, besonders Mama und Papa nicht. Sie wären sonst in großer Gefahr.« Die Geste, der ernste Blick und die recht harte Tonwahl ließen nur einen Schluss zu. Suki meinte das wirklich ernst.
Im Lift angekommen ging es schweigend weiter zur Promenade, wo Suki direkt einen der Konferenzräume ansteuerte und zielstrebig die Tür aufdrückte, hinter der Sandra gerade den Einführungskurs für Rettungsmedizin hielt. »Entschuldige die Störung. Hier ist noch jemand für die Gruppe. Das ist Shizuka zeigt ihr bitte alles und helft ihr den Stoff nachzuholen, den sie bereits verpasst hat.« Shizuka hatte keine Zeit weitere Fragen zu stellen und setzte sich auf Anweisung von Sandra, die auf sie, im Gegensatz zu ihrer Schwester, wie eine Respektsperson wirkte und entsprechendes Verhalten von ihr bekam, direkt neben Jiyai. Suki konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen und machte sich auf den Weg zum Hangar um ihre reguläre Schicht im Gleiter anzutreten.
»Wir sind gerade aus dem Unterraum gesprungen. Wir müssen aufstehen.« »Och, immer wenn es am gemütlichsten ist.«, murrte Nim, wurde aber von May auf die Beine gezogen. »Schau, da sind weitere Seemschiffe.« Nim konnte gerade noch einen Blick auf die Schiffe erhaschen und dann sprangen sie zurück in den Unterraum. Die Vanquist tat selbiges und wenige Augenblicke später konnte man die Hope und zwei der Seem Schiffe im Parallelflug vor dem Rot des Unterraums sehen. »Die können uns doch nicht sehen, oder?«, wurde Nim plötzlich unsicher. May kicherte. »Ich kann dich jedenfalls sehen und so muss ich dir als Vorgesetzte sagen: Du bist nicht vorschriftsmäßig gekleidet.« »Das trifft dann wohl auf uns beide zu.« »Ich bin Kommander und darf das!« Beide drückten sich noch einen Kuss auf und richteten ihre Dienstkleidung, als eine schiffsweite Durchsage die Piloten aufforderte ihre Mantas zu besetzen.
Nim, May und die anderen hasteten in die Hangars und folgten den Anweisungen. »Pass auf dich auf.«, rief Nim seiner Freundin noch zu. May riet ihm das Selbe. Es war seltsam. Sie waren zwar schon öfter in Schlachten gezogen, aber jetzt zum ersten Mal gemeinsam und als Paar. Nim war für May nicht mehr einer von vielen und Nim sah es genauso mit May. Die Mantas schossen in den Unterraum. Kaum das die kleinen Raumschiffe aus dem Weg waren, beschleunigte die Vanquist wieder und ließ die gemischte Flotte zurück. »Bereitmachen zum Sprung. Waffen ausfahren und alle verfügbare Energie in die Schilde. Jetzt werden wir herausfinden, ob die neue Tarnung unsere Flugbahn wirklich maskiert.«, stellte Mergy bedeutsam in den Raum. Sekunden später tunnelte sich das Flaggschiff des Teams in den Normalraum, wo die Draken schon auf sie warteten.
Die Flotte hatte allerdings nicht wirklich gewartet, aber sie waren wachsam. »Das sind über 200 Schiffe.«, merkte Kathy an, als sie die Signaturen auf ihrem Schirm erspähte. »Kanal öffnen und übersetzen. Hier spricht Kommander Mergy vom Ray Team. Dieser Planet steht unter unserem Schutz. Wenn Sie nicht unverzüglich verschwinden, sind wir gezwungen das Feuer zu eröffnen.« Die Antwort kam schneller als erwartet. Sich in der Überzahl wägend begannen die Schiffe damit das Feuer zu eröffnen. »Sensoren erfassen massives Waffenfeuer.«, bekam Trish die Meldung und gab ihrerseits die Anweisung in das Kampfgebiet vorzustoßen. Plötzlich sahen sich die Draken nicht nur einem Ray Team Schiff, sondern einer ganzen Flotte von Kriegschiffen der noch jungen Allianz entgegen. Tausende von Drakenjägern strömten ins All und eröffneten das Feuer.
May und die anderen 59 Mantas waren klar in der Unterzahl. Zum ersten Mal wurde May bewusst, dass ihre lila Lackierung in einem Gefecht nicht wirklich zu gebrauchen war. Viele der Draken und sogar die größeren Kreuzer eröffneten das Feuer gezielt auf eben dieses besonders aussehende kleine Schiff. Gerade hatte sie noch eines der feindlichen Schiffe vernichtet und wich gekonnt der resultierenden Explosion aus, da wurde ihr Schiff gleichzeitig von über einem Dutzend Strahlenwaffen getroffen und aus seiner Bahn geworfen. May hob der gewaltige Einschlag fast aus dem Pilotensessel. Warnsignale ertönten und erfüllten in nerviger Folge die Kabine.
Die Waffensysteme waren ausgefallen und zwei der drei Reaktoren, die das Schiff mit Energie versorgten, gaben ebenfalls Signale der Fehlfunktion von sich. May hatte kaum Zeit für eine Schadensaufnahme, hielten die feindlichen Jäger doch weiter auf ihr kleines buntes Ziel zu. Da sie selbst nicht mehr feuern konnte, zog sie den Schwarm Verfolger direkt in das Waffenfeuer anderer Schiffe. Mit gekonnten Manövern spielte sie ihre Gegner gegeneinander aus. Durch gewagte Flugkurven lockte sie ihre Verfolger direkt auf Kollision mit den eigenen Kreuzern und wenn das nicht klappte, dann rammte sie die grünen Schiffe einfach so lange, bis diese gegen ein anderes Ziel krachten oder selbst explodierten.
Der gesamte Flottenverbund schlug sich gut. Die Zahl der Feinde, die den Planeten umkreisten schrumpfte von Sekunde zu Sekunde. Schließlich musste auch May ihre Taktik ändern, denn die beiden angeschlagenen Hauptreaktoren deuteten mit ihren immer prägnanteren Warnungen an, nicht mehr nur den Geist aufzugeben, sondern auch ziemlich zeitnah zu explodieren. »Reaktoren eins und zwei auf Auswurf vorbereiten.«, wies May an, während sie ihren Manta ruckartig nach oben zog und zwei seitlich anfliegende Drakenjäger miteinander kollidieren ließ. Das Abbild des lila Mädchens auf der Außenhülle hatte bereits so viele Dellen und Beulen und wirkte als hätte es persönlich einen Boxkampf mit den Feinden ausgetragen. Neben den Waffen waren auch viele der anderen Systeme schon komplett ausgefallen, oder nur noch bedingt einsatzfähig. Im Tiefflug schoss May seitlich über eines der großen grünen Angriffsschiffe und ließ den ersten Reaktor direkt in eine der Landebuchten auswerfen, die tief in das Raumschiff führten. Der im Vergleich zum Drakenschiff wie eine mickrige Dose wirkende Reaktor taumelte hinein und verschwand wenige Momente später im dunklen Schlund des Feindes.
Eine gewaltige Explosion aus dem Inneren zeugte von der Überlast, die sich hier Schlagartig in der Energiequelle entlud. Den zweiten Reaktor wollte May ebenfalls nicht ungenutzt explodieren lassen, aber auch der letzte Meldete bereits den kommenden Ausfall. May warf beide Reaktoren, aus der unteren Öffnung des Mantas, wie Eier, einem Jäger, der in einer der Landebuchten verschwand, hinterher. Noch bevor die Reaktoren explodierten, öffneten sich diverse Vortexe in den Unterraum. Die Draken ergriffen die Flucht. Die ungewöhnlichen Energiewaffen zerrissen das Schiff und setzten neben der eigenen Energie auch die im Drakenschiff für den Sprung gesammelte Energie frei. Der Vortex begann zu flackern und dann erhellte eine zweite gigantische Energiewelle wie eine Kettenreaktion drei weitere Mutterschiffe in grünlich schimmerndes Licht. Der im Vergleich zu den Schiffen und den Explosionen kleine und verbeulte Flugkörper schoss mit letzter Kraft vor den Explosionen davon. Mays Fluggerät hatte keinerlei Antrieb mehr und so musste sie die Gravitationswellen der gewaltigen Explosionen um sie herum nutzen, um darauf in Richtung ihres eigenen Basisschiffes zu reiten, wenn das überhaupt noch möglich war.
Die letzten verblieben Jäger wurden ausradiert und die Belagerung des Planeten war offiziell vorbei. Die Mantas wurden von Mergy beauftragt die Reste der Schlacht zusammenzukehren. Es waren auch einige Mantas zerstört worden und man konnte es wie immer nicht riskieren Technologie zurückzulassen. Schnell wurde klar, das May sich noch nicht gemeldet hatte und so wurde intensiv nach ihr gesucht. Da der kleine Mantapilot wegen der vielen Beschädigungen nur noch die Notversorgung zur Verfügung hatte, war ihr Flachdrachen nur noch schwer auszumachen. Die Energiesignatur war minimal und von dem bunten Mädchen mit den fletschenden Zähnen auf der Außenhülle war nicht mehr viel zu sehen. Der Lack war buchstäblich ab. Schließlich wurde sie, auf die Vanquist zufliegend, von den Sensoren des Kriegsschiffes entdeckt.
Als May auf die Hangardecks zusteuerte, konnte Mergy zum ersten Mal den Zustand ihres Schiffes sehen. Die Trümmer, die sie zuletzt mit ihrem Schiff in Position gestoßen hatte, hatten ihren angeschlagenen Flugapparat aufgeschlitzt und das Kühlsystem beschädigt. Sauerstoff vermischt mit Brandgasen erzeugte einen tiefgrauen Schleier, den der Manta hinter sich her zog. Nicht nur Mergy und das Kommandodeck waren von den Zustand ihrer Maschine irritiert, waren ihre Kollegen doch schon fast alle gelandet und sahen den Schrotthaufen aus erster Hand auf sie zufliegen.
»Wie ist ihr Status?«, fragte Mergy. »Ich kann keinen Dataport erreichen. Aber sie hat definitiv keinen Antrieb. Sollen wir sie manuell hereinholen?«, fragte Kathy nach dem weiteren Vorgehen. Mergy überlegte kurz: »Gravitation im Hangar herunterfahren.« Signale, der normalen Einflugswarnung nicht unähnlich, aber mit einem schräpigem letzten Ton, verkündeten die kommende Gravitationsabschaltung auf dem Deck und die letzten Piloten verließen hastig den großen Raum. »Der Manta kommt zu hoch rein und wird die Hangardecke rammen!«, wurde Kathy unruhig. Mergy blieb ruhig und wartete. Auf dem Schirm konnte er May durch die Scheibe des Mantas sehen. Sie war ruhig und konzentriert.
Probleme schien sie selbst keine zu sehen. Sie tippte auf der Konsole als wäre der Manta voll funktionsfähig. »Er – Er ändert den Kurs! Wie ist das möglich? Ich registriere keinerlei Gravitationswellen des Mantas!« Mergy tippte auf seinem Kontrollfeld am Stuhl herum, dann erschien eine Vergrößerung der Mantaoberseite. Deutlich konnte man Sauerstoff ausströmen sehen. »Die guten alten Manövrierdüsen. Ich hab Tin immer gesagt, die können nützlich sein und wir sollten alle Schiffe weiterhin damit ausstatten. Sobald sie im Hangar ist die Gravitation langsam auf Normal erhöhen und das Schiff mit dem Greifstrahl einfangen.« »Verstanden!«
Tori und einige andere waren nach Abschaltung der Warnungen wieder in den Hangar zurückgekehrt um zu sehen, was passiert war. Die meisten wären wohl direkt nach dem Ausfall der Waffen zur Reparatur auf das Schiff gekehrt, aber May hatte unbeirrt weiter ihre Schlacht geschlagen. Sie setzte sanft auf, schaltete den Manta, oder besser das was noch funktionierte, aus und öffnete die Heckklappe. Ein Ächzen und Knarren schallte über das Deck. Dann knallte es fürchterlich. Die Heckklappe hatte sich nur noch gewaltsam vom Rest des Schiffes lösen können und war mit voller Wucht auf dem Hangarboden geschlagen. Der obere Teil der Luke kämpfte weiter erfolglos gegen die Verformungen der Außenhaut.
Deutlich hörte man die Mechanik an dem schweren Metall ziehen, bis es schließlich im Inneren einen Rums gab und Ruhe einkehrte. »Was ist denn mit dir passiert?«, fragte Tori als erster, als er May aus dem Trümmermobil steigen sah. »Nur die üblichen Gebrauchsspuren bei intensiver Nutzung.«, witzelte May. Nim war starr vor Schreck und konnte seine Freundin nur in den Arm nehmen und fest an sich drücken: »Bist du in Ordnung?« »Mir geht es gut.«, grinste May und im gleichen Moment gab es eine Schlag, der den Boden unter ihren Füßen erneut erzittern ließ. Der vordere Landefuß des Schrotthaufens war wohl nicht richtig eingerastet und hatte nachgegeben.
Der verbeulte Manta war mit der Front auf dem Deck aufgeschlagen. »Ist das nicht süß, er ist müde.«, kommentierte May die Situation. Die Piloten lachten und gingen gemeinschaftlich in die Kantine, wo sie sich immer nach einem Einsatz trafen. Meist gab es nicht viel zu berichten, weil nur Routineflüge auf dem Programm standen, aber jetzt hatten sie Gesprächsstoff ohne Ende und das Bedürfnis zu reden. Mergy hatte indes ein ähnliches Bedürfnis. Die Stri hatten die Vanquist kontaktiert, aber auf dem Kommandodeck kamen nur Knackser und Pieper an. Die Seem boten sich an und vermittelten. Mergy bat die Stri ihnen Tonaufnahmen zu schicken, um spätere Kommunikationsversuche erfolgreicher gestalten zu können.
Es dauerte nicht lange und die Stri versendeten die gewünschten Unterlagen, die an den Übersetzer weiter gereicht wurden. Die Seem bedankten sich abermals für die Hilfe und übermittelten auch den Dank der anderen Partei. Die Ray Team Schiffe blieben noch einige Stunden und sendeten Aufklärer in den Unterraum, aber es blieb still. Die Draken waren verschwunden und machten keinerlei Anstalten sich erneut mit dem übermächtigen Feind anlegen zu wollten. Mergy ließ sich die Daten der Schlacht auf seinen Terminal überspielen und sein Verdacht bestätigte sich.
Normalerweise versuchten die Waffensysteme automatisch das Feuern auf eigene Schiffe zu unterbinden. Das es bei einer Raumschlacht zum Einsetzen dieser Sicherung kam, war normal, aber May war über sechzig Mal von den eigenen Leuten beschossen worden, während die anderen Mantas, wenn überhaupt, nur die übliche Fehlerquote von ein bis zwei Treffern aufwiesen. Das konnte kein Zufall sein. So zitierte der Kommander seine Kollegin auf die Brücke und schilderte besorgt seinen Verdacht: Einige Piloten hätten absichtlich auf sie geschossen. Er präsentierte May sogar eine Liste.
May brach in lautem Lachen aus, während Mergy nur auf den Ernst der Lage deutete. May brauchte einige Zeit, um ihm von den defekten Waffen und ihrer angewendeten Taktik zu überzeugen. Er war, wie eigentlich immer, so besorgt um sie. Der kleine Kommander konnte nicht anders, als ihm hinter seinem Schreibtisch einen Besuch abzustatten und in den Arm zu nehmen. Wiederholt beteuerte sie niemand würde ihr nach dem Leben trachteten und die Einschläge der eigenen Waffen würden ganz alleine auf ihr eigenes Konto gehen.
Nach einigen weiteren Gesprächen mit den Seem und den Stri wurde die Abreise beschlossen, wobei Mergys lauter Ausruf: »Rücksturz zur Erde!« bei den auf dem Kommandodeck anwesenden Piloten nur einen fragenden Blick erzeugte. »Raumpatrouille Orion! Das war wohl vor eurer Zeit.«, grinste Mergy und räumte ein in der nächsten Zeit mal ein Special im neuen Stationskino laufen zu lassen. Mit normalem Unterraumantrieb ging der Flug los. Mergy wollte die neue Technik nicht überstrapazieren und außerdem eine vorherige, vollständige Reparatur aller Schiffe sicherstellen.
Die Flotte war keine zehn Minuten unterwegs, als sich etwas auf den Sensoren zeigte. »Da ist ein fremdes Schiff, es hat gerade Kurs auf uns genommen.« »Draken?« »Nein, die Signatur ist anders.« »Die wären auch noch blöder als gedacht, wenn die sich jetzt schon wieder mit uns anlegen würden. Vielleicht ist es ein Zufall. Folgende Kurskorrektur an die anderen Schiffe übermitteln.« »Das andere Schiff hat seine Flugrichtung angepasst und ist immer noch auf Abfangkurs.« »Dann werden wir das wohl auf uns zu kommen lassen.«, erklärte Mergy, obwohl er ein ungutes Gefühl hatte. May und Nim zogen sich unterdessen wieder in ihr Quartier zurück und schauten gemeinsam dem Wabern vor dem Fenster zu. »Unglaublich, oder?«, war es Nim, der, May von hinten umarmend, das Wort ergriff.
»Ja, wie diese Lampe von Suki, nur riesengroß und nicht so bunt.« »Das doch nicht.«, lachte Nim und konnte Mays ratlosen Blick in der Scheibe spiegeln sehen: »Ich meine die Aliens. Jetzt haben wir schon zwei Zivilisationen gerettet und das alles wegen dir.« »Wegen mir?« »Du hast doch die Seem gerettet und alles angestoßen.« »Ja, vielleicht, aber es waren auch andere beteiligt. Mergy, Tin, die andere May aus der Zukunft.« Nim trat einen Schritt zurück und drehte seine Freundin, an den Schultern greifend, um. »Bescheiden ist sie auch noch.«, sprach Nim noch aus und küsste sie innig. Das Licht begann zu flackern und schlagartig wurde es Dunkel. Das Rot des Plasmas war dem Schwarz des Alls gewichen und nur Momente später griffen Nims Hände ins Leere: »May?« Es kam keine Antwort und auch seine tastenden Versuche sie zu finden, blieben erfolglos.
»Was ist passiert?«, stand Mergy zu seinem Unmut mal wieder im Dunkeln: »Wenn das ein Running Gag werden soll, so ist der nicht mehr witzig.« »Alle Systeme ausgefallen. Es funktioniert nichts mehr.« »Mein Arm ist auch außer Funktion.«, bestätigte Mergy und versuchte das jetzt wohl als feindlich zu betitelnde Raumschiff durch die Fenster zu finden, aber es war bereits wieder verschwunden. Lediglich die anderen beiden Schiffe der kleinen Flotte waren zu sehen und die schienen genauso funktionsunfähig zu sein, wie die Vanquist. Die Fenster waren alle dunkel und es war keine Bewegung auszumachen.
»Die Systeme starten wieder.«, meldete einer der Piloten. Das Licht aktivierte sich und nur wenige Momente später initiierten sich auch die Konsolen und Mergys Arm wieder. »Nim an Brücke. May ist weg.«, hörte man Nims verzweifelten Ruf. Er hatte schon seit dem Angriff versucht jemanden zu erreichen, aber das hatte genauso wenig funktioniert, wie die Quartiertür. »Wie weg?«, erwiderte Mergy die Aussage mit einer Gegenfrage.
»Die Tür war geschlossen und von einer auf die andere Sekunde war sie weg.« »Transponderscan durchführen.« »Ist bereits geschehen. Bis auf May ist die Besatzung vollständig anwesend.« »Mergy an Hope und Mystery. Sind bei euch noch alle an Bord?«, fragte Mergy erst gar nicht nach dem technischen Zustand der Schiffe. Beide Schiffe meldeten die gleichen Probleme, aber auch die Vollständigkeit der Mannschaften.
Nur May fehlte. »Die Sensordaten zu den anderen Schiffe übertragen und deren Aufzeichnungen einholen.«, kommandierte Mergy nun einer komplett neuen und unvorhergesehenen Situation gegenüberstehend. »Was ist passiert.«, stürmte Nim aus dem Treppenhaus direkt auf die Brücke. »May ist die einzige Person die fehlt. Da war ein fremdes Schiff. Es hat uns ohne Vorwarnung angegriffen.« »Die haben May entführt?« »Sieht so aus.« »Wir müssen hinterher!« »Wir haben keine Ahnung wo sie hin sind. Die haben uns komplett lahmgelegt.« »Aber wir müssen etwas tun!«, wurde Nim schon fast ungehalten.
»Das tun wir auch, sobald wir genaueres wissen.« »Ich habe nach der Bauform des Schiffes in den Datenbanken gesucht. Es gibt eine Darstellung in den Aufzeichnungen der Seemdatenbank.« Corey legte die beiden Bilder auf den Schirm. Das Bild der Seem war mehr eine Zeichnung als ein Foto. »Gibt es mehr zu diesem Bild?« »Einige unverständliche Sätze. Es scheint als bezeichnen die Seem dieses Schiff als Phantom oder Mythos.« »Dann sollten wir sie fragen. Kurs auf den Planeten der Stri setzen. Hoffentlich sind die Seem noch dort.« Corey übermittelte den Kurs an die anderen Schiffe und dann waren sie auch schon wieder im Unterraum. Nim war angeschlagen und ängstlich. »Hey, wir werden sie finden und wenn wir jeden Planeten eigenhändig durchsuchen müssen.« Die Seem, wie auch die Stri, zeigten sich überrascht die kleine Flotte erneut anzutreffen.
»Wir haben ein Problem und brauchen nun ihre Hilfe. Eines unserer Besatzungsmitglieder wurde entführt.«, erklärte Mergy die Lage gerade heraus. »Kommander May?«, stellten die Seem eine Frage, die jetzt alle auf der Brücke Anwesenden überraschte. »Ja! Woher wissen wie das?« »Kommander May ist besonders.«, erklärten die Seem und ersetzten die Überraschung durch Erstaunen. »Das haben wir schon mal von ihnen gehört, aber was meinen sie damit?« »Wir können es sehen.« »Sehen?« »Kommander May leuchtet. Sie trägt es in sich.« »Was trägt sie in sich?« »Das Joluh. Kennt das Ray Team nicht die Besonderheit von Kommander May?«, fragte der Seem zurück. »Doch, aber wir haben es mehr zufällig herausgefunden. Sehen können wir es nicht. Wir haben ihnen ein Bild der Angreifer übermittelt. Kennen sie diese Bauart?«, legte Mergy das kombinierte Bild in die Übertragung. »Das ist ein Schiff der Schon-Or. Wir sind uns aber nicht sicher. Es ist viele Pavane her. Wir hatten lange keinen Kontakt und es gab nie Aufzeichnungen.«
»Weil alle Schiffe bei der Begegnung komplett aufgefallen sind?« »Ja, woher wissen sie das?« »Uns ist das gleiche passiert. Sie haben uns lahmgelegt und sich Kommander May geholt. Haben sie eine Ahnung warum?« »Die Legende sagt, die Schon-Or selbst würden das Joluh in sich tragen.« »Es wäre sehr hilfreich, wenn sie uns von der Legende erzählen.« »Was soll das bringen? May ist da draußen. Sie ist allein und du willst dir Geschichten anhören?« Nim war aufgebracht und sauer. Mergy wollte offensichtlich einen Kaffeeklatsch abhalten, während seine Freundin in der Gewalt einer fremden Rasse war. »Hör einfach zu.« »Nein, wir müssen los und sie suchen.« Nim wurde richtig laut und ausfallend.
»In den Konferenzraum! Sofort! Dort bleibst du, bis ich es sage! Das ist ein Befehl!«, erklärte der Kommander laut. Er verstand die Lage seines Kollegen, aber die Situation erforderte ein kontrolliertes und durchdachtes Vorgehen und keine planlose Suche. Nim verzog sich widerwillig in den Raum und setzte sich an den Tisch. Mergy legte die Kommunikation auch in den Konferenzraum, damit Nim sein Vorgehen weiter sehen konnte. »Tut mir leid. Er ist sehr aufgewühlt. May ist seine Freundin.«
»Wir verstehen nicht.« »Partnerin?, Familie?« Wieder verneinten die Seem. »Sie gehört zu seinem Schwarm.«, lehnte sich Mergy etwas aus dem Fenster und sofort verstanden die Seem und konnten sein ungestümes Verhalten nachvollziehen. »Erzählen sie uns von der Legende, vielleicht ist es wichtig.«, bestärkte Mergy die Seem ihre Informationen offen zu legen. Die Seem begannen zu Nims Unmut zu einer Zeit als das Universum noch in Trümmern lag, wie sie es nannten und es noch keine Planeten gab. In diesem Chaos lebten 4 Rassen, die jeweils eines der grundlegenden Bausteine des Lebens kontrollierten. Feuer, Erde, Wind und Wasser.
Die Völker waren uneinig wie sie das unendliche Universum untereinander aufteilen sollten und jede der Parteien wollte mehr als die Anderen, weil sie sich für die mächtigste Kraft hielt. So kam es zu einem fast endlosen Krieg, der in einer finalen Schlacht endete, in der alle vier Völker um die Alleinherrschaft kämpften. Das Ergebnis war eine gigantische Explosion, in der sich die Lebensformen gegenseitig vernichteten und in deren Explosionswelle sich das heute bekannte Universum bildete.
Die Seem berichteten auch davon, ihre Wissenschaftler und Gelehrte wären der Meinung, die heutigen Völker würden von diesen ersten Wesen abstammen. Die Seem wären Wesen des Wassers und die Stri ein Volk der Erde. Kräfte wie bei May hatten sie aber noch nie selbst gesehen und konnten ihre Art nicht zuordnen. Es gab nur die Vermutung, die Schon-Or würden eben genau diese Macht in sich vereinen. Dieses Volk, so erklärten die Seem, beanspruchte einen riesigen Teil des Alls für sich. Das wäre die dunkle Zone. Noch nie sei ein Schiff dort eingedrungen und zurückgekehrt.
Es gab nur Berichte von einigen wagemutigen Kapitänen, die, um ihre Flugdauer zu verkürzen, den Rand des Hoheitsgebietes striffen. Einige hatten Glück. Sie trieben Tage ohne Antrieb und sonstige Systeme hilflos durch das All, bis sie, die Zone verlassend, die Schiffssysteme wieder in Betrieb nehmen und ihre Reise fortsetzen konnten. Andere Schiffe seien aber nie wieder aufgetaucht. Mergy kam, wie die Seem, zu dem Schluss, die Schon-Or hätten sich May gezielt wegen ihrer Fähigkeiten geholt. Vielleicht wären diese Wesen in der Lage das Joluh, wie es die Seem nannten, technisch zu erkennen und hatten deshalb direkten Kurs auf die Trägerschiffe des Teams genommen und ihr auf der Karte riesiges Gebiet, dafür sogar verlassen. Die Seem stimmten der Einschätzung zu und Mergy hatte bereits einen Plan, den er umsetzen wollte.
Dazu müsse aber die Vanquist zur Erde zurückfliegen. Die anderen Schiffe sollten den Rand dieser dunklen Zone erforschen und sich mit ihm in sechs Stunden an einem vordefinierten Punkt im All, direkt an der Gefahrenzone treffen. Die Mantas der Vanquist wurden mitsamt der Piloten auf die Mystery und die Hope verteilt. Die Seem boten ebenfalls ihre Hilfe an und so machte sich erneut eine Flotte von Schiffen auf. Endlich begann die Suche, die Nim so barsch eingefordert hatte. Mergy studierte auf dem Rückflug die Daten und machte die letzten Details seines Plans fest. Eine Durchführung war nur möglich, wenn Tin und Reiko mitzogen, soviel war ihm klar, als er durch den Tunnel in den Erdraum sprang. »Hattet ihr nicht mal drei Schiffe?«, fragte Sab gleichsam besorgt wie schnippisch. »Wir haben dafür keine Zeit! Tin, Reiko und Jin sollen sich sofort im Konferenzraum einfinden. Alle Repligens sollen Überraschungspakete bauen. Die brauchen wir zusammen mit den Stationsmantas auf der Vanquist. Wir brauchen so viele wie möglich.«
Seiner Mannschaft gab er die Anweisung sich auszuruhen und dann, noch bevor die Vanquist zwischen den strahlenden Türmen festgemacht hatte, transportierte sich der Kommander direkt auf das Kommandodeck, wo bereits die ersten der gewünschten Personen eintrafen. Alle nahmen im Konferenzraum Platz und Mergy überbrachte die schlechte Botschaft. Sab war sofort davon überzeugt, die Seem würden hinter der Geschichte steckten, aber Mergy wiegelte ab. Er erzählte den anderen Kommandern und Mays Eltern was vorgefallen war und auch eine kurze Version der Seemgeschichte. Dann eröffnete er seinen noch gewagteren Plan. »Das können wir von Reiko nicht verlangen«, waren sich Tin und Sab einig, aber Reiko stimmte dem Plan, dem Wagnis, zu, auch wenn Jin ebenfalls nicht so recht wusste, was er davon halten sollte.
Aber es ging um seine Tochter und wenn die anderen Schiffe bis zur Rückkehr der Vanquist keine weiteren Erkenntnisse erfahren hatten, dann war dieser Plan die einzige Rettung für May, egal wie gefährlich er auch für Reiko und die Flotte war. Tin analysierte während der gesamten Sitzung schweigsam die Sensoraufzeichnungen. Die meisten Systeme hatten nicht wirklich etwas brauchbares aufgezeichnet, aber die Daten der Hope waren, obwohl nur wenige Millisekunden länger, die Hilfreichsten.
Tin brauchte nicht lange um zu erkennen, wie das Waffensystem, wenn man es denn so nennen wollte, funktionierte. »Die nutzen eine Art Zeitverwerfung als Signalträger, darum sind unsere Systeme sofort platt und unsere Schilde wirkungslos.«, vermeldete sie. »Sie nutzen Zeitverschiebungen um unsere Schilde und Abschirmungen zu durchdringen?« »Ja, das dürfte die gleiche Sendemethode sein, die von der alten May genutzt wurde, um die Orakelbotschaften in Jaques Speicher zu bekommen. Nur diesmal als Waffe.« »Kannst du etwas dagegen machen?«
»Mit den technischen Daten des Zeitschiebers könnte ich relativ schnell etwas zaubern.« »Toll und ausgerechnet diese Informationen wurden vernichtet, damit sie keine Schäden mehr anrichten können.«, merkte Mergy trotzig an, als er eine schnelle Lösung schwinden sah. »Naja!«, grinste Tin leicht zögerlich: »Ich dachte es schadet ja nicht, wenn ich eine private Kopie meiner Arbeit behalte.« Mergy war noch nie so froh über eine direkte Befehlsverweigerung und es fiel ihm ein Stein vom Herzen, als er die Zuversicht in Tins Stimme hörte. Es dauerte noch eine halbe Stunde, bis das Schiff und die zusätzliche Besatzung bereit für den neuen Einsatz war. Mergy war erstaunt, als Tin sich ebenfalls am Gate einfand.
»Bist du sicher? Ich meine du verträgst das Reisen doch nicht wirklich gut.« »May ist mehr als nur eine Freundin und eine Kollegin. Sie hat mir damals völlig selbstlos das Leben gerettet. Da kann ich ja wohl nicht wegen ein bisschen Reiseübelkeit kneifen. Das Risiko, bei der Datenübertragung und Probleme zu bekommen, ist mir auch zu groß. So kann ich selbst eingreifen und nötige Modifikationen direkt und in Echtzeit machen.«, erklärte Tin den Grund für ihr Handeln, während Reiko und Jin in ihrem Blick die Wertschätzung dieser Aussage mehr als deutlich durchblicken ließen. Die Besatzung begab sich auf ihre Posten und die Reise ins All begann erneut.
Als May ihre Augen öffnete sah sie nur weiß. Es dauerte eine Weile, bis sie die von der Farbe fast verdeckten Ausmaße des Raums ausmachen konnte. Er war etwa so groß wie ihr Wohnzimmer. Die blendende Farbe machte es schwer den Übergang vom Boden zur Wand und wieder zur Decke zu erfassen. Vor ihr war ein ebenfalls in weiß gehaltenes Pult, welches den Konsolen des Ray Teams auf den Hangardecks nicht unähnlich war. Mehr als ihren Kopf konnte sie nicht bewegen. An beiden Seiten ihres Körpers führten eckige, etwa 20 cm dicke Säulen vom Boden bis zur Decke und verstrahlten ein grünliches Licht, welches sie an ihrem Platz hielt. Ohne Bodenkontakt, Arme und Beine von sich gestreckt, schwebte sie unbeweglich in diesem ansonsten kahlem Raum.
Langsam wurde der kleine Kommander wieder klar und versuchte sich zu befreien, aber ihre Fähigkeiten funktionierten nicht. Dieses grüne pulsierende Licht schloss sie offensichtlich ein und unterband jeden Kontakt mit der Luft im Raum. Lediglich zum Atmen schien ihrem Körper Luft zugeführt zu werden. Eine Möglichkeit diese kleine Menge einzusetzen schlugen sofort fehl. Der Schild um sie herum war undurchdringlich. Ihre Kontaktlinsen zeigten keinerlei Funktion, was deutlich an den fehlenden Steuerkontrollen in ihrem Blickfeld zu sehen war. Was war mit den Anderen passiert? Sie konnte sich noch an den Kuss erinnern und dann war sie hier aufgewacht. Hatte man ihre Kollegen, ihre Freunde auch eingesperrt? Lebten sie überhaupt noch? Mehr und mehr beunruhigten May die vielen Gedanken, die in ihr kreisten. Aber mehr als Denken konnte sie in dieser Situation nicht. Sie war gefangen.
Mergy staunte nicht schlecht, als er mit dem Schlachtschiff aus dem Unterraum fiel. Es waren nicht nur vier weitere Schiffe der Seem am Treffpunkt, sondern auch zwei Schiffe der Stri. Sie wollten sich freiwillig an der anstehenden Mission beteiligen. Tin war noch nicht ganz fertig mit ihren Berechnungen, hatte aber bereits Schildmodule von den Repligen bauen lassen, die man den Seem und jetzt auch den Stri an die Schiffshülle kleben konnte. Mit den endgültigen Parametern würde die Flotte so hoffentlich immun gegen die heimtückische Waffe ihrer neuen Feinde. Mergy instruierte Trish, Solange und die verbündeten Schiffe über die weitere Vorgehensweise. Nim, der mittlerweile die Zeitverschwendung einsehen musste, die die planlose Suche darstellte, begab sich wieder an Bord des Flaggschiffes und auf dessen Brücke, wo er zu seinem Erstaunen auch Reiko und Jin antraf.
Die Vanquist spielte den Köder in dem gefährlichen Plan und flog geradewegs in den geheimnisvollen Bereich, den außerirdische Völker aus Angst seit unzähligen Generationen meideten. Mergy flog direkt auf das Zentrum zu, in dem er die Heimatwelt der Angreifer vermutete. Es dauerte nicht lange und ein unsichtbarer Störstrahl des feindlichen Waffensystems traf das Flagschiff wie aus dem Nichts und versetzte sie wieder in den Normalraum. Tin hatte noch einige Probleme, die durch die Waffeneinwirkung entstehenden Störungen komplett zu eliminieren, aber es gelang, wie geplant, den kleinen Schild um ihren Arbeitsplatz zu stabilisieren. Auch ihre Beine reaktivierten sich kaum das die Kalibrierung durchgeführt war. »Reiko, ich habe den Sender den du verschluckt hast noch einmal aktualisiert. Er wird sich in etwa einer Stunde aktivieren. Damit steigt die Chance dich zu finden, falls etwas komplett schief geht.«, erklärte sie den nervösen Eltern.
Wenige Augenblicke später traf deutlich sichtbar ein unbekanntes Schiff ein und Reiko verschwand in einem grellen Lichtschein, wie schon ihre Tochter einige Stunden zuvor. Offensichtlich bemerkte die feindliche Rasse, die von den Seem Schon-Or genannt wurde, die kleine Energiesignatur der von Tin abgeschirmten Konsole nicht. »Ich habe die Transportsignatur der Schon-Or ermittelt und aktualisiere unsere Transportblocker.«, vermeldete Tin: »Damit können die uns nicht mehr ins Handwerk pfuschen.« »Sende die Daten auch an die Flotte. Es geht los. Schiffssysteme wieder hochfahren und Verfolgung aufnehmen.«, kommandierte Mergy.
Die weiße Wand öffnete sich in der Mitte und ein im Vergleich zur Tür kleines Männchen kam herein. May war verwirrt und verwundert zugleich. Es sah aus wie Sor. Die Augen, die Kopfform und die dünnen grauen Arme. Aber es gab auch Unterschiede. Dieses Kerlchen war kleiner als May selbst, während Sor ein ganzes Stück größer war. Der Körper war, wie seine Beine und auch der Hals, deutlich kürzer als die Ray Team Version. »Was wollt ihr von mir?«, zeigte May keine Angst, obwohl ihr die Situation, in der sie sich befand, nicht natürlich gefiel. Sie hatte in Wahrheit Todesangst, die sie aber zu verbergen versuchte. »Wir wollen dich erforschen.«, antwortete der graue Kerl in einer sanften Stimme aber in einer nervigen monotonen Tonlage. »Lass mich hier runter.«, forderte May sich in den unsichtbaren Ketten windend. »Du würdest dein Joluh gegen uns einsetzen und dich befreien. Das können wir nicht riskieren.«
»Was habt ihr mit meinen Freunden gemacht?« »Die sind auch hier gefangen, genau wie du.« »Andere werden kommen und uns suchen und dann seit ihr fällig.« »Wir sind hier sicher. Niemand wird euch hier je finden.« »Da kennt ihr meine Freunde nicht. Sie werden nicht aufgeben. Niemals.« »Die Menschen haben nicht die Mittel um den Schon-Or gefährlich zu werden.« May war erleichtert von den Anderen zu hören, auch wenn diese sich gerade in einer ähnlichen Situation befanden. Nim lebte und ihre Freunde auch. Aber der Schon-Or, wie er sich nannte, hatte einige neue Fragen aufgeworfen. »Was ist ein Joluh?«, fragte das Mädchen schließlich, während der graue Knilch hinter der Konsole stand und tippte. Er schaute auf und gewohnheitsmäßig erwartete May ein breites Grinsen, aber es kam nicht. Dieser Typ hatte wohl in der falschen Schlange angestanden, als der Humor verteilt wurde.
Er war steif und wirkte emotionslos. Verglichen mit der Maschine Sor, wirkte diese seltsame Lebensform unecht und falsch. Wie eine billige Kopie des Originals. »Du kannst die Luft kontrollieren. Das ist dein Joluh. Wusstest du das nicht?« Jetzt war May erstaunt, gab aber keine Antwort. »Die Menschen sind stärker als ihr glaubt.«, lenkte May von ihren Kräften ab: »Wir haben die Draken in vielen Schlachten geschlagen.« »Ohne die Hilfe von denen, die sich Ray Team nennen, wäre euch der Sieg über die Draken nie gelungen.« »Wissen ist Macht und Unwissenheit der erste Schritt ins Verderben!«, schoss es dem jungen Kommander durch den Kopf.
Diese Aussage des Fremden war jetzt zweideutig gewesen und May hakte nach, ohne etwas zu verraten: »Welche Hilfe?« »Ihr Menschen seit so unwissend und von euch überzeugt. Das Ray Team ist feige. Sie haben euch Schiffe gegeben, damit ihr die Schlachten für sie austragt, während sie sich verstecken und einfach nur in Sicherheit abwarten.« Fast hätte May geschmunzelt, aber diese Aussage brachte dieses Volk, welches sich offensichtlich für etwas besseres hielt, klar auf die Verliererstraße. »Hattet ihr schon mit dem Ray Team zu tun?«, fragte May, auch um etwaige Zweifel zu zerstreuen, nach. »Nein, aber du wirst uns genauestens von ihnen berichten.«, brachte er zum ersten Mal eine Tonlage an den Tag, die May wieder mulmig werden ließ.
Anders als der Fremde behauptet hatte, war jedoch bereits Hilfe unterwegs. Nim hatte sich erneut in den Konferenzraum verzogen. Er wollte nicht noch einen Anpfiff von Mergy riskieren und die Anwesenheit von Jin auf der Kommandobrücke machte die Lage nicht gerade einfacher. Mays Vater hatte ihn von Anfang an nicht leiden können. May hatte ihren Freund noch beruhigt und meinte ihr Vater würde es verstehen und bräuchte nur etwas Zeit. Aber es nahm kein Ende. In den Trainingsstunden hatte Nim immer Kontakt mit ihm gehabt. Mehr als ihm lieb war. Nim musste immer herhalten, wenn es darum ging etwas Neues zu lernen.
Meistens bedeutete dieses Training aber nur eine Vielzahl neuer blauer Flecken, aber auch einen schmerzhaften Beinbruch und eine angebrochene Nase hatte er schon einstecken müssen. Der junge Pilot hatte sich nie beschwert und auch nie etwas gesagt. May andererseits war jedesmal erschüttert und erledigte das Einreichen der Beschwerden für ihn. Geholfen hatte es nie und so musste auch seine Freundin selbst langsam einsehen: Ihr Vater würde ihren Freund nie akzeptieren. »Er ist nicht der Richtige für dich.«, hatte er wiederholt gesagt. Einerseits war May sauer auf sein Verhalten, andererseits war er ihr Vater, den sie so lange vermisst hatte und natürlich wollte sie ihn nicht erneut verlieren. Seine Freundin stand zwischen den Stühlen und alles was sie tun konnte war die beiden Seiten so gut voneinander zu trennen, wie es eben ging.
Leider war Nim genauso stur wie ihr Vater. Er wollte nicht aufgeben und auch wenn er immer wieder Prügel bezog, ging er zweimal in der Woche zum Kampfsporttraining. Mergy selbst war bereits auf die Lage aufmerksam geworden. Der Doc hatte sich wegen der auffällig hohen Verletzungsrate von Nim bei ihm gemeldet. Der Kommander hatte die Situation als Rivalitätsgehabe abgestempelt, aber mit den Monaten, die ohne Besserung verstrichen waren, wurde auch ihm klar, hier musste etwas passieren. »Jin, in mein Büro!« Jin stutzte. Sie waren mitten in einer gefährlichen Mission und er wollte ihn sprechen? Gab es eine Wendung, die er nicht mitbekommen hatte? »Was ist los?« »Ich habe mitbekommen, wie du Nim regelmäßig in die Mangel nimmst. Das geht so nicht weiter.« »Können wir das nicht später besprechen? Meine Familie ist da draußen! In Gefangenschaft! Jetzt ist nicht der Zeitpunkt für so etwas.« »Doch es ist jetzt genau der richtige Zeitpunkt.«
»Hat sich Nim über mich beschwert?«, ging Jin erstmals und sofort offensiv auf die Diskussionswünsche des Offiziers ein. »So etwas würde der Junge nie tun. Du wüsstest das, wenn du ihn wirklich richtig kennen würdest.« »Wo ist dann das Problem?« »Das Problem ist eine ungewöhnliche Verletzungsserie eines Piloten, über die mich die medizinische Abteilung informiert hat. Zu dem Zeitpunkt hatte ich noch gehofft, ihr würdet die Lage selbst auf die Reihe bekommen, aber dem ist wohl nicht so.« »Er ist nicht der Richtige für May.«, wiederholte er zum hundertsten Mal seine Meinung.
»Ich bin vielleicht kein Schlaukopf wie May, aber ich denke der Meister selbst ist von seinem Pfad abgekommen. Erst wolltest du ihn nur prüfen und jetzt versuchst du ihn zur Aufgabe zu zwingen. Hast du ihn dir da Nebenan mal angesehen? Er ist verzweifelt und fühlt sich nutzlos und hilflos. Du bist nicht der Einzige, der seine Familie da draußen hat. May ist für Nim die Familie und damit sind Reiko und du es auch. Anstatt zu behaupten Nim wäre nicht der Richtige für May, solltest du dir vielleicht einmal überlegen, warum er nicht der richtige ist? Was fehlt ihm? Und jetzt gehst du da hinüber redest mit ihm. Ich will die Situation ein für alle Mal geklärt wissen.« Mergy ließ keine Zweifel daran, wie ernst er es meinte. Ohne Jin auch nur die Möglichkeit einer Antwort zu geben, verließ er das Büro und setzte sich wieder auf die Kommandobrücke.
Jin dachte über seine harten Worte nach. Er ging alle Begegnungen mit Nim durch und es gab keinen Grund für seine Aktionen. Auch wenn er nur Zeuge war, wie Nim mit seiner Tochter umging, war er stets anständig und respektvoll gewesen, genau wie Mergy es damals schon in ihrem ersten Gespräch angedeutet hatte. Er erinnerte sich auch an die Blicke seiner Tochter. Sie war glücklich mit ihrem Freund und er hatte alles daran gesetzt dieses Glück zu zerstören. Mergy hatte in allem Recht. Er hatte sich verrannt und wenn er so weiter machen würde, dann würde er seine Tochter verlieren. Ein weiteres Mal. May hatte schon lange nicht mehr bei ihnen im Lokal gegessen oder sie einfach mal besucht, wie sie es in den ersten Wochen nach seiner Rückkehr so oft getan hatte.
Immer wenn sie doch einmal den Weg zu ihnen ins Quartier gefunden hatte, dann nur weil sie ihren Freund ungerecht behandelt sah. Alles nur, weil sie Nim schützen wollte. Sichtlich angeschlagen verließ Jin das Büro. Auf der Brücke wurde der Kurs des feindlichen Schiffes immer noch akribisch verfolgt. Dann fiel Jins Blick auf Nim, der regungslos im Konferenzraum saß und den Kopf auf dem Tisch abgelegt hatte. Als sich die Tür zum Konferenzraum öffnete, war er sofort hellwach und blickte hastig auf. Mit neuen Informationen hatte er gerechnet, mit dem Vater seiner Freundin allerdings nicht.
Nim erhob sich: »Sie hatten von Anfang an Recht. Ich bin unfähig und kann sie nicht einmal beschützen. May verdient jemanden besseren. Ich würde sofort meinen Platz mit ihr tauschen, wenn ich es könnte. Wenn sie mir jetzt eine rein hauen wollen, dann nur zu. Ich habe es verdient.« Nim ging hart mit sich ins Gericht, obwohl er nichts für die Situation seiner Tochter konnte. Jin konnte die Anspannung, die Verzweiflung und die Angst um May in seinen Augen sehen.
Zum ersten Mal tat genau das, was Jin sich schon vor vielen Wochen gewünscht hatte. Jetzt aber kam ihm das alles so falsch vor. Es fiel ihm beim besten Willen kein Grund ein, warum dieser Junge nicht gut genug für seine Tochter war. »Ich muss mich bei dir entschuldigen. Es tut mir aufrichtig leid. Ich war hart und ungerecht zu dir. Du hast von mir nie eine faire Chance bekommen. May kann sich glücklich schätzen so jemanden wie dich an ihrer Seite zu haben und wenn du sie jetzt kampflos aufgibst, dann werde ich wirklich zuschlagen.« Jin untermauerte die Worte mit einem Lächeln. Nim brauchte einige Momente um die einströmenden Sätze zu verdauen.
Hatte er sich gerade wirklich für sein Verhalten entschuldigt? Meinte er es wirklich ernst? »Wenn du ihr ernsthaft helfen willst, warum bist du nicht da wo du gebraucht wirst und bereitest dich wie die anderen Piloten auf den Einsatz vor?«, stellte Jin eine Frage in den Raum, die Nim nicht wirklich beantworten konnte. Sein Platz war in der Nähe der Landedecks, in der Nähe seines Mantas. Nim spurtete aus dem Raum und ließ einen schmunzelnden Jin zurück. »Sie ändern den Kurs.«, vermeldete Kari, die das feindliche Schiff mit den Sensoren im Auge behielt. »Die haben uns entdeckt. Mergy an Hope. Sie fliegen direkt auf euch zu.«
Mergy hatte so etwas vorausgesehen und die beiden anderen Schiffe auf Parallelkursen geschickt, um dem Schiff die Flucht zu erschweren: »Aktuellen Kurs an die anderen Schiffe übermitteln.« Der Plan war so einfach wie genial. Mergy nahm an, man würde Reiko an den gleichen Ort transportieren würde wie May. Das Schiff mit Reiko an Bord war nun vom ursprünglichen Kurs abgewichen, um die verfolgenden Schiffe eben nicht genau dort hin zu führen. Das Schiff der Schon-Or aktivierte den Störstrahl, aber die von Tin übermittelten Anpassungen zeigten Wirkung und die Hope blieb unbeeindruckt im Unterraum und setzte die Verfolgung weiter fort. Dann verschwand das Alienschiff im Normalraum und die Hope folgte. Sofort trafen die Strahlenwaffen der neuen Feinde das Erdschiff und schüttelte die Besatzung ordentlich durch. Mit einigen gezielten Salven gelang es den Antrieb der Schon-Or lahm zu legen.
Ihre Waffensysteme waren zwar etwas Stärker als die aktuelle Bewaffnung der Draken, stellten aber keine echte Gefahr da. Dennoch ließ Trish die größten Waffensysteme mit gezielten Treffern zerstören. Jetzt waren es die Schon-Or, die zum ersten Mal seit hunderten von Jahren ohne Antrieb und hilflos im All drifteten. Es brauchte noch ein paar weitere vorsichtig platzierte Feuersalven, bis der Transporter ein klares Signal von Reiko empfing und sie zurück geholt werden konnte. »Willkommen zurück. Alles in Ordnung?«, zeigte sich Trish besorgt um Reikos Zustand. »Ja, mir geht es gut. Ich war in einem weißen Raum zwischen zwei Säulen gefangen und konnte mich nicht bewegen.«, fasste Reiko ihre vorherige Situation kurz zusammen. Sie hatte sich, so in die Bewegungslosigkeit gezwungen, sichtlich unwohl gefühlt und konnte sich nun vorstellen, wie May sich fühlen musste. Sie war nun schon seit so vielen Stunden in der Gewalt der unbekannten Rasse. Jin war sichtlich froh seine Frau wieder sicher auf dem Schwesterschiff der Vanquist zu wissen. Das Schiff der Schon-Or trieb weiterhin regungslos vor dem nicht viel größeren Ray Team Träger im All. »Setz uns direkt davor, wollen wir mal sehen, mit wem wir es zu tun haben.« Das Schiff flog eine sanfte Wende und parkte direkt vor dem neuen Feind.
Trish ließ die Front des Schiffes absuchen und schnell fanden sie die Brücke mit Fenstern, deren Ansicht sie vergrößerten. Das Erstaunen war groß, als man die billigen Sor-Imitate sah. »Holen wir mal einen an Bord. Gleiches Recht für alle.« Es mussten noch einige Abtastungen durchgesiebt werden, um die Transportringe auf die neuen Lebewesen vorzubereiten, dann zeigte Trish auf einen der Schon-Or: »Den da!« Deutlich konnte man sehen, wie das graue Ziel seinen Arm hob und den neuen Armschmuck betrachtete. Dann sah man ihn zwischen den rotierenden Transportmarkierungen im blauweißen Licht verschwinden und wenige Augenblicke auf der Brücke der Hope direkt vor Trish wieder erscheinen. »Hallo, wir–«, konnte Trish gerade noch aussprechen, da hob der Möchtegern Sor seine kleine Hand und Trish flog quer durch den Raum.
Reiko, obwohl deutlich weniger Trainiert als ihre Tochter, reagierte instinktiv und stoppte den Flug des Kapitäns vor dem Aufschlag auf die Glaswand des Konferenzraums und zog Trish zurück auf den Schon-Or zu, den sie zeitgleich mit ihren Kräften einwickelte. Es fiel ihr erstaunlich leicht den außerirdischen Feind unter Kontrolle zu bringen, aber mehr erstaunte sie, wie es sich anfühlte. Genau wie damals beim Kontakt mit Mays Kräften. Wie ein verwundetes Kleintier schrie der Gefangene in hoher Mitleid erregender Stimmlage und versuchte sich zappelnd aus der Umklammerung zu lösen. »Ja, so fühlt sich das an, wenn man entführt und gefangen wird.«, redete Trish direkt von oben herab auf ihn ein, ohne eine Ahnung zu haben, ob sie überhaupt verstanden wurde. Bei einer respektvollen Unterhaltung hätte sie sich wohl hingekniet, um ihm Gleichberechtigung und Achtung durch die Augenhöhe entgegen zu bringen, aber nach dem Umgang mit ihren Leuten hatte sie kein Interesse mehr daran.
May zitterte am ganzen Körper. Sie schnaufte, als wäre sie gerade um ihr Leben gerannt. In gewisser Weise war sie das auch. Ohne Vorwarnung durchdrang ein Schmerz, der größer war, als alles bisher erlebte. Jede Faser ihres Körpers zitterte. Der Schon-Or wollte Antworten. Er wollte wissen, wo der Heimatplanet des Ray Team war und wie man sie kontaktieren könne. May beantwortete lediglich zwei weitere Fragen. Sie nannte ihren Vornamen und auf die Frage wie viele Schiffe das Ray Team hätte, antwortete sie schlicht »Tausende«. Ansonsten, mal von den Schmerzensschreien abgesehen, blieb sie schweigsam. Eigentlich hätte er längst erkennen müssen, wie Mays Redseligkeit mit der Zunahme von Schmerzen abgenommen hatte. Der Schon-Or wollte dennoch zum wiederholten Male auf Schmerzen zurückgreifen, als seine Konsole ein bisher für May unbekanntes Geräusch machte. »Die Menschen sind in unser Territorium eingedrungen und haben eines unserer Schiffe in ihrer Gewalt. Wie ist das möglich?«, murmelte der graue Feind.
May schnaufte noch von der letzten schmerzhaften Behandlung, aber diese Neuigkeit machte ihr Mut und aktivierte die restlichen in ihr schlummernden Kräfte: »Die Draken haben uns unterschätzt und ihr tut es ihnen gleich.« May ahnte, bereits was passiert war. Sie war zwar die einzige Gefangene, aber das konnte sie nicht wissen: »Sie haben bereits herausgefunden, wer dahintersteckt und wie man euch besiegen kann. Jetzt kommen sie uns holen!«
»Wenn wir alle Daten haben, dann schickt ihn zurück. Sendet die Aufzeichnungen an die Vanquist.«, orderte Trish: »Legt die Energiesysteme des Schiffes komplett lahm. Ich möchte eine konstante Abtastung des Schiffes. Wir nehmen es an den Haken und ich will keine böse Überraschung erleben.« Am liebsten hätte Trish es hilflos zurück gelassen, wie sie es gemacht hatten, aber für eine etwaige Verhandlungsposition sähe es schlecht aus, wenn dem Schiff etwas passieren würde. So wurde das Schiff unter die Hope geschnallt und mit einem Sprung ging es zum gleichen Ziel, welches auch die anderen Schiffe der gemischten Flotte ansteuerten. Mergy hatte das Ziel bereits erreicht und zerstörte im Vorbeiflug eine ganze Reihe von unbemannten Verteidigungsplattformen, die ihnen den Weiterflug mit Waffengewalt verweigern wollten. Schließlich stoppte er am Planeten, auf dem, wenn alles geklappt hatte, May zu finden war. Tin scannte die ihnen zugewandte Seite so gut es ging, machte aber 15 potentielle Positionen von May aus. Störungen und Kraftfelder schienen ein klares Signal von May zu unterdrücken und die anderen Punkte waren der Signatur des Multifunktionscontrollers ebenfalls sehr ähnlich.
»Ein Ray Team Schiff mit Menschen an Bord ist hier in unserem System.«, zeigte der Schon-Or zum ersten Mal so etwas wie Gefühle. Panik beschrieb es noch am treffendsten. May wusste nicht ob er die Wahrheit sagte, oder er sie nur in Sicherheit wiegen wollte, damit sie plauderte. Durch die letzten unerfreulichen Ereignisse kam sie aber nur zu einem Schluss. Diese Einmischung durch Dritte war weder geplant noch erwünscht und so trat sie verbal noch einmal nach: »Ich hab dir gesagt, sie werden kommen!« Deutlich war zusehen, wie der Schon-Or das weitere Vorgehen überdachte, als weitere Informationen über seinen Terminal in den Raum gerauscht kamen. »Ray Team, Seem und Stri Schiffe. Eine ganze Flotte.« »Tja, jetzt habt ihr ein Problem. Anscheinend kann mittlerweile jeder diesen ach so sicheren Ort finden.«, grinste May, wohl wissend, immer noch hilflos im Netz zu zappeln. Ihre einzige Waffe waren Worte und genau die setzte sie jetzt ein. Die möglichen Konsequenzen waren ihr egal.
Mergy setzte unterdessen die, von Tin ebenfalls gegen die Alien-Störungen modifizierten, Holoschiffe ins All und ließ die Flotte kontinuierlich anwachsen. Einige kleinere Schiffe der Schon-Or stiegen vom Planeten auf und weitere trafen aus dem Unterraum ein und wurden von den Mantas mit nun gezielteren Informationen durch die Scans ohne Umwege und großes Geplänkel direkt ausgeschaltet. Der Weg zum Planeten und noch wichtiger die Rückkehr ins All war gesichert. Trish transportierte Reiko auf die Brücke der Vanquist, wo Jin sie sichtlich froh in die Arme nahm. Das der Hope angehängte Schiff warf sie wie Müll direkt nach dem Eintritt in den Normalraum einfach ab. »Wie geht es weiter? Sollen wir sie rufen?«, fragte, die als letztes mit ihrem Schiff zur restlichen Flotte stoßende, Solange. »Für eine friedliche Kontaktaufnahme ist es zu spät. Wir holen uns May direkt und ohne Kompromisse. Ihr deckt unseren Rückweg.«, gab Mergy noch an und wenige Momente später rieben die Schilde an der Atmosphäre, in die sie eindrangen.
Hätten sie nicht eine so ernste Aufgabe zu erledigen, dann wäre ihnen die wunderschöne Architektur aufgefallen, die sie mit ihrem Schiff überflogen. Große runde Gebäude, die im Kreis angeordnet und durch Wege verbunden waren. Dazwischen war alles Grün. Ein richtiges Paradis hatten sich die Schon-Or da aufgebaut. Einige Waffenplattformen am Boden eröffneten das Feuer und auch weitere kleinere Schiffe stiegen auf, um die Vanquist aufzuhalten. »Soll ich das Feuer erwidern?«, fragte Kari unsicher, weil ihr Kapitän nicht auf die ihnen entgegen gebrachte Agression reagierte. »Nein, es gibt nur eine Sache, die mehr Eindruck hinterlässt als stärkere Waffen. Das komplette ignorieren des feindlichen Waffenfeuers. So lange die Schilde halten, wird nicht gefeuert.« Deutlich konnte man die Einschläge auf dem gesamten Schiff hören. Tin machte sich gleich daran die Energieabsorption der Schilde besser auf die feindlichen Waffen abzustimmen, damit die Schilde weniger Energie von der Schiffsversorgung abzogen und sich selbst versorgen konnten. »Wie sieht es aus? Haben wir ein Ziel?« »Ich denke schon. Vierzehn Ziele konnte ich bereits herausfiltern. Wir haben noch einen Punkt auf dieser Seite des Planeten. Wenn wir näher kommen kann ich mehr sagen.«
Langsam und gemächlich zog das mächtige Schiff, immer noch das Waffenfeuer ringsherum ignorierend, über den Planeten hinweg auf den nächsten Wegpunkt zu. »Das ist sie! Ich empfange eine schwache Signatur ihres Multifunktionscontrollers. Da ist ein Kraftfeld. Es unterbindet jegliche stabile Kommunikation. Ich kann nicht einmal die Struktur des Gebäudes komplett erfassen.« Tin war sichtlich besorgt über die Lage, aber Mergy hatte mit so etwas gerechnet. »Kari, wir halten genau über dem Gebäude.« Langsam bremste das große Kriegsschiff ab und kam genau mittig über dem riesigen eierförmigen Bauwerk zum stehen. »Und?« »Nichts.«, antwortete Tin nicht weniger unsicher, denn man konnte ja schlecht das Feuer auf ein Gebäude eröffnen, ohne die Position von May und dem Schildgenerator zu kennen.
»Kari, Energie von den Waffen in die unteren Schilde leiten und dann ruckartig die Höhe reduzieren. Mergy an alle: Auf Einschlag vorbereiten. Dann wollen wir das Ei mal aufschlagen.« Kari war unsicher, hatte sie doch noch nie die Aufgabe gehabt mit dem Schiff, ja wenn man es genauer nahm auch nie mit einem Gleiter oder Manta, etwas zu rammen. Sie befolgte die Anweisungen dennoch ohne eine Rückfrage und deaktivierte die Systeme zur Kollisionsvermeidung. »Jetzt wird es richtig schlimm!«, klammerte sich Tin an ihren Kotzeimer, der schon seit einigen Stunden ihr ständiger Begleiter war. Das Schiff rumpelte und auf den Bildschirmen konnte man deutlich die Beschädigungen des Gebäudes sehen. Teile der oberen Dachkonstruktion brachen ab und krachten ins Innere. Aber es gab auch einige deutliche Verformungen an der Unterseite des mächtigen Schiffes. Tin vermeldete keinen Erfolg, aber das war Mergy schon klar gewesen. Er wollte nicht das Kraftfeld deaktivieren, sondern direkt hinein fliegen. Tin fand immer noch keinen Zugang zum Gebäude und Mergy ließ die Vanquist erneut mit leichten Seitwärtsbewegungen in das Dach hinein scheppern. Dieses mal war der Schaden auf beiden Seiten deutlich größer.
Die Vanquist hatte mehr als 12 Meter von der Kuppel abgetragen. »Ich kann das Gebäude scannen, wir sind drin. May kann ich nicht erfassen, da ist ein weiteres Kraftfeld direkt im Raum, aber die Umgebung ist klar für den Transport. Eine Lebensform ist bei ihr. Den Daten nach muss es ein Schon-Or sein.« »Transportiere mich ohne Effekt und so schnell es geht hinein. Wenn ich mich nicht melden sollte, dann kannst du das Gebäude weiter einreißen.«, befahl Mergy und wenige Sekunden später erschien er im Raum zwischen May und dem Schon-Or. Mergy war bestürzt, als er die abgekämpfte May vor Schmerzen schreiend in der Konstruktion hängen sah. Noch bevor er etwas sagen konnte, rammte ihn eine unsichtbare Kraft gegen die Wand. Ihm stockte der Atem. Er konnte den Schon-Or links in seinen Augenwinkeln sehen, der seinen Arm hob, genau wie es der andere in der Aufzeichnung von Trish gemacht hatte. Offensichtlich entzog die graue Figur ihm den Sauerstoff.
»Lass ihn in Ruhe.«, flehte May, die unter Schmerzen hilflos zusehen musste, wie ihr Freund zu ersticken drohte: »Er hat dir nichts getan.« Mergy aktivierte mit letzter Kraft seinen Arm und begann damit die Maschine gegen die Kraft des Schon-Or einzusetzen. Ohne Vorwarnung feuerte er die Kanone durch seine geschlossene Faust ab. Die Finger seines künstlichen Arms wurden abgerissen, aber die Aktion zeigte Wirkung. Die Projektile durchschlugen die Säule, die May in der Luft hielt und beschädigten die darin befindliche Technik. Ihre linke Körperhälfte war nun nicht mehr umhüllt. Ohne nachzudenken, zermalmte sie die zweite Säule mit ihren Superkräften, die der Alien als Joluh bezeichnet hatte, fiel auf die Füße und sank in die Hocke.
Aber nicht lange, denn Mergy brauchte ihre Hilfe und der Schon-Or versuchte auch sie in den Griff zu bekommen. May nahm ihm buchstäblich die Luft weg. Mergy war schnell befreit, sank auf die Knie und saugte soviel Sauerstoff ein wie er bekommen konnte. Mit einem lauten Knall rammte May einen Block Luft gegen die Tür. Jetzt war es unmöglich den verbeulten Zugang auf normalem Wege zu öffnen. Dann fegte sie die Konsole aus dem Weg. Leitungen rissen den vorher makellosen Boden auf und zusätzliche Trümmerteile verunstalteten die vorher wie einen Reinstraum anmutende Zelle. Der wütende Kommander trat auf den kleinen grauen Angreifer zu, der es dem anderen Alien gleichtat und wie ein Tier in Not zappelte und schrie.
May zog ihn von den Füßen, hob ihn zu sich hoch: »Komm her du Wicht. Du willst wissen, wer ich bin? Ich bin Kommander May vom Ray Team. Dieser Planet steht so etwas von überhaupt nicht unter unserem Schutz.« Wie eine Puppe warf sie ihn nach hinten an die hintere Wand, wo er bewusstlos liegen blieb. Mergy röchelte heftig und versuchte etwas zu sagen, aber mehr als ein verstümmeltes Vanquist und weitere Kratzlaute kamen nicht dabei herum. »May an Vanquist. Holt uns rein.«, übernahm May und beide Kommander verließen den Raum in einem gleißenden Lichtstrahl. »Willkommen zurück.«, begrüßte Tin die Beiden direkt. »Tin? Was machst du hier?«, fragte May nur verdutzt, kam aber nicht weiter dazu sich eine Antwort anzuhören, weil Reiko und Jin bereits Ansprüche an ihrem Kind anmeldeten und sie innig umarmten.
Mergy deutete nach oben und krächzte weiter unverständliches Zeug. Tin schloss daraus, sie solle den Abflug einleiten und ließ Kari den Kurs Richtung All setzen. Mays Augen wurden groß, als sie die riesige Flotte von Schiffen sah, die sich hier im All tummelten. Es waren ja nicht nur die zwei eigenen Träger, die holographischen Schiffe und die Raumschiffe der Seem und der Stri, sondern auch mehr 80 Mantas, die hier am Planeten auf ihren Befehl zum Kampfeinsatz warteten. »Tin an alle Mantas. Auf die Schiffe zurückkehren. Tin an Seem und Stri. Bereitmachen zum Abflug.«, kommandierte sie in die Funkanlage. »Geht es Kommander May gut?«, erkundigten sich die Seem nach dem Zustand ihres Rettungsziels.
May streckte sich seitlich in die Bildübertragung und bedankte sich bei den beiden Völkern für ihre Unterstützung und Hilfe. Die Seem beteuerten nichts zur Rettung beigetragen zu haben, aber Tin erklärte, ihr Beitrag sei deutlich größer, als von ihnen angenommen. Sie hätten nicht nur wertvolle Informationen geliefert, sondern durch ihre Anwesenheit ein Zeichen gesetzt. Jeder Angriff auf ein einzelnes Volk würde immer das komplette Bündnis auf den Plan rufen und genau diesen Fakt habe man den Schon-Or gerade vor Augen geführt. »Wo ist Nim?«, fragte May eine eigentlich unsinnige Frage, weil er natürlich in seinem Manta saß.
Anscheinend hatte Mergy wieder etwas Stimme bekommen und meldete sich zu Wort: »Naja, die Draken wussten als einzige wo dieser Planet sich befindet. Aber sie wollten eine Gegenleistung und da hat sich Nim angeboten.« »Was?«, entwich es May entsetzt. »Sieh mich nicht so an. Dein Vater war auch dafür.«, bekräftigte Mergy und May rastete komplett aus. »Das war so klar! Du konntest ihn noch nie leiden! Wir müssen ihn suchen! Los!« May war außer sich und brüllte in Rage die Kommandobrücke zusammen. Erst als sie Nim zwischen ihre Eltern hindurch die Treppen zur Kommandobrücke hochspringen sah, fiel der Stein des Entsetzens von ihr ab. Sie stürzte direkt durch diese Lücke auf ihren Freund zu und schloss ihn fest in den Arm: »Ich hatte solche Angst um dich.«
»Müsste ich nicht Angst um dich gehabt haben?«, fragte Nim unsicher, während er mit seinen Händen zum wiederholten Male an ihren Armen herunter tastete und offensichtlich prüfte ob an ihr noch alles an ihr dran war. »Hey, mir fehlt nichts.«, schüttelte May sich mit einem Lächeln aus der Umklammerung. Jin beobachtete zusammen mit den Anderen auf der Brücke die Szene genau, aber eine Person hatte ihr Augenmerk auf Jin gerichtet. Reiko konnte sich nicht so recht erklären, was in ihrer Abwesenheit passiert war, aber dieses Lächeln auf seinen Lippen war, speziell wenn es um Nim ging, bisher nie präsent gewesen. Jetzt aber schaute er dem jungen Bündnis zu und wirkte einfach nur zufrieden.
Das wiedervereinte Paar verschwand in ihrer Kabine. May wollte nicht über die Geschehnisse reden und Nim beließ es dabei, auch wenn ihn doch interessierte, was diese fremden Wesen mit seiner Freundin angestellt hatten. Für den Augenblick war er einfach nur froh sie wieder zu haben. Mergy hatte derweil einen anderen Plan, der, wie er mehr als deutlich durchblicken ließ, auf einer Aussage von May basierte. Sie hatte dem Schon-Or mehr als deutlich gezeigt, man würde ihnen in der Not nicht beistehen. Sogar die Stri und die Seem verfügten, zumindest aus der Sicht der Schon-Or, die nötige Technik, um in diesen Raum vorzudringen und damit waren sie jetzt verwundbar. Mergy wollte in diese Wunde stechen. Sie sollten die gleiche Angst spüren wie die unzähligen anderen Völker, deren Vernichtung die Bewohner dieses Planeten über die Jahrhunderte hinweg tatenlos zugesehen hatten.
Mit zwei holographischen Schiffen im Bauch hob der Manta vom Hangar der Vanquist ab und flog getarnt ins All. Auf direktem Weg ging es in Richtung Planeten. Tin hatte die Konfiguration der beiden Module nach seinen Anweisungen geändert und kurz nach dem Mergy sie abgeworfen hatte, sprangen für die Schon-Or gut sichtbar zwei falsche Drakenkreuzer direkt über ihrer Heimatwelt aus dem Unterraum. Einzig die Waffen der Schiffe hatte Tin nicht so schnell anpassen können, daher musste Mergy auf eine Kraftdemonstration verzichten, ohne die Scharade zu offenbaren. Aber wie schon zuvor mit der Vanquist war auch hier weniger mehr. Selbst für einfache Sensoren mehr als deutlich zu erkennen, ließ er die beiden vermeintlichen Kreuzer den Planeten scannen und das Waffenfeuer absorbieren. Dann öffneten die falschen Draken einen Kanal und sendeten nur ein Wort in Drakensprache, bevor sie sich im holographischen Übergang in den Unterraum tarnten: »Geeignet!«
Damit waren die Schon-Or beschäftigt. Die potentielle Drakengefahr würde alles was mit dem Ray Team und dem Joluh zu tun hatte überstimmen. Zum ersten Mal seit vielen tausend Jahren sahen sich die Schon-Or einem echten Feind gegenüber stehend und es waren nicht die Menschen, die sie gerade noch selbst heimgesucht hatten, sondern ein brutaler Feind, den sie viel zu lange in ihrer Nachbarschaft hatten wüten lassen. Mergy sammelte die übergroßen Kisten wieder ein und flog mit Maximalgeschwindigkeit davon. Ein Sprung in den Unterraum wäre zu offensichtlich gewesen und erkannt worden. Daher musste er sowohl räumlichen als auch zeitlichen Abstand zwischen sich und die Drakensichtung bringen. Dann aktivierte er die Manta eigenen Hologrammgeneratoren und es sah aus, als wäre der Manta gerade aus dem Unterraum gefallen, nur um sofort wieder hinein zu hüpfen. May und Nim bestaunten die durch die fehlenden Holoschiffe deutlich geschrumpfte aber immer noch beeindruckende Flotte durch ihr Kabinenfenster.
»Die sind alle nur wegen dir hergekommen!«, war es Nim, der das Schweigen als erster brach: »Wir mussten sie nicht einmal bitten. Sie waren einfach da und wollten helfen.« Ein warmer Schauer lief May den Rücken hinunter und auch die Tatsache das Nim direkt hinter ihr stand und sie wärmte konnte daran nichts verändern. War die Allianz zwischen den Seem und dem Ray Team vor einigen Tagen noch ein zerbrechliches Bündnis, so war das hier eines der bedeutendsten Ereignisse in der Geschichte der gesamten Menschheit. Nicht einmal Sab würde hier noch zweifeln können.
Vorsichtig wand sich May aus der Umklammerung und legte sich auf das Untere der beiden Betten. »Alles ok? Du bist so still.«, fragte Nim besorgt nach. »Ich bin nur ein bisschen erschöpft.«, erklärte May und zog Nim am Arm zu sich nach unten. Nim hatte keine andere Wahl als sich über sie zu knien und von oben in ihre funkelnden Augen zu schauen, die er so liebte. Vorsichtig beugte er sich nach vorne und als wäre es das erste Mal küsste er sie sanft und behutsam auf den Mund. Dieser Kuss wurde jäh unterbrochen als die Tür ihre Minimelodie abspielte.
Nim schaute auf und noch bevor er reagieren konnte, rief May schon »Öffnen« in den Raum. Jin stand in der Tür und Nim erschrak. Diese Position und dann auch noch den Vater der Frau unter ihm in der Tür. Er zuckte mit dem Kopf nach oben und schlug sich am oberen Bett den Kopf an. May gluckste. »Ich will euch nicht lange stören. Mergy sagt es geht direkt zur Erde. Da das Lokal heute sowieso geschlossen ist, fände ich es schön, wenn wir alle zusammen zu Abend essen würden.« May war nicht sehr angetan von der Idee. Die letzten Male hatte er keine Gelegenheit ausgelassen Nim herunterzuputzen und ausgerechnet nach den letzten Tagen, ja und besonders dem heutigen Tag, wollte er auf Familie machen? »Du willst doch bloß wieder streiten.«, warf sie missmutig zurück.
Streiten war eigentlich nicht das favorisierte Wort, welches ihr zu den Aktionen ihres Vaters einfiel, aber es war das Schwächste. Noch bevor Jin die Aussage seiner Tochter abwiegeln oder schmälern konnte, sagte Nim zu: »Wir kommen gerne.« Beim letzten Mal hatte er versucht sich zu drücken und bei dem was dann passiert war, wäre es auch die richtige Entscheidung gewesen. Das musste May sich selbst eingestehen. Diese Kehrtwende um 180 Grad verstand sie nun aber überhaupt nicht. »Schön, wir erwarten euch dann um 20 Uhr in unserem Quartier.«, sagte ihr Vater noch und verschwand wieder auf dem Gang. »Papa ist ja seltsam drauf.«, schoss es May durch den Kopf. »Was ist hier los?«, fragte sie schließlich Nim, der ihr ausführlich von der Aussprache im Konferenzraum erzählte.
»Das hat bestimmt Mergy eingefädelt.«, mutmaßte May und Nim musste zugeben die Beiden gesehen zu haben, als sie in das Büro gingen. »Und wenn es ein Trick ist?«, fragte May unsicher. Nach allem was ihr Vater Nim angetan hatte, traute sie ihm mittlerweile alles zu. Darauf war sie nicht stolz und sich diese Frage zu stellen, erschreckte sie ebenso. »Ich glaube er meint es ehrlich. Was haben wir zu verlieren?« Nim lächelte zuversichtlich von oben herab. Nach all den wechselhaften Ereignissen der letzten Tage war dieses kleine Ergebnis für sie fast noch bedeutsamer als das gesamte Bündnis mit den Außerirdischen. Sie wünschte sich schon lange nichts sehnlicher als das der Frieden auch bei ihnen einkehrte. Das ihre Familie auch ein Bündnis formte, das zusammensteht und sich wertschätzt. Vielleicht war dieser Wunsch ja bereits in Erfüllung gegangen.
May trat und wehrte sich mit Händen und Füßen. Sie schlug wild um sich und schrie mehrfach laut auf. »Ist ja gut! Du bist in Sicherheit. Ich bin bei dir!«, versuchte Nim sie mit sanften Worten zu beruhigen. Seine Freundin schreckte hoch und sah sich unsicher um. »Es war nur ein Traum. Leg dich wieder hin. Alles ist gut.«, redete er weiter sanft auf sie ein. May schnaufte immer noch hektisch, folgte seinen Anweisungen langsam ruhiger werdend. »Nichts ist gut.«, dachte Nim, während er seine Liebste fest in den Arm nahm und versuchte sie vor den bösen Träumen zu beschützen. Sie waren etwas über drei Wochen wieder auf der Station, aber May hatte noch immer an ihrer Gefangenschaft zu knabbern. Jede Nacht wachte sie auf, schrie, trampelte und jede Nacht streichelte und umarmte Nim sie wieder in den Schlaf. Heute war eine gute Nacht. Es war fast 7 Uhr und May hatte seine Hilfe nur zweimal benötigt.
Sonst waren es immer mindestens drei Albträume, die Beide den Schlaf kosteten. Nim wollte ihr so gerne helfen, aber sie ließ es nicht zu. Immer wieder hatte er May gebeten den Anderen, oder zumindest dem Doc zu erzählen, was in ihren Träumen passierte. Aber er selbst hatte noch nicht einmal erfahren, was genau auf dem Planeten der Schon-Or passiert war. Alles was er wusste war, es musste schrecklich gewesen sein. Tagsüber konnte das Mädchen ihre Probleme weitgehend verbergen, aber Nim spürte die vielen kleinen Veränderungen im Verhalten seiner deutlich jüngeren Freundin. Mehrfach hatte er sie gebeten, sich ihm zu öffnen, aber sie stellte auf stur. Sich helfen zu lassen, war nicht ihre Stärke und ihr Dickkopf unterstützte diesen Wunsch einmal mehr. Heute musste er etwas unternehmen. Heute war seine letzte Schicht im gleichen Zeitfenster wie May. Wenn er nichts Ändern würde, dann würde May morgen Nacht alleine schlafen.
Der Gedanke sie alleine mit ihren bösen Träumen zu lassen, tat ihm weh. Auch wenn May es nicht wahr haben wollte, sie brauchte ihn und er wollte ihr helfen. Das war doch schließlich seine Aufgabe als ihr Freund. Nach dem Aufstehen sprach er das Thema gar nicht erst an und spielte bei der heilen Welt mit, die May um sich erschaffen hatte. Nach dem gemeinsamen Frühstück ging er nicht in den Hangar, sondern direkt auf das Kommandodeck. Er war froh, weil May noch mit Tin an einem Projekt im Labor arbeitete und er freie Bahn hatte. »Hallo Nim, welch seltener Besuch.«, war es Sab, die ihn ebenso ungewohnt wie freundlich begrüßte. Sab hatte sich massiv geändert und darum fiel es ihm mittlerweile relativ leicht sich direkt an sie zu wenden.
Noch vor einem Jahr hätte er eine derartige Anfrage wohl nur auf dem Postweg erledigt, aber die Wichtigkeit musste er durch persönliche Anwesenheit unterstreichen. »Hallo, ich wollte fragen, ob ich meinen Dienst mit Katie tauschen kann?« Sab tippte auf ihrer Konsole herum. »Hmm, das wäre das dritte Mal. Du kennst die Regeln!«, pochte Sab darauf. Es durften nie mehr als zwei Schichten in Folge getauscht werden. Mit dieser Regel sollte eine Gruppenbildung verhindert werden. Es sollten nicht immer die selben Personen zu viel Zeit zusammen verbringen. Damit sollte das Ab– und Ausgrenzen von Piloten verhindert werden. So musste man zwangsläufig mit allen anderen Personen auskommen oder zumindest einen gemeinsamen Konsens finden.
»Es ist wichtig! Bitte!«, flehte Nim. »Es geht nicht.«, weigerte sich Sab weiter. Nim drehte sich um und schaute ins Büro, wo Mergy an seinem Schreibtisch saß. »Er wird es dir auch nicht genehmigen.«, wies Sab gleich darauf hin. Mergy würde die Situation auch nicht anders bewerten als sie selbst. Davon ließ sich Nim aber nicht abhalten und ging direkt zu ihm. »Nim, was für eine Überraschung. Was kann ich für dich tun? Alles in Ordnung?« Mergy war augenscheinlich gut gelaunt und arbeitete an seinem Terminal. »Nein. Ich will meine Schicht mit Katie tauschen, aber Sab erlaubt es nicht, weil es schon das dritte Mal wäre.«
Nim machte keinen Hehl aus dem eigentlichen Dilemma. Mergy würde es sowieso herausfinden. Spätestens wenn er mit Sab sprechen würde. »So sind die Regeln. Die kann auch ich nicht so einfach ohne Grund beugen. Sab teilt die Dienstpläne ein und die Regel hat ihren Sinn.« Nim musste sich eingestehen: So kam er nicht weiter. May hatte ihn gebeten mit niemandem über ihre Probleme zu reden, aber es ging nicht anders. Mergy war so etwas wie ihr Vater und auch wenn Jin ohne Absicht mehr und mehr diesen Platz vereinnahmte, war Mergy hier und jetzt der Richtige und Einzige, dem Nim wirklich vertraute.
»Es ist wegen May.« »Das hab ich mir schon gedacht, aber trotzdem geht das nicht.« »Du verstehst nicht, ihr geht es nicht gut. Diese Aliens haben etwas mit ihr gemacht. Sie ist so anders. Sie wacht jede Nacht schreiend und um sich schlagend auf.« Jetzt klingelte es bei Mergy. »Sie soll nicht alleine sein, wenn sie Nachts aufwacht? Warum hast du das nicht gleich gesagt?« »May will keine Hilfe und sie wird mächtig sauer auf mich sein, weil ich mit dir geredet habe.« »Keine Sorge. Das mit Sab regele ich, aber den Doc muss ich ebenfalls einweihen. Wir müssen ihr helfen. Du hast auch nicht viel Schlaf bekommen, oder?« »Nein, ich bin oft noch lange nach May wach und kann nicht wieder einschlafen und dann geht es meistens schon wieder los. Dann gehst du jetzt in dein Quartier und schläfst dich ordentlich aus. Ich rede mit Sab.« »Danke.« Nim war erleichtert. In den letzten Wochen hatte er die ganze Last alleine getragen und jetzt fühlte er sich seit langem zum ersten Mal wieder, als hätte er wieder den nötigen Freiraum und Luft zum Atmen.
»May hat Glück jemanden wie dich zu haben.« »Ich hoffe nur sie sieht es auch so, wenn sie von meiner Indiskretion erfährt.« »Das wird sie, auch wenn ihr Herz erst einmal Protest anmelden wird.« Mergy lachte und auch Nim verstand zu gut, was er meinte. Sie konnte sehr emotional handeln und diese Gefühle vernebelte oft ihre Gedanken und beeinflussten ihre Handlung. Nim machte sich erleichtert auf den Weg in sein Quartier. Er war froh mit Mergy gesprochen zu haben, auch wenn er vor der Reaktion seiner Freundin etwas Angst hatte.
Er hoffte inständig sie würde es erst gar nicht herausfinden, aber viel Hoffnung hatte er nicht. Dafür war sie einfach zu schlau. Anlügen wollte er sie aber auch nicht. Mergy erklärte Sab den Sachverhalt, ohne zu sehr ins Detail zu gehen. Dennoch verstand sie die Gründe nicht so recht: »Du hast ihm das erlaubt? Das geht nicht!« »Doch, er hat gute Gründe vorgebracht. Jemand soll ihn heute Vormittag vertreten. Er braucht Schlaf. Du solltest ihm diese Möglichkeit auch für die nächsten Tage einräumen. Jaque, wenn jemand fragt ist Nim im Einsatz und nicht im Bett.«
Sab und Trish hörten seine Worte, konnten sich aber keinen Reim darauf machen: »Kein Wort zu May. Ich bin beim Doc.« Sab und Trish blieben mit fragendem Blick zurück. Mergy hatte Nim nicht nur den Schichtwechsel gewährt, sondern ihm auch noch eine Möglichkeit eröffnet zu schlafen, anstatt seiner Arbeit nach zu gehen. Es hatte etwas mit May zu tun, aber mit ihr durften sie ja nun nicht reden. Die Zwei wechselten noch einige Worte zum Thema, beschlossen aber sich, wie angewiesen, herauszuhalten. Wenn es um May ging, dann war Mergy schon immer sehr speziell gewesen.
Vom ersten Tag an hatte er May verteidigt und auch später klar vorgegeben, wie er sich die Unterstützung seines Schützlings durch das Kommando vorstellte. Diese nur vagen Aussagen konnten nur eins bedeuten: Es hatte etwas mit ihrer Entführung zu tun. Das Kommando hatte direkt nach der Rückkehr, ohne May, eine Sitzung gehalten und besprochen, wie man mit der Situation verfahren sollte. Man war sich einig gewesen, May würde schon sagen, was genau auf dem Planeten passiert war, wenn die Zeit dafür reif wäre und verfolgte die Sache nicht aktiv weiter. May war alt genug, um selbst zu entscheiden, wie sie damit umgehen wollte.
Offensichtlich gab es jetzt seitens Nim nun einige Argumente, die gut genug waren, um Mergy umzustimmen. Wenn er der Ansicht war, die Anderen sollten sich heraushalten, dann hatte das schon alleine vom Vateraspekt sein Gewicht. Als May nach einer, aus ihrer Sicht langweiligen, Gleiterschicht zu einer Routineuntersuchung beim Doc gerufen wurde, war das noch nichts außergewöhnliches, aber seine Schlussfolgerungen aus dem Scan ließen keine Zweifel: Nim hatte geplaudert. Gegenüber dem Doc ließ sie noch Gnade vor Recht ergehen, aber in ihr stieg der Zorn. Wie konnte Nim ihr das nur antun? Sie hatte ihn gebeten niemandem von ihrem Problem erzählen, aber er hatte nichts besseres zu tun, als ihr Vertrauen zu missbrauchen und es auszuplaudern.
Die Wut und der Ärger stieg in ihr auf und als Nim nichts ahnend an den Mittagstisch trat, entlud sich ihm die angestaute Aggression direkt und vor allen Anwesenden. Sie sprang auf und erhob das Wort: »Wie konntest du mich nur dermaßen hintergehen? Ich hab dir vertraut!« Ihre Worte waren stark und Hass erfüllt ihr feuerrot angelaufener Kopf und die verachtend drein schauenden Augen ließen keinen Zweifel. Als wäre das nicht schon genug gewesen bekam er auch noch sein komplettes Mittagessen samt Tablett an den Kopf, bevor May wutschnaubend das Lokal verließ. Die Spagetti vom Kopf hängend und die Tomatensoße von Ohren und Nase tropfend stand er da und regte sich nicht. »Sieht aus als wärst du genudelt worden.«, versuchte Mergy die Situation mit etwas Humor zu überspielen. Nim war nicht nach Lachen zu Mute. »Der Doc hat schon vermutet, sie hätte etwas bemerkt. Tut mir leid. Ich hätte dich vorwarnen sollen. Sie kommt schon wieder runter, wenn sie sich beruhigt hat. Du hast das Richtige getan.«
Nim nahm die Worte auf und marschierte ohne die Nudeln, die den Beigeschmack des Verrats trugen, von sich abzuschütteln in sein Quartier. Der Appetit war ihm längst vergangen und er war froh, als er eine halbe Stunde später im Gleiter etwas Abstand zwischen sich und May bringen konnte. May selbst wollte niemanden mehr sehen und ließ sogar die Stationssitzung sausen. Ihre Kollegen bekamen lediglich eine kurze schriftliche Absage. Sie würde nicht erscheinen und da Mergy den Grund kannte, kam auch keine weitere Nachfrage mehr.
Am Abend versuchte es Nim noch einmal direkt an ihrer Tür, aber er bekam nur einige seiner Sachen an den Kopf geworfen und May teilte ihm lautstark mit, sie wolle ihn nie wieder sehen. Dann schloss sich die Tür wieder vor seiner Nase. Wenn man die Tür hätte zuschlagen können, wäre der Knall noch auf der anderen Seite des Rings zu hören gewesen. Wie in Trance sammelte Nim die über den Korridor verstreuten Gegenstände auf. Langsam, traurig, mit mit gesenktem Haupt und voller Liebeskummer brach er Richtung eigenem Quartier auf. Er überlegte lange, was er nun machen solle. Hilfe von Mergy oder den anderen würde er bekommen, aber das würde wohl seine Situation nur noch verschlimmern. Er versuchte Jaque dazu zu bewegen ihm wenigstens mitzuteilen, wenn May wieder schreiend aufwachte, aber der lehnte mit Verweis auf die Privatsphäre, die in den Quartieren standardmäßig herrschte, ab.
Auch den logischen Punkt, er könne ja immer noch in Mays Quartier gehen und selbst nachsehen, da May in ihrer gedankenlosen Wut sicherlich vergessen hatte ihm dieses Privileg zu kündigen, ließ der Computer nicht gelten. Nims Nacht verlief unruhig. Er wälzte sich nur von einer Seite auf die andere. Teils weil er noch von seinem Vormittagsschläfchen zehrte, teils weil ihn die Gedanken an seine Freundin nicht losließen. Immer wieder hörte er sie schreien, obwohl das schon durch eine einzelne Stationswand unmöglich war. Seine Freundin befand sich aber hinter einigen Dutzend Wänden. Als er wieder einmal von einem Phantomschrei hochschreckte, zog er sich an und ging zu ihrem Quartier. Es war still auf der Station. Entfernt vernahm er einige Stimmen von Piloten, die ihr Quartier erreichten oder gerade zu ihrer Schicht aufbrachen. Vor Mays Tür, in immer kleiner werdenden Abständen vorbei schleichend, blieb er schließlich stehen und nach einigen Minuten setzte er sich.
Mit dem Rücken an der Tür des gegenüberliegenden Quartiers starrte er nun Minutenlang auf das Portal, welches er so leicht hätte öffnen können. Aber er durfte es nicht. Irgendwann schlief er einfach ein. Die Piloten, die an ihm vorbei gingen kicherten und tuschelten. Nim bekam davon nichts mit. Er war weggetreten und schlief tief und fest. May hatte da, wie von ihrem Freund befürchtet, weniger Glück. Es war bereits das zweite Mal. Schreiend und orientierungslos schreckte sie hoch. Wieder war sie alleine. Nim war nicht da. Er nahm sie nicht in den Arm. Er flüsterte ihr nicht beruhigend ins Ohr. Es dauerte einige endlos wirkende Momente, bis May erkannte wieder nur einem bösen Traum entkommen zu sein. Immer noch unsicher wanderte sie durch ihren Wohnbereich. Langsam wurde ihr klar, was Nim in den letzten Tagen und Wochen alles für sie getan hatte, ohne das sie es wirklich wahr genommen und geschätzt hatte. Sie war so hart zu ihm gewesen, ohne sich seine Gründe auch nur ansatzweise anzuhören.
Wie ein Tiger pendelte nun auch May auf der anderen Seite der Quartiertür hin und her, bis sie sich dazu durch rang, zu Nim hinüber zu gehen. Sie musste das Geschehene wieder gerade biegen und sich zumindest seine Gründe anhören. Auch wenn es momentan mitten in der Nacht war und sie nur einen Schlafanzug trug. Als sie die Tür öffnete, fiel ihr Blick sofort auf den fremd wirkenden Körper, der gegenüber auf dem Boden saß. Er hatte sie nicht verlassen. Trotz all der schlimmen Worte. Trotz ihrer Nudelattacke hielt er immer noch zu ihr, wollte bei ihr sein und helfen.
Vorsichtig kniete sie sich neben ihren Freund, strich ihm die immer ins Gesicht fallende Strähne zur Seite und küsste ihn vorsichtig auf die Wange. Nim kam langsam wieder zu sich. Für einen Moment fragte er sich wo er war und warum er hier auf dem Boden saß. Dann fiel es ihm wieder ein. Damit May nicht verschwand oder ihm auf anderem Wege den Mund verbat, platze er direkt mit dem heraus, was er schon den ganzen Tag loswerden wollte: »Hey. Ich wollte dich nicht hintergehen. Ich musste es Mergy sagen, sonst hätte er meine Schicht nicht getauscht.«
May war am Meisten von sich selbst enttäuscht. Sie hatte so voreilig gehandelt, dabei hatte Nim nur einen Grund. Er wollte sie nicht alleine lassen. Ihr Liebster wollte sie nicht alleine mit ihren fürchterlichen Träumen lassen. Sie hatte sich ihre Strafe dafür selbst abgeholt und musste sich den finsteren Dämonen in ihren Gedanken alleine stellen. »Es tut mir so leid. Ich war so verletzt. Ich habe deine wahren Gründe überhaupt nicht verstanden.«, versuchte May sich zu erklären.
»Ich weiß du musstest bisher im Leben immer alles alleine stemmen, aber du bist nicht mehr alleine. Ich bin dein Freund und auch wenn ich keine Superkräfte habe, kann ich dir trotzdem beistehen und dir helfen. Und du hast viele andere gute Freunde, die dir auch nur helfen wollen und sich Sorgen machen. Aber dazu musst du es auch zulassen.« Er hatte May jetzt zum ersten Mal in einer Situation, in der er eine Chance sah sie aktiv zu beeinflussen und so warf er alles in die Waagschale, was er hatte, um eine Tür für sich oder einen ihrer Freunde zu öffnen. Wer das letztendlich sein würde, war ihm egal. Ihr Freund wollte ihr helfen. Es sollte ihr wieder besser gehen. Mehr nicht.
May drückte ihn fest an sich und Nim war mehr als nur froh, dem vergangenen Tag doch ein positives Ende verpasst zu haben, auch wenn er es lieber gesehen hätte, wenn May es nicht auf die harte Tour gelernt hätte. »Gehen wir schlafen?«, fragte May vorsichtig und immer noch unsicher nach. Nim hatte jedes Recht der Welt ihr diesen Wunsch zu verwehren, aber er streckte ihr mit einem Lächeln seine Arme entgegen und May zog ihn auf die Beine. Arm in Arm verschwanden sie im Quartier. Es wurde eine gute Nacht.
Am nächsten Morgen wachte May wieder in seinen Armen auf. Sie spürte seinen langsamen Atem in ihrem Nacken. Nim schlief noch tief und fest. May vermied jede Bewegung. Um keinen Preis wollte sie ihn jetzt aufwecken. Das Spiel wiederholte sich etwa 30 Minuten später noch einmal. Nur war es jetzt Nim, der May nicht wecken wollte. Es war bereits fast Mittag, als endlich beide Gleichzeitig wach waren. May drehte sich vorsichtig um und sie schauten sich tief in die Augen. »Ich hab den tollsten Freund der Welt.«, begrüßte May Nim, der sich erstaunt umsah und nach einer weiteren Bestätigung fischte: »Ja? Kenne ich ihn?« May lächelte: »Du bist es. Ich liebe dich so sehr.« »Ich liebe dich auch.« Nim war mehr als nur froh, diese Worte noch einmal zu hören. Nach den Ausrastern des gestrigen Tages klangen die Worte fast wie ein Wunder. »Ich werde also nicht wieder genudelt?«, fragte er mit einem Lächeln auf den Lippen.
May sah ihn erschrocken an. Das hatte sie komplett verdrängt. Vor versammelter Mannschaft hatte sie ihn nicht nur angeschrien, sondern ihm auch noch das Essen über den Kopf gekippt. Aber sein witziger Gesichtsausdruck ließ den Schluss zu. Er erwartete keine ernsthafte Antwort: »Genudelt? Ist das überhaupt ein richtiges Wort?« »Keine Ahnung! Mergy hat es so gesagt.« »Er hat es auch gesehen? Das ist so peinlich.« »Mergy war recht cool und locker. Er hat sofort seine Hilfe angeboten und mir sogar angeboten morgens Schlaf nachzuholen.« »Ja, er ist immer nett. Aber mir wäre lieber gewesen er hätte nicht gleich den Doc informiert.« »Er macht sich Sorgen um dich. Das machen wir alle.« Da war er wieder. Dieser warme Ton in Nims Stimme, die so viel Geborgenheit ausstrahlte. Ohne weiter darüber nachzudenken, erzählte sie ihm was auf dem Planeten passiert war. Von den Schmerzen, die der Schon-Or ihr zugefügt hatte und den düsteren Gedanken in denen die Anderen aus dem Team ebenfalls gefoltert wurden. In ihren Träumen war es Nim gewesen, der immer wieder vor Schmerzen Schrie und sie konnte nichts dagegen machen. Sie war hilflos. Tränen rannen ihre Wangen entlang und tropften auf das Laken.
Nim nahm seine Freundin fest in den Arm: »Das ist nie passiert und die Schon-Or haben jetzt andere Probleme. Wenn die hier dennoch auftauchen sollten, dann werde ich ihre grauen Hintern persönlich so lange treten, bis sie aufgeben. Wenn jemand meinem Mädchen weh tut, verstehe ich keinen Spaß.« Trotz der Tränen musste May ein wenig lächeln. Sie war sein Mädchen. Die Zeiten in denen sie alleine für sich gekämpft hatte, waren lange vorbei, aber so richtig begriff sie erst jetzt was Nim gemeint hatte. Sie war nicht mehr alleine!
Als May an diesem Morgen das Kommandodeck betrat, sprang Mergy mit einem lauten »Alles in Deckung, Nudelangriff!« und einer nicht weniger aktionslastigen Flugsequenz hinter die Waffenkonsole, während die anderen sich erst erschrocken umsahen und dann lauthals los lachten. Ja, das hatte sie wohl mehr als verdient und so grinste sie mit zusammengekniffenen Mundwinkeln, als Mergy vorsichtig über den Rand seines Schutzwalls schaute, um die Lage zu prüfen. »Ich bin unbenudelt!«, hob May ihre leeren Hände als Zeichen in die Luft. »Da bin ich aber froh! Nim haben die Rotblonden Haare aber recht gut gestanden.«, legte Mergy nach. Als Tin aus dem Lift trat, war die Besatzung vollzählig und man machte sich im Konferenzraum an die Arbeit. Neben dem Energieproblem, welches durch die letzten Einsätze nicht wirklich kleiner geworden war, gab es nur kleinere Dinge zu klären. Sash war wieder komplett einsatztauglich, wie der Doc berichtete, und akzeptierte ihren neuen Arm nicht nur, sondern war auch bereits in der Lage ihn wie einen Echten zu kontrollieren. Es war für May immer noch unvorstellbar einen künstlichen Arm zu haben. Was musste das für ein seltsames Gefühl sein?
Aber auch May selbst hatte etwas beizutragen. Sie hatte geschwiegen und die Geschehnisse bei den Schon-Or für sich behalten, aber Nims Worte hatten sie wach gerüttelt. Die Menschen hier am Tisch waren ihre Familie und obwohl sie das schon damals in der Weihnachtsrede thematisiert hatte, wurde ihr durch die Ereignisse der letzten Tage erst wirklich bewusst, welche Bedeutung diese Menschen für sie wirklich hatten. Sorgsam wählte sie die Worte, mit denen sie ihre Erlebnisse beim Feind umschrieb. Sie ließ auch die Taten von Nim nicht aus, der ihr in der schweren Zeit bedingungslos zur Seite stand.
»Auch auf die Gefahr hin gleich doch noch genudelt zu werden, muss ich gestehen mit dem Doc über deine Situation gesprochen zu haben.«, ergriff Mergy das Wort, als er merkte das May nichts mehr zu sagen hatte. »Der Doc meinte das Beste wäre dich erneut mit der Angst zu konfrontieren, aber dich wieder zu den Schon-Or zu schicken wäre wohl eine ziemlich blöde Idee und ein Hologramm nicht adäquat genug. Daher haben wir beschlossen dich auf eine Dienstreise zu schicken. Von normalem Urlaub hältst du ja sowieso nicht wirklich viel.« »Eine Dienstreise?«, fragte May erstaunt. Sab erzählte von der wiederholten Anfrage der Seem, die erneut eine Einladung auf ihren Planeten ausgesprochen hätten. May wäre für diese Aufgabe wohl am geeignetsten, zumal die Seem Kommander May auch diesmal persönlich einluden.
»Gratuliere, Botschafter May!«, lachte Mergy und May verstand nicht so richtig ob das jetzt alles ein Witz war oder nicht. »Kein Witz!«, interpretierte Trish den Gesichtsausdruck von ihrer jungen Kollegin als könnte sie Gedanken lesen: »Wir wollen das Bündnis stärken und weiter ausbauen. Vielleicht können wir auch Handelsbeziehungen aufbauen. Unsere Energiesituation ist ja langfristig ein echtes Problem und vielleicht haben wir etwas, was die Seem gebrauchen können.«
»Wenn du nicht fliegen willst, ist das nicht kein Problem. Dann fliegt Nim eben mit Katie.« Mergy legte diesen überlegenen Ton in seine Stimme, der einem davon überzeugen sollte, man hätte keine Chance den Argumenten zu entfliehen. May hatte keine Wahl und spielte mit: »Nim kommt mit?« »Er prüft bereits die Ausrüstung des Mantas.«, fügte Sab hinzu: »Abflug ist für 14:30 Uhr angesetzt. Mit May oder ohne!« Sie war überrumpelt. Ohne Nim eine weitere Horrornacht zu verbringen, wollte sie nicht, also blieb ihr nur die Reise zu den Seem. Man hatte sie ja auch schon persönlich eingeladen und jetzt würde sie wirklich fliegen. Ihren Freund alleine mit Katie fliegen zu lassen, war sowieso keine Option. Sie vertraute ihm, aber das Gedankenkarusell war schon bei der Vorstellung der Beiden auf den Pilotensitzen des Mantas in wilder Fahrt.
»Aber was ist mit den anderen Piloten. Das sieht doch wieder so aus, als wenn Nim nur mitfliegen darf, weil ich seine Freundin bin.«, merkte May ein Problem an, welches nicht nur sie schon öfter beschäftigt hatte. Nim vermied es ebenfalls Vorzüge aus seiner Beziehung mit May anzunehmen. »Die Seem haben nach May und ihrem Schwarm verlangt.«, erklärte Sab, der die Thematik wohl auch nicht fremd war. »Außerdem ist es auch auf der Erde so, das Politiker mit ihren Frauen oder Ehemännern reisen.«, fügte Trish hinzu. »Wenn dann nichts mehr weiter ist, beenden wir die Sitzung, damit May noch Zeit hat ihren Koffer zu packen.«, schloss Sab die Diskussionsrunde und alle verschwanden aus der Tür und im Lift. May blieb regungslos sitzen und verarbeitete das so eben auf sie Hereingeprasselte. Erst Mergy, der seinen Kopf noch einmal durch die Tür steckte, holte sie aus den untiefen ihrer Gedanken: »Hey. Träumen kannst du unterwegs!«
May marschierte gedankenverloren zu ihrem Quartier. Koffer packen. So etwas hatte sie noch nie gemacht. Was hätte sie früher auch einpacken sollen? In ihrem Schlafzimmer ankommend lag auf dem Bett bereits ein lila Koffer mit ausziehbarem Griff und Rädern. Er war wohl so konstruiert, um ihn hinter sich her zu ziehen. May probierte es gleich aus und es funktionierte, wie erwartet. Ohne zu überlegen packte sie die Uniform als erstes ein. Es war ein offizieller Anlass, also müsste die dabei sein. Dann noch von jedem etwas. Der Koffer war schneller voll als sie gedacht hatte und da der Manta neben dem Nahrungsverteiler auch einen Repligen an Bord hatte, die beide im Notfall fehlende Ausrüstung und Kleidung herstellen könnten, waren einige Dinge aus dem Bad die letzten Puzzleteile, die sie in die auf dem Bett liegende, geöffnete Plastikschale legte.
Mit dem ungewohnten »Tock Tock – Tock Tock« Geräusch der Räder auf dem Riffelboden, zog May in Richtung Hangardeck. Ihre Eltern waren nicht in ihrem Quartier und Jaque bestätigte ihre Position im äußeren Ring und damit auch ihr Wissen um diese Mission. Ja, Mission. Auch wenn Mergy sie Dienstreise genannt hatte und offensichtlich Urlaub meinte, war es doch eine offizielle Mission. Einige Piloten schauten seltsam, als sie May mit dem Koffer sahen. Deutlich konnte May das Getuschel hören, aber es interessierte sie nicht. Wahrscheinlich vermuteten sie man hätte sie nach ihrer Aktion am Vortag von der Station geworfen.
Es wäre ein leichtes gewesen zu erfahren, was sie jetzt über sie zu erzählen hatten, aber erstens wäre es wie heimliches Belauschen und zweitens schwirrten in ihrem Kopf so viele Dinge, dass sie über diese Möglichkeit gar nicht erst nachdachte. Das war genau der Grund, den Mergy und der Doc bezweckten. May sollte mit Informationen und Eindrücken geflutet werden und dabei die Erlebnisse bei den Schon-Or schlicht verdrängen, bestenfalls überschreiben und zu einem blöden Traum degradieren. Bisher klappte das jedenfalls sehr gut, denn May dachte an die bisherigen Begegnungen und Abenteuer mit den Seem und die Schon-Or fanden in ihrem Kopf keinerlei Beachtung.
Als May das Tor zum Hangar öffnete fand sie nicht nur ihre Eltern und Nim vor, sondern auch Mergy, Tin, Trish und Grabbler. »Manta X?«, fragte May erstaunt, als sie den metallisch-blauen Flieger vor sich stehen sah. »Umgerüstet mit dem neuen Plasmaantrieb, falls es mal schnell gehen muss.«, erklärte Grabbler, während Tin unaufhörlich auf ihr Tablett eintippte und letzte Prüfungen am Flieger vornahm. »Willst du das wirklich machen?«, fragte ihre Mutter unsicher und auch wenn ihr Vater nichts sagte, unterstrichen seine sorgenvollen Augen nur die Frage. »Die Seem sind unsere Freunde. Ich denke es wird interessant mehr über sie zu erfahren. Vielleicht erfahre ich auch mehr über unsere Kräfte?«, beruhigte May nicht nur ihre Eltern, sondern auch sich selbst. »Du wusstest davon?«, fragte May Nim, der etwas unsicher in der Menge stand. »Nein, er hat es auch erst kurz vor der Sitzung von Sab erfahren.«, sprang Mergy ein, um gar nicht erst eine neue Verschwörungstheorie in May aufkeimen zu lassen.
»Im Zwischendeck der unteren Luke sind noch zwei deiner Holoschiffe. Ansonsten habt ihr alles was man zum Campen braucht an Bord.«, erklärte Tin. »Campen?«, fragte May unsicher. »Ein mobiles Quartier. Auf der Erde haben viele Menschen kleine fahrbare Häuser, um darin ihren Urlaub an fremden Orten zu verbringen. Die Seem werden wohl kaum eine Unterkunft für euch haben.«, erklärte Mergy. Erst jetzt warf May einen intensiveren Blick ins Innere des Mantas. Das Standardquartier der Vanquist war ohne Wände im Manta verbaut. Direkt auf der rechten Seite gab es die kleine kombinierte Badezimmer Duschkabine und dahinter das Doppelstockbett. Tisch und Stühle sowie der Nahrungsverteiler auf der anderen Seite. Die hintere Wand fehlte natürlich komplett und man konnte direkt bis nach vorne zur Steuerkonsole hindurchsehen. Die normale Eingangstür auf der anderen Seite war hier die Ladeluke am Heck. Nim nahm den Koffer, den May immer noch fest am Griff hielt, schob selbigen ein und legte ihn auf das obere Bett.
»Du passt gut auf unser Mädchen auf, ja?«, war es Jin, der Nim nun offiziell seine geliebte Tochter anvertraute. Noch vor einigen Monaten wäre so etwas schlicht unvorstellbar gewesen. »Mache ich! Versprochen!« Reiko nahm die beiden Reisenden noch einmal in den Arm und drückte sie ordentlich. Tin wies noch einmal auf einige Details der geänderten Ausstattung hin und Mergy ermahnte die beiden dazu sich regelmäßig zu melden und wurde seinerseits von May noch mal intensiv umarmt. Sie überließ Nim das Steuer und schloss selbst, begleitet vom Winken der Anwesenden, die hintere Ladeluke. Nim holte derweil die Starterlaubnis ein und eine freundliche Sab wünschte eine gute Reise. Dann verschwand der Manta im dunklen All, nur um wenige Sekunden später auch im Rot des Unterraums zu verschwinden.
Texte: Summa Dornigen
Bildmaterialien: Guido Mersmann
Cover: Guido Mersmann
Lektorat: Guido Mersmann
Korrektorat: Guido Mersmann
Satz: Guido Mersmann
Tag der Veröffentlichung: 29.11.2023
Alle Rechte vorbehalten