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Titel

 

 

Prinzessin May und der Angriff der Draken

 

II von Prinzessin May Saga

 

Summa Dornigen

 

 

 

Schlagwörter:

Fantasy, Science Fiction

 

May ist Zuhause angekommen und hat als Teil des Ray Teams bereits viele
aufregende Abenteuer erlebt. Sie hat neue Freunde und eine neue Familie
gefunden. Doch dieses Glück ist in Gefahr als feindliche Raumschiffe auftauchen
und ihr Paradies in Schutt und Asche legen. Plötzlich ist sie wieder heimatlos
und dann ist da noch diese Sache mit der Liebe ...

Prinzessin May und der Angriff der Draken

Band #2

Geschrieben von Summa Dornigen (summadornigen@geit.de)


May ist Zuhause angekommen und hat als Teil des Ray Teams bereits viele aufregende Abenteuer erlebt. Sie hat neue Freunde und eine neue Familie gefunden. Doch dieses Glück ist in Gefahr als feindliche Raumschiffe auftauchen und ihr Paradies in Schutt und Asche legen. Plötzlich ist sie wieder heimatlos und dann ist da noch diese Sache mit der Liebe ...

Das zerstörte Paradies

Der kleine Kommander streckte und räkelte sich in ihrem Bett. »Ist ja gut Jaque. Ich stehe ja schon auf.«, maulte sie in ihre Kissen. Seit Mergy nicht mehr da war, hatte auch sie deutlich mehr Aufgaben zu erfüllen, als es in ihrer bisherigen Amtszeit als Kommander je vorgekommen war. Ihr älterer Freund war jetzt schon über drei Wochen auf dem Planeten und May vermisste ihn. Seine witzige Art und die Gespräche mit ihm fehlten ihr. Sie konnte sich natürlich auch mit den anderen Personen unterhalten, aber das war nicht das Selbe. Mergy war, wie sie sich mittlerweile selbst eingestehen musste, zu einem Vaterersatz geworden. Umgekehrt war es wohl genauso, aber das wussten ihre Freunde ja schon länger als sie selbst. May verstand aber auch seine Gründe. Er hatte Freunde und Familie auf dem Planeten, mit denen er auch Zeit verbringen wollte und musste. Mergy war oft tagelang auf der Station gewesen und dementsprechend meist ohne einen Grund für seine Leute auf der Erde einfach unauffindbar.


Nach einer, die Lebensgeister erweckenden, Dusche schlüpfte sie in ihre Kleidung. Zur Abwechslung mal wieder eine Hose. Suki hatte schon öfter betont, ihr Hintern sähe in einer Hose wirklich gut aus. Sie drehte noch eine Runde vor dem Spiegel und befand es wäre doch nur ein normaler Hintern in einer Hose. May musste lachen, als sie an Suki dachte. Sie hatten ihren sechzehnten Geburtstag bei Sor gefeiert. Er entfernte auf ihre Bitte hin extra die Tische und Spiele im hinteren Bereich, um Platz zum Tanzen zu schaffen. Es war eine tolle Party gewesen. Alle hatten wild getanzt wild und ihren Spaß. Suki fing an auf einem der verbliebenen Tische am Rand zu tanzen und Sor versuchte sie davon abzuhalten. Er zitierte allerlei Vorschriften, während er um den Tisch herum lief und mit seinen dünnen Händen wedelte. Sukis Tanz wurde durch Sor nur noch zusätzlich angestachelt. Es wurde immer wilder und verrückter, bis schließlich der Tisch unter ihr nachgab und samt Suki auf den Boden krachte. Es war eine schöne Party gewesen, auch wenn May am Tag darauf etwas Zeit aufwenden musste, um Sor davon abzuhalten Suki ein generelles Verbot für das Sors auszusprechen. Für ein Computerprogramm war er dann doch eine Spur zu nachtragend.


Punkt halb Acht schlenderte der junge Kommander gemütlich über die Promenade. Das Dragon Fly war noch geschlossen. Ihre Mutter kam meistens erst zwischen 8 und 10 und bereitete das Mittagsgeschäft vor. Der Lila bevorzugende Kommander hielt es wie Mergy und aß mit den anderen Piloten zusammen bei Sor. Tin und Trish waren meist nur selten dort anzutreffen und Sab hielt sich sowieso zurück. Es wurden sogar Gerüchte verbreitet sie würde keine feste Nahrung benötigen und sich nur von Tee ernähren. Sab glaubte fest das Gerücht sei von Mergy in die Welt gesetzt worden, konnte es aber nie beweisen. May musste grinsen, hatte sie doch keinen Zweifel daran: Mergy steckte hinter diesem Scherz. Es war genau seine Art von Humor.


Wie fast an jeden Morgen nahm sie bei Sor das Tablett direkt vom Tresen mit und setzte sich an ihren Tisch. Naja, sie saß jeden Tag hier. Man hatte alles im Blick und saß doch nicht im Mittelpunkt. Die anderen Piloten schienen ihren Tischwunsch zu respektieren. Zumindest hatte sie nie Probleme hier Platz zu finden. Meistens war sie sowieso sehr früh dran und die Frage stellte sich gar nicht erst. May saß etwa 10 Minuten und rührte gedankenversunken in ihrem Müsli, als der Boden unter ihr einen gewaltigen Satz machte und das Licht kurz flackerte. Die Menge im Sors schrie, mehr aus Überraschung als aus Angst, auf. Der nun vollends wache Kommander schaute durch das Fenster und konnte für einen kurzen Augenblick draußen im All ein kleineres Objekt vorbeihuschen sehen. Dann rauschten die massiven Platten von außen vor die Fenster und versperrten die Sicht.


»Feuer erwidern. Mit allem was wir haben!«, befahl Sab unterdessen auf dem Kommandodeck. »Es werden immer mehr.«, rief Trish sichtlich entsetzt und unsicher in den Raum. »Jaque, die Satelliten in den Verteidigungsmodus schalten.« »An alle Piloten. Sofort in den Hangars melden. Das ist keine Übung. Wir werden angegriffen. Alle Piloten sofort in die Gleiter. Zivilpersonen begeben sich umgehend in die zugewiesenen Schutzbereiche.«, vermeldete Trish mehrfach über die Lautsprecher der Station, wobei die Wiederholungen offensichtlich Aufzeichnungen der ersten Durchsage waren, da sich ihr hektischer Ton nicht änderte.


»Worauf wartet ihr noch. Los geht's.«, brüllte May zu den umliegenden Tischen und folgte den Piloten in eines der Hangardecks, auf dem bereits über zehn Gleiter zum direkten Abflug bereit standen. Wieder gab es einen gewaltigen Schlag auf die Station und einige Piloten stolperten auf dem Weg zu ihren Gleitern und rollten über den kalten riffeligen Boden, während die schweren Kampfgleiter sich nicht einmal einen Zentimeter bewegten. Schließlich schossen die ersten Flieger aus der Luke. »Das sind über 30 Große und bestimmt 200 Kleine. Anzahl steigend!«, meldete Trish: »Einige dieser Jäger versuchen zum Planeten durchzubrechen.« »Was haben die vor?«, fragte Sab, bekam aber keine Antwort auf ihre eigentlich auch mehr rhetorisch gemeinte Frage.


Die Gleiter vom Team tanzten zwischen Station und Planet mit den feindlichen Schiffen. Auf der internationalen Raumstation hatte man natürlich die Ankunft der riesigen Schiffe und die Raumschlacht um sie herum bemerkt. Die, im Vergleich zu Ray Team One, kleine Dose nahmen sie genau, wie die vielen Fernseh- und Militärsatelliten, aber nicht als potentielle Ziele wahr. Offensichtlich hatten sie nicht einmal bemerkt, dass diese kleine Kiste überhaupt bewohnt war, oder sie ignorierten die im vergleich zur Station winzige Raumstation, weil sie nicht auf sie feuerte und auch sonst nur eine kaum messbare Energiesignatur ausstrahlte. Direkt vor dem Planeten spielte sich eine gigantische Raumschlacht ab, die wohl jedem Science Fiction Film Konkurrenz machen konnte.


Die großen langen grünlich schimmernden Schiffe hielten sich aus den Gefechten komplett raus. Sie versprühten nur ihre kleinen grünen Jäger wie eine Pusteblume in einem Sturm. Aus mehreren Stellen strömten diese kleinen Schiffe aus und flogen in die Schlacht. »78 Mutterschiffe und über 3500 Jäger. Wir sind hoffnungslos unterlegen.«, brüllte Trish laut in den Raum. Die Station verfügte neben der eigenen Bewaffnung über insgesamt 350 Gleiter. Aber es gab nur 212 Piloten, wenn man die Kommandocrew einschloss. Einige der feindlichen Schiffe wurden von Sab bemerkt, als sie trotz des harten Beschusses durch die Satelliten und Gleiter, die Erde weiter angeflogen hatten und so gab sie über die Kommunikation erweiterte Anweisungen: »Suki, Stiff, Honk holt euch die Jäger die zum Planeten durchgedrungen sind.«


Auf der Erde war es noch friedlich. Die meisten Menschen hatten noch keine Ahnung was sich gerade im erdnahen Raum abspielte. Lediglich einige Astronomen, die NASA und hochrangige Regierungsmitglieder der verschiedenen Länder bekamen bereits aktuelle Informationen geliefert. Das einzige brauchbare Videomaterial stammte von einer Videokamera an Bord der erdnahen Raumstation, welches live zur Erde gefunkt wurde. Mergy war ebenfalls noch komplett ahnungslos und fuhr mit seinem alten Auto Richtung Stadt. Es war Samstagmorgen und er war mit einem Freund verabredet. Das es dazu nicht kommen würde, ahnte er in diesem Moment noch nicht. Spätestens als ein Kampfgleiter gefolgt und beschossen von einem der außerirdischen Jäger über seinem Kopf hinweg donnerte, ahnte er das etwas nicht stimmte. Der Gleiter machte eine 180 Grad Drehung ohne die Flugrichtung zu ändern und feuerte alles nach vorne was er hatte. Das feindliche Flugobjekt verglühte in gleißendem grünlichen Licht.


Für einen Augenblick hatte Mergy den Kampfgleiter aus den Augen verloren, denn er musste einem auf seine Fahrspur gezogenden Fahrzeug ausweichen, da dessen Fahrer wohl nur in den Himmel gestarrt und die Ballerei beobachtet hatte. So schnell wie der Gleiter verschwunden war, tauchte er wieder in seinem Sichtfeld auf und krachte, ohne das Fahrwerk zu aktivieren, auf einen frisch gepflügten Acker, rutschte einige Dutzend Meter und blieb einfach liegen. Mergy kreuzte nun ebenfalls die Gegenfahrbahn und steuerte seinen Wagen auf eine Feldzufahrt zu. Wenige Momente später hoppelte das kleine Fahrzeug über die Rillen, die der Pflug hinterlassen hatte, bis er schließlich endgültig stecken blieb. Zu Fuß rannte der, als Zivilist verkleidete, Kommander ohne Pause weiter zum Gleiter, wo bereits ein Repligen Reparaturen am Heck vornahm. »Suki!«, rief Mergy nur als er seine Pilotin erkannte. Die Pilotin selbst konnte nicht glauben, ausgerechnet ihn hier an ihrer Absturzstelle vorzufinden. Sie blutete stark am Kopf und hatte eine ziemlich große Brandwunde an der Seite, die vom feindlichen Beschuss her rührte. »Wir werden angegriffen.«, konnte sie als einzigen Hinweis vor der sie überwältigenden Ohnmacht noch aussprechen. Mergy zog sie aus ihrem Gleiter und legte ihr den Autodoc an. Er wartete aber erst gar nicht auf die Diagnose, sondern fror sie direkt ein.


»Ich übernehme Medic One!«, ertönte über die Kommunikation eine Mitteilung von Tin. Daneen war gerade noch rechtzeitig in der medizinischen Abteilung eingetroffen. Hinter ihr verriegelte sich die Krankenstation und wenige Momente später war sie abgekoppelt. Langsam schneller werdend entfernte sie sich von der Raumstation und wurde schließlich unsichtbar. Immer wieder verließen Gleiter die Station. Die Piloten, die ihre unbrauchbaren Gleiter unverletzt verlassen hatten, transportierten sich in die Station und nahmen sich einfach einen Neuen. Verletzte Piloten landeten auf der Krankenstation, wo der Doc sie empfing.


Mergy hatte Suki in ihrem Block gerade auf der Rückbank verstaut, als ein weiteres dieser feindlichen gesinnten Schiffe auftauchte. Der Ray Team Kommander konnte gerade noch in den Gleiter springen und, mit offener Tür und werkelndem Repligen an der Außenhaut, eine Rolle auf dem Acker machen, um dem Waffenfeuer auszuweichen, welches nun vom frisch aufgewühlten Erdreich absorbiert wurde. Der Jäger donnerte in einigen hundert Metern Höhe über das Feld. Die Anzeigen deuteten an, was Mergy beim Umschauen bestätigen konnte. Das kleine Schiff drehte um und versuchte es noch einmal. Die Waffensysteme seines Fluggeräts waren noch nicht wieder einsatzfähig als Mergy vom Boden abhob. Er war kaum in der Luft, als der Kampfgleiter erneut unter Beschuss genommen wurde. Es blieb ihm nichts anderes über als unablässig den Lichtblitzen auszuweichen. Gerade als Mergy seinen Gleiter in einer Rolle nach vorne kippte, um erneut die Richtung zu ändern, waren die Waffen wieder einsatzbereit. Er vollendete die Rotation und feuerte eine Salve hinter dem feindlichen Flieger her.


Die Explosion beleuchtete die morgendlichen Felder und die Wrackteile des Jägers stürzten in gebogener Flugbahn in die Tiefe. Direkt auf ein Auto zu, wie Mergy mit Schrecken feststellen musste. Der Fahrer des Wagens hatte den brennenden Trümmerhaufen augenscheinlich bemerkt und eine Vollbremsung gemacht. Leider kam er genau im vorausberechneten Absturzgebiet zum Stehen. Mergy blieb nichts anderes über als einen Transportring in den Wagen zu transportieren, der laut Scan nur von einer Person besetzt war. Gerade noch rechtzeitig leuchtete der Transporterstrahl im Gleiter auf und eine Frau schrie mit den Händen vor dem Gesicht. »Ist ja gut, alles vorbei!«, warf Mergy lautstark in den kleinen Raum, zog den Gleiter steil nach oben und brachte ihn auf Geschwindigkeit. Einige Kampfflugzeuge des deutschen Militärs waren aufgestiegen, hatten aber nicht wirklich eine reelle Chance gegen den übermächtigen Feind. Im Vorbeiflug erledigte Mergy die zwei dunkelgrünen Schiffe, indem er ihnen konzentriertes Waffenfeuer auf den Pelz brannte und aktivierte die Kommunikation.


Sab dirigierte die Gleiter von der Station und auch May befehligte aus ihrem Kampfgleiter einige Piloten auf bestimmte Ziele zu feuern. Ihre Waffen waren fast wirkungslos gegen die kleinen Schiffe, die sich nur durch geballtes Waffenfeuer zerstören ließen und die Großen waren wie uneinnehmbare Festungen. »Was ist hier los?«, hörte Mergy plötzlich eine ihm bekannte Stimme neben sich. Es war Anja, die gerade mit ihrem Fahrzeug auf dem Weg zur Arbeit war, als der Alienjäger auf sie zu stürzen drohte. »Der Planet wird angegriffen!«, erklärte Mergy nur kurz. »Thomas, wo sind wir?«, fragte sie schließlich als sie ihn erkannte. »In einem Ray Team Kampfgleiter.«, blieb er kurz mit seiner Antwort und konzentrierte sich auf seine Aufgabe. Jetzt war nicht der Moment sich zu offenbaren. Mergy kannte Anja aber gut genug. Diese Frau war intelligent, würde weitere Fragen stellen und keine Ruhe geben, bis sie zufrieden war.


In der Schule war sie bestimmt immer eine der Besten gewesen. Jetzt musste ihm etwas plausibles einfallen. »Wie kommst du denn in einen Kampfgleiter?« »Das ist eigentlich ihr Gleiter!«, gab Mergy zu verstehen und deutete nach hinten. »Oh, Gott. Was ist mit ihr passiert?«, fragte Anja entsetzt. »Ich habe sie eingefroren. Sie hat schwere Verletzungen und braucht einen Arzt.«, erklärte er wieder und wich einigen Angriffen aus. »Und wieso kannst du fliegen?«, hörte sie nicht mit dem Stellen von Fragen auf, obwohl die Bedrohung allgegenwärtig war. »Videospiele!«, gab Mergy einsilbig und kurz zu Protokoll. Es kam ihm eine Idee.


Er tarnte seinen Gleiter und flog an eines der großen Schiffe heran. Die Schilde waren für die Gleiter undurchdringbar, aber die kleinen feindlichen Jäger flogen immer wieder hinein und hinaus. Sie mussten anscheinend Energie oder Munition auffüllen. Was auch immer es war, es musste ihm gelingen dort hinein zu gelangen. Der Kommander wartete an einer der Luken und es dauerte nicht lange, bis eines der grünen Objekte genau dieses Loch im Schiff anflog. »Was hast du vor?«, fragte Anja noch ängstlich, während Mergy den Gleiter auf Maximalgeschwindigkeit brachte, enttarnte und hinten in den Feind rammte, der gerade die Schilde durchflog.


Anscheinend hatte der Jäger seine Schilde, oder was auch immer diese kleinen Biester zum Schutz benutzten, gesenkt, denn die Kollision mit den Gleiterschilden hatte ziemlichen Schaden angerichtet und er explodierte wie eine Bombe im Inneren, nachdem er unkontrolliert in der Luke verschwunden war. Mergy konnte gerade noch im kleinen Raum zwischen Schilden und dem riesigen Schiff abdrehen. »Computer, zwei Repligen in den Datenmodus umschalten.«, befahl er und während er mit den Tasten am Bedienfeld einen Scan des Schiffes ausführte, der, jetzt wo keine Schilde den Strahl behinderten, problemlos möglich war. Wenige Augenblicke später transportierte er die beiden Helferlein an die vom Scan gemeldeten, geeigneten Positionen im Inneren des übergroßen Feindes.


Es dauerte nur wenige, aber dafür endlos anfühlende, zusätzliche Sekunden, bis die Repligen sich an die fremden Systeme angepasst hatten und die ersten Daten eintrafen. »Computer, sobald eine Verbindung möglich ist, die Daten aus den Repligen via Multibroadcast an alle Ray Team Dataports senden.«, kommandierte er weiter. Anja war still und leise geworden. Eben hatte sie noch an einen normalen Arbeitstag in der Arztpraxis gedacht und jetzt war sie in eine Raumschlacht verwickelt, deren Ausgang das Ende der Welt besiegeln könnte. Viel mehr verstand sie in diesem Augenblick nicht.


Der Gleiter wurde getroffen und durchgeschüttelt, erlitt aber nur leichte Schäden. Mergy flog einige Ausweichmanöver, was nicht gerade einfach war, denn der Abstand zwischen der Unsichtbaren Wand und dem Schiff machte an einigen Stellen nur etwas mehr als zwei Meter aus. Ein wenig Waffenfeuer und die Angreifer hinter ihnen waren vernichtet. Mergy setzte den Gleiter kopfüber unter einem Vorsprung direkt auf dem Alienkreuzer ab und hoffte dort nicht so schnell entdeckt zu werden. Auf dem Bildschirm konnte man erste Datenpakete durchrauschen sehen, die von den beiden Spionen gesendet wurden. »Tut mir leid, weil ich dich hier hinein gezogen habe.«, wendete Mergy sich erstmals an Anja, die ihn mit ängstlichen großen Augen ansah.


Am Liebsten hätte er ihr die Wahrheit gesagt und sie ganz fest in den Arm genommen, aber das war weder die Zeit und schon gar nicht der Ort dafür. »Was machen wir hier eigentlich gerade?«, fragte Anja. Ohne auf seine Entschuldigung einzugehen, versuchte sie etwas mehr Klarheit über ihre aktuelle Lage zu bekommen. »Wir zapfen das feindliche Schiff an. Vielleicht bringt das den taktischen Vorteil, den das Ray Team braucht. Sieht nicht so aus, als würden sie gewinnen.« Es fiel ihm sichtlich schwer so distanziert vom Ray Team zu sprechen. Das Team war sein großes Ding und jetzt musste er so tun, als würde er die Truppe überhaupt nicht kennen.


Die letzten Gleiter der Station waren bereits in Benutzung und auch die Station selbst hatte schwer einstecken müssen. Viele Sektionen hatten große Löcher und zwei der gigantischen Türme hingen nur noch lose, durch die Bewegungen der Station pendelnd, an ihrem ursprünglichen Platz. »Jaque Evakuierungsmodus.«, verkündete Sab. Trish nickte und aktivierte die Funkverbindungen: »An Alle! Die Station ist verloren. Ich wiederhole von der Station fernbleiben.« »Du holst den Gleiter und transportierst mich hier raus wenn ich soweit bin. Diese Station hat ihre erste und letzte Schlacht noch nicht geschlagen.«, gab Sab mit finsterem Ton zu verstehen: »Jaque, RAM Triebwerke aktivieren. Voller Schub auf das RAM in Sektion 2.« Die Station begann schlagartig und eirig über die zwei anderen Träger um 90 Grad zu kippen.


Teile der äußeren Ringe und Hangar brachen wegen der unzähligen Schäden und der immensen Belastung, die das Triebwerk an der beschädigten Struktur ausübte, auseinander. Der Stationskern, an dem die Hangarträger zerrten, ächzte und wurde gewaltig durchgeschüttelt. »Noch nicht. Halt noch ein wenig durch.« Diese beruhigenden Worte sprach sie der Station zu, die die letzten viereinhalb Jahre ihr Zuhause, ihre Heimat gewesen und die schon jetzt dem Untergang geweiht war. »Auf die restlichen RAM Triebwerke vollen Schub geben. Alle Waffen auf den Kreuzer vor uns ausrichten.«, setzte sie ihren Plan weiter um. Wie ein Kreisel, der versuchte mit seiner rotierenden Spitze ein Loch in den Boden zu drehen, bewegte sich nun die gigantische Station auf die feindlichen Schiffe zu. »Jaque, raus hier.«, kommandierte Sab lautstark und trommelte gleichzeitig weitere Anweisungen in den Stationscomputer. Wenige Momente später wurde auch sie aus der Kommandozentrale transportiert und landete neben Trish in Kampfgleiter 1.


»Was ist da los?«, fragte Anja und deutete auf die Station. Die Schilde des Kreuzers blockierten immer noch ihre Kommunikation und so konnten sie nicht wissen, wie es um die Station stand. »Oh – mein – Gott.«, entwich es Mergy schockiert. Mit Entsetzen musste er zusehen, wie seine Station auf eine kleine Gruppe Kreuzer zusteuerte. Die riesigen Schiffe starteten ihren Antrieb und versuchten die Kollision zu vermeiden, waren aber wegen ihrer Masse und der damit verbundenen Trägheit zu langsam. Der obere Teil des Stationskerns bohrte sich in das erste Schiff. Erst drohte er nur an den Schilden zu zerbersten, aber die Energie, die durch die explodierenden Reaktoren im oberen Bereich erzeugt wurde, führte zu einer Kettenreaktion.


Die Stationsteile, die das erste Schiff verfehlten krachten in das Zweite und Dritte auch hier hatte Sab dafür gesorgt, dass alle Reaktoren auf Maximalenergie aktiv waren und bei ihrer Zerstörung größt möglichen Schaden anrichten würden. Eine gigantische Explosionswelle zerlegte die drei Schiffe und beschädigte mit den umherfliegenden Trümmern diverse weitere. Jäger, die sich im Umfeld der Explosionen befanden, wurden selbst zu Geschossen oder von den umher geschleuderten Metallteilen regelrecht zerfetzt. »Man kann sie also zerstören.«, merkte Trish an und steuerte den Kampfgleiter zwischen die feindlichen Linien, wo er automatisch auf alle fremden Schiffe im Umkreis feuerte. »Ja, aber leider sind uns gerade die Raumstationen ausgegangen.«, erwiderte Sab, die, von den Explosionen erhellt, in die Reste ihres Traums schaute, der mit, von kleinen Sauerstoffaustritten geschürten, Feuern wenig später komplett in Trümmern lag und im All driftete.


May und ihre Kollegen hatten es ebenfalls mit der Übermacht zu tun. 124 Mutterschiffe umfasste die Armada noch, die sie bekämpften und die Anzahl der kleinen Jäger ging immer noch in die Tausende. »Kommt schon. Das ist einfach. Das sind so viele, da können wir ja gar nicht vorbeischießen.«, motivierte May ihre kleine Truppe und sie machten ihre Sache wirklich gut. Jedenfalls verloren sie deutlich weniger Gleiter, als der Feind an Jägern. »Sie haben uns entdeckt!«, erschrak Anja, als die Jäger auf den an der Hülle klebenden Gleiter zuflogen und das Feuer eröffneten. Mergy konnte gerade noch ausweichen und die Energiewaffen der grünen Flieger trafen ihr eigenes Basisschiff. Wild um sich feuernd wusste Mergy, es gab nur ein Ziel: Durchhalten bis alle Daten beisammen waren. »Da ist einer unserer Gleiter innerhalb der Schilde des Mutterschiffes.«, gab Sab zu verstehen und deutete auf eines der riesigen Schiffe, während sie auf ihrem Beifliegersitz ansonsten nur tatenlos zusehen konnte und das Abwehrfeuer von Mergy entdeckte: »Warum feuert er dann nicht auf das Basisschiff?«


Der Gleiter rumpelte und einige Warnanzeigen leuchteten auf. »Nach hinten schießen wird sowieso überbewertet.«, blaffte Mergy heraus, als er den Ausfall der hinteren Geschütze bemerkte. »Da stimmt was mit der Übertragung nicht.«, erklärte Anja, die nicht wirklich verstand ob das jetzt gut oder schlecht war. Die Datenschirme stockten und gaben nur noch in kleineren Intervallen Informationen aus. »Scheint so als hätten wir alles. Wir bekommen nur noch Änderungen. Computer, die Repligen 1 und 2 auf Überlast konfigurieren.« In letzter Sekunde wich er einem Aufbau des riesigen Schiffes aus. Einer der Verfolger hatte nicht so viel Glück, rammte ihn, geriet ins trudeln und schlug an anderer Stelle ein. »Verdammt.«, gab Mergy zu verstehen. »Was ist?« »Ich hatte gehofft die Explosion der Repligens würde die Schilde deaktivieren. Dann halten wir uns an Plan B.«, erklärte Mergy, den Anja immer noch für Thomas hielt, der zufällig in diesen Gleiter gestolpert war. Komisch fand sie es schon wie selbstverständlich er mit dem Technikkram umging, aber er war immer schon ein Technikfreak gewesen und in Notfällen hatte ihr Chef ihn gerufen um Probleme zu lösen, weil er meist Zeit hatte und schnell eine Lösung fand.


Einmal hatte der Mitarbeiter der Computerfirma drei Stunden nach einem Problem gesucht und wollte der Praxis schon einen neuen Computer verkaufen, als Thomas zufällig als Patient ankam. Er konnte beim Doc auf der Station auch alles bekommen und musste dafür nicht einmal Gebühren bezahlen. Anja hatte davon natürlich keine Ahnung. Er machte diese Besuche nur, um mal wieder einen Blick auf die Frau seines Herzens zu erhaschen und ein paar Worte mir ihr zu wechseln. Natürlich gab es auch seiner irdischen Existens neue Nahrung, wenn man ihn im Ort sah. Hätte er ihr Auto nicht vor dem Gebäude stehen sehen, wäre er sofort umgekehrt und hätte seinen Besuch um einen weiteren Tag verschoben.


Die Praxis war damals brechend voll gewesen und ohne die technische Hilfe mussten sie alles umständlich von Hand notieren, später in die Maschine übertragen und Überstunden schieben. Thomas fragte nur kurz wo das Problem sei. Der Computertyp hatte noch einige abwertende Bemerkungen über sogenannte Hobbyexperten gemacht, als Thomas nur nach einen flachen Schraubendreher fragte. Keine zwei Sekunden später lief das Ding. »Eine neue Batterie haben sie ja wohl dabei. Wenn nicht, wäre das schon der zweite Anfängerfehler.«, hatte Thomas damals nur als Antwort auf die Gemeinheiten des sichtlich geknickten Fachmanns geantwortet. Der Techniker hatte zu seinem Glück eine neue Batterie dabei und nach nur zwei weiteren Minuten war der Rechner zugeschraubt und neu eingestellt.


Anja selbst, war Thomas auch schon aufgefallen, aber er war seltsam und machte nichts aus seinem Leben. Ihr Chef steckte ihm damals 50 Euro zu. Verglichen mit einem neuen Computer und der damit verbundenen weiteren Servicezeit war das ziemlich knauserig gewesen, aber so war er. Thomas war da komplett anders. Er drückte den Schein ohne zu zögern direkt in die Kaffeekassendose, die auf dem Tresen stand und meinte er wolle nur sein Rezept.


»Mal sehen welche Teile wichtig sind.«, gab Mergy an und transportierte blind allerlei Komponenten aus den Schiffssektionen, die die höchsten Energiewerte aufwiesen. Die Stücke ließ er dann hinter dem Gleiter wieder erscheinen, was für die Verfolger zu einem Problem wurde. Zwei der vier außerirdischen Angreifer zerlegte es schon nach dem ersten Teil. Naja eigentlich rammte der Erste das technisch aussehende Objekt und seine Teile dann den Zweiten. Plötzlich drangen wieder die Stimmen der anderen Piloten durch. Der Schild war ausgefallen und Mergy steuerte vom Mutterschiff weg, welches hinter ihnen in einer gewaltigen Explosion das Zeitliche segnete. »Ein Teil war wohl doch ziemlich wichtig.«, grinste er. Über die Datenschirme rauschten die vom Feind gewonnenen Daten. »Was passiert da jetzt?«, fragte Anja.


»Filesharing. Wir raubkopieren die Daten der Aliens auf alle Ray Team Einrichtungen die Speicher haben. Hoffentlich können die damit was anfangen.«, erklärte Thomas alias Mergy. Einige der kleinen feindlichen Schiffe folgten ihnen und Mergy hatte Mühe sie ohne die hinteren Geschütze im Zaum zu halten. Anscheinend waren sie ziemlich sauer über den Verlust des Schiffes und nahmen die Sache persönlich. Anja schrie auf und Mergy konnte einen Angreifer sehen, der direkt auf ihre Seite zusteuerte und den Kampfgleiter seitlich rammen wollte. Mit einer Rolle änderte er die Seite, während die restlichen Geschütze das feindliche Schiff ins Visier nahmen. Das grünliche Objekt bohrte sich nun auf Mergys Seite durch die Tür in den schon schwer angeschlagenen Gleiter. Mergy zuckte als Teile von beiden Schiffen sich in seinen Körper schnitten und verlor das Bewusstsein.


Die Zerstörung der Mutterschiffe brachte die Angreifer dazu die Taktik zu ändern. Jetzt feuerten auch die großen Kreuzer und bewegten sich in das Kampfgebiet, welches vorher noch durch Erde, Station und Alienflotte klar abgesteckt war. Die kleineren Geschütztürme waren kein großes Problem, aber sie hatten eine gigantische Strahlenwaffe am Bug und die zerschnitt die Gleiter wie ein heißes Messer ein Stück warme Butter. Mays Gleiter wurde als einer der Ersten von dem mächtigen Strahl getroffen. Noch während sie sich aus dem Gleiter transportierte, schnitt der Strahl durch den Gleiter und traf die rechte Hälfte ihres Körpers. Mit einem lauten und schmerzerfüllten Schrei fiel sie in der Krankenstation der Länge nach auf den Boden und blieb regungslos liegen. Die rechte Körperhälfte war schwarz als wäre sie gerade durch einen Ascheregen gelaufen und ihre Kleidung, oder das was an der rechten Körperseite davon noch übrig war, dampfte regelrecht auf den Resten ihrer Haut. Die Hälften ihres Gleiters schwebten derweil rotierend direkt vor dem Fenster der internationalen Station vorbei, wo einer der Astronauten die Raumschlacht immer noch filmte. Es war offensichtlich, wem das, der Länge nach zerschnittene lila, Fluggefährt mit dem Mangaaufdruck gehörte. Er kannte das Mädchen persönlich und auch viele der anderen Menschen, die gerade da draußen um das Überleben des Planeten kämpften, hatte er zumindest schon einmal vorbeifliegen sehen. Wortlos und bedrückt dokumentierte er die Geschehnisse vor seinem Fenster, wohl wissend, sonst nichts anderes tun zu können.


»Wir empfangen Daten.«, meldete Trish und Sab hatte wieder etwas zu tun. »Die Daten kommen von so ziemlich jedem Dataport. Transport ID FG6104. Das ist Sukis Gleiter. Die Daten stammen von den Aliens.«, erklärte Sab erstaunt, während Trish die feindlichen Jäger mit der maximalen Feuerkraft von Kampfgleiter 1 abwehrte. »Sab an Tin. Die Daten enthalten Informationen über die Feinde. Jaque sollte die analysieren.«, kontaktierte sie Tin über die Kommunikation wohl wissend, keine Antwort zu bekommen. Die Krankenstation befand sich immer noch getarnt im Kampfgebiet und wäre ein einfaches Ziel geworden, wenn man ihre Position hätte ausmachen können. »Ich denke sie war schneller als du. Ein Satellit verteilt gerade neue Waffenkonfigurationen.« »Dann sollten wir zuschlagen, bevor die unsere Anpassungen bemerken. An alle Gleiter. Neue Waffenkonfiguration aktivieren und Primärfeuer auf die großen Schlachtschiffe eröffnen.« Sofort regnete es Torpedos, nur dieses Mal zeigten sie Wirkung. Vier Torpedos reichten und eines der Mutterschiffe explodierte so gewaltig, dass einige dicht vorbeifliegende Jäger erfasst wurden und selbst zu Geschossen wurden. Trish flog den sowieso überbewaffneten und mit experimentellen Equipment ausgestatteten Kampfgleiter 1 mit Dauerfeuer über die Armada aus über 100 Schiffen, deren Anzahl sich jetzt wie ein geplantes Feuerwerk im Sekundentakt reduzierte.


»Thomas? Thomas!«, rief Anja, als sie nach dem Einschlag wieder klar denken konnte. Sie hatte ihren Kopf beim Einschlag hart an der Gleiterscheibe gestoßen. Als sie sich zu ihm herüber beugte, sah sie das viele Blut. Sie fühlte seinen Puls und er war schwach. Wie ein Zeichen des Himmels tropfte etwas Blut von seinem Körper auf ein leuchtendes Schlangensymbol, den Asklepiosstab, das Zeichen der Medizinischer, welches Anja schon ihres Berufes wegen mehr als nur bekannt war. Anja drückte den leuchtenden Knopf zwischen den beiden Sitzen und ein Autodoc sprang aus seiner Halterung. Sie öffnete die Kiste im Glauben es sei eine Art moderner Verbandskasten. Das sie eigentlich einen portablen Arzt in der Hand hielt, der so etwas wie Ferndiagnosen stellte, konnte sie natürlich nicht wissen.


»Körperteil des Patienten einlegen.«, erklärte sich der Autodoc und Anja folgte den akustischen und holographischen Anweisungen. »Exoprothesen werden nicht unterstützt.«, bekam sie als Antwort als sie seinen rechten Arm in die Kiste drückte. Sie hatte keine Wahl und hob mühsam sein Bein an, um die Kiste unter ihm durchzuschieben und zu verschließen. Die linke Körperhälfte war durch die Trümmer für sie unerreichbar. »Medizinisches Personal erforderlich. Stasemodus wird empfohlen.«


Ohne das Anja einen Scan durchführen musste, hatte er Computer des Autodocs schon die Schwere der Verletzung am Blutdruck und Puls erkannt und ein Feld mit entsprechender Beschriftung begann zu blinken. Anja aktivierte die Funktion und wenige Sekunden später war Thomas komplett auf seinem Sitz eingefroren und das Bedienfeld des Autodocs war Teil des Eises geworden. Genau wie die junge Frau auf dem Rücksitz war er nun ebenfalls erstarrt.


»Was meinte das Ding mit Exoprothese? Das war ein normaler menschlicher Arm.«, fragte sich Anja, die in ihrem Wrack zusammen mit dem feindlichen Flieger rotierend weiter vom Kampfgeschehen weg ins Dunkel des Alls trieb. Sie schaute sich im Gleiter um. Die einzigen Geräte die noch zu funktionieren schien waren die Autodocs der beiden Patienten. Der Rest der Gleitertechnik war komplett ausgefallen. Alle Anzeigen waren erloschen und auch der, vor dem Einschlag zu vernehmende Funkverkehr, war nicht mehr zu hören.


»Sie ziehen sich zurück.« »Nicht heute!«, erwiderte Sab mit einem scharfen Unterton, der vor Rache nur so sprühte und forderte die Gleiter auf, die abdrehenden Schiffe an der Flucht zu hindern und zu vernichten.

Aufbruch zu den Sternen

Nach einigen weiteren Minuten war der Kampf um die Erde endgültig zu Ende. Es wurden noch einige Sicherheitsabtastungen der Trümmerfelder gemacht und dann enttarnte Tin die Krankenstation. Trish landete den Gleiter auf ihr. »Wie sieht es aus?«, fragte Sab direkt bei der Ankunft im Untergeschoss. Auf dem Krankendeck lagen viele der Piloten und die vielen Verletzten waren schon an den vom Schmerz erzeugten Geräuschen zu erkennen. »Ich hab die restlichen Gleiter angewiesen nach Überlebenden zu suchen.«, erklärte Tin, während sie sich mit den Beiden erneut ein Stockwerk höher in den Konferenzraum begab: »Wenn wir fertig sind treiben wir die Trümmer Richtung Sonne.« »Das ist schön, aber wie geht es weiter?«, fragte Trish mit gesenkter Stimme. Es war auch ihr Baby, das hier nur noch aus Trümmern bestehend im All taumelte. »Wir haben noch die Krankenstation, 22 Gleiter, 4 Satelliten und alle 23 Frachtcontainer.«, meldete Tin die ernüchternde Bilanz. »Wie viele Piloten haben wir verloren?«, fragte Trish die Frage der Fragen. »Ich weiß es nicht. Die sind verstreut auf der Krankenstation und den Gleitern.«, gab Tin an.

 

»Gut, lass alle Piloten eine Meldung bei Jaque machen. Sie sollen auch den Zustands ihres Gleiters melden sofern noch vorhanden. Die Piloten auf der Station können wir mit einem Scan erfassen.«, führte Trish die Sache sachlich weiter. »Hat jemand Mergy kontaktiert? Den hätten wir gut gebrauchen können.«, fragte Tin, aber niemand hatte die Zeit gefunden oder auch nur daran gedacht ihn abholen lassen. »Sol hat einen fluguntauglichen Gleiter mit drei Überlebenden gefunden. Laut Scan, Suki, Mergy und eine dritte unbekannte Person an Bord. Unsere Leute hängen eingefroren an einem AutoDoc.«, gab Jaque für alle hörbar zu verstehen. »Mergy? Sol soll die drei in seinen Gleiter transportieren und herbringen.« »Sol meldet das es nicht möglich sei. Ich stelle Bildübertragung her.«, fügte Jaque an und über dem Tisch erschien ein Bild des Kampfgleiters, in dem ein Alienjäger steckte, der wiederum teilweise in Mergy steckte.

 

Mit einem Transportring hatte der Pilot Anja in den Gleiter geholt, die sich verwirrt umsah. Der Autodoc vom Rücksitz wurde ebenfalls in seinen Gleiter geborgen. »Keine Angst. Ich bin Sol. Wer sind sie?«, fragte er. »Ich bin Anja Nieland. Ich bin mit Thomas - Wo ist Thomas?«, fragte Anja, als sie bemerkte, dass nur Suki auf dem Rücksitz lag. »Er ist noch im Gleiter. Ich kann ihn nicht transportieren ohne sein Leben zu gefährden.«, erklärte Sol und nahm das Gleiterkuddelmuddel ins Schlepptau. Über dem fliegenden Hospital transportierte er die Passagiere in den Behandlungsraum, wo Anja direkt auf ihren Hintern fiel, weil sie in sitzender Position in der Transporterzone landete und es dort aber eben keinen Sitz mehr gab. Schon wieder war sie für einen Moment orientierungslos.

 

»Los hilf mir sie wegzuschieben.«, rief Stiff ihr zu, der wohl in der Hektik gar nicht bemerkte, einer komplett unbekannten Frau Anweisungen zu geben. Gemeinsam schoben sie den kalten Block mit Suki aus der Transporterzone in eine Ecke, wo schon einige andere Piloten gestapelt lagen, während der Doc sich auf dem Dach einen ersten Eindruck von Mergy verschaffte, dessen Trümmerklumpen bereits auf dem kümmerlichen Rest der Ray Team Station abgestellt wurde.

 

Sab, Trish und Tin konnten nicht umhin, sich das ebenfalls aus der Nähe anzusehen. »Unglaublich. Die Navigationsschilde halten den Gleiter immer noch dicht.«, gab Sab zu verstehen »Das sie überhaupt noch funktionieren ist ein Wunder.«, merkte Tin an. Der Doc erklärte, der Autodoc hätte korrekt gearbeitet habe und man könne alle nicht gefrorenen Teile der Trümmer gefahrlos abschneiden. Tin bestand darauf diese Aktion in einiger Entfernung durchzuführen. Beide Transportmittel waren ziemlich beschädigt und bereits jetzt würde von dem Wrack eine große Gefahr für die Krankenstation ausgehen, denn schließlich parkte der Trümmerberg innerhalb der Schilde und eine Explosion hätte fatale Folgen.

 

Sol nahm das Paket wieder an den Greifstrahl und schleppte es ab. Tin flog mit ihm und übernahm die Transporterkontrolle. Es war nicht so einfach dem Computer klar zu machen, er solle Teile weglassen. Es wäre schließlich bei einem normalen Transport tödlich oder zumindest unerfreulich, wenn man am Zielort ohne Beine oder Arme auftauchen würde. So musste sie die Transporterdaten manuell schrumpfen. Ein Testtransport im All schnitt Mergys Block mit Teilen des Alienschiffes aus dem Trümmerhaufen. Sie nahmen den deutlich kleineren Block, der aber immer noch zu groß für das Innere eines Gleiters war, ins Schlepp um ihn wenige Sekunden später in die Krankenstation zu transportieren. Dort nahm die Kommandocrew den kalten Klumpen entgegen. Der Doc meinte es wäre besser die Blöcke eingefroren zu lassen, bis mehr Ruhe eingekehrt sei.

 

Momentan seien die Patienten in Sicherheit. Anja war bereits bei der Arbeit und versorgte die Verletzten. Offensichtlich hatte ihr jemand grob gezeigt, wie die in den Tischen eingebauten medizinischen Geräte funktionierten. »Wer ist das?«, fragte der Doc neugierig: »Sie stellt sich nicht dumm an.« »Die Frau war mit Mergy im Gleiter. Ich denke wir sollten das Mergy-Protokoll aktivieren, bis wir mehr wissen.«, erklärte Sab. Das Protokoll, welches eigentlich Personenidentitätsprotokoll hieß, war dazu gedacht die Identität eines Mitglieds genau in solchen Situationen zu schützen. Alle Ray Team Mitglieder wurden somit über die Anzeigen in den Kontaktlinsen und Brillen informiert. Mergy durfte jetzt nur noch als Thomas angesprochen werden, bis eine entsprechende gegenteilige Meldung verkündet würde.

 

Im Konferenzraum hatte Jaque neue Informationen. »Wirklich alle?«, fragte Trish fast triumphierend nach und Jaque bestätigte. »Wie ist das möglich?«, fragte Sab unsicher nach. »Die Notfalltransporter haben ganze Arbeit geleistet.«, erklärte Jaque. »Ja, aber die sind nicht für den Weltraum gedacht. Es gab doch keine Station oder ein anderes Transportziel in Reichweite und die Krankenstation konnte ihre Position nicht übermitteln, sonst hätte man sie orten können.«, fügte Sab hinzu. »Das kann ich erklären. Ich habe durch die Tarnung hindurch eine optische Verbindung mit einigen der Satelliten hergestellt. Nicht sehr stabil und nicht sehr schnell, aber ausreichend um Koordinaten und neue Waffenkonfigurationen zu übertragen. Der Satellit hat die Informationen dann wie eine Relaisstation per Funk weitergesendet und das fiel nicht weiter auf. Alles weitere lief über das normale Dataport-Netzwerk.«, gab Tin ihren Kollegen die Erklärung für die erfolgreiche Zielpeilung der Transporter.

 

»Trotzdem hatten wir viel Glück. Bei dem Gemetzel ist es ein Wunder. Wir hätten so viele von ihnen verlieren können.«, war Sab sichtlich erleichtert und ungewohnt emotional engagiert. »Noch sind nicht alle Piloten versorgt und über den Berg.«, gab Trish zu bedenken. »Wo steckt eigentlich May?«, fragte Trish schließlich. »Mays Gleiter wurde von einer der Hauptwaffen der Mutterschiffe getroffen, während sie sich heraus transportiert hat. Sie hat eine Art Strahlenverbrennung auf fast 50% ihres Körpers. Die normale medizinische Regeneration funktioniert nicht. Es sieht aktuell nicht gut aus. Doc und Sandra suchen noch nach einer Lösung. Sie liegt in Krankenzimmer 1, wenn ihr sie besuchen wollt, aber es ist kein schöner Anblick.« Tins Stimme war schlagartig bedrückt und traurig. Es fiel ihr schwer diese Worte so direkt auszusprechen. Sab und Trish waren ebenfalls sichtlich geschockt von dieser Mitteilung, war May doch eigentlich immer mit mehr oder weniger geringen Verletzungen wie ein Stehaufmännchen aus jeder Situation hervorgegangen und jetzt bekamen sie diese schreckliche Nachricht.

 

»Was machen wir jetzt?«, kam Sab aber dann doch zur ursprünglichen Frage zurück. »Darüber habe ich auch schon nachgedacht. Auf die Erde können wir nicht und wenn wir auf den Mond ziehen, dann wären wir bei einem etwaigen erneuten Angriff ziemlich leichte Beute.«, erklärte Trish. »Ich denke das Orakel hat uns eine weitere Möglichkeit offen gehalten beziehungsweise geöffnet.«, gab Tin zu verstehen: »Die SSEs wurden in alle unsere Antriebe integriert. Wir fliegen aus dem Sonnensystem und suchen uns ein schattiges Plätzchen zum Verstecken. Dort bauen wir unser Lager und unsere Flotte wieder auf.« »Bist du sicher? Ich meine funktionieren diese Emitter denn überhaupt? Die Teile sind schließlich noch nie über lange Strecken getestet worden.«, hegte Sab Zweifel an dem Plan und dessen Durchführung.

 

»Das werden wir wohl gemeinsam herausfinden müssen.« Die Drei beschlossen nach einigem weiteren hin und her es so zu machen und dem Orakel zu vertrauen, obwohl man sich fragte warum das Orakel sie nicht vor der Gefahr selbst gewarnt hatte. Einige der verbliebenen Gleiter feuerten Gravitationstorpedos in die Trümmerfelder und steuerten so Bewegung der Trümmer Richtung Sonne. Außerdem wurden die Wrackteile der Satelliten und der auf der Erde abgestürzten Gleiter und Alienschiffe geborgen, um keine Technologie zurück zu lassen. Mit einem abschließenden Scan durch die verbliebenen Satelliten wurde noch einmal geprüft ob sich außerirdische Schiffe auf dem Planeten oder in dessen Umgebung versteckten. Dann wurden auch die verbliebenen Satelliten an Bord geholt und abgeschaltet.

 

Tin teilte den Piloten mit wie man die Emitter aktivierte und schon waren sie unterwegs in die Tiefen des Alls. Zum ersten Mal erblickten auch die Piloten das, was Tin als Unterraum bezeichnete. Die Schicht die Raum und Zeit von einander trennte. May hatte Tin einmal über den Unterraum ausgefragt. Sie hatte ihr ein halbes Hühnerei aus Holz repliziert. Mit Jahresringen wie bei einem Baum. Die Schale des Eies, so erklärte die Technikerin, wäre der normale Raum und der Weg zur anderen Seite sehr lang. Wenn man die Emitter aktivieren und in den Unterraum eintauchen würde, spränge man Senkrecht von Jahresring zu Jahresring in das Ei Universum.

 

Je mehr Energie und je effektiver der Emitter, desto tiefer. Die Tiefe war laut Tin entscheidend. Wenn man jetzt dem Jahresring um das Ei folgte war der Weg deutlich kürzer als noch zuvor über die Schale. Das Eigelb wäre vergleichbar mit der Zeit und würde eigentlich wieder ein eigenes Ei darstellen. Also wieder der normale Raum, aber eben zeitlich einen winzigen Bruchteil in der Vergangenheit. May musste sich die Komplexität der Unterraumtechnologie damals selbst eingestehen.

 

Tin hatte ihrerseits eingeräumt, ihr Beispiel wäre, speziell beim Übergang in die Zeit, nicht ganz akurat und die Erklärung sogar von ihr ziemlich vereinfacht worden. Mehr als ein rotes Wabern war aktuell durch die Fenster nicht zu sehen. Tin meinte die Farbe würde durch das Lichtspektrum aus dem Normalraum erzeugt und das, was man leuchten sähe, wäre eine Art Plasma. Bei höheren Geschwindigkeiten, also dem tieferen Eindringen in den Unterraum, würde sich die Farbe ändern, aber genau wusste sie das auch nicht, da es nie wirklich probiert wurde. Das obere Deck der Krankenstation wurde mit Ausnahme vom Konferenzraum und der Brücke für die Piloten freigegeben. In den leeren Zimmern konnten sie sich ausruhen und die Duschen nutzen.

 

Allerdings mussten sie sich die Räumlichkeiten stark einteilen, da die Räume und Lager nicht für über 200 Personen ausgelegt waren, sondern nur für maximal 12 Dauerpatienten und das Personal. Die beschädigten Gleiter durften auf dem Dach der neuen Zentrale landen und wurden von einigen Repligen während des Fluges hergerichtet. Keine drei Stunden nachdem sie die Erde verlassen hatten, waren alle zweiundzwanzig Gleiter vollständig repariert, getestet und wieder voll einsatzfähig. Wie ein Konvoi von Flüchtlingen flogen die Schiffe durch den roten Raum. Erst einige Gleiter, dann die gewaltige Krankenstation flankiert von weiteren Gleitern und hinten die großen Frachtcontainer, die von Grablings gezogen und von den restlichen Gleitern umringt wurden.

 

Sab und Trish sahen nach den Verletzten im Krankenbereich. Der Doc und die vielen Piloten mit erweiterter medizinischer Ausbildung taten ihr bestes und nahmen die beiden Besucher gar nicht wahr. Auch Anja war zur Vollkraft gewachsen und kümmerte sich mit viel Engagement um die Patienten. Sie hatte nicht nur eindeutig medizinisches Basiswissen, sondern wusste auch mit den Patienten auf menschlichen Ebene umzugehen. Das war beiden sofort klar. Daneen machte sich ebenfalls nützlich so gut es ging, aber viel mehr als gut zusprechen und die Patienten mit Decken, Wasser oder heißem Tee zu versorgen, war ihr nicht möglich, da sie bisher nur einfache Behandlungstechniken, wie das Schließen kleinerer Wunden, gelernt hatte. Sie schauten auch ins Krankenzimmer, wo Reiko bei May am Bett saß. Die Haut von May sah nicht mehr so schlimm, wie bei ihrer Ankunft, aus, aber immer noch schlimm genug, um den beiden einen Stich ins Herz zu verpassen. Reiko hielt ihre unverletzte Hand und es liefen ihr Tränen die Wange hinunter. Als sie die beiden sah, sprang sie auf: »Warum habt ihr das zugelassen? Warum?«

 

Mit ihren Fäusten schlug sie immer wiederholt gehen die Schultern der beiden Kommander, die selbst mit der Situation ebenfalls sichtlich überfordert waren. Trish griff ihre Hand bevor sie erneut zuschlagen konnte und zog Reiko an sich heran. Erst jetzt bemerkte die aufgebrachte Mutter, den vertränten Blick von Trish. Sie weinte und aus dem Angriff wurde eine gegenseitig tröstende Umarmung. »May hat die Entscheidung, hinauszufliegen und um den Planeten zu kämpfen, selbst getroffen.«, brachte Sab ebenfalls zutiefst bestürzt heraus: »Wie hätten wir sie auch aufhalten sollen? Sie kennen doch May.« Sab war nicht weniger betroffen vom Zustand des Stationskükens und das zeigte sie für ihre Verhältnisse überdeutlich. »Wir werden alles tun, damit sie wieder gesund und ganz die Alte wird. Wir haben sie doch alle gern.«, fügte Trish hinzu und drückte die besorgte Mutter noch einmal fest an sich.

 

Tin erklärte über Lautsprecher und Funk dem restlichen Personal die aktuelle Lage. Außerdem bat sie Trish, Sab und Daneen in den Konferenzraum. »Wir haben neue Informationen.«, verkündete Tin noch bevor alle saßen. »Die Datensammlung, die, wir von den Draken bekommen haben und, wenn ich das mal so formulieren darf, in einer ziemlich wilden Aktion von Mergy beschafft wurde, beinhaltet einfach alles. Die Rasse, die uns angegriffen hat, nennt sich Draken. Eine sehr aggressive Rasse, die Planeten erobert und die Ressourcen zum Bau neuer Schiffe nutzt, bevor sie ihn wegschmeißt wie eine alte Dose. Das angegriffene Volk wird mit Waffengewalt dezimiert und unterworfen. Bestehende Herrschersysteme werden beibehalten und eine Marionetten Regierung macht aus der Versklavung eine Art Arbeitslager zur Rettung der eigenen Art.«, erklärte sie weiter und zeigte einige Bilder der Wesen auf dem Holoschirm. »Sind das Echsen?«, fragte Daneen auf den Bildschirm deutend.

 

Weiteres Bildmaterial, welches Jaque aus den Daten ermittelt hatte, wurde von Tin aufgerufen. So konnten sie die Feinde zum ersten Mal in Aktion sehen. Sie sahen wirklich aus wie grüne schuppige Echsen, fast wie Krokodile, waren aber geschäftig wie ein Stamm Ameisen. Wenn man den Schwanz mit einrechnete waren sie etwa drei Meter lang. »Sie haben auch andere Welten angegriffen?«, fragte Sab nach.

 

»Ja, in der Datenbank finden sich 15 Völker die momentan von ihnen ausgebeutet werden. Es scheinen aber nicht alle Welten zu sein. Es sind eine Menge Daten. Hunderte Welten wurden bereits ausradiert. Sie haben auch Informationen über die Erde gesammelt. Die neusten Informationen sind ein paar Jahre alt, daher haben die wohl nicht mit unserer Gegenwehr gerechnet. Wahrscheinlich haben sie Sonden oder Erkundungsschiffe in unser Sonnensystem geschickt und die Erdsignale aufgezeichnet.«, berichtete Tin weiter: »Die Flottengröße für eine Invasion umfasst immer 127 Schiffe. Zumindest laut ihren Datenbanken hat es bisher noch nie ein Volk geschafft sich erfolgreich zu verteidigen.«

 

»Es war auch bei uns ziemlich knapp. Ohne diese Informationen hätten auch wir die Segel streichen müssen.« »Ich habe auch technische Daten zu ihren Schiffen gefunden. Einiges ist sehr interessant, anderes ist selbst für uns veraltet. Transporter und Repligen Technologien kennen sie nicht, dafür sind ihre Waffen und Energiesysteme beeindruckend kompakt und wirkungsvoll.«

 

»Mich würde mehr interessieren, was wir nun machen? Die derzeitige Situation erinnert mich mehr an Flüchtlingslager.«, muffelte Sab. Die Lage auf der kleinen Krankenstation war auch ziemlich niederschmetternd. Die Anzahl der Betten in den Räumen war aufgestockt worden, trotzdem mussten einige Betten in den Gängen und leeren Lagerräumen aufgebaut werden. Die wenigen sanitären Einrichtungen wurden stark frequentiert, Räume zum Essen gab es auch nicht. Die, im Vergleich zur alten Station winzige, Krankenstation war am Limit ihrer Leistungsfähigkeit, was die Versorgung des Personals anging. »Wir sind ja auch Flüchtlinge.«, gab Trish zu verstehen: »Vielleicht hätten wir uns doch einfach ein Stück Wüste nehmen sollen, wie May es damals gemacht hat.«

 

»Mays Basis wäre über kurz oder lang aufgeflogen und dann wären sie wieder auf der Flucht gewesen, oder sie hätten einen globalen Konflikt ausgelöst, weil jedes Land die Technologien für sich hätte haben wollen.«, erläuterte Sab. Tin erklärte ihren Plan auf einem großen Brocken in der Oortschen Wolke eine Basis aufzuschlagen. In einem Lagerraum würden bereits Repligen Kopien von sich erstellen, sodass Quartiere und die Grundversorgung schnell gewährleistet sei. »Wenn wir einen Stein finden, der passt, dann haben wir maximal vier Stunden später ein funktionstüchtiges Habitat. Einige Stunden später könnten wir bereits beginnen neue Gleiter zu bauen.«, erklärte Tin.

 

»Diesmal will ich alles eingebaut haben, was wir haben. Nur das gute Zeug. Ich bin es leid immer den Kürzeren zu ziehen. Ich will alles an Waffen und Reaktoren in den Gleitern was geht und wir sollten Mantas produzieren.«, kam eine Stimme aus Richtung Tür. Es war Mergy, der noch nicht wirklich fit, dafür aber um so wütender aussah. Die Station selbst war schon mehrfach und ohne die Einwirkung von Außerirdischen komplett ausgefallen, daher war die jetzige Situation ja wohl mehr der Supergau. »Du solltest bestimmt nicht hier sein!« »Das habe ich heute schon mal gehört.«, blaffte Mergy zurück und setzte oder vielmehr fiel mit einem Schmerz verzerrtem Gesicht in den Sessel, während er sich die Seite hielt.

 

»Die Mantas sollten, nicht zuletzt dank der bereits existierenden Pläne, kein Problem sein. Mit den neuen Komponenten der Transporterklasse dürften sie schnell einsatzfähig sein.«, stimmte Tin zu. »Und wir müssen größer denken.«, fügte Mergy an: »Wir brauchen Kreuzer mit Gleitern oder besser Mantas an Bord.« »Willst du jetzt mit der gesamten Galaxis einen Krieg anfangen?«, fragte Sab erstaunt. »Verstehst du nicht? Wir sind doch schon mitten in einem Krieg. Diese Draken werden wieder kommen und wenn nicht die Draken, dann andere Völker, die meinen bei uns die Technologie zu finden, die sie brauchen um die Draken zu besiegen. Wollt ihr diese Völker jedes mal an der Haustür empfangen?«, fügte Mergy hinzu. Seine Stimme war von Wut und Zorn durchflutet. Niemand im Raum hatte ihn bisher so gesehen und das obwohl er schon mehrmals ziemlich laut geworden war. Das eine Mal als er Tin für den Absturz von May verantwortlich gemacht hatte, war zwar auch nicht ohne, hatte aber mehr auf persönlicher Ebene eingeschlagen.

 

»Nur mal kurz austreten, was?«, kam der Doc nicht weniger sauer durch die Tür gestürmt und noch bevor Mergy etwas sagen konnte, bekam er auch schon ein Betäubungsmittel in den Hals und sackte in seinem Stuhl zusammen: »Strenge Bettruhe heißt Bettruhe! Strenge Bettruhe! Ich trage die Verantwortung und erwarte entsprechenden Respekt.« Der Doc war eigentlich immer ziemlich friedlich, aber auch er war auf Krawall gebürstet und rollte Mergy mit samt dem Stuhl aus dem Raum. »Was war das denn?«, fragte Sab und schaute dem Paketboten hinterher. »Er fühlt sich oft übergangen.«, gab die sonst so schweigsame und nur beobachtende Daneen zu verstehen und zog schlagartig die Aufmerksamkeit aller auf sich. »Naja, er darf zwar an diesem Tisch sitzen und auch seine Meinung zu Entscheidungen tätigen, aber wenn jemand verletzt wird und er wirklich in seinem Fachgebiet etwas zu sagen hat, dann wird er von euch ignoriert.«, führte sie aus. »Wir haben ihm doch noch nie in seine Behandlung geredet!«, widersprach Tin.

 

»Doch, genauso wie Mergy gerade. Ihr lasst euch zusammenflicken, aber danach lasst ihr ihn einfach stehen, bevor er wirklich fertig ist. Ihr würdet nie jemanden mit einem ungetesteten Gleiter fliegen lassen, aber ihr verschwindet, bevor der Doc euch zu Ende behandelt hat. Er euch getestet hat. May hat mir erklärt, ein Kommander wäre in erster Linie ein Vorbild für die anderen Piloten, aber was für ein Vorbild seid ihr, wenn ihr euch so rücksichtslos verhaltet. Da könnt ihr ja auch gleich eine Maschine aufstellen, in die man das beschädigte Körperteil steckt und es heil wieder herauszieht.«, erläuterte Daneen in direktem und vorwurfsvollem Ton ihre Ansicht der Lage.

 

Ihre Kollegen mussten einsehen, dass sie recht hatte. Der Doc war immer da und wurde wie eine Maschine genutzt und manchmal auch so behandelt. Trish hatte anfangs große Bedenken gehabt, was Daneen anging. Aber die Arbeit, die sie bisher abgeliefert hatte, ihre Einstellung und die frische Sicht der Dinge gefielen ihr. Sie war eigentlich immer darauf bedacht das Menschliche, das Menschsein nicht außer acht geraten zu lassen. Die Art und Weise wie der Doc von ihnen behandelt wurde, war selbst ihr nicht aufgefallen. Ja, sie selbst konnte sich an Situationen erinnern, wo sie ihn ignoriert hatte und das beschämte sie zutiefst.

 

»Danke Daneen. Wenn ich mich so umsehe, stelle ich fest, nicht nur selbst da wohl des öfteren Mist gebaut zu haben. Aber auch wenn das jetzt hart klingt, wir haben wichtigere Dinge zu besprechen. Mergy hat einige Punkte aufgeworfen, die ich nachvollziehen kann. Auch was die großen Kreuzer angeht.«, bedankte sich Sab und ging zur Tagesordnung über. »Wozu brauchen wir Kreuzer? Die fressen doch nur unsere Energiereserven.«, fragte Trish nach. »Wenn wir jetzt auch noch am Rande des Sonnensystems nach potentiellen Feinden von außen Ausschau halten müssen, dann sollten wir dort eine Basis haben. Es macht keinen Sinn mit zehn Gleitern da raus zu fliegen und nach acht Stunden die nächsten Zehn zum Schichtwechsel zu entsenden. Seht die Teile einfach als mobile Station. Wenn wir jetzt nur einen hätten wären 90% unserer Probleme auf einen Schlag verschwunden.«, erklärte sie weiter.

 

»Und wie soll so ein Kreuzer aussehen?«, fragte Tin. »In Fernsehserien waren schon immer schon große Raumschiffe mit eigenen seitlichen Flugdecks und allem was dazu gehört. Nimm einfach so einen Grundaufbau und passe ihn an unsere Notwendigkeiten und Technik an. Platz für vierzig Mantas, alles was zur Wartung nötig ist, 60 Quartiere, Kantine, ein paar Lagerräume und den Rest füllst du mit Waffen aus. Das wird schließlich kein Freizeitdampfer.«, stellte Sab ihre Vorstellung eines Kriegsschiffes vor.

 

»Gut, wenn Form und Aussehen egal sind, lässt sich recht schnell was zaubern. Die technische Umsetzung kann Jaque entwerfen.«, führte Tin aus: »Hier ist mein Entwurf für unser temporäres Habitat.« Über dem Tisch erschien eine dreidimensionale holographische Anzeige eines kleinen Militärkomplexes. Wohncontainer, Kantine und Krankenstation waren zu einem Gebäude verbunden. Vier Schildgeneratoren schützten mit einer Kuppel das gesamte Areal. Auf der anderen Seite des Platzes eine Kommandozentrale. »Ich hab die Gleiter auf Sichtkommunikation umgestellt. Die Multifunktionscontroller laufen auf Minimalleistung und funktionieren nur noch im Innenbereich. Ich hoffe so die von uns erzeugten Strahlungsquellen so minimieren.« »Sichtkommunikation?«, fragte Sab nach. »Alle Gleiter senden ihre Informationen in einem direkten Lichtstahl an Gleiter oder die Basis. Im Prinzip wie bei dem Satelliten, nur etwas stabiler. Haben die Gleiter schon länger, wurde aber bisher nie benötigt.«, erklärte Tin. »Verstehe. Gute Arbeit.«, lobte Sab ihre Mitarbeiterin, denn sie hatte immer noch die mahnenden Worte von Daneen im Ohr.

 

May wurde derweil in den Saal geschoben und von dem Bett auf einen Tisch gelegt, der speziell angepasst wurde. Zwei große Platten, die wie Teile einer dicken Plastiktonne wirkten, begannen ratternd um das kleine Mädchen und den Tisch zu rotieren und ein Lichtstahl begann sich von oben nach unten vor zu arbeiten. Sandra überwachte die Aktion, während sich der Doc an einem zweiten Schirm Bilder vom Scan ansah. Reiko stand unruhig in einigem Abstand daneben. »Wie sieht es aus?«, fragte Sandra aut über den Krach hinweg. »Nichts.«, erwiderte der Doc in gleicher Lautstärke. »Ich erhöhe die Leistung.«, verkündete Sandra während, man mittlerweile wohl einen Arm verlieren würde, wenn man nach May greifen würde, denn die provisorische Maschine rotierte mittlerweile der Lautstärke entsprechend schnell.

 

»Es funktioniert. Die Zellen beginnen sich zu stabilisieren.«, lächelte der Doc erleichtert und Sandra pustete sich ebenfalls die Anspannung aus dem Körper. »Zwei Minuten, dann sollten wir dem Körper Zeit geben sich zu erholen. Wir sollten ermitteln, welche Intervalle optimal sind.« Der Doc stimmte ihrer Meinung zu und stellte die abgesprochene Behandlungsdauer an der Maschine ein. »Wird sie wieder gesund?«, fragte eine Stimme von einer der anderen Liegen, die noch belegt waren. Anja, drehte sich um. Die Stimme gehörte zu Suki, die aufgewacht war und die Szenerie beobachtet hatte. »Sie wurde wirklich schwer verletzt. Der Doc macht sich große Sorgen um sie, aber es scheint als hätten die Beiden gerade etwas gefunden, um ihr helfen.«, konnte Anja nur vage eine Auskunft geben, während Suki sich schon mit der Frage quälte, wer die Frau eigentlich war, die ihr Antwort gab.

 

»Bist du neu hier?«, fragte Suki mit kratziger Stimme. »Nein nicht wirklich, ich bin hier nur zufällig hineingeraten und jetzt sitze ich hier wohl fürs erste fest. Ich bin Anja.«, lächelte die vormals unbekannte Krankenschwester ihr zu und reichte ihr ein Glas Wasser. »Danke. Ich bin Suki. Wieso sitzt du hier fest? Es wird doch wohl ein Gleiter zur Verfügung stehen, um dich nach Hause zu bringen.« Suki hatte offensichtlich keine Ahnung was in der Zwischenzeit so alles passiert war. Wie sollte sie auch.

 

»Der Kampf lief nicht so gut. Es war sehr knapp.«, erklärte Anja das, was sie gesehen und von den anderen Piloten und Kommandern aufgeschnappt hatte: »Die Raumstation und die meisten Gleiter wurden zerstört. Wir sind auch nicht mehr in der Nähe der Erde. Wir fliegen von ihr weg.« »Nein, das kann nicht sein.«, versuchte sich Suki entsetzt aufzurichten, aber ihr Körper fügte ihr heftige Schmerzen einer Wunde zu, die sie schon länger nicht mehr hatte. Sie hielt sich krampfhaft ihre Seite und Anja schaute nach. Natürlich war da nichts mehr zu sehen, aber das wusste sie nicht. »So fühlen sich diese Phantomschmerzen also an. Toll.«, fiel Suki schmerzverzerrt wieder in ihr Kissen. »Doch ist leider so. Ich weis auch nicht wo es hingeht. Du sollst noch liegen bleiben. Anweisung vom Doc.«

 

Sandra fuhr die rotierenden Flügel der massiven Apparatur zusammen mit dem löchrigen Schutzglas, das verhindern sollte, das May versehentlich von Innen in die rotierenden Flügel greift, unter den Tisch, der so nur noch wie eine etwas wuchtige Version eines normalen Behandlungstisches wirkte und deckte May mit einer Decke zu. Mergy kam langsam wieder zu Bewusstsein, war leicht desorientiert und von den Betäubungsmitteln und den Schmerzen benebelt. Vorsichtig setzte er sich auf und schaute sich verwirrt um. Unweigerlich fiel sein Blick auf May, die nur wenige Meter neben ihm auf dem massiven Podest lag.

 

Irritiert und verwirrt zerrte er sich aus dem Bett und wankte zu seiner Prinzessin hinüber. Anja konnte ihn gerade noch halten, als er nach rechts zu kippen drohte: »Du solltest dich hinlegen.« »Wie geht es ihr? Was ist mit ihr passiert?«, brachte Mergy entsetzt heraus. Sandra trat von der Seite an die Beiden heran und versuchte die Situation nebst seiner Identität zu retten: »Kommander May wurde schwer verletzt. Wir tun alles, was wir können, um ihr zu helfen. Thomas, legen sie sich wieder hin.«

 

Während Mergy noch im Gedankenkarussell nach dem Grund forschte warum Sandra ihn Thomas nannte, war Anja schon einen Schritt weiter: »Mergy, komm hier entlang.« Vorsichtig zog sie ihn am Arm zurück Richtung Bett. Sandra und auch der Doc, der gerade aus seinem Büro kam, wurden Zeuge dieser mehr als interessanten Aussage. Damit war wohl seine geheime Identität geplatzt. Sandra half ihr den Patienten wieder auf den Tisch zu hieven. »Und jetzt wird geschlafen, Kommander.«, kommandierte Anja und zog die Decke nach oben.

 

Die fragenden Blicke der Ärzte waren eindeutig. Eines war Beiden klar. Anja hatte nicht gerade eben erst herausgefunden, wer Thomas hier beim Ray Team eigentlich war. Dafür war ihre Reaktion zu abgeklärt und zu normal gewesen. »Seit wann weißt du es?«, fragte schließlich Sandra direkt nach. »Naja, der Autodoc wollte nicht an seinem Arm funktionieren. Das war ansich schon seltsam, aber als ich dann sein Bein eingelegt habe, hat der Autodoc den Patienten als Kommander Mergy identifiziert. Da war eigentlich alles klar, wenn auch ziemlich abgedreht.«, erklärte Anja. »Die Scharade tut mir leid. Da gibt es Vorschriften.«, erklärte Sandra und auch der Doc entschuldigte sich bei Anja. »Ich verstehe das. Ihr schützt damit seine Familie und Freunde. Ich hätte ja auch etwas sagen können, aber ich wollte erst einmal sehen, wer ihr seit und was hier passiert.«, erklärte auch Anja ihren eigenen Handlungshintergrund.

Das Vermächtnis

»An alle Gleiter wir sind da. Prüft den Normalraum mit den Scannern, wenn es sicher ist deaktiviert die SSEs. Im Normalraum die Position halten.«, wies Tin über den neuen Lichtfunk an. Es dauerte eine Weile bis alle Gleiter den wabernden Zwischenraum verlassen hatten. Dicke Gesteinsbrocken flogen umher und trafen die Krankenstation und die Frachtcontainer, die wegen ihrer Größe und des limitierten Antriebs gar nicht erst versuchten auszuweichen. Lediglich die richtig großen Brocken mussten sie umfliegen. Die Gleiter machten ebenfalls wilde Ausweichbewegungen.


Schließlich hatte Tin einen Felsen gefunden, der von der Größe und Form her perfekt passte. Es war ein aus verschiedenen Metallen und Mineralien zusammengesetzter Klumpen mit einer Länge von über vier Kilometern und drei Kilometern breite. Er war laut den Scans nicht brüchig, sehr stabil und hatte eine relativ flache Oberseite. Nachdem die Entscheidung getroffen war, setzte die Krankenstation etwa 4000 Repligens auf dem potentiellen Zuhause aus, in dem sie den Frachtraum direkt über dem Ziel entlüftete. Sofort begannen die Heinzelspinnen mit ihrer Arbeit. Die wenigen Fenster der Krankenstation waren hart umkämpft, denn jeder wollte sehen, was da gebaut wurde.


Recht schnell waren die ersten drei Schildgeneratoren aufgestellt, die eine riesige Fläche abdeckten und sie vor Einschlägen durch die umherfliegenden Brocken schützen sollten. Danach setzten die Repligens alles daran den mit Kratern übersäten Boden mit einer glatten Oberfläche zu überziehen, auf der wiederum die Gebäude errichtet wurden. Tin hatte, beeinflusst durch Mergys Rede, dem Ganzen noch vier gewaltige Geschütztürme zur Verteidigung verpasst, was die Fertigstellung des Komplexes nochmals um zwei Stunden verzögerte. Schließlich landete die Krankenstation auf der vorgesehenen Stelle zwischen den Gebäudestücken und wurde Teil des neuen Basiskomplexes, den die Kadetten erstmals erkunden durften.


Die Gleiter landeten auf den dafür vorgesehenen Plätzen und auch die Container wurden an der entsprechend markierten Stelle abgesetzt. Tin, Trish und Sab verließen ebenfalls die Krankenstation um ihr neues Kommandozentrum zu beziehen, welches eigentlich mehr einem kleinen Turm ähnelte. Trish teilte Schichten von je zehn Gleitern ein, die in der Wolke umherfliegen und nach möglichen Gefahren Ausschau halten sollten. Die meisten Piloten bezogen jeweils zu Zweit die einzelnen Kabinen der Unterkünfte, wo sie erstmal ordentlich Schlaf nachholten, der durch die beengten Zustände auf der Krankenstation bei vielen Piloten zu kurz gekommen war.


Reiko lenkte sich von Mays Zustand ab und richtete sich in der neuen Kantine ein, wo sie den Job von Sor übernahm, aber auch eigene Kreationen anbot. Daneen versuchte die gesamte Reise und den Aufenthalt in aller Form zu dokumentieren. Mergy erwachte erst tief in der Nacht, die man hier, am Rande vom Nichts, nur durch die Uhrzeit erkennen konnte, denn draußen war es abgesehen von den Laternen und Lampen auf dem Flugfeld immer ziemlich dunkel. Diesmal war er klar und auch die Schmerzen in seiner Seite waren von dem üblichen Kribbeln abgelöst worden. Da Suki als letzte Patientin am Abend entlassen worden war, waren May und Mergy die einzigen Patienten im Krankenreich. Mergy erinnerte sich dunkel an einen bösen Traum. Als er seinen Blick nach links richtete, wurde ihm schwummrig.


Es war kein Traum gewesen. Da lag May und sie so zu sehen traf ihn schwer. Anja hatte sich für die Nachtschicht gemeldet und stand bereits hinter ihm, als er May sanft ein paar Haare hinter das Ohr strich, ihr über das Gesicht streichelte und ihr sanft einen Kuss auf die Stirn gab. Erst jetzt berührte Anja ihn vorsichtig. Mergy zuckte leicht und ihm wurde klar, diese Aktion hatte jetzt ziemlich verräterisch ausgesehen. »Das arme Mädchen. Wird sie wieder gesund?«, fragte er Anja. »Ihre Therapie spricht gut an. Der Doc ist zuversichtlich.«, erklärte Anja.


»Was machst du hier alleine?« fragte Mergy schließlich, als er bemerkte das sonst niemand da war. »Ich habe die Nachtschicht.«, lächelte sie. »Es tut mir leid. Ich habe dich hier in die ganze Sache hineingezogen.«, entschuldigte sich Mergy abermals. »Du hast mir das Leben gerettet und, wenn ich das alles richtig verstanden habe, auch die komplette Menschheit.«, gab Anja zu Protokoll: »Du solltest dich aber wirklich hinlegen.« »Ich fühl mich gut.« »Anweisung von Sab. Bevor der Doc nicht grünes Licht gibt, bist du mein Gast.« Mergy behagte es gar nicht, aber er wusste was der Doc vorher mit ihm gemacht hatte und wollte sich nicht vor Anja als Kommander outen. Diese Katze war bereits aus dem Sack und hatte den Raum vor Stunden verlassen.


Davon ahnte er aber noch nichts. »Hopp, Kommander. Ab in die Falle!«, klopfte Anja noch einmal provokativ auf das Bett und Mergy entgleisten die Gesichtszüge. »Dachtest du ernsthaft ich finde das nicht heraus?«, gab Anja verschmitzt und mit einem leicht stolzen Unterton zu verstehen. Mergy wusste nicht was er sagen sollte und kroch verlegen und wortlos auf sein Bett. Anja reichte ihm noch eine Augenmaske, damit er trotz Beleuchtung schlafen konnte. Seine Gedanken kreisten um die Geschehnisse. Um May und Anja. Sie kannte nun seine geheime Identität. Genau das wollte er immer verhindern, doch jetzt gab es keinen Weg mehr zurück.


Am nächsten Morgen wurde Mergy offiziell aus dem Bett entlassen und durfte die Krankenstation verlassen. Sandra und der Doc stellten die Behandlung von May weiter ein und beschlossen sie noch am selben Tag aufzuwecken. Mergy machte sich unterdessen auf den Weg in die Kommandozentrale, wo Sab und die anderen gerade die Lage diskutierten. »Morgen.«, kam Mergy in den Raum, der dem Kommandoraum, der Station sehr ähnlich sah. Es fehlten nur die beiden hinteren Räume, die Lifttüren und die Türen die sonst zu den Serviceschächten führten. Statt dessen gab es nur eine Treppe nach unten. Der vordere Teil mit den Konsolen und Bildschirmen war absolut identisch mit dem alten Kommandodeck, nur die Aussicht war anders und ungewohnt. Sab nahm einen Schluck Tee und schaute fragend um Mergy herum.


»Keine Panik. Offiziell entlassen.«, antwortete Mergy auf die Geste und Sab zog ausnahmsweise mal eines ihrer freundlichen Gesichter aus dem Hut. »Wo stehen wir?«, fragte er direkt los. »Zehn Gleiter fliegen Patrouille in der Wolke. Im All bauen die meisten Repligens am ersten Kreuzer. Die anderen bauen die Kampfgleiter. Alles MK7. Aktuell haben wir 30 neue Gleiter. Wenn die momentan im Bau befindlichen Gleiter fertiggestellt sind werde ich erste Mantas produzieren lassen. Die können dann von den Transporterpiloten getestet werden. Bis auf die zusätzlichen Waffen und Dimensionen sind die Mantas mit den Transportern ja ziemlich identisch.«, erläuterte Tin den aktuellen Stand.


Auf dem Datenschirm zeigte sie ein Modell ihrer Version eines Raumkreuzers. Mergy lachte: »Zu viel fern gesehen, was?« »War Sabs Idee. Ich hab nur die äußere Funktionalität übernommen. Intern ist alles auf unsere Technik abgestimmt.« »Gefällt mir. Gute Arbeit. Wie sieht es mit einer neuen Station aus?« Sein Magen knurrte. »Haben wir bereits besprochen.«, war es diesmal Trish die antwortete: »Wir bauen einzelne Segmente und passende Grablings. So müssen wir später im Erdsektor die Module einfach nur verbinden.«


»Die Grablings müssen aber ziemlich große Energiekerne haben, um Teile dieser Größe im Unterraum zu bewegen.«, merkte Mergy an, während sein Magen erneut knurrte. »Nein. Der Trick ist die normalen Kerne der Stationsektoren während des Transports für die Energieversorgung der Grablings zu nutzen.«, gab Tin eine technische Erklärung: »Alle Teile werden wir wahrscheinlich sowieso nicht hier bauen, weil das einfach zu lange dauern würde. Wir lassen den äußeren Ring und die Türme weg. Die sind für die Basisfunktion der Station nicht zwingend wichtig, auch wenn die Schilde ohne die Emitter in den Türmen nicht ganz optimal sind.«


Mergy hörte auf seinen Magen, denn seine Kollegen hatten offensichtlich alles unter Kontrolle. Er begab sich in die Kantine, wo er auf Reiko traf, die nach seinen Wünschen fragte. Mergy gab zu verstehen, sie müsse nicht den Nahrungsverteiler spielen und könne bei May sein. Jeder, abgesehen von Anja vielleich, wüsste schließlich wie ein Essensspender funktionierte. Reiko erklärte es würde sie von Mays Situation ablenken und es wäre eine Arbeit, die ihr zusagte. Mergy verstand ihre Gründe. Er erläuterte ihr, auch geschockt gewesen zu sein, als er May so habe auf der Krankenstation liegen sehen. Aber er machte ihr auch Hoffnung. Das medizinische Personal und die Ausrüstung wäre das Beste und May wäre die taffste kleine Prinzessin, die er kennen würde. Reiko entwich sogar ein leichtes Lächeln, als er diese Worte aussprach. Mergy ließ sich sein Standardfrühstück geben und setzte sich an einen Tisch. Auch die anwesenden Piloten freuten sich, ihn wieder auf den Beinen zu sehen.


Von draußen schallte eine Warnmeldung in die Kantine. Durch die Fenster konnte man Gleiter abfliegen sehen und wenige Minuten später, nach einer erneuten Warnung, rauschten die Gleiter der vorherigen Schicht über den Platz und setzten am Ende des Rollfeldes auf. Nach dem Frühstück unternahm auch Mergy einen Flug in die Wolke und besichtigte den Bau des neuen Schlachtschiffs. Mehr als ein Grundgerüst mit einer löchrigen Außenhaut war aber noch nicht gebaut. Im Innern waren die fleißigen Bienen noch zu tausenden am Werkeln.


Der Kommander machte einen intensiven Rundflug und erschreckte dabei auch unabsichtlich die Patrouille, als er mit hoher Geschwindigkeit hinter einer Gesteinsformationen hervortrat. Die fünf Gleiter gingen sofort in entsprechende Formation, bis der Staffelführer Entwarnung gab und sie ihre ursprüngliche Flugformation wieder einnahmen. Mergy genoss es einmal nicht nur in einem holographischen Feld herumzufliegen, obwohl das deutlich anspruchsvoller gewesen war, als diese Wolke. Fast zwei Stunden flog er in dem Gebiet herum und steuerte dann, erneut an der Baustelle vorbei, zurück zur Basis.


Auf der Krankenstation war May bereits aus ihrem künstlichen Koma geholt worden. Lange konnte man ihr den Zustand ihres Körpers nicht verheimlichen. Egal ob Hand, Arm, Bein, Bauch, Schulter oder Kopf. Ihre Haut war auf der verletzten Seite einfach fahl grau gefärbt und fühlte sich rau und schrumpelig an. Schnell war sie in einem der Krankenzimmer verschwunden und schaute sich ihr Spiegelbild im angrenzenden Bad an. Immer wieder fühlte sie ihre Haut, die sich fest und ledrig anfühlte, dabei wie alter Stein mit all seinen Riffeln und Schattierungen aussah. Das sollte sie sein? Das würde ihr neues Aussehen sein? Sie war ein Monster. Schlimmer noch. Das halbe Gesicht zeigte ein hübsches Mädchen. Es verhöhnte sie regelrecht, weil der Rest nicht mehr dazu passte. Gleichermaßen Wunsch und Wirklichkeit schaute ihr aus dem Spiegel entgegen.


Der Doc funkte Reiko an, die schnell vor Ort war und versuchte ihre Tochter zu beruhigen, aber es half nichts. Auch der Doc hatte kein Glück, obwohl er versuchte ihr zu erklären, sie würde voraussichtlich in sechs bis acht Monaten wieder ganz die Alte sein. May wollte nicht einmal mehr auf den Behandlungstisch. Weder im Krankenzimmer noch im Saal. Sandra bat die beiden sie in Ruhe zu lassen und so blieb sie die nächsten Stunden mit sich alleine. Reiko versuchte es später noch einmal, aber sie hatte keine Chance zu ihr durchzudringen. Verzweifelt und weinend saß Reiko auf einem der Tische in der Krankenstation, wo Sandra sie in den Arm nahm und versuchte sie aufzubauen.


Suki betrat die Krankenstation in der Hoffnung May besuchen zu dürfen. Der Doc wollte ihre Freundin aufwecken. Sie hatte aber keine Ahnung was sich hier gerade abspielte. Als sie Mays Mutter so sah befürchtete Suki schon das schlimmste, aber der Doc erklärte seinem Gast was mit seiner Patientin los war. Sie wollte sich einfach nicht mehr behandeln lassen und hatte sich im Krankenzimmer verkrochen. Suki versuchte trotzdem ihr Glück, aber bereits nach einigen Sekunden waren die lauten Attacken des kleinen Kommanders aus dem Krankenzimmer nicht mehr zu überhören.


»Sie hat sich einfach aufgegeben. So habe ich sie noch nie erlebt. Ich weiß nicht was ich machen soll.«, schilderte Reiko wenig später Mergy ihr leid. »Ja, der Doc hat mich deshalb herbestellt. Für Kinder in dem Alter wird das Aussehen wichtiger als alles andere. Da ist unsere Prinzessin offensichlich keine Ausnahme. Sie wird langsam erwachsen. Aber ich habe da schon eine Idee. Dazu muss ich sie allerdings auf einen Rundflug mitnehmen.« »May wird nie mitfliegen. Sie kommt ja nicht einmal mehr aus dem Zimmer.« »Notfalls transportiere ich sie einfach heraus.«, flachste Mergy freundlich und wollte seinen Plan sofort umsetzen. Er stolperte direkt ins das Zimmer von May, die immer noch auf dem Bett sitzend in eine endlose Diskussion mit Suki verwickelt war.


Die ganze Geschichte überstieg selbst Sukis sonst so weit gesteckte Grenzen. Sie hätte ihrer Freundin so gerne geholfen, aber je mehr sie versuchte sie aufzurütteln, desto mehr stieß May sie weg. »Was ist denn hier los?«, gab Mergy noch in der Tür stehend laut zu verstehen. »Suki wollte gerade gehen.«, maulte May Suki nochmal direkt an, die Mergy mit einem Blick der Verzweiflung und unter Tränen ansah. »Es ist besser du gehst jetzt.«, gab er zu verstehen und verschloss die Tür hinter ihr. »Zieh dir was an, wir machen einen Ausflug.«, befahl Mergy und May verweigerte sich mit verschränkten Armen und trotzig dreinblickend. »Ok, also auf die harte Tour. Jaque, Transport vorbereiten. Objekt: May, Ziel: Kantine. Schön weit weg von der Tür.«, befahl er dem Computer und May schaute ihn entsetzt an.


Jaque bestätigte das Kommando und wartete auf das Signal zur Ausführung. »Das wagst du nicht!« »Wollen wir wetten? Ausflug oder Kantine?«, wiederholte Mergy seinen Befehl. May reagierte immer noch nicht und blieb mit verschränkten Armen und im Häschennachthemd auf dem Bett sitzen. »Jaque!« »Ist ja gut ich komme mit.« Widerwillig tat May was er wollte und ließ keinen Zweifel daran, wie sie darüber dachte so von ihm behandelt zu werden. Der Kommander zog sich im Bad etwas Vorzeigbares an und stand schließlich immer noch trotzig drein blickend, aber zusätzlich sauer, vor Mergy.


»Jaque, transportiere uns in meinen Gleiter.«, änderte Mergy seinen Befehl. Mergy aktivierte sein Fluggerät, machte jedoch keine Anstalten starten. »Wie hieß noch dieser Junge, den du vor einigen Monaten im Krankenhaus besucht hast?«, stellte er plötzliche eine Frage, die so gar nichts mit der aktuellen Situation zu tun hatte. »Was soll das jetzt?«, maulte May zurück. Daneen kam damals mit dem Namen eines Jungen um die Ecke. Er hatte Krebs im Endstadium und wünschte sich nichts sehnlicher als einmal May vom Ray Team zu treffen. Durch die vielen Berichte in den Medien war May besonders bei der Jugend sehr beliebt.


Die neuerlichen Berichte von Daneen, die über das Internet ihren Weg ins Fernsehen fanden, brachten den Leuten das Ray Team noch näher, als die vereinzelten Nachrichten auf den regulären Sendern. Die Piloten der Station wurden mittlerweile auf der Erde gehandelt wie Mitglieder einer riesigen Pop-Gruppe. Daneen kannte seine Familie persönlich und hatte May um diesen Gefallen gebeten. Sie war also ins Krankenhaus geflogen, um ihm diesen Wunsch zu erfüllen. Der kahlköpfige Junge saß im Bett und erkannte sie nicht, weil sie ganz normal durch die Tür kam und auch nicht ihre typische May Kleidung trug. Sie musste erst ihren Gleiter über dem Krankenhaus fauchen lassen, damit er ihr glaubte. Gerne hätte sie ihn auf einen Rundflug mitgenommen, aber dazu war der Junge bereits zu schwach. Schon das normale Reden zehrte an seinen Kräften.


So musste sie die Station zu ihm bringen. Am nächsten Tag hatte sie ein Video dabei. Sie sahen es sich zusammen an. May hatte es auf der Station gedreht, ihm alles gezeigt und sogar Mergy und Sab dazu gebracht ein paar Worte zu sagen. Selbst die Dinge, die bisher nur sehr wenige Menschen gesehen hatten, hatte sie auf der Scheibe eingefangen. Er hatte natürlich viele Fragen und May hatte sie alle geduldig beantwortet. »Wenn ich gesund wäre, würde ich auch gerne Pilot werden und anderen Menschen helfen.«, hatte er mehr als einmal gesagt. Michael war trotz seiner Situation so glücklich und fröhlich gewesen und seine Mutter bedankte sich an dem Abend überschwänglich bei May. Am nächsten Morgen wachte er nicht mehr auf. May hatte damals sogar an der Beerdigung teilgenommen. Der Junge war sehr lange krank gewesen und außer einigen Verwandten und ein paar Schulfreunden waren nicht sehr viele Menschen da. Seine Mutter bedankte sich wiederholt dafür, weil May ihm seinen großen Wunsch erfüllt hatte und er an seinen letzten Tagen so glücklich war, wie schon lange nicht mehr.


»Mergy an Tower, erbitte Starterlaubnis.« Sab gab ihren Flug frei. Mergy drehte ein paar Runden außerhalb des Schildes und stieg dann vom Felsen auf in das Schwarze des Alls, welches nur von vielen kleinen und großen Brocken unterbrochen wurde, die hier in der Wolke um das Sonnensystem rotierten und sich gegenseitig das Leben schwer machten. »Also? Wie hieß er?«, bohrte Mergy weiter nach, nachdem er sicher war, dass May an ihn gedacht hatte. »Er hieß Michael.«, muffelte May monoton heraus und sah die trostlose Gegend an. »Stimmt. Er hat nicht aufgegeben, oder?« »Und was hat es ihm gebracht?«, fragte May hart zurück und fügte ein »Er ist tot.« hinten an. »Er wollte etwas bewirken, etwas Großes vollbringen, oder was war sein Traum?«, ließ Mergy nicht locker und traf einen Nerv. »Ja, er wollte etwas bewirken. Hat nicht geklappt. Er ist tot. Ende der Geschichte.«


In ihren Worten lag viel Härte, Ernüchterung und Zorn. Vor dem Gleiter tauchte das gewaltige unfertige Raumschiff auf, dass Mays Aufmerksamkeit schlagartig auf sich zog. Deutlich war zu sehen, wie die Repligens auf dem Schiff werkelten. Sie hatte keine Ahnung von den neuerlichen Plänen größere Transport und Kampfschiffe zu bauen. Vorne fehlte noch ein großer Teil, während das Heck und die seitlich angebrachten Hangars zumindest optisch schon fertig wirkten. Mergy flog der Länge nach über das Schiff, drehte um und steuerte auf einen Hangar zu, nur um im letzten Moment nach unten abzutauchen.


»Er dachte wohl du wärst schlauer. Schade.«, warf Mergy mit fast beiläufigem Ton in den Raum, während sein Gleiter langsam an der Unterseite entlang schwebte. »Was?«, wendete sich May vom Schiff ab und direkt zu ihrem älteren Freund. Sie verstand gar nichts mehr. »Er wusste er würde sterben. Trotzdem hat er nicht aufgegeben, nicht gejammert und für jeden einzelnen Tag gekämpft.«, erklärte Mergy: »Was hätte er gemacht, wenn er durch Feuer im Gesicht und am Körper fürs Leben gezeichnet wäre? Hätte er sich verkrochen oder wäre er nach draußen gegangen und hätte das Leben genossen?« »Er hätte das Leben genossen.«, musste May nach kurzer Gedankenpause zugeben und sich ihre Lage selbst eingestehen. Sie hing, wie schon so oft zuvor, am Haken von Mergys Angel.


»Vielleicht wollte er anderen Menschen – Vielleicht wollte er dir zeigen, nie aufzugeben und für jeden Tag zu kämpfen. Er wusste, jeder Tag kann der Letzte sein. Du bist Morgen noch da und nächste Woche auch noch. Du wirst sogar vollständig Gesund und gibst einfach so auf. Wenn du dich an seinen Mut und seine Stärke erinnerst und ihn als Vorbild nimmst, dann hat er etwas bewirkt. Wenn sich Andere an dir ein Vorbild nehmen und diese Menschen wieder Anderen als Vorbild dienen, dann wird daraus etwas wirklich Großes. Größer als er es sich vielleicht selbst erträumt hatte.«


Ihr väterlicher Freund steuerte den Gleiter seitlich vom riesigen Raumschiff weg. »Damit du dir das auch merken kannst, hab ich es für dich aufschreiben lassen.« Mergy ließ seinen Gleiter einmal rotieren und kippte ihn dabei, ganz so wie May das immer machte und sie konnte zum ersten Mal die Seite des neuen Schiffs sehen. Ihre Augen wurden groß und Tränen rannen in Bächen die Wangen hinunter. Mergy stoppte den Gleiter und nahm sie in den Arm, was endgültig alle Dämme brechen ließ. Auf der Seite stand in riesigen Buchstaben der Schiffsname: »M.Vanquist«. Der Name des Jungen aus dem Krankenhaus.


Als sie nach einigen Minuten die Umarmung wieder lösten. Schaute May nochmal hin. Es stand wirklich da. »Ich denke es würde ihm gefallen, oder?«, wollte Mergy noch eine Bestätigung, ob sie die Botschaft verstanden hätte. »Ja.«, schluchzte May. Mergy flog noch eine langsame Runde um den gigantischen Kreuzer und setzte Kurs Richtung Stein wie Sab ihn mittlerweile offiziell getauft hatte. »Du warst vorhin ziemlich hart zu Suki.« »Ich weiß! Ich hoffe sie kann mir das verzeihen.« »Sie ist deine Freundin. Da gibt es nichts, was man mit einer ehrlich gemeinten Entschuldigung und einer Umarmung nicht wieder hinbekommt. Und was ist mit Nim? Er hat auch schon mehrfach nach dir gefragt.«


»Nicht du auch noch.«, nervte es May, weil nun auch Mergy auf den Nim Zug aufsprang. Suki und Katie kamen vor zwei Monaten zum ersten Mal zu ihr. Sie meinten Nim wäre total in May verknallt und würde sie immer mit großen Kuhaugen ansehen. Dem kleine Kommander war es gar nicht aufgefallen und hatte erst darauf geachtet, nachdem die beiden sie darauf angesprochen hatten. »Er mag dich. Das ist offensichtlich, aber er traut sich nicht den ersten Schritt zu machen. Wahrscheinlich weil du ja technisch gesehen sein Chef bist.«, erklärte Mergy. »Wenn er mich jetzt sieht, rennt er sowieso weg.«, warf May ziemlich abgeklärt zurück.


»Denkst du das wirklich? Man kann sich in das Aussehen, die Stimme oder den Charakter eines Menschen verlieben, aber man bekommt immer das komplette Paket. Wenn einem das Set nicht gefällt, ist es schnell vorbei mit der Liebe. Es gibt da dieses Sprichwort "Liebe macht blind". Ich persönlich finde das ziemlich unpassend und abwertend. "Liebe macht schön" klingt viel besser.« May dachte über seine Worte nach. Mit viel Verzögerung brachte sie ein leises »Finde ich auch.« heraus. »Laufen oder Transporter?«, fragte Mergy die Frage aller Fragen nachdem der Gleiter auf dem übergroßen Parkplatz aufsetzt hatte.


Es waren einige hundert Meter bis zur Krankenstation und viele Piloten vertrieben sich die Zeit mit Fußball und anderen Spielen vor den Gebäuden und machten nur aus Sicherheitsgründen platz, wenn die Warnmeldung ertönte. Mays neues Aussehen würde zwangsweise für alle sichtbar. »Laufen!«, gab sie einsichtig zurück und zeigte die Botschaft verstanden zu haben. Sie wollte ein Vorbild sein wollte. »Braves Mädchen.«, grinste Mergy.


So stiegen Beide aus und marschierten langsam auf die Krankenstation zu. May konnte sehen, wie einige Piloten entsetzte Gesichter machten, als sie ihr Gesicht sahen. Andere grüßten und versuchten ihr Mitleid zu verstecken oder schauten einfach hastig weg. »Schön das es dir besser geht.«, hörte sie eine Stimme klar und deutlich aus dem leisen Gesäusel der Piloten heraus. Zielsicher wendete sich Mays Blick dem Jungen zu, der sie anlächelte und sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht schob. Mit einem »Danke«, unterlegt mit einem schüchternen Lächeln, erwiderte sie seine Geste.


Wenige Augenblicke später schloss sich die Tür der Krankenstation hinter ihnen. »Er ist nicht weggerannt.«, merkte Mergy fast beiläufig an. »Nein, ist er nicht.«, lächelte May zurück. »Ziemlich mutig von ihm.« »Wieso? Weil er mich vor allen angesprochen hat?« »Das auch. Aber ich meine weil er, wenn er dir auch nur ein bisschen weh tut, von mir persönlich gevierteilt und am Fahnenmast aufgehängt wird.« »Wir haben keinen Fahnenmast.« »Die Repligens können ja einen aufstellen, während ich ihn auseinander nehme.« May konnte nicht anders und nahm Mergy in eine feste Umarmung und Mergy erwiderte die Geste.


Beiden war es egal, das Reiko, Anja, Sandra und der Doc im selben Raum waren und zusahen. Das unsichtbare Band zwischen den Beiden war ein offenes Geheimnis. Mergy war mehr väterlich als Freund und May war für ihn schon immer die Tochter, die er sich schon immer gewünscht hatte. »Ich bin stolz auf dich.«, flüsterte er ihr leise ins Ohr: »Und jetzt zur Behandlung, bevor der Doc dich mit Betäubungsmitteln angreift. Das ist seine neuste Masche.« Letzteres war laut und deutlich im Raum zu hören. Der Doc nahm die Worte wohlwollend auf. Mergy hatte den Sinn der Aktion offensichtlich verstanden und brachte ihm jetzt mehr Respekt entgegen.

Liebe macht Schön

Alle waren erleichtert weil May sich nun freiwillig behandeln ließ. Sie fragten sich natürlich wie Mergy es geschafft hatte. Besonders bei Reiko konnte man die Dankbarkeit für sein Handeln in ihren Augen ablesen. May war wie ausgewechselt und flachste sogar wieder mit dem Doc. Wenige Minuten später rotierte die Maschine und Sandra nahm neue Messungen vor, um die optimalen Zeitintervalle genauer festzuhalten. May nutzte die Zeit und dachte über das Geschehene nach. Hatte Michael damals wirklich so etwas im Sinn gehabt oder hatte Mergy sich das Ganze einfach nur zusammen gesponnen? Sie würde es nie erfahren, aber ihr gefiel die Idee dahinter. Immer wieder musste sie an den riesigen Schriftzug denken. »Es hätte ihm gefallen.«, murmelte sie leise in sich hinein. Und sie dachte an Nim.


Er war bei ihrem Anblick nicht weggelaufen oder hatte sie angesehen wie ein Opfer. Er hatte sich ehrlich gefreut sie einfach nur wieder auf den Beinen zu sehen. »Vielleicht mag er ja wirklich das ganze Paket?«, fragte May in den Raum. Durch die vielen neuen Gedanken, die in ihrem Kopf kreisten, hatte sie das Abschalten der Maschine gar nicht bemerkt und Sandra fühlte sich angesprochen: »Was für ein Paket?« May lächelte: »Nicht so wichtig. Kann ich an die frische Luft?« »Du solltest nach jeder Behandlung noch etwa zehn Minuten liegen bleiben. Deine Körperzellen stehen während der Bestrahlung unter massivem Stress und brauchen daher etwas Ruhe.«, erklärte Sandra und May nickte. Brav wartete sie die erforderliche Zeit und ging erst dann an die frische Luft. Naja, die Luft in den Gebäuden war nicht anders als die Luft auf dem Platz. Sie wurde genauso künstlich erzeugt. Es war auch mehr das Gefühl nicht in einem Raum zu stecken, welches sie nach draußen trieb.


Als May den Platz betrat war er fast leer. Einige Piloten saßen auf zwei Bänken an einem Tisch und spielten unter einer Laterne Karten. Tin versuchte wohl mit der variablen Beleuchtung eine Art Tag-Nacht-Wechsel zu erzeugen. Auf einer Bank, ziemlich zentral auf dem ansonsten dämmrig wirkenden Platz machte sie Anja ausfindig, die mit einigen Papierseiten still da saß und nachdenklich in den Nachthimmel sah, oder was man dafür halten könnte. Kleinere Objekte ließen den äußeren Schild bei Kontakt immer wieder punktuell aufleuchten. Offensichtlich wollte Anja etwas aufschreiben oder Tagebuch führen, wurde aber, so schien es jedenfalls, immer wieder von der Aussicht abgelenkt. »Hallo, etwas dagegen wenn ich dir Gesellschaft leiste?«, fragte May direkt und Anja deutete wortlos auf den Platz neben sich.


Nach einigen schweigsamen Minuten fragte May sie ob alles in Ordnung wäre. Anja bestätigte und meinte es sei einfach alles so unglaublich. Sie wollte nur wie jeden Tag zur Arbeit fahren und jetzt wäre sie mit Raumschiffen zu einem anderen Planeten geflogen. May erklärte ihr, sie würden eigentlich nur auf der rotierenden Müllkippe des Sonnensystems parken, stimmte ihr aber zu, was den Unglaublichkeitsfaktor anging. »Ich selbst war bisher auch noch nie weiter als bis zum Mond.«, grinste May. Anja bedrückte etwas. Der kleine Kommander konnte ihre düstere Stimmung spüren, aber sie kannte sie nicht gut genug, um gleich durch mit der Tür ins Haus zu fallen und direkt zu fragen. Anja hatte deutlich weniger Hemmungen.


Vielleicht kam es durch das Alter ihrer kleinen Banknachbarin, vielleicht aber auch weil sie das Gefühl hatte May durch die Medienpräsenz schon etwas länger zu kennen. »Du liebst ihn, oder?«, fragte Anja. May war verwirrt. Wusste selbst sie jetzt auch schon von Nim? Außer einem kurzen Wortwechsel war doch überhaupt nichts passiert. Wie kam sie gleich auf Liebe? »Wen?«, fragte sie unsicher nach. »Mergy.«, kam prompt die Antwort, die May nicht erwartet hatte. Der Name ging Anja nicht leicht von den Lippen, hatte sie doch Jahre lang einen anderen Namen für ihn benutzt: »Ich habe gesehen wie liebevoll ihr miteinander umgeht.«


Das Mädchen überlegte und erinnerte sich an die schmerzlichen Gefühle der Beerdigung, aber auch an die vielen schönen Momente mit ihm: »Ja, ich liebe ihn.« »Das habe ich mir gedacht.« Anjas Stimme klang plötzlich anders als noch wenige Augenblicke zuvor. Auf einmal wirkte sie abgeklärt, enttäuscht und traurig. May musste einen Lacher herausprusten, der Anja, besonders wegen ihrer aktuellen Gemütslage, dann doch sichtlich irritierte. »Doch nicht so.«, lachte May heraus: »Wie einen Vater.« »Wie einen Vater?«, fragte Anja unsicher nach. »Ja, er wäre ja wohl etwas alt für mich, oder?«, gab May eine fragende Antwort, die sie mit einem Kichern untermalte.


Die Fragen und die Stimmungswechsel ließen nur einen Schluß zu. Sie hatte Interesse, wenn nicht sogar schon Gefühle für Mergy. »Du an ihm interessiert, oder?«, fragte diesmal May forsch nach. Anja wurde rot: »Er würde mich nicht wollen.« »Würde er nicht?«, fragte May nach, obwohl sie genau wusste, was oder besser wen Mergy wirklich wollte. Das Kuchengespräch bei Sor war damals eindeutig gewesen. »Schau dich doch mal um. Sab, Sandra, Trish, Tin, Reiko und mindestens fünfzig andere schöne Frauen, die er täglich sieht und mit denen er zu tun hat. Warum sollte ein Superheld wie er so jemanden wie mich überhaupt wollen?« »So jemanden wie dich?« »Ja, schau mich doch an. Ich bin – Ich passe hier ja wohl schon wegen meiner Optik nicht ins Bild.«, gab Anja selbstkritisch und abwertend zu verstehen.


Vor dem Ausflug mit Mergy hatte sie auch noch in diesem Rahmen gedacht. Sie hatte sich selbst gefragt, was Mergy an dieser mehr rundlichen gebauten Frau fand. Nach ihrem Ausflug mit Mergy hatte sie genauer hingesehen. »Er sieht sich sicher nicht als Superheld.«, erklärte May und musste ein wenig lachen, weil sie sich ihn zwangsläufig in einem bunten Kostüm mit Umhang und »M« auf der Brust vorstellte. »Gib mir mal eine von deinen Seiten.«, fragte May nach dem Papier und lehnte den Stift ab, den Anja ihr dazu reichen wollte. Sie hielt das Papier vor Anjas Nase: »Was siehst du?« »Nur ein Stück Papier.«, antwortete Anja unsicher. »Das bist du, so wie du dich siehst. Ein normales Stück Papier. Nicht bunt, nicht parfümiert und kein Muster. Einfach nur weiß und gewöhnlich.«, begann May zu erklären.


Sie faltete eine Weile an dem Papier herum, bis sie einen kleinen Vogel daraus geknickt hatte: »In Mergys Augen siehst du so aus. Das selbe Blatt Papier. Nicht bunt, nicht parfümiert, kein Muster und trotzdem wunderschön.« Anja sah sie mit aufgerissenen Augen an. Diese Worte und diese Geste hatte sie nicht von einem Teenager erwartet. Ja nicht einmal von einem Erwachsenen würde sie so eine Aussage erwarten. »Kennst du das Sprichwort: "Die Liebe verleiht Flügel."?«, fragte May ungehemmt weiter. Anja nickte. »Dann probieren wir mal was mit dem Vogel passiert, wenn wir dem Ganzen etwas Liebe hinzufügen.« May setzte den Vogel auf ihren Handrücken, führte ihn zu ihrem Mund. Sanft und unmerklich berührten sich Lippen und Schnabel. Das Papier begann sich zu schütteln und dann flatterte der Vogel mit lautem Zirpen über den Platz. Anja hatte es gesehen, konnte es aber nicht glauben. Sie sprang auf und schaute dem Vogel hinterher, der gerade über die Kartenspieler hinweg flog, die ebenso verwirrt über einen Vogel im Habitat waren, wenngleich sie seine Papier Beschaffenheit nicht erkennen konnten.


Ein Vogel aus Papier, der selbstständig flog, wäre ja schon seltsam genug gewesen, aber dieser zirpte auch noch. May hatte lange geübt, um die Luft in Schwingung zu versetzen und damit Töne zu erzeugen. Viel mehr als einfache Geräusche brachte sie aber monatelang nicht zustande. Sab hätte im Kommandozentrum fast einen Großalarm ausgelöst als Jaque die wilden Flugbewegungen eines unbekannten Objekts in der Schildkuppel gemeldet hatte. Trish hatte ein Standbild des Papierfliegers aufgefangen und sie gerade noch zurück halten können. Beide wussten natürlich sofort wer das Objekt kontrollierte und wie, aber sie fragten sich wieso? »Wie geht denn das?«, fragte Anja ungläubig, während May den Flattermann mit ihren Kräften zu immer wilderen Manövern anstachelte und ihn sogar kurz bei Sab und Trish am Fenster in einen flatternden Schwebeflug übergehen ließ.


May ignorierte ihre Frage einfach: »Strecke deine Hand aus.« Anja folgte den Anweisungen wie in Trance und der Vogel landete sanft auf ihrer Handfläche, wo er noch ein wenig flatterte und dann einfach umkippte. May beobachtete die Frau, die den Vogel vorsichtig stupste. »Es ist immer noch ein normales Stück Papier, aber du siehst es jetzt mit ganz anderen Augen, oder? Was ein bisschen Liebe doch ausmacht.«, erklärte May. Anja nickte und noch bevor sie eine weitere Frage stellen konnte, hatte sich May schon verabschiedet und lief Richtung Quartiere, während Anja mit dem regungslosen Papiervogel zurück blieb. Fand Mergy sie wirklich attraktiv? Oder machte May sich lustig über sie.


Nach kurzer Überlegung befand sie May für glaubwürdig, was nicht zu letzt mit dem unglaublichen Kunststück und den nicht weniger beeindruckenden Worten zusammenhing. Mergy war in seinem Quartier. Das wusste sie und die Nummer kannte sie auch. Der Doc hatte für alle Fälle eine Liste ausgehängt und sie hatte sich sogar schon die Zahl rausgesucht. Er hatte die Vier und anscheinend auch alleine, denn das zweite Bewohnerfeld war leer geblieben. Langsam und zögernd ging sie auf die Tür zum Quartierbereich zu und die vierte Tür im Inneren war doch tatsächlich schon die Nummer 4, wie sie erschreckend feststellen musste. Die junge Arzthelferin spürte ihren Puls ansteigen. Zaghaft klopfte sie an die Tür und gleich im nächsten Moment schoss ihr durch den Kopf, sie könnte ihn jetzt geweckt haben.


Die Tür öffnete sich und Mergy lächelte sie an: »Hallo. Das ist ja eine Überraschung. Komm rein.« Anja schaute sich um. Sie hatte ein Quartier für die medizinische Abteilung auf der Krankenstation bekommen und das war doppelt so groß wie dieser Container, der auch noch für zwei Personen gedacht war, wie das Doppelstockbett verriet. Eine Tür, die zu einem Minibad führte und ein Tisch mit zwei Stühlen hinten in der Ecke. Mehr gab es nicht. Während ihr Rückzugsort mehr einem Hotelzimmer der hohen Preiskategorie entsprach, war dies ein besseres Jugendherbergszimmer. »Ja, das ist mein Reich.«, witzelte Mergy auf das gefaltete Papier blickend: »Schöner Vogel.« Anja schaute in ihre Hände, in denen sie immer noch vorsichtig das kleine Papierlebewesen hielt. Mergy bat sie hinein und sie setzten sich an den Tisch.


Erst überlegte Anja noch, wie sie Mergy dazu bringen könnte seine Gefühle auszudrücken. Da er aber schon den den Vogel aufgegriffen hatte, erzählte sie ihm von den wunderlichen Geschehnissen mit May. Mergy schmunzelte. Hatte er May doch erst vor wenigen Stunden wach gerüttelt, so gab sie jetzt schon ihr Wissen weiter und das mit einem wirklich schönen Beispiel wie er fand. Als Anja fertig mit ihrer Erklärung war, wartete sie auf eine Reaktion. Mergy lehnte sich mit einem Arm auf den Tisch, während er sich vom Stuhl vorbeugte und die über Eck sitzende Anja mit der anderen Hand sanft und ohne Hast unter das Kinn griff und sie leicht nach vorne zog. Dann drückte er ihr einen Kuss auf die Lippen, aber auch nur ganz zart, um es nicht zu übertreiben: »Sie hat recht.«

Zeit der Erinnerung

May selbst verbrachte die Nacht direkt im Hauptsaal der Krankenstation. Das wuchtige Bett mit der Maschine würde wohl auch nicht ohne Umbauten in das kleine Krankenzimmer passen. Die Maschine verrichtete automatisch alle zwei Stunden ihre Arbeit, was ihr das Schlafen schon jetzt nicht einfach machte, würde sie in einem anderen Bett schlafen, müsste sie immer vor den Behandlungen geweckt werden und in den anderen Raum laufen. So gelang es ihr einigermaßen Schlaf zu finden und sie verschlief sogar eine der Anwendungen komplett, wurde dann aber doch durch lautere Stimmen geweckt.


»Hast du sie gefunden?«, fragte der Doc. »Nein, ihr Bett sieht unbenutzt aus.«, war Sandra besorgt. Von einem Kichern unterbrochen wendeten sie sich May zu: »Was gibt es da zu Kichern. Es ist ernst! Anja ist verschwunden.« »Ich denke sie wird hier gleich auftauchen, erklären sie habe verschlafen und beteuern, es würde ihr sehr leid tut und nicht wieder vorkommt. Sie wird nicht gefrühstückt haben und auch nicht sehr ausgeschlafen aussehen.«, gluckste May und streckte sich unter ihrer Decke.


Nach gestern Abend konnte sie sich vorstellen wo Anja abgeblieben war. Es dauerte keine fünf Minuten bis fast wortwörtlich eintrat, was May vorhergesagt hatte. Auch mit dem Frühstück hatte May richtig gelegen. Anja wurde gleich vom Doc gleich in die Kantine geschickt, um etwas zu essen. »Ich bin auch ein Orakel.«, kugelte sich May lachend auf dem Apparat kaum das Anja die Lokalität verlassen hatte.


»Erklärt uns das große Orakel auch, was hier vorgeht?«, fragte der Doc neugierig nach. »Wie es scheint hat die Liebe zugeschlagen.«, eröffnete May mit nach oben gerichteten Mundwinkeln, die schon fast Sor alle Ehre machten. Sandra und der Doc schauten sich für einen Moment direkt an und fast gleichzeitig brachten sie in ihrer Verwunderung nur ein Wort heraus, formulierten es aber als Frage: »Mergy?«


May war noch ziemlich müde und so blieb sie einfach liegen und wartete auf die nächste Anwendung. Pünktlich setzte sich die Maschine wieder in Gang. So hörte sie nicht, wie Nim unsicher die Krankenstation betrat. »Was gibt es?«, fragte Sandra, die nicht im Traum daran dachte, er würde einfach nur May besuchen wollen. Unsicher und leicht stotternd formulierte er seinen Wunsch. Sandra lächelte und sagte ihm er solle den Stuhl mitnehmen. Es war Mergys Stuhl aus dem Konferenzraum, der seit seiner Transportaufgabe keinen echten Nutzen gehabt hatte und neben der Tür darauf wartete zurück ins obere Stockwerk gebracht zu werden. Sandra erläuterte ihm, die Maschine würde noch etwa 6 Minuten laufen. May bemerkte Nim zuerst gar nicht.


Erst als sie den Kopf drehte um zu sehen, was in der Krankenstation so los war, trafen sich die beiden Augenpaare. May konnte nicht umhin, als verlegen zu lächeln, während die Flügel der Maschine immer wieder ihren Blickkontakt für Bruchteile einer Sekunde unterbrachen. Dann jaulte die Maschine wie ein Tonbandgerät, bei dem man einfach den Stecker gezogen hatte, wurde langsamer und fuhr die Flügel unter den Tisch. »Hallo!«, war es erneut Nim, der sie begrüßte und von May ebenso begrüßt wurde. Dann wurde geschwiegen. May wusste sie müsste etwas sagen, aber es dürfte auf keinen Fall etwas peinliches sein: »Mergy hat mir erzählt du hättest öfter nach mir gefragt.« »Ich habe mir Sorgen gemacht. Einige Piloten haben erzählt du wärst schwer verletzt auf der Krankenstation.«, erklärte Nim und nahm seinen ganzen Mut zusammen: »Ich hab dich nämlich ziemlich gerne.«


May wurde rot. Naja nur die Hälfte die noch normale Haut hatte wurde rot. »Auch wenn ich so aussehe?«, fragte May und hob ihre dunkle Hand. »Du bist so mutig, gibst nie auf und findest immer einen Weg das Richtige zu tun. Das finde ich toll an dir.«, gab Nim ein Kompliment nach dem Anderen von sich. May war gerührt. Ihm gefiel das Paket tatsächlich. »Ich muss leider auch schon los. Ich bin mit Patrouillenflug dran.«, erklärte Nim. Als er sich vorbeugte um aufzustehen, kam er May ziemlich nah und ihre Blicke trafen sich intensiver als zuvor. Nim nahm all seinen Mut zusammen. May hatte noch nichts zu ihren Gefühlen gesagt und er wusste, er könnte gewaltigen Ärger bekommen, aber es war ihm egal.


Langsam näherte sich sein Kopf und May gab keine Anzeichen zur Gegenwehr. Dazu war sie auch viel zu aufgeregt. Sandra stieß den Doc vorsichtig in die Seite und deutete mit eine Kopfbewegung zu May hinüber. Nim gab ihr einen sanften und zurückhaltenden Kuss auf den Mund, dessen Berührung aber einige Sekunden anhielt. Dann lächelte er, drehte sich Richtung Ausgang und marschierte los. May warf ihm noch ein »Sei vorsichtig da draußen!« hinterher. Sie hatte ihn auch gerne, soviel war spätestens nach dieser öffentlichen Aussage klar.


»Wie lange?«, fragte Sab. »Etwa vier Wochen.«, gab Tin eine Prognose für einen möglichen Start zurück zur Erde. »Ich dachte wir wären deutlich schneller fertig.« »Die Kreuzer und Stationsteile nehmen wegen ihrer Komplexität am meisten Zeit in Anspruch. Man kann nicht einfach die Anzahl der Repligens verdoppeln, um doppelt so schnell zu bauen. Ab einer bestimmten Menge werden sie langsamer, weil sie sich gegenseitig im Weg sind und sich behindern. Ich habe bereits zweitausend von der Vanquist abziehen müssen und mit dem Bau der Mystery begonnen.«, erklärte Tin.


»Hallo, tut mir leid. Ich bin spät dran, aber ich muss nach jeder Sitzung noch zehn Minuten liegen bleiben.«, gab May zu verstehen, als sie den Kontrollraum betrat, der jetzt auch als Konferenzraum diente. »Schön mal wieder komplett zu sein. Hättest du was gesagt, hätten wir auf dich gewartet.«, erklärte Sab freundlich. »Die ersten beiden Mantas sind fertig. Die Transporterpiloten können bald anfangen sie zu testen.«, berichtete Tin weiter. »Suki sollte auch dazu stoßen, sie hat zwar nicht alle nötigen Prüfungen abgelegt, aber schon einen praktischen Transportereinsatz geflogen und war hervorragend.«, warf May ein, die sich immer noch etwas Schuldig für ihr Verhalten fühlte, obwohl sie gestern bei Mays Besuch in ihrem Quartier sehr froh war, weil sie zur Einsicht gekommen war. Mergy verstand den Grund und stimmte zu, obwohl Trish durch diesen Wunsch etwas die Moral untergraben sah.


Daneen meldete sich zu Wort und merkte an, die Piloten würden sich langweilen. Es waren immer nur zwanzig von ihnen in den Gleitern unterwegs und das auch nur weil man jeden Gleiter mit zwei Personen besetzt hatte. Wenn jetzt noch Testflüge und Kurse für die neuen Flieger dran kämen, dann wäre das trotzdem nicht genug um die Truppe bei Laune zu halten. Mergy griff den Hinweis auf und machte sie zu einer Art Animateur. Sie solle sich für die Abende etwas ausdenken, um die Leute zu motivieren und bei Laune zu halten. Etwas auf das sie sich freuen können. Daneen war sichtlich irritiert, hatte sie nicht erwartet eine derartige Aufgabe zugeteilt zu bekommen. »Man müsse in Zeiten der Not auch mal über seinen Schatten springen.«, war der einzige Kommentar, den sie von Mergy zu dem Thema bekam.


Jaque meldete sich von der Decke und berichtete, die Patrouille hätte ein altes fremdartiges Raumschiff gefunden. Tin war sofort Feuer und Flamme und machte sich auf den Weg. May folgte ihr ohne etwas zu sagen. Erst im Treppenhaus bemerkte Tin ihre Verfolgerin, die ihr erklärte mitzukommen. Nach Klärung ihres medizinischen Zustandes mit dem Doc und das sie durchaus flugtauglich war, durfte sie mit. »Mantas?«, fragte Tin und die Mehrzahl deutete darauf hin, jeder würde eines der neuen Fluggeräte fliegen. »Klar!« May schaute sich die neuen Flieger genauer an. Vorne im Abstand von etwa zwei Metern ragten Geschützrohre aus der Front. Untenrum war es fast flach und von der Grundform her wie ein Bonbon geformt. Die Seiten waren mehr flach, während Front und Heck ziemlich rund waren.


Die Mantas standen auf drei Stalks, die wie vergrößerte Versionen der normalen Gleiterfüße aussahen. Die Unterseite konnte wie die Waffenluke eines Bombers aufgeklappt werden und der Größe nach konnte man einen Kampfgleiter mit eingefahrenen Flügeln da hinein bekommen. Vielleicht sogar zwei übereinander. Eine flache Rampe am Heck war der Eingang. Wie bei einem Kampfgleiter hob auch ein Teil des Daches nach oben ab, damit man nicht mit etwaiger Fracht oben anstieß. Über die Rampe hinweg konnte man bis nach vorne sehen. Die Frontscheibe nahm fast das vordere obere Drittel des Schiffes ein und wurde nur durch zwei kleinere und eine große Strebe in der Mitte unterteilt. Im hinteren Teil waren an den Seiten Bänke und darüber diverse Fächer. Wie in einem Gleiter gab es auch hier zwei Sitze, aber sie waren wegen der Breite des kleinen Kampfschiffes deutlich weiter auseinander positioniert.


May setzte sich auf den linken Sitz und startete den Antrieb. Er klang nicht wie das leise Fauchen eines Gleiters. Er klang fieser. Naja, eigentlich war es nicht der Antrieb der Geräusche machte, sondern ein eigens dafür installiertes Gerät erzeugte die Fluggeräusche und auch das laute Aufheulen. Mergy meinte ein Fluggeräusch wäre sinnvoll. Selbst bei Elektroautos auf der Erde würde man aus Sicherheitsgründen Motorgeräusche einbauen, damit nicht versehentlich Fußgänger unter die Räder gerieten, die nach Gehör gelaufen waren. Die Ansammlung der Piloten vor der Kantine hatte sich schlagartig vergrößert. Alle wollten die neuen Flugmaschinen in Aktion sehen.


»Können wir?«, hörte sie Tin aus der Kommunikation. »Kann los gehen.« May schloss die Luke. Mit einem lauten Schrei setzte sich erst Tin und dann May in Bewegung. May machte direkt über dem Flugfeld eine Rolle bei der ihr Manta nur wenige Zentimeter über dem Boden entlang flog. »Hey, sei Vorsichtig.« »Keine Panik, ich habe damals nach meiner Beförderung Flugsimulationen mit den Mantas gemacht. Das mache ich nicht zum ersten Mal. Nur die Steuerkonsole der Transporter ist neu.« Schnell schossen sie in die dunkle Kälte und setzten Kurs auf die Koordinaten, die die Gleiterstaffel gemeldet hatte.


Das Raumschiff war ziemlich rund gehalten und hatte wie es aussah, gewaltige runde Fenster die, im Vergleich zur restlichen Hülle, überdimensioniert wirkten. Der Abtastung nach hatte es etwa 24 Meter Durchmesser und 75 Meter Länge. »Sieht fast aus wie ein altes U-Boot!«, merkte Tin über die Kommunikation an. Die Tonne hatte unzählige Löcher und Dellen. Sie waren wohl alle durch Kollisionen in der Wolke entstanden. Die Gleiter flogen noch in der Nähe des Schiffes herum, als die neuen Mantas eintrafen und die Piloten beobachteten die neuen Modelle, die sofort viel interessanter waren, als der alte Schrotthaufen im Weltall. Tin flog eine Runde und May folgte ihr.


Während Tin eine normale runde Flugbahn um das Schiff wählte, brachte May den flachen Flieger in extreme Rotationen und flog neunzig Grad Winkel. Den Gleiterpiloten, allen voran Nim, der, wie die meisten der Piloten, insgeheim ihre Flugkünste bewunderte, wusste dadurch sofort wer diesen speziellen Manta flog. »Lass uns mal an Bord gehen. Körperschild aktivieren. Ich modifizierte die Transporterkonfiguration, damit er uns mit Sauerstoff aus den Mantas versorgt.«, vermeldete Tin und übermittelte Koordinaten für den Transport. Der Körperschild war auch dringend nötig, denn der Innenraum war dem All ausgesetzt.


Das Schiff war ganz anders als die Schiffe der Draken und auch die Gleiter und Mantas des Ray Teams. Es war ein riesiger Raum, in dem sie sich befanden. Tins Sparx schwebte in der Mitte und leuchtete den Raum, wie eine Glühbirne einen Kellerraum, komplett aus. Dinge, die aussahen wie Konsolen und Bildschirme, befanden sich an den seitlichen Wänden, waren aber alle ausgefallen. »Die hatten wohl keine Gravitation.«, erklärte sich May die seltsame Anordnung. »Doch hatten sie. Ich hab die dafür nötigen Geräte auf den Scans entdeckt.« Vorne und hinten waren Türen, die ebenfalls fast Raumhoch waren. »Wie sind sie dann da oben dran gekommen. Waren das Riesen?« »Ja und Nein.«, lachte Tin und stieß sich von einer Wand ab und schwebte zum Türmechanismus der vorderen Tür: »Das sind wohl Nothebel für die Türmechanik.«


Der wuchtige Hebel alleine war fast so groß wie der Ray Team Kommander und so hatte sie keine Chance ihn zu bewegen. »Ohne Luft hast du wohl auch keine Möglichkeit, oder?« May schwebte bereits neben ihr und änderte die Konfiguration ihres Körperschildes, der nun deutlich größer und mit deutlich mehr Luft aus dem Manta gefüllt wurde, aber dafür auch nicht mehr voll kugelsicher war. Sie näherte sich dem Hebel, der nun komplett von ihrem Schild umschlossen wurde und so der Luft ausgesetzt war. Ein Knarzen war für May zu hören. Tin war in ihrer eigenen Blase nur vom Vakuum des Raums umgeben und konnte daher nichts vom ächzenden Metall hören. Dann rumpelte es und die Tür war offensichtlich entriegelt. Aufziehen konnte May sie nicht. Dazu bewegten sich beide an die Seite der Tür und versuchten sie mit den Füßen auszudrücken, was wegen der Ausmaße und dem Gewicht des Tores nicht gelang.


May nutzte wieder ihren Schild und presste diesmal Luft zwischen Tür und Rahmen, wo sie sie ausdehnte, wie bei einem Wagenheber. Beide erschraken sich zu fast Tode. Ein großes Wesen mit riesigen Glubschaugen, spitzen Zähnen und Flossen schaute sie direkt an. Es wäre etwa so groß wie ein Elefant meinte May, aber ihre ältere Kollegin reduzierte die die Größe maximal auf die eines Elefantenbabys. May zitterte am ganzen Körper. Noch nie hatte May sich vor etwas so gefürchtet. Die panische Angst stand ihr in den Augen. »Es ist tot und kann dir nichts tun.«, versuchte Tin sie zu beruhigen, aber May hatte schreckliche Angst und transportierte sich hastig auf ihren Manta zurück. Tin schaute in den Raum und suchte nach einem Objekt, welches sie auf dem Scanner gesehen hatte.


Es waren zwei dieser toten fischartigen Monster in dem rundlichen Raum, was ihr die Arbeit nicht gerade erleichterte. Auch Tin musste zugeben, sie sahen wirklich gruselig aus und bewegten sich durch die fehlende Schwerkraft immer noch ein wenig wie Fische. Schließlich wurde sie fündig. Es war wie von ihr vermutet eine Art Datenspeichergerät. Sie hoffte es würde Informationen enthalten, die nicht in der Datenbank der Draken verzeichnet waren. Eine andere Sicht der Dinge.


Tin transportierte sich zurück auf ihren Manta. »Geht es dir gut?« »Ich – Ich hatte einfach schreckliche Angst. Tut mir leid.«, hörte sie leise und verweint die Stimme ihrer Kollegin am anderen Ende: »Total Peinlich.« »Ist doch nicht schlimm. Wenigstens waren es keine Riesenspinnen, dann wäre ich wohl noch schneller getürmt als du. Fliegen wir zurück.« Ohne weitere Rotationen und unnütze Flugakrobatik kehrten sie auf ihren Stein zurück. Tin konnte es nicht erwarten die Daten zu sichten. May musste sich nach der Landung erst einmal auf eine der Bänke setzen, um das gerade Erlebte zu verdauen. Schließlich folgte sie Tin in den Turm, wo sie im unteren Bereich ein kleines Labor eingerichtet hatte.


»Hey.«, sagte sie nur zögerlich als sie den Raum betrat. »Geht es wieder?« »Ja, ich glaube ich hatte noch nie in meinem Leben so viel Angst. Was waren das für Tiere und wo ist die Mannschaft hin?« »Tja, ich bin zwar mit dem Datenspeicher noch nicht weiter, aber ich denke das war die Mannschaft.« »Aber das waren doch Fische, oder nicht?« »Ja und die Draken sehen ein wenig aus wie Krokodile. Ich nehme an es hat einen Unfall gegeben und das Wasser ist ins All entwichen.« Mays Blick fiel auf das Uhrzeitfeld eines der Terminals. Es war Zeit für ihre Behandlung. Tin versprach ihr Bescheid zu geben, wenn die Datenbank komplett überspielt sei.


Wenige Minuten später lag sie mal wieder auf dem Tisch und die Maschine surrte laut. Sandra machte wohl Pause und nur Anja und der Doc waren anwesend. May beobachtete die ihr immer noch fast unbekannte Frau. Sie war eindeutig nicht zum Schlafen gekommen und wirkte Müde. Der Doc hatte die Aufgabe gestellt alle Geräte durchzusprechen und etwaige Verbesserungsvorschläge zu machen. Damit hatte er nebenbei auch gleich drei weitere Punkte erledigt. Anja hatte eine Aufgabe, lernte wie man die Technik nutzte und alle Geräte wurden geprüft. Die neue Kraft war mit ihrer Unwissenheit, aber auch durch ihre medizinischen Kenntnisse ideal um vielleicht auch die ein oder andere Verbesserungsmöglichkeit zu finden.


Trotz Müdigkeit war sie voll bei der Sache und wirkte deutlich fröhlicher als noch einige Stunden zuvor. Die Maschine stoppte und May schaute auf den Terminal um die Zeit zu ermitteln, bei der sie aufstehen durfte. Sie sah den Minuten beim langsamen Zählen zu, als plötzlich Suki in den Raum stürmte: »Doc, mit Nim stimmt etwas nicht.« May erschrak und sprang fast vom Tisch. Auch der Doc schenkte Suki die volle Aufmerksamkeit. »Er fällt von einem auf den anderen Moment in ein Debilkoma und dieses Dauergrinsen ist bestimmt nicht gesund.«


»Hmpf!«, hallte es aus Mays Ecke, die sich einfach nach hinten fallen ließ. Suki hatte mal wieder einen ihrer üblichen Späße gemacht. »Ja, wir tun was wir können. Diese Infektion schreitet rapide fort, wird aber nur durch Lippenkontakt übertragen. Sei also vorsichtig, wir haben jetzt schon mindestens drei Fälle.«, spielte der Doc mit und gab Mays kleines intimes Geheimnis preis, was May mit einem lauten und intensiven Grummeln kommentierte. »Nein, is' nicht wahr!«, kam sie jetzt auf May zu. »Los erzähl!« »Nein.« Suki stupste sie. »Raus mit der Sprache!« Suki war in solchen Dingen nicht zu stoppen. May hatte keine Wahl und ergab sich ihrem Schicksal.


»Ja, wir haben uns geküsst.« »Und?« »Was und?« »War es gut?« »Es war schön. Er hat mich gern.«, sprudelte plötzlich eine Information mehr aus ihr heraus, als sie eigentlich preisgeben wollte. »Ich hatte mich schon gewundert. Ihr habt doch nur kurz auf dem Flugfeld geredet und das konnte nicht der Grund für dieses Dauergrinsen sein.« »Du warst doch gar nicht dabei?« »Nein, aber ihr seit das Thema Nummer eins.« »Na, toll. Tust du mir einen Gefallen?« »Klar, was denn?« »Kannst du zu einem der neuen Mantas gehen und ihn sprengen?« Suki war verwirrt. »Wieso das denn?« »Weil sich die anderen dann über dich das Maul zerreißen und nicht über Nim und mich.«


Suki brach in Lachen aus: »Es ist schön dich wieder fröhlich zu sehen. Was meinte der Doc mit drei Fällen?« »Das weiß ich auch nicht.«, bog May die Wahrheit ein wenig. »Doc was meintest du mit drei Fällen?«, fragte Suki den Doc direkt quer durch den Raum. Anja lauschte der Unterhaltung schweigend. Ihre kleine Scharade vom Morgen war bereits Stunden zuvor aufgeflogen, aber davon hatte sie keine Ahnung. Ja genau genommen war sie bereits aufgeflogen, bevor sie überhaupt gespielt worden war. »Anja hier sieht auch so aus, als hätte es sie erwischt. Sieht unausgeschlafen aus, hat aber angeblich verschlafen ohne ihr Bett zu benutzen. Das ist eindeutig. Anfangsstadium würde ich sagen.«


Anja wurde knallrot und alle mussten lachen. Es dauerte einen Moment bis Anja erkannte, dass der Doc ihr wegen der kleinen Notlüge nicht böse war und sich anschloss. »Was ist denn hier los?«, fragte Mergy als er in den Raum kam. »Ihm sieht man es noch gar nicht an.«, erklärte Suki zwischen zwei Lacherwellen. »Das kommt noch.«, kugelte sich May vor lachen. Mergy stand immer noch unsicher im Raum und sah der fröhlichen Gruppe zu. Es freute ihn, alle Anwesenden mit so guter Laune zu sehen, war es doch die Besatzung der Krankenstation, der in den letzten Tagen die meiste Arbeitsleistung abverlangt worden war. »Doc darf ich dir Anja für eine Weile entführen?«, fragte er schließlich. Der Doc stimmte zu und auch Anja hatte nichts dagegen ihre Arbeit zu unterbrechen. Genau genommen war es ja nicht einmal ihre Arbeit. Sie war nur zufällig in die Rolle einer arbeitslosen Weltraumreisenden gerutscht.


»Ich dachte wir machen einen kleinen Ausflug.«, erklärte Mergy: »Der letzte war ja nicht so der Bringer.« Anja musste kurz lachen, weil er eine Raumschlacht mit Außerirdischen als nicht gelungenen Ausflug umschrieb. »Nehmen wir einen Manta. Mal sehen wie die funktionieren?«, merkte Mergy an und Anja fragte nach. Mergy erklärte ihr das diese Schiffe komplett neu waren. Es gab bisher nur einige Prototypen, aber die Steuerung wäre von May und Tin überarbeitet worden. Durch die hintere Luke stiegen sie ein. Mergy aktivierte die Konsole und schloss das Heck. »Manta 1 an Tower, erbitte Starterlaubnis.« »Starterlaubnis verweigert.«, kam patzig aus der Kommunikation.


»Wir sollten reden. Gestern sind wir nicht wirklich dazu gekommen.«, grinste Mergy und wippte mit den Augenbrauen. Anja war spaßig entrüstet über die doppeldeutige Wortwahl. Sie hatten zwar lange geredet, aber es war mehr über die Geschehnisse der letzten Tage und dann waren sie einfach nur Arm in Arm auf Mergys Bett eingeschlafen. »Achtung, Überflugswarnung.«, tönte es über den Platz und etwa fünfzehn Sekunden später rauschten zehn Gleiter der letzten Schicht über den Platz und den Manta hinweg und landeten. »Manta 1, Starterlaubnis erteilt.«, drang es aus der Kommunikation und Mergy startete den Manta. Unsicher und leicht wackelig waren die ersten Flugbewegungen, aber dann ging es besser. »Nicht schlecht.«, merkte er beiläufig seine Meinung zum Flugverhalten an.


»Was ist das denn?«, fragte Anja, als sie das gewaltige Schiff im Raum erblickte. »Das ist unsere neuste Entwicklung. Ich war für Galaxy-Klasse, aber Sab und die Anderen waren für Träger-Klasse. Es ist so etwas wie unsere Version eines Flugzeugträgers im Weltall.« »Und da kommen diese neuen Mantas rein?«, fragte seine Begleitung weiter, als sie die riesigen nach vorne gerichteten Öffnungen sah. »Ja, genau.« Mergy steuerte den Manta in eine der Buchten und setzte sanft auf den Stalks auf. »Weisst du, ich wollte dir das mit meiner zweiten Identität nie sagen und jetzt habe ich ein Problem.« »Was für ein Problem? Ich werde davon niemandem etwas verraten!« Mergy musste lachen.


»Die meisten würden dir die Geschichte sowieso nicht glauben und genau da liegt das Problem. Ich weiß ich bin schon ziemlich lange in dich verliebt, aber ich weiß nicht genau in wen du verliebt bist.« Anja konnte nicht so recht folgen. »Ich habe mich auch in dich verliebt. Ich dachte das wäre nach gestern Abend klar?« »Nicht wirklich. Verstehst du. Du wirst nie mit Mergy zusammen sein, sondern nur mit Thomas dem Langweiler, der meistens nicht zu sehen ist, weil er gerade im All auf einer Raumstation hockt. Ich habe Angst, weil ich dir vielleicht nicht bieten kann, was du brauchst - was du verdienst.«


Anja ließ seine Wort sacken. »Ich liebe dich. Egal ob Thomas oder Mergy. Das Ray Team ist deine Arbeit. Es ist wichtig und das verstehe ich.« »Du kommst damit klar, wenn deine Eltern, dein Bruder oder deine Freunde dich fragen, was du an mir findest? Dann kannst du nichts über Mergy sagen. Dann musst du deine Liebe zu Thomas begründen. Einem Typen der nichts in seinem Leben auf die Reihe bekommt.« »Weil ich weiss das Thomas, auch wenn man es ihm nicht ansieht, und er es nicht offen zeigt, ein guter Mensch ist, bei dem ich mich geborgen und sicher fühlen kann, auch wenn gerade die Welt untergeht.«


Mergy musste verlegen lächeln und wurde leicht rot, was Anja sichtlich gefiel. Sie ließ sich aber nicht zu sehr anmerken, um den Moment nicht zu zerstören. »Wie lange?«, fragte sie schließlich und Mergy wusste nicht was sie meinte. »Du hast gesagt du bist schon ziemlich lange in mich verliebt. Wie lange?« »Ist das wichtig?« »Nein, aber ich wüsste es gerne.« »Sieben Jahre in etwa. Ich weiß es nicht mehr genau. Damals hast du mir gegenüber gestanden, es hat einfach Klick gemacht und alles war anders.« »Sieben Jahre? Dann hast du ja all meine verkorksten Beziehungen mitbekommen. Das hat bestimmt weh getan, oder?« »Ich hab nur ab und an etwas aufgeschnappt und dich auch mit deinen Freunden gesehen. Ich konnte ja auch nicht einfach jemanden ausfragen. Es tat schon weh, aber ich war auch froh dich glücklich zu sehen.«


»Das ist jetzt vorbei. Ab jetzt sind wir beide glücklich.«, grinste Anja, stand auf, setzte sich auf Mergys Schoß und drückte ihm einen Kuss auf, den er erwiderte. »So, jetzt bist du auch angesteckt.« Mergy schaute fragend drein. Anja erklärte ihm die Sache mit der via Lippenberührung übertragenen Krankheit und so erfuhr auch Mergy vom Kuss zwischen Nim und May. Mergys Magen knurrte laut und wenige Sekunden später knurrte der von Anja. »Ist das etwa auch ansteckend, Frau Doktor?« »Kann ich nicht genau sagen, aber ich weiß wo es die richtige Medizin dafür gibt.« »Dann mal los.« Anja hüpfte wieder auf ihren Sitz und ihr neuer Freund hob vom Hangardeck ab, fuhr die Landefüße ein und startete ins All.


Als das frische Paar nach ihrem kurzem Ausflug gemeinsam in die Kantine kam, war eins sofort klar: Man tuschelte über sie. Mergy war das egal. Anja schaute aber noch etwas unsicher drein, schließlich war sie die Neue im Bunde. Mergy ließ Anja den Vortritt und sie bestellte Kassler mit Sauerkraut und Kartoffelpüree. Mergy wollte gerade das selbe Menü bestellen, als Reiko ihm ein Tablett mit Frühlingsrollen, Reis, verschiedenen Fleischsorten und allerlei Soßen anbot. »Habe ich als kleines Dankeschön gemacht.«, erklärte sie. »Wow, das sieht toll aus. Das wäre aber nicht nötig gewesen. Die viele Arbeit.« »Ich habe ja sonst nicht viel zu tun.« »Magst du auch? Das reicht sicher für zwei!«, fragte er Anja und so teilten sie sich die reichhaltige Platte und bestellten nur noch Getränke, Besteck und leere Teller aus dem Verteiler. »Das ist ja unglaublich gut.«, merkte Anja an. Ihr Freund bestätigte und meinte wenn Reiko im Vollbesitz einer ordentlichen Küche wäre, würde sie noch viel unglaublichere Dinge kreieren. Beide genossen das Essen und unterhielten sich angeregt.


Deutlich später kam auch May in den großen Raum und setzte sich mit an den Sechsertisch, da die anderen Tische auch mit mindestens zwei Piloten belegt waren und mopste gleich als erstes die letzte Minifrühlingsrolle, obwohl sie eine komplette Mahlzeit auf dem Tablett vor sich hatte: »Hmm, ich will auch so was.« »Das geht nur über gute Beziehungen zur Köchin.« »Gut, sie ist meine Mutter.«, grinste May. »Ich denke das reicht nicht.«, lachte Mergy zurück.


Nur wenig später bemerkte Mergy Nim, der mit einem Tablett nach einem freien Platz schaute. Er bemerkte May zwar, traute sich aber wohl nicht ausgerechnet diesen Tisch mit zwei Kommandern zu wählen. Gerade als er nach hinten verschwinden wollte, fragte Mergy ihn über Mays Kopf hinweg ob er sich nicht zu ihnen setzen wolle. May riss ihre Augen auf, hatte sie doch Nim hinter sich überhaupt nicht gesehen. Zögerlich setzte Nim sich und wünschte einen guten Appetit. May war nervös. Das sah man aber nicht ihrer Körperhaltung, sondern mehr der Fehlfunktion ihrer Stäbchen an, die immer wieder ihre Ladung verloren. »Wir haben uns eben die Vanquist angesehen. Von Außen sieht man schon fast nichts mehr von der Baustelle.«, versuchte Mergy etwas Ruhe in May zu bekommen. »Das Schiff ist unglaublich.«, merkte Nim an: »Ich verstehe nur nicht wieso es einen Namen bekommen hat.« »Wir haben beschlossen nicht mehr alle Schiffe zu zählen. Die Mantas auf dem Träger werden gezählt, die auf der Station bekommen Namen. Ebenso die Transporter. Bei den Kampfgleitern bleibt alles beim Alten.«, erklärte Mergy Nim die Vorgehensweise.


»Werden wir viele Mantas bekommen?«, fragte Nim weiter und May wurde ruhiger als sie merkte das Mergy nur versuchte das Eis zu brechen. »Hangardeck 3 wird zum Transporter und Manta Deck. Vielleicht werden wir sie später auch später in einen der Stationsträger verlegen. Das ist noch nicht entschieden. Vierzig bis Sechzig werden es sicher werden.«, gab er sogar einige Informationen preis, die bisher außer der Kommandoebene niemand kannte. Mergy und Anja hatten schließlich ihre Platte leergeputzt und verabschiedeten sich von den beiden anderen Verliebten.


»Ich hätte nie gedacht mit ihm an einem Tisch zu sitzen und so locker zu plaudern.«, lächelte Nim. »Mergy ist eigentlich immer so. Manchmal etwas brummig, aber er ist ein Netter. Genau wie Trish und Tin.« »Sab finde ich unheimlich.« Nim schluckte. Er hatte gerade vor einem Kommander über einen anderen Kommander gelästert. Naja zumindest hatte er Sab als unheimlich tituliert. »Sab ist ok. Sie tut nur so hart und fies, weil sie immer das Beste erwartet und sich nicht mit halben Sachen zufrieden gibt.« Erst jetzt bemerkte May, wie auch ihre Unsicherheit langsam schwand. Ihre magischen Stäbchenkräfte waren wieder voll da.


Die kleinen Bohnen hüpften auch nicht mehr unkontrolliert auf dem Teller herum. Gleichzeitig führte sie noch ein Gespräch mit Nim und schaute ihm in die haselnussbraunen Augen. Sie erfasste jedes Detail seines Gesichtes. Die kleinen Muttermale am kantigen Kinn genauso wie die leichten Segelohren, deren Spitzen aus den langen braunen Haaren schauten wie Spargel zur Erntezeit. May bemerkte es gar nicht, aber sie hörte ihm gar nicht mehr zu, sondern war komplett in Gedanken über sein Gesicht versunken. Erst als Nim vor ihrem Gesicht mit der Hand wedelte, wurde sie wieder in die Realität zurückgeholt.


»Langweile ich dich?«, fragte er unsicher. »Nein.«, brachte May hastig heraus: »Ich hab dich genau angesehen und dabei wohl das Zuhören vergessen.« May hätte sich am liebsten auf die Zunge gebissen. Warum erzählte sie ihm das? »Also vor Schreck erstarrt.«, witzelte Nim und May lächelte. »Mir gefällt das Paket auch!«, gab May ein Kompliment das Nim nicht verstehen konnte, aber May beschwichtigte nur und meinte es wäre nicht wichtig. Schließlich machte sich das frische Paar wieder auf den Weg zur Krankenstation. »Sag mal? Wir wollen nachher noch ein paar Körbe werfen. Vielleicht hast du ja auch Lust?«, fragte Nim sie vor der Tür. »Wie schwer sind diese Körbe denn? Ich meine ich soll doch noch keinen Sport machen.«, fragte May und Nim musste sich vor Lachen mit den Händen auf die Knie klopfen. »Der war gut.«, lachte er und May spielte mit, weil sie die Ahnung hatte etwas komplett falsch verstanden zu haben. »Du kannst den Doc fragen, ja?«, fragte er nach und May stimmte zu.


Die nächste Behandlung stand bereits auf dem Plan. Sandra prüfte ein paar Einstellungen am Gerät. May dachte an das Essen zurück und musste kichern, während die Maschine laut rotierte. Sandra sah ihr breites Grinsen und konnte sich schon denken worum die Gedanken der jungen Patientin kreisten. Dann war wieder Wartezeit. »Sandra, was ist Körbe werfen?« »Basketball. Entweder das ganze Spiel mit zwei Mannschaften, oder einfach nur aus der Entfernung auf den Korb werfen.«, erklärte Sandra. »Man wirft die Körbe also nicht selbst?«, fragte May unsicher. Die Ärztin lächelte und erklärte ihr das, was sie über den Sport wusste. Es war nicht wirklich viel, aber May erkannte warum Nim so gelacht hatte. Er konnte ja nichts von Mays defizit auf diesem Gebiet wissen. Sie hatte nie einen dieser Körbe gesehen oder zumindest als solchen wahr genommen. Vom Spiel ganz zu schweigen.


Gegen Abend folgte sie der Einladung und es dauerte eine Weile bis alle mit ihrer Anwesenheit klar kamen. Sie spielte nicht als Kommander mit und wollte auch nicht wegen ihres Aussehens anders behandelt werden. Es waren fast nur Jungs am Spielen. Niesha war auch mit von der Partie aber May war sofort klar, auch sie wurde nicht wirklich ernst genommen. Die kleine Gruppe warf aus vorgegebenem Abstand auf den Korb und wenn Niesha mal nicht traf, lag es daran, weil sie eben eine Frau war. Bei den Männern war das einfach nur Pech. Suki, Katie, Sadi und mindestens zehn andere Piloten hatten sich auf und neben eine Bank gesetzt und schauten zu.


May war nicht wirklich gut und verfehlte immer. Bei ihr fielen aber keine Sprüche was May auch missfiel. »Kein Spruch, Stiff?«, fragte sie nach einem weiteren Fehlwurf: »Ich bin hier zum Spielen und nicht als Kommander, brauchst also nicht hinter dem Berg zu halten.« So angestachelt machte er weiter und diesmal auf Kosten der beiden Damen. Das wiederum gefiel Nim nicht und er und Stiff gerieten aneinander. »Wie wäre es, wenn wir das ein für alle mal klären.«, schlug May vor: »Die besten Fünf gegen mich. Jeweils drei Würfe, wer nicht trifft hat verloren und ist raus. Nach einem Durchgang gehen wir einen Meter weiter zurück und werfen erneut. Voller Körpereinsatz.«, erklärte May die Regeln. »Voller Körpereinsatz?«, fragte Stiff nach. »Ja, egal ob mit der Hand, dem Kopf, dem Fuß oder sonst wie. Wenn der Ball oben hinein fliegt gilt das, egal wie er dort hingekommen ist.«, öffnete sich May eine Sicherheitslücke, ohne sich später als Schummlerin zu fühlen.


»Der Verlierer putzt bei den Gewinnern die Quartiere. Gewinnen die Jungs, putzt May die Quartiere, gewinnen die Mädels, putzte ich.«, warf Stiff einen Einsatz in den Topf, der ihn wohl schon länger nervte. Im Gegensatz zur Station musste man hier selber die Reinigung übernehmen, da die Container nur über Licht, Wasser und einen Nahrungsverteiler verfügten, der nur Getränke lieferte. Eine automatische Säuberung wie auf der Station war nicht vorgesehen. »Einverstanden.«, gab May zurück und zwinkerte Katie, Sadi und Suki zu. »Das schafft sie doch nie.«, merkte Niesha an. »Die schafft das schon.«, trällerte Suki und Katie fügte ein »Stiff wird sich gleich wundern.« an, wussten sie doch um Mays besondere Fähigkeit.


Einer der Jungs zeichnete in regelmäßigen Abständen Linien auf den Platz. Angefangen wurde direkt unter dem Korb, was keine Probleme bereitete. Natürlich wählte Stiff seine Gang zusammen. Moon, Stiff, Charlie, Honk und Griff warfen für das Team der Männer, wie er betonte. May ließ es immer sehr knapp aussehen. In Wahrheit hatte sie alles unter Kontrolle und dank des kompletten Körpereinsatzes mogelte sie auch nicht. Mal im zweiten und mal im dritten Versuch, aber auch dann mit etwas Hüpfen und rollen auf dem Korb versenkte sie die Bälle. Die Jungs waren nicht schlecht, aber schon bald reduzierte sich das Feld. Schließlich warf May einen Korb und Stiff versägte alle drei Versuche. »Komm der Beste von drei Durchläufen.«, versuchte Stiff, immer den multiplen Klodienst vor Augen, um eine zweite Chance zu bitten.


»Ok, alles oder nichts.«, kam May ihm entgegen: »Du stellst mich mit verbundenen Augen auf eine beliebige Stelle des Spielfeldes und ich werfe. Treffe ich, putzt du und dazu wirst du kniend vor den anwesenden Mädchen zugeben, dass Frauen genauso gut spielen können wie ihr. Ansonsten putze ich wie gehabt.« Das konnte Stiff nicht ablehnen. Das war ein sicherer Sieg. Schnell war ein Tuch zum Verbinden der Augen gefunden und nach eingehender Prüfung der Dichtigkeit wurde May von Stiff auf den Platz gestellt. Natürlich maximal weit vom Korb weg und in die falsche Richtung gestellt. Durch die Anfeuerungsrufe konnte May schon ohne Superkräfte die Richtung erahnen und drehte sich ungefähr passend und ermittelte erst dann die genaue Position des Korbes. Dann warf sie ihren Ball in die Höhe und beförderte ihn beim Herunterfallen mit einem Faustschlag in die richtige Richtung.


Der Ball traf von oben auf den Korb, hüpfte erst links und dann rechts auf den Ring, bevor er in die Mitte kippte. Die Menge, die sich im Laufe des Spiels deutlich vergrößert hatte schrie jubelnd auf, als May den unmöglichen Wurf meisterte. Stiff konnte nicht anders. Es ging um seine Ehre. Er kniete sich vor die Menge und beteuerte das Frauen genauso gut spielen könnten, wie Männer. Er hatte vor den Augen aller gewettet und nun war er in der Pflicht. Nim lief direkt zu May hinüber, nahm sie in den Arm und küsste sie vor versammelter Mannschaft auf den Mund. Die jubelnde Menge war schlagartig still und beobachtete die Situation.


Sie hatten gesehen, wie die Beiden mit Mergy an einem Tisch gegessen hatten, aber dieses Detail hatte sich offensichtlich noch nicht herumgesprochen. »Das war unglaublich. Du bist unglaublich.«, stieß er nach dem Kuss aus. Nim ließ den Siegerball einige Male auftippen, bevor May ihn sich schnappte und in schnellen Laufschritten Richtung Kommandoturm verschwand. »Ich muss noch was erledigen. Bin gleich wieder da.«, warf sie nach hinten, während sie den Ball vor sich von der linken Hand in die Rechte und zurück dribbelte. Dann gab May der Spielkugel einen Stoß von unten und sie flog in die Höhe. May sprang aus dem Lauf in die Luft, machte eine Rolle rückwärts und trat den Ball nach hinten weg. Noch einmal hüpfte er nach endlosem Flug auf die gebogene Stange, aber diesmal ließ sie ihn am Korb vorbei fallen, um es nicht zu übertreiben. Der Jubel auf dem Feld war nicht weniger groß, als wenn sie getroffen hätte.


»Hallo, gibt es was neues von den Fischmonstern?«, fragte sie als sie Tins Labor betrat. »Ja, ich bin gerade fertig geworden. Es war deutlich schwerer als bei den Drakensystemen. Die Daten sind wirklich interessant. Aber es sind keine Monster, also im bezahnten Sinne. Sie heißen Seem und leben wie vermutet im Wasser. Die Seem fressen Tang oder was so auf Alienwelten im Wasser herum schwimmt. Die Zähne sind Filter und dienen dazu Pflanzen der Länge nach zu zerteilen. Im Prinzip hässliche Wale.« »Ziemlich gruselige Wale finde ich.« »Ihre Welt wurde auch von den Draken angegriffen und vernichtet. Die wenigen Seem die nicht auf dem Planeten waren, sind wohl verhungert oder wie diese hier durch ein Leck umgekommen. Ich denke wir werden wohl keine lebende Exemplare mehr antreffen, es sei denn sie haben eine Welt gefunden, die für sie gepasst hat. Sie waren ziemlich dicht dran. Die Erde hätte ihnen sicher als Heimat dienen können, aber man hätte sie dort wohl auch nur gejagt. So sind sie bestimmt besser dran gewesen.«


»Eigentlich eine ziemlich traurige Geschichte.«, musste May sich eingestehen: »Wie können Fische überhaupt ein Raumschiff steuern?« »Die sind seitlich an die Konsole geschwommen. So konnten sie mit dem einen Auge an der Seite den Bildschirm sehen und die Flosse steckten sie in eine Art eingebauten Datenhandschuh, der die Bewegungen in Signale umgesetzt hat. Eigentlich waren sie eine sehr fortschrittliche Rasse.«, erklärte Tin weiter. »Ich schlafe jetzt bestimmt besser, wo ich weis das sie nur Pflanzenfresser waren.«, verabschiedete sich der kleine Kommander. May trat zurück auf den Platz und viele der Zuschauer waren schon gegangen. Einige Jungs trainierten angestachelt von Mays Demonstration weiter Distanzwürfe.


Nim unterhielt sich mit Honk auf der Bank. May setzte sich neben ihn und lauschte seiner Geschichte mit dem Raumschiff. May konnte ihre Information beisteuern. Noch nie hatte sich der kleine Kommander mit einem Jungen so lange und so intensiv unterhalten. Jetzt waren es sogar gleich zwei und sie redeten schon weit über fünfzehn Minuten. Sie hörten ihren Erzählungen aufmerksam zu und stellten passende Fragen. Den Teil mit ihrer Todesangst vor den Seem ließ sie beim Erzählen allerdings aus. Sandra kam auf den Platz und beendete abrupt die ablenkende Unterhaltung, denn May hatte ihre nächste Sitzung komplett vergessen. Der Patient wurde wieder auf den wuchtigen Apparat gelegt und behandelt. Nim hatte sie begleitet und saß still auf dem Stuhl neben dem Bett und schaute sie an, während die laute Maschine ihre Runden drehte. May schaute ihrerseits ihrem Freund dabei zu.


Nach endlosen Minuten stellte sich die Maschine endlich ab und May konnte wieder mit ihm reden. Naja, eigentlich hatten sie bisher nicht viel geredet. May interessierte es wo er herkam und wie er zum Ray Team gekommen war. Nim erzählte ihr, er wäre in Chicago aufgewachsen. Seinen Vater hatte er nie kennengelernt und seine Mutter hatte sich mit Alkohol zugedröhnt, bis sie eines Tages eine Treppe herunter gestürzt war. Dann gab es nur noch Nim und seinen Bruder, der einer Straßengang angehört hatte. Nim wurde immer tiefer in die Bande hinein gezogen. Es ging dabei um Drogen, Autos und darum einfach der coolste zu sein. Nim erzählte ihr von den Diebstählen und Beutezügen. Sie hatten sich genommen, was sie wollten. Wer sich gewehrt hatte wurde einfach umgehauen. Ihr Freund erzählte die Geschichte sehr ruhig und nüchtern, als wäre er nur ein stummer Beobachter gewesen, den diese Geschehnisse alle nichts anging, aber es war sein Leben, seine Vergangenheit. Er sagte es wäre toll gewesen mit ihnen abzuhängen, gesehen und respektiert zu werden, aber er wollte nicht wirklich dazu gehören. Er wollte niemanden verletzen und bestehlen.


Dann hatte sein Bruder ein Mitglied einer anderen Gang aufgemischt und die wollte Rache. Mit einem Auto fuhren sie durch ihre Straße und feuerten auf ihn und seine Freunde. Nims Bruder und zwei andere aus der Gang waren sofort tot. Auch ein kleines Mädchen. Es war knapp fünf Jahre alt und wollte nur mit ihrer Puppe spielen. Sie hatte nach dem Schusswechsel ebenfalls tot in der Gosse gelegen. May merkte wie sein Schutzwall bröckelte, wie ihn der Gedanke an das kleine Mädchen quälte. Er hatte sich sicherlich noch nicht vielen Menschen anvertraut und sich so geöffnet. Ihr deutlich älterer Freund bewies viel Vertrauen, indem er May diese persönliche und emotionale Geschichte mit all ihren schrecklichen Details erzählte. Die Anderen aus seiner Gang wollten Rache und weil er der kleine Bruder war, sollte er eine größere Rolle übernehmen. Nim wollte nicht, er wollte keine Rache. Er wollte nicht noch mehr Blut vergießen.


Seine Gang stellte sich gegen ihn und als er versuchte sie aufzuhalten, versuchten sie sogar ihn zu töten. Das war der Moment in dem Mergy in sein Leben trat. Wie Supermann hatte er die Kugeln eingesteckt, dann seinen Arm mit einem Messer aufgeschnitten, genau wie im dem Terminator-Film und cool gefragt, ob sie bereit für einen qualvollen Tod wären. Die anderen aus der Gang waren gerannt, als wäre der Teufel persönlich hinter ihnen her. Mergy hatte dann gefragt, ob Nim nicht seiner Gang beitreten würde und er dachte für einen Moment alles würde von vorne losgehen, aber Mergy ließ ihm die Wahl. Nim konnte wählen ob er bleiben und wie die anderen Verlierer noch ein paar Jahre durchhalten wollte, bis ihn auch eine Kugel traff oder ihn die Polizei verhaften würde, oder ob er ein richtiger Held werden wolle, der für die gute Sache kämpft. Für Menschen die Hilfe brauchen und ich Not waren.


»So war das.«, beendete Nim seine Erzählung. Mays Wartezeit war bereits lange um und so hüpfte sie von dem Stahlbett und direkt auf seinen Schoss und drückte ihn fest an sich. »Ich bin froh, weil du dich für das Ray Team entschieden hast.«, flüsterte sie leise in sein Ohr und drückte ihm einen Kuss auf. »Erzählst du mir deine Geschichte?«, fragte Nim vorsichtig und May erzählte. Von ihrer schönen Kindheit, der Flutwelle, ihrem Leben auf der Straße und wie Mergy sie schließlich gerettet und mitgenommen hatte. Als sie erzählte, wie sie auf Sor getroffen war, lachte Nim. May verstand erst nicht, aber Nim erzählte ihr, sie hätten sich damals beide angesehen, als er das Sor verlassen hatte.


May spulte in ihren Erinnerungen herum und erkannte, er hatte recht. Er war mit Honk am Tresen vorbei gelaufen, als Sor ihr etwas zu essen gemacht hatte. Beide hatten sich bereits damals genau angesehen. »Ihr habt bestimmt über meine Kleider gelacht, oder?«, fragte May und schämte sich immer noch für ihren damaligen Aufzug. »Nein! Ich weis nicht mehr genau. Ich glaube wir haben uns nur gewundert, was jemand wie du auf der Station macht.« »Jemand wie ich?« »Ja, naja. Du warst so jung.«, merkte Nim an. »Ich bin immer noch genauso jung verglichen mit dir.«, grinste May. »Stimmt!« »Ist das ein Problem?«, fragte May unsicher. »Naja, für mich nicht. Vielleicht für deine Mutter und für Mergy?« »Mergy liebt Anja und die ist auch 10 etwa Jahre jünger. Was Mama angeht, Papa war auch deutlich älter und sie weis glaube ich noch gar nichts von uns.«


Da hatte sich May geirrt, denn Reiko war bereits dabei die Stufen des Kommandoturms zu erklimmen. »Hallo«, rief sie zaghaft in die Kommandozentrale. »Hallo, Reiko. Welch seltener Besuch. Was können wir für dich tun?«, fragte Trish. »Eigentlich wollte ich zu Mergy.« »Mergy ist nicht hier. Keine Ahnung wo der steckt. Können wir vielleicht helfen?« »Ich weiß nicht, es geht um May und diesen Jungen.« »Ah, verstehe. Nim.« »Ich hab die Beiden eben zusammen gesehen.« »Ja, versteckt haben sie den Kuss wirklich nicht. Wir müssen es wissen, wir haben sozusagen Logenplätze gehabt.«, merkte Sab auf das große Fenster deutend an: »Setzen sie sich.« Zögerlich setzte sich Reiko auf den freien Stuhl an der Waffenkonsole: »Sie ist erst 16 und er ist viel älter.« Sab tippte auf der Konsole herum: »Er ist 27.« »Das ist doch viel zu alt für ein Mädchen wie May.«, merkte Reiko an. »Sie wird langsam erwachsen und sucht sich ihre Freunde selbst aus. Ihre Tochter ist zwar mit Abstand die Jüngste hier, aber was die Piloten angeht in den vielen Fällen trotzdem die Reifste.«, gab Sab zurück.


»Ja, hab Vertrauen in May.«, fügte Trish hinzu. »Ist er ein guter Junge?« »Also wenn ich eins sicher weiß ist, dass wir hier nur gute Jungs haben. Sonst wären sie nicht hier.«, erklärte Sab. »Er mag May schon länger und er mag sie immer noch, trotz ihrer neuen Verletzungen und ihrem jetzigen Aussehen. Ich denke damit bestätigt er Mays gute Wahl. Er liebt sie wegen ihrer selbst und nicht nur wegen ihrem guten Aussehen. Lerne ihn einfach besser kennen und mache dir selbst ein Bild. Wenn du ihr sagst, sie soll sich von ihm fernhalten, wird das nur im Streit enden und das Gegenteil bewirken.«


Reiko nahm den Rat von Trish dankend an. Der Altersunterschied gefiel ihr zwar immer noch nicht, aber sie sah ein, ihre Tochter wurde langsam erwachsen. Sie traf ihre eigenen Entscheidungen. Sie musste sich eingestehen, damals auch viel Jünger gewesen zu sein, als ihr eigener Mann. Erst jetzt als sie langsam die Stufen des kleinen Kommandoturms hinunterging wurde ihr bewusst, wie May, in ihrer Funktion als Kommander, Schlachten geschlagen und Entscheidungen getroffen hatte, die größer und bedeutsamer waren, als die Frage ob ein Junge zu alt oder richtig für sie sei.

Rückkehr der Draken

Die nächsten Tage verliefen unspektakulär. May und Nim waren ein Herz und eine Seele und das zeigten sie auch. Wann immer das Paar Zeit hatte, hing es zusammen ab. Gleiches konnte man von Mergy und Anja berichten, wenngleich die Beiden ihre Beziehung deutlich diskreter auslebten. Daneen hatte die Aufgabe als Freizeitoffizier angenommen und veranstaltete Abends in der Kantine verschiedene Aktionen. Mal wurde Karaoke gesungen, oder einige Piloten führten Zaubertricks für die anderen Zuschauer auf. Daneen hatte auch die Kommandoebene vorgesehen. »Man müsse auch mal über seinen Schatten springen!«, hatte Mergy gesagt und das hatte er jetzt davon. So hatten Trish und Tin gesungen und der Doc hatte gezaubert.


Einige Piloten replizierten sich Instrumente und traten als Band bei einem Tanzabend auf. Beim Commedyabend hatte May ihren großen Auftritt. Sie hatte lange überlegt, was sie darbieten könnte, kam schließlich auf die Idee als Bauchredner aufzutreten. Erst konnte sie noch sehen, wie einige der Piloten abwertend auf das Kind mit der Puppe schauten, aber als sie erst einmal los legte, gab es kein halten mehr im Saal. May konnte zwar nicht Bauchreden, aber dank ihrer Fähigkeit war es trotzdem kein Problem der Puppe eine Stimme zu geben. Nach einigen wirklich spaßigen Diskussionen zwischen May, der sprechenden Figur und dem Publikum, wollte das kleine Männchen noch die eigenen mentalen Fähigkeiten beweisen, sich von ihrem Körper trennen und als Geist die Zuschauer erschrecken.


Der lila Kommander traute ihrer Puppe, die auf den Namen Harry hörte, diese übersinnliche Fähigkeit natürlich nicht zu, ließ sich aber von ihr überreden. Die Kunstlerin ließ dazu die Stimme der Puppe direkt neben dem Ohr einzelner Personen leise ertönen, während die nun seelenlose Puppe in ihrer Hand, wie ein bewusstloser Körper, zusammensackte. Der Auftritt war ein großer Erfolg und sogar Sab hatte sich die Zeit genommen und schaute lachend zu. Fast hätte man vergessen können, hier am Rande des Sonnensystems auf einem Stein in einer kargen Notunterkunft zu verweilen.


Die Ruhe endete schlagartig, als nach einigen Tagen der Alarm losging. Ein Drakenkreuzer sprang direkt über dem Stein aus dem Unterraum und startete ohne jegliche Vorwarnung seine Jäger. Sab aktivierte die vier Geschütztürme, die Tin noch im letzten Moment hinzugefügt hatte und von Sab ursprünglich als unnütz belächelt wurden. Jetzt kam ihr die neue Bewaffnung gerade recht. Tin strahlte über das ansonsten ebenfalls unnütze Kommunikationssystem ein Störsignal, damit die Draken die Position der neuen Basis nicht an andere Drakenschiffe weiterleiten oder nach Verstärkung rufen konnten, sofern sie das vor dem Sprung nicht schon getan hatten. Die Piloten liefen zu ihren Fliegern und hoben ab. Die Krokodile in den feindlichen Jägern konnten die Kuppel nicht zerstören und das Mutterschiff eröffnete mit seiner Hauptkanone das Feuer. »Sab an Gleiter. Den Kreuzer vernichten.«, wies Sab an, aber Mergy änderte den Befehl ab und forderte nur die Hauptkanone unter Beschuss zu nehmen.


Er wollte aktuelle Informationen der Draken und zapfte, wie schon vor etwas über einer Woche im erdnahen Raum, erneut die Systeme an, was diesmal einfacher war, denn ihre Schilde waren schon durch das Waffenfeuer teilweise ausgefallen. Tin landete unterdessen auf der Vanquist. Sie hatte den fertigen Kreuzer abseits in der Wolke geparkt und bis auf Sensortarnung und Minimalschilde, um nicht durch den Steinschlag im Feld beschädigt oder zerstört zu werden, abgeschaltet. Dadurch wollte Tin eine Entdeckung durch den Feind verhindern, was ja auch offensichtlich hervorragend funktioniert hatte. Auf dem Schiff angekommen spurtete sie zur Brücke. Im Sichtschatten des Steins anfliegend, musste es für die Draken ein Schock gewesen sein, als die riesige Vanquist im Kampfgebiet auftauchte und mit ihren 48 ausfahrbaren doppelläufigen Geschütztürmen an Ober- und Unterseite das Feuer auf die Jäger eröffnete.


Die Drakenjäger verloren den Kampf bereits gegen die normalen Gleiter, aber die Vanquist radierte sie mit dem gezielten Streufeuer regelrecht aus. Jäger um Jäger wurde zerstört. Das riesige Drakenschiff aktivierte seinen Antrieb und entkam in den Unterraum. Die restlichen Jäger überließen die Draken einfach ihrem Schicksal, ihrer Vernichtung. Sab beorderte die eigenen Gleiter in dem Gebiet nach weiteren Schiffen der Draken zu suchen, aber sie blieben ergebnislos. Bis auf leichte Beschädigungen landeten alle Flieger wieder sicher auf der Basis. Tin flog mit der Vanquist zur alten Parkposition und kehrte ebenfalls auf den Stein zurück. Die Mystery hatte einige Schäden erlitten, da Teile des Schiffes noch nicht von den schiffseigenen Schilden abgedeckt wurden, aber die Repligen waren weiterhin unermüdlich bei der Arbeit.


Die bereits im Bau befindlichen Ray Team One Stationsteile waren, soweit sie sehen konnte, komplett unbeschädigt. Wahrscheinlich weil sie kein wichtiges strategisches Ziel darstellten. Schnell wurde das Fehlen eines Gleiters festgestellt: Kampfgleiter 1. Mergy hing mit seinem Gleiter noch an dem riesigen Alienschiff, als dieses in den Unterraum eintrat. Es ging ihm gut. Unbemerkt holte er sich weiter Daten vom Schiff. Durch die Beschädigungen an den Hangars war es ihnen entweder unmöglich in den Normalraum zu springen und Jäger zu starten, um ihn zu entfernen, oder sie hatten ihn noch gar nicht bemerkt. Der Gleiter jedenfalls strahlte nun auch das Störsignal aus und so war die Kommunikation mit der Drakenflotte, oder was auch immer sie hätten kontaktieren können, unmöglich.


Schnell sprach sich Mergys Verschwinden herum. Einige Piloten hatten seinen Gleiter mit dem Drakenschiff verschwinden sehen. May erfuhr es von Nim. Sie selbst hatte gerade eine Sitzung und daher nicht an der Raumschlacht teilgenommen. Anja war deutlich beunruhigter als May. Sie kannte ihn noch nicht so gut. Naja, eigentlich länger als May, aber eben nur den Typ aus ihrem Dorf und nicht den draufgängerischen Kampfgleiterpiloten. »Hey, er ist nicht das erste Mal verschwunden. Er kommt wieder. Mergy packt das. Vertraue mir. Vertraue ihm.«, versuchte May sie aufzumuntern.


Die Tür der Krankenstation sprang auf und eine maulende Suki kam in den Raum: »Es kann doch nicht sein. Ich habe schon wieder eine Raumschlacht verpasst.« »Patrouille?«, fragte Nim. »Ja.«, drang es gequält aus Sukis Mund. Während sie weit abseits des Steins durch die Wolke geschippert war, hatte sich hier direkt an der Basis eine kleine Raumschlacht abgespielt und Suki hatte erneut nicht daran teilnehmen können. »Hey, so etwas ist kein Grund zur Freude. Bei einer Raumschlacht sterben Lebewesen. Jedes Leben ist wichtig. Egal ob Krokodil, Fisch oder Mensch.«, erklärte May ermahnend und Suki erkannte, wie Recht sie eigentlich hatte. Bei der ersten Schlacht hatte sie selbst nur durch Glück überlebt. Nur weil sie jetzt Waffen besaßen, die besser waren, war das Ganze noch lange kein Videospiel. Nim saß nur da und betrachtete seine weise Freundin, die gerade mal wieder genau das getan hatte, was er so an ihr liebte.


Mergy überlegte was er nun tun solle. Er kam nur zu einem Schluss. Wo immer der Kreuzer hinflog, gab es andere Drakenschiffe oder eine Art Basis. Die Draken würden wieder zur Erde fliegen. Soviel war ihm klar. Warum sollten sie sich sonst hier am Rand des Sonnensystems herumtrieben? Also musste er versuchen sie aufzuhalten und Verwirrung stiften. Er war erfreut die Daten der Seem im Bordcomputer vorzufinden. Tin hatte sie offensichtlich bereits übertragen. So konnte er via Hologramm mit einem Knopfdruck seinen kleinen Kampfgleiter in ein mächtiges Seemschiff verwandeln und dank einiger Video und Tonaufzeichnungen sogar authentische Nachrichten erzeugen.


»Ich denke das würde euch gefallen.«, grinste Mergy und aktivierte die Berechnungen für das Seem Schiffshologramm. Es dauerte weitere 6 Stunden, bis der Kreuzer wieder in den Normalraum sprang. Schlagartig war Mergy in seinem, nun als Seemjäger getarnten, Gleiter von acht weiteren Drakenschiffen umzingelt. Er schoss einige Torpedos ab und ließ es so aussehen, als würde das Seemschiff selbst feuern. Das angeschlagene Schiff über ihm explodierte und mit ihm auch die Beweise und Koordinaten der neuen Ray Team Basis. Mergy konnte somit auch den Störsender deaktivieren.


Sollten sie doch weitere Schiffe rufen, weil die Seem sie angriffen. Sofort war der Raum von Jägern überflutet, aber Mergy feuerte so lange auf eines der Mutterschiffe, bis er einen Zugang hatte und einen Repligen hinein transportieren konnte. Während er weitere Daten sammelte zerstörte der Kommander sechs der anderen Mutterschiffe und unzählige Jäger. Die letzte Raumschlacht der Seem, viele Jahre nach ihrer eigentlichen Vernichtung, lief deutlich erfolgreicher als jede zuvor. Mergy nahm die Antriebe der beiden letzten großen Schiffe unter Feuer und ließ den Repligen im Bauch des Feindes explodieren.


Mit einem fingierten »Lang leben die Seem!« Ruf, den er wie eine Bildübertragung eines Seem aussehen und in hoffentlich brauchbare Sprache der Draken übersetzten ließ, sprang er wieder in den Unterraum. Die Draken konnten ihm nicht folgen, da die Jäger nicht über einen entsprechenden Antrieb verfügten und die verbliebenen Kampfschiffe zu schwer beschädigt waren. Jetzt hatte ihnen ein alter Feind, der eigentlich als vernichtet galt, kräftig in die Suppe gespuckt. Das sollte ihnen zu denken geben, Verwirrung stiften und dem Ray Team und der Erde vielleicht etwas mehr Zeit verschaffen. Mergy flog fast genau vom Stein weg und blieb viele Stunden auf diesem Kurs, bevor er langsam eine riesige Kurve im Unterraum zog, die ihn wieder zurück zur neuen Basis führen sollte.


Jedes Mal, wenn die Überflugwarnung über das Flugfeld schallte, war Anja zur Stelle und hoffte es wäre Kampfgleiter 1. Mergy war nun schon mehr als zwei Tage verschwunden. May versuchte sie zu trösten und mit ihr Zeit zu verbringen, um sie abzulenken. Das gelang ihr aber nur mäßig. Wieder ertönte ein Alarm, aber diesmal waren es die Piloten der Patrouille, die ein unbekanntes Schiff orteten und Meldung gemacht hatten. Mergy hatte mit aktiviertem Seem Hologramm den Unterraum verlassen und war natürlich sofort von den Gleitern entdeckt worden. Er konnte gerade noch die Tarnung als Seemschiff deaktivieren, um nicht von ihnen ins Visier genommen zu werden.


Der Alarm der Basis verstummte und wenige Augenblicke wurde Anjas Wunsch wahr. Mergys Gleiter rauschte über den Platz und landete, als wäre nichts besonderes vorgefallen, nach einer 180 Grad drehung an seinen Platz. »Ich hatte solche Angst.«, fiel sie ihm gleich nach dem Öffnen der Gleitertür um den Hals. »Tut mir leid. Sowas kann man nicht vorher planen.«, lächelte Mergy und gab an dringend in die Kommandozentrale zu müssen. Er rief auch May, Tin und den Doc dazu. »Ich hatte auf dem Flug genug Zeit mir die neuen Informationen anzusehen. Die Draken planen definitiv einen zweiten Angriff auf die Erde. Laut ihren Daten innerhalb der nächsten 24 Stunden.«, brachte Mergy es auf den Punkt: »Vielleicht hat uns mein Auftritt als Seem noch etwas Zeit verschafft.« »Dann sollten wir sofort packen und aufbrechen.«, warf Sab ein.


»Die Mystery ist noch nicht fertig. Ich kann den Bau vielleicht minimal beschleunigen, aber zwei bis drei Stunden brauche ich bestimmt noch bevor sie überhaupt flugtauglich ist, von den Waffensystemen und dem Innenausbau ganz zu schweigen.«, musste Tin sich eingestehen. »Bevor wir aufbrechen sollten wir der Mannschaft erklären was los ist. Machst du das, Sab?« »Kommt nicht in Frage, ich hab in letzter Zeit schon genug Reden gehalten. Jetzt ist Mergy mal dran.« »Ach, kommt. Ich bin nicht gut in solchen Sachen.«, war selbiger nicht sehr begeistert. »Er hat Probleme vor Menschenansammlungen zu sprechen.«, erklärte Trish ihren unwissenden Kollegen.


»Versuch es mit einem Witz zur Auflockerung.«, warf Sab Mergy zu und damit hatte er nun offiziell den schwarzen Peter. »Wann brechen wir auf?« »Ich würde gerne noch die Daten sichten und unsere Datenbanken aktualisieren. Eine Stunde, das Verladen dauert sowieso mindestens so lange.«, fragte Tin. »Also eine Stunde!« »Die Mantas kommen nach hinten in die Vanquist. Immer drei übereinender. Dann können die Gleiter vorne gestapelt werden. Das müsste passen. Mit dem neuen Antrieb der Krankenstation und der Vanquist sollten wir deutlich schneller sein, als auf der Hinreise. Ich stelle die Mystery soweit wie nötig fertig und komme mit den Stationsteilen nach.«, erklärte Tin das weitere Vorgehen.


»Gut, ruf die Truppe unten zusammen, ich will es hinter mich bringen.« Sab trommelte über die Lautsprecher die Mannschaft auf den Platz vor dem Kommandoturm. May lachte schelmisch. Sie hatte Mergy noch nie so nervös gesehen. »Grins nicht so. Du bist nächstes Mal dran.«, grummelte er nur heraus, aber die Aussage forcierte nur das Grinsen in ihrem Gesicht. Zehn Minuten später betrat auch die Kommandocrew den Hof vor dem Kommandoturm, wo die versammelten Truppen schon gespannt fachsimpelten, was jetzt wohl verkündet würde.


»Denk dran. Einen Witz zur Auflockerung vorweg.«, gab Sab ihm noch einmal, unterstützt durch einem Klopfer auf die Schulter, den Tipp mit auf den Weg. Die Tatsache Anja in der Menge zu wissen, die ihn erwartungsvoll ansah, machte die Sache für ihn nicht gerade einfacher. Mit seinen langen Beinen war er schnell auf einem der Kampfgleiter in der ersten Reihe und stand nun erhöht auf der Ladeluke: »Ok, also für alle die mich noch nicht kennen. Ich bin Mergy.« Dieser Satz brachte die Menge zum Lachen und auch Trish und die anderen schmunzelten. »Ich bin nicht gut im Reden halten, also fasse ich mich so kurz wie möglich. Vor etwas über drei Wochen haben uns die Draken angegriffen. Sie haben uns unser Zuhause genommen und unseren Planeten bedroht. Obwohl in unserer Jobbeschreibung nie der Kampf gegen außerirdische Völker stand, haben wir es mit Glück geschafft unsere Aufgabe, die Menschen auf dem Planeten zu beschützen, zu erfüllen.«


Andächtig lauschte die Menge seinen Worten. Fast wirkte es als hätten sie aufgehört zu Atmen, um seine Rede nicht zu stören. »Sie haben uns ohne Zweifel in den Hintern getreten, aber sie haben uns nicht besiegt und damit einen schweren Fehler begangen. Jedem Krieg in der Geschichte der Menschheit folgte ein Technologiesprung und diesen haben auch wir jetzt vollzogen. Wir sind besser ausgerüstet als zuvor und noch wichtiger, wir sind vorbereitet auf das, was uns erwartet. Unser Sieg war kein Glück. Das glaube ich nicht. Hier vor mir stehen die besten Männer und Frauen, die der Planet zu bieten hat. Jeder hier hat mutig und ohne Zweifel an seiner Aufgabe seinen Beitrag zur Rettung der Menschheit geleistet und es erfüllt mich mit tiefem Stolz zu dieser Truppe zu gehören zu dürfen.« Die Anwesenden konnten den Respekt, die Aufrichtigkeit und Ernsthaftigkeit seiner Worte in seinem Gesicht ablesen.


Er meinte was er da sagte, daran gab es nicht den geringsten Zweifel. »Laut den neusten Informationen aus den Drakenschiffen, planen sie eine zweite Invasion unserer Heimat und das schon in den nächsten 23 Stunden. Darum werden wir den Stein in etwa einer Stunde verlassen und deutlich früher als ursprünglich geplant zur Erde zurückkehren. Diesmal aber sind wir vorbereitet, diesmal werden sie überrascht sein und dieses Mal werden sie nicht fast gewinnen. Dieses Mal werden sie einen mächtigen Verbündeten von uns kennen lernen: Pure Angst! Sie werden sich wünschen unseren Planeten nie gefunden zu haben und wir werden ihre grünen Hintern ein für alle Mal aus unserem Sonnensystem treten.«


Die Menge war nicht mehr zu halten und brach in Jubel und Kampfesrufen aus. Mergy stieg vom Kampfgleiter und wendete sich an Sab: »Jetzt seit ihr dran.« »Er kann keine Reden halten. Hätte ich eigentlich wissen müssen.«, grinste Trish während Sab Mergys Platz einnahm und die begeisterte Truppe zur Ordnung rief und die weitere Vorgehensweise erläuterte. Die Piloten verstauten nach den gegebenen Anweisungen die Fluggeräte auf der Vanquist. Tin verabschiedete sich auf die Mystery. Die letzten Gleiter entfernten mit ihren Transportern die komplette Basis vom Stein. Da die 64 Quartiere der Vanquist immer noch nicht für alle ausreichten wurden diverse Lagerräume und auch die geräumigen Mantas selbst zu Schlafplätzen, in denen sich die Piloten auf die kommende Schlacht vorbereiten konnten. Nachdem die letzten vier Gleiter und Mays Manta auf dem Dach der Krankenstation verladen waren, brachen die beiden gewaltigen Schiffe auf.

Wir sind das Ray Team

Diesmal würde die Reise nur einige wenige Stunden dauern und dank der großen Vanquist waren die Platzprobleme Geschichte. Die meisten Piloten hielten sich in den Quartieren auf, nachdem sie das neue Schiff erkundet hatten. Nur wenige hielten sich in der kleinen Kantine auf und schauten dem ungewohnten roten Wabern des Plasmas zu, welches sich funkelnd und spiegelnd wie Oel um die Schilde der Schiffe schmiegte. Sab, Trish und Mergy saßen auf der Kommandobrücke ihres neuen Schlachtkreuzers, die fast genau wie der alte Kontrollraum der Station aussah. Es gab sogar die beiden Räume im hinteren Teil, die aber durch die neue Umgebung nicht mehr Rund, sondern komplett Eckig ausfielen. Wie schon im Kommandoturm führte hier eine Treppe nach unten, in ein verzweigtes Netz aus Gängen, die an den verschiedenen Sektionen des Schiffes vorbei führten.


»Ah«, jaulte Suki in ihrem Bett auf. »Was ist los?«, fragte Sadi, die sich mit ihr die Kabine teilte, besorgt aus dem unteren Bett. »Ich weiß nicht. Mein Bauch tut so weh.« Sadi stellte sich auf die Kante des unteren Bettes und schaute Suki an, wie sie ihre Seite hielt. »Sadi an Krankenstation. Medizinischer Notfall in Quartier 17.« Es dauerte ein paar Minuten bis Sandra durch die Tür eilte und Suki untersuchte. »Es ist der Blinddarm.«, stellte sie ihre Diagnose. »Och, nein.«, wusste Suki sofort was das bedeutete. »Die Krankenstation auf dem Schiff ist noch nicht komplett eingerichtet und ein Transport auf Medic One ist momentan nicht möglich. Ich will kein Risiko eingehen. Daher werde ich dich jetzt und hier einfrieren. Bei einem Blinddarmdurchbruch wird es gefährlich.«, erklärte Sandra. Sie spielte damit sowohl auf die überfüllten Hangardecks, als auch auf die Gefahr hin, die während eines Transports zur Krankenstation im Unterraum bestünde.


Wenige Sekunden später war Suki eingefroren. Sadi verneinte, als Sandra fragte ob sie Suki mitnehmen solle. Schließlich war sie mit ihrer im kalten Glas liegenden Freundin alleine. Es dauerte nicht lange und es ertönte die Meldung die Gleiter und Mantas zu besetzen. Trish setzte einen modifizierten Sparx aus, der in den Erdraum eindrang, einen kurzen Scan durchführte und dann wieder in den Zwischenraum zurückkehrte. »Sie sind bereits hier. Der Scan hat mindestens 12 Drakenschiffe über diversen Großstädten ermittelt.« »Gut, Sab verteile geänderte Sprungkoordinaten für die einzelnen Gleiter. Wir werden nicht im Verbund springen, sondern in kleinen Gruppen. Verteile unsere Flotte entsprechend auf Großstädte auf der anderen Seite der Kugel.«, gab Mergy die Taktikänderung vor.


Auf dem Planeten selbst war bereits Endzeitstimmung. Die meisten versuchten aus den Städten zu fliehen, was nicht nur angesichts der Masse an Menschen ziemlich zwecklos war. Wo sollten sie auch hin? Die Straßen waren verstopft und an ein Vorankommen war nicht zu denken. Die Menschen, die nicht flüchten wollten, standen auf den Gebäuden und warteten auf das Ende der Welt. Ein Reporter berichtete live vom Dach eines großen Gebäudes in New York. Im Hintergrund das riesige grüne Schiff der Angreifer, welches oberhalb der Freiheitsstatue parkte. Seine Berichterstattung war mehr nüchtern realistisch als optimistisch und immer wieder schwenkte die Kamera auf die Menschen, die sich mit ihm auf dem Gebäude befanden und weinend in den Armen lagen.


Andere waren voller Wut und schrien ihren Unmut den Aliens entgegen. Dann sah man die Jäger starten und seine Kamera übertrug das Bild von den vielen dutzend Jägern, die an drei Stellen der ihnen zugewandten Seite und auch an der Rückseite die Schiffe verließen. »Das Ende der Menschheit hat soeben begonnen.«, brachte der Reporter noch heraus, als sein Kameramann ihn auf die Explosionen hinter ihm aufmerksam machte, deren Ton aufgrund der Entfernung erst Sekunden später eintraf.


»Feuert beim Anflug auf die Hangars. Der Große gehört mir. Ihr schnappt euch die bereits gestarteten Jäger.«, gab May über Funk Anweisungen, während die fünf Mantas ihrer kleinen Armee die Wolken mit Feuersalven durchschnitten. »Da! scheibenförmige Untertassen haben das Feuer auf die Schiffe eröffnet!«, jubelte der Reporter, der sich selbst nicht sicher war, ob das jetzt gut oder schlecht für die Menschheit war, wenn sich jetzt schon zwei außerirdische Rassen auf dem Planeten bekämpften, während die anderen auf dem Dach gebannt zuschauten, was da passierte. May setzte sich vor das Mutterschiff. Nur kurze Feuerstöße. Mehr wäre trotz der neuen Reaktoren nicht drin. So stand es in der Gebrauchsanweisung der Mantas.


Es würde 12 Minuten dauern die vorderen Kanonen so aufzuladen, damit mehr als nur kurze Lichtpunkte abstrahlen könnte. Sinnigerweise wurden aus Sicherheitsgründen die Energiewaffen beim Parken abgeschaltet und entladen. May muffelte und diese Richtlinie passte ihr gar nicht, hatte sie doch einen großen taktischen Vorteil zu Nichte gemacht. Sie dachte aber auch nicht daran zu warten und wandte ihr Wissen an. Sie wies den Computer an die Überschussenergie der Schilde in die Waffen zu leiten. Die neuen Schilde würden normalerweise beim Überschreiten einer bestimmten Energiemenge, selbige in weitere Schildsysteme umleiten, die zusätzlich das kleine Schiff umschließen würden. Je mehr man also auf den Manta feuerte, desto stärker würde der Schild, sofern die Abstimmung mit den feindlichen Waffen stimmte.


Die Primärwaffe des Drakenkreuzers strahlte direkt auf den Frontschild, wie die Draken es schon bei ihrem Gleiter gemacht hatten. Die Energiewerte des Mantas stiegen rapide an, zeigten aber dieses Mal keine zerstörerische Wirkung. »Zeit Farbe zu bekennen.«, grinste May und lud ihre Vorstellung einer ordentlichen Mantalackierung. Segmentweise von vorne nach hinten änderte sich die Außenhaut des kleinen Schiffes. Im typischen Lila mit Mangafigur widerstand ihr Fluggefährt das Waffenfeuer ohne Probleme. Die Figur war diesmal anders gewählt. Hatte ihr Gleiter früher noch ein freundlich frech lächelndes Mädchen gezeigt, so zeigte der Manta nun einen Mädchenkopf, der vor Wut seine Zähne zeigte. An den zwei verschiedenen Gesichtsfarben konnte man eindeutig erkennen, wen dieses Bild darstellen sollte.


May schob den Schubregler nach vorne und jagte der Strahlenquelle, die auf ihr kleines Schiff feuerte, entgegen. Die Menschen auf den Dächern waren nicht die Einzigen, die die aktuelle Kriegssituation beobachteten. Das US Militär hatte Kampfflugzeuge entsandt, die den Feind angreifen sollten, aber die Mantas waren schneller und so dachte man sich es wäre besser sie erst einmal kämpfen zu lassen, um es später nur noch mit einem angeschlagenen Feind aufnehmen zu müssen. Mays wundersame Manta Verwandlung löste schon bei den Piloten in den Kampfflugzeugen Jubel aus.


»First Wave Leader an Basis. Diese Scheiben. Das sind keine Aliens. Es ist das Ray Team, Sir.« »Wiederholen sie, First Wave Leader.« »Das Ray Team ist wieder da. Der Lackierung nach haben wir Sichtkontakt zu Kommander Mays Schiff.« Sie mussten ihre Meldung noch mehrmals wiederholen, damit ihre Vorgesetzten verstanden, was hier gerade passierte.


Das Ray Team war zurück! May aktivierte die Waffen auf Dauerfeuer. Die beiden Frontrohre strahlten helles rotes Licht nach vorne und dank einer parallel ausgeführten Rotation schnitt May mit nur wenigen Rotationen einen zylinderförmigen Teil der Länge nach aus dem massiven Schiff. Direkt vor dem Feind zog sie nach oben. Unter ihr gab es eine gewaltige Explosion, deren Druckwelle auch den im Vergleich winzigen Manta erfasste, ihn rumpelnd vom Kurs abbrachte und in die Höhe warf.


Zur selben Zeit fanden ähnliche Schlachten auf dem ganzen Planeten statt. Über Paris war das Überraschungspaket am Größten. Die Vanquist sprang aus dem Unterraum und eröffnete direkt das Feuer auf das Mutterschiff. Die Wirkung war mehr als bescheiden. Langsam und gemächlich zog der neue Stolz der Ray Team Flotte am Heck des feindlichen Schiffes vorbei und flog langsam von der Stadt weg. Einige Jäger eröffneten das Feuer und fügten dem Träger minimale Schäden zu.


Das Mutterschiff wendete und Trish fragte sich schon, ob Draken nur so taten, oder ob sie in der Atmosphäre wirklich nur so langsam herumgurken könnten. Schließlich waren die Draken direkt hinter dem Flagschiff und folgten ihr. Ihre Hauptwaffe feuerte und traf drei der Blau strahlenden Flächen, die offensichtlich den Antrieb des neuen Ray Team Schiffes darstellten, aber in Wirklichkeit nur Designreste aus den Filmen waren, die Tin als Vorbild für den Kreuzer dienten und deren Aussehen adaptiert wurde. Diverse holographische Explosionen am Heck der Vanquist deuteten den massiven Schaden, den die Aliens mit ihrem Waffenfeuer verursachten, nur an. »Reingefallen!«, sprach Trish zu sich selbst, denn sie war die einzige Person auf dem riesigen Schiff.


Die Piloten saßen in den Mantas in den Landebuchten und warteten auf ihren Einsatzbefehl. »Schadenssimulation beenden.«, wies Trish an und die Holographischen Schäden auf der Schiffsoberfläche verschwanden. Trish zog die Vanquist vorne Hoch und setzte mit dem riesigen Schiff zu einem Looping an. »Vordere Geschütze bereit machen. Torpedobanken aktivieren.« Bevor die Draken in ihrem dauerfeuernden Schiff merkten was gerade passierte, wurde ihr Kriegsschiff am Ende des Loopings und diversen Torpedos der Vanquist getroffen und dabei von der Hauptkanone der Länge nach von hinten nach vorne in Stücke geschnitten und explodierte in einem gewaltigen Feuerball. Über der Stadt hätte das Schiff unmöglich zerstört werden können, ohne das riesige Trümmer auf die Stadt geregnet wären. Daher musste sie die potentiellen Trümmerreste erst mit einer entsprechenden Taktik aus der Gefahrenzone weglocken. »Mantas Eins bis Zehn starten. Holt euch die Jäger.«, wies Trish an. Als die Angriffsschiffe gestartet waren, sprang die Vanquist erneut für einen kurzen Moment in den Unterraum, nur um direkt über Berlin und neben einem weiteren Basisschiff der Draken wieder aufzutauchen und das Spiel zu wiederholen.


Die Weltuntergangsstimmung war spätestens vorbei, als May den Schrei ihres lila Flachdrachen über New York entfesselte. Der Reporter konnte nur noch jubeln und die Menschen zeigen, die durch diesen Schrei plötzlich wieder Hoffnung auf eine Zukunft hatten. Eine gigantische Explosion aus dem Nichts über den Mantas stiftete kurzzeitig Verwirrung. Anscheinend war einer der feindlichen Jäger versehentlich in die getarnte Krankenstation gerast und beim Aufschlag explodiert. Die Tarnung, Gravitation und der Antrieb setzten aus. Bereits wenige Sekunden nach der Explosion hatte die nun vollständig sichtbare Station deutlich Schräglage. Da wo vorher der Eingangsbereich der Krankenstation war, klaffte ein mindestens vier Meter breites und mindestens ebenso hohes Loch über beide Stockwerke hinweg. Der Doc hatte Suki bereits aus ihrem Klotz befreit und operiert. Sie war noch nicht wieder aufgewacht und lag auf einem der Tische, als die Explosion die Wand gewaltsam öffnete und den Vorraum mitsamt den Türen heraus riss.


Während der Doc neben dem aufgerissenen Türbereich mit dem Rücken auf der nun nach unten gerichteten Seitenwand lag, hatte Anja halt an Sukis Tischende gefunden, als sie bemerkte, wie Suki zu rutschen begann. Erst langsam, dann schneller, drohte sie erst vom Tisch und dann direkt aus dem Loch nach unten zu stürzen. Im letzten Moment konnte Anja die Knöchel von Suki greifen, lag aber nun aber selber mit dem Bauch auf dem Tisch. Nur mit ihren Fußspitzen, die sie an der Tischkante eingehakt hatte, konnte sie ihre immer bedrohlichere Position halten, während Suki, nur an ihren Händen gehalten, frei baumelte. May beorderte sofort einige Mantas an die Unglücksstelle, die mit ihren Greifstrahlen eine komplette Schieflage verhindern sollten. Sie richteten sie, ganz zur Freude von Anja, langsam wieder aus und hielten sie in Position. Wenige Momente später hörte man bereits die klappernden Geräusche der Repligen, die damit begannen die Schäden an der Technik zu beheben.


Es dauerte nicht lange und alle 22 Drakenkreuzer vernichtet. Aber es gab da ein gewaltiges Problem. Nicht nur May bemerkte das. Mergy fragte über Funk nach und aus allen Städten kamen die gleichen Meldungen. Die kleinen Jäger versteckten sich zwischen den Gebäuden. Sie feuerten aber nicht, sondern flogen einfach ziellos durch die Straßenschluchten. Die Piloten hatten nun den schwarzen Peter. Sie konnten nicht auf die Jäger schießen, denn die Explosionen zwischen den Gebäuden würden großen Schaden anrichten. Jeder Fehlschuss würde in einem Gebäude einschlagen und womöglich auch noch Menschenleben kosten. Die Draken hatten offensichtlich bei ihren Studien der Menschheit gelernt, wie wichtig jedes Leben für die Menschen war. Die Draken selbst waren auf dem Gebiet weniger zimperlich. Sie hatten schon mehrfach Jäger einfach ihrem Schicksal überlassen. Die Menschen tickten da anders und genau dieses Verhalten nutzten ihre neuen Feinde jetzt aus.


»Worauf warten die?«, fragte Mergy über Funk. May war bereits mit einer Idee auf dem Weg zur Krankenstation und transportierte ihre Mutter ohne vorherige Ankündigung direkt in den Manta. Reiko schaute ziemlich überrascht drein und sprach noch einige Wortfetzen von einer Unterhaltung mit Daneen aus, bevor sie bemerkte wo sie eigentlich war. »Was soll ich hier?«, fragte sie ihre Tochter schließlich. May hatte ihren Manta bereits hoch über den Wolken geparkt, als sie die hintere Ladeluke öffnete und sich ihrer Mutter zuwendete: »Wir müssen Menschenleben retten.«


May stand bereits in der Luft, als sie ihre Hand nach ihrer Mutter ausstreckte, die sichtlich Probleme mit der neuen Situation hatte. »Ich brauche dich. Die Menschen brauchen dich. Ich schaffe das nicht alleine.«, gab May bittend, fast flehend, zu verstehen. Schließlich schwebten sie beide, sich an den Händen haltend über den Wolken. »Wir werden uns mit der Luft verbinden.«, begann May zu erklären: »Mit der gesamten Luft des Planeten. Ich nach Osten. Du nach Westen. Wenn wir fertig sind, schnappen wir alle Drakenjäger, ziehen sie in die Luft und zerquetschen sie.« »Ich habe so etwas noch nie gemacht. Das kann ich nicht.«, beteuerte Reiko. »Doch du kannst das. Du bist stärker als ich. Ich bin verletzt und bestenfalls noch halb so stark wie sonst. Ich brauche dich. Du hast geübt und du schaffst das.«, motivierte May ihre Mutter: »Schließe deine Augen, finde die Großstädte und die Jäger. Eine Stadt nach der anderen. Einen Jäger nach dem anderen.«


Trish meldete über Funk, das gerade 105 weitere Kreuzer aus dem Zwischenraum aufgetaucht waren. »Klar. Die greifen immer mit 127 Schiffen an. Hätte ich mir ja denken können.«, brummte Mergy heraus und beorderte alle entbehrlichen Gleiter zum Angriff. »Kommando zurück. Kein Gleiter verlässt den Planeten. Das ist ein Befehl. Die gehören mir.«, hörten plötzlich alle Flieger des Ray Teams über ihre Bordkommunikation. Es war Tin mit der Mystery, die soeben ebenfalls in den Normalraum gesprungen war. »Du hast dir aber Zeit gelassen.«, witzelte Trish. »Besser spät als nie.«, erwiderte Tin. »Spacebender Torpedo laden. Manuelle Konfiguration.«, kommandierte sie den Bordcomputer des riesigen Schiffes, während sie seitlich auf die Flotte zu flog, die versuchte sich der neuen drohenden Gefahr entgegen zu stellen.


Tin nahm auf ihrem Terminal einige Einstellungen zur Detonationsrichtung vor und schoss die Waffe ab. Etwa 500 Meter vor den ersten Schiffen, die sich fast alle noch im 45 Grad Winkel der Drehung befanden, explodierte die feuerrote wabernde Kugel. Versuche der Draken das Geschoss mit ihren Geschütztürmen und den ersten einfliegenden Jägern zu vernichten schlugen fehl. Die Sicherheitsschilde des Torpedos leiteten die Energie einfach nach Innen und ohne es zu wissen vergrößerten die Draken das auf sie zukommende Übel damit zusätzlich. Eine gigantische Gravitationswelle breitete sich vor den feindlichen Schiffen aus und rollte direkt auf sie zu. Die riesigen Schiffe zerbarsten wie eine Packung ungekochter Spagetti, die man der Länge nach zu biegen versucht und auch die meisten der Jäger zerlegte es beim Auftreffen oder Überwinden der gewaltigen unsichtbaren Schockwelle, die erst durch die Trümmer ihre kompletten Ausmaße offenbarte.


Drei der Mutterschiffe konnten der Welle mit teilweise schweren Schäden entkommen. Sie drehten ab und setzten Kurs von der Erde weg. Aus dem letzten Schiff traten erst kleinere Explosionen aus und dann explodierte es komplett. »Drakenkommunikationskanal öffnen und in Drakensprache senden.« Der Computer bestätigte. »Wir sind das Ray Team. Dieser und viele andere Planeten stehen unter unserem Schutz. Sollte es noch einmal einen Drakenangriff auf eine unserer Welten geben, werden wir die Draken vernichten.« Die beiden verbliebenen Schiffe schafften es in den Unterraum zu springen und mit der empfangenen Botschaft zu entkommen. Tin radierte derweil die kleineren Jäger, die im All zurück geblieben waren, mit den unzähligen Kanonen ihres mächtigen Schiffes aus. »Moskau, Berlin, Rom«, sprach May. »Paris, Madrid, London«, gab Reiko zu verstehen und schließlich trafen die beiden Luftfraktionen unsichtbar über Europa aufeinander. »Sie eröffnen das Feuer.«, hörte man noch einen Piloten durch die Kommunikation des Mantas sagen, aber unabhängig davon gab May nur ein Wort als Anweisung: »Jetzt«


Die Jäger schossen senkrecht in die Höhe und noch bevor die Manta- und Gleiterpiloten reagieren konnten, explodierten sie in einem Feuerball hoch über den 22 Großstädten des Planeten. Wie ein weltweites Feuerwerk zur Feier des Sieges wurde der Feind zerstört. Mergy war sichtlich irritiert und auch die anderen Piloten konnten nicht begreifen, was gerade passiert war. Reiko spürte wie der Handkontakt zu May lockerer wurde und schließlich abriss. Als sie ihre Augen öffnete und sich umsah war May weg. Mit ihrer Fähigkeit fand sie sie in der Wolkenformation unter sich. Ihre Tochter fiel bewusstlos in die Tiefe.


Sofort stürzte sich Reiko hinterher durch die Wolken. Sie hätte sie einfach wie die feindlichen Flieger greifen können, aber daran dachte sie in diesem Moment nicht. Sie beschleunigte und wenige hundert Meter über dem Wasser nahm sie sie auf den Arm und bremste in einem Bogen ab. Sie war tief in ihren Gedanken versunken und bemerkte nicht einmal die Menschen, die von der nur wenige Meter entfernt auf der Freiheitsstatue jubelten und filmten. Sie hatte nur Augen für May und setzte ihren Flug zur Krankenstation fort, wo sie unter den staunenden Augen von Suki und Anja durch das, immer noch riesige, Loch in die Station einschwebte und um Hilfe rief. Dem Doc war nach einem ersten Scan schnell klar wie es um May stand. Sie hatte sich mal wieder übernommen und so konnte er Reiko beruhigen.


Tin hatte ihre Säuberung abgeschlossen, drehte bei und setzte direkten Kurs auf die Erde. Die ISS geriet direkt in die neue Flugbahn und drohte von dem riesigen Schiff wie eine Ameise zertreten zu werden. Die Mannschaft geriet bereits in Panik, als Tin den Unterraumemitter aktivierte und direkt vor der Raumstation in den Vortex eintauchte. Damit eröffnete sie den Astronauten einen unerwarteten Blick ins Innere der Mystery. Die bereits im Unterraum verschwundenen Schiffsteile fehlten und so konnte man direkt die Decks und Einrichtung sehen, als würde das Schiff in einem Trockendock scheibchenweise von vorne nach hinten abgebaut.


Neben der Krankenstation über New York tauchte das Schiff wieder im Normalraum auf, wo sich auch die restlichen Ray Team Mitglieder zu einer gewaltigen Flotte versammelten. »Es ist ein unglaublicher Anblick. Hunderte Schiffe schweben über der Stadt und es werden von Sekunde zu Sekunde mehr. Die Menschen sind außer sich vor Freude. Was eben noch wie ein Weltuntergang aussah, ist jetzt wie eine Wiedergeburt der Menschheit. Über der ganzen Stadt und aus den tiefen der Straßenschluchten kann man die Menschen 'Ray Team' rufen hören und ich muss mich dem anschließen. Danke an die tapferen Männer und Frauen, die unseren Planeten beschützt und uns nun schon zum zweiten Mal gerettet haben. Wir sind euch zu tiefstem Dank verpflichtet.«, trällerte der Reporter wieder euphorisch in seine Kamera, während sich auch die Menschen im Hintergrund jubelnd in den Armen lagen.


Schließlich trafen auch die gewaltigen Stationssegmente und im Vergleich dazu winzig anmutenden Frachtcontainer im Erdraum ein. Die Pakete mit den Stationsteilen waren von der Größe her nochmal deutlich größer als die beiden Schlachtschiffe. Trish beorderte eine kleine Gruppe von Gleitern ins All und ließ die Reste der Alieninvasion zusammenfegen und in die Sonne treiben. Dann wurden die Stationsteile an ihren Platz gebracht und die Repligens mit dem Zusammenbau begannen.


Einige Gleiter fehlten immer noch in der Truppe und als Trish den Kanal öffnete, erfuhr sie eine Nachricht, die sie schwer traf. Sie ließ sich die Meldung abermals bestätigen. Sab hatte mit ihren Manta einen Atomreaktor vor feindlichem Beschuss geschützt und dabei die Schilde extrem ausgedehnt, um den anderen Zeit zu geben die Jäger zu zerstören. Ihr Manta hatte einige schwere Treffer einstecken müssen und war explodiert. Sany hatte mit seinem Team das komplette Areal mehrfach nach Sab abgesucht, aber kein Zeichen für einen erfolgreichen Notfalltransport aus dem Manta gefunden. Die Kommandotruppe saß wie versteinert im Konferenzraum der Vanquist, während die Piloten noch ihren Sieg feierten und keine Ahnung von den Geschehnissen hatten. Das änderte sich erst, als die Mantas aus Sabs Gruppe an Bord der Mystery landeten und die Piloten mit gesenktem Kopf die Maschinen verließen.

Engel der Hoffnung

Als May auf der Krankenstation erwachte, war diese schon wieder in den Stationskern eingesetzt. Sie war erst unsicher was los war, aber dann spürte sie das leichte Vibrieren, welches die Station machte, wenn sie rotierte. Nim wartete schon besorgt im Vorraum der Krankenstation auf sie. Etwas stimmte nicht. Sofort erkannte May das seltsame Verhalten ihres Freundes. So erfuhr sie durch ihn von Sabs verschwinden. Der kleine Kommander war nicht mehr zu halten.


Ohne sich von Nim zu verabschieden stürmte sie von der Krankenstation direkt in die Kommandozentrale, wo die versammelte Mannschaft schweigend am Konferenztisch saß. Sabs angestammter Platz war frei geblieben, als würden noch alle auf sie warten. May musste gar nicht fragen, ob die Gerüchte stimmten. Ein Blick in die Gesichter ihrer Kollegen reichte aus. Ohne einen Ton zu sagen setzte sich May still dazu. Nach endlosem Schweigen war es Mergy, der als erster das Wort erhob: »Wieso wurde die Krankenstation so schwer beschädigt. Das war doch nur ein relativ kleiner Einschlag und eine kleine Explosion. Das hätten die neuen Schilde locker wegstecken müssen.«


»Ich–«, zögerte Tin und redete in leiser schuldbewusster Stimme weiter: »Ich habe vergessen die Technologieaktualisierungen für die Schilde auf die Krankenstation anzuwenden.« »Du hast was?«, wurde Mergy laut: »Das kann doch wohl nicht wahr sein. Was für eine Schlamperei ist das denn? Hatte Sabs Manta überhaupt Schilde an Bord, oder wurden die auch vergessen?« Die Bemerkung traf Tin tief. Man konnte den Einschlag jedes einzelnen Wortes in ihrem Gesicht erkennen.


Ohne einen weiteren Versuch einer Erklärung verließ der Zwilling hastig den Raum. May war klar, wie sehr Mergy sie gerade verletzt hatte. Wahrscheinlich hatte Tin nur den Raum verlassen, weil sie sich ihrer Tränen schämte. Das sie sich selbst schon die Schuld für den Unfall der Krankenstation gab, war mehr als nur offensichtlich. Trish, Doc und Daneen waren ebenfalls geschockt von der außergewöhnlich harten und unangemessenen Aussage. May war die erste, die sofort und ohne Umschweife offen laut aussprach, was sie von seiner Aussage hielt. Vielleicht verspielte sie hier gerade ihren Tochterbonus, aber es war ihr egal. Mergy war eindeutig zu weit gegangen und das knallte sie ihm direkt und ohne Umschweife direkt an den Kopf.


»Sag mal spinnst du jetzt total? Sab fehlt uns allen, aber Tin trifft sicher keine Schuld. Mal abgesehen vom Doc hat Tin in den letzten Wochen am Härtesten von allen hier gearbeitet. Keiner von euch hat auch nur versucht Tin zu helfen und sie zu unterstützen. Sie hat alles geplant, gebaut und kontrolliert. Wir brauchen eine Basis, Kreuzer, Mantas, Gleiter, bessere Waffen, bessere Schilde, schnellere Antriebe, eine verbessere Station und am Besten alles sofort. Als Dank bekommt sie jetzt von dir einen Tritt ins Gesicht. So etwas hätte ich von dir nie erwartet. Das ist echt das Letzte.« May sprang auf und verließ den Raum. Trish hatte eigentlich Tin sofort folgen wollen, aber als May ihren Monolog begann, war sie sitzen geblieben. Jetzt folgte sie May wortlos und auch der Doc verließ den kleinen Saal kommentarlos.


Daneen blieb alleine mit Mergy im Raum zurück. »Und?«, fragte Mergy schließlich brummig. »Was und? Sie hat recht. Aber ich denke das weisst du bereits.« Mergy antwortete nicht, aber innerlich bereute er die Worte, die er an Tin gerichtet hatte, schon längst. May hatte Recht. Was ihn aber noch schlimmer traf war, er hatte sie tief enttäuscht. Es fühlte sich an als hätte er gerade drei Menschen verloren und nicht nur einen. Trish fand Tin in einem der Lagerräume in eine Ecke gekauert. May wollte sie erst begleiten, aber Trish meinte, es wäre die Aufgabe einer Schwester. Also ging May in ihre Wohnung. Sie wollte selbst auch niemanden mehr sehen. Der Tod von Sab ging ihr sehr nah. Sie waren nie wirklich dicke Freunde geworden und hatten auch privat nie viel gemein gehabt, aber May verstand es mittlerweile hinter ihre harte Schale zu blicken und die wirkliche Sab zu sehen.


Die Tür zur neuen Wohnung öffnete sich. Die Alte gab es ja nicht mehr und May war gespannt, ob alles wieder so aussehen würde wie bei ihrem ersten Einzug. Der war schon Jahre her, wie ihr erst jetzt bewusst wurde. Ihre Augen wurden groß, als sie den Raum betrat. Da stand ihr Chopper, der Mondstein lag auf seinem Platz und auch die Geburtstagskarten, Bilder und anderen kleinen und großen Andenken waren alle an ihrem Platz. Als wäre sie nur für ein paar Wochen verreist und nun zurückgekehrt. Hastig stürzte sie ins Schlafzimmer und öffnete den Schrank. Sogar ihre alte zerrissene Kleidung war noch da. Träumte sie etwa? »Wie ist das möglich?«, fragte sie laut in den Raum. »Was meinst du?«, fragte Jaque mit seiner magischen anmutenden geisterhaften, wenn auch monotonen, Stimme von oben herunter. »Mein Chopper, mein Mondstein, meine Kleidung. Alles ist noch hier. Die Dinge müssten doch alle vernichtet worden sein.« »Was denkst du war in den Frachtcontainern?«, erklärte ihr der Computer.


»Da waren all die Sachen aus den Quartieren drin?«, fragte May erstaunt. »Ja, alles was nicht von Repligen erzeugt wurde, wurde automatisch auf eine Liste gesetzt und bei der Evakuierung wurden all diese Dinge in Container gepackt und in Sicherheit gebracht.« »Aber mein Chopper besteht doch nur aus Repligenteilen?«, merkte May an. »Du hast sie verändert, modifiziert und etwas neues geschaffen. Dadurch wurden sie einzigartig.« »Jaque, du bist der Größte.« »Ich bin nur ein Würfel von 15cm Kantenlänge und nicht in der Lage meine Dimensionen zu verändern.« May lächelte. Wenn sich auch in der nächsten Zeit viel verändern würde, wenigstens Jaque war der Selbe wie immer. Sie legte sich auf ihr Bett und sogleich stellte sich wieder das Gefühl von Heimat ein. Sie war wieder Zuhause.


Mergy selbst war noch nicht wirklich Zuhause angekommen. Er musste immer wieder an Sab und Tin denken und dann das Gesicht von May. Diese Wut in ihrem Gesicht. Es dauerte vier Stunden, bis Jaque endlich erklärte, Tin wäre in ihrem Quartier. Ohne zu zögern machte sich der Kommander sich auf den Weg. Er musste das unbedingt wieder gerade biegen. Auch wenn Tin meistens nicht zu sehen war, so war sie doch die Kraft hinter dem Ganzen. Sie war es, die dem Ray Team die Stärke und Kampfkraft verpasste. Es war eine Sache eine Waffentechnik zu entwickeln, aber eine andere daraus eine wirksame und brauchbare Waffe zu bauen. Seine Ziehtochter hatte ihn wachgerüttelt.


Ohne Tin säßen sie wahrscheinlich immer noch auf dem Stein oder gar nur auf dem Mond. Mergy erklärte Tin genau das und beteuerte, er habe die Worte nicht wirklich so gemeint. Er wäre so verletzt durch Sabs Tod und dann war auch Anja auf der Krankenstation gewesen. Ihr hätte bei dem Unfall auch etwas zustoßen können. Eigentlich wollte Tin ihm nicht so schnell verzeihen. Sie wollte ihn zappeln lassen, auch wenn er wie ein kleiner Junge vor ihr stehen und um Verzeihung betteln würde. Aber ihn so unter Tränen vor sich zu sehen, änderte alles. Noch nie hatte sie ihn so gesehen. Keine Frage diese Aussagen waren allesamt ehrlich gemeint.


Als May die Augen wieder öffnete verspürte sie ein Knurren in der Magengegend. Es war an der Zeit etwas zu essen, aber nicht alleine in ihrer Wohnung. Sie warf noch einen kurzen Blick aus dem Fenster. Der Anblick war ungewohnt. Die riesigen Träger in denen die Hangars lagen, ragten weit ins All. So ohne den Außenring und ohne die Türme wirkte die Station immer noch unvollständig. Naja, sie war genau genommen ja auch unvollständig. Die Repligen werkelten schon an den Seiten der Träger und konstruierten den neuen Ring. Deutlich konnte sie die kleinen Strahlen der fleißigen Ameisen sehen, die sich zu Hunderten auf der Außenhaut der Station tummelten. Schließlich stolperte der kleine Kommander auf den Gang und machte sich auf den Weg ins Sor.


Erst als sie die vom Computer generierte Figur hinter dem Tresen sah, bemerkte sie, wie sehr ihr auch Sor vermisst hatte. Nicht wie einen Menschen, aber es hatte in ihrem Leben jemand gefehlt. »Hallo Sor, schön dich wieder zu sehen. Ich hab dich vermisst.«, gab sie direkt zu verstehen und umarmte direkt die Version hinter dem Tresen. Es war ihr egal was die anderen jetzt dachten. Für sie war Sor ein Freund und Freunde umarmte man eben. »Es ist auch schön dich zu sehen Kleines. Was möchtest du Essen?« »Wie wäre es mit Hühnchen in Sahnesoße mit verschiedenen Gemüsen? Dazu Salat und als Nachtisch Wackelpudding? Erinnerst du dich?«, kicherte May. »Natürlich. Dein erstes Essen hier im Lokal. Mal abgesehen von der Nudelsuppe.« Sors Mund wand sich wieder um den grauen Kopf. Als May ihr Tablett erhielt und sich nach einem Platz umschaute, sah sie Trish an einem der äußeren Tische sitzen.


»Hallo, geht es Tin schon wieder besser?«, fragte sie direkt und setzte sich zu ihr an den Tisch. »Tin geht es besser. Mergy hat sich bei mir entschuldigt.« May überlegte für einen Moment und Tin grinste. »Ich denke du wünscht dir gerade mal wieder Namensschilder für alle, oder?« »Stimmt!«, freute sich May über ihren Stimmungswechsel. »Du hast ihm aber schnell verziehen. Das hätte ich an deiner wohl nicht getan.« »Wollte ich auch nicht, aber als er so fertig und weinend vor mir stand konnte ich nicht anders. Er hat mir auch von deinen Worten nach meinem Abgang berichtet und meinte er hätte dich sehr enttäuscht.«


Mergy hatte geweint. May konnte sich das gar nicht vorstellen. Er war immer so taff und jetzt hatte er weinend bei Tin um Verzeihung gebettelt? »Sab und Mergy standen sich sehr nah.«, merkte May an und Tin wurde hellhörig: »Wie meinst du das?« »Damals als sie mir eröffnet hat, Mergy sei in der Vergangenheit geblieben und mittlerweile Tod, war sie auch ziemlich mitgenommen. Ich denke dieses gegenseitige Anstacheln und Kontra geben, war ihre Art von Verbundenheit. Ihr unsichtbares Band.« Tin war beeindruckt von Mays Sicht der Dinge. Von dieser Seite hatte sie es noch nie gesehen und je mehr sie in Erinnerungen kramte, desto logischer war seine Reaktion auf den Verlust.


»Weisst du schon das Neuste. Das Orakel hat mal wieder etwas mysteriöses ausgespuckt.« »Erzähl!« »Ein Engel bringt Hoffnung wo jede Hoffnung fehlt.« »Das ist alles?« »Ja.« »Wer auch immer das Orakel ist, derjenige sollte sich noch einmal die Sache mit den klaren Fakten genau durchlesen. Mit so etwas kann man doch nichts anfangen.« »Ja, Sab würde sagen: 'Jetzt warten wir also auch noch auf eine Lichtgestalt, die aus einem Säckchen Hoffnung verstreut'!« May musste laut lachen. Tin hatte den brummig genervten Tonfall von Sab so wunderbar getroffen und auch die Worte konnten genauso aus Sabs Mund stammen.


Anja hatte mittlerweile herausgefunden wo Mergy sich aufhielt. Er war in der unteren Kuppel des Stationskerns. Die Treppe mit den wechselnden Gravitationsrichtungen war auch für sie nicht so einfach. Schließlich verstand sie. Sie folgte der verdrehten Treppe einfach als wäre sie normal, auch wenn sie dabei an einer Wand hoch zulaufen schien und sich alles um sie herum drehte. »Das war ja irre.«, sprach sie laut zu sich selbst aus und marschierte die letzten Stufen nach oben. Der kreisrunde Raum war komplett leer. Einzig das eckige Loch der Treppe im Boden und Mergy, der an den Rand gelehnt da saß, störten die Symmetrie.


Wortlos setzte sich seine Freundin neben ihn. Ihre Arme berührten sich sanft, aber sonst machte keiner von beiden den Versuch einer Kontaktaufnahme. Es vergingen bestimmt 15 Minuten, bis Anja das Wort erhob: »Ihr standet euch sehr nah, oder? Willst du mir von ihr erzählen?« Mergy nahm sie jetzt erstmals seit dem Hinsetzen wirklich wahr. Die warme Schulter hatte er gespürt, aber nach einigen Minuten als selbstverständlich hingenommen und verdrängt. Es dauerte bis er auf ihre Frage antwortete. Er erzählte ihr die Geschichte ihres Kennenlernens und wie alles mit dem Ray Team angefangen hatte.


Anja konnte die Verbundenheit, die seine Erzählung ausstrahlte, fast mit Händen greifen. Er berichtete aber auch von den jüngsten Ereignissen und seinem Ausraster. Anja konnte sich die Umstände, die zu dieser Reaktion geführt hatten nach seiner Schilderung genau vorstellen. Gutheißen konnte sie sein Handeln natürlich nicht. Die Sache mit Tin war geklärt, aber er würde sich noch mit May auseinandersetzen müssen und hatte sichtlich Angst vor ihrer Reaktion. Seine Freundin erzählte ihm von ihrer Unterhaltung auf der Bank im Habitat. Davon wie May von ihrer Beziehung geredet hatte und von der Liebe zu einem Vater, die sie mit ihm verband.


Anja war sich sicher das Mädchen würde die Entschuldigung annehmen. »Trish hat gesagt wir hätten zwei Möglichkeiten zur Erklärung unserer Abwesenheit auf dem Planeten. Naja eigentlich mehr für deine. Meine Geschichte kann man ja so stehen lassen. Entweder Thomas ist auf den Acker gefahren und hat Mergy geholfen Suki zu versorgen und ist wegen dem Angriff mitgeflogen oder Thomas hat das alles gemacht und Mergy war gar nicht dabei.« Mergy schaute sie an: »Ersteres.« »Bist du sicher? Trish meinte das Zweite wäre gut. Nicht nur für Thomas, weil er mal nicht der – naja – Verlierer wäre, für den du ihn immer hältst, sondern weil du als Normalo über deine Erlebnisse mit dem Ray Team glaubhaft berichten könntest.«


»Ich weiß nicht. Dafür haben wir doch Daneen. Ich bin kein Held und will es auch nicht sein. Das Einzige was dem Looser immer gefehlt hat, warst du. Nicht Ruhm oder Geld.« Anja drückte ihm für dieses Kompliment einen Kuss auf. »Du hast mich gefragt, was ich sagen würde wenn man mich fragt, warum ich einen Langweiler wie dich als Freund habe. Wenn du als Held zurück kehrst, dann brauchen wir solche Fragen bestimmt nicht zu beantworten. Auch wenn ich bedenken habe, weil dich dann bestimmt jede Frau als Freund haben will.« Mergy lachte. »Hältst du mich für so oberflächlich und das nach all den Jahren, die ich still und heimlich auf dich gewartet habe?« Anja drückte ihm erneut einen langen Kuss auf und verzichtete auf eine Antwort.


Kommander Trish ließ sich nicht davon abbringen Thomas alias Mergy und Anja mit der Vanquist auf die Erde zu bringen. Es würde von Respekt zeugen, wenn das Ray Team einen ihrer größten Kreuzer abstellte, nur um zwei Personen nach Hause zu bringen. Beide hatten einen Koffer mit Kleidung. Schließlich brauchten die Beiden ja in den letzten Wochen etwas zum Wechseln. Anja bekam einfach die Kleider aus ihrem Schrank mit, während Thomas noch speziell für ihn erzeugte Kleidung bekam, weil er doch, wie immer, nur das eine Outfit mit Jeansjacke in mehrfacher Ausführung benutzt hatte. Auf der Brücke der Vanquist schauten sie noch einmal in die Sterne bevor das Feuer der Atmosphäre beim Wiedereintritt die Sicht blockierte.


Der Flug dauerte nur wenige Minuten. In seiner Rolle als Mergy startete er den Manta und schoss aus der Landebucht. Die Hofgebäude lagen im Schatten des riesigen Schiffes und man hatte, wohl auch durch das Zittern der Erde, welches der gewaltige Gravitationsantrieb trotz weiter Streuung erzeugte, die Ankunft bemerkt. Anjas Eltern und ihr Bruder standen im Hof und schauten nach oben, wo in etwa 150 Metern Höhe das gigantische Raumschiff parkte. Sanft setzte Mergy den Manta auf die Fläche zwischen den Gebäuden und öffnete die hintere Luke. »Nicht vergessen. Ich bin Mergy, also kein Händchen halten oder küssen.« Anja lächelte. Auch ihr Leben hing von diesem Geheimnis ab. Beide stiegen unter den immer noch staunenden Augen ihrer Familie aus dem kleinen Schiff.


Die Begrüßung fiel herzlicher aus, als erwartet. Man hatte Anja für tot gehalten. Ihr Wagen war nach dem Einschlag des Drakenjägers komplett zerstört und ausgebrannt gewesen. Auch wenn man keine menschlichen Überreste gefunden hatte, so war die Chance, diesen Unfall überlebt zu haben, verschwindend gering. »Es tut mir leid ihnen Anja erst jetzt zurückbringen zu können.«, entschuldigte Mergy die ungeplante Entführung. »Sie können stolz auf ihre Tochter sein. Sie hat viele Menschenleben gerettet und hatte großen Anteil an unserem Sieg über die Außerirdischen.« Man konnte sofort den ansteigenden Stolz in den Augen der Eltern und auch in denen des Bruders sehen. Anja wurde immer wieder umarmt und gedrückt. Mergy verschwand schnell im Manta und startete lautlos. Erst als er einige Meter über dem Grund war schloss er die Luke, fuhr die Landefüße ein und reaktivierte das normale Fauchen des Antriebs. Im Monitor konnte er die wiedervereinigte Familie sehen, die nicht einmal ahnte, in Zukunft öfter einen Kommander des Ray Teams zu beherbergen.


Mit deutlich hörbarem Grummeln beschleunigte das gigantische Raumschiff Richtung Augustdorf, wo es beim langsamen Überflug die Menschen wie ein Magnet nur so hinter sich her sog. Mergy hatte sich hastig umgezogen und in Thomas zurück verwandelt. Ein Hologramm nahm nun den Platz von Mergy ein. Technisch gesehen würde er sich also selbst nach Hause bringen. Trish war nervös, aber die Aktion war wichtig. Um jeden Zweifel im Vorfeld zu ersticken. Mergy und Thomas sind zwei Personen und mussten eben beide gleichzeitig erscheinen. Damit das Hologramm nicht als Thomas mit anderer Kleidung auffiel, vergrößerte sie es leicht in alle Richtungen. Mergy wirkte zwar nicht fett, aber von der Statur her eben leicht anders. Raumschiffe im All mit einem Hologramm zu erschaffen war einfach, aber einen Menschen, der auch noch mit der Umgebung interagieren sollte, war schwer.


Schließlich dürfte Holomergy nicht versehentlich unter die Erde treten, flackern oder in der Mantaluke versinken. Thomas landete den Manta und beide stiegen durch die hintere Luke aus. Die Schilde des Mantas wurden nach hinten ausgedehnt, damit das Hologramm genug Platz hatte. Für eine aufwendige Schildmatrix wie bei Sor war im Vorfeld keine Zeit gewesen. Selbst ein kleiner Papierflieger oder das Blatt eines Baumes hätte ohne den unsichtbaren Schutz durch das Mergy Hologramm fliegen können, ohne auch nur vom Kurs abzuweichen. Ein Sparx im Inneren des virtuellen Mergy sorgte für das Erscheinungsbild und die Sprachausgabe, die Trish auch leicht tiefer legte. Mergy verabschiedete Thomas ohne Handschlag und Umarmung, nicht ohne sich noch einmal für die Hilfe zu bedanken. Thomas würde schließlich bald der Held der Nation sein, auch wenn er selbst nie wirklich einer sein wollte.


Dutzende von Menschen waren bereits angelockt von dem riesigen Raumschiff in der Straße aufgetaucht und beobachteten das Geschehen unter großem Jubel und Staunen. Das Hologramm setzte sich erneut ans Steuer und Trish holte den Manta ferngesteuert in das Schlachtschiff zurück. Mit lautem Grollen schob sich die Vanquist im großen Bogen davon. Erst langsam, dann immer schneller, bis sie schließlich in den flauschig wirkenden Wolken verschwunden war.


Die Eltern von Thomas waren zwar froh ihn wieder zu sehen, brachten aber gleich ihr Missfallen um Ausdruck, weil er zum wiederholten Male einfach so verschwunden war und sein Auto einfach auf dem Acker zurückgelassen hatte. Die Bergungs- und Abschleppkosten wogen mehr als zu sehen, wie ihr Sohn von einem Raumschiff nach Hause gebracht wurde. Ihm lag immer noch der Tod von Sab auf der Seele, während sich seine Mutter immer und immer wieder an den selben Argumenten hochsteigerte. Das machte sie immer. Zuhören tat sie nie. Eine Unterhaltung mit ihr zu führen, kostete schon unter normalen Umständen Nerven, weil sie nur den Satzanfang hörte, sich den Rest falsch zusammen reimte und es dann trotzdem besser wusste. Normalerweise ging Thomas darauf gar nicht mehr ein und ignorierte die falschen Annahmen und Aussagen einfach.


Als sie auf dem Weg von der Haustür zum Wohnzimmer zum bestimmt vierten Mal die hohen Bergungskosten des Kleinwagens herauskeifte, platzte Thomas der Kragen. »Es reicht jetzt. Tut mir leid. Ich habe wohl vor lauter Planetenretten vergessen meinen Wagen ordentlich zu parken und eine Parkscheibe ins Fenster zu legen. Ich hab in meiner Doofheit doch tatsächlich gedacht das Retten von Menschenleben wäre ein kleines bisschen wichtiger als ein bescheuertes Auto und etwas Geld. Mir geht es übrigens wieder gut. Der Arzt beim Ray Team hat ganze Arbeit geleistet. Danke der Nachfrage.«, brüllte er noch heraus, verschwand in den oberen Teil des Hauses, in dem er wohnte und ließ seine verwirrten Eltern einfach im Treppenhaus stehen.


Am nächsten Tag verschwand er direkt, leise und unauffällig. So verhinderte er schon im Vorfeld eine weitere Diskussion. Mit dem Wagen ging es zu Anja nach Hause. Mit jedem Kilometer wurde er nervöser. Jahre lang hatte er es sich ausgemalt und am Vortag war er sogar schon dort gewesen, aber dieses Mal würde es ernst. Er würde als Anjas Freund auftreten. Zum ersten Mal hatte er einen Grund sie Zuhause aufzusuchen und auch noch als er selbst. Manchmal hatte er schon Zweifel gehabt, was seine Identitäten anging. War er jetzt noch Thomas oder doch schon nur noch Mergy? War er mehr der Held, wie ihn die Menschen nannten, oder doch mehr der langweilige Typ aus einem kleinen Dorf? Es kam immer so darauf an, wo er sich gerade wohl fühlte.


Mal bei Grillabenden mit seinen Freunden, aber dann wieder war er froh, wenn er die Station betrat. Da war es. Das Haus in dem Anja wohnte. Naja, es war in der Vergangenheit einmal ein Bauernhof gewesen. Einige Tiere hatten sie auch noch, aber die Anbauflächen waren alle an andere Bauern in der Umgebung verpachtet worden. Mergy stellte seinen Wagen neben das Fahrzeug von Anjas Eltern. Ihr Bruder würde sich bestimmt nicht so einen biederen Wagen zulegen, sondern mehr etwas hippes. Außerdem wohnte er nicht mehr hier auf dem Hof.


Thomas stieg unsicher aus dem Wagen und ging Richtung Haustür. Zögernd schaute er sich noch einmal in der milchigen Scheibe an. Vielleicht war es die blickdichte Sonnenbrille, die ihm jetzt fehlte und ihm den gewohnten Schutz und die normalerweise daraus gebildete Distanz verschaffte. Er sich diese Problematik selbst eingebrockt und Anja war es wert. Soviel war klar. Er drückte auf den kleinen, mit Anjas Namen beschrifteten, Knopf rechts neben der Tür. Aus dem Inneren ertönte ein lautes Ding Dong. Dann passierte erst einmal nichts. Der Herr des Hauses öffnete die Tür. »Hallo, ich bin Thomas, Thomas Merniger. Ich möchte zu Anja.«


Das Gesicht des Mannes schaltete sofort von fragend auf hoch erfreut. Er berichtete Anja hätte schon ausführlich über die Erlebnisse berichtet und er war mehr als nur dankbar für die Rettung ihrer Tochter. Ihr Gast erklärte, Anja hätte ihm ja auch das Leben gerettet und somit seien sie wohl quitt. Nach der ebenfalls herzlichen Begrüßung von Anjas Mutter und einigem weiteren Hin und Her kam Mergy endlich dazu seine Freundin auf einen Ausflug einzuladen. So fuhren sie in seinem Wagen zu einem kleinen See in der Nähe. Anja erzählte von ihren Eltern und was bisher seit ihrer Rückkehr so passiert war. Die Sonne strahlte vom Himmel und einige Segler drehten ihre Runden, während an den Ufern einige Menschen in der Sonne lagen. Für einen Sonntag war hier erstaunlich wenig los, aber das konnte auch an dem ansonsten noch recht milden Tag liegen, der nicht gerade zu einem kühlen Bad aufforderte. Keine Spur mehr vom Weltuntergang. Die Menschen schienen wieder zur Normalität übergegangen zu sein.


Die Zweisamkeit, die Natur und besonders die Gesellschaft von Anja machten für Mergy den Rundgang zu einem Genuss. Auf einer Bank sahen sie den kreisenden Booten zu und tauschten neben Informationen auch Zärtlichkeiten aus. Trotz all dieser schönen und positiven Eindrücke tauchte immer wieder ein Gedanke in seinen Kopf auf. Das bemerkte auch Anja: »Du denkst an Sab, oder?« »Ja, ich weiß nicht ob wir das ohne sie schaffen und sie fehlt mir.« Mergy bemerkte die nicht gerade beziehungsförderliche Aussage zu spät und fügte einige korrigierende Worte an: »Sie – Sie war meine beste Freundin. Auch wenn wir uns ständig gestichelt haben. Sie war die Erste, die ich zum Team dazu geholt habe.« Anja konnte seine Gefühle gut verstehen und lehnte sich sanft und schweigend an seine Schulter.


»Was hat sie gemacht, als sie dachte du wärst tot?«, fragte sie schließlich. »Sie hat weiter gemacht wie geplant. So ist sie schon immer gewesen. Ohne einen Plan hat Sab sich nicht einmal die Schuhe zugebunden.« »Sie ist tot und das kannst du nicht mehr ändern. Vielleicht solltest du genauso handeln und einfach weitermachen. Fortsetzen, was sie angefangen hat.« Mergy schluckte: »Was hast du gerade gesagt?« »Du sollst weitermachen wie bisher und fortsetzen was sie angefangen hat?« »Nein, davor?« »Sie ist tot und das kannst du nicht mehr ändern.« Anja brachte diesen harten Satz nur mit Mühe noch ein zweites Mal über die Lippen. Mergy schaute ihr direkt in die Augen und für einen Augenblick hatte Anja Angst etwas ziemlich dummes gesagt zu haben. »Du bist der Engel, den das Orakel meinte.«, lächelte er und war wie ausgewechselt. »Mergy an Ray Team One, ich brauche meinen Gleiter.«, sprach er in seine rechte Hand. »Ich dachte diese Multifunktionskontroller funktionieren nur auf geringe Reichweite?«, fragte Anja unsicher. Mergy hatte nicht so unrecht gehabt. Während ihrer kurzen Zeit beim Ray Team hatte sie viele Informationen aufgeschnappt und viel gelernt.


»Ja, das stimmt. Aber mein rechter Arm ist nicht echt und hat eine eigene aktive Energiequelle. Einer der wenigen Vorteile.« Er drückte ihr noch einmal einen innigen Kuss auf. »Es tut mir leid, aber ich muss los. Warum erkläre ich dir später, aber es ist wichtig. Hier die Schlüssel für den Wagen. Du brauchst ja morgen sowieso ein Auto um zur Arbeit zu kommen.«, erklärte Mergy mehr oder weniger klar seine Absichten: »Ich würde so gerne mit dir hier sitzen bleiben, aber das holen wir nach. Normalerweise ist es nicht meine Art wunderschöne Frauen einfach so alleine auf Bänken zurückzulassen und schon gar nicht, wenn sie mir so wichtig sind wie du.« Wieder drückte er ihr einen langen Kuss auf. Anja verstand zwar nicht worum es ging, aber er würde es ihr erklären. Das genügte ihr. Mergy verschwand hinter einer Hecke und nur Sekunden später konnte man einen Knall am Himmel hören. Der auch die Seebesucher, wohl auch aufgrund der letzten Ereignisse, aufhorchen ließ. Bis auf Anja wusste niemand von dem Kampfgleiter, der gerade auf Überschall gegangen war.


Kommander Trish saß im Dragon Fly und lobte gerade Reikos Einsatz bei der Rettung der Welt. Reiko selbst sah das jetzt nicht so spektakulär, aber Trish betonte mehrfach, sie und ihre Tochter hätten durch ihre Aktion sehr viele Menschenleben gerettet und sie solle ruhig stolz auf ihre eigene Leistung sein. Der Kommander war froh die Beiden in ihrem Team zu haben, egal ob als Retter oder als fantastische Köchin. Für Reiko war diese Aussage bedeutsamer als das Lob für die Rettung der Menschen. Sie war kein Mutteranhängsel mehr, sondern gehörte wirklich als Teil der Mannschaft dazu. Niemand hatte sie je anders behandelt, aber sie hatte trotzdem immer das Gefühl nur im Schatten von May geduldet zu werden. Abgesehen von Mergy, der sie und besonders ihre Kochkünste ja offensichtlich sehr schätzte, war sie einfach da gewesen und hatte ihre Aufgaben mehr oder weniger unauffällig im Hintergrund erfüllt.


Mergy landete mit seinem Gleiter in dem großen Frachtdeck von Träger 2. May hatte keine Ahnung, warum er dort hinein wollte, aber sie versuchte auch nicht zu widersprechen. Sie war eigentlich immer noch sauer auf ihn, obwohl sie das Gespräch mit Tin sehr berührt hatte. Er hatte vor ihr geweint und sich entschuldigt. Selbst mit aller Vorstellungskraft konnte sie sich nicht vorstellen, wie das aussehen würde. Mergy und bitterlich weinen. Das passte so gar nicht zusammen. Wenige Minuten nach seiner Landung wurde das komplette Deck verriegelt. Die Türen, Luken und sonstigen Zugänge wurden verschlossen und auch die Sicherheitskameras wurden von Mergy abgeschaltet.


Tin hatte ebenfalls keine Erklärung für diese Aktion, meinte aber es wäre besser ihn in Ruhe zu lassen. Jeder würde anders mit seiner Trauer umgehen. Als Trish später dazu stieß, war sie neugierig und probierte vergeblich Zugang zu bekommen, musste aber erkennen, dass Mergy, was die Sicherheit anging, alle Vorkehrungen getroffen hatte. Sie bekam nicht einmal mehr Zugriff auf die Türkontrollen. Mergy hatte sie anscheinend komplett getrennt. Selbst ein Stationsscan war wirkungslos und an einen Transport war nicht zu denken. Mehr als Störungen konnten die Scanner nicht ermitteln. Diese übermäßige Sicherheit war selbst mit Trauerbonus ziemlich seltsam.


Anja blieb noch einige Stunden am See und machte sich dann auf den Heimweg, wo sie ihren Eltern erklären musste, warum ihr toller Fang schon wieder weg war. Wenigstens hatte sie das Auto von Thomas und so konnte sie zumindest ihre Geschichte von seinen plötzlichen beruflichen Aktivitäten untermauern. Er war drei Wochen weg gewesen, daher war es nicht unwahrscheinlich an einem Sonntag noch einiges erledigen zu müssen. Wirklich gelogen war es zu dem auch nicht.

Ein neuer Tag

Am Montagmorgen um halb Acht machte sich Anja auf den Weg zur Arbeit. Wenn man einmal von dem anderen Fahrzeug absah, war alles wie zuvor. Also vor dem Angriff der Draken. Ein leichtes Unbehagen stieg ihren Nacken empor, als sie an der Stelle vorbei kam, die fast ihr Ende besiegelt hätte. Deutlich waren die schwarz verkohlten Stellen auf dem Asphalt zu sehen und anscheinend war auch der Belag selbst durch den Einschlag und das darauf folgende Feuer beschädigt worden, denn einige deutlich sichtbare Flicken verrieten die Ausbesserungsarbeiten. Schließlich fuhr sie auf den leeren Parkplatz vor der Praxis und stellte den Wagen ab.


Ihre Kolleginnen waren erfreut sie angesichts ihres vermeintlichen Todes zu sehen und erklärten ihr Chef wäre wohl alles andere als zufrieden mit ihrem unentschuldigten Fehlen. Er würde, wie eigentlich immer, erst um 9 Uhr eintreffen und so hatte sie zumindest neben ihrer normalen Arbeit etwas Zeit ihren Kollegen zu erzählen, wo sie gesteckt hatte. Termine annehmen, Blut abnehmen und die Unterlagen der bereits wartenden Patienten vorbereiten. Verglichen mit der Arbeit auf der Station, wirkte die Arbeit in der Praxis jetzt wie Steinzeit mit zusätzlichem Papierkrieg. Schneller als erwartet war es soweit und ihr Chef kam durch die Tür. Kaum hatte er sie gesehen, zitierte er sie auch schon, noch vor dem ersten Patienten, in sein Büro.


Lautstark verkündete er ihre Entlassung. Anjas Einwände, sie hätte sich doch nicht ausgesucht mit dem Ray Team im All herumzufliegen, ließ er nicht gelten. Er stutzte nicht einmal, als sie das Ray Team erwähnte. Anja hatte zwar mit viel Ärger gerechnet, sie hatte auch erwartet mit ihrem kompletten Urlaub für den Ausflug ins All zu bezahlen, aber gleich gefeuert zu werden, obwohl sie doch nichts für ihre Abwesenheit konnte? Genau genommen war sie eigentlich vor Wochen bei dem Autounfall gestorben. Auch der Angriff der Außerirdischen, die die Erde hatten erobern wollen, war ohne Bedeutung. Ihre Kollegen waren ebenfalls sichtlich geschockt vom Verhalten ihres Chefs. Anja holte ihre Sachen aus dem Schrank und verstaute sie in einer Tasche.


Sie verabschiedete sich noch herzlich und stieg wieder in Thomas' Auto, in dem sie noch einige Minuten inne hielt und das eben Erlebte verdaute. Grübelnd über die Tatsache jetzt arbeitslos zu sein, machte sie sich langsam auf den Heimweg. Auch ihr Schicksal setzte sich gerade auf das Heftigste zur Wehr, aber das konnte die junge Frau nicht einmal ahnen. Gerade einmal fünf Minuten war sie weg, als mit einem lauten Knall die Praxis und die angrenzenden Geschäfte aufgerüttelt wurden. Mit lautem Schrei setzte ein strahlend weißer Kampfgleiter direkt vor dem Eingang auf. Noch bevor sich dessen Tür öffnen konnte, hatten sich schon einige Menschen auf dem Parkplatz versammelt und warteten gespannt auf das, was jetzt passieren würde.


Der Doc stieg durch die nach oben geöffnete Luke auf den großen Platz. Jubelund Dankesrufe begleiteten seinen Weg in die Räume der Arztpraxis. Es war das erste Mal, dass der Doc so in der Öffentlichkeit von den Menschen gesehen wurde und es war ihn unheimlich und unangenehm so im Mittelpunkt zu stehen. Freundlich lächelte er und hob eine Hand, um seinen Dank für diesen Respekt zum Ausdruck zu bringen. »Hallo, ich bin Arzt beim Ray Team und würde gerne mit Anja Nieland sprechen.«, sprach er erst wieder im Inneren direkt Nicole an, die hinter dem Tresen in ihrem Kittel mehr als nur wie eine richtige Ansprechpartnerin aussah. »Anja? Anja arbeitet nicht mehr hier, sie wurde eben entlassen. Sie haben sie um ein paar Minuten verpasst.« Der Doc hatte zwar mit einem Satelliten den Chip in ihrem Arm geortet und festgestellt, wo sich Anja aufhielt, hatte aber nach seinem Abflug von der Station ihre Position nicht erneut auf etwaige Änderungen geprüft.


»Anfängerfehler!«, fluchte der Doc innerlich. »Können sie Anja telefonisch erreichen und zurückholen? Ich würde außerdem gerne mit ihrem Chef sprechen.«, erklärte der Doc in perfekt übersetztem Deutsch mit britischem Akzent. Nicole war in der kurzen Pause zwischen den Sätzen erst klar geworden, mit wem sie wirklich sprach. Mit jemandem vom Ray Team. Seit das Team zum ersten Mal öffentlich in Aktion getreten war, waren sie wie Helden gefeiert worden. Anja hatte mehrere Wochen bei ihnen gelebt und einer von ihnen war jetzt gerade hier. Der Arzt des Ray Teams musste die Frage noch einmal wiederholen, bis Nicole aufwachte und ihn hinein bat.


»Es ist mir eine Ehre sie in meiner Praxis zu begrüßen. Ich habe schon viel von den medizinischen Wundern gehört, die ihre Leute da Oben verbringen.«, schleimte Anjas ehemaliger Chef ihm schon an der Tür entgegen und bat ihn in sein Sprechzimmer, während Nicole im Raum der Angestellten Anja auf ihrem Handy anrief, die nicht so recht verstand, was der Doc auf der Erde machte. »Ich bin nicht wegen ihnen hier, sondern wegen Frau Nieland. Und jetzt erfahre ich von ihrer Entlassung?« »Ja, sie hat mehr als drei Wochen ohne Abmeldung gefehlt. Ich hatte keine Wahl.«, beteuerte der Arzt. »Dumme Entscheidung.«, kommentierte der Doc nur abwertend seine Aussage. »Wie bitte?« »Naja, im Laufe des heutigen Tages wird eine mehrstündige Berichterstattung von Daneen Briel über die vergangenen Ereignisse gesendet. Anja kommt darin sicherlich ziemlich gut weg. Sie hat ohne zu zögern viele Leben gerettet, während um sie herum um das Überleben der Menschheit gekämpft wurde.«, führte der Doc aus.


Der Arzt auf der anderen Seite des Tisches ahnte bereits worauf das Ray Team Mitglied hinaus wollte: »Während sie hier drei Wochen lang ihren Sessel gewärmt haben, hat sie ihren Beitrag geleistet und dabei nicht nur Helfertätigkeiten, sondern auch Operationen durchgeführt und Leben gerettet. Wenn der Bericht gesendet wird, ist Anja schlagartig ein Held und gleichzeitig sind sie der verachtenswerte Chef, der sie als Dank gefeuert hat. Das ist sicherlich nicht so gut für das Geschäft.« »Aber ich wusste doch nicht was passiert ist.«, versuchte er sich herauszureden. »Chef, Anja ist jetzt da!«, ertönte die Stimme von Nicole über die Sprechanlage. »Schicken sie sie rein.«


»Hallo Doc, was tun sie denn hier?«, fragte Anja ungeniert ihren alten Ex-Chef, während sie ihren neuen Ex-Chef einfach ignorierte. »Ich hatte keine Gelegenheit mich zu verabschieden. Außerdem habe ich ihnen einige Unterlagen und Adressen zusammengetragen. Damit dürften ihnen viele Türen offen stehen, sollte ihnen dieser Job nicht mehr zusagen. Natürlich ist auch in meinem Team immer eine Stelle für sie frei.« Anja konnte nicht glauben was sie da hörte. Die Tatsache das er wieder zum Sie übergegangen war, verwunderte sie dabei weniger. Sie hatte es instinktiv genauso gemacht. Er hatte ihr gerade einen Job in seinem Team angeboten und sie vor ihrem Chef über alle Maßen gelobt. Aber nicht nur das!


Hatte sie jetzt etwa auch ihren alten Job wieder? »Danke! Es war mir eine Ehre mit ihnen zu arbeiten. Ich habe in der kurzen Zeit so viel von ihnen gelernt.«, erwiderte seine Aushilfe voller Respekt. »Frau Nieland hat durchaus eine Pause verdient. Sie sollten ihr eine Woche Sonderurlaub und eine Gehaltserhöhung geben. Gutem Personal sollte man die ihm zustehende Wertschätzung auch manchmal zeigen.«, wendete er sich dem anderen Arzt zu, der mit dem Doc zusammen aufgestanden war und nur unsicher schweigend daneben stand, seit Anja den Raum betreten hatte. In ihrer überschwänglichen Art konnte Anja nicht anders und musste ihren Ray Team Kollegen umarmen. »Mein Angebot gilt.«, lächelte dieser und verabschiedete sich.


Bereits im Flur konnte man erahnen wie es auf dem großen Parkplatz, der meistens nur bei Sonntagsflohmärkten richtig voll war, aussah. Jetzt war er mit Menschen und Autos geflutet. Als der Doc die Praxis verließ jubelte die Menschenmenge ihm zu und machte ihn noch verlegener, als es schon beim Hineingehen der Fall war. Wie ein Popstar musste er sich einen Weg durch die Menge und das Blitzlichtgewitter zu seinem Gleiter bahnen. Erst als er durch die unsichtbare Schildbarriere gedrungen war, die das kleine Raumschiff umgab, hatte er wieder etwas Luft und Freiraum um sich herum. Er ließ mit dem Antrieb den Boden erzittern und hob dann sanft und senkrecht ab. Surrend verschwanden die Landefüße im Gleiter und nach einer leichten Drehung beschleunigte er langsam, nicht ohne noch einmal einen lauten Schrei über dem Gelände zu entfesseln. Nur langsam reduzierte sich die Menschenmenge wieder auf. Jeder wollte wissen, was ein Ray Team Arzt hier in einer kleinen Arztpraxis und in einem ebenso kleinen Ort wollte.


Anjas Chef war jetzt in Zugzwang. Er hatte keine andere Wahl als sie wieder einzustellen und im Angesicht der Menschen, die jetzt schon vor der Tür standen, war nur zu erahnen was passieren würde, wenn dieser angedrohte Bericht erscheinen und dazu die Kündigung bekannt würde. Nur ein paar negative Worte über seine Reaktion und er wäre der Buhmann der gesamten Nation. Ein Ruf, der weit über das Berufliche hinaus ging und auch sein Privatleben auf Jahre zum Negativen beeinflussen würde. Also bat er Anja erneut in sein Büro und entschuldigte sich förmlich für seinen Ton und die übereilte Entlassung. Er bot ihr außerdem 100 Euro zusätzlich im Monat an und gab ihr zusätzlich die aktuelle Woche frei, die aber ebenso wie ihre Fehlzeit nicht von ihrem Urlaub abgezogen würde, wie er deutlich betonte. Anja beteuerte noch einmal nicht mit Absicht gefehlt zu haben und wies auf ihre sonst doch immer zuverlässige Arbeitsmoral hin. Da musste ihr Chef zustimmen. Sie war nie zu spät gekommen.


Meist war sie sogar deutlich früher erschienen, als nötig und es hatte nie auch nur das geringste Problem mit ihr gegeben. Hätte er nicht überreagiert und vorher nachgedacht, wäre ihm die Sache wohl deutlich billiger gekommen, als jetzt. Anja nahm seine Entschuldigung an und verabschiedete sich bis zum nächsten Montag. Ihre Kolleginnen hatten die Geschichte zwar in Kurzfassung von ihr gehört, aber glauben konnten sie es wirklich erst, als der Kampfgleiter vor der Tür landete. Jetzt hatte sie einfach so ihren Job wieder und auch noch eine Woche Urlaub herausgeschlagen. Anja hatte frei und die Sorgen waren genauso schnell verflogen, wie sie aufgetaucht waren. Mit einem Lächeln machte sie sich erst einmal zu einem kleinen Einkaufsbummel in die Stadt auf. Die Menschenmenge vor der Praxis gab ihr nur einen kleinen Vorgeschmack darauf, was in den nächsten Wochen und Monaten noch so in ihrem eigenen Leben passieren würde. Jetzt war sie ohne weiter beachtet zu werden durch die Masse gelaufen. Das wäre nach dem Bericht über die Geschehnisse im Weltall nicht mehr so abgelaufen. Ein einfacher Einkaufsbummel wäre dann fast unmöglich. Dann wäre sie die Berühmtheit.


Ihr Freund saß zeitgleich immer noch auf dem Frachtdeck und ließ von mehreren Repligens seinen Gleiter umbauen. Nach einigen Tests transportierte er sich aus dem Hangar in die Nähe eines Zugangs, entfernte den Transportblocker des Kommandodecks und erschien zusammen mit dem Jaquewürfel wieder im Hangar. Ohne Jaque schaltete die Station sofort in den eingeschränkten Betriebsmodus. Die Piloten merkten das eigentlich nur, wenn sie Jaque ansprechen wollten. Einzige Ausnahme waren die Gäste, die sich im Sors befanden. Es knallte und schepperte an allen Ecken. Die Sor Hologramme verschwanden und die Tabletts, Gläser und Tassen, die sie gerade transportierten, krachten klirrend zusammen mit dem Essen und den Getränken auf den Boden.


»Jaque ist weg!«, bemerkte May als erste auf der Kommandoebene das Problem. »Bestimmt eine Fehlfunktion des Interfaces. Steck ihn in ein Anderes.«, merkte Trish an. »Habe ich schon versucht. Der Würfel ist nicht mehr da.« Tin kam aus dem Lift und fragte ebenfalls was los sei. Alle schauten sich fragend an und fast zeitgleich kamen sie auf die gleiche Lösung: »Mergy!« »Der Transportblocker der Kommandoebene wurde sabotiert.«, machte May ebenfalls eine beunruhige Feststellung, die zumindest das Verschwinden des Stationscomputers erklärte. »Berechnung abgeschlossen.«, meldete Jaque. »Greifstrahlwerfer der Station deaktivieren und obere Hangartore öffnen.«, erwiderte Mergy. »Die Hangartore öffnen sich. Kampfgleiter 1 fliegt hinaus. Was ist das? Es sieht aus als wäre sein Kampfgleiter massiv umgebaut worden.«, fragte May unsicher und stellte das Bild des Kampfgleiters groß auf dem Schirm da.


»Oh – mein – Gott.«, erkannte Tin als erstes, worum es bei den Modifikationen ging. Sie öffnete einen Funkkanal: »Mergy, das ist Wahnsinn. Das kannst du nicht machen.« »Was ist los?«, fragte Trish. »Er will einen Zeitsprung machen.«, wurde Tin hektisch und versuchte den Greifstrahl zu aktivieren. Ein Vortex in den Unterraum öffnete sich und der Gleiter verschwand. »Er ist gesprungen.«, gab Trish an. »Das war kein Zeitsprung. Der Energieausstoß war nicht einmal ansatzweise hoch genug. Die Satelliten sollen ihn suchen.« »Hab ihn. 383436 Kilometer von der Erde entfernt. Mondumlaufbahn. Ich leite die Gleiter hin, die gerade von der Erde zurückkommen.« »Zu spät. Registriere gewaltigen Energieanstieg.«, konnte Tin gerade noch sagen, als sich erneut ein Vortex vor dem Gleiter öffnete und das Fluggerät darin verschwand.


»Wow!«, erschrak Mergy beim Verlassen des Wirbels. Der Mond war dem kleinen Raumschiff deutlich näher, als der Kommander es von den Berechnungen her erwartet hatte. »Zusatzreaktoren in Bereitschaft, Schilde und Tarnung aktivieren.« Er hatte den Sprungpunkt absichtlich hinter dem Mond gewählt, um von niemandem aus dieser Zeit entdeckt zu werden. Dann setzte er Kurs auf die Erde. Er konnte nicht direkt zum Planeten springen, weil man ihn sonst ebenfalls hätte entdecken können, sondern musste den Flug auf die langsame Weise durchführen. So sah er die Drakenschiffe eintreffen und sich um den Erdball verteilen. Wenige Minuten später traf die Ray Team Flotte ein und verteilte sich ebenfalls um die Draken zu bekämpfen. Es war komisch diese Dinge wie aus der Sicht einer dritten Person zu sehen und auch den Funkverkehr der anderen zu hören, in dem auch er selbst Anweisungen gab. Ohne sich in die vergangenen Ereignisse einzumischen setzte er Kurs auf den Reaktor, den Sab verteidigen würde. Sein Timing hätte nicht besser sein können, denn gerade als er an seinem Ziel ankam begannen die Draken darauf zu feuern und Sab setzte ihren Manta in die Schusslinie. Mergy peilte ihren Chip an und gab Jaque die Anweisung sie heraus zu holen, sobald der Manta explodierte. Er musste dabei präzise sein wie ein Uhrwerk. Nur aus diesem Grund, den Zeitberechnungen, hatte er Jaque überhaupt entführt.


Der Manta explodierte und sofort hörte man über Funk wie Sany nach Sab suchen ließ. Sab erschien direkt neben ihm auf dem Sitz. Mergy drehte den Gleiter ab und steuerte Richtung Orbit. »Mann, das war knapp. Super Timing.«, kommentierte Sab die Situation. »Sab an Sany, Mir geht es gut! Mergy hat mich herausgeholt. Hallo? Mein Chip muss kaputt sein.« »Er ist nicht kaputt, er ist abgeschaltet.« »Abgeschaltet? Wo fliegst du hin. Da unten wird gekämpft!« »Das ist nicht mehr unsere Schlacht.«, gab Mergy an. »Was soll das denn heißen?«, wurde Sab ungehalten und schlug auf seinen rechten Arm, der regungslos an ihm hinunter hing, wie sie bei der Gelegenheit bemerkte.


»Was ist mit deinem Arm?«, fragte sie erneut. »Auch abgeschaltet!«, gab Mergy wieder kurz einen minimalen Kommentar ab. Er hatte ihn deaktiviert, damit er nicht mit dem Arm seines alter Egos aus dieser Zeit interagierte, wie das schon mit dem Mergy aus dem zweiten Weltkrieg passiert war. »Wir müssen den Anderen helfen!«, wiederholte sie ihre Bitte. »Das tue ich doch.«, gab Mergy zu verstehen.


»Worauf warten die?«, fragte der Mergy aus der Vergangenheit über Funk und brachte unbeabsichtigt wie Wahrheit ans Licht. »Was geht hier vor?«, fragte Sab noch und dann klingelte es: »Bist du wahnsinnig? Eine Zeitreise? Das ist viel zu gefährlich.« Mergy ignorierte ihre Vorwürfe und setzte den Flug fort. »Wieso?«, fragte sie erneut und noch energischer. »Weil wir dich verloren haben. Weil wir dich brauchen. Weil ich dich brauche!«, wurde jetzt Mergy laut und Sab wurde still. Sie war eigentlich Tod, soviel hatte sie schon verstanden und die Zeitreisegeschichte gefiel ihr nicht. Aber wie er es sagte. Er würde sie brauchen.


Sie musste sich schlagartig an die Zeit erinnern, als Mergy in der Vergangenheit verschwunden war und an die Schmerzen, die sie durchlitten hatte, als sie ohne ihn weiter machen musste. Sie wäre ebenfalls am Liebsten in eine Zeitmaschine gesprungen und hätte ihn geholt, hatte aber keine Möglichkeit gehabt. »Das wird knapp.«, merkte Mergy an. »Was?« »Wir müssen aus der Atmosphäre heraus sein, bevor May und Reiko sich mit der Luft verbinden, sonst entdecken sie uns.«, gab er zu verstehen und Sab verstand nur das "entdeckt werden" nicht gut für die Zeitlinie war.


Gerade noch rechtzeitig flogen sie ins luftlose All, aber die Gefahr war noch nicht vorbei. »Oh, mein Gott.«, gab Sab erschrocken von sich, als die 105 Schiffe im All aus dem Unterraum auftauchten. »Keine Panik, die erledigt Tin.«, gab Mergy gelassen zu verstehen: »Wir sollten hier schleunigst verschwinden, sonst werden wir auch gleich mit erledigt.« »Tin ist doch noch gar nicht da.« Wie auf Kommando öffnete sich das Portal in die Zwischenschicht und die Mystery drang in den Normalraum ein. »Ein einziger Torpedo?«, fragte Sab unsicher, als nur eine einzige leuchtende Kugel das Schiff verließ.


»Abwarten!«, ermahnte Mergy zur Geduld. Dann fingen die ersten Schiffe an unter der Raumverzerrung zu zerbersten. »Wow, das ist ja unglaublich.« »Ich sag doch abwarten.« Leichtes Rumpeln des Gleiters deutete das nur knappe Verfehlen der tödlichen Welle an. Der Flug zum Mond wurde erneut zu einer Geduldsprobe. Sab konnte sich zwar mit Mergy unterhalten, aber es war ihr unverständlich wie Trish und Tin ihn überhaupt auf diese Mission haben schicken können. Um so entsetzter war sie, als er ihr offenbarte auf eigene Faust gehandelt zu haben.


Mergy war froh, als er die Sprungposition erreicht hatte und den Zeitsprung einleiten konnte. Das verschaffte ihm zumindest kurzzeitig eine vorwurfsfreie Zeit. »Es hat nicht geklappt.«, merkte May an, als der Gleiter direkt aus der anderen Seite des Vortex wieder austrat, als wäre er einfach nur durch ein Hologramm hindurch geflogen. In ihrer Zeit hatte der Sprung keine sichtbaren Auswirkungen, da Abflug und Ankunft perfekt harmonierten, obwohl für die Insassen des Gleiters deutlich mehr Zeit vergangen war. »Doch hat es. Ich registriere zwei Personen an Bord.«, erwiderte Tin. Mit einem kleinen letzten Sprung tauchte der Gleiter im Stationsbereich auf. Mergy bat, wohl wissend um seine Tat, artig um Landeerlaubnis.


»Landeerlaubnis für Frachtdeck 2, Doc bitte im Frachtdeck 2 melden.«, wies Trish an und kommandierte auch die anderen beiden Kommander in den Stationsteil, der Mergy als Basis für seinen Plan gedient hatte. Selbiger entriegelte die Türen und ließ seine Kollegen hinein. May sprang sofort auf Sab zu und umarmte sie. Nicht nur Sab war sichtlich verwirrt über diese Geste. Für sie war auch nichts weiter passiert, schließlich war sie ja einfach nur aus einem Manta transportiert und zur Station zurückgeflogen worden. Ja, da war ein kleiner Zeitsprung, aber jemanden vermisst zu haben war schon zeitlich nicht möglich. Zumal Sab jetzt auch nicht gerade Mays beste Freundin war. Dennoch berührte sie die ehrlich gemeinte Umarmung, die sie nur zu gerne erwiderte.


»Also, nur damit wir alle im Bilde sind. Mergy hat auf eigene Faust eine Zeitreise unternommen, um Sab zu retten. Auch wenn wir sicher alle mit dem Ergebnis mehr als zufrieden sind, so haben wir jetzt ein gewaltiges Problem. Niemand außerhalb des Raums darf von der Zeitreise erfahren. Das wäre eine Katastrophe!«, erklärte Trish. »Wieso?«, fragte May unsicher. »Weil dann jeder glaubt wir könnten einfach alle Fehler mit einer Zeitreise korrigieren und das können wir nicht. Das fördert nicht nur die Schlamperei, sondern ist auch einfach zu gefährlich. Die Folgen dieser Zeitmanipulation sind ja noch nicht einmal absehbar. Daher wird Tin Jaques Erinnerungen an das Ereignis löschen. Die Aufzeichnungen im Kampfgleiter werden gelöscht und der Kampfgleiter wird wieder in den Originalzustand zurückversetzt. Außerdem möchte ich das alle Aufzeichnung über die Modifikationen, die nötig sind um einen Zeitsprung durchzuführen, aus den Dateien und Sicherungen gelöscht werden.«


»Und wie erklären wir meine plötzliche Rückkehr von den Toten?« »Wie wäre es mit einer Fehlfunktion des Chips durch die Radioaktivität im Reaktorbereich. Darum konnten sie dich nicht finden. Du warst angeschlagen und verletzt. Der Doc friert dich gleich ein, wir bringen dich rein und dann verbringst du mindestens 24 Stunden abgeschirmt in einem Raum auf der Krankenstation.«, erklärte Tin ihre Vorstellung einer Lösung. »Sehr gut. So machen wir das. Einwände?« »24 Stunden?«, fragte Sab. »Einwände?«, wiederholte Trish erneut ihre Frage. »Hallo – Tote Frau spricht! 24 Stunden?« »Darüber gibt es keine Diskussion.«, blieb Trish hart und segnete den Plan ab.


»Was Mergys eigenmächtiges Verhalten angeht, so entscheiden wir später was wir machen.« Mergy hielt sich aus der Diskussion komplett raus. Er war Schuld an dem Dilemma und auch wenn Sab wieder unter den Lebenden weilte, hatte er gegen die Regeln verstoßen und die Anderen hintergangen. Dieser Vertrauensbruch war nicht zu entschuldigen. Er selbst musste sich diese Tatsache eingestehen. Die Vertuschungsaktion wurde wie besprochen durchgeführt. Mergy packte ein paar Sachen und verzog sich auf den Planeten. Wenn die Anderen eine Entscheidung getroffen hätten, sollten sie sich melden. Er wäre mit Allem einverstanden. Mit einem Standard Gleiter schwebte er zur Erde und ließ sich einige Kilometer von Anjas Wohnhaus in die Natur transportieren. Den Gleiter schickte er mit Autopilot zurück zur Station. Egal was sie von ihm verlangen würden. Sab war wieder da. Das alleine war es wert.


Anja empfing ihn direkt mit offenen Armen: »Danke, dass du den Doc geschickt hast!« Mergy schaute verdutzt. »Ja, wegen meinem Chef und der Fehlzeit.« »Ich weiß nicht was der Doc gemacht hat. Damit habe ich nichts zu tun. Die medizinische Abteilung ist sein Ding. Dort habe ich überhaupt nichts zu sagen. Was hat er denn gemacht?«, wurde Mergy neugierig. Anja erzählte ihm von ihrem Tag und war überglücklich. Sie merkte auch Mergys deutlich positivere Stimmung. So erzählte er ihr von Sabs Rückkehr und das alles wieder beim Alten sei. Er konnte ihr nicht von der Zeitreise erzählen, aber die alternative Geschichte, die Tin erfunden hatte, tat es auch. Vor ihnen lag nun eine Woche Urlaub, den Beide zusammen und ohne Störungen intensiv genossen.

Vorschau auf: Prinzessin May und das Orakel der Zeit

Eigentlich läuft in Mays Leben wieder alles richtig gut. Die Station wurde wieder vollständig aufgebaut, viele neue Gesichter und noch mehr Trubel machen das Leben in ihrem Schloss täglich zu einem neuen Abenteuer. Doch überschlagen sich die Ereignisse. Die Hinweise des Orakels werden immer seltsamer, Sab macht eine seltsame Wandlung durch und dann ist da noch dieser dunkelhäutige Mann, der immer wieder auf der Station auftaucht ...

Impressum

Texte: Summa Dornigen
Bildmaterialien: Guido Mersmann
Cover: Guido Mersmann
Lektorat: Guido Mersmann
Korrektorat: Guido Mersmann
Satz: Guido Mersmann
Tag der Veröffentlichung: 01.02.2011

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