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Prinzessin May und das Königreich der Winde

 

I von Prinzessin May Saga

 

Summa Dornigen

 

 

 

Schlagwörter:

Fantasy, Science Fiction

 

Ein kleines vom Schicksal gebeuteltes Mädchen kämpft sich einsam und alleine
durch die Widrigkeiten ihres Lebens. Doch eines Tages, gerade als ihre Lage
aussichtslos erscheint, bringt eine schicksalhafte Begegnung ihr Leben auf eine
neue Bahn. Sie taucht in eine Welt voller Wunder und Magie ein. Neue Freunde,
Drachen und ein riesiges fliegendes Schloss sind nur die Spitze des Eisbergs,
denn da ist noch mehr...

Prinzessin May und das Königreich der Winde

Band #1

Geschrieben von Summa Dornigen (summadornigen@geit.de)


Ein kleines vom Schicksal gebeuteltes Mädchen kämpft sich einsam und alleine durch die Widrigkeiten ihres Lebens. Doch eines Tages, gerade als ihre Lage aussichtslos erscheint, bringt eine schicksalhafte Begegnung ihr Leben auf eine neue Bahn. Sie taucht in eine Welt voller Wunder und Magie ein. Neue Freunde, Drachen und ein riesiges fliegendes Schloss sind nur die Spitze des Eisbergs, denn da ist noch mehr ...

Der Hauch des Drachen

Der Wind pfiff durch die Gassen des kleinen Dorfes. Nicht stark, aber es reichte schon um die alten Häuser zum Klappern zu bringen. Das Holz der Gebäude knarzte aus allen Richtungen. Im Schein zweier lodernden Laternen kreisten einige Insekten. Dumpf war ein »Nein, loslassen!« zu hören. Naja, eigentlich war das jetzt nur eine Übersetzung, denn in diesem Dorf und seiner Umgebung sprach man einen Mandarindialekt. Erst war kurzes Rumpeln zu hören, dann drang ein Lichtschein aus einer offenen Tür und erhellte die Straße ein wenig. »Lasst mich los!«, hörte man jetzt lauter und drei Männer kamen auf die Straße. Dabei zerrten sie ein kleines Mädchen aus dem Haus. Sie trug eine dreckige, graue Hose, die überall eingerissen war und Löcher hatte. Ihr rotes Oberteil war nicht besser dran. Es fehlte sogar ein großer Teil eines Ärmels. Die Männer waren groß und eigentlich hätte wohl schon einer gereicht um es mit ihr aufzunehmen, aber das junge asiatische Mädchen wehrte sich mit aller Kraft und schrie so laut sie konnte. Die Menschen im Dorf hatten zu viel Angst. Niemand kannte das Kind. Die meisten wollten mit ihr nichts zu tun haben. Den anderen war sie einfach nur egal. Warum sollten sie sich, für eine Person, die sie gar nicht kannten, in Gefahr bringen? Die wenigen Fenster, die noch nicht verrammelt waren, wurden hastig geschlossen.

 

Parallel brachte sich auf der anderen Seite des Planeten das Schicksal in Stellung. Mergy wanderte unruhig umher. Seine alte abgeschliffene blaue Jeansweste hob hinten leicht vom Körper ab, wenn er wieder eine Wende machte. »Es ist also nicht der Speicher und es passiert trotz bester Abschirmung. Es muss ein Softwareproblem sein. Es liegt an Jaque selbst.«, dachte er laut. »Nein, kann es nicht. Ich hab ihn eben nicht hochfahren lassen und den Speicher direkt gescannt. Er hatte an der selben Stelle dieses unnatürliche Muster.«, antwortete ihm Sab, die auf der anderen Seite des Tisches stand und mit diversen Geräten in einen Würfel von 15 Zentimeter Kantenlänge blickte. Sie strich sich die blonden Haare hinter die Ohren. Ihre blauen Augen funkelten als sie mit verschmitztem Gesicht verkündete, dass es dann wohl nur ein Defekt des Controllerinterfaces sein könne. »Unwahrscheinlich!«, warf Mergy zurück: »Dann würde der Fehlerbereich über das ganze Segment gehen und nicht nur über einen kleinen Teil mitten drin.« »Stimmt auch wieder!«, gab Sab zurück und senkte den Kopf mit der Stirn mittig auf die Tischplatte und die Knöpfe ihrer Bluse klackerten kurz auf dessen Oberfläche.

 

»Ich fliege eine Runde. Vielleicht fällt mir etwas ein, wenn ich einen klaren Kopf bekomme.«, hallte es noch durch den Raum und dann war er verschwunden. Die massiven mechanischen Sicherheitstüren schlossen sich leise hinter ihm. Als Sab den Kopf hob, war sie alleine in dem kleinen Raum. Sie beschloss den Würfel, der auf den Namen Jaque hörte wieder einzuschalten. Vielleicht hatte er ja selbst eine Idee was los war.

 

Das Mädchen wurde weiter die Gasse hinunter gezerrt, als es, wie aus dem Nichts, einen gewaltigen Knall gab. Die Erde zitterte unter ihren Füßen. Ein markerschütternder Schrei durchbrach den Moment der Stille. Das war kein Mensch gewesen. Soviel hatten auch die Männer sofort begriffen, die erstarrt waren und sich nur unsicher umschauten. Sie hielten dabei das Mädchen immer noch mit festem Griff. Die Kleine, selbst erschrocken von dem Geräusch, vergaß ganz sich weiter zu wehren. Über den Laternen war etwas in den leichten Nebel, der den Sternenhimmel verdunkelte, eingetaucht. Es drückte ihn regelrecht auf die Straße hinunter. Die Laterne war nur noch ein kleines Licht hinter einer dicken grauen Wand. Wie ein unbewegliches Glühwürmchen in einer trüben Nacht versuchte sie vergeblich ihrer Aufgabe nachzukommen und den Raum um sich herum zu erhellen. Wieder dieser Schrei. Viel näher und diesmal direkt von vorn.

 

»Der Drache ist gelandet!«, dachte das Mädchen. Dann tauchte ein Mann auf der Straße auf. Wie durch eine waberige Wand schritt er durch die grauen Wolken ins dämmrige Licht: »Lasst sie los!« Erst diese Worte weckten die Kleine. Sie bemerkte, dass sie sich nicht mehr wehrte und zog wieder an ihren Armen, die immer noch fest in den deutlich größeren Händen der Männer verkeilt waren. Der Mann war riesig. Er hatte eine dunkelblaue Hose und ein weißes T-Shirt an. Darüber eine blaue Jeansweste. Es war Mergy. Er hatte bei seinem Flug gesehen was dort unten los war und wollte helfen. Der dritte Mann zog eine Pistole und schoss. Mergy zuckte nicht. Die Kugel verfehlte ihn wohl. In schneller Folge feuerte der Typ weitere Geschosse ab. Es waren außer dem Knall des Pulvers nur ein dumpfes Plopp und das Klingeln, welches die Projektile beim Herumspringen auf den Wegsteinen machten, zu hören. »Letzte Chance! Lasst sie los!«, wiederholte er seine Aussage. Nun griffen auch die anderen Männer mit ihren freien Händen nach ihren Waffen und schossen ebenfalls auf den Mann, der sich ihnen in den Weg gestellt hatte. Es passierte nichts. Konnten ihn denn wirklich alle Kugeln verfehlt haben?

 

»Tja, ihr hab es so gewollt!« Aus dem Nebel tauchte etwas großes Schwarzes auf: Der Drache. Seine stachlig wirkenden Flügel standen gerade an den Seiten ab. Wieder dieser Schrei und dann fielen die Männer einfach um. Einer hatte bis zuletzt nicht losgelassen und riss das Mädchen mit auf den kalten dreckigen Boden. Erst da konnte es sich aus seiner Hand befreien, stand auf und schaute ihren Retter an mit großen Augen an. »Alles o.k.?«, fragte dieser und sie erklärte immer noch mit leicht zittriger Stimme, dass ihr nichts passiert sei. Das Mädchen schaute sich verwirrt um. Die Männer lagen regungslos auf dem Boden. Was war passiert? Sie waren einfach umgefallen. Mit fragendem Blick schaute sie zu ihrem Retter hinüber, ohne jedoch dazu zu kommen ihre Frage laut auszusprechen. »Die Typen wachen in etwa einer Stunde wieder auf und haben nur gewaltige Kopfschmerzen!«, kam die Antwort auf die nicht ausgesprochene Frage: »Wir töten niemanden!«

 

Für einem kurzen Moment standen sich hier die beiden Schicksale wortlos gegenüber, dann drehte sich der Drache sich auf die Seite. Eine Luke öffnete sich nach oben und gab den Blick in das Innere frei. Mergy stieg ein und setzte sich auf den Sitz. Erst jetzt wurde dem Mädchen klar, es war nicht wirklich ein Drache. Es war eine Maschine die fliegen konnte und wären die drahtigen Flügel nicht gewesen, hätte es auch ein Auto sein können. Nur eben ohne Räder und fliegend. Mit offener Tür erhob sich das Gefährt und Mergy rief der Kleinen ein »Geh nach Hause!« zu. Die Tür schloss sich und das schwarze Monster erhob sich in die Lüfte. »Aber ich hab kein Zuhause!«, rief sie laut und fügte ein leises »Ich habe niemanden!« an. Aber Mergy war bereits mit seinem Gefährt im Nebel verschwunden. Genauso wie er erschienen war.

 

Er sass im Gleiter und hielt inne, als er die Worte hörte. Auch wenn er von einer halben Tonne Metall umgeben war, konnte er jedes Wort des Mädchens genau hören. Genau wie vor seiner Ankunft hatten die Sensoren das Geschehen auf der Straße erfasst und ins Innere der Maschine übertragen. Er drückte den U-förmigen Hebel vor sich erneut nach vorne und mit einem Fauchen senkte sich das schwarze Metall wieder auf Bodenhöhe. Die zweite Tür auf der anderen Seite öffnete sich direkt vor dem barfüßigen Mädchen, deren dunkles langes Haar im Wind tanzte. »Steig' ein!«, wies er schon fast fordernd an. Sie zögerte. Schließlich kannte sie den Mann überhaupt nicht. Vielleicht war er sogar schlimmer als die anderen Männer. Nein. Das glaubte sie nicht. Er hatte sie gerettet und er war nur auf ihren Wunsch zurückgekehrt. Vorsichtig stieg sie ein und setzte sich auf den Sitz. Er war weich und warm. So bequemen hatte sie noch nie gesessen und selbst wenn jemand einen solchen Sitz gehabt hätte, hätte sie wohl niemals darin sitzen dürfen.

 

»Ich bin Mergy und wer bist du?«, fragte der bis dahin Unbekannte nach ihrem Namen. »Ich – Ich bin May!«, antwortete sie noch immer unsicher. »Freud mich dich kennen zu lernen May.«, lächelte der Mann zu ihr hinüber. Ohne es zu wissen hatten sich hier gerade zwei Schicksale getroffen und verbunden. Das Schicksal des gesamten Universums nahm durch diese Begegnung zweier Menschen gerade eine Wende, von der niemand auch nur etwas ahnen konnte. In jenem Moment wurde eine Prophezeiung erfüllt, die noch nicht einmal ausgesprochen war.

Der Wind des Schicksals

Das Mädchen sah gebannt aus dem Fenster. Das kleine Dorf war weg. Unten konnte May nur noch einzelne Lichter ausmachen, aber dann wurde sie von Vorne geblendet. Es war die Sonne. Aber es war doch Nacht? Schließlich konnte sie wieder klar sehen und unter ihr waren Wolken und das Blau des Meeres, mit dem sie nicht mehr viel verband. So wendete sie sich ab. Der Himmel änderte die Farben und schien sich vor allem bei den Blautönen zu bedient zu haben. Der Farbwechsel war wunderschön anzusehen. Schlagartig war vor ihnen nur noch Dunkelheit. Es war wieder Nacht. Sie konnte die Sterne sehen, die klar vor ihr funkelten. Als sie nach hinten blickte bemerkte sie, dass nicht nur das Wasser hinter ihr lag.


Es war die komplette Erde, deren blau weiße Kugel sie zum ersten Mal komplett sehen konnte. Genau wie der leuchtende Globus, den sie in dem kleinen Café immer bewundert hatte. Aber den gab es noch genauso wenig wie das Café selbst. »Gefressen vom Meer.«, dachte sie und schaute erneut dem vermeintlichen Ziel entgegen. »Wir sind gleich da!«, wendete Mergy sich ihr zu und May schaute fragend nach vorne. Da war doch gar nichts vor ihnen, wie konnte das Ziel dann dort sein? Mergy sprach plötzlich einige Sätze, deren Sinn sie nicht verstand und bekam die Antwort von einer Frau, die anscheinend Trish hieß. »Warum Landebucht zwei?«, fragte Mergy und die freundliche Stimme antworte: »Weil die Trainees einen Gleiter in der anderen Bucht zerlegt haben!« »Jemand verletzt?«, fragte Mergy mit besorgter Stimme nach und sie berichtete, die Kadetten hätten wohl einige blaue Flecken, wären sonst aber unverletzt.


»Ich hab doch gesagt es ist zu früh. Die sollen weiter Simulationen fliegen!«, forderte Mergy und erntete Zustimmung: »Ja, ich dachte sie wären schon soweit!« Plötzlich waberte die Luft vor dem fliegenden Drachen, genau wie die Straßen ihres Dorfes an einem heißen Sommertag flirrten. Naja, im Weltraum gibt es keine Luft, aber das konnte May unmöglich wissen. Hinter dem Wabern tauchte es auf. Ein riesiges rundes schneeweißes Schloss!


Es war gigantisch. 3 Türme erhoben sich schützend über die inneren Teile und weil es fliegen konnte hatte es wohl auch Türme, die nach unten gingen. Die Türme waren an einem riesigen Ring befestigt, der wie eine Mauer das komplette Gebäude umgab. Genau zwischen dem stabförmigen zentralen Teil und der Außenmauer befand sich ein zweiter kleinerer Ring auf etwas erhabener Position. »Wie ein Kreisel«, dachte May, als sie das gewaltige Gebäude betrachtete, welches im Sonnenlicht funkelnd vor ihnen schwebte. »Es ist bestimmt so groß wie das ganze Dorf. Nein viel größer!«, kam es ihr in den Sinn. Der Flug ging zwischen den leicht gebogenen Türmen hindurch, über die Ringe und ihre gewaltigen Verbindungen hinweg. Die Leere war nun wieder vor ihnen und für einen winzigen Moment schoss es May in den Sinn, dieses wundervolle Schloss wäre vielleicht gar nicht ihr Ziel.


Dann bewegten sich die Sterne sehr schnell und das Bauwerk war wieder vor ihnen. Mergy hatte den Drachen gewendet. Ein großes eckiges Loch an der Seite des großen Rings war ihr neues Ziel. An dessen Decke und Boden waren die wuchtigen Türme befestigt. Der Eingang schien sie mit nacheinander aufblinkenden Lichtern förmlich hinein zu winken. Das Fluggerät folgte der Aufforderung und sauste ins Innere. May hörte unter sich ein Surren. Der Sitz wippte ganz leicht als das schwarze Monster landete. Die Tür neben ihr öffnete sich mit einem Zischen nach oben und auch die Luke auf Mergys Seite stand bereits offen. »Willkommen auf Ray Team One«, riss Mergy sie aus ihrer stummen Bewunderungen für die unbekannte Umgebung.


Sie hüpfte aus dem Gleiter. Ihre Füße patschten auf den Metallboden. Er war kalt, aber May bemerkte es gar nicht. Ihre Augen sogen diesen übergroßen Raum in sich auf. Da waren zwei riesige Regale voll mir diesen Flugmaschinen. Fast wie der Schuhschrank in dem Heim in dem May einmal für kurze Zeit gelebt hatte, aber hier passte nur eine Sorte Schuhe rein. Alle waren gleich und der Schrank war gigantisch. Nur die Farbe war bei einigen anders. Zwei waren weiß mit einem roten Kreuz darauf. Das hatte sie schon mal gesehen. Sie überlegte. Ja, der kleine weiße Schrank. Sie hatte damals einen Schnitt an der Hand und die Schwester hatte ihr dort einen Verband heraus geholt. Auf der Tür des Kastens war auch ein rotes Kreuz drauf gewesen.


»Komm mit!«, winkte Mergy herüber, der schon auf die Lücke zwischen den Regalen zu marschierte. Mit einem Rums verschob sich ein Teil der Wand wie von Zauberhand. Es war eine hohe Tür, die sogar Mergy um deutlich überragte. Der Boden dahinter war anders. Das merkte May sofort. Nicht mehr kalt, hart und rifflig, sondern etwas wärmer, glatt mit einigen kleinen runden Huckeln. Links und Rechts waren in verschiedenen Abständen Türen, die Mergy alle nicht beachtete, während er an ihnen vorbei ging. Fenster gab es keine. Nur ab und zu eine große schwarze Tafel mit einem blinkenden blauen Licht. Dann hielt ihr Begleiter vor einer Tür. Sie war etwas höher und breiter als die meisten anderen und der blaue Knopf blinkte fröhlich. Mergy drückte darauf und die Tür zischte nach einem kurzen Moment sanft auf.


Beide traten in den kleinen Raum, der sonst keine Türen hatte und Mergy sagte nur ein Wort: »Promenade!« Die Tür schloss sich genauso sanft wie sie aufgegangen war. Gelbe Lichter in den Wänden tanzten mal links oder rechts herum. Aber ab und zu auch auf und abwärts. Wortlos standen beide in dem kleinen Raum. May bewunderte die Lichter und schaute sich den ansonsten kahlen Raum genau an. Es zischte wieder und die Tür sprang erneut auf. Die Halle, die sie nun betraten, war noch gewaltiger und noch beeindruckender als alles zuvor. Sie sah zwei Männer redend auf einer der beiden breiten Treppen nach Oben gehen, die sich an den Seiten nach oben schwangen. Sonst war niemand hier. Sie schaute den Treppen hinterher. Oben waren Geländer und Fenster gab es dort auch. Unten waren einige große Türen mal aus Glas, mal aus Metall.


Sie machte auch noch einmal das rote Kreuz an einer breiten Glastür aus. Eine Tür stand offen. Sie war sechs oder siebenmal so breit wie die anderen und man konnte frei hineinsehen. Das war offensichtlich ihr Ziel. Als sie näher kamen konnte sie Tische und Stühle erkennen. Es war wohl so etwas wie ein Gasthaus. Hinten saßen einige Leute und unterhielten angeregt sich während sie aßen. »Sor, wo steckst du?«, fragte Mergy an der Bar: »Sor!« Ein grauer Kopf schnellte nach oben. Er hatte keine Haare und riesige schwarze Augen. May erschrak und machte einen kleinen Hopser zurück. »Du brauchst keine Angst zu haben. Er ist harmlos und ganz witzig!«, gab Mergy zu verstehen. »Was heißt hier 'ganz witzig'?«, blaffte Sor zurück und grinste. Seine Mundwinkel wanderten nach oben und sein Mund wirkte gleich dreimal so groß. Der eben noch gruselige Typ war plötzlich richtig knuddelig und May vertraute Mergys Urteil. »Er macht dir etwas zu essen. Du hast bestimmt Hunger! Ich bin gleich wieder da.«


Kaum hatte er es ausgesprochen, war er auch schon verschwunden. »Meinen Namen kennst du ja bereits. Ich bin Sor und wie heißt du?«, fragte der graue Kopf, dessen Hals so lang war, dass sie seinen Körper hinter dem Tresen nicht sehen konnte. »Ich bin May!«, brachte sie schließlich unsicher heraus. »Ok, May. Mein Ratschlag als essenskundiger Barmann ist: Setz' dich hin. Du bekommst kalte Füße.«, kam zurück und noch bevor May sich auf den hohen Hocker gezogen hatte, fragte er nach dem Essen und schlug eine Suppe zum Aufwärmen vor. May nickte: »Aber ich habe kein Geld!« »Geld brauchst du hier auf der Station auch nicht. Ein bestimmter Wunsch?«, fragte Sor. »Mit Nudeln!«, hörte sich May unsicher und leise sagen. Sie musste unweigerlich an die letzte richtig gute Suppe denken und das war schon einige Jahre her. »Noch so eine!«, tönte es aus Sor raus: »Lass mich raten. Lange Glasnudeln?«


Wieder nickte May mit einem Lächeln und Sor rollte mit seinen riesigen runden Augen und sein Mund wuchs für einen kurzen Moment wieder lustig um seinen Kopf herum das May lachen musste. »Mergy ist auch verrückt nach diesen asiatischen Sachen und diese Suki erst.«, brummelte er noch raus, während er sich umdrehte. Jetzt auf dem Hocker konnte sie mehr von ihm sehen. Er sah wirklich lustig aus. Sein Hals war genauso lang wie sein Kopf und der war schon beachtlich. Er trug ein weißes T-Shirt mit einem Text den May nicht lesen konnte und eine lange blaue Hose. Mehr konnte sie nicht sehen, auch wenn sie sich streckte und vorbeugte. »und heiß«, verstand sie noch und ein blau weißes Licht strahlte hinter Sor aus der Wand.


Als der graue Kerl sich wieder umdrehte, hatte er einen großen dampfenden Topf Nudelsuppe und eine kleine Schüssel in den schlanken Händen. »Traditionell oder mit Löffel.«, fragte Sor. Mit fragendem Blick schaute May ihn an. Sor erkannte ihr Dilemma und klickte in einer Hand mit Stäbchen und zeigte in der anderen einen Löffel. May deutete auch das hölzerne Besteck und Sor befüllte ein Schälchen, welches sie hastig vereinnahmte. »Wow, nicht so hastig. Das isst dir keiner weg.«, kommentierte Sor und machte sich auf den Weg zum einzig noch belegten Tisch um eine Bestellung aufzunehmen.


In einem anderen Teil des Schlosses ging es weniger freundlich zu. »Du kennst die Regeln!«, fauchte Sab durch den Raum. »Natürlich kenne ich die Regeln. Ich hab die meisten davon selbst aufgestellt.«, antwortete Mergy in ruhigem Ton. »Was soll sie dann hier?«, fragte Sab und wartete nicht auf eine Antwort: »Brauchen wir jetzt einen Kinderhort?« »Ersteres weiß ich auch noch nicht, aber einen Kinderhort brauchen wir sicher nicht.«, wehrte er den verbalen Angriff ruhig ab. »Ich hätte sie ja fast zurück gelassen, aber etwas hat mich zurückgehalten. Es war so ein Gefühl.«, fügte er hinzu. Trish, die bisher nur locker am Tisch saß und lauschte, mischte sich plötzlich ein: »Ein Gefühl?« »Als wenn sie wichtig wäre!«, platze Mergy heraus, was er eigentlich so nicht formulieren wollte. »Jeder Mensch ist wichtig.«, gab Trish mit herablassendem Ton zurück. Ihr behagte nicht, wenn einige Menschen wichtiger sein sollten als andere. Mergy mochte diesen Charakterzug an ihr. Sie gab immer gleich zu verstehen, wenn ihr was nicht passte und war so etwas wie das Gewissen des Ganzen. »So hab ich das auch nicht gemeint.«, korrigierte Mergy seine Aussage: »Als hätte sie eine Aufgabe. Etwas was die Welt, etwas das uns verändern wird.«


Trish war sprachlos, aber Sab brachte es auf den Punkt: »Du kennst sie fünf Minuten und denkst sie wäre der Retter der Menschheit?« Mergy antwortete nicht sofort und überdachte diesmal seine Antwort: »Ich weiß es doch auch nicht. Dieses Gefühl, diese innere Stimme hat mich dazu getrieben sie mitzunehmen. Das kann ich nicht beschreiben. Es war einfach richtig. Sie bleibt hier und auch wenn es nur dazu dient zu bestätigen, dass ich mit meinem Gefühl falsch lag.« Mergy machte seinen Einfluss geltend und forderte das Gewünschte. So etwas hatte es noch nie gegeben. Er hatte sich meistens den Wünschen und Vorschlägen der anderen gebeugt. Wenn dann hatte er höchstens gefragt ob man nicht auf diese und jene Art ein besseres Resultat erzielen könne, aber gefordert hatte er nie etwas. Diesmal hatte er Stellung bezogen und würde hart bleiben. Das musste auch Sab respektvoll anerkennen.


»Ist ja gut. Solange sie den Stationsbetrieb nicht stört kann sie bleiben.«, sprach Sab die Absegnung seines Wunsches mit einer kleinen Einschränkung aus und Trish nickte einvernehmlich. »Wir haben andere Probleme!«, setzte sie das Gespräch fort: »Der Fehler im Würfel ist immer noch da und die Ideen sind uns schon lange ausgegangen. Jaque was sagt deine Analyse?« Die sanfte und vertrauenerweckende Stimme des Computers drang durch den Raum: »Der Inhalt der problematische Speicherzellen bleibt konstant. Egal was ich mache, ich kann ihn nicht überschreiben, aber in unregelmäßigen Abständen ändert sich der Inhalt komplett.« »Wie komplett?«, fragte Mergy erstaunt und nahm die Füße vom Konferenztisch, um den Kopf näher an den Tisch zu bringen, auf dem der Würfel immer noch stand. »Alle Zellen ändern sich, aber nur ca. 82% bei jedem Zyklus!«, sprach die Computerstimme. »Moment?«, warf Sab ein: »Die Daten im Speicher verändern sich von Zeit zu Zeit, lassen sich aber sonst nicht manipulieren. Es ändern sich aber über mehrere Veränderungen hinaus alle Zellen, sodass ein Fehler des Speichers ausgeschlossen werden kann?« »Korrekt!«, antwortete Jaque.


»Ok, da es kein Anzeichen gibt, dass das Problem größer wird oder sich der Bereich verschiebt, markiere die Segmente als belegt und stelle sicher das von dort kein Programmkode ausgeführt werden kann. Setze deine Analyse fort.«, wies Mergy an und Jaque führte die Befehle aus. »Dann ist da noch das Flugtraining.« »Wir sollten die Kadetten trennen. Die guten bekommen erweiterte Simulatoraufgaben und die anderen bleiben beim Standardtraining.«, warf Mergy eine Lösung in den Raum, die auf Zustimmung traf. »Wir sollten aber klar machen, dass das Flugtraining nur eingestellt wird, weil es ein Versuch war, sonst könnten die schlechteren Kadetten für das Absetzen verantwortlich gemacht werden und das wäre für das gesammte Projekt nicht förderlich.« Sab und Mergy stimmten dem Gewissen der Station in dem Punkt zu und Trish betonte, dass sie dann den Tagesplan der Kadetten so abändern würde.


May bekam davon nichts mit. Sie vernichtete eine Suppenschale nach der Anderen und unterhielt sich mit Sor. »Du bist kein Mensch, oder?«, fragte sie unsicher. Sor setzte wieder dieses riesige und lustige Grinsen auf: »Sehe ich wie ein Mensch aus?« May lachte: »Hehe, nein!« »Ich bin die holographische Darstellung eines Computerprogramms.«, erklärte er und als May nicht verstand was er meinte, erklärte er dass er eigentlich nur ein Bild sei, welches eben die Form eines Sor hätte. Er legte seine graue dünne Hand auf den Tresen direkt vor May: »Berühre sie!« May zögerte, streckte dann aber doch ihre Hand aus und genau als ihr Finger seinen Handrücken berührte kribbelte es leicht und ihr Finger ging glatt durch seine Haut hindurch. Der Rest der Hand waberte leicht und kam wieder zum Normalzustand zurück. »Nur ein Bild aus Luft!«, untermalte Sor noch das sich bietende Bild und zog seine Hand zurück. Mays Zeigefinger lag immer noch auf dem Tresen, genau da wo vorher noch die Hand war. »Ich kann jede Form und jedes Aussehen annehmen, sofern die Daten im Computer sind. Nur Menschen darf ich nicht darstellen, das ist verboten!«, erklärte er weiter.


»Warum?«, fragte May. »Menschen mögen es nicht, wenn man mit ihrem Gesicht herumläuft. Es gibt aber Ausnahmen, wenn es von der Person selbst erlaubt oder gewünscht wird.«, fügte er hinzu. »Du kannst also so aussehen wie ich, wenn ich das erlaube?«, fragte May neugierig. »Ja, aber du bist nicht im Computer gespeichert und ich kann dich nicht Scannen!« erklärte er. »Scannen?«, fragte der wissbegierige Neuling weiter nach. »Mit einem Gerät wird dein Körper abgetastet und der Computer merkt sich dein Aussehen. Dann kann er dich auch in die Luft malen.« »Und der echte Sor hat erlaubt, dass du ihn nachmachst?« »Nein, es gibt keinen echten Sor. Ich bin das Original. Tin hat mich am Computer gemalt und entworfen. Sie wollte einen Barmann, mit dem man reden kann und der freundlich aussieht. Aber es durfte eben kein Mensch sein.«, berichtete Sor über seine Entstehung. »Ich finde dich genau richtig!«, lächelte May über den Tresen und Sor grinste zurück.


Die letzten Leute standen vom Tisch auf und liefen hastig am Tresen vorbei. Nicht ohne May, die sich zu ihnen umdrehte, noch einmal richtig zu mustern und offensichtlich über sie zu tuscheln. Erst jetzt wurde May bewusst, wie sie eigentlich aussah. Ihre Kleidung zerfetzt, dreckig und ohne Schuhe passte sie hier eigentlich gar nicht rein. »Kampfgleiterpiloten.«, kommentierte Sor die Situation: »Die haben es immer eilig.« »Ist Mergy auch ein Kampfgleiterpilot?« »Er ist der Beste! An seinen Künsten müssen sich die Anwärter alle messen. Er ist aber nicht nur Pilot, sondern auch so etwas wie der König des Schlosses.« May wunderte sich. Konnte Sor Gedanken lesen? Sie hatte nichts von ihren Schloss und Drachenanalogien gesagt. »Schloss?«, fragte May daher unsicher nach. »Naja, Raumstation. Mergy und Sab sind so etwas wie das Ehepaar der Station. Wie der König und die Königin auf ihrem Schloss. Sie sind aber nicht verheiratet und nur die besten Freunde.«


Plötzlich stand Mergy wieder neben ihnen: »Na! Plauderst du schon wieder die Stationsgeheimnisse aus?« May versuchte zu beschwichtigen, aber Sor plapperte geradeaus: »Nur das Übliche!« »Wir müssen los, der Doc wartet.«, wies Mergy an und reichte ihr eine Hand. May nahm die viel größere Hand und hüpfte vom Hocker. Ihre nackten Füße patschten wieder deutlich hörbar auf den Boden. Als sie sicher Stand ließ Mergy los und ging voran. »Danke Sor!«, bedankte sie sich höflich mit einer leichten Verbeugung und folgte Mergy. Sie gingen nicht weit. Nur eine Tür weiter führte sie der Weg durch die milchige Glastür mit dem roten Kreuz. Hier war alles glatt, hell und eine Spur wärmer als noch im Lokal zuvor. Links gingen zwei Türen ab und rechts auch. Mergy schritt durch die sich öffnende Tür direkt vor ihnen. Sie trennte diesen Flur von den hinteren Räumen, obwohl man durch die riesigen Glasscheiben nicht wirklich von Trennen sprechen konnte.


»Ah, meine neue Patientin.«, kam ein älterer Mann auf sie zu und lächelte: »Ich bin der Doc und du musst May sein. Ich hab dich schon erwartet.« Er reichte May die Hand und sie erwiderte seine Begrüßung. Der Raum war groß. In der Mitte standen zwei große Tische, aber es waren noch Markierungen für mindestens 10 weitere aufgezeichnet. Außen herum an den Wänden waren Anzeigen mit bekanntem Inhalt. Ein Schriftzug, den May schon einige Male gesehen hatte. Er wippte und rollte sich auf dem Bildschirm. Sor hatte auch einige dieser Geräte in seinem Lokal gehabt und in der großen Halle waren ebenfalls diverse an den Wänden.


»Keine Angst. Es dauert auch nicht lange!«, lächelte er freundlich und deutete an, sie solle sich auf eine halb runde Scheibe stellen, die an der Wand angebracht war. »Jetzt nicht erschrecken«, warnte er sie noch und dann kam eine klare Glasscheibe aus der Wand hinter ihr und fuhr um die Bodenplatte herum. May war nun eingeschlossen und schaute unsicher umher. Der Doc drückte an der Außenseite einige Tasten und ein Strahl von weißem Licht begann an der Kabine hochzuklettern. Instinktiv schloss sie ihre Augen um nicht geblendet zu werden. Erst als das Surren aufhörte öffnete sie wieder vorsichtig ihre Sehschlitze. Die Kabine öffnete sich bereits wieder vor ihr. »War doch nicht so schlimm, oder?«, fragte er und May verneinte. »Setze dich dort auf den Tisch.« Der Doc deutete auf den ihr zugewandten Tisch. Ihre Beine baumelten vor und zurück wippend am Tisch hinunter, während sie gespannt wartete was als nächstes passieren würde. Sie schaute dem Doc genau zu. Er tippte auf einer Fläche herum und auf der Anzeige war jetzt nicht mehr diese Schrift, sondern was Kleineres zu sehen. Was das genau war konnte sie aber nicht erkennen. Dann drehte sich der Doc um und kam auf sie zu: »Dein linker Arm war mal gebrochen, nicht?« May staunte. Wie konnte er das wissen? »Ja, woher wissen sie das?«


»Du hast eben in einem Scanner gestanden. Ich habe jeden Teil deines Körpers abgetastet und die Stelle gesehen, an der dein linke Arm wieder zusammengewachsen ist.«, erläuterte er. »Ja, da war ich sieben oder so.«, bestätigte May und stellte gleich die Frage, die sie quälte seit der Doc vom Scanner geredet hatte: »Kann der Computer jetzt auch ein Hologramm von mir machen?« Nicht nur der Doc wunderte sich über diese Frage. Auch Mergy ließ diese clevere Frage aufhorchen. »Das habe ich auf dem Scan auch gesehen.«, wich der Doc der Antwort aus: »Du bist ein Schlaukopf!« May musste grinsen. Das war bestimmt kein Wort das man offiziell benutzen würde. Mergy sprang ein: »Der Computer würde das nicht erlauben.«


»Wenn ich ihm die Erlaubnis gäbe, dann wäre es nicht verboten.«, wendete sie schon wieder neues Wissen an. »Das stimmt!«, bestätigte Mergy ihre Behauptung. »Ich würde das gerne mal sehen. Nur einmal!«, bat sie und Mergy hatte nichts dagegen. Er wies einer Person Namens Jaque an, ihren Wunsch zu erfüllen und nur wenige Augenblicke stand eine zweite May im Raum. Sie sah genauso aus wie sie. Die gleiche Kleidung. Das Haar genauso. Wie ein Spiegelbild aber ohne Spiegel und ohne das May davor stand. Wieder fiel ihr auf wie schmuddelig sie eigentlich aussah. Sie zwinkerte nur und machte sonst keine Bewegung. »Warum tut sie nichts?«, fragte May nach: »Sor kann sich bewegen und reden!« »Du wolltest ja auch nur ein Abbild darstellen. Von bewegen war nicht die Rede. Das ist auch viel komplizierter. Sor ist viel komplizierter«, erklärte Mergy und ließ die zweite May wieder verschwinden.


»Leg' dich hin.«, bat der Doc und May folgte seinen Anweisungen. Zwei Teile des Tisches fuhren an ihren Ohren vorbei nach oben. Dann drückten sie sich an ihren Kopf. Ein Schmerz wie bei einen Stich mit einer langen Nadel direkt über ihrem Ohr ließ sie aufschreien und den Kopf heben. May fasste sich ans Ohr, aber da war keine Wunde und auch kein Blut. Der Schmerz ließ schon wieder nach. »Tut mir leid!«, sagte der Doc: »Das ist das unangenehmste wenn der Synthesizer eingesetzt wird. Damit verstehst du jetzt fast jeden Menschen auf der ganzen Welt ohne seine Sprache zu kennen.« May dachte noch an den Schmerz, sonst hätte sie bestimmt die ein oder andere Frage gestellt. Der Doc nahm ihren linken Arm und noch als May überlegte, ob diese Mulde in der ihr Arm jetzt lag, genauso aussah wie das Teil am Kopfende des Tisches, schmerzte es wieder. Nicht so doll, aber sonst genauso. »Das war das letzte Mal!«, entschuldigte der Doc sich wieder: »Versprochen!« May schaute ihren Arm an und er war unversehrt. Sie schaute den Doc fragend an.


»Multifunktionscontroller und universeller Kommunikator.«, erklärte der Doc mehr oder weniger verständlich was das jetzt wieder sollte: »Damit kannst du überall mit jedem Reden!« »Kannst du mich hören!«, vernahm sie eine Stimme so laut wie noch nie etwas zuvor. »Ah!«, schrie sie auf und hielt sich den Kopf. Dabei fiel sie fasst vom Tisch, aber Mergy griff instinktiv nach ihrer Schulter und stabilisierte sie. »Was ist los?«, fragte er. »Es ist so laut!«, wimmerte May. »Jaque?« »Standardlautstärke!«, erwiderte dieser. »Stelle sie auf Minimum und sende es noch einmal.« Diesmal hörte May keinen Krach, sondern eine leise Stimme aber bekannte Stimme. Es war dieser Jaque, der schon einige Male von der Decke gesprochen hatte. Sie drehte sich um, aber hinter ihr war niemand. »Ich bin nicht hinter dir. Der Chip in der Hand klopft auf deinen Knochen und das Geräusch wandert bis zu deinen Ohren.«


»Jetzt ist es besser!«, gab May an. Der Doc schaute sich ihre Ohren noch einmal auf dem Scan an, weil er sich das Verhalten nicht erklären konnte. »Jaque von nun an fangen wir den Test mit Minimallautstärke an. So etwas soll nicht wieder passieren!«, forderte Mergy in lautem kommandierendem Ton. »Wirklich alles o.k.?«, fragte er May besorgt: »Es tut mir leid, so etwas hätte niemals passieren dürfen!« »Ja, jetzt ist es ist gut!« »Probiere ob der Controller funktioniert.«, gab Mergy zu verstehen und zeigte ihr eine Handbewegung. Er rollte nur die oberen Gelenke der vier Finger seiner Hand ein und May machte es nach. »Damit sendest du einen Init! Jetzt kannst du auf die Hand sprechen und sagen mit wem du reden willst.«, erläuterte er und machte es vor.


»Mergy an Sab!«, sprach er in seine Hand. Dann »Gibt es was neues bezüglich des Sektor 3 Problems?« und »Ok, bis später!« May probierte es: »May an Sor!« »Hallo Kleines!«, hörte sie in ihrem Kopf die Stimme von Sor: »Was kann ich für dich tun?« »Mergy hat gesagt ich soll den Controller in meinem Arm testen!«, erläuterte sie ihr anliegen. »Ich würde sagen er funktioniert!«, gab Sor zu verstehen und sie konnte gedanklich die grinsenden Mundwinkel sehen. »Danke!«, bedankte sich May wieder höflich und öffnete die Hand. »Das ist kein Spielzeug. Wenn du Leute nervst, dann schalten wir das ab und du kannst niemanden mehr anrufen.«, ermahnte Mergy das Mädchen, welches immer noch gebannt auf ihre neue multifunktionale Hand schaute. May nickte und Mergy wandte sich an den Doc: »So, wie sieht es aus?« »Im groben Ganzen gut.« antwortete er: »Ein wenig Mager und es fehlt ihr an Eisen und diversen Vitaminen, aber das bekommen wir mit einem Nahrungszusatz schnell in den Griff. In einer Woche will ich dich hier zu einer erneuten Untersuchung sehen.« Mit dem zweiten Teil sprach er May direkt an und sie nickte. »Wenn du sonst keine Schmerzen oder andere Probleme hast kannst du gehen!«, erklärte er weiter. Die einzigen Schmerzen, die sie gehabt hatte, waren die, die er ihr zugefügt hatte. Obwohl sie das mit der Hand schon erstaunlich fand, wollte sie das nicht noch einmal erleben.


»Komm ich zeig dir deine neue Bleibe!«, ergriff wieder Mergy das Wort: »Danke Doc!« May bedankte sich auch, obwohl sie sich nicht sicher war wofür. Mit patschenden Schritten marschierte May wieder ihrem Beschützer hinterher. Wieder in den kleinen Raum, der sie in andere Teile der Station brachte. Das hatte sie verstanden. »Quartiere«, sprach Mergy mehr achtlos, als als Kommando formuliert, in den Raum und die Lichter in den Wänden tanzte wieder lustig umher. Die Fahrt dauerte diesmal nicht lange. »Ich hab Jaque schon ein Quartier für dich vorbereiten lassen.«, verkündete Mergy während sie dem langen rundlichen Gang folgten, dessen Ende man nicht sehen konnte weil er leicht gebogen war.


343 stand an der Tür an der er anhielt. Er drückte seinen Finger auf die Platte neben der Tür und nichts passierte: »Oh, die Tür wurde wohl schon personalisiert! Du musst öffnen.« May wunderte sich. Er konnte die Tür nicht öffnen obwohl ihm hier doch alles gehörte? Aber schließlich machte es ihm nach und drückte ihren kleinen Zeigefinger auf die Platte. Mit leisem Zischen schob sich die Tür in die Wand und gab den Weg frei. Das Licht ging an. Sofort bemerkte sie den flauschigen Teppich. Ihre kleinen Zehen gruben sich in den weichen Belag ein und kuschelten damit. Im Raum, der wohl größer als die ganze Hütte ihrer Eltern war, standen drei schwarze Sofas die einen Tisch aus Glas umrandeten. Ein weiterer passender, einzelner Sessel stand am Fenster und sie konnte die Erde in der Ferne durch das Glas sehen. An der Wand neben dem Tisch hing wieder so ein Bildschirm auf dem die bekannte Schrift wippte. Ein zweiter deutlich kleiner Schirm war an einem kleinen Tisch in der Ecke am Fenster auszumachen, an dem auch ein kleinerer Stuhl mit Rollen stand.


An der Wand neben der Eingangstür war eine Aussparung, die genauso aussah wie das Ding, dass bei Sor die Suppe erscheinen ließ. Rechts an der Wand war ein Regal mit ein paar Büchern und ein kleiner Schrank, die durch eine Tür getrennt wurden. Das Regal war ansonsten leer und auf dem Schrank stand nichts. May war überwältigt von diesem Raum: »Wer wohnt denn hier alles?« Mergy kicherte: »Nur du!« May konnte die Worte nicht glauben. All das war nur für sie? Sie kam aber nicht weiter zum Grübeln, denn die Führung ging weiter.


»Hier geht es weiter«, sagte Mergy und steuerte auf die Tür neben dem Regal zu, die sich automatisch öffnete. Der Raum dahinter blieb dunkel. »Licht«, sagte Mergy und die Beleuchtung schaltete sich ein: »Du kannst alles mit der Stimme aktivieren, auch wenn ein Knopf dafür da ist.« May nahm diesen Hinweis beiläufig und kommentarlos zur Kenntnis. Sie kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Der Raum war kleiner. Links an der Wand stand ein großes Bett, das sich zur Raummitte hin ausbreitete. Es war Riesengroß wie sie fand. Zwei Lampen an den Seiten und Schranktüren an der Wand neben der Tür durch die sie den Raum betreten hatten. »Hier geht es ins Bad!«, erneut öffnete sich die Tür von Zauberhand. Diesmal änderte sich auch der Bodenbelag. Direkt an der Tür wich der Flausch wieder glattem aber dafür warmen Boden. Eine Dusche, ein Waschbecken, Toilette und ein kleiner Frisiertisch mit klappbaren Spiegeln standen da. May hatte bisher nur einmal in einer alten Zeitschrift ein Bild von diesem Möbel gesehen. Es war alles so schön, sauber und blank.


»Jaque hört auf Kommandos. Wenn du ihn etwas fragst, erklärt er dir alles was du wissen willst.«, erklärte Mergy weitere Funktionen ihrer neuen Behausung und setzte den Stationscomputer gleich als seinen Nachfolger ein. »Ich denke du nimmst eine Dusche und legst dich erstmal schlafen. Du hast bestimmt noch einiges zu verarbeiten.«, sagte er und strich ihr sanft vom Ohr die Wange zum Kinn hinunter: »Du kommst klar, oder? Ich muss nämlich dringend weg.« May nickte und als Mergy auf dem Weg zur Eingangstür war, merkte sie, dass sie sich noch gar nicht richtig für die Rettung und das alles hier bedankt hatte. »Danke!«, rief sie laut aber mit einem warmen und ehrlichen Ton hinter ihm her. Mergy drehte sich noch einmal um, lächelte und verschwand durch die Eingangstür auf den Gang.


Zum ersten Mal war sie wieder ganz alleine. Ohne es mit Absicht zu machen, gruben sich ihre Zehen abermals in den weichen Teppich. Sie betrachtete das Bett. Es sah so schön und so kuschelig aus. Sie nahm sich Zeit und schaute sich alles noch mal genau an und strich mit ihren Händen über die Oberflächen. Dann zog sie ihre Kleidung aus und legte sie auf die Lehne des Stuhls im Bad. Die Dusche hatte keinen Knopf, also versuchte sie ihr Glück: »Dusche an!« Sofort begann das Wasser zu pladdern. Es war klar und rein, aber ziemlich kalt. »Geht das auch wärmer?«, fragte sie und die Stimme, die allgegenwärtig zu sein schien antwortete ihr: »Natürlich, einfach Temperatur angeben oder mit wärmer oder kälter einstellen.« May zuckte: »Kannst du mich sehen?«


Die Stimme erklärte ihr, dass die Privatsphäre sehr wichtig sei und er daher niemanden in privaten Räumen sehen könne. May musste ihm wohl glauben: »Wärmer, Wärmer, Wärmer, Wärmer, gut! Danke!« Es war herrlich. Sie stand sehr lange unter dem Strahl und probierte die verschiedenen Spender mit Seifen und Lotionen aus die in der Wand steckten. Schließlich ließ sie das Wasser stoppen und verließ die Kabine, die wenn man drin stand fast wie der Scanner beim Doc aussah, nur nicht ganz so klein. Mit einem Handtuch trocknete sie sich ab und wrang ihre Haare aus. Ein strahlend weißer Mantel funkelte sie an und sie schlüpfte hinein. Er war kuschelig und warm. Ihr Blick fiel auf die wenigen eigenen Kleider. Sie hob sie auf: »Was mache ich mit meinen Kleidern?« »Dem Zustand nach sollten sie vernichtet werden!«, gab Jaque zu verstehen. »Du kannst mich doch sehen!«, hob sie ihren Kopf und stampfte die Arme in ihre Hüften.


»Nein, kann ich nicht. Der Zustand deiner Kleider ist mir seit dem Verlassen des Kampfgleiters bekannt.«, erklärte Jaque mit freundlicher aber monotoner Stimme. »Das muss ich dir dann wohl glauben und nein meine Kleider werden nicht vernichtet. Das ist das Einzige was ich besitze.«, sagte May und fragte erneut gezielter nach: »Kann ich die Sachen hier waschen?« »Dazu gibt es das Wäschefach neben der Tür.«, erläuterte Jaque und May hatte die Box schnell geöffnet. »Einfach hineinstecken?«, fragte sie. »Ja, die Kleidung wird dann Sauber zurückkommen.«, kam als Antwort. »Wehe wenn die nicht genauso wieder rauskommt!«, drohte May und schloss die Klappe und vernahm ein surren. Als sie die Luke nochmal öffnete war sie leer.


Das Mädchen setzte sich vor den Spiegel auf den Stuhl und strich sich mit einer Bürste das lange Haar. Dabei blickte sie in den Spiegel und sah sich zum ersten Mal seit langer Zeit wieder genau an. In einem richtigen Spiegel und nicht nur in einer Pfütze oder einem See. Die Gedanken kreisten um das heute Erlebte. Sie hätte sich nie träumen lassen mal in einem solchen Palast zu sein. Sie fühlte sich wie eine Prinzessin. Ja, das traf es. Nur eine Prinzessin könnte sich so ein Gemach leisten. Alles war so schön, so sauber und glänzend. Ihr Blick schweifte, vorbei an dem Mädchen im Spiegel, durch das Bad bis sich ihre Augen wieder mit denen der hübschen Prinzessin vor dem Spiegel trafen. Schließlich erhob sie sich und warf noch einmal ihr Haar nach hinten. Es war schon lange nicht mehr so glatt und glänzend gewesen.


Umherschauend ging sie vom Bad durch das Schlafzimmer ins Wohnzimmer wie Mergy es genannt hatte und probierte die Zauberwand aus, die Sor benutzt hatte. »Kann ich etwas zu trinken bekommen!«, sprach sie hinein. Die Stimme einer Frau ertönte: »Bitte spezifizieren!« »Was?«, fragte May. »Bitte die Art des Getränks nennen!«, tönte es aus der Wand. Die Stimme gefiel ihr gar nicht. Sie wirkte arrogant und hochnäsig. May überlegte: »Traubensaft!« Auf der Wand neben dem Fach erschienen Schriftzeichen, die sie aber nicht kannte. »Das kann ich nicht lesen!«, sagte sie und Jaques freundliche Stimme versprach Besserung. Die Zeichen verschwanden und wenige Augenblicke später erschien eine ihr bekannte Darstellung. »Den da!«, zeigte May auf die Tafel.


»'Den da' ist nicht in der Datenbank!«, tönte es wieder unfreundlich aus der Wand. »Den da!«, zeigte May erneut auf die Tafel und berührte sie dabei leicht. Der Saft den sie wollte blinkte auf und das Licht im Kasten deutete auf Erfolg. Sekunden später stand das Glas mit dem Saft im Fach. Sie probierte und befand ihn für köstlich. Jaques Stimme drang zu ihr durch: »Dein Name wurde bereits reserviert. Mit Getränk May und einer Zahl kannst du Vorauswahlen speichern und über diesen Ausdruck jederzeit abrufen.« May überlegte kurz wie er das meinte, drehte sich dann erneut zur Wand um. »Als Getränk May 1 speichern.» »Konfiguration gespeichert«, ertönte es unfreundlich aus der Schachtel. »Danke Jaque!«, bedankte sie sich und setzte sich, nun freundlicher gestimmt, in den Sessel am Fenster.


Die Erde leuchtete in blau und weiss in der Ferne. Sie nahm noch einen Schluck von dem leckeren Saft und schlief ein. Zum ersten Mal seit langer Zeit war ihr warm, sie war satt und sauber. Sie brauchte keine Angst zu haben und musste nicht unter einer Brücke oder einem Baum schlafen und sich mit Müll zudecken. Sie war zum ersten Mal seit vielen Jahren wirklich in Sicherheit.

Prinzessin der Lüfte

Als May ihre Augen öffnete war es dunkel. Sie schreckte hoch. »Was für ein schöner Traum!«, dachte sie. Das Licht aktivierte sich lautlos und es wurde langsam hell. May schaute sich um. Das war kein Traum gewesen! Ihre Hand klebte und als sie nach sah erschrak sie erneut: »Oh, nein!« Mehrmals wiederholte sie diese Worte. Das Glas mit dem Saft war ihr nach dem Einschlafen aus der Hand gefallen. Ihr Mantel war am Ärmel rot angelaufen, der Sessel hatte einen satten süßen Überzug und auch der Teppich neben dem Glas einen riesigen Fleck. Angst und Verzweiflung machte sich breit. Eine Träne kullerte ihr die Wange herunter: »Was mache ich nur?« »Kann ich helfen?«, fragte Jaque, der sich angesprochen fühlte. »Ich hab etwas Saft verkleckert!«, gab sie eine verminderte Version des aktuellen Bildes zu Protokoll. »Das ist nicht schlimm. Beim nächsten Reinigungszyklus wird der Raum gesäubert!«, erläuterte der Computer ohne das sich die Stimme in der Tonlage auch nur minimal veränderte. »Reinigungszyklus?«, fragte May. »Die Zimmer werden einmal täglich automatisch gereinigt, wenn keine Person anwesend ist und genug Energie entbehrt werden kann.«


»Und wer macht das?«, fragte May. »Wenn man es genau nimmt mache ich das!«, erwiderte er. »Und es wird auch wieder richtig sauber?«, fragte May unsicher. »Ja, es wird wie neu sein!«, gab Jaque zu verstehen. May's Gefühlslage verbesserte sich deutlich als sie die Worte vernahm: »Danke, ich wüsste nicht was ich ohne dich machen würde.« »Es ist meine Aufgabe mich um diese Dinge zu kümmern. Nichts wofür man sich bedanken muss« »Doch finde ich schon!«, sagte May in ernstem Ton: »Du hilfst, bist immer so nett und beantwortest meine wahrscheinlich dummen Fragen. Danke zu sagen ist das Mindeste!« »Ich bin aber kein Mensch!«, gab Jaque noch einmal zu verstehen, weil er vermutete May hätte diesen Teil nicht verstanden, vergessen oder zumindest verdrängt. »Nur weil du eine Maschine bist muss ich dich doch nicht schlecht behandeln. Außerdem klingst du wie ein Mensch. Wie ein netter Mensch und davon kenne ich nicht so viele!«, erläutere sie. Jaque widersprach nicht und nahm dieses Kompliment schweigend entgegen.


Zum ersten Mal merkte May, dass der Sessel zwar bequem, aber zum Schlafen nicht wirklich geeignet, war. Ihr Rücken schmerzte leicht und sie streckte sich mehrmals, bis es besser wurde. Im Bad wusch sie sich erstmal den Traubenkleber von der Hand, nicht ohne sich im Spiegel genau zu betrachten. Wieder im Schlafzimmer öffnete sie einen der Schränke. Mehrere Lichtquellen beleuchteten das Innere und den Inhalt. Auf diversen Bügeln hingen Hosen und Kleider in allen Farben. May streichelte sanft über die verschiedenen Stoffe und Farben. Auf dem letzten Bügel fand sie ihre zerrissenen Sachen. Wären sie nicht zerrissen gewesen, so hätte sie sie nicht erkannt. So schön sauber hatte sie ihre alte Hose noch nie gesehen. Der zweite Schrank hatte Fächer und dort fanden sich Blusen, andere Oberteile sowie Unterwäsche und weitere Kleinigkeiten.


»Wem gehört das alles?«, fragte May erstaunt in die Luft. »Das gehört alles dir!«, gab die Computerstimme in ihrem Kopf zu verstehen. »Das ist meins?«, fragte sie erneut und schaute dabei erneut an die Decke, als ob sie Jaque dabei in die Augen sehen wollte. »Mergy bat mich deinen Kleiderschrank zu befüllen. Ich hoffe die Sachen sind akzeptabel. Bei der Auswahl habe ich auf Abbildungen in aktuellen Jugendzeitschriften zurückgegriffen.«, erläuterte er. »Danke!«, bedankte sie sich schon wie schon unzählige Male zuvor bei der Maschine. Ihre Stimme war leise, andächtig und zittrig und Tränen liefen ihr von der Wange. »Stimmt etwas nicht?«, fragte Jaque nach, dem die Änderung in ihrer Stimme aufgefallen war. »So viele schöne Sachen hatte ich noch nie!«, brachte sie mit weinerlicher Stimme heraus, während sie ein Kleid vor sich hielt und sich im Spiegel der Tür betrachtete.


Sie schaute sich alles genau an und nachdem sie die Unterwäsche angelegt hatte, entschied sie sich für eine blaue Jeans und ein Rosa-Schirt mit Glitzersteinchen. Dazu weiße Söckchen. Nur Schuhe fand sie keine. Sie schloss den Schrank und bemerkte erst jetzt die schmalere Tür zwischen Schrank und Wand. Kleine Fächer mit je einem paar Schuhe strahlten ihr entgegen. Die Schuhe waren schwarz und als sie ein Paar hinausnahm bemerkte sie dahinter ein weiteres Set. Beim Hineingreifen wackelte die Fläche des Faches und May stutzte. Neugierig zog sie vorsichtig daran und wie auf einem Fließband rollte die Plattform in den Raum. Es waren immer die selben Schuhe, aber in drei Farben. Schwarz, Weiß und Rosa. Sie prüfte die anderen Fächer und jeden Schuh gab es genau drei mal. May wählte flache Schuhe aus weichem Material. So etwas hätte sie ihn ihrem Dorf nie tragen können.


Abgesehen davon, dass diese Schuhe wohl nur ein Wunschtraum gewesen wären, wären sie beim Verlassen des Hauses sofort schmutzig geworden. May entschied sich für die Version in Rosa. Das passte zu ihrem Oberteil. Eigentlich gefiel ihr Lila als Farbe besser, aber das war in diesem Moment egal. Sie hatte nagelneue Schuhe. Ganz für sich alleine und davon auch noch verschiedene Farben und Sorten. Sorgsam schloss sie den Schrank mit den Schuhen wieder und schaute sich im Spiegel an. »Das Mädchen bin ich!«, dachte sie, als sie das fein eingekleidete asiatische Mädchen vor sich sah. Sie bemerkte einige Haare, die sich unter ihrem Shirt versteckten und zog ihre Mähne nach hinten. »Rechts im Schrank waren doch ...«, dachte sie und fand ein Haargummi in passender Farbe. Sie zog ihre Haare hindurch und fertig. Abschließend drehte sie sich noch vor dem Spiegel. Die Sachen passten perfekt. »Wahrscheinlich wegen dem Scan.«, dachte May: »Wenn sie mich als Hologramm machen können, dann kennen sie ja alle Größen.« Sie schloss den letzten Schrank und hängte den weißen Mantel mit reinem blutrotem Makel zurück auf den Haken im Bad.


Im Wohnraum bemerkte sie das der große Bildschirm nicht mehr die wippende Schrift zeigte, sondern eine Frau, die etwas sagte. Ohne lange zu überlegen forderte sie den Ton zum Bild. Die Tonausgabe aktivierte sich und erst jetzt wunderte sich May selbst, wie selbstverständlich sie schon mit den wunderlichen Sachen umging. »... gehen wir wieder zurück auf holographische Übungen.«, erzählte die Frau: »Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, dass die Kadetten und speziell Kadett Suki keine Schuld trifft. Fehler passieren. Es ist eine Entscheidung des Kommandos. Das reale Flugtraining der letzten Woche war nur ein zeitlich begrenzter Probelauf, um den regulären Flugbetrieb zu testen und den Ablauf zu optimieren.« »Das hatte sich bei Mergy aber noch anders angehört.«, schmunzelte May, als sie sich an die Unterhaltung auf ihrem Hinflug erinnerte, die mit dem bisher gewonnenen Wissen langsam einen Sinn ergab. »Noch ein abschließender Hinweis vom Doc. Die neuen medizinischen Kurse beginnen um 14 Uhr in Konferenzraum 3. Es sind noch Plätze frei. Die Teilnahme ist freiwillig. Ende der Stationsnachrichten.« Nach diesen Sätzen wechselte die Ansicht zurück auf die wippende Schrift.


May hörte ihren Magen knurren. »Ich hab Hunger!«, sagte sie in die Lücke neben der Tür. Die Frauenstimme antwortete prompt: »Kadetten ist die Nahrungsausgabe in den privaten Räumen untersagt! Nahrungsausgabe nur an den dafür vorgesehenen öffentlichen Plätzen.« Das war mal eine klare Ansage. Naja nicht so ganz: War sie jetzt etwa auch ein Kadett? May trat auf die Eingangstür zu, aber sie öffnete sich nicht wie die anderen. »Bin ich etwa eingeschlossen?«, fragte sie sich selbst, aber dann fiel ihr ein, dass es ja wohl doof wäre, wenn die Tür jedesmal auf ginge wenn sie im Bademantel aus dem Schlafzimmer an der Tür vorbei kam. Vorsichtig drückte sie den Knopf zwischen Eingangstür und Getränkespender. Leise öffnete sich die Tür. Der Gang war leer. Unsicher schaute sie nach links und rechts. Es war niemand zu sehen. Die Tür schloss sich hinter ihr. Langsam und zögerlich folgte sie dem Flur und schließlich kam sie an die größere Tür deren Knopf sie, genau wie Mergy am Tag zuvor, drückte. Nicht ganz so leise wie ihre Wohnungstür rumpelte sie auf. Zwei Jungen stiegen aus. Sie waren deutlich älter als sie. »Hi!«, begrüßten sie das neue Mädchen nur flüchtig und eilten den grauen, aus sich immer wiederholenden Platten bestehenden, Gang hinunter.


May betrat den Lift und überlegte was Mergy noch gesagt hatte. Die Tür schloss sich und die gleiche unfreundliche Frauenstimme, die auch die Nahrung verweigerte, fragte nach dem Zielort. »Ich will zu Sor!«, sagte sie schließlich. »Promenade«, antwortete die Stimme und die Lichter an der Wand wanderten umher. »Promenade! Das war es!«, ärgerte sich May innerlich. Die Tür öffnete sich und gab den Weg in die Halle frei. Es waren viele Leute da. Alle in etwa so alt wie die beiden die ihr eben begegnet waren. Sors Laden war voll. Fast alle Tische waren besetzt. Sor bediente an den Tischen und am Tresen gleichzeitig. Insgesamt machte sie vier Sors im Raum aus. Erst traute May ihren Augen nicht, aber dann wurde es ihr klar. Er war ein Hologramm. Daher konnte er überall gleichzeitig sein, wenn es nötig war.


Zum ersten Mal sah sie seine großen flachen Füße, die unten aus der Hose heraus schauten. Am Tresen saß niemand: »Sor ich möchte etwas essen!« »Such' dir einfach einen Platz und ich komme vorbei.« »Kann ich nicht hier essen?«, fragte sie unsicher und schaute noch einmal nach den vielen Leuten hinter ihr, die sich angeregt beim Essen unterhielten. »Nein, das geht nicht. Das Gestern war eine Ausnahme!«, gab Sor erklärend zu verstehen und wiegelte ihren Wunsch freundlich ab. May drehte sich um. Ein Mädchen stocherte abwesend und alleine an einem Tisch sitzend in ihrem Essen herum. Aufgefallen war sie May eigentlich nur wegen ihren Augen. Sie war augenscheinlich auch asiatischer Herkunft. May selbst wurde beim Durchlaufen des Saals von allen Seiten angesehen. Sie war nun einmal die Neue. »Hallo, ich bin May!«, begann sie höflich ein Gespräch und fragte schließlich ob sie sich setzen dürfe. Es dauerte einige Sekunden, bis das Mädchen aufblickte. Sie nickte und May setzte sich. Das Mädchen hatte einen Teller mit verschiedenen Gemüsesorten und ein Stück Fleisch auf dem Teller. Neben ihr stand noch eine Schale mit Salat und eine mit etwas Roten darin.


Plötzlich stand ein Sor neben dem Tisch: »Was kann ich dir bringen?« »Das sieht lecker aus.«, bestellte May und deutete auf die Mahlzeit ihrer Tischpartnerin. »Hühnchen in Sahnesoße mit verschiedenen Gemüsen. Dazu Salat und als Nachtisch Wackelpudding kommt sofort.« Sor tapste davon und es sah lustig aus wie sich die langen Füße beim Gehen bogen und nach dem Abheben zurück wackelten. Das Mädchen saß am Tisch und schubste eine Erbse immer von links nach rechts, nur um sie dann den gleichen Weg zurück zu schieben. Sie hatte dunkle kurze Haare und war etwas größer als sie. Zumindest hatte es den Anschein. Im Sitzen war das schwer festzustellen. »Jedem passiert mal ein Missgeschick.«, lehnte sie sich weit aus dem Fenster, denn sie wusste nicht ob sie wirklich die Suki war, die in den Nachrichten noch einmal Erwähnung fand. »Alle müssen es ausbaden!«, beantwortete sie zumindest die Frage nach ihrer Identität: »Ich war nie besonders gut, aber jetzt bin ich bei allen unten durch.«


May lauschte von Tisch zu Tisch und schnappte Gesprächsfetzen auf. »Hier wird nur dahinten am Fenster von dir geredet, aber das Mädchen auf der rechten Seite hat dich verteidigt.«, gab May nach ihrer akustischen Analyse von sich. »Das ist Katie.«, merkte Suki an, nachdem sie sich umgeschaut hatte: »Außerdem kannst du die von hier gar nicht hören. Selbst wenn, ich bin bei allen unten durch, auch wenn sie es nicht laut aussprechen.« »Bei mir nicht.«, erläuterte May in frechem Ton: »Und ich bin eine wandelnde Katastrophe. Noch keinen Tag auf der Station und ich hab mein Wohnzimmer in Traubensaft versenkt. Das ist ja wohl peinlicher als eines dieser komplizierten Flugdinger zu zerlegen. Mir kann man nicht mal einen Saft anvertrauen.«


Das traurige Mädchen hob ihren Kopf und May machte ein leichtes Schmunzeln aus. Sor kam an den Tisch und stellte ein Tablett mit dem Essen vor May ab und reichte ihr die Stäbchen: »Was möchtest du trinken? Traubensaft ist aus Sicherheitsgründen aus!« »Sehr witzig!«, blaffte May von unten zu Sors Gesicht hinauf, das aus dieser Position noch riesiger wirkte. Sie fragte sich nicht woher er das wusste, sondern reagierte als wäre sie schon immer hier: »Ich nehme trotzdem einen!« »Oje, ich brauche meine Schwimmweste. Wo hab ich die nur.«, witzelte Sor deutlich hörbar auf dem Weg zurück zum Tresen. May vernahm leichtes Kichern und als sie auf die andere Seite des Tisches sah, lächelte das ihr eigentlich noch fremde Mädchen sie an.


»Das war witzig. Damit könnt ihr auftreten.«, warf Suki über den Tisch: »Ich bin übrigens Suki. Bist du neu hier?« »Gestern angekommen!«, erklärte ihr May und erzählte die bisherigen Geschehnisse. Suki lauschte gebannt und statt das Gemüse weiter zu foltern vernichteten sie es um die Wette. »Komisches Frühstück.«, warf May ein: »Aber lecker!« »Frühstück?«, fragte Suki: »Mittagessen, es ist gleich 13 Uhr! Du steckst bestimmt noch in der falschen Zeitzone. Mitteleuropäische Zeit haben wir hier.« »Ist aber auch komisch wenn draußen immer alles dunkel ist.«, versuchte May ihren Irrtum zu entschuldigen: »Wo ist denn die Erde hin?« »Wie meinst du das? Wo ist die Erde hin?«, grinste Suki fragend zurück. »Gestern – heute – also vor dem Einschlafen war sie vor meinem Fenster, aber jetzt ist sie weg.«, tappte May ins nächste Fettnäpfchen. »Achso, hehe. Das ist normal. Die Station dreht sich zur Stabilisation im Kreis und die Erde dreht sich um die Sonne. Daher kann man sie nicht immer sehen und sie ist auch mal größer und mal viel kleiner. Momentan ist die Erde am Nächsten an der Station und schön groß.« erklärte Suki: »Willst du auch Pilot werden?«


»Was machen die denn?«, fragte May. Suki musste erneut lachen: »Du bist wirklich lustig. Hat dir keiner gesagt, was wir sind und tun?« May schüttelte den Kopf. »Ok, Kurzzusammenfassung und dann muss ich los. Das Ray Team hat die Aufgabe die Menschen zu schützen und das hier ist die Basis. Die Piloten fliegen zur Erde und retten Menschen in Not, so wie Mergy es bei dir getan hat. Naja, so soll es sein. Momentan sind wir noch im Aufbau, wie das Kommando es immer formuliert.«, erklärte sie. »Das Kommando?« »Ja, das sind sowas wie die Chefs hier. Mergy, Tin, Trish, Sab und der Doc. Ich muss jetzt los, die anderen sind schon auf dem Weg. Wir können uns ja heute Abend hier treffen und weiter reden. Dann kann ich dir auch die Station zeigen, wenn du magst?« »Das wäre toll. Danke!« »Ok, 18 Uhr hier! Bis dann!«


Schnell war sie verschwunden und der Saal war auch schon halb leer. May hatte nicht bemerkt wie die anderen aufgebrochen waren. So war sie in die Unterhaltung mit Suki vertieft gewesen. Sor kam und räumte Sukis Tablett ab: »Na, wie es scheint du hast bereits eine Freundin gefunden!« May lächelte. So hatte sie das noch gar nicht gesehen: »Und du hast gelauscht.« Sor zuckte zusammen, wie jemand der zu unrecht verdächtigt wurde und zog den Mund wieder bis zu den fehlenden Ohren hoch: »Hast recht! Ich lausche eigentlich nur nach potentiellen Bestellungen. Du hast versucht ihr zu helfen und da hab ich mitgespielt. Du bist mir hoffentlich nicht böse.« »Nein, war lieb von dir. Danke!«, lächelte May und schnappte mit den Stäbchen die letzten Erbsen vom Teller.


Auf dem Bildschirm war die Frau zu sehen, die May in ihrem Quartier gesehen hatte und erklärte einige Dinge, deren Sinn May nicht immer verstand. Es schien das Gleiche zu sein wie vorher, denn es wurde auch wieder das Kreuz eingeblendet. Was hatte sie noch gesagt? 14 Uhr Konferenzraum 3. Ob sie da wohl auch hin dürfte? Sie bekam die Nachrichten, der Computer hatte sie Kadett genannt und es waren Plätze frei. Warum also nicht? Sie verließ das Lokal nicht ohne sich von Sor zu verabschieden und marschierte einmal um den großen Saal und die Treppen hinauf. Oben hatte man eine tolle Sicht über die untere Ebene und die Fenster luden zum Träumen ein. Da war auch wieder die Erde, die vor dem schwarzen Hintergrund leuchtete. Sie konnte auch die beiden weissen Schlossmauern sehen. Naja, Schlossmauern waren es ja nicht, wie sie mittlerweile wusste, aber ihr gefiel diese Analogie.


Der Turm hinter dem Fenster ragte in die Höhe und beugte sich schützend über sie. Durch den Ausblick geblendet verging einige Zeit, bis sie sich an den Kurs erinnerte. Zu dumm das sie die Schrift an den Türen nicht lesen konnte. Überhaupt, konnte sie mitmachen, ohne Lesen zu können. Naja, lesen konnte sie, aber nicht die Schrift, die überall drauf stand. Diese Sprache und diese Schriftzeichen kannte sie nicht. Sie flüsterte leise: »Jaque, wie komme ich in Konferenzraum 3?« Nichts passierte. Auch als sie ihre Stimme lauter erklingen ließ passierte nichts. Sie war nicht zuhause und nur dort schien es automatisch zu funktionieren. Unsicher schaute sie auf ihre Hand. Sollte sie? Sie rollte die Fingerspitzen ein. Nur die Spitzen, so wie sie es gelernt hatte.


»May an Jaque!«, sprach sie in ihre Hand. Das war fast so seltsam wie die Antwort in ihrem Kopf: »Ja, May. Was kann ich für dich tun?« »Ich wollte wirklich nicht stören!«, entschuldigte sie sich. »Kein Problem. Ich schlafe nicht, ich esse nicht und Pausen mache ich auch keine. Du kannst dich jederzeit an mich wenden.« »Toll, danke!«, entwich es ihr erleichtert: »Wie spät ist es und wie komme ich in Konferenzraum 3?« »Es ist 13:50. Der Konferenzraum 3 ist durch die zweite Tür auf der linken Seite von Sors Lokal zu erreichen.«, spuckte der Computer die gewünschten Informationen aus. »Du bist toll, danke!«, jauchzte sie und sprang in schnellen Schritten die Stufen herunter bis sie erneut vor Sors Laden stand. »Zweite Tür links.«, dachte sie und sah wie zwei Mädchen in einer passenden Tür verschwanden. Schnell eilte sie hinterher und atmete noch einmal durch. Die Tür öffnete sich nicht selbst und so drückte sie auf die Taste. Im Raum war ein großer Tisch, der nur halb belegt war. 8 Personen im gleichen Alter wie die meisten die sie bisher getroffen hatte, saßen bereits am Tisch und schauten sie überrascht an.


May brachte nur ein unsicheres »Hallo« heraus und setzte sich an einen der freien Tischplätze. Unruhig und nervös saß sie auf ihrem Stuhl und wartete, bis die Tür erlösend aufsprang und der Doc hinein kam. Unsicher wippte May auf dem Polster herum. Der Doc ging auf der anderen Seite des Tisches entlang und schaute sie direkt mit einem Lächeln an, welches sie erwiderte. Kein Zweifel. Sie war erwünscht und durfte bleiben. Der Doc erklärte, dass es in dem Kurs um Grundlagen der Erstversorgung mit und ohne medizinische Hilfsmittel ging. Nach der Einleitung zeigte er diverse Szenarien und erläuterte das Vorgehen. Später durften May und die anderen am eigenen Display selber die richtigen Maßnahmen durchführen. Jill, das Mädchen neben ihr, half ihr bei der Spracheinstellung und schnell hatte May herausgefunden, wie man den Terminal, wie der Doc das Gerät nannte, benutzt. May war richtig enttäuscht, als der Unterricht vorbei war.


Der Doc gab aber noch einige Hinweise auf zusätzliche Übungen, die man auch am eigenen Computerterminal im Quartier machen könne und verabschiedete sich mit einem »Bis morgen um die gleiche Zeit!« Die Anderen verließen den Raum. May blieb zurück und spielte noch mit dem Terminal. Es gab soviel zu erfahren. Schnell hatte sie herausgefunden wie man Begriffe zur Suche eingeben konnte und ließ sich alle Fragen ausführlich und teilweise sogar mit Bildern und Filmen erklären. Es gab sogar eine Karte der Station in der man alle Räume sehen und deren Funktionen einsehen konnte. Einige waren schwarz und nicht anwählbar. Der Computer verwies dort nur auf eine fehlende Sicherheitsstufe.


Schließlich erfuhr sie, dass die Sprache auf den Schildern Englisch war und schnell hatte sie sogar einen Kursus dafür gefunden und machte einige Lektionen mit. Nur wenige Decks weiter oben war eine andere Konferenz im Gange. »Es ist unglaublich!«, sagte Sab. »Ja, wie geht so etwas?«, fügte Tin hinzu: »Ich meine wir können nicht mal hundertprozentig das Wetter vorhersagen und dann so etwas?« »Jemand eine Idee?«, fragte Mergy: »Egal wie abgedreht?« »Gott!«, warf Trish in den Raum. Sab lachte: »Gott? Blödsinn!« »Warum nicht?«, warf Mergy ein: »Das wäre eine greifbare Erklärung!« »Oder Zeitreisen.«, wechselte Tin das Thema: »Zeitreisen sind möglich, nur die dafür nötige Energie überschreitet selbst unsere derzeitigen Möglichkeiten. Aber es würde gehen und Datensendungen bestimmt einfacher als Personen oder Gegenstände.«


»Hmm, also ein Zeitreisender mit Heldenkomplex oder Gott? Da ist mir sogar Gott lieber!«, muffelte Sab. »Fakt ist, egal wie gut wir den Würfel abschirmen, er wird modifiziert. Könnte man das mit Zeitverschiebung bewerkstelligen?«, fragte Mergy, Tin, die dafür erfahrenste Expertin. »Theoretisch schon. Wird ein Objekt aus der Zeit geworfen kann es andere Objekte durchdringen wie Luft. Naja, in der Theorie eben.«, gab sie als Antwort. »Fakt ist: Wer auch immer dahinter steckt scheint uns helfen zu wollen.«, meldete sich der Doc zu Wort: »Die Möglichkeit zu wissen was passieren wird, eröffnet uns einen Vorteil, der nicht zu unterschätzen ist. Herumfliegen und schauen, ob man ein Feuer oder jemanden, der Hilfe braucht, findet, ist nicht sehr effektiv.« »Guter Punkt!«, merkte Trish an: »Aber können wir dem Orakel trauen?« Sab rollte mit den Augen: »Habe ich jetzt die Namensabstimmung verpasst?« »Orakel - Finde ich treffend. Ich denke wir sollten ihm eine Chance geben. Jaque gleicht gerade die gespeicherten Nachrichten ab und entschlüsselt sie. Wieviel hast du?«, erläuterte Mergy und befragte den Stationscomputer nach dem aktuellen Stand der Dinge.


»77,3% aber nicht jedes Ereignis ist im Internet und anderen Medien aufgetaucht. Da wird ein vollständiger Abgleich nicht so einfach möglich sein.«, erwiderte Jaque: »Referenz 708 deutet auf eine Koordinate und einen Zeitpunkt hin, der sich mit einer Kampfgleiterposition deckt!« »Einer von uns war da?« »Kampfgleiter 1 war da!«, bestätigte Jaque und die Augenpaare im Raum richteten sich auf Mergy. »Ich war da? Wie lautet der Text?«, fragte Mergy hastig. »Prinzessin der Lüfte.«, erteilte Jaque die Auskunft: »Die Koordinaten deuten auf das kleine Dorf in dem May aufgelesen wurde.« »'Prinzessin der Lüfte' Eine komische Beschreibung. Sonst steht da Feuer oder Autounfall. Aber das?«, warf Tin ein. »Hah, also lag ich doch nicht so falsch!«, brachte Mergy in Richtung Sab zum Ausdruck. »Nur retten, nicht einsammeln!«, gab diese brummig zurück.


»Ein sehr aufgewecktes Mädchen die Kleine. Sie hat einige sehr interessante Fragen gestellt, die ich in einem Einsteigerkurs nicht erwartet hätte!«, gab der Doc zu verstehen. »Wie Kurs?«, fragte Mergy. »Der Einsteigerkurs über Notfallbehandlung im Einsatz.«, antwortete der Doc und zog die Augenbrauen dabei erstaunt hoch. »Ja, den Kurs kenne ich aber was macht May darin?« »Ich dachte du hättest ihr gesagt sie soll daran teilnehmen? Woher hätte sie das sonst gewusst?« »Ich denke es war Trish.«, gab Jaque von der Decke zu verstehen. »Ich?«, sprang Trish entrüstet auf: »Ich hab das Mädchen doch noch nicht einmal gesehen!« »Trish hat in den Stationsnachrichten verkündet das im Kurs noch Plätze frei sind.«, erläuterte Jaque den Sachverhalt und Trish sank wieder entspannt auf ihren Stuhl zurück: »Sie fragte mich um 13:50 nach einer Wegbeschreibung zum Konferenzraum 3«


»Eigeninitiative! Das mag ich!«, platzte Mergy immer noch leicht prahlend damit, die Kleine gefunden zu haben heraus: »Wo befindet sie sich jetzt?« »Konferenzraum 3 Terminal 7.« »Zeig uns was sie abruft!«, wies Mergy an und Jaque weigerte sich und wies auf die Richtlinien zur Privatsphäre hin. Erst sich die Anwesenden einverstanden zeigten in diesem speziellen Fall eine Ausnahme zu machen, zeigte er die Anzeige von Mays Terminal auch bei ihnen auf dem Holoschirm an. »Was ist das?«, fragte Tin. »Das ist der Englischkurs.«, erläuterte Jaque. »Was hat sie sich noch angesehen?«, fragte Mergy und auf dem sich immer weiter vergrößernden Bildschirm wurden weitere Informationen angezeigt. Stationspläne, Geschichte der Station, Regelwerk für Kadetten, technische Grundlagen zur Systembedienung und diverse Seiten über die Erde und deren Länder waren zu sehen. »Das hat die alles gelesen?«, fragte Mergy »Sicher nicht!«, gab Jaque zu verstehen: »Viele der Seiten wurden nur wenige Sekunden dargestellt.« »Hmm!«, war plötzlich aus der weissen Fraktion zu hören: »Jaque Verbindung mit Medic One herstellen und die Scans von May anzeigen.«


Der Doc tippte sich durch die Hirnbilder und Datenlisten und stellte abschließend fest: »Doch, sie hat sie gelesen! Nur nicht so wie wir das kennen. Sie hat ein eidetisches Gedächtnis. Es tritt oft bei Authisten auf.« »Ein was?«, war Mergy irritiert. »Umgangssprachlich wird das auch fotografisches Gedächnis genannt.«, verwenderte der Doc einfachere Worte der Erklärung. »Aber sie hat das doch nicht wirklich gelesen?«, fragte Mergy nach. »Naja, Inhaltlich sicher nicht. Aber die Seiten als ganzes. Wahrscheinlich abgelegt mit Referenzen. Wenn sie etwas wissen muss, ruft ihr Gehirn die Erinnerung an die Seite ab und dann werden die Texte gelesen und die Information extrahiert.«, erklärte er Mays verhalten. »Hätte der Computer diese Anomalie beim Scan nicht feststellen müssen?«, fragte Mergy erstaunt nach. »Nein, es ist ja keine Anomalie. Es gibt viele tausend Menschen die die gleichen oder ähnliche Fähigkeiten haben und es nicht einmal wissen. Es ist so wie mit den Linkshändern.«, setzte er die kleine Schulstunde fort: »Wahrscheinlich weis sie es selbst nicht einmal!« »Also kein Roboterspion aus der Zukunft!«, warf Mergy in den Raum. »Sicher nicht.«, schmunzelte der Doc zurück.


May hatte keine Ahnung, dass man gerade intensiv über sie Sprach und das noch jemand anderes ihr den Zusatz Prinzessin verpasst hatte. Sie versuchte Worte in Englisch auszusprechen, was ihr sichtlich schwerer fiel als die Fakten und Daten zu erfassen. Der Computer zeigte deutlich an welchen Silben der Worte ihre Stimme von der korrekten Aussprache abwich und so wiederholte sie ein ums andere Mal bis es perfekt war. Die Uhr im Computer zeigte bereits 17:45 an, als May es bemerkte. Sie war mit Suki verabredet und so verließ sie hastig den Raum. Sors Lokal war mäßig besucht und sie setzte sich an einen Tisch, der den Blick auf die anderen Leute und die Tür zuließ. Sie erkannte zwei Jungen aus dem Medizinkurs, die sie anlächelten.


Freundlich erwiderte sie die Geste. Suki betrat den Raum und war sichtlich unzufrieden. »Da hat aber jemand schlechte Laune!«, begrüßte May sie. »Ach, die machen sie alle über mich lustig.« »Morgen passiert mir was dummes und deine Panne ist vergessen!«, wiegelte May ab. »Was hast du heute gemacht?«, fragte Suki neugierig. »Ich hab den Medizinkurs besucht. Das war toll!«, strahlte May und Suki zog die Augenbrauen hoch: »Das ist doch total langweilig!« »Gar nicht! Und diese Terminals! Da kann man alles abfragen und lernen was man will! Egal worüber man etwas wissen will, es wird erklärt.« Suki verstand nicht so recht was May an diesen Angebot so toll fand. Ok, man konnte nachschlagen und sich über das Eine oder das Andere informieren oder schlau machen, aber als Freizeitvergnügen taugte es wenig.


»Was ist das da hinten alles?«, fragte May plötzlich und ohne Vorwarnung. Suki schaute was sie meinte, verstand es aber nicht: »Was meinst du?« »Diese komischen Tische und das was da so blinkt!«, deutete sie wieder auf die Ecke, die sie neugierig machten. »Das sind Dartautomaten, Billard und Shuffleboards. Das sind die Dinge die wirklich Spaß machen.«, erklärte Suki: »Von welchem Planeten kommst du denn?« Der letzte Satz kam mit einen kleinen Lächeln und so erkannte May, dass sie es nicht auf gemeine Art meinte. May erklärte ihr, so etwas nie gesehen zu haben und sie all diese anderen tollen neuen Sachen erst langsam kennen lernte: »Ich hab jetzt sogar richtig schöne Schuhe!« Sie hob ihre neuen Treter auf Tischhöhe und Suki erblickte das Strahlen in ihren Augen. Sie hatte sich heute über soviel geärgert und dabei ganz vergessen, was sie eigentlich alles hatte und dieses Mädchen machten schon ein normale paar Schuhe überglücklich.


Sor kam an den Tisch und fragte nach einer Bestellung. »Zwei Cola, eine große Schale Pommfritt und Dipps mit verschiedenen Soßen. Hier hat jemand Nachholbedarf.«, bestellte Suki gleich für May mit: »Und für mich auch Stäbchen!« May schaute sie verwundert an. Was hatte sie da jetzt alles für Sachen bestellt? »Komm, ich zeig dir wie man spielt und dafür zeigst du mir nachher wie der Trick mit den Stäbchen funktioniert.«, sagte Suki im Aufspringen und May wurde gleich an der Hand hinterher gezogen. An einem Dartautomaten hielt sie an, nahm jeweils drei Pfeile aus einem Korb und reichte auch einen Satz an May. Suki erläuterte kurz die Felder der Scheibe und der Multiplikatoren.


Dann Umriss sie noch die Regeln für ein Spiel namens 501 und stellte den Automaten an. Das selber rechnende Gerät erlaubte es May sich voll auf die Würfe zu konzentrieren. Suki legte vor, machte 41 Punkte und sagte: »Mist!« May warf ihre Pfeile nachdem Suki ihre entfernt hatte. Zweimal traf sie die Wand und dann mehr aus Glück die Zwei. »Das war Mist!«, gab May zurück. Reih' um ging die Runde und das Spiel nahm seinen Lauf. Gegen Ende des Spiels wurde May richtig gut. Sie hatte den Bogen langsam raus und warf sogar einige 60er in Folge. Am Ende hatten beide zu kämpfen das richtige Out zu treffen wie Suki das nannte. Schließlich traf Suki die Doppelfünf und May blieb auf einer Drei sitzen.


»Das hat wirklich Spaß gemacht!«, kicherte May und sie setzten sich wieder an den Tisch. Sor hatte wohl extra auf das Ende des Spiels gewartet, denn kaum waren sie dort stellte er eine Schale mit gelben Stangen und sieben kleine Schälchen mit buntem Inhalt auf den Tisch. »Guten Appetit.«, wünschte er noch und watschelte von dannen. »Jetzt bist du dran!«, grinste nun Suki May an: »Wie geht das mit den Stäbchen?« May wunderte sich darüber, dass sie nicht damit umgehen konnte. Sie hatte noch nie jemanden getroffen, der das nicht konnte. Aber sie ließ sich nichts anmerken. Für sie war auch alles neu und Suki lachte ja auch nicht über sie. May zeigte ihr wie sie die Stäbchen in die Hand legte und Suki versuchte es nachzumachen. Aber die Spieße flogen beim ersten Zusammenklicken in die Soße und auf den Boden. May stellte sich hinter Suki und führte die kleinen Stangen in die Schale mit den Pommes wie sie erfuhr. Vorsichtig griff sich Suki eine, hob sie heraus und drückte sie vorsichtig in eine der Soßen, bevor sie direkt vor ihrem Mund die Kontrolle verlor und sich damit einsaute.


»Ich kann das einfach nicht!«, wurde sie gleich wieder muffelig. »Los nochmal!«, wies May an. »Ich bin schon total eingesaut!«, muffelte sie weiter. »Dann kann ja nichts schlimmeres passieren.«, witzelte May zurück und fischte sich Meisterhaft ein Teilchen und tunkte es in die Soße direkt vor ihr. Sie kaute und schluckte das Stückchen runter: »Weist du was? Ich mag Pommfritt!« Suki brach in Lachen aus und riss May gleich mit.


Unbemerkt von den beiden kam Mergy in den riesigen Raum und sah die beiden lachend an ihrem Tisch. »Menü 3«, sagte er zu Sor am Tresen: »Da haben sich ja schon zwei gefunden!« Er beobachtete die beiden und May schob gerade Suki eine Ladung Fritten in den Mund. »Ja, die beiden tun sich gegenseitig richtig gut. Unser neuer Sonnenschein vertreibt allen Kummer und Sorgen.«, gab er zu verstehen. »Wie ist May so?«, fragte Mergy und fügte ein »Ich meine von ihrem Verhalten her.« hinzu. »Sie ist sehr höflich, bedankt sich für jede Kleinigkeit und jede noch so kleine Sache scheint ihr neu zu sein. Neugierig, aber dabei nicht aufdringlich. Sie ist so anders als die anderen Kadetten, so frisch.«, erläuterte Sor.


»Du magst sie!« »Jemanden zu mögen ist nicht Teil meiner Programmierung.«, lehnte Sor die Behauptung einfach ab. »Nein, Jaque kann sie nicht mögen, aber du schon!«, legte Mergy nach. »Aber ich bin doch Jaque.«, wand sich Sor. »Du bist zwar ein Subtask von Jaque, hast aber ganz eigene Charakterzüge und Eigenschaften, damit die Menschen dir vertrauen und du auch mal als Seelentröster herhalten kannst. Einzig dein Wissen teilst du mit Jaque.«, erläuterte Mergy und Sor gab sich geschlagen. »Ja, ich mag sie.«, gab der Computer zu: »Sie behandelt mich nicht wie eine Maschine. Das mag ich!«


Suki und May hatten die Schale geleert und Suki meinte sie müsse langsam gehen. Es wären noch einige Dinge zu erledigen und sie wäre jetzt schon ziemlich Müde, weil der Tag so lang und anstrengend war. Also standen die beiden auf und trafen am Tresen auf Mergy, der mit seinem Tablett gerade einen Tisch aufsuchen wollte. Suki nickte nur mit dem Kopf und grüßte ihn mit »Kommander« während May nur ein »Hallo« aussprach. Mergy antwortete mit einem »Kadett, Prinzessin« und ging an den beiden vorbei. Eigentlich sollte diese Aussage etwas Klarheit in die Sache bringen, aber das tat sie nicht. May schaute verwirrt drein, weil er sie Prinzessin nannte, ein Begriff, den sie eigentlich nur in ihren Gedanken für sich verwendet hatte und auch nur weil hier alles hier so märchenhaft war. Mergy wiederum entnahm dem Gesichtsausdruck mehr als er war. »Sie wusste also was mit Prinzessin gemeint war.«, stellte er gedanklich fest während sich beide Parteien trennten.


»Prinzessin, was?«, kommentierte Suki den Ausdruck flapsig. »Ich weis auch nicht wie er darauf kommt.«, warf der Neukadett zurück. »Essen wir morgen wieder zusammen?«, fragte Suki und May antwortete nur mit einem »Gerne!« Auf dem Quartierdeck trennten sie ihre Wege in verschiedene Richtungen und May brauchte eine Weile um ihre Tür wiederzufinden. Kaum eingetreten fiel ihr der verschüttete Saft vom Morgen ein. Hastig stürmte sie auf den Sessel zu, aber egal wie genau sie schaute, der Boden, der Teppich, alles war als wäre nie etwas passiert. Selbst das klebrige Glas war weg. Eilig ging sie ins Bad und auch ihr Morgenmantel strahlte wieder komplett in weiß. Sie setzte sich schließlich an den Tisch im Wohnraum und drückte mit dem Finger auf das kleinere Display.


Nach dem was sie heute gelernt hatte, waren ihre Bedenken etwas kaputt zu machen verschwunden. Das Gerät funktionierte genau wie der im Konferenzraum und sie rief neue Seiten auf, lernte auch die anderen Spiele, die es bei Sor gab und fraß sich wie ein Bücherwurm durch die letzten Kapitel des Medizinischen Kursbuches. Danach löste sie die erweiterten Aufgaben von denen der Doc geredet hatte. »Die waren wirklich einfach!«, dachte sie nur und begann die Müdigkeit zu spüren. Draußen sah sie die Erde und den Mond.


»Der Mond!«, dachte sie und erinnerte sich an frühere Zeiten. Sie hatte oft mit ihren Eltern draußen am Meer gesessen und in den Himmel geschaut. Sie hatte ihren Vater oft über den Mond ausgefragt. Er war sicher kein Experte, aber vieles wusste er trotzdem. Eines Tages hatte sie ihn gefragt ob man da auch hinfliegen kann und er hatte geantwortet: »Wenn man etwas wirklich will, dann schafft man das auch! Dazu muss man sich nur anstrengen und sich richtig Mühe geben.« »Eines Tages werde ich zum Mond fliegen und Mondsteine sammeln.«, hatte sie gesagt und ihr Vater hatte gefragt ob er einen bekommen würde. Sie hatte ihm dieses Versprechen gegeben. Es war schon komisch. Der Mond war immer da gewesen und erst jetzt erinnerte sie sich zum ersten Mal seit Ewigkeiten an diesen schönen Moment und an ihren Schwur. »Dich kriege ich auch noch!«, sagte sie laut und schaute den Mond mit ernster Miene an.


Im Bad wusch sie sich und machte sich fertig für die Nacht. Das Nachthemd war seidig weich und schmiegte sich an sie wie eine zweite Haut. May drehte sich noch einige Male vor dem Spiegel im Schlafzimmer hin und her um sich zu betrachten, aber dann sehr vorsichtig als wäre das Bett zerbrechlich glitt sie unter die Decke. Es war so viel besser als es aussah. Friedlich und mit vielen neuen Erfahrungen schlief sie ein und vergaß dabei ganz das Licht abzuschalten.

Feuersturm

May wurde wach und schon fast routiniert fragte sie Jaque nach der Zeit. »Es ist 8:13 Uhr.«, gab dieser von sich. Auf Frühstück hatte sie keine Lust und auch ihr Magen wollte noch nicht wirklich. Also setzte sie sich an den Terminal und laß allerlei Dinge nach, die sie interessieren. Sie ließ sich von den Verknüpfungen treiben. Von den medizinischen Geräten zum Transporter und weiter über die Nahrungsmittelverteiler bis hin zu den Kampfgleitern war vor ihr keine Information sicher. Dann verweigerte der Terminal plötzlich seinen Dienst. Auf dem Bildschirm war nur zu lesen, ihre persönliche Terminalzeit für den Tag sei abgelaufen. Verlängerungen gäbe es nur in Ausnahmen und nur durch persönliche Autorisation eines Kommandomitglieds.


Mehr als das Logo und die Uhrzeit war dem Ding nicht mehr zu entlocken. Die Zeit zeigte 12:17 und so machte sie sich schnell fertig für das Essen mit Suki und ihren Medizinkurs. Der Doc wollte ihnen heute einen Autodoc zeigen. Die Bedienung kannte sie schon aus der Datenbank, aber etwas wirklich selbst machen war eine andere Sache. Sie hatte ja keine Ahnung, wie schwer den anderen Kadetten das Lernen fiel. Noch einmal wählte sie die gleiche Hose aber ein anderes Shirt und marschierte los. Schon um halb Eins saß sie am Tisch bei Sor. Das Essen, dessen Auswahl sie abermals von Suki kopierte, war lecker und die Unterhaltung machte wieder viel Spaß, auch wenn Suki ihre Begeisterung für die Terminals nicht wirklich nachvollziehen konnte. Das jemand dieses 4 Stunden Limit freiwillig erreicht war ihr schlicht unbegreiflich. Sie verwies auf das umfangreiche Musik und Filmangebot der Station: »Komm' heute Abend bei mir vorbei, dann schauen wir uns was lustiges an! Halb Acht?«, schlug sie vor und May sagte zu. Suki hatte noch Flug und Taktiktraining im Holosimulator und verabschiedete sich daher direkt nach der Mahlzeit. May blieb noch einige Augenblicke sitzen und genoss den Duft der verschiedensten Essen, der hier in der Luft lag.


Schließlich machte sie noch einen ausgiebigen Rundgang und saß als Erste an ihrem Platz und musste feststellen das die Terminals auch hier nicht mir ihr zusammenarbeiten wollten. Der Unterricht vom Doc war unterhaltsam. Er machte immer Beispiele und die beteiligten Personen waren immer Kursteilnehmer. In einem Beispiel war May unter einem Kampfgleiter eingeklemmt. »Wie bin ich da nur wieder hineingeraten!«, entwich es ihr und die anderen Teilnehmer lachten laut über diese Bemerkung. May fühlte sich zum ersten Mal ein kleines bisschen zugehörig und nicht nur toleriert. Dann kam der Autodoc dran und der Doc fragte ob schon jemand mal einen benutzt hatte. Niemand meldete sich und er fragte nach jemandem, der glaubte ihn richtig bedienen zu können.


Neben May meldete sich noch ein anderer Junge, dem der Doc die Bedienung erlaubte, nicht ohne May noch anzulächeln. Das Mädchen kannte die Anleitung von so ziemlich allen Geräten und der Doc wusste das. Deshalb gab er dem Jungen den Vortritt. May hatte davon natürlich keine Ahnung und war sichtlich enttäuscht nicht ausgewählt worden zu sein. »Der Autodoc ist ein kleiner Notfallkoffer, den man aufklappen kann, um ein Arm oder ein Bein in die Aussparung zu legen. Dann schließt man ihn und die eigentliche Diagnosekonsole wird aktiv. Mit drei kleinen Hilfsmitteln wird der Patient dann behandelt. Ein Scanner, damit der Autodoc die Patientendaten erfassen kann.«, erläuterte der Schüler. Im Prinzip wie die große Version in der May schon gestanden hatte. Nur das man hier das Teil selbst über den Patienten, und speziell die Wunden, halten musste. Dann beinhaltete die Box noch noch jeweils einen dicklichen Stift zur Wunddesinfizierung und dem Schließen von Wunden.


Der Junge schlug sich ganz ordentlich, aber er hielt den Scanner verkehrt herum und vertauschte Wunddesinfektion mit Wundschließen. Sein Patient war nur eine Plastikpuppe in Lebensgröße, daher griff der Doc wohl auch nicht ein und ließ ihn machen. »So geheilt!«, prahlte der stolze Nutzer, der sich Wimp nannte. »May was meinst du?«, fragte der Doc sie direkt. »Er hat den Scanner falsch herum gehalten und die Werkzeuge für Wundschließung und Wunddesinfektion vertauscht. Daher hat er sich selbst gescannt, die Wunde nicht ordentlich verschlossen und abschließend nur teilweise desinfiziert.«, erläuterte May kurz knapp und ohne groß zu überlegen. »Da hat sich jemand gut vorbereitet. Komm zeig wie es richtig geht!«, rief er May auf und sie ging leicht unsicher, ob der neuerlichen Aufmerksamkeit, um den Tisch.


»Wenn der Arm eingelegt und das Gerät geschlossen ist sollte man zuerst einen Scan machen. Der Scanner hat geriffelte Mulden für die Finger. Man kann also nichts falsch machen, wenn man darauf achtet. Jetzt langsam hin und her bewegen. Bei mehreren Wunden oder eventuellen nicht sichtbaren Verletzungen sollte man den ganzen Patienten scannen. Hier reicht wohl das Bein.«, erläuterte sie: »Dann nehmen wir die Desinfektionseinheit, die hat einen grünen Punkt hinten, weil sie immer angewendet werden darf. Damit strahlen wir die Wunde sorgfältig in allen Winkeln aus. Jetzt das Modul zur Wundheilung. Roter Punkt, also sollte man wissen was man tut. Bei oberflächlichen Wunden die Wunde zusammen drücken und mit dem Modul heilen. Bei tiefen Wunden die Wunde leicht aufziehen und von innen nach außen verschließen. Wenn der Autodoc es empfiehlt oder man keine Zeit hat den Patienten selbst zu versorgen, dann kann man die Stase aktivieren. Der Patient wird auf der Stelle eingefroren und kann nur noch von medizinischem Personal aufgetaut werden.«


Die Schülerin drehte sich zum Doc um: »Ich hoffe das war alles einigermaßen richtig.« »Sehr gut. Setze dich!«, gab der Doc nur kurz zu verstehen: »Eigentlich wollte ich noch die Unterschiede von oberflächlichen und tiefen Wunden erklären, aber da May das vorweg genommen und perfekt erklärt hat, können wir den Kurs für heute beenden. Bis morgen.« Schnell war er aus der Tür verschwunden und ein Blick auf die Uhr zeigte, dass sie 10 Minuten früher Schluss gemacht hatten. Die anderen Teilnehmer nahmen das frühzeitige Ende des Unterrichts freundlich auf. Der Gesichtsausdruck von diesem Wimp hingegen gefiel ihr nicht wirklich. Er war sichtlich angefressen, weil May ihn hatte schlecht aussehen lassen. Das war offensichtlich. May spielte am Terminal, aber er gab nur Informationen zum Kurs preis und Punkt 16 Uhr stellte er sich, wie ihr eigener auch, komplett auf Stur. Da sich nichts weiter mit den Geräten anstellen ließ, verließ auch sie den Konferenzraum.


Ohne Ziel schlenderte der Jungkadett über den großen Platz der Haupthalle und beschloss sich mal den Außenring der Station näher anzusehen. Alles sah genauso wie in ihrem Wohnbereich, dem inneren Ring, aus. Es gab nur graue Wände und einige Hinweistafeln. Fenster gab es keine. Konnte ja auch nicht sein. Der Gang war in der Mitte der Röhre und rechts und links lagen hohe Räume. Zwei waren wie der Raum in dem sie gelandet waren. Dort lagerten die Kampfgleiter der Station. Es gab auch noch einen Dritten, der als tertiäre Landebucht eingetragen war. Der innere Kern war mit dem Mittel– und Außenring, den sie bei ihrer Anreise noch als Burgmauer bezeichnet hatte, durch drei Transport und Ladebuchten verbunden. Dort konnten Transportschiffe landen und abfliegen. Das alles wusste sie aus den Stationsplänen, aber sie traute sich nicht auch nur eine Taste zu drücken. Sie wollte keinen Ärger, obwohl sie die Neugier immer wieder dazu trieb wenigstens dicht an den Türen vorbeizugehen. Vielleicht würde ja eine von selbst aufgehen. Dann knallte es gewaltig. Der Boden wackelte und es riss May von den Füßen. Das Licht flackerte kurz und dann wurde es dunkel. Rote Lampen, die von der Decke kaum bis zum Boden schienen, beleuchteten den langen, gebogenen Raum. May rappelte sich zögerlich wieder auf und folgte langsam weiter dem röhrenartigen Gang.


Das Mädchen war unsicher und vorsichtig. Sie hatte keine Ahnung was gerade passiert war, aber was auch immer es war, es klang nicht gut und war sicher kein gewolltes oder erwartetes Ereignis. Mit dieser Erfahrung war sie nicht alleine. Ohne Energie saßen Mergy, Sab und Trish im Kommandozentrum der Station fest. Mergy sah aus dem Fenster und stellte fest, dass die Energieversorgung auf der Station komplett ausgefallen war. Keines der Fenster hatte noch Licht. Er sah genauer hin und sah am Außenring ein großes Loch. Funkelnde Punkte deuteten an, was er beim Beben bereits vermutet hatte. Trümmerteile trieben rotierend im All trieben und wurden zeitweise vom Sonnenlicht reflektiert. Hinter einigen Fenstern konnte er es flackern sehen.


»Im Reaktorlabor hat es eine Explosion gegeben.« Trish erschrak: »Wie schlimm ist es?« »Es ist weg!«, brachte Mergy leise raus. »Wir müssen sie rausholen! Wir müssen Tin da rausholen!«, schrie Trish und versuchte sich an Mergy vorbei zu drücken. »Das geht nicht!«, erläuterte er, sie mit beiden Händen an ihren Schultern greifend, aber in bedacht tröstender Stimme: »Zwischen hier und dort sind einige hundert Türen. Wir würden Stunden brauchen. Du musst jetzt klar denken und eine Lösung finden. Wir brauchen Energie, Sensoren und die Transporter.« Langsam klärte sich ihr Blick. »Tin kann auf sich aufpassen. Du kannst deiner Schwester nur von hier helfen.«, fügte er in beruhigendem Ton hinzu. »Wir sollten uns beeilen in 12 Minuten in die Pupper leer und die Schwerkraftfelder fallen aus.«, wurde sie wieder klar. »Jaque ist weg!«, kam aus der anderen Seite des Raums. »Sicherheitsprotokoll! Notauskopplung! Er muss hier rumliegen.«, erwiderte Mergy zur im minimal beleuchteten Raum kaum sichtbaren Sab hinüber. »Auh, hab ihn. Lag hier auf dem Boden! Er ist ok.«, sagte sie nachdem sie ihren Fuß gegen den metallenen Würfel gestoßen hatte und stellte ihn auf einen Tisch.


Ein weißes Licht waberte leicht wie ein Herzschlag und ein Balken aus grünen, gelben und roten Lämpchen leuchtete an der gleichen Seite und signalisierte normale Funktion des Stationscomputers. »Ich brauche Hilfe. Alleine schaffe ich es nicht zum Reaktor!«, gab Trish zu verstehen und Mergy begleitete sie. Mergy schob eine der Türen auf. Es dauerte eine Weile, dann war sie offen und er konnte hindurch. Die Zweite zu öffnen dauerte ebenso lange. Dann war er in einem der Wartungsräume für die Kommandoebene und dort gab es einen Wartungstunnel. »Ich versuche das primäre Interface von Jaque zu ersetzen. Es ist komplett verschmort. Das Sekundäre auch.«, murmelte Sab mehr zu sich selbst und machte sich ans Werk die verkohlten Verbindungen zu lösen.


May marschierte derweil unsicher weiter den Gang hinunter. Die Station war riesig und der äußere Ring war viele Kilometer lang. Die Luft änderte sich. Erst unmerklich, dann nahm sie Qualm wahr und schließlich sah sie dunkle Wolken an der Decke, die das rote Licht zu fressen schienen. Sie wollte gerade umkehren, als sie etwas am Boden sah. Hastig näherte sie sich. Es war die Frau aus den Nachrichten. Sie blutete stark am Arm und hatte auch eine kleinere Schnittwunde am Kopf. May riss ohne nachzudenken ihr T-Shirt ein und trennte einen Streifen Stoff ab. Damit stoppte sie die Blutung indem sie es mit einem Knoten am Arm der Frau fixierte. Sie wollte die unbekannte Person gerade wegziehen als sie bemerkte, dass sich ein Keil aus Metall direkt unterhalb der kurzen Hose in die Extremität gebohrt hatte. Da waren auch Kabel und kleine Teile, die aber offensichtlich nicht von dem massiven Metall stammten, dass sich in ihr Bein gebohrt hatte. Jetzt erst begriff sie. Durch den Text »Der Autodoc funktioniert nicht an Exoprothesen.« war sie bereits auf diese Art von Technik gestoßen. Die Frau hatte ein mechanisches Bein.


Sie fühlte die Haut, die immer noch wie echt wirkte. »Das Bein muss ab.«, dachte sie und erinnerte sich an den Standardverschluss und dessen Lösung. Nach der entsprechenden Stelle suchend, was durch ihre luftige Kleidung sehr leicht war, tastete sie das Bein ab. Eine lange Hose hätte die Sache deutlich verkompliziert. Nachdem der kleine Hebel im Inneren des Beins gefunden, zur Seite und hinunter gedrückt wurde, war die Abtrennung initiiert. Ein mechanisches »Klonk« ließ das Becken der Frau ruckartig vom Bein springen. In ihrem Hosenbein war nur noch eine Metallplatte mit einigen Löchern an ihrem Körper zu sehen. Das half ihr aber nicht weiter. Der Träger lag auch auf ihrem anderen Bein. Sie schaute, konnte aber keine Wunde und kein Blut sehen. Der Träger und der zunehmende Qualm ließen ihr keine Wahl. Mit einem spitzen Objekt, welches wohl von der Wandverkleidung auf den Boden gefallen war, ritzte sie vorsichtig und mit zitternden Händen in das andere Bein. Erleichterung machte sich breit, als sich kein Blut zeigte: »Auch nicht echt!«


Schnell löste sie auch den Verschluss des anderen Beins und zog hustend die nun beinlose Frau von den Trümmern weg. Der Rückweg war schon jetzt von Rauch versperrt und May musste selbst schon stärker Husten. Mit aller Kraft drückte sie gegen eine Tür. Das der Taster daneben funktionieren könnte erwartete sie erst gar nicht, denn er leuchtete nicht. Durch die halb mit ihrem Körper blockierte offene Tür zog sie die Frau in den Raum. Kaum hatte sie von der Tür abgelassen, schob diese sich wie von Geisterhand automatisch wieder zu. Die ihr unbekannte Frau stöhnte und erlangte das Bewusstsein: »Was ist los? Wo sind wir?« Ihre Stimme war schwach und das Sprechen schien an ihren Kräften zu zerren. »Ich habe sie im Flur gefunden. Da ist Feuer! Wir können nicht zurück.«, erklärte May, aber ihre Patientin war erneut bewusstlos.


»Zwei Minuten bis zum Ausfall der Gravitationsemitter.«, schrie Sab den Schacht, in dem Mergy und Trish nach oben geklettert waren. Wenige Augenblicke später surrte es und Mergy hangelte die Leiter schnell abwärts und landete leicht unsanft unten im Gang: »Wir haben Sekundärenergie. Nur Sensoren oder Kommunikation. Auf keinen Fall beides. Trish versucht den Hauptreaktor zu starten, der hat auch eine Notabschaltung gemacht.« »Das dauert einen Moment, ich muss die Versorgung der Sensoren erst umklemmen.« Sab verschwand wieder unter der Konsole und öffnete einige Paneele um ans Innere zu gelangen.


May hatte derweil andere Probleme. Das Feuer wütete vor der Tür und erster Qualm drang in den Raum ein. Sie zog die Frau weiter von dem Portal weg auf die andere Seite des dunklen Raumes. Intensives Knarzen war von draußen zu hören. Lange würde die Tür sicherlich nicht mehr Stand halten. Ein blinkendes Licht in der Dunkelheit erhaschte ihre Aufmerksamkeit. Sie schaute genauer hin. Es war ein Transporterterminal, der zum manuellen Be– und Entladen der Lagerräume genutzt wurde. »Eigene Energieversorgung!«, schoss es ihr durch den Kopf. Sie drückte die blinkende Taste und der Raum erhellte sich ein wenig als das Anzeigenfeld aufleuchtete und zum Leben erwachte. Schnell hatte sie sich an die Anleitung erinnert. Die Transponderchips in ihren Armen waren schnell mit der Maschine lokalisiert. Der Computer bezeichnete die Frau als Tin und auch May kannte er beim Namen.


Auf einem Plan des Raums waren auch nur diese zwei Kennungen zu sehen. Das Einstellen dieser Signale als Quelle ging leicht von der Hand, aber wohin sollten sie sich transportieren? Wo waren sie sicher? »Der Doc.«, schoss es ihr durch den Kopf. Schnell nutzte sie die Zielsteuerung und suchte in dem interaktiven Plan nach der Krankenstation. »Fertig. Scan läuft!«, meldete Sab unterdessen im Kommandodeck. Bei May überschlugen sich derweil die Ereignisse. Die Tür wurde von Außen herausgerissen und etwas saugte alles aus dem Raum. Es wurde schlagartig kalt. »Krankenstation, na endlich!«, wählte sie, sich mit letzter Kraft an der Konsole festhaltend, den Menüpunkt aus und bestätigte den Transport. Dann wurde das Mädchen von den Füßen gezogen und mitgerissen. Helles Licht umwirbelte sie, während sie versuchte auf ihrem Flug Richtung Tür an etwas Halt zu finden. »Da waren zwei Lebenszeichen in einem der Lagerräume bei den Labors. Jetzt sind sie weg.« Sab schaute entsetzt auf: »Alles entlüftet!«


In der Krankenstation war der Doc seit der Krise gefangen. Sein Reich war von der Station getrennt und komplett unabhängig, um die hilflosen Patienten zu schützen. Die komplette medizinische Einheit ließ sich sogar abkoppeln und wie ein Raumschiff fliegen, wenn es nötig würde. Er schaute durch die Glastür auf den Korridor, wo plötzlich alle begannen zu schweben. »Totalausfall der Gravitation!«, dachte er als hinter ihm zwei Lichtmarken aufleuchteten. Senkrechte Lichtstrahlen, die einen ankommenden Transport ankündigten und verhindern sollten, dass sich jemand oder etwas in den Zielbereich bewegte. Dann spalteten sie sich auf, rotierten einmal und May und Tin landeten unsanft auf dem Fußboden. »Sie braucht Hilfe!«, prustete May heraus. Zusammen mit dem Doc hob sie Tin auf den Tisch. Der Arzt entfernte den Stofffetzen und verschloss die Wunde am Arm. Auch die Schnittwunde am Kopf verschloss er mit geübter Hand. Er zog eine Maske mit Schlauch unter dem Tisch hervor und drückte sie seiner Patientin auf den Mund.


»Komm her!«, wies er an und May folgte zum anderen Tisch. »Hinlegen.«, setzte er nach. »Aber–« May unterbrach sich selbst. Er war schließlich der Arzt und ehe sie es versah hatte sie auch eine Maske auf dem Mund. Trish jauchzte und der Reaktor sprang an. Schnell überwand sie die zwei Decks nach unten. Die fehlende Gravitation machte es einfach. Noch bevor der Reaktor einsatzfähig war, kam sie unten an und sah die betretenden Mienen der beiden im Raum schwebenden Kollegen. »Was ist los?«, fragte sie. »Da waren noch zwei Lebenszeichen im Lagerbereich des Labortrakts und ...« Sab brachte nicht mehr heraus. »Die Hülle der kompletten Sektion ist geborsten und der ganze Teil wurde entlüftet.«, fügte Mergy hinzu.


Entsetzen machte sich in ihrem Gesicht breit. Das Licht schaltete sich ein und die wieder einsetzende Schwerkraft nahm zu und ließ die Besatzung und alles was im Raum trieb langsam zurück auf den Boden sinken. »Sensoren, Kommunikation, Türen und Gravitation alles wieder aktiv. Die restlichen Systeme starten noch.«, gab Sab einen Statusbericht von sich, den eigentlich keiner hören wollte. »Stationsscan abgeschlossen.«, meldete Sab und dann gab es eine Pause: »Heh, komplette Mannschaft an Bord!« »Was?«, fragte Mergy. Trish zitterte vor Anspannung am ganzen Körper. »Der Doc meldet zwei Patienten Tin und May.« »Wie kommen die da so schnell hin?«, fragte Mergy noch, als Trish schon durch die Tür in den Lift verschwunden war.


»Stationsposition weicht um 30 Meter ab. RAM-Triebwerke werden geladen. Volle Rotation wird in etwa 3 Minuten hergestellt sein.«, meldete Sab weiter: »Trümmer und Lagerbestände umkreisen die Station. Wir sollten da aufräumen bevor wir noch mehr Probleme bekommen!« »Das sollen die Kadetten machen. Schick die Besten los und auch Suki.«, gab Mergy zu verstehen. »Suki? Haben wir nicht schon genug Trümmer da draußen?«, fragte Sab unsicher und mit missmutigem Ton nach. »Ich hab mir ihre Daten angesehen. Sie ist gut und braucht nur ein wenig mehr Selbstvertrauen. Wenn sie mit den Besten losgeschickt wird, sollte ihr das auch im Umgang mit ihren Kollegen helfen. Ich bin auf der Krankenstation.«, begründete er noch kurz seinen Wunsch beim Rausgehen. Im Heilzentrum der Station hatte May gerade die Begegnung der dritten Art, als die Frau, die sie gerade gerettet hatte, putzmunter durch die Tür gehastet kam und doch auf dem Tisch nebenan lag. »Wie geht es ihr?«, fragte die stehende Version den Doc, der ihr in wenigen Worten verkündete, ihre Schwester würde wieder gesund.


»Ich hatte einen Schutzengel.«, hörte May die andere Frau auf dem Tisch sagen. Trish wendete sich jetzt May zu: »Das kann man wohl sagen! Wir haben keine Ahnung wie ihr das gemacht habt.« »Ich hab gar nichts gemacht.«, erklärte Tin mit kratziger Stimme und gedämpft durch die Plastikmaske auf ihrem Mund: »Höchstens geblutet!« Trish schaute jetzt wieder zu May rüber. »Der Lagerraumtransporter hat eine unabhängige Energieversorgung.«, brachte diese heraus und nahm erneut einen tiefen Zug aus dem Sauerstofftank. »Und du hast alleine herausgefunden wie der funktioniert?«, fragte Trish ungläubig. »Handbuch gelesen.«, hustete May raus und erst jetzt wurde ihr klar warum der Doc sie auf den Tisch verbannt hatte. Das Atmen fiel ihr noch sehr schwer und auch das Sprechen führte zu einem Kratzen im Hals.


Mergy kam in den Raum und brachte ebenfalls seine Freude zum Ausdruck, weil es Tin gut ging. Dann wendete er sich May zu: »Und von dir erwarte ich einen ausführlichen Bericht!« Eine Durchsage rief bestimmte Gleiterpiloten zur Trümmerbeseitigung auf ins Hangardeck 1 zu kommen. Mit einem Lächeln vernahm May den Namen ihrer neuen Freundin in der Liste und schlief ein.

Bomben, Helden, Pizzakäse

»Na du lässt es ja richtig Krachen!«, hörte May und bemerkte die Decke, die ihren Körper umschlang. Sie lag in einem kleinen Raum und die Stimme gehörte Suki. »Hey, alles klar?« »Ja!«, brachte May immer noch leicht kratzend raus. »Nun erzähl schon. Es gehen ja die wildesten Gerüchte um.«, setzte sie May weiter zu, »Die Einen behaupten du hättest in der Waffenkammer einen Gravitationstorpedo gezündet. Andere sagen du wärest mit einem Kampfgleiter in der Station Amok geflogen.« »Das ist ja toll!«, streckte sich May, immer noch nicht ganz wach, der Länge nach aus: »Gibt es auch eine Variante in der ich nichts kaputt gemacht habe?« »Nö!«, schnodderte Suki nur heraus. »Deiner guten Laune entnehme ich das du bei deinem Ausflug diesmal keinen Kampfgleiter zerlegt hast?«, fragte May schnippisch nach, als sie sich an die Durchsage erinnerte. »Ich war gut!«, gab sie zu verstehen: »Nein! Halt! Ich war super!« »Dann hatte wenigstens einer Spaß. Wo bin ich?«, fragte May. »Oh, dir hat es wohl doch den Kopf vernebelt was?«, fragte Suki. »Du weißt also doch was passiert ist!«, erwiderte May. Jetzt war Suki verwirrt, ließ es aber auf sich beruhen und fragte nicht weiter nach.


Nach kurzem Klopfen am Rahmen der offenen Tür kam Mergy hinein: »Ich wollte mal sehen, wie es dir geht!« Er betrachtete kurz das Bild der zwei zu ihm blickenden Freundinnen. »Aber so wie das aussieht hast du schon Gesellschaft und bist wieder munter.«, grinste er und drehte sich noch im Rahmen um. Jetzt schaute Suki skeptisch: »Wenn du wirklich die Station sprengen wolltest, wäre Mergy nie so nett gewesen. Er mag es gar nicht wenn man seine Station beschädigt.« »Du glaubst auch jeden Scheiss.«, blaffte May zurück und griff das Kissen hinter ihrem Kopf und schleuderte es nach vorn.


Doch sie verfehlte Suki und traf den Doc, der gerade zur Tür hinein trat. Beide kicherten und auch der Doc nahm es mit Humor: »Du kannst hier raus, wenn du willst.« »Wenn ich will? Klar will ich!« Schnell hüpfte sie, immer noch ihre Jeans und das zerrissene Hemd tragend, aus dem Bett. Rußpartikel an Kleidung und Körper waren die überbleibsel der Geschehnisse. »Du bleibst noch bei ihr!«, wies der Doc Suki an. »Was ist mit meinem Training?«, fragte die mit großen Augen. »Anweisung von Mergy. Nicht das sie uns noch umkippt und dabei alleine ist.«, wies der Doc an.


Schnell waren beide auf den Füßen. Die Tische im zentralen Raum der Krankenstation waren unbelegt. Wahrscheinlich war Tin auch in einem der Zimmer. Vielleicht war sie auch schon entlassen. Der Weg durch die Halle zum Lift war wie ein Spießrutenlauf. May bemerkte die Blicke der anderen, ignorierte sie aber. Auch der Junge im Lift schaute immer nur für einen kurzen Moment zu ihnen hinüber. Jetzt platzte es aus May raus: »Da sprengt man einmal ein winziges Stückchen der Station und sie halten es einem ewig vor!« Mit zwei Fingern ihrer Hand stellte sie zusätzlich zur Aussage noch die Winzigkeit der Zerstörung bildlich dar.


Der Junge lief rot an und zwängte sich durch die erst halb offene Tür. Suki fiel vor Lachen fast auf die Knie: »Das war gut!« Laut lachend liefen die beiden zu Mays Wohnbereich, wo ein Chaos herrschte. Die Sofas lagen, wie der Tisch auch, umgekippt oder auf der Seite mitten im Raum. Nichts war mehr an seinem Platz. »Was ist hier passiert?«, fragte May. »Ähm, sagt dir totaler Ausfall der Gravitation etwas?«, konterte Suki. »Hmm, hab ich gar nicht gemerkt.«, gab May zu verstehen und nahm erstmal eine Dusche, während Suki im Wohnraum die Möbel wieder ausrichtete und einiger Maßen an ihren Platz zurück schob.


Nachdem beide ihre Aufgaben abgeschlossen hatten, brachen sie erneut zur Promenade auf. Sors Laden war voll, aber Sor selbst war nicht da. Die Leute bedienten sich selbst am Nahrungsverteiler an der Wand hinter dem Tresen. »Wo ist Sor?«, fragte May während sie in Reihe der Wartenden anstanden. »Weggesprengt?«, antwortete Suki und musste sich vor Lachen den Bauch halten. Die Schlange vor ihnen wurde unruhig als man sah, wer da hinter ihnen stand. »Orrh, ich explodier' gleich!«, fauchte May in Sukis Richtung und bemerkte erst jetzt die Doppeldeutigkeit. Die Personenzahl vor ihnen reduzierte sich auf wundersame Weise und beide brachen in einem Lachkrampf aus. Mit Mühe bestellte Suki ein Frühstück und May nahm der Einfachheit halber das Gleiche. Als sie sich umdrehten, schauten wirklich alle in ihre Richtung. »Wow, Bombenstimmung hier!«, entfuhr es Suki und beide lachten sich ihren Weg durch den Raum, was mit einem vollen Tablett gar nicht so einfach war. Am Tisch beruhigte sich langsam ihre Stimmung.


»Woooh, das war gut!«, musste Suki gestehen. »Jep!«, kommentierte May nur in ihrer schnippischen Art. »Was ist nun mit Sor?«, fragte der Neuling erneut, als er wieder etwas bei Sinnen war und legte dabei eine besorgte Stimme auf. »Eingeschränkter Stationsbetrieb wegen der Schäden. Jaque ist auch nicht da.«, fügte sie hinzu: »Aber jetzt erzähl' mal. Was ist wirklich passiert?« Wortlos lauschte Suki der Geschichte angefangen vom Medizinkurs, bis hin zum Transport in die Krankenstation. May war fertig, aber Suki schaute sie immer noch gebannt und erwartungsvoll an. »Fertig. Ende!«, gab May nochmal zu verstehen, dass nichts mehr kommen würde. Suki schaute verdutzt: »Ok, und jetzt die echte Geschichte!«


May grinste: »Eine bessere hab ich aber nicht!« »Du hättest sterben können!«, gab Suki ernst du verstehen und machte dabei einen sehr entsetzen Gesichtsausdruck. May strich sich verlegen ihr Haar zurück. »Hast du nicht daran gedacht einfach wegzulaufen?«, fragte Suki nach. May überlegte: »Nein, ich denke nicht!« »Du bist wirklich mutig. Woher weisst du das eigentlich alles?«, fragte Suki. »Was meinst du?«, retournierte May die Frage. »Wie man einen Transporter programmiert zum Beispiel. Das haben wir noch nicht mal im Unterricht gehabt. Mehr als einen Notfalltransport aus einem Kampfgleiter durften wir noch nie einleiten.«, erläuterte sie. »Ich hab die Anleitungen und Handbücher gelesen!« »Alle?« »Naja fast alle, der Computer hat ja mich nicht mehr weitermachen lassen.«


Plötzlich schalteten die Bildschirme sich ein und das wippende Logo erschien. »Was steht da eigentlich?«, fragte May nach. Suki fiel die Kinnlade vor erstaunen herunter. »Ich kann noch kein Englisch. Einige Worte hab ich schon gelernt, aber eine ganze Sprache dauert etwas länger.«, gab May hinzu und Suki erläuterte das dort schlicht weg nur »Ray Team« stand. Die Bedeutung wusste eigentlich keiner. Mergy wäre damals damit um die Ecke gekommen und weil niemand einen besseren Namen hatte, war es wohl dabei geblieben. »Husch, raus hier!«, hörten die beiden Mädchen eine vertraute Stimme über die Menge hinweg..


Sor war wieder da und vertrieb die Kadetten aus seinem Reich hinter dem Tresen. May erzählte, Mergy würde einen ausführlichen Bericht erwarten und sie wusste nicht so recht was er damit meinte. Suki erklärte ihr das normalerweise alle Aktivitäten durch Jaque aufgezeichnet und bei Problemen abgerufen werden könnten. In diesem Fall gäbe es wohl keine oder nur wenige Aufzeichnungen und so würde May die Sache niederschreiben müssen. Da sie ihr sowieso nicht von der Seite weichen würde, würde sie ihr helfen den Bericht einzusprechen, wie sie es nannte.


Auf dem Bildschirm erschienen die üblichen Stationsnachrichten. May fragte bei Suki nach, wer das nun sei und so erfuhr sie, dass es sich um Trish handelte. Tin wäre mehr hinter den Kulissen tätig. »Aufgrund der schweren Beschädigungen ist der äußere Andockring bis auf weiteres gesperrt. Ausnahmen werden explizit angesagt.«, klang die Stimme durch den Raum: »Gerüchte, es habe sich bei der Explosion um einen Sabotageakt oder einen Amoklauf mit einem Kampfgleiter seitens Kadett May gehandelt, sind falsch.« »Morgen müssen wir wohl wieder anstehen!«, witzelte Suki. »Im Gegenteil. Dem heldenhaften Einsatz von Kadett May ist es zu verdanken, dass es nur Verletzte und keine Toten gegeben hat.«, machte Trish weiter.


»Die trägt aber dick auf!«, maulte May wegen der ungewollten Aufmerksamkeit und bekam gleich von Suki einen Stoß gegen die Schulter: »Heldenhaft!« »Jetzt erzähl' mal von deinem Ausflug im Gleiter.«, lenkte May ab und Suki berichtete in allen Farben wie cool es war: »Normalerweise dürfen wir nur aus der Bucht und dann ins Übungsgebiet und zurück, aber gestern sind wir innerhalb des Stationsperimeters geflogen und haben Trümmer gesammelt. Mit dem Greifstahl haben wir die Teile geschnappt und auf einen Grabling zu getrieben.« »Was ist ein Grabling?« »Normalerweise werden davon immer mindestens zwei benutzt. Um Schiffe ohne Antrieb zu bremsen oder reinzuholen. Es sind eigentlich selbst kleine Roboterschiffe, die alles anziehen und abschleppen können.«, erläuterte sie: »Ich weis gar nicht warum ich dabei war. Einige Andere, die viel besser sind als ich, durften nicht fliegen.« »Du bist vielleicht einfach besser als du denkst und das hat nur jemand bemerkt.«, gab May zu verstehen. »Meinst du?«, fragte Suki: »Nach der Landung?« »Du warst doch gut gestern, oder?«, grinste May über den Tisch. »Ich war super!«, spritze es nur so aus Suki raus und der kurze Satz endete Suki-typisch in einem hohen Quieken.


Schließlich machten Sie sich auf den Weg zurück in Mays Wohnbereich. Die Kadetten, die sie unterwegs trafen, reagierten anders als noch zuvor. Sie stoppten immernoch die Gespräche, wichen aber nicht mehr unsicher aus wie noch eine halbe Stunde zuvor. Die Stationsnachrichten zeigten also auch hier Wirkung. »Sollen wir einen Film schauen?«, fragte Suki und hatte schon einen Haufen Bilder angefordert und ließ sie mit einer Wischbewegung über den großen Schirm fliegen. Anscheinend konnte man ihn, wie die kleinen Terminals auch, durch Berührung bedienen. »Bericht schreiben!«, gab May fordernd zurück. »Hmm, langweilig!«, murrte Suki, wandte sich aber von der Auswahl auf dem Schirm ab und kam zum kleinen Arbeitsplatz.


»Schau mal.«, sagte sie und deutete aus dem Fenster. Lichtblitze waren am Außenring zu sehen. »Das sind Repligens. Die Reparieren die Station. Das sind kleine Roboterspinnen, die mit einem Strahl Material auflösen und erschaffen können. Wenn man ihnen einen Plan gibt bauen die alles nach.«, erklärte Suki. Hinter dem Ring tauchte etwas auf. »Da ist Mergy in Kampfgleiter 1.« und drückte ihren Finger an die Scheibe. »Woher weisst du das Mergy da drin sitzt?«, fragte May. »Das sieht man an der 1 oben auf dem Laderaum. Niemand außer ihm fliegt den. Da sind immer die neusten Technologien eingebaut. Mergy testet die immer als erstes.«, schwärmte sie: »Da würde ich gerne mal mit fliegen. Der hat schon alles vom Mark VI Gleiter, der in ein paar Monaten kommen soll. Okta-Wing, Kampfmodus, Höchstgeschwindigkeit Mach 14. Kampfgleiter 1 kann mit seinen zusätzlichen Reaktoren bestimmt noch viel schneller fliegen, der hat ja nur zwei Sitze.« May lauschte ihren Erläuterungen, konnte aber nur zum Teil folgen. Sie hatte zwar schon Informationen über die Kampfgleiter eingesaugt, aber von diesen neuen Funktionen wusste sie nichts. Der Gleiter kam auf sie zu und verschwand lautlos über ihre Köpfe hinweg.


Dann wendeten sie sich dem Terminal zu und Suki zeigte May, wie man die Grundfunktionen aufrufen konnte, was gar nicht so einfach war, denn Suki konnte die Sprache, die May eingestellt hatte nur bruchstückhaft lesen. Bisher kannte May nur die Datenbank selbst. Das damit noch so viel mehr möglich war hatte sie noch nicht bemerkt. »Vielleicht hätte ich die Anleitung vom Terminal zuerst lesen sollen!«, dachte sie während Suki alles erläuterte. Schließlich sprach May, anfangs etwas holprig, dann aber besser und in brauchbaren Sätzen einen Bericht in den Computer. Suki lauschte gebannt ihren Ausführungen und fand noch das ein oder andere Detail, welches May bei der ersten Version im Sors ausgelassen hatte.


»Ist das gut so?«, fragte May und schaute auf den Text, den Suki aber nicht wirklich lesen konnte. »Ich würde sagen das geht. Absenden!«, wies Suki an. May drückte das entsprechende Feld mit dem Text »als Bericht senden!« Der Terminal bestätigte die Aktion. »Fertig!«, kommentierte May den Computer. »Film schauen!«, rief Suki schon von der anderen Seite des Raums. Sie war etwa 11 Jahre älter, benahm sich aber trotzdem manchmal sehr seltsam. Das bemerkte sogar May, die für ihre 13 Jahre doch meistens sehr sachlich und erwachsen wirkte.


»Was kennst du noch nicht?«, fragte Suki. »Film ist doch so wie das auf dem Bildschirm mit Trish, oder?«, fragte May. Suki drehte sich um, sog die Augenbrauen hoch und der Mund blieb wortlos offen. »Hab ich schon einmal im Dorf gesehen, als ich Fisch geliefert habe. Ist aber schon ein paar Jahre her!«, fügte May hinzu. Auf den bunten Bildern waren Menschen zu sehen, die May noch nie gesehen hatte und der Text sagte ihr sowieso nichts. Ab und zu verstand sie das ein oder andere Wort. »Was ist das?«, fragte sie und deutete auf ein Cover. Es war bunt und mit Tieren drauf, aber es war kein Foto, soviel verstand sie. »Der ist lustig. Gute Wahl!«, sagte Suki und startete das Programm. May war gespannt, was jetzt passieren würde und schaute fasziniert dem Geschehen zu. Suki schaute wiederholt zu May hinüber und ihr fiel ihrerseits zum ersten Mal wirklich auf, dass May so viel jünger war als sie. »Wie meine kleine Schwester.«, dachte Suki wehmütig und spürte die traurigen Erinnerungen in sich aufsteigen, die sie schnell wieder zurück in das dunkele Loch stopfte, wo sie herkamen. May bekam davon nichts mit. Sie war in die Filmwelt eingetaucht und lachte und hopste leicht auf dem Polster herum, wenn es lustig wurde.


Mergy war unterdessen auf das Kommandodeck zurückgekehrt und erkundigte sich nach der Lage. »Wann sind wir wieder voll Einsatzfähig?« »In zwei Stunden ist der Andockring wieder komplett geschlossen. Innen dauert es noch zwei weitere Stunden!«, erklärte Sab. »Wieso so lange? Ich hab gesehen da sind nur 5 oder 6 Repligens bei der Arbeit.« »Die anderen sind im Wartungsmodus und prüfen die Leitungen. Eine Energiewelle aus dem Reaktorlabor ist durch die gesamte Station gerauscht. Bisher sind nur Jaques Dockingports und ein paar Zuleitungen betroffen. In Sektor 3 gibt es vereinzelte Energieschwankungen, da ist wohl ein Verteiler beschädigt.«, erklärte sie ihr vorgehen.


»Wie geht es Tin?«, fragte Mergy Trish, die konzentriert auf den Schirm schaute und nichts vom Gespräch der Beiden mitbekommen hatte. »Ray Team One an Traumland! Jemand zu Hause?«, fragte er mit einem Grinsen, aber sie reagierte immer noch nicht. Mergy schaute ihr über die Schulter und verstand was Trish beschäftigte. Sie lass den Bericht von May: »Wow, ich hätte nicht gedacht, das sie einen schreibt!« »Das wer was schreibt?«, fragte Sab sich nach hinten drehend. »May hat einen Bericht geschrieben. Ich hatte eigentlich mehr im Spaß einen ausführlichen Bericht gefordert und meinte eigentlich sie solle mir bei Gelegenheit davon erzählen.« »Jetzt schreibt sie also auch schon Berichte? Was kommt als nächstes?«, fragte Sab spöttisch. »Komm runter!«, gab Mergy in ernstem Ton zu verstehen: »Du hast dir nicht mal die Mühe gemacht sie kennenzulernen, also behalte deine dummen Kommentare für dich.« Sab schwieg. Mergy ging in das angrenzende Büro, um sich ebenfalls in der Lektüre zu vertiefen.


»Oh, schade.«, entwich es May als der Abspann des Films startete: »Das war schön! Und Lustig.« »Ich hab Hunger, du auch?«, fragte Suki und blickte sehnsüchtig auf den Nahrungsmittelerzeuger an der Wand. »Das klappt nicht!«, gab May zu verstehen, aber Suki stand schon dort und orderte zwei Pizzas: »Du magst doch Tunfisch, oder?« »Kadetten ist die Nahrungsausgabe in den privaten Räumen untersagt! Nahrungsausgabe nur an den dafür vorgesehenen öffentlichen Plätzen.« »Ach komm schon. Das ist ein Sonderfall. Die Gaffen uns doch überall nur an. Außerdem ist May krank!«, blaffte Suki in den Automaten. Es gab keine Widerrede, aber es passierte auch nichts. Naja, es passierte nichts bei ihnen. In der Krankenstation kontaktierte Jaque den Doc und fragte nach einer Bestätigung. Der Doc schmunzelte: »Kreativ sind sie ja, das muss man ihnen lassen!«


»Ich denke für heute kannst du die Ausgabe freischalten. Sollen die beiden sich ruhig etwas amüsieren.«, sagte er schließlich. Im selben Moment – Suki hatte schon »Wir wollen Pizza!« Proteste angestoßen – leuchtete die Maschine auf und aus einem Strahl Licht erschien ein Teller mit einer großen Pizza. Kaum hatte sie den Teller entnommen, erschien der Zweite. Heiss, dampfend und bereits geschnitten. »Hah, gewonnen!«, triumphierte Suki und kam mit den Tellern zum Tisch. May sprang auf und holte Traubensaft. Suki nahm auf Nachfrage das selbe und schließlich saßen sie am Tisch. »Keine Stäbchen?«, stellte May fest und sprang erneut auf. »Brauchen wir nicht.« antwortete Suki und hatte schon eine Ecke herausgezogen und kämpfte mit den Käsefäden. May nahm sich auch ein Stück und biss die Spitze ab, ganz so wie ihre neue Freundin es gerade vorgemacht hatte. »Und?«, fragte Suki. May antwortete mampfend: »Pipfa ift lecker!« Suki musste lachen weil auch May sichtlich Probleme mit dem Käse hatte. Mit einem Kommando rief sie einen weiteren Film zur Unterhaltung auf.


So verronnen die Stunden. Suki verabschiedete sich schließlich und noch auf dem Flur rief sie zurück: »Aber nicht umkippen, sonst bekomme ich Ärger mit Mergy!« »Versprochen!«, warf May hinterher. Die Pizzareste waren kalt und May wusste mittlerweile, dass man die Sachen dort einfach in das Fach zurückstellen konnte. Also stellte sie den ersten Teller wieder in den Verteiler und er wurde kommentarlos aufgelöst. Genauso magisch wie er erschienen war, verschwand er in einem funkelnden Licht. Auch der Zweite löste sich auf. May überlegte und lachte. Das war ein toller Tag gewesen. Sie hatte noch nie in ihrem Leben so viel Spaß gehabt und so viel gelacht. Gerade als sie die Gläser in den Apparat stellte machte es ein Geräusch: »Ping, Ping, Puck.« Sie schaute in die Maschine, aber die Gläser verschwanden ganz normal. »Ping, Ping, Puck.«, ertönte die Tonfolge erneut. »Jaque was ist das für ein Geräusch?«, fragte sie schließlich.


»Es ist jemand an der Tür.«, gab dieser knapp die Erklärung. Sie drückte hastig auf die Taste und vor ihr stand Trish oder war es Tin? »Hallo, tut mir leid. Ich wusste nicht was die kleine Melodie bedeutete!«, begrüßte sie ihren zweiten Hausgast und bat sie höflich hinein. »Kein Problem.«, erwiderte sie: »Husten weg?« »Jup.«, kam es aus ihr hervor, während sie versuchte herauszufinden wer das jetzt war. »Oh, tut mir leid. Ich bin Tin.«, klärte sie die Verwirrung auf. »Oh, du hast neue Beine!«, gab May zu verstehen und zuckte innerlich, weil dieser Satz ja offensichtlich überflüssig war. »Ich wollte mich bei dir bedanken. Wenn du nicht gewesen wärst, dann –« Tin stoppte. May sprang sofort ein und meinte das wäre doch selbstverständlich gewesen. Tin erzählte ihr, dass sie den Bericht gelesen hätte und sie gar nicht glauben könne, was ich May da gestern vollbracht hatte. »Wenn ich mal etwas für dich tun kann, egal was, dann komm einfach zu mir, ok?«, fragte Tin schließlich. May nickte nur und Tin verschwand wieder aus der Tür und wünschte noch einen schönen Abend.


May ärgerte sich über ihr Verhalten. Sie hatte ihr nichts angeboten und hingesetzt hatten sie sich auch nicht. »Ich bin eine miese Gastgeberin.«, dachte sie und setzte sich an den kleinen Tisch. Als erstes lass sie die Anleitung vom Terminal durch und suchte dann nach den anderen Sachen von denen sie heute gehört hatte. Lange währte die Freude nicht, denn der Terminal schaltete nach einigen Stunden wieder auf stur und May machte sich gezwungener Maßen fertig fürs Bett.

Strand der Erinnerung

May räkelte sich in ihrem Bett. Sie wollte noch nicht aufstehen. Sie dachte an die vielen Erlebnisse der letzten Tage. An Mergy, Suki, Sor und Jaque. Ja und auch an Tin. »Was muss es wohl für ein Gefühl sein mit Roboterbeinen herumzulaufen?«, fragte sie sich. Schließlich tapste sie ins Bad, nahm eine Dusche und zog sich an. Erst jetzt schaute sie auf die Uhr in der Ecke des großen Displays im Wohnraum. »Ähh, 7 Uhr!«, dachte sie und drückte auf die Taste neben ihrer Tür und trat auf den Flur. Es rumste und sie wurde gegen den Türrahmen geworfen.


»Entschuldigung!«, hörte sie noch eine Stimme und als sie sich umdrehte war niemand mehr da. Aber aus der anderen Richtung kamen erst Geräusche und nur wenig später einige Kadetten und rannten an ihr vorbei. Suki kam aus der Ferne in Mays Sichtfeld. »Was ist denn los?«, fragte May besorgt. Suki brachte nur ein keuchendes »Frühsport« heraus und war schon an ihr vorbei. May zog sich wieder in ihr Reich zurück. »Frühsport« Früher hatte sie immer mit ihrem Vater zusammen Sport gemacht. Sie waren am Wasser entlang gelaufen und dann hatte er ihr Kampfsport beigebracht.


May erschrak. Sie sank auf den Boden. Genau! Wie konnte sie das alles vergessen. Die unzähligen Stunden, die unzähligen Tage in denen sie von ihrem Vater unterrichtet wurde. Seine unzähligen Lektionen. Alles hatte sie vergessen. Vielleicht hätte sie sogar den Männern in dem Dorf entwischen können, aber sie hatte sich nur zappelnd und ohne Verstand gewehrt. May rappelte sich hoch, schloss die Augen und versuchte sich zu erinnern.


Aber es funktionierte nicht und so setzte sie sich an den Terminal. Er ließ wieder Zugriffe zu und schnell hatte sie herausgefunden, dass man Erinnerungen durch bekannte oder sehr ähnliche Umgebungen stimulieren könne. Eigentlich mehr als Frust fragte sie laut in den Raum wo es hier auf der Station einen Strand geben würde. Die Antwort von Jaque überraschte sie. Die Trainingshallen in denen die Kadetten ihr Flugtraining und andere Dinge machten, konnten alles mögliche darstellen, also auch einen Strand. Sor hatte in seinem Laden auch ein paar kleinere Räume, in denen die Kadetten Spiele wie Tennis oder Golf spielen konnten, die für den Laden unten zu groß waren. Schnell zog sie sich um und sprang in die gleichen Klamotten, die die anderen beim Sport trugen und rannte zu Sor. »Sor kann ich in einen Hologrammraum?«, fragte sie ihn direkt. »Welches Spiel möchtest du den Spielen?« »Kein Spiel!«, erklärte May: »Ich brauche einen Strand, Meer und Vögel.« »Tut mir leid meine Räume sind nur für Spiele gedacht. Es gibt Trainingsräume für alles andere.«


»Sor bitte, ich muss mich an etwas wichtiges erinnern. Ich brauche das! Bitte!«, gab sie fast flehend zu verstehen. »Ist ja schon gut. Weil du es bist. Ich programmiere es. Strand, Meer, Vögel. Sonst noch was?« »Palmen, Sonne und leichter Wind!«, gab May zu verstehen. »Ok, die Treppe hinauf und dann rechts die letzte Tür. Um 9 Uhr musst du aber raus, dann ist er für Tennis reserviert.«, gab Sor zu verstehen. »Danke, Sor!«, brachte sie wie immer höflich und ehrlich ihren Dank zum Ausdruck. May eilte die Stufen der kleinen Treppe, die sich am Rand des Lokals nach oben reckte, hoch und direkt zur Eingangstür. Vor der Tür hielt sie inne. Würde sie wirklich ein Strand dahinter erwarten? Würde er wirklich echt aussehen? Sich echt anfühlen? Tausend Gedanken schossen ihr durch den Kopf, bevor sie den Mut fand die Taste neben der Tür zu drücken.


Da war er der Strand. Genauso wie sie es sich gewünscht hatte. Sonne, Palmen und Meer. Einige Vögel kreischten am Himmel. Als sie sich umdrehte war die Tür weg. Sie fühlte aber da war keine Tür mehr. War sie noch auf der Station? War das jetzt ein Traum? Sie zog ihre Schuhe aus und spürte den Sand zwischen ihren Zehen. Die kleine Kadettin schloss ihre Augen, atmete tief ein und versuchte sich zu erinnern. Der Strand löste etwas in ihr aus, aber die Wirkung war nicht die erhoffte. Sie sah einige bruchstückhafte Bilder vor ihrem inneren Auge.


Sor reservierte ihr nun täglich den Strand und sie nutzte jede Minute. Sie wollte sich erinnern. Doch es passierte nichts außer vereinzelten Gedankenblitzen, bis, ja bis sie plötzlich die Stimme ihres Vaters hörte. Es war als wenn er neben ihr stünde. Sie öffnete die Augen. Er war nicht mehr da, aber seine Lektionen rauschten ihr durch den Kopf. Genau, sie hatte von Klein auf gelernt wie man kämpft und im Alter von neun Jahren, als das Meer kam, hatte sie damit aufgehört. Grundstellungen, Angriffe, Verteidigungen. Alles war auf einen Schlag zurück. May machte sofort einige Übungen, aber bereits nach kurzer Zeit konnte sie nicht mehr. »Die Kampftechnik kann noch so ausgefeilt sein, ohne einen vitalen Körper ist sie nutzlos!«, hörte sie ihren Vater aus der Erinnerung ermahnend sprechen.


Damals hatte sie nicht so recht verstanden was er meinte, aber jetzt verstand sie es um so deutlicher. Ihr Atem war schwer und schnell. Sie hatte wieder ein Ziel vor Augen und das wollte sie schaffen. »Wenn man etwas wirklich will, dann schafft man das auch! Dazu muss man sich nur anstrengen und sich richtig Mühe geben.«, war der Satz ihres Vaters, der sie antrieb. Von nun an stand sie jeden Tag früh auf und lief mit den anderen Kadetten um den Quartierring. Die ersten Male waren peinlich. Sie schaffte es nicht einmal halb herum und wurde überrundet. Jedesmal wurde sie ein wenig besser, hatte sie mehr Puste und nach einigen Monaten lief sie noch ihre Runden, wenn die anderen Kadetten schon beim Frühstück saßen. Sie ging weiterhin jeden Morgen an den Strand um ihrem Vater zu beweisen, dass sie es konnte, um ihm nah zu sein. Schließlich war sie nicht nur fit, sondern auch kräftig genug.


Langsam aber sicher formte sich ein Wunsch in ihr. Sie wollte auch Kampfgleiterpilot werden, sie wollte Menschen helfen. Sie wollte zurückgeben, was sie geschenkt bekommen hatte. Als sie Mergy darauf ansprach wiegelte der nur ab. Sie sei dafür noch zu jung. Man müsse mindestens 21 Jahre alt sein. 8 Jahre sollte ihr Traum noch entfernt sein, aber davon wollte sie nichts wissen. Sie erinnerte sich an ein Versprechen. Tin hatte es ihr vor einigen Monaten gegeben und so suchte May den Kommander in ihrem Labor auf. Tin forschte an neuen Technologien und effizienteren Reaktoren. Sie mussten auch immer kleiner und leichter werden, schließlich war in einem Kampfgleiter nicht so viel Platz wie in einer Raumstation. May äußerte ihren Wunsch offiziell am Training teilzunehmen, aber Tin bedauerte. Sie hatte nicht die Befugniss diesem Wunsch ohne die Zustimmung der anderen Kommander zu entsprechen.


Tin öffnete ihr dennoch aber eine Hintertür. May bekam Zugriff auf alles, was die Kadetten in ihrer Ausbildung lernen mussten. Technik, Medizin, Rettungsmethoden und vieles mehr. Das alleine war schon der Hammer auch wenn May wohl nicht lange brauchen würde, um das gesamte Wissen zu absorbieren. Das war auch Tin bewußt und so stellte sie ihr einen eigenen Holoraum im Laborsegment des Außenrings zur Verfügung, der normalerweise nur von ihr für Simulationen verwendet wurde. May konnte nun alle Flugübungen und Tests machen, die auch die Kadetten machten und gemacht hatten. Wenngleich sie keinen echten Flug machen konnte, so hatte sie so wenigstens die Möglichkeit zu üben und das sogar mehr als die anderen Kadetten, die sich zwei Räume teilen mussten und selbst dann immer zu viert flogen. May fiel Tin um den Hals als sie erfuhr, was sie ihr ermöglichte. »Ich denke Mergy hat recht. Du bist etwas Besonderes und das sollten wir auch fördern!«, begründete sie ihre Hilfe und May versprach sie nicht zu enttäuschen.


Schnell war sie Zuhause und machte sich an die Arbeit. Zuhause. Ja, die kleine Wohnung auf der Station war ihr Zuhause geworden. Auch wenn sie noch nicht wirklich dazu gehörte, so fühlte sie sich wohl und sicher. Wie erwartet waren die Grundlagen kein Problem. Binnen weniger Tage hatte sie sich durch die Dokumente gelesen. Sie wäre wohl schneller gewesen, wenn der Computer ihr nicht immer diese Sperre auferlegt hätte. Sie nutzte die Gelegenheit sich mittels normaler Bücher aus Papier weiterzubilden. Einzig mit Mathe, Physik und Chemie tat sie sich schwer. Die Fakten zu lernen war eine Sache, aber damit umzugehen eben eine andere. Gesellschaftlich tat sich eigentlich nicht viel. Sie war oft mit Suki zusammen. Sie schauten Filme oder aßen zu Mittag. Der deutliche Altersunterschied war besonders bei den vielen Aktivitäten zu spüren. Niemand hatte so recht Interesse daran mit der Kleinen herum zu hängen und so war sie oft aus Rücksicht auf die anderen Kadetten einfach in ihrer Wohnung geblieben.


Einzig zu Sukis Geburtstagsfeier, war sie in den letzten Monaten gegangen. Es war ihr 25. Ein Runder wie Suki immer betont hatte. Sie hatte alle ihre Freunde eingeladen. Um ein Geschenk brauchte man sich keine Gedanken zu machen, denn schließlich konnte man sich vom Computer alles herstellen lassen was gespeichert war. May hatte trotzdem eine kleine Karte gebastelt und sie einem kleinen Teddy um den Hals gehängt. Suki hatte sich sehr darüber gefreut. Die Party selbst war nicht so ihr Fall gewesen. In ihrem Wohnzimmer hatte sie die Möbel an den Rand gestellt und alle tanzten in der Mitte zur Musik oder unterhielten sich, durch die Lautstärke erschwert, in den Außenbereichen. Suki kam ein paar Mal zu ihr, aber von den anderen Kadetten interessierte es niemand, ob sie da war oder nicht. Zwei oder dreimal stellte sie sich einfach dazu und lauschte den Erzählungen von Sukis älteren Gästen, die sich meistens um das Stationsleben oder die Zeit davor drehten. Schließlich hatte sie sich einfach heimlich aus dem Staub gemacht.


Dann war es endlich soweit und zum ersten Mal betrat sie die Holokammer mit dem Gleiter-Trainingsprogramm. Abflugbereit stand dort ein Kampfgleiter und wartete nur auf sie. Vorsichtig ging sie einmal herum und betrachtete ihn genau. Natürlich war ihr klar, dass das Gerät eigentlich nur ein Bild im Raum war, aber seine Form, die Größe und die dunkle schwarze Farbe flößten ihr schon Respekt ein. Es vergingen einige Momente bis May die Tür öffnete und sich ans Steuer setzte. Der Sitz fühlte sich noch genauso an, wie in dem Gleiter von Mergy bei ihrer Ankunft. Sie stellte alles auf ihre Größe ein und speicherte die Einstellungen genau wie sie es im Handbuch gelesen hatte. Schließlich aktivierte sie die Triebwerke und spürte einen leichten Ruck durch ihren Körper fließen als die simulierten Gravitationsgeneratoren sich aktivierten.


»May an Ops! Erbitte Starterlaubnis.«, kommunizierte sie direkt mit einer virtuellen Flugkontrolle, auch »Flight Operations« genannt. »Ops«, war kurz und da sowieso nur der Computer den Funkverkehr an den aktuellen Kommandostand weiterleitete war »Ops« die offizielle Abkürzung. Vorsichtig zog sie an dem U-förmigen Gebilde vor sich. Der Gleiter hob ab und kippte sofort nach links weg. May kompensierte durch Gegensteuern. Nun rollte der Gleiter zu weit nach rechts. Schließlich krachte sie kopfüber in eine Wand. Dank der Gravitationssimulation saß sie, wenn auch ziemlich erschrocken, immer noch auf ihrem Sitz. »Mission fehlgeschlagen!«, blinkte in der Frontscheibe. »Das ist ja super gelaufen!«, muffelte May und forderte einen Neustart an. Die Umgebung änderte sich und der Gleiter stand wieder auf den Füßen, wie beim ersten Versuch. Nochmal gab sie ihr Bestes, endete aber nur in einer anderen Ecke der Halle an der Wand. Insgesamt 34 mal rammte sie ihren Gleiter gegen die verschiedenen Hangarwände ohne auch nur einmal ansatzweise einen kontrollierten Flug zustande zu bringen.


May erkannte, es hätte wohl keinen Sinn weiter zu machen und beendete das Programm. Muffelnd und sauer über ihre Unfähigkeit marschierte sie stampfend nach Hause und ging ins Bett. Schlafen konnte sie nicht. Unruhig wälzte sie sich in ihrem warmen Beschützer herum und grübelte warum die Fliegerei so schwer war. Die anderen Kadetten konnten es doch auch und sie kam nicht einmal Heil vom Boden weg. Es gab nicht einmal Anzeichen dafür, dass sie überhaupt besser wurde. »Es ist als wenn immer jemand mitlenkt!«, murmelte sie in den dunklen Raum. »Die Stabilisatoren kompensieren die natürliche Instabilität der Antigravitationsgeneratoren durch automatisches Gegensteuern.«, hörte sie Jaque in ihrem Kopf. May richtete sie auf: »Wie konnte ich die vergessen?« Mit ihren plüschigen Hausschuhen machte sie sich abermals auf den Weg in die Holokammer.


Zwei Kadetten kamen ihr entgehen und kicherten als sie mit ihrem leicht rosafarbenen Pyjama in den Lift stieg. May nahm sie gar nicht wahr. Wie schon duzend mal zuvor startete sie die Simulation, lud ihre Einstellungen von Sitz und Pedalen. »Stabilisatoren deaktivieren!«, forderte sie die Abschaltung ein. »Das Abschalten der Stabilisatoren wird nicht empfohlen.«, informierte sie die Stimme des Gleiters. »Ist mir klar. Abschalten und Einstellung speichern!«, murrte May. »Stabilisatoren deaktiviert!«, bestätigte der Rechner. May startete den Gleiter, holte sich, wie schon diverse Male zuvor, die Starterlaubnis und zog am Steuer. Sanft glitt der Gleiter nach oben und ansonsten passierte nichts. Mit sanften Bewegungen ließ May den Gleiter nach links und rechts schwingen und eine 360 Grad Drehung machen. Vorsichtig und immer noch skeptisch dirigierte sie den Gleiter um die Ecke der T-förmigen Halle und trat das Pedal voll durch.


Es drückte sie leicht in den Sitz und ein warmes Gefühl stieg in ihr Hoch, als sie den Sternenhimmel um sich sah. Er war natürlich nur ein Gemälde aus Licht, aber alles um sie herum wirke einfach so echt und so real. Sie flog eine Schleife und landete sanft im Hangar. »Mission abgeschossen!«, erschien im Display. May grinste, überlegte kurz und startete die nächste Aufgabe. Diesmal sollte sie einen klar definierten Korridor abfliegen. Rote Rahmen, die in allen Richtungen bestimmt 3 mal größer waren als der Gleiter mit seinen ausgefahrenen Flügeln, sollten durchflogen werden. Ohne ein Problem meisterte sie die 50 Tore und landete wieder. Ihre Zeit war deutlich langsamer als der Rekord und so versuchte sie es noch einmal und war deutlich schneller.


Nur wenige Sekunden trennten sie von der Rekordzeit und nach 5 weiteren Versuchen hatte sie ihn geknackt. Der Schwierigkeitsgrad der Übung war in drei Stufen wählbar und so sie ging gleich aufs Ganze. Die Tore waren nur noch minimal größer als der Gleiter und der Kurs war verzwickter. Bereits am 6 Tor scheiterte sie kläglich. Nach drei weiteren Versuchen schaffte sie immerhin 14 Tore. Sie wurde immer besser, aber spürte auch die Müdigkeit in ihr aufsteigen. Daher entschied sie sich für ein Trainingsende. Auf dem Rückweg traf sie niemanden mehr. Alle schliefen wohl schon und so tat sie es ihnen gleich und schlüpfte zufrieden in ihr kuscheliges Nest.

Stabil oder nicht Stabil

May nahm sich in den nächsten Wochen jede einzige Übung genau vor. Sie wollte alle Prüfungen meistern und nicht einfach nur schaffen. Meistens wählte sie schon zu Beginn die schwersten Einstellungen und oft war sie sogar gleich beim ersten Versuch erfolgreich. Nach den grundlegenden Übungen, um sich mit dem Gleiter vertraut zu machen, wurden die Missionsübungen mehr auf den praktischen Einsatz ausgerichtet. Es galt in diversen Vorgaben Menschen zu retten. Menschen war übertrieben, da die zu rettenden Personen genauso aussahen wie die medizinische Puppe, an der sie im Medizinkurs operiert hatten. Zwischendurch legte sie auch unter Jaques Aufsicht alle Prüfungen ab, die die Kadetten ihr schon voraus hatten. Als Kontrastprogramm verinnerlichte sie die Kampftechniken ihres Vaters und vermöbelte holographische Kämpfer in einem Trainingsprogramm, das augenscheinlich von Mergy erstellt worden war, der auch die Rekorde hielt. Zumindest hielt er sie solange bis May mit dem Programm fertig war. Sie wollte nicht einfach nur gut sein, sie wollte die Beste werden. Nur so würde sie eine Chance bekommen jetzt Pilot zu werden und nicht erst in acht Jahren.


Beim Frühstück rutschte Suki unsicher hin und her. »Was ist los?« »Wir haben heute die letzte Prüfung!«, gab sie zu verstehen. »Wenn wir gut genug sind, dürfen wir morgen an der finalen Aufgabe unsere Flugfähigkeiten zeigen und werden richtige Gleiterpiloten.«, erklärte Suki und umriss, wobei es bei der Prüfung gehen sollte, blieb May das Brötchen fast im Hals stecken. Sie hatte diese Aufgabe schon vor Wochen gemeistert und war auch bei den Flugübungen erfolgreich gewesen. Erst jetzt fiel May die Unsicherheit und Aufregung der anderen Kadetten im Raum auf. Das änderte sich auch beim späteren Mittagstisch nicht.


Am Abend war Sors Laden brechend voll. Alle warteten auf die Ergebnisse. Auch Suki ließ die Schirme nicht aus den Augen. Dann wurde eine Liste aller Kadetten gezeigt, die an der finalen Prüfung teilnehmen dürften. Suki quiekte vor Freude und fiel May um den Hals. Es dauerte eine Weile, bis sie sich wieder fasste und auf ihren Stuhl zurück sprang. Ähnliche Bilder der Freude waren auch bei anderen Kadetten zu sehen. »Was ist denn die finale Prüfung?«, fragte May nicht ganz grundlos nach. Suki wusste es nicht. Niemand wusste es. Schnell leerte sich der Saal. Die Meisten wollten fit für den morgigen Tag sein und früh schlafen gehen. Die Anderen gingen wohl nur zum Heulen ins Bett. Nur wenige Kadetten blieben länger.


May beschloss auf Mergy zu warten. Er kam immer um diese Zeit und so war es auch heute. »Darf ich dich kurz stören?«, fragte sie, als sie an seinen Tisch trat. »Klar, setz' dich!«, lächelte er zurück. »Morgen ist also die große und geheimnisvolle finale Prüfung, ja?«, fragte May ihn direkt. »Ja, das wird nicht einfach für die Kadetten! Sab hat sich bestimmt etwas fieses ausgedacht.«, gab Mergy offen zu verstehen. »Kann ich mitmachen?«, fragte May unverblümt und direkt. Mergy hustete seinen Tee fast wieder aus: »Du?« »Ja, ich!«, grinste May selbstsicher zurück. »Das geht nicht, die Kadetten haben eine harte Ausbildung hinter sich. Das ist kein Spiel!«, warf er sichtlich genervt, überhaupt mit einer solchen Bitte konfrontiert worden zu sein, zurück.


»Glaubst du ich habe die letzten Monate hier nur tatenlos herum gesessen?«, fragte May noch energischer. »Es geht nicht!«, gab Mergy noch einmal zu verstehen ohne auf ihre Aussage einzugehen. »Ich habe alle Prüfungen abgelegt, alle Trainingseinheiten im Simulator absolviert und übrigens auch alle Rekorde gebrochen. Auch deine im Holokampfprogramm!«, platzte es aus May raus. Mergy fror ein und beide starrten sich für einige Momente einfach nur an: »Jaque ist das wahr? Hat May alle erforderlichen Prüfungen abgelegt, um, wie die anderen Kadetten, an den morgigen Prüfungen teilzunehmen?« May konnte nicht hören, was Jaque ihm direkt ins Ohr des Kommanders flüsterte, aber sein erstaunter Blick verriet ihr das Nötige.


»Ich weis nicht wie du das alles geschafft hast, aber ich werde es prüfen.«, gab er leicht verwirrt zurück. »Dann sollte ich mich wohl auch schlafen legen, um morgen fit zu sein.«, lächelte May und nahm forsch die eigentliche Antwort auf ihre Frage vorweg. Sie wünschte noch einen guten Abend und verschwand. Mergy konnte nicht glauben was er da gerade erfahren hatte und machte sich sofort auf den Weg in die Zentrale. Er schaute sich die Unterlagen an. Ihre praktischen Prüfungen im Simulator waren mehr als perfekt. Sie hatte alle Aufgaben nicht nur einfach gemeistert, sondern auch in der höchsten Schwierigkeit. Immer wieder schüttelte er den Kopf.


Auch die theoretischen Prüfungen waren mehr als zufriedenstellend, obwohl ihre Problemfächer deutlich aus der Perfektion heraus stachen. Mergy machte sich Gedanken. Er hatte dieses Mädchen auf die Station geholt und dann weitestgehend alleine gelassen. Sie war zwar nicht im Wortsinne alleine, aber er hatte sich dennoch nicht um sie gekümmert. Er war einige Male für sie da gewesen, aber er hatte ihr Talent selbst nach ihrer Heldentat nicht erkannt und gefördert. Tin hatte diese Aufgabe offensichtlich in eigener Regie und hinter seinem Rücken übernommen. Letztendlich hatte er keine Wahl und setzte May auf die Liste der Teilnehmer.


Sab war nicht begeistert als sie die Änderung bemerkte und forderte eine Erklärung. Das Ganze endete in einer heftigen Diskussion in der es weniger um May selbst, als vielmehr um die Tatsache ging, dass sie doch eigentlich gar nicht auf der Station hätte sein dürfen, was Mergy sichtlich missfiel. Er bestand darauf May zur Prüfung zuzulassen und merkte an, sie könnte ja im schlimmsten Fall nur versagen. Trish war diesmal auch auf Mergy's Seite und Tin zu fragen hatte ja wohl keinen Zweck. Sie hatte diese Tür für May überhaupt erst aufgestoßen.


Am nächsten Morgen fing Mergy May auf dem Weg zur Prüfung ab: »Ich bin beeindruckt. Du hast wirklich eine Menge erreicht! Und das Beeindruckendste ist: Du hast es ganz alleine geschafft.« »Ein sehr weiser Mann hat mir mal gesagt: Wenn man etwas wirklich will, dann schafft man das auch! Dazu muss man sich nur anstrengen und sich richtig Mühe geben.«, erwiderte May. »Ein wirklich weiser Mann.«, sagte Mergy: »Ich denke er wäre sehr stolz auf seine Tochter!« May lächelte und Mergy wünschte noch ein »Viel Glück« hinterher.


»Was machst du denn hier?«, fragte Suki erstaunt, als May im offiziellen Flugtrainingoutfit in die Halle kam. »Mitmachen!«, gab sie nur schnodderig zu verstehen und setzte sich auf einen der Stühle ganz hinten. Schnell machte sich ein Rumoren breit und die Blicke verrieten, es ging um May. Die Tür rollte auf und Sab marschierte hinein. »Heute wird sich zeigen, aus welchem Holz ihr wirklich geschnitzt seit! Wer glaubt diese Prüfung wird ein Kinderspiel, der sollte besser gleich gehen.«, dröhnte durch den Raum.


Ihr direkter Blick verriet eindeutig was sie mit dem Wort »Kinderspiel« andeutete und meinte. May und ihr Alter. Der Kadett ließ sich nichts anmerken, aber etwas störte sie gewaltig. Es war weder die Tatsache, des ersten Zusammentreffens von Sab und May nach all den Monaten, noch die offensichtliche Ablehnung, die Sab im Raum versprühte. Es war die Tatsache, dass die nervige Stimme des Nahrungsverteilers und der Lifte jetzt ein Gesicht hatte. Die Stimme von Sab war augenscheinlich dafür benutzt worden und es war einfach nur gruselig.


»Heute wird mit echten Gleitern geflogen. In zwei Kilometern Entfernung von der Station befindet sich ein holographisches Asteroidenfeld. Das Feld muss zu mindestens 9% der Länge nach durchflogen werden. Nur als Richtwert: Der aktuelle Rekord liegt bei 36%. Er wurde heute Morgen von Mergy aufgestellt. Waffeneinsatz oder Umfliegen führt zur sofortigen Disqualifikation.«, erläuterte sie die Prüfungsregeln und auf dem Schirm hinter ihr wurde das Ganze noch grafisch illustriert: »Es wird hier im Raum gewartet. Jeder Kadett wird einzeln die Prüfung machen und danach im Nebenraum warten bis alle ihre Prüfung abgeschlossen haben. Die Ergebnisse werden im Anschluss verkündet. Gibt es noch Fragen?«


May hob die Hand und mit rollenden Augen bestätigte Sab noch einmal, ihre bereits in den ersten Sätzen verkündete Ablehnung. Sie hatte es ohne Zweifel auf May persönlich abgesehen. Sab hatte offensichtlich keinerlei Verständnis für ihre Teilnahme: »Ja?« »Was ist wenn wir komplett durchkommen?«, stellte May eine eigentlich logische Frage. Da Mergy, als Rekordhalter und offensichtlich bester Kampfgleiterpilot, es nicht einmal halb durch das Feld schaffte, war die Frage aber so gesehen eigentlich ziemlich dämlich. »Dann drehst du einfach um und fliegst den selben Weg durch das Feld zurück.«, grummelte Sab und viele der Kadetten kicherten. »Sonst noch Fragen?«, muffelte der Kommander erneut. Die blieben zur ihrer optisch unausgedrückten Freude aus und so startete die Prüfung mit dem ersten Kadetten.


Kaum war Sab und der erste Kadett aus der Tür ging das Getuschel weiter. Es ging aber nicht mehr nur um May, sondern um die gestellte Aufgabe. Es dauerte einige Stunden bis die Zahl der Kadetten sichtbar abnahm. Schließlich saß May alleine im Raum und wartete ungeduldig. Endlos erschien ihr die Zeit, bis sie dann doch noch aufgerufen wurde. Endlich war es soweit und May verließ angespannt und nervös den Raum durch die übergroße Tür, nur um direkt gegenüber durch eine optisch Identische ins Hangardeck zu gehen. Seit ihrer Ankunft war sie nicht mehr in einem Hangar gewesen, aber die Simulationen hatten diesen Ort trotzdem sehr vertraut werden lassen.


»Hallo May. Du machst ja Sachen!«, begrüßte sie offensichtlich Trish: »Da steht dein Gleiter. Zeig' es ihnen!« May schaute sich das Gefährt nochmals an. Sie hatte Stunde um Stunde darin verbracht, aber dieser war keine Simulation aus Luft, sondern Echt, aus Metall und von Wert. Er würde bei einem Absturz ziemlichen Schaden anrichten. Der kleine Kadett stieg vorsichtig ein und lud die persönliche Konfiguration, wie sie das in den letzten Monaten schon tausendmal gemacht hatte und forderte die Starterlaubnis ein. Sie atmete tief ein und zog am Steuer. Sofort brach der Gleiter zur Seite aus und sie konnte gerade noch das Steuer nach vorne drücken und der Gleiter setzte mit einem Rums auf und quietsche lautstark, als die drei Stalks, die Metallfüße auf denen der Gleiter stand, über das Deck schrammten.


Nicht weit vom Hangar sahen die anderen Kadetten ihren vermurksten Start und gaben ihre Kommentare ab: »Die braucht gar keine Asteroiden zum Crashen!« »Gleich kommt die da hinten durch die Wand!«, spotteten sie. May hielt unterdessen inne. Dann prüfte sie die Stabilisatoren und sie waren aktiv. Also schaltete sie diese aus und da sie schon eine Startfreigabe hatte, zog sie den Gleiter in einem eleganten Bogen um die Ecke und schoss aus der Station. Draußen ließ sie ihren Gleiter einige Male um die eigene Achse rotieren, um ein Gefühl für die nun echte Maschine zu bekommen. »Hat sie schon die Kontrolle verloren oder kommt das noch?«, fragte Sab schnippisch. Mergy, Tin und sogar der Doc hatte sich dort eingefunden, damit er im Notfall bereit wäre, wie er sagte. In Wahrheit wollten alle nur sehen wie sich May so schlagen würde. Anders als die Kadetten konnten die Zuschauer auf dem Kommandodeck an einer Prozentangabe direkt sehen wie gut die einzelnen Piloten waren. Ein Sparx folgte den Gleitern im Tarnflug durch das Asteroidenfeld und übertrug die Flugmanöver auf die Schirme. May ließ den Gleiter beim Anflug hin und her wippen, was mit weiteren spöttischen Bemerkungen tituliert wurde.


»Sie ist viel zu schnell!«, blaffte Sab: »Die knallt auf den ersten Stein und Ende!« Ohne die Geschwindigkeit zu senken schoss May zwischen die Felsen, die sich in alle Richtungen bewegten. Die Flugbewegungen von May waren präzise und ihre Reaktionen exzellent. Schnell verstummten die bissigen Kommentare an beiden Beobachtungsorten. Die Prozentanzeige zeigte bereits 9% an, aber das wusste und interessierte May nicht. Unbeirrt und dank ihrer unzähligen Übungen unter maximalem Schwierigkeitsgrad presste sie ihren Gleiter durch jede Lücke die gerade einmal so groß war wie der Gleiter selbst. Sie wurde nach hinten hin langsamer, weil auch die Brocken zahlreicher und somit Dichter waren, aber schließlich schoss sie am anderen Ende zwischen den Steinen in den offenen Weltraum. Mergy ballte die Faust und rief laut »Ja!« »Unglaublich!«, kommentierte Tin. Im Raum der Kadetten war nur noch Jubel zu hören. May versetzte ihren Gleiter wieder in Rotation und kippte ihn dabei einfach um, um die Flugrichtung im 180 Grad zu ändern. »Wow, coole Wende!«, lobte einer der Kadetten in lautem Ton das ungewöhnliche Manöver.


Aber es war noch nicht vorbei. May steuerte erneut auf die Felsen zu. »Was macht sie denn jetzt?«, fragte Mergy. »Sie hat gefragt was sie machen soll, wenn sie durchkommt. Ich hab ihr gesagt sie solle auf dem gleichen Weg zurückfliegen.«, muffelte Sab: »Jaque, Steindichte bis auf 100% erhöhen.« »Hey, das ist fies!«, beschwerte sich Mergy über die Anweisung: »Durch eine Mauer am Ende kommt sie ohne Waffen nicht durch!« »Und wenn sie Waffen einsetzt ist sie disqualifiziert!«, bestätigte Sab mit einem fiesen Grinsen ihr Vorhaben. May war bereits ins Feld zurück geflogen und bemerkte die deutlich gestiegene Menge an Hindernissen.


Angestrengt flog sie durch die Lücken. Manchmal musste sie zurückweichen, um nicht gegen die massiv wirkenden Felsen zu krachen. Eigentlich waren sie ja nur ins Vakuum gemalte Bilder die von einem Schild die nötige Robustheit bekamen. Aber egal ob echt oder unecht. May gab alles. Schließlich schwankte die Prozentanzeige auf der Kommandobrücke zwischen 194% und 199%. May hatte die feste Wand aus Felsen gefunden, die sie noch vom Ziel trennte. Die Steinwand hatte nur kleine Lücken, die bestenfalls für eine Hand gereicht hätten, aber einen Gleiter bekam man da niemals durch.


»Gib schon auf!«, kommentierte Sab die Situation. May musste wiederholt ein Stück zurückfliegen und sich der Wand nochmal nähern. »Das kann man nicht schaffen!«, bewertete auch einer der Kadetten die Situation. Dann war wieder stille im Raum und alle Blicke waren gebannt auf die Schirme gerichtet, auf denen die für alle immer unsichtbare May ihre Show ablieferte. Jetzt gab es niemanden der nicht zusah. Naja, nicht ganz. Trish im Hangardeck sortierte und sichtete die Flugdaten der bisherigen Flüge und hatte keine Ahnung was sich da draußen für eine Sensation abspielte.


»Waffen. Es geht nur mit Waffen!«, sprach May mit sich selbst, dachte aber nicht im Traum daran selbige einzusetzen. Sie wusste zu gut um die damit verbundene Konsequenz. Dann kam ihr die zündende Idee. »Computer, den vertikalen Gravitationsstrahl bündeln!«, wies sie an. »Das Bündeln der Gravitationsstrahlen wird aus Sicherheitsgründen nicht empfohlen.«, gab der Gleiter Widerworte. »Mir doch egal. Bündeln!«, befahl May in hartem Ton, während sie den von allen Seiten ankommenden riesigen Steinen auswich. »Vertikale Antigravitationsstrahlen wurden gebündelt!«, vernahm sie die Stimme ihres Bordcomputers. Es dauerte einige lange Sekunden, bis die Lücke in den Steinen vor der Mauer groß genug war um die Aktion zu starten. Dann zog sie ihren Gleiter vorne zu einem langsamen Looping direkt an der Wand hoch. Der gebündelte Gravitationsstrahl riss einen riesigen Streifen in die vor ihr liegende Barriere. Sie drehte ihren Gleiter um 90 Grad und rammte ihn mit dem Heck zuerst durch die vom Strahl gerissene Lücke. Es rumpelte, weil die Steine sich neu formierten und beim Durchfliegen gegen den Gleiter schrammten.


Die auf den Gleiter einwirkenden Kräfte blieben im Rahmen und in einem echten Asteriodenfeld hätte es wohl nur Schäden am Lack und ein paar Dellen gegeben. Vor sich sah May, wie sich die Lücke aus virtuellem Gestein wieder schloss. »Haah!«, jubelte Mergy und fiel Tin in die Arme. Sab starrte wortlos auf den Schirm und sah wie May nochmal eine eigentlich unsinnige Rotation mit Richtungswechsel einleitete. Wieder vorwärts fliegend holte sie sich die Landeerlaubnis und stellte den Gravitationsstrahl wieder zurück auf Streuung. Auch im Warteraum war die Hölle los. Hatte noch heute Morgen niemand May wirklich wahr, geschweige denn Ernst genommen, so gab es jetzt nur noch ein Thema. Sie hatte es nicht nur geschafft besser zu fliegen als alle anderen, sie hatte Mergys Rekord eingeebnet. Eingeebnet? Nein pulverisiert, atomisiert, vernichtet und zu alle dem das Ganze auch noch durch ihre vermeintlich dumme Frage vorher angekündigt.


May ahnte von alledem nichts. Sie hatte die Aufgabe gemeistert und war besser als Mergy gewesen. Dachte sie zumindest. Sanft setzte der Gleiter auf dem Landedeck auf. May schaltete die Systeme ab und reaktivierte die Stabilisatoren. Dann stieg sie aus. »Das hat aber gedauert. Ich hab mir schon Sorgen gemacht!«, gab Trish zu verstehen. Unbeabsichtigt verwirrte sie May durch diese Aussage. War sie etwa nicht schnell genug gewesen? Sab hatte nichts von einem Zeitlimit gesagt. Auf dem Gang hielt sie abermals inne. Sie holte tief Luft und war auf alles gefasst. Auf fast alles jedenfalls. Das Mädchen drückte die Taste neben der Tür und sah die versammelten Kadetten, die sie nur stumm anstarrten. Nur ein Kadett kam mit quiekender Stimme auf sie zu: »Was war das denn?« Suki drückte sie an sich und alle begannen zu jubeln. May stand immer noch unsicher im Raum. Sie wusste ja nicht was die anderen so geschafft hatten. »Das war der Hammer!«, quiekte Suki weiter: »Und wie du die Wand geknackt hast. Ja – Wie eigentlich?« »Vertikale Gravitationsbündelung!«, platzte es aus May raus. »Genial!«, hörte sie von anderer Seite. Erst jetzt wurde ihr klar, dass alle sie ansahen, aber zum ersten Mal nicht als das kleine Kind, sondern als gleichwertige Kollegin.


Der Jubel wurde durch eine Durchsage unterbrochen: »Kadett May in Konferenzraum 8 melden!« Konferenzraum 8! Das war auf dem Kommandodeck. Die anderen Kadetten hatten in den ersten Tagen nach ihrer Ankunft eine kleine Tour durch die Station bekommen und waren dabei auch auf dem Kommandodeck gewesen. Für May war das komplette Deck noch immer unbekannt. Klar, sie wusste zwar wo es war, aber dort gewesen war sie noch nie. »Eingang auf dem Kommandodeck!«, wurde sie nachdenklich. Das war der Konferenzraum überhaupt. Hier wurden die wirklich wichtigen Entscheidungen getroffen. Jemand öffnete die Lagerraumtür und May schlüpfte durch die auseinander driftenden Türelemente in den Gang. Schnell und ohne Verzögerung machte sie sich auf den Weg zum Lift. Was hatte das zu bedeuten? Warum sie? Weil sie so langsam war? Oder hatte sie einen Fehler gemacht und war raus? Eine Frage nach der anderen rauschte durch ihren Kopf, bis die Kabine sie wieder entließ.


Der Raum war rund und sie konnte durch die großen Panoramafenster fast die Hälfte der Station sehen. Schon beim Überblicken der Konsolen identifizierte sie einige anhand der in den Anleitungen abgebildeten Bedienfelder. Andere waren ihr von der Funktion her unbekannt. Auf der Seite hinter ihr waren keine Fenster nach draußen. Dort waren einige Türen und zwei Räume hinter Glas, die sich Symmetrisch ergänzten. Der Eine, so wusste May, war das Büro des aktiven Kommanders der Station und der Andere war ihr Ziel: »Konferenzraum 8« Andächtig umherschauend näherte sie sich ihrem Ziel. Hinter der Scheibe konnte sie Sab wild gestikulieren sehen und ihr fast immer geöffneter Mund ließ nichts Gutes vermuten, während Mergy ruhig auf seinem Terminal tippte. Der Rest des Kommandostabs schien ebenfalls ruhig in den Sesseln abzuwarten. Als sie den Knopf betätigte passierte erstmal nichts.


Mit etwas Verspätung öffnete sich die Tür. Mergy hatte noch schnell etwas zu Sab gesagt und die hatte sich hingesetzt, schien aber immer noch ziemlich sauer zu sein. »Setz' dich!«, gab Mergy freundlich zu verstehen und deutete auf den Platz am Ende des Tisches. May nahm platz. Der Sessel war angenehm weich, er schmiegte sich ihrem Körper an und anscheinend war er identisch mit dem an ihrem eigenen Schreibtisch. Das komplette Stationsdesign war generell sehr sparsam gestrickt. Dieser Umstand war May schon öfter aufgefallen. Wenn es einen Stuhl oder anderen Gegenstand gab, dann war er immer gleich und unterschied sich bestenfalls in der Farbe von anderen. Rechts und links vom Tisch waren noch einige Plätze frei.


Erst dann kamen jeweils links und rechts der Doc, Trish, Tin, Mergy und ihr direkt gegenüber Sab. Sie schaute wirklich gefährlich drein und war wohl von ihrem eigentlichen Platz um die Tischecke gerollt, um diese Gefahr noch besser und noch gezielter in Richtung May verströmen zu können. »Sab, würdest du jetzt bitte ruhig und sachlich dein Problem schildern!«, hörte sie Mergy sagen, ohne ihn sprechen zu sehen, da er zurückgelehnt in seinem Sessel saß und von einer der Schwestern verdeckt war.


»May, du hast betrogen und ich weis das!«, drang es über den Tisch und schlagartig drehten sich die Köpfe und blickten auf May, die gar nicht wusste wie ihr geschah. »Nein, habe ich nicht!«, wies May die Anschuldigung umgehend zurück. »Jetzt rede ich! Du redest nur wenn es dir erlaubt ist!«, blaffte Sab unfreundlich und böse mit den Augen funkelnd über den Tisch zurück. »Schauen wir doch mal!«, gab sie zu verstehen und zeigte eine Aufnahme die offensichtlich den Flug im Asteroidenfeld dokumentierte.


Ihr Gleiter machte mehrere schnelle aufeinanderfolgende Bewegungen um den holographischen Hindernissen auszuweichen. »Da, genau da und es gibt noch duzende anderer Fälle!«, deutete Sab auf den Schirm über ihrem Kopf. Was war da? Da war doch nichts? »Soll ich weiter machen?«, fragte Sab in den Raum und May hätte fast geantwortet, hielt sich aber zurück. »Ich sehe das Problem nicht!«, meldete sich Trish zu Wort. Oder war es Tin? »Ihr seht es nicht?«, fragte Sab erstaunt: »Dieses Flugmanöver ist technisch nicht möglich!« »Anscheinend doch!«, kam jetzt von Mergy. »Ja, weil der Computer genau wusste was passieren würde. Sie hat unseren Rechner angezapft um die genauen Flugbahnen der Objekte zu erfahren und daher war es möglich so präzise zu fliegen.«, trötete sie heraus.


May saß mit großen Augen nur da und verstand Bahnhof. »Wenn das Flugmanöver an sich unmöglich ist, wie kann der Computer es dann ausführen!«, fragte Mergy und May dachte nur: »Danke für diese Frage!« »Die minimale Zeit, die eine Umpolung der Antigravitationsgeneratoren in den Stabilisatoren der Flügel benötigt, plus die optimale Reaktionszeit eines Menschen ist immer größer als die Zeit, die hier benötigt wurde um die Richtung zu ändern. Diese Flugkurven können also nur aus dem Computer stammen.«, formulierte Sab ihren Todesstoß.


Die Ellenbogen aufsetzend lehnte sich Mergy nach vorne. »Gibt es noch andere Beweise?«, fragte er in einem für May ungewohnt ernsten Ton. »Das sollte ja wohl ausreichen!«, erwiderte Sab. May schluckte. Was passierte hier gerade? Mergy schaute zur Seite, vorbei an seinen Kollegen direkt in Mays Augen: »Ich bin wirklich enttäuscht!« May zog sich innerlich alles zusammen. Sie hatte nicht gemogelt. Er glaubte Sab und was noch schlimmer war: Er war enttäuscht von ihr! »Das ist wirklich das Letzte. Ich hätte von dir etwas besseres erwartet!«, fügte er hinzu. May saß wie erstarrt da und fühlte wie sich ihr Magen weiter zusammen zog und ihr die Luft abschnürte.


Mergy drehte seinen Kopf und schaute nun Sab an, die ein leicht fieses Lächeln aufgesetzt hatte und das Unwohlsein von May sichtlich genoss. »Seit ihrer Ankunft wolltest sie nicht auf der Station haben. Du hast nie einen Hehl daraus gemacht und nicht einmal versucht sie kennen zu lernen.« Mergy holte in der kurzen Pause deutlich Luft. »Jetzt versuchst du sie mit halbgaren Anschuldigungen fertig zu machen!«, wurde er abschließend richtig laut. Aber halt! Er verteidigte sie. Die Worte der Enttäuschung galten gar nicht ihr, sondern Sab. Jetzt war May endgültig verwirrt. Eben noch des Mogelns klar überführt zappelte sie jetzt offensichtlich wieder wild am Haken.


»Die Beweise sind eindeutig, da gibt es nichts daran zu beschönigen!«, gab Sab nur sauer von sich. »Wollen wir doch mal sehen was deine sogenannten Beweise Wert sind!«, erklärte Mergy und erhob sich von seinem Platz. Sab setzte sich und rollte siegessicher mit ihrem Stuhl um die Ecke des Tisches. »Jaque zeige den Beginn der Aufzeichnung.«, wies er an und man sah, wie May in den Gleiter stieg. Dann passierte einige Momente nichts und schließlich schrammte sie mit einer Drehung über den Boden des Hangars. »So sieht das aus wenn sie wirklich selbst fliegt!«, triumphierte Sab aus der Ecke. »Jetzt rede ich!«, fauchte Mergy sauer in den Raum. Er war richtig wütend und sein Gesicht schäumte vor Wut. Dann kam der zweite Start und May flog sauber und geschmeidig aus der Halle: »Stop! May warum klappte dieser Start oder andersherum gefragt warum ging der Erste schief?«


»Ich hab meine Konfiguration geladen, aber anscheinend waren die Stabilisatoren trotzdem aktiviert!«, gab May kurz und präzise Antwort. »Du meinst deaktiviert?«, fragte Mergy nach. »Nein, sie waren eingeschaltet.«, gab May zu verstehen: »Die Stören mich beim Fliegen! In meinen Einstellungen sind die immer abgestellt.« »Das ist doch Unfug! Niemand fliegt freiwillig ohne Stabilisatoren. Die meisten würden schon im Hangar zerschellen von einem kontrollierten Flug ganz zu schweigen.«, kam es wieder lautstark von Sab, die verdeckt hinter Trish saß. May selbst wusste aber immer noch nicht wer wer war. War es nun Trish oder Tin? »Jaque wären die von May ausgeführten Flugmanöver technisch und zeitlich möglich, wenn die Stabilisatoren abgeschaltet sind?«, fragte Mergy. »Selbst bei nicht optimalen Reaktionszeiten des Piloten sind bei abgeschalteten Stabilisatoren alle Flugkurven in der Aufzeichnung möglich.«, erklärte Jaque wie immer unsichtbar von der Decke.


»Jaque wie viele echte und simulierte Flugstunden hat May mit aktivierten Stabilisatoren ausgeführt?«, fragte Mergy weiter. »0.13 Stunden oder 7.83 Minuten.« erläuterte dieser. »Gibt es sonstige Beweise? Manipulationen am Kampfgleiter? Austausch von Informationen mit Station? Wurden die Simulationsdaten manipuliert oder angezapft?«, fragte er wieder Jaque und dieser verneinte. »Ist die Annahme von May richtig? Wird die Stabilisatorkonfiguration in der Simulation gespeichert, aber beim Einladen in einen echten Gleiter ignoriert?«, fragte Mergy. »Das ist eine Sicherheitsvorkehrung um versehentliches Starten ohne Stabilisatoren zu verhindern.«, bestätigte einer der Zwillinge. Das war offensichtlich Tin, denn sie kannte sich mit den Details der Technik aus.


»So wie ich das sehe, hat uns die junge Dame hier mächtig auflaufen lassen. Sie hat die Prüfung nicht nur bestanden, sondern auch noch unser komplettes Bewertungssystem gesprengt.«, finalisierte Mergy seine Verteidigung: »Zu alle dem ist sie ohne Stabilisatoren geflogen, was zumindest in den Start und Landeprüfungen normalerweise extra Punkte gibt. Jaque, was die Konfiguration der Stabilisatoren angeht, mache von jetzt an bitte eine Ausnahme für den Piloten May.« Jaque bestätigte seine Anweisung. »Du kannst jetzt zurück zu den Anderen gehen. Wir haben hier noch einiges zu besprechen!«, erklärte Mergy der immer noch leicht verwirrten May: »Gut gemacht!« Er lächelte und May machte sich erleichtert auf zur Tür. Sab saß in ihrem Sessel und war sichtlich angefressen. May konnte noch gar nicht begreifen was gerade passiert war. Erst im Lift fiel es ihr auf. Sie riss die Augen auf. »Pilot May.«, hatte Mergy gesagt und damit die eigentliche Entscheidung vorweg genommen.


Der frisch gebackene Kampfgleiterpilot hüpfte in der Kabine und tanzte zu den Lichtern, die in diesem Moment nur zu diesem Zweck an der Wand zu sein schienen. Die anderen Kadetten wollten natürlich wissen, was los gewesen sei. May wiegelte nur ab und meinte es wären noch einige Fragen offen gewesen. Geschlagene 30 Minuten dauerte es, bis die Ergebnisse auf den Schirmen auftauchten. Der ersten Euphorie und dem Gedränge folgte schlagartig Stille. Abermals blickten alle Anwesenden zu May, aber niemand sagte etwas. May stand erst jetzt von ihrem Stuhl auf. Sie kannte ihr Ergebnis ja schon mehr oder weniger und ging zur Tafel. Wie Noah das Meer teilte May die Menge auf dem Weg zu einem der Monitore.


Sie schaute auf die Grafik. Es gab zwei Kategorien unterteilt in Flug mit und ohne Stabilisatoren. May war die Einzige in ihrer Gruppe und ihr Name war grün. Sukis Name in der anderen Kategorie war ebenfalls grün hinterlegt. Sie hatte also auch bestanden. Weitere Informationen auf dem Schirm interessierten sie nicht. »Du fliegst ohne Stabs?«, war es wieder Suki, die als Erste das Wort erhob. »Jep!«, kam nicht zum ersten Mal die Miniaturversion einer Antwort aus Mays Munde. »Die Prüfungen sind offiziell beendet.«, schallte es durch den Raum und die Menge verteilte sich schnell wieder auf der Station. »Wie fliegst du ohne Stabs?«, bohrte Suki neugierig weiter. »Wie fliegt man mit?«, fragte May zurück und grinste.


An diesem Abend wurde gefeiert und May war mitten drin. Vergessen waren Altersunterschiede und unterschiedliche Tagespläne. Heute hatten sie gemeinsam ihre Aufgaben gemeistert und waren alle gleich. Es war weit nach 3 Uhr in der Nacht, als May mit einem Lächeln in ihrer Koje einschlief.

Mission erfolgreich abgeschlossen

Am nächsten Morgen war es ruhig auf der Station. Trotz des langen Vortages war May schon gegen 9 Uhr bei Sor. Viele Kadetten würden es wohl nicht zum Frühstück schaffen und da die Feierlichkeiten offiziell abgesegnet waren und der Tag für alle frei war, gab es auch keinen Grund sich zu beeilen. Viele der neuen Piloten waren wohl noch deutlich länger auf der Feier geblieben. May saß alleine am Tisch und rührte in ihrem Tee. Sor werkelte hinter seinem Tresen. Diese lustige Gestalt war irgendwie immer beschäftigt und May fragte sich was er eigentlich die ganze Zeit machte. Es gab doch kein Geschirr zu reinigen und die Tische waren sauber. Trotzdem wuselte er hinter dem Tresen als stände er in einem Berg von Arbeit. May bemerkte nicht, dass sie Gesellschaft bekam.


Es waren die Kommandozwillinge, die plötzlich von der Seite fragten ob sie sich setzen dürften. May nickte erstaunt. Sie hätten sich überall hinsetzen können, aber sie kamen zu ihr. »Ist das euer Tisch? Soll ich gehen?«, fragte sie erschrocken, während ihre Augen zwischen den identischen Gesichtern hin und herwechselten. »Nein, wir haben keinen speziellen Tisch.«, gab eine der Beiden zu verstehen. »Du versuchst gerade einen Unterschied zu finden, richtig?«, fragte die Andere. »Ja, tut mir leid!«, entschuldigte May sich erneut. Beide lachten: »Das passiert uns ständig! Einzig Mergy kann uns auseinanderhalten. Wir haben ihn schon öfter auf die Probe gestellt. Er hat es immer gemerkt.«, erläuterten sie. May grinste immer noch etwas verlegen und nahm einen weiteren Schluck aus ihrer Tasse.


»Ich bin Trish und sie ist Tin! Du hast es ja gestern richtig krachen lassen!« »Ja,«, fügte Tin hinzu: »Du warst unglaublich. Sabs Gesicht war gut also du die Wand durchbrochen und ihre unlösbare Aufgabe gelöst hast.« »Und ich hab alles verpasst und mache mir auch noch Sorgen, weil du so lange brauchst.«, lachte Trish: »Wie fliegt man ohne Stabilisatoren? Mergy bekommt gerade mal so keine Bruchlandung hin, aber du fliegst besser als alle anderen Piloten mit der Flughilfe.« May überlegte. »Keine Ahnung, ich fühle irgendwie wie ich fliegen muss.«, erläuterte May schließlich dem gespannten Publikum. »Ah, bevor wir das noch vergessen: Mergy erwartet dich um Punkt 12 Uhr im Hangardeck 2.«, merkte Tin an. Sor brachte ihnen das Frühstück und die drei plauderten über alles mögliche. Ganz ungezwungen und so als wenn sie sich schon ewig kannten.


Obwohl May als Erste am Tisch saß, gingen die Beiden vor ihr. »Das war schön!«, dachte sie und fühlte sich auch hier zum ersten Mal richtig akzeptiert. Es war ja nicht so, als wenn Tin und Trish sie schlechter behandelt hätten als andere, aber eine gewisse Distanz gab es dennoch. Sie hatten auch nicht gesagt was Mergy von ihr wollte. Noch eine Prüfung? Oder wollte er wissen wie man ohne Stabs fliegt? »Stabs«, dachte sie: »Lustige Abkürzung.« May machte keine Anstalten sich auch nur minimal zu bewegen. Die Anderen hatten in ihren Betten gelegen, da war es ja wohl ihr Recht am Tisch zu sitzen.


Ein paar Neupiloten kamen jetzt auch in Gruppen einmarschiert. Zwei fragten sogar ob sie sich zu ihr setzen dürften und May ließ es zu. Das war auch noch nie da gewesen. Wie Trish und Tin gingen auch sie jetzt respektvoller mit ihr um. Sie hatte ihnen gezeigt was man erreichen kann und hatte sie alle übertrumpft. May wollte aber nie damit prahlen oder protzen. Sie wollte den Respekt der anderen Kollegen und abgesehen von Sab schienen ihr diesen auch alle zu zollen. Sie unterhielt sich ausgiebig und es wurden Tipps und Wissen ausgetauscht. Unbemerkt verronnen die Stunden so schnell wie schon lange nicht mehr. Die frisch gebackene Pilotin schaute auf das große Display an der Säule direkt neben sich. »Oh, schon 11:50. Ich muss los!«, gab sie zu verstehen und wünschte noch einen schönen Tag. Verdutzt ließ sie die beiden Kameraden zurück, die sich fragten welchen Termin sie an einem freien Tag wohl haben könnte.


Im Lift zupfte sie sich ihr lila Kleid zurecht. Sie hatte bisher nicht oft Kleider getragen. Dieses war eigentlich von der Stange, wie Suki die von Jaque erstellte Einheitskleidung meinte, aber May hatte am Computer einige Änderungen vorgenommen. Der Saum war nicht gerade, sondern lag links unter ihrem Knie und rechts deutlich darüber. Suki hatte es super gefallen und meinte es wäre ein Hingucker. Etwas nervös stand May nun vor dem breiten Tor. Erneut prüfte sie ihr Kleid und die Haare. Dann öffnete sie die Tür. Mergy stand in einer seltsamen Pose mitten im Raum. Es sah regelrecht unnatürlich aus wie der da stand. »Na, was sagst du?«, fragte er. »Wozu?«, fragte May zurück. »Na, dazu!«, sagte Mergy und deutete nach hinten. May schaute ihn fragend an und Mergy drehte sich um. »Verdammt! Vergessen!«


Die Luft hinter ihm begann zu Wabern und ein Lilafarbener Kampfgleiter erschien. Sie hatte zwar schon mit der Gleitertarnung gearbeitet, aber wirklich von außerhalb und in Aktion hatte sie diese Technologie noch nie gesehen. »Mir gefällt dein Design!«, gab Mergy zu verstehen. May hatte mit Jaques Hilfe in einigen Pausen herumexperimentiert und eine lilafarbene Gleiterlackierung erfunden. Mitten auf der Ladeluke, genau wo bei Mergy die Eins stand, hatte ihre Version einen Mädchenkopf mit großen Kulleraugen und frechem Grinsen im Mangastil. Auf den Türen und unten war das gleiche Motiv. Nur kleiner. Ein paar hellere Streifen zogen sich seitlich dezent über den Gleiter nach hinten.


»Nachdem ich so versagt und dich nicht wirklich unterstützt habe, dachte ich du würdest dich über den Ersten freuen.«, gab er zu verstehen. »Den Ersten?«, dachte May: »Es gab doch schon viele dutzend Gleiter!« »Den Ersten?«, formulierte sie die Frage schließlich laut. May öffnete die Klappe am Heck und sah auf zwei Kleine und einen größeren Reaktorwürfel in der Mitte. Es dämmerte ihr. Sie senkte die Klappe, an der immer noch ihre Hand klebte und laß die Schrift »MK VI«. Das war das neuste Kampfgleitermodell. Das von dem Suki so geschwärmt hatte. Ungläubig schaute May Mergy an. Dieser gab nur ein »Geh' mir da draußen nicht verloren!« von sich und marschierte Richtung Tür. »Ich darf damit fliegen?«, fragte May jetzt noch unsicherer. »Klar, halte dich aber an die Tarn und die sonstigen Regeln. Viel Spaß.«, sagte er noch und verschwand. »Mein Kampfgleiter!«, sagte sie und streichelte ihn wie ein Baby.


Sie setzte sich hinein und strich über die Armaturen. Dann schloss sie die Tür und aktivierte das Gefährt. »May an Obs, erbitte Starterlaubnis.«, verkündete sie mit dem Finger auf dem Sendeknopf oben am Steuer. May zuckte kurz zusammen. Sie vernahm Sabs Stimme am anderen Ende, die in neutralem Ton den Start freigab, was nach dem gestrigen Tag noch seltsamer wirkte. Sanft hob sie ab, fuhr die Stalks ein. Ohne Hast verließ sie die Station, aktivierte die Tarnung und setzte Kurs auf die Erde. Sie hatte diese blaue Kugel in den letzten 10 Monaten vermisst. Das wurde ihr aber erst jetzt wirklich bewusst. Sie tauchte in die Atmosphäre ein und glitt ruhig über dem Himmel.


Ihr Weg kreuzte einen Jumbo. Sie konnte die Menschen hinter den Fenstern deutlich sehen. Umgekehrt war das wegen der Tarnung natürlich nicht möglich. Stundenlang ging es im Tiefflug über das Meer und dann gleich wieder Steil nach Oben über die höchsten Berge. Unzählige Male ließ sie den Gleiter tanzen. Als die das Morgengrauen eingeholt hatte erhaschte eine große Stadt ihre Aufmerksamkeit und langsam sank sie zwischen die Häuser hinunter. Menschen kauften ein und hetzten durch die verstopften Straßen. »New York, USA« zeigte ihr der Computer an. Hier war es noch früh am Morgen. Sie war noch nie in Amerika gewesen und jetzt konnte sie in wenigen Minuten an jeden Ort der Welt reisen.


»Das Orakel meldet ein Feuer.« »Ich mache mich auf den Weg. Wieviel Zeit habe ich?«, fragte Mergy auf dem Kommandostand. »Zwei Minuten« »Zwei? Soll das ein Witz sein? Was denkt es sich? So schnell komme ich da nie hinunter und wir haben noch keine Gleiter im Einsatz.«, maulte Mergy der unmöglichen Aufgabe entgegen. »Einen haben wir!«, merkte Sab an und deutete auf den Schirm, der Mays Gleiter nur wenige Kilometer vom Unglücksort zeigte. Jetzt und zum ersten Mal war es Sab, die die Augenbrauen und die Mundwinkel hochzog und durch leichte Drehung andeutete, dass May diese Aufgabe übernehmen könnte. Mergy nickte: »Ray Team One an May! Wir hätten hier einen Auftrag für dich! Bereit?« May schluckte als die Worte von Mergy vernahm. »Ja, bin ich!«, gab sie leicht unsicher zu verstehen. »Den neuen Chip und die Linsen hast du?«, fragte Mergy nach. Instinktiv spürte May den stechenden Schmerz, den ihr der Doc noch vorgestern verpasst hatte. Der neue Chip war leistungsfähiger als der Alte und konnte den Körper sogar mit einem Schutzschild umhüllen. Mergy hatte ihn schon ausgiebig getestet. Das war der Grund warum die Kugeln der Verbrecher damals einfach von ihm abprallten. Die Kontaktlinsen erlaubten diverse mehr oder weniger sinnvolle Spielereien.


»Tarnmodus für den Einsatz abschalten! Mach' uns Stolz.«, gab er zu verstehen. May lächelte und wurde schlagartig nachdenklich. Ohne Tarnung hatte er gesagt. Das hatte es am helllichten Tag noch nie gegeben. »Ohne Tarnung?«, fragte Sab ebenfalls nach. »Es wird Zeit, dass die Welt offiziell von uns erfährt! Wenn in den nächsten Wochen dutzende Gleiter um den Planeten herumfliegen, können wir sie sowieso nicht mehr verstecken.«, erklärte Mergy: »Und wer ist dafür besser geeignet als ein unscheinbares Mädchen, welches gerade Menschenleben gerettet hat!« May schaltete die Tarnung ab und steuerte das Ziel an. Sie sah die Flammen aus einem Haus kommen und Feuerwehrleute brachten ein paar Leute aus dem Gebäude. Durch die Sensoren hörte sie wie eine Frau nach ihrem Kind schrie und sich gegen die Einsatzkräfte wehrte, die sie daran hinderten zurück in das Gebäude zu laufen. Jetzt war May dran. Jetzt war sie der Retter in der Not. Sie war jetzt der Ritter mit seinem Drachen.


Mit Maximallautstärke entfesselte sie den Schrei über der Stadt und ging in den Sinkflug. Ein paar Menschen hatten ihren Gleiter bereits entdeckt und zeigten in den Himmel. Erneut ließ sie ein Brüllen über ihren Köpfen erschallen. Jeder sollte sich dieses markante Geräusch einprägen. Ein Scan des Gebäudes zeigte die Signatur eines kleinen Menschen im Gebäude. »Auf optische Steuerung umschalten!«, wies sie an und kontrollierte den Gleiter jetzt über die Kontaktlinsen in ihren Augen. Für Kunstflug und Asteroidenfelder reichten ihre Fähigkeiten mit dem optischen Interface bei weitem nicht aus, aber hierfür reichte es allemal. Sie stieg im Flug durch die Luke im Dach nach draußen während sich ihr Gleiter in 12 Metern Höhe über den Köpfen der staunenden Menschen dem brennenden Haus näherte. Auf der vorderen Ladeluke stehend wartete sie auf den richtigen Moment und sprang auf einen der Fenstersimse hinüber. Im Innern loderte das heiße Feuer. Mit einem Faustschlag schlug sie die beiden Fensterhälften auf und ein Feuerball, durch die einströmende Luft geschürt, umschloss May für einige Momente komplett. Dann war sie weg.


Die Menschen auf der Straße kreischten. Das konnte niemand unbeschadet überstanden haben. May war im Inneren allerdings wohlauf und der neue Körperschild funktionierte tadellos. Der Rauch machte ihr genauso wenig etwas aus wie das Feuer und die Hitze. Sie konnte kein Kind finden, aber hier musste eins sein. Sie schloss ihre Augen und lauschte konzentriert, wie sie es schon immer gemacht hatte. Aber etwas behinderte sie. Das Knistern und Rumpeln des Feuers blendete sie gedanklich aus, aber etwas war anders als sonst. »Der Schild!«, fiel es ihr ein und sie nutzte die Kontaktlinsen, um ihn, nach ein paar rauchfreien Atemzügen, abzuschalten. »Links!«, stieß der Pilot aus, als leichtes Wimmern ihr Ohr erreichte. Sie riss eine Schranktür auf und ein kleines Mädchen kauerte wimmernd im untersten Fach. May reichte ihr lächelnd die Hand und das Mädchen griff zu. Die Kleine war maximal 4 Jahre alt. Es gab nicht viel Zeit zu verschnaufen, denn ein Zischen, gefolgt von einen gewaltigen Knall, ließ das Gebäude erzittern. May schützte das Mädchen mit ihrem Körper und dem Schild, während sich eine Feuerwalze mit Donnern Richtung Fenster bewegte und draußen zu einem erneuten Aufschrei der Menschen führte.


Im Kontrollzentrum war die Lage angespannt. Niemand wagte auch nur einen Blick vom Schirm zu nehmen. Dabei gab es nichts zu sehen außer einem markieren Einsatzort und einem Gleitersymbol auf dem Stadtplan der Stadt. Der Druck der Explosion drückte einige Teile der Fassade aus ihrer Position und selbst der Kampfgleiter bewegte sich durch die Druckwelle leicht vom Gebäude weg. Die Menschen auf der Straße kreischten. Einige gerieten in Panik und rannten einfach kopflos die Straße herunter. »Keine Angst!«, sagte May zu dem zitternden Bündel, das sich vor sie kauerte. Die Kleine vor sich an den Bauch klammernd rannte May zur eingestürzten Fensterfront, durch die sie selbst eingedrungen war. Mit ihren Augen dirigierte sie den Gleiter zu einem der anderen, jetzt glaslosen, Fenster und wieder dichter heran, während sie sich mit einem Fuß auf der Fensterbank abstieß. Mit einem Rums landete sie zusammen mit ihrem Paket auf dem Ziel. »Alles ok?«, fragte May das Mädchen während sich der Kampfgleiter langsam drehend auf Straßenhöhe senkte. Das Mädchen nickte und fragte nach ihrer Mama. May sprang mit ihrem Anhängsel auf die Straße. Der Gleiter erhob sich hinter ihr sanft und glitt mit leisem Fauchen über die immer noch staunende Menge hinweg.


Eine Frau griff nach dem Mädchen und die Kleine bestätigte, dass es sich um ihre Mutter handelte, indem sie die Geste mit ausgestreckten Armen erwiderte. »Lassen sie sie untersuchen, sie hat viel Rauch eingeatmet!«, empfahl May und die Mutter nickte. Ein von Herzen kommendes »Danke« vernahm May noch bevor sie sich umdrehte. »Wer bist du?«, fragte die Frau als May gerade loslaufen wollte. May drehte ihren Oberkörper um 90 Grad nach hinten und den Rest erledigte sie mit dem Kopf: »Ich bin May!« Dann rannte sie los, direkt auf eine Laterne zu. Mit drei großen Schritten war sie fasst oben angekommen, als der Druck durch ihren Anlauf nachließ. Fest stieß sie sich von dem Mast ab.


Die Laterne wackelte heftig, als sich ihre Füße entfernten. Mit einer Rolle in der Luft landete sie mittig auf dem Gesicht des Mädchenkopfes, der die Ladeluke ihres Gleiters, den sie über der Menge gedreht hatte, verzierte. Wie auf einem Surfbrett stand sie vorne darauf. Den Flieger nach oben ziehend stieg sie durch die Dachöffnung ins Innere und ließ noch einmal den Mark erschütternden Schrei über der Menge ab, bevor sie den Gleiter mit einem lauten Knall auf Überschall brachte und außerhalb der Sichtweite in den Wolken die Tarnung reaktivierte. Einen Augenblick lang fragte sie sich ob das gerade wirklich passiert war oder ob das nur ein Traum gewesen war. Es war kein Traum. Es war echt. »May an Ray Team One! Mission erfolgreich abgeschlossen«, verkündete sie. »Verstanden!«, hörte sie wenige Momente später Sab sagen nicht ahnend, dass nicht nur auf der Straße gejubelt wurde.


»Kommst du zurück?«, fragte Mergy wenige Momente später. »Noch nicht. Ich muss noch eine Sache erledigen!«, erwiderte May und nahm Kurs auf den Mond. Sie drückte den Geschwindigkeitswahlhebel in der Mittelkonsole nach ganz vorne und trat das Pedal voll durch. Da der Flug würde selbst bei Höchstgeschwindigkeit eine Weile dauerte, aktivierte sie den Autopiloten und dachte zurück. Sie hatte das kleine Mädchen gerettet. Die Menschen auf der Straße hatten sie gesehen, sie hatten gejubelt. Sie war nicht mehr May, das dumme kleine Kind. Sie hatte jetzt eine Aufgabe. Die Menschen zu beschützen und das Böse zu bekämpfen. Heute hatte sie damit angefangen. Ja, das hatte sie. Mehr als ihr in diesem Moment selbst bewußt war.


Dank allgegenwärtiger Kameras und Mobiltelefone hatten die Menschen auf der Straße Bilder und Filme von den Ereignissen gemacht und die Sensation war perfekt. Alle Nachrichtensender zeigten die Aufzeichnungen und kommentierten sie mit ihrem Halbwissen. Auch die Kadetten und Piloten auf der Station hatten diese Neuigkeit schnell mitbekommen. May war auf jedem Fernsehsender zu sehen und wenn nicht, dann wurde zumindest in einer Laufschrift erwähnt das im Anschluss eine Sondersendung laufen werde. In wenigen Minuten waren die Bilder auf der ganzen Welt zu sehen. Die Nachricht machte daher auch auf der Station schnell die Runde. Man sah wie May in das Gebäude sprang, wie der Gleiter vor dem Haus schwebte und ihr Abgang am Ende war zu sehen. In verschiedenen Perspektiven. Besonders oft wurde eine Stelle wiederholt. May drehte sich in die Kamera, die wohl hinter der Mutter platziert gewesen war und sagte mit einem Grinsen: »Ich bin May!«, bevor sie mit der Zirkusnummer an der Laterne verschwand. Über eins waren sich alle einig. May hatte es wirklich drauf. Suki betrachtete als einzige die Stimmung mit Skepsis. Viele ihrer Kollegen rühmten sich sie zu kennen und sonnten sich in ihrem Glanz, aber bisher kannten sie May nicht wirklich. Niemand hatte sich bisher wirklich für sie interessiert.


May setzte sanft auf der Mondoberfläche auf und öffnete die Tür. Die Gravitation war nicht so stark wie auf der Erde und so hüpfte sie federleicht nur von einem hauchdünnen Schild umgeben über den staubigen Boden. Ein runder löchriger Stein mit großen Poren fiel in ihr Blickfeld. May löste ihn aus dem Grund: »Hab dich!« Als sie sich umdrehte hatte sie ein Problem. Sie schaute einmal mehr im Kreis, aber ihr Gleiter war weg. »Argh, ich hab die Tarnung angelassen!«, war sie sauer auf ihre eigene Doofheit. Wie ein Blinder fühlte sie eine ganze Weile nach dem vermeintlichen Hindernis. Sie klatschte sich auf die Stirn: »Gut das das jetzt niemand gesehen hat! FG6001 - Tarnung abschalten!«, rief sie, als wenn sie schreien müsste, was ohne Luft auf dem Mond sowieso nicht funktionieren würde. Aber es funktionierte dank Kommunikationssystem und Körperschild trotzdem.


Der Gleiter wurde sichtbar und May aktivierte die Tarnung sofort wieder. Den Stein packte sie auf den zweiten Sitz neben sich und sanft erhob sich das kleine Raumschiff erneut in das dunkle All, um nur wenig später mit Maximalgeschwindigkeit zurück zur Station zu rasen. Dort hatte man neben der guten Nachricht auch andere Probleme. »Wir haben ein Loch!«, hörte Mergy Sab sagen und fragte nach: »Wie bitte?« »Wir haben ein Loch und verlieren Luft!«, gab diese zu verstehen. »Weltraummäuse?«, fragte Mergy nach und Sab erläuterte, sie würde seit der Reparatur des Außenrings den Luftdruck und die Luftmenge prüfen. Erst war nur es wenig Sauerstoff, der aus der Station entwich, aber mittlerweile war die Menge deutlich angestiegen, was auf eine potentiell wachsene Gefahrenquelle hindeutete. »Vielleicht füllt die jemand in Dosen ab und verkauft sie auf dem Schwarzmarkt!«, witzelte Mergy weiter.


»Das ist nicht lustig, die Statik ist beschädigt. Das Loch wird größer. Wir könnten auseinander reissen!«, versuchte sie ernst zu bleiben, aber Mergy war nicht zu halten: »Mich reist es jetzt schon auseinander!« Sab ließ sich mitreissen und schließlich brach zum ersten Mal seit langem eine fröhliche Stimmung über das Kommandodeck. »Was ist den hier los?«, fragte Tin, die gerade mit Trish aus dem Lift kam. »Wir - Wir - Wir sind nicht ganz dicht!«, prustete Sab raus. »Das sehen wir!«, kommentierte auch Trish die Situation und die beiden waren auch angesteckt. »Ah, ah, das tat gut!«, sagte Sab, die sich gerade ein wenig unter Kontrolle bekam. »Ja, wir dürfen auch mal Spaß haben!«, verteidigte sie sich sofort. »Naja, wir haben öfter mal Spaß nur bei dir kommt das nie wirklich komisch 'rüber!«, witzelte Trish: »Warum sind wir undicht?«


»Wahrscheinlich hat die Explosion des Labors ein Sektionselement verzogen und es hat sich ein Riss gebildet.«, erläuterte Sab. »Das ist doch ewig her. Sicher das es nicht die offenen Landedecks sind?«, hinterfragte Mergy die Lage. »Ich versuche mal die Position zu bestimmen.«, gab Sab zu verstehen und aktivierte die Stationskommunikation: »An das Personal! In 30 Sekunden werden alle Räume für einen Moment versiegelt um eine Druckprüfung auf der gesamten Station durchzuführen.« »Gute Idee, so sollten wir schnell ermitteln können wo uns die Luft ausgeht.«, gab Mergy zu verstehen. »Initiiere Türverriegelungen.«, sprach Sab noch aus und man hörte auf der gesamten Station die Haltebolzen in die Türen schnappen. »Innerer Ring, unteres Versorgungsdeck.«, merkte Sab bereits nach einigen Sekunden an: »Sektion 3!« Mit einem Rumpeln lösten sich die Bolzen wieder und gaben die Türen frei. »Ich sende einen Sparx.«, erklärte Mergy, aber Sab wiegelte ab: »Nicht nötig.« »May an Ray Team One erbitte um Landeerlaubnis!«, tönte es fast Zeitgleich aus der Flugleitstelle. Sab klinkte sich ein: »Abgelehnt. Wir haben ein Leck an der Außenhülle und benötigen visuelle Bestätigung. Innerer Ring, unteres Versorgungsdeck, Sektion 3« »Verstanden!«, antwortete May und änderte gekonnt mir einer wilden Rotation die Richtung.


Das Versorgungsdeck lag direkt unter den Quartieren der Mannschaft, so blieb es nicht aus, das einige der anderen Piloten an den Fenstern den Anflug des lila Drachens bemerkten. Sie gaben Winkzeichen, aber May war fest auf ihre neue Aufgabe eingestellt und beachtete sie nicht weiter. Sie fuhr die Flügel des Gleiters ein. Neben ihrer Funktion als Waffenträger wurden sie sowieso nur für die Stabilisatoren benötigt und die waren ja nicht in Betrieb. So konnte sie deutlich dichter an die Station heran fliegen. »Abtastung läuft! Sende Daten.«, war aus dem Funk zu hören und Bilder über die Schäden trafen ein. Mergy war verblüfft wie gut der Scan war: »May wie dicht bist du an der Station?«, fragte er. »Etwa 10 Millimeter. Dichter würde ich nur empfehlen wenn die Stationsrotation deaktiviert wird. Die ist tricky.«, bekam er die Antwort, die er fast erwartet hatte.


»Das wird nicht nötig sein. Landeerlaubnis für Landebucht zwei.«, wies er an und May bestätigte. Langsam bewegte sie den Gleiter rückwärts von der Station weg und zog direkt an den Quartierfenstern nach oben, drehte parallel zu den Fenstern ein, winkte noch kurz den Zuschauern und mit einer Rotation und einem beherzten Tritt aufs Gas schoss sie außer Sichtweite. Eine Schleife später setzte sie dann sanft im Hangar auf. Fast hätte sie in der Aufregung ihren Stein auf dem Sitz vergessen, aber der kam auch noch mit. »Puh, ist der Schwer!«, dachte May. Auf dem Mond war er wegen der geringeren Schwerkraft natürlich noch deutlich leichter gewesen. Sie ließ es sich nicht nehmen zuzusehen wie der Kran ihren funkelnagelneuen Gleiter mit dem Lichtstrahl packte und in eine der Parkboxen schob. Mit einem Lächeln verabschiedete sie sich von ihrem neuen Gefährt und machte sich auf den Weg nach Hause. Ja, das war es wirklich. Sie hatte ein neues Zuhause und eine Aufgabe gefunden, die sie liebte.


In ihrer Wohnung angekommen stellte sie den Stein auf den Schrank neben der Eingangstür. Ihr erstes persönliches Element überhaupt. Sie trat zurück und betrachtete das Bild mit einem Lächeln. Sie war auf dem Mond gewesen und hatte den Mondstein geholt. Genau wie sie es vor vielen Jahren ihrem Vater versprochen hatte.

Sturmkriegerin

In den nächsten Monaten setzte der Regelbetrieb ein und die Gleiter waren schon bald ein gern gesehener Anblick auf dem Planeten. Meistens reichte schon ein Schrei der Gleiter und die Wirkung war wie gewünscht. Wie von Mergy beabsichtigt wurde es ein Zeichen das allgegenwärtig wurde. Tausende Menschen verdankten ihnen schon ihr Leben. Einige Länder weigerten sich offiziell die Gleiter in ihrem Luftraum zu dulden, hatten aber keine große Wahl, denn dank der Tarnung waren sie nicht auszumachen und das Radar zeigte sie selbst im sichtbaren Modus nicht an. Außerdem waren es die Menschen, die dem Team das Vertrauen schenkten und die Regierungen der meisten Länder wurden von ihnen gestellt.


Die Station war immer noch im Tarnmodus. Selbst die Vermutung, die Basis wäre im All stationiert, kam auf der Erde gar nicht auf. Die Gleiter verschwanden immer auf den Weltmeeren und änderten mehrfach den Kurs bevor sie senkrecht und getarnt in den Orbit vorstießen. In den Medien wurde das Ray Team wie Helden gefeiert, aber auch kontrovers diskutiert. Einige Länder fürchteten sich vor der Macht, die mit den Gleitern über ihr Land kam. Das war Mergy und seinem Team schon im Vorfeld bewusst und darum hatten sie Piloten aus aller Welt ausgesucht, deren Namen und Nationalkennzeichen an jedem Gleiter leuchteten.


Auch dieser Morgen schien wie jeder andere zu sein. Erst um 14 Uhr hatte May selbst Dienst und würde in vorgegebenen Sektoren der Erde kreisen, um bereit zu sein, wenn das Orakel wieder eine seiner Prophezeiung aussprach oder man aus anderen Quellen Notsignale empfing. Das Orakel war immer noch ein unerklärliches Mysterium. Das Kommando hatte es wohl auch aufgegeben nach dem Grund für seine Weissagungen zu suchen. Alle Angaben hatten bisher gestimmt, wenn sie auch teilweise sehr kryptisch waren und oft viel Raum für Spekulationen ließen. Aber an diesem Morgen kam es anders. Eine Nachricht des Orakels wies auf ein bevorstehendes starkes Beben inmitten des Ozeans hin.


Jaque erkannte schnell, dass sich hier ein Tsunami anbahnte und das Ray Team warnte offiziell die Regierungen der betroffenen Länder. Die Regierungen selbst aber reagierten nicht. Ihre Wissenschaftler und deren Sonden, hatten keinerlei Anzeichen für ein Seebeben gefunden. Wie sollten sie auch? Es war ja noch nicht passiert. Aber die Zeit war knapp. »An alle Piloten! Sofort auf den Hangardecks antreten! Das ist keine Übung!«, hörte man Mergy auf der ganzen Station über die Lautsprecher und sofort begann reges Treiben auf der gesamten Station. Im Sekundentakt schossen Gleiter aus den Landebuchten. Über 200 Flieger waren in der Luft. Selbst Mergy und der Rest der Kommandocrew saßen in ihren Maschinen. Einzig Jaque blieb auf der Station und regelte den Flugbetrieb.


Bisher hatte man auf der Erde maximal zwei oder drei der futuristischen Gleiter gleichzeitig gesehen, aber diese Masse kam einer Invasion gleich. Mergy erläuterte, es gäbe eine etwa 250 km lange Küstenregion, die von einem Tsunami heimgesucht werden würde. May fiel mit ihrem Gleiter schlagartig zurück und verließ die Formation. Die Gleiter hinter ihr mussten wilde Ausweichmanöver fliegen um einen Zusammenstoß mit ihr zu vermeiden. May zitterte am ganzen Körper. Es passierte erneut. Über die Kommunikation hörte sie Mergy und Sab nach ihr rufen, ihr Befehle erteilen, aber sie reagierte nicht und verdrängte die Laute.


Bilder und Töne aus längst vergangenen Tagen schossen ihr durch den Kopf. Sie war mit ihrem Vater an seinem Boot gewesen und dann verschwand das Meer. Alle hatten erstaunt geschaut und keiner wusste genau was da gerade passierte. Dann kam sie. Eine riesige Welle stieg am Horizont auf. »Lauf!«, hatte sie ihren Vater noch gehört und seinen Anweisungen folge geleistet. Schließlich wurde sie vom Wasser erfasst, von den Beinen gerissen und ins offene Meer gesaugt. Mehrere Stunden hatte May um ihr Leben gepaddelt und schließlich fand sie an einem Baumstamm halt. Es dauerte zwei Tage, bis jemand sie fand und aus dem Wasser zog. Alles war weg. Das Dorf, ihre Familie und alle Menschen, die sie kannte, wurden damals ausgelöscht und vom Meer verschluckt. Zu jener Zeit war sie neun Jahre alt und jetzt wiederholte sich das Spiel.


»May was ist los?«, hörte sie erneut Mergys Stimme leise durch den Gedankenfluss hindurch. »Nein, nicht noch einmal!«, schoss es ihr durch den Kopf. Sie drehte und steuerte zurück zur Station wo sie ihren Gleiter unsanft auf dem Deck absetzte und sich in eine Ecke der riesigen und aktuell sehr leeren Halle verzog. Auf dem Deck hörte sie die Einsatzbefehle, die aus der Kommunikation ihres immer noch offenen Gleiters kamen. Mergy und die Gleiter formierten eine Wand zwischen Landmasse und Wasser. Die Schutzschilde sollten zu einer Art weichen Wand aufgestellt werden und die Energie des aufprallenden Wassers absorbieren und zerstreuen.


May saß nur da und zitterte. Sie war unfähig auch nur einen klaren Gedanken fassen. Doch ein Funkspruch riss sie aus den Gedanken: »Was ist mit der Insel? Da sind Menschen! Da sind spielende Kinder!« »Wir haben nicht genug Gleiter um auch noch alle Inseln zu schützen. Wir können leider nicht jeden retten!«, hörte sie Mergy sagen. »Wenn man etwas wirklich will, dann schafft man das auch! Dazu muss man sich nur anstrengen und sich richtig Mühe geben.«, hörte sie die Stimme ihres Vater laut und kräftig durch die wirren Gedanken hindurch. May schaute sich um. Sie war alleine in dem riesigen Raum, der ohne die vielen Gleiter in den Regalen noch viel größer und viel leerer wirkte. Es war als hätte ihr Vater direkt neben ihr gestanden und ihr den Mut zugesprochen, den sie brauchte, um sich erneut dem Wasser zu stellen. Sie atmete schwer, aber schließlich sprang sie zurück in ihren Gleiter und startete. Mit Maximalgeschwindigkeit rammte sie die Luftschicht des Planeten und die Reibung ließ trotz Tarnung den Schild des Gleiters in gleißendem Feuer aufleuchten. Mit unveränderter Geschwindigkeit nahm May Kurs auf die im Funkverkehr erwähnte Insel.


Das Wasser zog sich an der Küste gerade zurück, als sie aus ihren Gleiter sprang und den Strand entlang lief. »Lauft!«, schrie sie, wie es ihr Vater damals schon getan hatte. Ferngesteuert aktivierte sie alle Reaktoren ihres kleinen Raumschiffs und ließ die Schilde ausfahren, genauso wie Mergy es von den anderen verlangt hatte. Wie erwartet und von Mergy bereits verkündet reichte es nicht um die ganze Insel zu schützen. May ließ den Gleiter die Schilddichte weiter senken. Es machte nichts wenn das Wasser durchrinnen konnte, solange er nur die Wucht des Aufpralls abfing. Aber es fehlte immer noch Schutz für mehrere Kilometer Ufergebiet. May rannte unbeirrt den ungeschützten Teil des Strandes entlang, während sich bereits am Horizont die geballte Kraft des Todes formierte, die sie schon einmal heimgesucht hatte. Einige Kinder spielten immer noch am Strand. May sah beim Vorbeirennen, wie sie sie fröhlich und interessiert anlachten. Die Kinder hatten keine Ahnung was für eine Hölle gleich über sie hereinbrechen würde. May stoppte und drehte sich um.


Der Gleiter war in Position. Sein Pilot drehte sich zum Meer. »Wenn du die Insel willst, musst du erst an mir vorbei!«, schrie sie der Welle entgegen, die unaufhörlich und böse grollend auf sie zu rollte, während sie jetzt auch Schreie im Hintergrund hörte. Mit ihren Linsen stellte sie den eigenen Schild um. Er umschloss nun nicht mehr ihren Körper sondern bildete Seinerseits eine kleine Schutzwand an ihrer Seite. Dann streckte May die Arme aus, holte tief Luft und schloss ihre Augen. Es war als könnte sie die Insel immer noch sehen. Sie legte ihr ganzes Gefühl, ihre ganze Kraft in die Vorstellung eines Schutzschildes, den es nicht gab. Dann war das Wasser da! Es schlug mit aller Kraft auf. May spürte wie die Gewalt des Meeres an ihr zerrte, aber sie wurde nicht nass. »Arrrrrrrrr!«, schrie sie und ihr Körper zitterte, während sie den Kontakt zum Boden verlor. Sie konnte den Strand nicht mehr unter ihren Füßen spüren, aber sie gab nicht auf. Ohne die Augen zu öffnen und ohne sich umzudrehen konnte sie die Menschen am Strand, die Häuser und Bäume hinter ihr klar spüren und deutlich erkennen.


Auch Mergy bereitete sich auf den ersten Einschlag vor und hatte keine Ahnung von Mays Alleingang. Seine Gleiter hatten ebenfalls Mühe die Wellen zu stoppen, aber bis auf einige Gebäude direkt am Strand schafften sie es. Ein paar der Gleiter fielen auf Grund der Überlast aus und stürzten ins Meer. Schließlich war es vorbei. Es schlugen nur noch kleinere, schwächer werdende Wellen am Strand auf. Die verbliebenden Gleiter klinkten die beschädigten Flieger unter sich ein, um sie abzuschleppen. Nach einer Bestandsaufnahme beorderte der Kommander, wie immer Kampfgleiter 1 fliegend, die Gleiter zurück zur Station. »Ein großer Sieg für das Team, aber wir konnten nicht alle retten.«, dachte er. Und was war mit May los gewesen? Sie war sonst immer so mutig und tapfer. Jetzt hatte sie sich nicht einmal der drohenden Gefahr gestellt. Er setzte sich als letzter in Bewegung und trat den Heimflug an. Erst durch einen Funkspruch wurde er aufgeschreckt und aus seinen Gedanken gerissen: »Die Insel ist noch da! Die Kinder sind immer noch da und spielen am Strand!«


Das war unmöglich. Schon die erste, einzelne Riesenwelle hätte im besten Fall nur einige wenige Bäume umgeknickt auf der Landmasse zurückgelassen. »Da treibt Mays Gleiter im Wasser!«, tönte es erneut aus dem Kommunikationsgerät. Mergy änderte den Kurs: »Zurück zur Station. Ich kümmere mich darum.« Er flog über die Insel. Es gab wirklich keine Schäden. Als hätte der Tsunami einen Bogen um dieses Eiland gemacht. Dann erstarrte er, als er Mays lila Gleiter kraftlos im Wasser treiben sah. Er reagierte nicht einmal mehr auf simple Statuskommandos. Seine Energie war komplett aufgebraucht. May selbst meldete sich auch nicht und Mergy konnte sie auch mit den Scannern nicht finden. Der Kommander setzte unsicher mit dem Gleiter auf dem Strand auf.


Die Stalks versanken unter dem Gewicht einige Zentimeter im weichen weissen Sand. Ein kleiner Junge rannte springend mit ausgestrecktem Armen über den Strand. Mergy dachte er würde den Kampfgleiter nachahmen. Er konnte nicht wissen, dass der Junge etwas anderes, noch viel unglaublicheres, gesehen hatte. Der Ray Team Kommander stieg aus und schaute sich um. Alles war intakt. Dann kam der Junge erneut auf ihn zu und er wiederholte immer wieder ein einzelnes Wort, welches weder Mergy noch der Übersetzer zu deuten mochten. Ein älterer Mann hatte ihn bereits gesehen und lief hastig auf den Kommander zu. Mergy deutete auf den Gleiter im Wasser: »Haben sie das Mädchen gesehen?« Der Mann wiederholte die selben unverständlichen Worte des Kindes und deutete auf eine Hütte. Zielstrebig rannte nun Mergy selbst auf das neue Ziel zu.


Seine Gedanken kreisten um sein Mädchen und die Frage was hier gerade passiert war. May lag auf einer Liege und eine Frau tupfte ihr die Stirn. Zwei weitere Frauen und ein Mann beteten hinter ihr. »May! Was ist hier passiert?« »Sie hat uns gerettet!«, erklärte die Frau während sie den Schwamm neu befeuchtete: »Wie es bestimmt war!« »Wie es bestimmt war?«, fragte Mergy wiederholend nach. »Die Sturmkriegerin wird über das Meer herrschen! So steht es im Buch.«, beantwortete die Frau seine Frage mehr schlecht als recht und der alte Mann reichte ihm ein bereits geöffnetes Buch. Dort war eine fliegende Frau mit ausgestreckten Armen abgebildet und im Hintergrund eine riesige Welle! »Ich nehme sie mit!«, sagte Mergy und die Frau nickte: »Sie hat eine Bestimmung! Sie ist wichtig!« Mergy war erschrocken und zugleich erstaunt über diese Bemerkung.


Fast die gleichen Worte hatte er verwendet um Mays Anwesenheit vor Sab zu begründen, als er sie damals auf die Station gebracht hatte. Er schnappte sich die Kleine: »Danke!« Schnellen Schrittes lud er sie auf den Beifliegersitz in seinen Gleiter. Ihr Puls war stabil und sie hatte keine sichtbaren Verletzungen, aber ihre Temperatur war hoch. Das Fieber konnte er deutlich fühlen. Mit einem Schrei hob der Gleiter von der Insel ab. Mit einer sanften Drehung steuerte er direkt über das energielose Wrack, welches im Wasser von den immer noch recht starken Wellen umher geworfen wurde.


»Andockklammern ausfahren!«, wies er an. Vorne und hinten fuhren auf beiden Seiten senkrecht kleine Metallstangen aus, die ähnlich wie die Flügel aussahen. Mergy brachte gekonnt seinen Gleiter mit den Schwingungen des Wassers in Einklang und setzte seinen Gleiter auf dem von May ab. Die unteren Enden der Klammern klappten nach Innen und kamen unter dem zusätzlichen Ballast zu liegen. Deutlich schwerer und träger verhielt sich das Gleiterbündel nun beim Abflug, was aber, bedingt durch das fast doppelte Gewicht, auch nicht weiter verwunderlich war. Der Flug ging auf direktem Weg zurück zur Station.


Immer wieder kontrollierte er Mays Puls. »Sturmkriegerin. Prinzessin der Lüfte. Bestimmung.« Mergys Gedanken kreisten um diese Worte. Was hatte das alles zu bedeuten? Wer war sie und warum war sie so wichtig? »Mergy an Doc. Notfallteam in Hangar 2 bereithalten.«, befahl er schon beim Anflug auf die Station. Er hielt sich nicht an die üblichen Landevorschriften und es waren immer noch über 60 Gleiter im Umkreis der Station in Bewegung. Sab, die über den Notfall informiert wurde, zog ihre eigenen Schlüsse und ließ alle anfliegenden Gleiter vom sekundären Hangar abziehen und machte den Weg für Mergy frei. Beim Einflug klinkte er Mays Gleiter schon im Tunnel aus, während er weiter Richtung Landezone flog.


Krachend und quietschend schrammte der Lila Gleiter noch einige Meter über das Deck bevor auf halbem Weg im Tunnel stoppte. Mergy setzte ganz hinten im Hangar auf, wo schon der Doc mit einer selbstschwebenden Trage wartete. »Was ist passiert?«, fragte das medizinische Team gleich nach etwaigen, für die Behandlung relevanten, wichtigen Informationen. »Ich weiss es nicht! Jaque, den Gleiter bergen und sofort mit neuen Würfeln versehen. Ich will alle Daten! Reparatur und Wartungsarbeiten aussetzen. Tin soll ihn sich genau ansehen.«, rief er noch in den ansonsten menschenleeren Raum, während er der Trage und dem Doc folgte, der sich ebenfalls besorgt über ihre Temperatur zeigte.


Auch auf der Krankenstation wich Mergy ihr nicht von ihrer Seite. Schnell war sie an die Geräte angeschlossen. »Geh nach draußen! Du stehst hier nur im Weg.«, wies der Doc Mergy mit ermahnendem Ton an. Es fiel ihm schwer den gegebenen Anweisungen zu folgen. Nicht weil der Doc hier die alleinige Befehlsgewalt hatte oder weil es ihm generell nicht gefiel Befehle zu empfangen, sondern weil Mergy in den letzten Monaten viel Zeit mit May verbracht hatte. Er hatte sich richtig ins Zeug gelegt und wollte für sie da sein. Nicht noch einmal wollte er das Gefühl haben die Kleine enttäuscht oder sie nicht genug unterstützt zu haben. Ja sie war mittlerweile seine Kleine. Sie war für ihn wie eine Tochter geworden und sie so regungs– und kraftlos dort liegen zu sehen und hilflos zusehen zu müssen, machte ihm zu schaffen.


Mit der Stirn an der Scheibe schaute er von draußen wie der Doc und seine rechte Hand Sandra alles für May taten, was sie konnten. Mergy bemerkte nicht einmal die Anwesenheit seiner Kollegen. Suki und Tin standen neben ihm und beobachteten die Situation, wobei Tin Mergy schließlich die Hand auf die Schulter legte. Erst jetzt nahm er die Beiden war. »Was ist mit ihr passiert?«, fragte Suki gerade heraus. »Ich weis es nicht!«, sagte Mergy ohne den Blick von May zu nehmen, die immer noch regungslos auf dem Behandlungstisch lag: »Sie hat alleine die komplette Insel gerettet!« »Alleine?«, fragte Suki erstaunt. »Mit einem einzigen Kampfgleiter war das nicht zu schaffen! Nicht einmal ansatzweise.«, fügte Tin hinzu. »Ich weiss.«, erläuterte Mergy: »Die Leute auf der Insel haben irgendwie gewusst, sie würde kommen und sie retten. Sie haben sie Sturmkriegerin genannt und mir ein Bild in einem alten Buch gezeigt. Auf dem Bild war ein Mädchen oder eine Frau zu sehen, die alleine eine riesige Flutwelle aufhält.« »Und das soll May gewesen sein?«, fragte Suki unsicher. »Sie hat es geschafft, aber wie ist mir schleierhaft.«, gab Mergy zu verstehen.


»Hat sie sich jemals als Prinzessin bezeichnet?«, erkundigte sich der Kommander schließlich nach einigen Minuten des Schweigens. Suki druckste rum und so fragte Mergy eindringlicher nach: »Sag es mir, bitte!« »Sie, sie hat die Station als Schloss bezeichnet und dich als König. Sie sagte sie würde sich wie eine Prinzessin fühlen. Aber das Ganze ist eine Weile her.«, sagte sie zögerlich und fügte »Und wenn sie erfährt, dass ich dir davon erzählt habe, wirft sie mich bestimmt aus einer Landebucht.« an. Mergy musste lächeln. Er war der König und sie die Tochter, die Prinzessin. »Ich sehe sie vielleicht nicht als Prinzessin, sondern mehr als Tochter und wenn du ihr das erzählst werde ich dich persönlich rauswerfen!«, gab Mergy zu verstehen und Suki lächelte. Der Doc kam zur Tür hinein: »Also ihr Körper ist komplett ausgelaugt. Es fehlt ihr an allem. Fast so wie bei einem Marathonläufer am Ende eines Rennens. Allerdings wenn er unterwegs nichts gegessen oder getrunken hat.« »Sie ist vor Erschöpfung zusammengebrochen?«, fragte Tin. »Ja, das trifft es ziemlich.« »Also das was sie auf der Insel gemacht hat, hat sie komplett ausgelaugt und erschöpft. Was hast du nur getan?«, fragte Mergy rhetorisch May durch die Scheibe.


»Ihr Körper liegt in einer Art Koma. Ich denke wenn er sich erholt, dann wird sie von selbst wieder aufwachen. Es ist eine Art Selbstschutz. Wir können nur abwarten!«, erläuterte der Doc und ging zurück in den Raum, wo Sandra May gerade in ein Bett packte. Schließlich schob sie May mit ihrem Bett in eines der Krankenzimmer. Mergy folgte ihr und setzte sich an ihr Bett. Mehrere Stunden hielt er ihre Hand und streichelte sie sanft. Dann kam Tin und nahm seinen Platz ein. Ohne Absprache saß immer jemand an Mays Bett. Selbst Sab nahm sich die Zeit. Sie hatte zwar keinerlei Bedenken mehr was May anging, aber wirklich gut kannten sich die beiden immer noch nicht. Ein paar kurze Sätze hier und da hatten sie gewechselt, aber in ihrer Freizeit mal etwas mit May zu unternehmen war ihr fremd. Einzig an ihrer Geburtstagsfeier war sie anwesend und hatte gratuliert. Mergy hatte die Feier organisiert. Niemand hatte den Geburtstag auch nur erwähnt. May musste gedacht haben er würde vergessen, aber so war es nicht. May hatte sich einfach wie fast jeden Tag mit Suki zum Essen bei Sor verabredet.


Der Laden war außergewöhnlich voll gewesen. Das hatte May noch zu Suki gesagt, aber dann ohne Vorwarnung hatte Mergy holographische Girlanden erscheinen lassen. Es regnete Konfetti, alle setzten sich lustige Partyhüte auf und stimmten zu einem Ständchen an. May hatte so überrascht ausgesehen. Als Sor dann auch noch mit dieser riesigen Torte ankam, war die Stimmung perfekt. Es wurde getanzt und alle hatten Spaß. Jetzt war sie 14 Jahre alt und Sab überlegte was sie mit 14 gemacht hatte. Pyjamapartys, heimliche Schminkübungen mit dem Schminkzeug ihrer Mutter und Musikgruppen beschäftigten sie damals. May war da so ganz anders. Sie interessierte sich für viele Dinge, aber nie eigennützig. Sie wollte keine tollen Sachen für sich oder ihre Wohnung. Sab musste lachen. Mergy und Suki mussten sie regelrecht zwingen ihrer Wohnung etwas mehr Pep und eine persönliche Note zu verpassen.


»Du brauchst ein Hobby!«, sagte Mergy immer wieder, wenn May außerhalb ihrer Schicht einfach so weitere Missionen übernehmen wollte. Sab vernahm ein leichtes Stöhnen und dann ein leichtes Strecken unter der Decke: »Hey, da wird ja jemand wach!« »Was ist passiert? Wo bin ich?«, fragte May leise und mit leicht kratziger Stimme. »Ray Team One, Krankenstation, Zimmer 2.«, gab Sab mit der üblichen Übergenauigkeit an. May schreckte hoch: »Die Kinder! Die Insel!« »Ist alles gut!«, gab Sab mit ungewohnt sanfter Stimme zu verstehen: »Wir haben zwar keine Ahnung wie, aber du hast sie alle gerettet!« Erleichtert ließ sich May zurück in die Kissen fallen. Sab drückte auf den kleinen Taster am Bett und nur Sekunden später kam der Doc durch die Tür: »Hey, sie ist wieder da! Du hast mir ganz schön Sorgen bereitet!« »Tut mir leid!«, entschuldigte sich May schon wieder in gewohnter Weise. »Wie fühlst du dich?«, fragte der Medizinmann. »Ein wenig schlapp!« »Ja, das ist wohl normal.«, erläuterte der Doc und prüfte die Daten auf den Monitoren: »Du brauchst sicher noch einige Mützen Schlaf.«


»Dann lass ich dich jetzt mal in Ruhe.«, gab Sab zu verstehen und begab sich zur Tür, wo sie sich noch einmal mit einem Lächeln umdrehte: »Gut gemacht!« May staunte nicht schlecht. Sab war so anders als sonst. Ok, sie war schon länger nicht mehr so fies wie damals bei der Prüfung gewesen, als sie dachte sie hätte geschummelt, aber direkt ein Lob hatte sie ihr auch noch nie ausgesprochen. »Hey!«, wurde abermals durch die Tür in das kleine Zimmer gerufen. Mergy und Suki standen in der Tür. »Zwei Minuten, die Patientin braucht noch eine Menge Ruhe.«, ermahnte der Doc von hinten. »Ist ja gut!«, muffelte Mergy während Suki May erstmal ordentlich drückte: »Du machst aber auch immer Sachen!« »Wenn ich nicht jedes mal in der Krankenstation aufwachen würde, fände ich das wesentlich beeindruckender.«, gab May mit trockener Reibeisenstimme zu verstehen und Mergy reichte ihr ein Glas Wasser, welches May dankend annahm. »So jetzt aber raus hier!« Mit wedelnden Armen drängte der Arzt die Beiden aus dem Raum. Die Besucher hatten gerade noch Zeit sich zu verabschieden, bevor sich die Tür hinter ihnen schloss. »Jetzt wird geschlafen.«, gab der Doc mit einem leichten Befehlston auch May Anweisungen und verschwand aus dem Raum, nicht ohne vorher das Licht abzuschalten.


May schlief bis zum nächsten Tag. Es ging ihr deutlich besser, aber ihr war langweilig und der Doc wollte noch einige Untersuchungen machen. Es kam ihr wie Stunden vor, bis sie endlich aus der Krankenstation heraus durfte. Die kleine Heldin machte sich langsam auf den Weg und da war es zum wiederholten Male. Einige der Anderen schauten sie mit diesem schrägen Blick an, andere kamen direkt auf sie zu fragten nach ihrer Gesundheit und was passiert war. Aber das wusste sie selbst nicht. Es dauerte bis sie in ihrem kleinen Reich ankam. Sie schaute aus dem Fenster, einige Gleiter flogen um die Station und die Erde lag friedlich in der Ferne, als wäre alles in bester Ordnung. Die Tür klingelte hinter ihr und May ließ die Tür öffnen ohne den Blick von der Erde abzuwenden.


»Na, was ist das denn?«, fragte Mergy und deutete auf die hintere rechte Hälfte ihres Zimmers in dem eine Menge verschieden großer Teile und einen Metallrahmen auf einer Plane vor dem Regal lagen. May wurde aus ihren Träumen gerissen: »Was?« »Na, das hier?«, fragte er und deutete auf die Teile. May drehte sich um und sah was er meinte. »Du hast doch gesagt ich soll mir ein Hobby suchen!«, gab sie zu verstehen: »Ich baue mir einen Chopper.« »Du baust dir ein Motorrad?«, fragte er ungläubig. »Jep!«, kam gewohnt kurz zurück. »Ein Bausatz?«, fragte Mergy nach. »Nein, ich hab nur einen fertigen Rahmen genommen und mir dann die Teile zusammen gesucht und passend gemacht.«, erläuterte May: »Wenn die das im Fernsehen können, dann kann ich das schon längst!« Mergy schmunzelte, er schaute sich diese Dokumentationen im Fernsehen auch gerne an und fand sie sehr entspannend, aber er hatte nie darüber nachgedacht selbst etwas zu bauen und jetzt hatte er praktisch eine eigene Show auf der Station: »Wie lange bastelst du schon daran?« »Ein paar Monate!«, gab May zu verstehen: »Aber das dauert noch.«


»Das glaube ich gerne.«, sagte Mergy und fügte mit einen lächeln noch hinzu: »Auch wenn ich mit persönlicher Note bei der Einrichtung eigentlich nicht an eine Motorradwerkstatt gedacht hatte.« May lachte und erklärte ihm was sie vor hatte und welche Teile wohin gehörten. Mergy merkte an, dass er bei der Probefahrt unbedingt dabei sein wolle, was May ihm versprach. Nach einer längeren Pause entschuldigte sie sich für ihren taktischen Rückzug auf die Station. »Ist schon gut. Suki hat mir erzählt was los war. Sei ihr aber nicht böse, ich musste drohen sie aus einer Luftschleuse zu werfen, damit sie mir das mit deinen Eltern erzählt hat.«, beschwichtigte Mergy und erntete ein leichtes Lächeln seiner Ziehtochter: »Verrätst du mir denn was auf der Insel passiert ist?« »Ich weis es nicht genau.«, begann May: »Es war komisch, ich hab die Augen geschlossen und mich der Welle in den Weg gestellt. Dann hab ich den Boden aber auch das Wasser nicht mehr gespürt.« Mergy erzählte ihr von dem Buch und der Abbildung darin und das die Menschen sie dort Sturmkriegerin genannt hatten. May lauschte seinen Ausführungen aufmerksam und wunderte sich darüber, weil ausgerechnet sie diese Sturmkriegerin sein sollte.


Die Beiden unterhielten sich sehr lange und Mergy wimmelte sogar zweimal ein Gespräch vom Kommandodeck ab. May genoss die Aufmerksamkeit und Offenheit, die er ihr entgegen brachte. Aber sie hatte auch ein kleines bisschen ein schlechtes Gewissen. Da war nämlich eine Kleinigkeit, die sie allen bisher verschwiegen hatte. Sie wollte nicht zu einem Freak werden oder noch schlimmer zu einem Versuchskaninchen. Sie wollte erst mal alleine herausfinden was es mit ihren Kräften auf sich hat. Waren es überhaupt Kräfte oder hatte sie einfach nur Glück gehabt? Schließlich war es schon spät am Abend. Mergy verabschiedete sich und wünschte gute Erholung. Er wiederholte noch einmal die Anweisung vom Doc keine Anstrengungen und somit auch keine Missionen zu fliegen. May war das gar nicht recht, aber die Argumente leuchteten ihr ein. Wenn sie noch einmal umkippen würde, dann wären Menschen in Gefahr. Die Menschen, die sie eigentlich retten wollte. Also legte sie sich in ihr Bett und obwohl sie recht Müde war, dachte sie noch lange über die Geschehnisse nach.

Gedankenwinde

Es waren einige Wochen vergangen, seit May die Insel gerettet hatte. Mergy hatte verbreiten lassen, dass May ein paar getarnte Sparx aus dem Prototypenprogramm eingesetzt hatte um den Schild zu vergrößern. Das von den Medien aufgegriffene Thema »Fliegen« erklärte er damit, dass May auf einem der Sparx gestanden hatte und es so für die anwesenden Menschen so ausgesehen hatte, als wäre sie geflogen. Die Wahrheit sah anders aus, aber er und die anderen hatten keine Erklärung und May konnte keine liefern. Sie war nur froh, sich selbst nicht erklären zu müssen. Mergy ließ ihr die Normalität. Die junge Pilotin war noch einmal zurückgeflogen und hatte sich von den Menschen dort das Buch zeigen lassen und es mit einem Scanner eingelesen um später eine Kopie zu erstellen. Die Bewohner der Insel begrüßten sie wie eine Berühmtheit. Es war May schon peinlich. Diese Menschen, die selbst nicht viel zum Leben hatten, teilten diese wenigen Dinge auch noch mit ihr. Sie aß mit ihnen ein köstliches Mahl und erfuhr die wenigen Fakten, die die Menschen über die Sturmkriegerin wussten. Sie sei geflogen berichteten einige der Anwesenden aus erster Hand. Die Wasserwand sei einfach stehen geblieben und dann zurück gewichen.


Das Buch selbst war keine große Hilfe. Die meisten Dinge waren aufgezeichnete Geschichten aus vergangenen Tagen, die von Generation weitergegeben und ergänzt wurden. Der Teil der sie selbst betraf war nur zwei Seiten lang und der Großteil waren Bilder. May hatte lange versucht zu verstehen, was sie gemacht haben könnte und sie stellte die Situation gedanklich und auf in einem Holoraum nach, aber auch gar nichts passierte. Sie nahm an diesem Morgen ihre Tasse gleich von Sors Tresen mit, bedankte sich wie es ihre Art war, steuerte auf einen Tisch zu, stellte das Gefäß ab und setzte sich. Mit einem Tablettterminal, einer Art tragbaren Version der fest installierten Terminals, suchte sie nach neuen Informationen und lass sie alles über Telekinese.


Vielleicht hatte sie die Wand ja mit ihren Gedanken einfach ausgebremst. Sie hatte es schon hunderte Male mit verschiedenen Dingen versucht, aber nie hatte sich etwas bewegt. Ohne aufzusehen tastete sie mit einer Hand nach der Tasse, während die Andere auf der Anzeige die Seiten blätterte. Mehrmals wanderte ihre Hand hin und her ohne die Tasse zu finden. Plötzlich schob ihr jemand die Tasse in die Hand. »Danke!«, sprach May immer noch den Blick auf den Computer gerichtet. Als sie aufschaute, war niemand da. Sie blickte sich um, aber auch hinter ihr war niemand. Dann erst wurde ihr klar, was gerade passiert war. Sie hatte die Tasse selbst bewegt. Hastig schob sie das Porzellan zurück in die Tischmitte und versuchte es erneut. Aber es klappte nicht.


Die Tasse verharrte wie angeklebt auf ihrem Platz und verhöhnte sie. Frustriert versuchte May es diverse Male, aber es gelang ihr nicht noch einmal. In den nächsten Tagen hatte sie immer eine Tasse auf dem Tisch in ihrem Wohnraum stehen. Sie versuchte es wieder und wieder. Ohne Erfolg. Egal wie sehr sie sich auf die Tasse konzentrierte, es klappte nicht. Sauer über ihre Unfähigkeit warf sie sich in die Kissen ihres Sofas: »Prinzessin der Lüfte, Sturmkriegerin. Toll ich bekomme nicht mal eine blöde Tasse bewegt!« Sie schloss ihre dunklen Augen und pustete sich eine Strähne aus dem Gesicht. Plötzlich schnellte sie nach oben und blieb für einen Augenblick mit starrem Blick sitzen. Ihre Augen waren weit geöffnet. »Luft!« Das verband beide Aussagen. Sie konzentrierte sich noch einmal. Diesmal aber nicht auf die Tasse, sondern auf die Luft, die die Tasse umgab. Gedanklich drückte sie die Luft gegen die Tasse.


Es gab ein schabendes Geräusch und die Tasse verschob sich auf dem Tisch ein Stück nach hinten. Staunend harrte May einige Sekunden aus und versuchte es dann erneut. Erneut schrappte die Tasse über den Glastisch. Jetzt versuchte sie es von der anderen Seite und die Tasse schob sich auf sie zu. Es war als würde sie die Luft im Raum kontrollieren. Jetzt fiel ihr ein, wie sie bei geschlossenen Augen auf der Insel alles hatte sehen können. Sie schloss ihre Augen und spürte die Luft um sie herum. Sie konnte den Raum selbst nicht sehen, aber sie spürte jedes Hindernis und jeden Gegenstand im Umkreis. May griff nach der Tasse, nutzte aber nicht die Hand, sondern erspürte die Tasse und drückte die Luft mit ihren Gedanken fest an das Porzellan und zog nach oben. Als sie ihre Augen öffnete schwebte die Tasse mitten über dem Tisch. May lächelte und staunte über sich selbst. Sie vergaß kurz sich auf die Tasse zu konzentrieren und mit lautem Rumpeln krachte das Gefäß auf den Glastisch, rutschte an den Tischrand und darüber hinaus. May steckte ihre Hand aus, als wollte sie sie fangen und die Tasse stoppte in der Luft. Langsam flog das Gefäß wieder über dem Tisch und direkt vor May setzte die Tasse sanft auf den Tisch: »Geht doch!« Triumphierend tanzte May durch den Raum.


Dann hielt sie schlagartig inne und erinnerte sich an die Menschen auf der Insel. Sie hatten gesagt sie wäre geflogen. Selbst konnte sich May aber nur daran erinnern den Boden unter den Füßen nicht mehr gespürt zu haben. »Kann ich wirklich fliegen?«, dachte sie für einen kurzen Moment. May schloss ihre Augen und ließ die Luft an ihren Hüften verdichten. Ganz so wie man mit beiden Händen ein Kleinkind vom Boden aufgeben würde. Deutlich merkte sie, dass das Gewicht ihres Körpers deutlich größer war, als das einer kleinen Tasse. Sie musste sich deutlich mehr anstrengen und spürte im Gegenzug den Druck an ihrem Körper. Es tat ihr weh und so ließ sie los. Erneut versuchte sie es, nutzte diesmal aber ihren kompletten Körper als Angriffspunkt. Diesmal klappte es. Die Anstrengung war genauso groß, aber sie bemerkte kaum wie die umgebene Luft auf ihren Körper einwirkte und sie vom Boden abhob. An sich herunterschauend sah sie ihre Füße über dem Boden hängen. Ungläubig wackelte sie mit den Zehen. Sie flog tatsächlich! »Mergy an May«, hörte sie die Stimme in ihrem Kopf. Sie verlor schlagartig die Kontrolle und landete auf ihrem Hintern.


»Ja!«, gab sie mit verzerrtem Ton die Antwort. »Ist etwas passiert?«, fragte Mergy besorgt. »Nein, ich bin nur gerade über meine Füße gestolpert und hingefallen!«, erklärte May ihre schmerzhafte Antwort. »Wir haben einen Sonderauftrag, Interesse?«, fragte Mergy und May war natürlich sofort begeistert. Diese ganze Auszeit fühlte sich wie Hausarrest an, auch wenn es nicht wirklich einer war und ein Sonderauftrag, wie Mergy es nannte, war wie ein Urlaub davon. »Der Doc hat ein Paket für dich und wird dir alles weitere erklären.«, erläuterte Mergy. May zog sich Socken und Schuhe an und machte sich sofort auf den Weg. Hastig stürmte sie beim Doc in die Station. »Immer schön langsam junge Dame.«, sagte der Mediziner nur mit einem Lächeln und erläuterte ein Problem mit der regulären Versorgung der der Amundsen-Scott Forschungsstation am Südpol. Es gab einen medizinischen Notfall und man benötigte dort dringend ein bestimmtes Medikament.


Durch einen lange andauernden Sturm wären bereits zwei Versuche gescheitert die Pakete mit Flugzeugen über der Station abzuwerfen. May sollte nun das Paket direkt einfliegen. »Kann ich die Kiste dort lassen?«, fragte May. Sie wusste das es nicht erlaubt war Ray Team Technologien an Dritte weiterzugeben und der Doc nahm ihre Frage positiv auf: »Die kannst du da lassen! Das ist eine Standardverpackung für medizinische Transporte, wie sie auf dem ganzen Planeten verwendet wird. Aber gut zu wissen, dass du dir deiner Verantwortung bewusst bist.« May verschwand sofort Richtung Hangar und ließ Jaque ihren Gleiter bereit machen.


Als sie an ihrem Ziel eintraf, stand ihr Gleiter bereits bereits Abflugbereit mitten im Raum. Hastig stieg sie ein, legte das Paket auf den zweiten Sitz neben sich, startete die Maschine und direkt nach dem Erhalten der Starterlaubnis flog sie ab. Die untere Hälfte der Erdkugel war schnell erreicht und May senkte ihre Flughöhe. »Das hier Menschen leben?«, dachte sie ungläubig während sie Kurs auf die Koordinaten setzte, die sie vom Doc bekommen hatte. Sie war mitten in dem riesigen Sturm. Sehen konnte sie nichts mehr, selbst wenn sie die Scheinwerfer des Gleiters aktivieren würde, würde die Sicht nicht viel besser. Die Thermosensoren zeigten ebenfalls nur Kälte. Sicherheitshalber flog sie höher als nötig und nur nach den Instrumenten, die ihr immer noch konstant das Ziel aufzeigten. Plötzlich wurde es dunkel. Die Anzeigen auf der Scheibe verloschen, der Gleiter begann zu rotieren und fiel unkontrolliert Richtung Boden. May versuchte die Systeme erneut zu starten, aber es klappte nicht. Schließlich griff sie das Paket und drückte den kleinen roten Knopf am Sitz fest in das Innere der Sitzschale.


Sofort wurde sie in gleißendes Licht gehüllt und im nächsten Moment fand sie sich mitten im Sturm auf dem Eis wieder. Der Pilotin war klar, das sie zwar durch ihren Chip und den von ihm erzeugten Körperschutzschild einige Zeit geschützt war, aber die Energie dafür kam von ihrem Körper und somit war der Schutz nicht von Dauer. »May an Ray Team One!«, sprach sie ihn ihre Hand, wie sie es schon hunderte Male gemacht hatte, aber es kam keine Antwort. Der Chip war nicht leistungsfähig genug um große Distanzen zu überwinden. In der technischen Beschreibung hatte sie gelesen, der persönliche Schild und dessen Technik würde viel Platz und die Energie benötigen. Daher hätte man beim Design auf die meistens ja nicht notwendige große Reichweite verzichtet.


Eigentlich logisch, denn meistens war ja ein Gleiter oder die Station in der Nähe und konnte die Kommunikationsweiterleitung übernehmen. May schaute sich um. Mehr als zwei Meter konnte sie nicht sehen und ihr einziges mögliches Ziel war ein relativ kleines Gebäude in der Suppe. Es musste eigentlich ganz in der Nähe sein, wie sie aus den letzten vom Gleiter angezeigten Informationen entnommen hatte. May versuchte ihre Kräfte einzusetzen, aber sie funktionierten nicht. Der Schild verhinderte eine Verbindung mit der Luft in ihrer Umgebung. Es dauerte einige Momente bis auch May diese Einschränkung begriffen hatte und sie ihre Schilde an den Armen abschalten ließ. Schlagartig konnte sie die Umgebung wie ein Sonar auf einem U-Boot erfühlen. Sie spürte aber auch die unerbittliche Kälte, die von ihren Armen aufstieg. May benötigte ein paar Sekunden, bis sie die Schilde abermals aktivieren konnte, aber nun wusste sie die Richtung und machte sich auf den Weg. 20 Minuten marschierte sie durch den Sturm und hielt dabei das lebensrettende Paket fest in ihren Händen. Zwischendurch aktualisierte sie ihren Kurs in dem sie weiter die Umgebung abtastete.


Das war auch dringend nötig, denn sie konnte nichts sehen und wollte nicht auch noch unsinnig im Kreis laufen. Der Schild isolierte sie und so blieb das eisige Nass auf ihrem Körper kleben, ohne das sie fror. Dann endlich sah sie ein Licht am Horizont, welches schnell größer wurde. »Die Station!«, dachte May und beschleunigte ihren Gang, denn sie spürte wie der Schild sie bereits merklich schwächte. Eine Stahltreppe ragte am Gebäude nach oben und May folgte ihrem Weg in die Höhe. Die Tür ließ sich einfach öffnen. Einbrecher erwartete man hier anscheinend nicht. Die kleine Prinzessin schüttelte sich gerade den Schnee vom Schild, als aus einer der Türen ein Mann trat, starr im Gang sehen blieb und sie anschaute. Es war wohl mehr als ungewöhnlich, hier ein junges Mädchen in einem Lila-Kleid und Schuhen, die man nicht mal bei normalem Regenwetter anziehen würde, einfach so durch die Eislandschaft des Südpols wandern und in der Station auftauchen zu sehen.


»Hallo, ich bringe die Medikamente! Wo geht es zur Krankenstation?« Den Schild hatte sie bereits abgeschaltet, um Energie zu sparen und spürte noch deutlich die unangenehme, kalte Luft, die sie von draußen hereingebracht hatte. »Hier entlang!«, kam etwas zögerlich von dem Mann, der offensichtlich Norweger war. Er führte May durch die Gänge und schließlich kamen sie an eine Tür mit einem großen runden Fenster. Dahinter lag der Raum, der so gar nichts mit der Krankenstation auf Ray Team One gemein hatte. Er war klein und wirkte mehr wie eine Werkstatt. Unter der Decke waren viele lange Leuchtröhren und ein gewaltiger Mehrfacharm mit Lampen hing bedrohlich von der Decke wie eine Krake. Darunter eine Liege. Umrahmt war das Ganze von Schränken der verschiedensten Sorten auf denen viele kleine Geräte standen, die wohl zu Diagnosezwecken genutzt wurden.


»Hier passt ja nicht einmal ein Kampfgleiter rein.«, dachte May, die draußen noch über das doch gewaltige Gebäude gestaunt hatte. Gesehen hatte sie außen nicht viel, aber es war sehr hoch angelegt und der Weg zur Krankenstation, wenn man sie doch so nannte, war lang gewesen. Ein Mann, der sich als Doktor Henson vorstellte, trat auf sie zu und May reichte ihm das kleine Paket. »Danke, das ist wirklich in letzter Sekunde!«, sagte er und entnahm die Ampullen aus dem Kästchen, nicht ohne den Boten noch einmal ordentlich zu mustern. »Wie viele Menschen leben denn hier?«, fragte May ihren Begleiter, der immer noch staunend hinter ihr stand. »Im Winter meist so um die 50 Personen!«, gab er zu verstehen. Der Arzt verschwand mit zwei Spritzen im Nebenraum wo anscheinend die Patienten waren.


»Zeigen sie mir die Station oder ist das alles hier geheim?«, fragte May erneut und der Mann, der nur etwa doppelt so alt zu sein schien, taute etwas auf: »Klar, komm mit! Ich bin übrigens Michal.« »Ich bin May!«, gab sie Antwort: »Gibt es hier ein Funkgerät? Ich müsste die Sache mit meinem Absturz dem Kommando mitteilen. So wie es aussieht, werde ich hier wohl erst einmal festsitzen, bis der Sturm sich gelegt hat.« »Abgestürzt?«, fragte Michal. »Ja, mit meinem Kampfgleiter. Da stimmte etwas mit der Energieverteilung nicht.«, gab May zu verstehen. »Kampfgleiter?« »Kampfgleiter, Ray Team?«, fragte May ungläubig zurück: »Gibt es hier kein Fernsehen?« Erst nachdem sie den Satz ausgesprochen hatte fiel ihr auf, dass sie bis vor einiger Zeit auch keine Ahnung von all diesen Dingen hatte. »Oh, doch, aber ich bin nicht so ein Fan davon. Ich habe natürlich von euch gehört, aber ich hatte nicht gedacht das du dazu gehören könntest.«, erklärte ihr Führer.


Der Weg führte weiter durch unzählige Gänge mit vielen Türen. Mal mit runden Fenstern und mal ohne. Die Wände waren großflächig kariert. Mal Gelbgrau und mal Blauweiß. Mal war auch alles einfach nur in Weiß gehalten. Die Gänge wirkten funktioneller als die Räume. Auf Ray Team One war alles so aufgeräumt und alles hatte seinen bestimmten Platz. »Wahrscheinlich weil eine Raumstation eben fliegt und wenn da mal die Gravitation ausfällt wäre das Chaos perfekt.«, erinnerte sich May an das Chaos in ihrem Wohnzimmer, nachdem die Gravitation damals ausgefallen war. Hier dürfte nur ein Erdbeben für durcheinander sorgen. Obwohl einige Räume, die sie im vorbeigehen einstehen konnte, bereits nach einem Erdbeben aussahen. Schließlich kamen sie in einen Raum in dem eine junge Frau vor vielen Bildschirmen saß. »Wir haben Besuch!«, kündigte er May an, die ihm in den Raum folgte. »Hallo!?«, entglitt ihr mehr fragend als als Begrüßungsaussage formuliert. »Kannst du eine Verbindung mit Mays Leuten herstellen? Sie ist vom Ray Team.«, reichte er die Frage weiter. May schaute sich im Raum um.


Kabelsalat, Tastaturen und Bildschirme. Dazwischen immer wieder kleinere Geräte. Alles in allem war es hier sehr chaotisch und sie war erstaunt, dass die Geräte in diesem Zusammenbau überhaupt funktionierten. »Genau! Ich wusste ich hab dich schon mal gesehen! Ich bin Stacy. Wie genau soll ich das anstellen?«, gab sie sich hilfsbereit. »Einfach die Seenotrettungsfrequenz auf 500 khz. Morsen sie ´May an Ray Team One! Mission erfüllt. Gleiter abgestürzt. Warte in der Station.´«, gab May zu verstehen und dann wurde die Nachricht ein paar Mal gesendet. May wusste das Jaque die Frequenzen mit den Satelliten abhörte und somit die Station informiert würde. Es dauerte nicht lange bis die Antwort eintraf und es wurde verkündet, dass kein weiterer Gleiter durch den Sturm geschickt würde und sie die Lage aussitzen müsse.


Auf der Station begann auch gleich ein Sturm der besonderen Art. Mergy ließ sich von Jaque die Daten von Mays Gleiter geben und erfuhr, dass May vorgeschlagen hatte die Reaktoren durch separate Energiekupplungen zu verbinden, weil die drei Reaktoren nur mit einer einzigen Kupplung verbunden waren. Wenn diese Ausfallen würde, wäre der Gleiter nicht mehr zu retten. Das der lila Gleiter nicht mehr antwortete sprach für das Eintreten genau dieses Falles. Mergy zitierte Tin in sein Büro. Die ahnte natürlich das etwas im Busch war, hatte aber keine Ahnung, um was es genau ging. Ohne eine Begrüßung wurde sie gleich barsch mit der ersten Frage gelöchert: »Stimmt es das May vorgeschlagen hat drei Energiekopplungen in den Gleitern einzusetzen?«


»Ja, und das ist auch eine gute Idee und genau so vorgesehen. Sie wird mit dem nächsten Wartungszyklus umgesetzt, wieso?«, erwiderte sie seine Frage mit einer Gegenfrage. »Dann ist es ja gut! Wenn wir ihren Gleiter vom Eis des Südpols gekratzt haben, wäre ein guter Zeitpunkt für eine außerplanmässige Wartung!«, brüllte Mergy sie an. »Was? Geht es May gut?«, fragte sie sichtlich erschüttert. »Ja, zum Glück für dich. Wenn so eine Schlamperei noch einmal vorkommt, kannst du deine Koffer packen. Stell dir vor das wäre über einer Stadt passiert und jetzt raus, bevor ich mich komplett vergesse!«, brüllte er sie wieder in voller Lautstärke an. Sichtlich erschüttert über seine Worte, seinen Zorn und mit dem Wissen, dass sie die Änderungen hätte längst einbauen können, verließ Tin das Büro.


Suki saß an einem Terminal und wusste zwar, es ging um May, hatte aber keine Ahnung wieso und warum Tin jetzt so hart angegriffen wurde. Wenige Minuten später kam Mergy aus seinem Büro direkt auf Suki zu. Das Mädchen schluckte und war bereit jetzt selbst angebrüllt zu werden: »Wenn der Sturm vorbei ist, schnappe dir einen zweiten Piloten und sammele May und ihren Gleiter ein.« »Wird gemacht!«, antwortete Suki zackig und war froh nicht in ein Wortgefecht geraten zu sein. »Ich muss mich jetzt erst einmal abreagieren!«, sprach der Kommander noch mit dem Rücken der Raummitte zugewandt aus und verschwand in einem der beiden Lifte.


May nutze die Gelegenheit und ließ sich die restliche Station zeigen. Die vielen Wissenschaftler und die verschiedenen Aufgaben und Forschungsgebiete fanden ihr Interesse. Besonders interessierte sie das Labor mit den Eiskernbohrungen. Der junge Gast ließ sich die Bohrer zeigen und den Sinn der Forschung ausführlich erklären. So erfuhr sie von dem Klima der Vergangenheit, welches in den Eisstäben konserviert wurde und Rückschlüsse auf die von Menschen verursachten Klimaveränderungen zuließ. Das Mädchen hatte keine großen Probleme den Wissenschaftlern zu folgen und stellte zu deren erstaunen ebenfalls selbst Fragen, die darauf schließen ließen das May ihren Ausführungen nicht nur aufmerksam folgte, sondern sie auch verstand.


Ab und zu musste sie sich zusammen reißen um nicht von ihrer Station zu reden oder auch nur den Verdacht aufzubringen, das ihre Basis im Weltall versteckt war. Auch hier waren die meisten überzeugt, die Station würde sich auf dem Grund des Meeres oder auf einem Schiff befinden. Nach einigen Stunden wurde zusammen gegessen und May erfuhr, dass sie selbst Gemüse anbauten, um nicht nur auf die Transporte angewiesen zu sein, die im Winter nicht über den Luftweg ausgeführt werden konnten. May genoss es neue Bekanntschaften zu schließen und alle waren sehr nett zu ihr und niemand behandelte geringschätzig. Im Gegenteil. Alle Personen gingen sehr respektvoll mit ihr um und als der Doktor der Station auch noch verkündete, dass die Medikamente bei den beiden kranken Frauen anschlugen, war die Freude groß. Es wurde sogar ein Toast auf May angestoßen, der diese Art der Huldigung sichtlich unangenehm war.


Nach einem langen und fröhlichen Abend wurde May ein Zimmer gezeigt, in dem sie die Nacht verbringen konnte. Die Kabine war sehr klein, aber wenn man bedachte, hier wären je nach Jahreszeit bis zu 200 Menschen, so war es nur verständlich. Hier waren, wie auf Ray Team One auch, viele verschiedene Religionen, Kulturen, Hautfarben und Landsleute. Alles lebte friedlich zusammen. Diese Station war deutlich kleiner als ihre neue Heimat, hatte durch ihre Begrenztheit aber auch ein herzlicheres Zusammensein. Sicher legte sie sich zur Ruhe. Die Nacht war still und absolut lautlos. Zum ersten Mal seit langer Zeit verbrachte sie wieder eine Nacht auf der Erde und bemerkte sofort, wie ihr die leichte Vibration, die die riesige Weltraumstation bei der Rotation erzeugte, fehlte. Sie konnte nicht wissen, dass es Seeleuten ähnlich ging, wenn sie nach Wochen auf See zurück an Land kamen. Am nächsten Morgen wachte sie von selbst auf. Niemand hatte sie geweckt. Naja, sie hatte ja auch keine Aufgaben oder Pflichten hier und war einfach nur Gast. Also wusch sie sich das Gesicht, zog sich ihre luftige und eigentlich nicht mal frühlingstaugliche Kleidung an und schaute vorsichtig auf den Flur.


Es war niemand zu sehen und so machte sie sich auf den Weg in den Raum, in dem sie am Tag zuvor zusammen gesessen hatten. Dort traf sie auch auf zwei bekannte Gesichter, die sie gleich an ihren Tisch winkten und bei einem gemütlichen Frühstück kamen sie schnell wieder ins Gespräch. Jedoch schon wenig später wurden sie durch einen lauten Knall aus ihrer Unterhaltung gerissen. Die Stationsbewohner dachten gleich an das Schlimmste, aber May beschwichtigte und meinte es wäre wohl nur ein Überschallknall gewesen und sie würde offensichtlich abgeholt. Im Pulk machten sie sich auf den Weg nach draußen. Auf dem Gang trafen sie noch andere Wissenschaftler, die durch das laute und ungewöhnliche Geräusch aufgeschreckt worden waren. Draußen waren es minus 38 Grad, was für den Winter am Südpol sehr mild war, wie sie bereits gelernt hatte. Die Sonne schien vom blauen Himmel und es war fast windstill. Der Sturm war vorbei.


Kaum hatten sie das Gebäude verlassen und waren auf halbem Weg die Stahltreppe nach unten gegangen, da hörte man schon das Heulen eines Gleiters und Sekunden später donnerte er über die Station hinweg, wendete in einer weichen Flugbahn, fuhr die Stalks aus und setzte sanft auf dem frostigen Boden auf. Die Tür auf der linken Seite schwenkte nach oben und Sukis Wuschelkopf blitze in der Sonne als sie ausstieg: »Hat hier jemand ein Taxi bestellt?« »Hey«, freute May sich ihre Freundin zu sehen: »Was ist ein Taxi?« Suki lachte schallend über diese Aussage, während sich im Hintergrund durch die weitere Beschallung angelockt, fast die komplette Mannschaft der Forschungsstation versammelte. »Wir müssen noch meinen Kampfgleiter suchen!« »Den hat Katie bereits am Haken. Die müsste eigentlich jeden Moment hier sein.« Wie auf Kommando erschallte der Schrei des zweiten Kampfgleiters über das Plateau. Unten eingehängt befand sich Mays Gleiter. »Oh, nein! Der ist ja ganz kaputt.«, brachte May mit entsetzter Stimme raus, als sie ihren zerdellten Flieger sah.


Die vordere Ladeluke war komplett eingedrückt, die Seiten eingedellt und die Flügel hingen nur noch mehr schlecht als recht am Vogel. »Der wird wohl eingestampft!«, kommentierte Suki den üblen Anblick. May wendete sich noch einmal an die Besatzung der Station und verabschiedete sich, nicht ohne sich für ihre Gastfreundlichkeit zu bedanken. Ohne weitere Verzögerungen stieg sie zu Suki in den Gleiter und sie hoben ab. Die Leute vor der Station winkten herzlich zum Abschied.


Der Kurs führte direkt aufs offene Meer, aber natürlich nicht ohne vorher noch mal einen lauten Schrei über dem ewigen Eis zu entfesseln. »Mergy war wegen dir vielleicht sauer.«, sagte Suki: »So wütend hab ich ihn noch nie erlebt. Er ist sonst immer so nett.« »Ich kann doch nichts dafür. Die Energiekupplung im Gleiter ist ausgefallen.«, beteuerte May. »Doch nicht auf dich!«, entfuhr es Suki: »Er hat Tin zusammengestaucht, weil sie sein Töchterchen in Gefahr gebracht hatte.« Suki biss sich auf die Zunge. Was war sie doch nur für ein Plappermaul! May hingegen verstand gar nichts mehr: »Mergy hat eine Tochter?«


Suki brach unfreiwillig in Lachen aus: »Du hast wohl zu lange mit dem Eis gekuschelt, was?« Als sie hinüber in Mays dunkle fragende Augen schaute wurde ihr klar, aus dieser Nummer kam sie nicht mehr heraus: »Er liebt dich!« May schwirrte der Kopf: »Er liebt mich?« »Ok, noch einmal für kleine Dummerchen: Mergy hat keine Tochter, aber du bist für ihn wie eine Tochter. Darum war er so sauer auf Tin, weil sie dich in Gefahr gebracht hat.«, sprach sie nochmal eine ausführliche und sortierte Erklärung aus, während die beiden Gleiter ins Weltall vordrangen. An Mays Blick konnte Suki eindeutig erkennen, dass sie keine Ahnung von Mergys wirklichen Gefühlen für sie hatte: »Das sieht doch ein Blinder.« May schluckte. Für sie war er auch wie ein Vater gewesen, sie hatte ihn gern, aber so direkt hatte sie das noch nie gesehen. Wortlos starrte sie in ihren Gedanken verloren nach vorne. Sie bemerkte die Ankunft auf der Station erst, als sich die Tür neben ihr mit einem Zischen öffnete.


Noch immer baff stieg sie aus dem Gleiter und fast zeitgleich öffnete sich die große Zugangstür des Flugdecks. Tin trat in die Halle und direkt auf sie zu: »Hey, ich bin so froh dich zu sehen.« Sie legte die Arme um May und drückte sie an sich: »Es tut mir so leid!«, gab Tin schuldbewusst zu verstehen: »Ich weiß nicht was ich gemacht hätte, wenn dir etwas zugestoßen wäre.« »Ist ja nichts passiert!«, nahm May ihre Entschuldigung an. »Ich hätte auf dich hören und die zusätzlichen Verteiler sofort einbauen sollen, wie du es vorgeschlagen hattest. Du fliegst damit herum, du verlässt dich auf die fehlerfreie Funktion und es ist meine Aufgabe genau dafür zu sorgen. Es tut mir wirklich leid!« Als sie sich aus der Umarmung lösten waren Suki und Katie längst wieder verschwunden und beide standen alleine in der großen Halle. Nur die riesigen Regale und ein demolierter lilafarbener Gleiter auf dem ebenerdigen Abstellpplatz waren Zeugen ihres Gesprächs. »Tut mir leid das Mergy sauer auf dich ist!«, gab May zu verstehen und Tin meinte nur das sie das wohl verdient hätte. Sie legte den Arm um May und beide gingen vom Hangardeck in den Lift. May stieg im Quartierdeck aus.


Tin fuhr in ihr Labor zurück. Auf halben Weg zwischen Lift und ihrem Wohnraum blieb May stehen und fragte Jaque nach dem Aufenthaltsort von Mergy. Sie erfuhr, er sei in seinem Quartier und May machte sich auf den Weg zurück, nochmal an der Lifttür vorbei. Schließlich stand sie vor der Nummer 4. Noch nie war sie bei ihm Zuhause gewesen und so zögerte sie bevor sie die Taste neben der Tür drückte. Die Tür öffnete sich nach einigen Sekunden, aber es war niemand zu sehen. May trat vorsichtig ein und hörte Mergy von hinten Rufen, er würde gleich erscheinen. Die Kabine sah genauso aus wie die von den Anderen. Naja, zumindest was die Raumaufteilung angeht. May hatte immer gedacht die Quartiere der Kommandoebene wären größer, aber es waren genau die gleichen Räume. Sowohl und größe als auch in Form. Mergy hatte nur andere Schränke und auch andere Sessel. Farblich war der Raum in leichtem Blau gehalten. An einer Wand waren statt der großen Regalfächer witzig kleine Felder und eine Scheibe versperrte direkten Zugriff auf den Inhalt. Darin befanden sich kleine blaue Figuren mit weißen Hosen und Mützen die frech grinsten. May schaute sich die Fächer an. Mal hatten die Männchen Werkzeuge oder Pflanzen in der Hand oder saßen in einem Rennwagen oder einem Flugzeug.


In einem größeren Fach war sogar eine kleine Rakete mit Mondauto und Astronaut. May lachte. Was machte er mit diesen kleinen Figuren, die augenscheinlich Spielzeug für Kinder waren? In anderen Fächern waren Musik CDs, die kannte May auch nicht bevor sie auf die Station kam, aber Suki hatte einige in ihrem Wohnraum und das obwohl die Musik auch über den Computer direkt abgerufen werden konnte. Suki hatte gemeint, sie wären eine Art Andenken an ihr früheres Leben auf dem Planeten. Vielleicht war das bei Mergy ja auch so? May konnte nicht umhin noch weiter die lustigen Figuren anzusehen. Es waren hunderte.


»Na, gefällt dir meine Sammlung?«, fragte Mergy plötzlich von der Seite. »Ja, die sind lustig!«, gab May zu verstehen: »Wofür sind die?« »Das sind seltenere Stücke, ich habe noch mehr. Die sammele ich schon ewig.«, erklärte Mergy und entschuldigte sich für die Verzögerung. Schließlich standen sie sich gegenüber und Mergy versuchte seine Freude auszudrücken, was Mays unversehrte Rückkehr anbelangte. Er war überhaupt nicht mehr so locker und cool, wie sie ihn kannte und er holperte durch die Sätze und stotterte sogar ein wenig. Augenscheinlich hatte Suki recht was seine Gefühle anging. Mergy hatte ganz offensichtlich ebenfalls Probleme seine Gefühle auszudrücken. May ergriff die Initiative und drückte sich an Mergy und umarmte ihn fest: »Ich hab dich auch lieb!« Mergy brauchte einige Sekunden, bis er verstand war hier gerade passierte und legte seine Arme auch um May, die diese Umarmung genau wie er sichtlich genoss.


Zwei Umarmungen an einem Tag. Das hier war definitiv ein guter Tag. Sie konnten nicht wissen das genau in diesem Moment eine Frau auf der Erde gebannt auf das Cover einer Zeitschrift blickte und mit Tränen in den Augen »May!« flüsterte.

Wind der Vereinigung

Muffelig stampfte May den Gang entlang. Sie war sauer. Mit ihrem Gleiter war sie in New York herum geflogen und hatte ein Kind gerettet, welches gerade aus einem Fenster gestürzt war. Alles hatte genauso geklappt, wie sie sich das vorgestellt hatte. Sie war auf den Punkt geflogen und hatte das kleine Mädchen direkt in der Luft geschnappt, während sie vorne auf ihrem Gleiter stand. Die Mutter konnte es gar nicht glauben, als ihre kleine Tochter wohlbehalten auf Mays Arm vor ihrem Fenster auftauchte. »Passen sie das nächste Mal besser auf, ich kann nicht überall gleichzeitig sein!«, ermahnte May noch zur Vorsicht, bevor sie in ihrem Gleiter verschwand und schnell im Tiefflug zwischen den Wolkenkratzern hindurch schoss.


Mit einer abschließenden harten Wende verließ sie die Stadt Richtung Ozean und steuerte mit einer wilden Rotation direkt an der Freiheitsstatue vorbei, als hinter ihr Kampfjets auftauchten, die ihre Bewegungen im Luftraum verfolgt hatten. Eigentlich durfte sie nicht hier sein, aber sie konnte das kleine Mädchen ja nicht sterben lassen, nur weil ein paar Politiker entschieden hatten dem Ray Team unter Androhung von Gegenmaßnahmen das Überfliegen ihres Landes zu verbieten. »Das sind also diese Gegenmaßnahmen!«, dachte May, als die erste Rakete auf dem Display auftauchte. May wich gekonnt aus. Was sollte sie auch anderes tun? Am liebsten hätte sie die Raketen abgeschossen, oder den Piloten gezeigt, wie lächerlich diese Waffen für den Schild eines Kampfgleiters waren. Mergy war anderer Ansicht. Er wollte die wirklichen Fähigkeiten der Kampfgleiter nicht ohne Grund offenbaren. Es war schon komisch. Ihr Vater hatte einmal etwas ähnliches zu ihr gesagt. Damals ging es um ihre Fähigkeit zu kämpfen. »Wenn dein Gegner deine wahren Fähigkeiten erkennt, ist es für ihn bereits zu spät.«, hatte er gesagt: »Diesen Vorteil sollte man allerdings mit Bedacht ausspielen.« Mergy war offensichtlich der gleich Meinung.


So kam es, dass sie die zweite Rakete einschlagen ließ und wie von Mergy angewiesen mit dem holographischen Systemen ihres Kampfgleiters die Illusion einer Explosion erscheinen ließ, während sie ihren Gleiter tarnte. Für die Kampfpiloten in ihren Jets sah es aus, als hätten sie May abgeschossen. In Wirklichkeit schwebte sie über dem Wasser und wartete bis die vom Gleiter simulierten Trümmer im Wasser versunken waren. Die Piloten meldeten triumphierend ihren Abschuss über Funk. Das wurmte May noch mehr. Sie wären in Wirklichkeit nicht einmal in der Lage auch nur zu treffen, geschweige denn sie abzuschiessen. Jetzt war sie offiziell erledigt und alles nur weil dieser dämliche Präsident verboten hatte, sein Territorium zu überfliegen.


Das Mädchen trampelte weiter bis in ihr Badezimmer und gerade als sie sich eine entspannende und beruhigende Dusche gönnen wollte, meldete sich Sab auf ihrem Transponder: »May sofort in Landebucht 2 melden« May bestätigte und grummelte ihren Unmut in ihre Hand nachdem sie die Finger wieder ausgerollt und somit die Verbindung abgebrochen hatte. Was sollte sie dort? Ausgerechnet Sab verlangte nach ihr. Das konnte eigentlich nichts Gutes bedeuten. Ok, Sab war in den letzten Monaten wirklich freundlich gewesen. Sie hatte ihre kühle und überhebliche Art ihr gegenüber deutlich zurückgeschraubt. Die Gedanken kreisten um Sab und ihre bisherigen Erfahrungen mit ihr. Das änderte sich erst als May die Tür zur Landebucht öffnete. Zu ihrem Erstaunen wartete auch der Doc dort und sein weißer Kampfgleiter auf dem Startdeck war ein sichtlich ungewohntes Bild. »Du kannst fliegen?«, fragte May schnippisch. Der Doc warf ebenso schnippisch zurück, er könne schon länger fliegen als sie. »Ok, Abflug!«, verkündete Sab, die hinter May durch die Tür kam: »Details gibt es unterwegs. Wir haben es eilig!«


Mergy erhielt unterdessen eine andere Mitteilung. Es war Jaque, der ihn über eine Frau informierte, die im Fernsehen behauptete die Mutter von May zu sein. »Ist die Frau wahnsinnig?«, fragte er rhetorisch, aber Jaque antwortete trotzdem und erklärte keine medizinische Diagnose aufgrund einer Fernsehübertragung stellen zu können. »Wir haben uns mittlerweile so viele Feinde auf der Erde gemacht. Die Frau bringt sich doch mit dieser Aktion in Lebensgefahr!«, erläuterte Mergy weiter: »Wo ist das?« »Wenn ich die topographischen Informationen aus dem Hintergrund der Aufnahme nutze, kommen etwa 13748 mögliche Orte in Frage.« »Das ist nicht hilfreich!«, erwiderte Mergy, der sich bereits auf den Weg zu seinem Gleiter machte.


»Blockiere diesen Beitrag auf allen Stationsmedien. Ich will nicht das May davon erfährt bis wir Klarheit haben.« »Ist bereits geschehen.« »Versuche es mit Hilfe der visuellen Daten aus unseren Kampfgleitern. Vielleicht hat einer zufällig genau diese Stelle schon einmal überflogen.«, kam Mergy in hastigem Ton eine weitere Anweisung während der den Lift betrat: »Hangardeck 2« »Ich konnte die Position der Frau aus dem Beitrag anhand der Daten aus diversen Kampfgleitern ermitteln. Es ist die Insel die May damals gerettet hat.«, verkündete Jaque. »Das macht Sinn. Die Medien haben sich wie die Fliegen auf diese wundersame Geschichte gestürzt und wenn ich May suchen würde, würde ich auch dort anfangen.« Mergy stieg in seinen Gleiter und flog los.


May bekam von allen diesen Dingen nichts mit. Sie versuchte Sab möglichst alles recht zu machen und lauschte ihren Informationen. Es ging darum ein Flugzeug zu beschützen. Doch als May erfuhr, wer in dem Flugzeug saß, verschlug es ihr die Sprache. »Der Präsident?«, fragte sie. »Ja, der Präsident!«, gab Sab leicht pampig zu verstehen und May schluckte. Sie sollte jetzt ausgerechnet den Menschen beschützen, der sie noch vor wenigen Stunden hatte jagen lassen wie eine Stubenfliege. May hatte keine Wahl. Nein, sie überlegte nicht einmal sehr lange. Es war ihre Aufgabe Menschen zu beschützen und genau dieser Aufgabe kam sie nach. Diesen Mann als Ziel ihrer Mission zu wissen, brachte in ihr keinerlei Zweifel hervor. Es war einfach richtig auch ihn trotz seiner Ansichten zu beschützen, selbst wenn es nur dazu diente ihm zu Beweisen, wie falsch er im Bezug auf das Ray Team lag.


Als sie die Position des Flugzeugs erreichten waren die beiden Begleitflugzeuge bereits dabei die überzähligen Angreifer abzuwehren. May und ihre Begleiter wurden gleich unter Beschuss genommen. Sab löste einen Gravitationspuls aus, der die anfliegenden Kampfflugzeuge aus ihrer Bahn warf: »Waffenfreigabe!« Die Flügel der Gleiter teilten sich und Raketen fuhren vom Rumpf bis zur Spitze. Kleine Geschützkanonen an den Enden der Flügel und an den Ecken des Rumpfes brachten sich in Stellung. Die feindlichen Flugzeuge hatten Probleme wieder in eine kontrollierte Flugbewegung zu gelangen, aber diese Zeitspanne brauchten die Gleiter um sich dem großen Flugapparat zu nähern. »Hier spricht das Ray Team. Drehen sie ab oder sie werden abgeschossen.« Die Angreifer hatten offensichtlich nicht vor die Maschine des Präsidenten abzuschiessen. Sie wollten das Flugzeug anscheinend entführen, denn sie machten keinerlei Anstalten auf das übergroße Ziel zu feuern.


Einer der Beschützerjets wurde vom Feindfeuer schwer getroffen und May schaffte es mit einem kleinen Transportring, den sie in den Jet und an den Arm des Piloten transportierte, den Piloten zurück in ihren Gleiter zu befördern, bevor die Maschine explodierte. Auch der andere Jet hatte der Übermacht nichts entgegen zu setzen und Sab transportierte den Piloten direkt in die Maschine des Präsidenten, wo er mitten im Raum in einem Lichtstrahl erschien und die Blicke der Sicherheitsbeamten an Bord auf sich zog: »Das Ray Team ist da draußen!« »Die greifen uns also an. Soviel zum Thema Beschützer und Retter.«, warf der Präsident zurück. »Nein, ich glaube die wollen uns wirklich helfen! Sie haben mich gerettet!«, gab der Pilot an und erläuterte die Situation in der er sich eben noch befunden hatte. Der Doc hielt sich, schon wegen der fehlenden Bewaffnung seines weißen Gleiters, sowieso aus den Kampfhandlungen heraus. Sein Gleiter war speziell für den medizinischen Einsatz konzipiert. Statt der üblichen Waffensysteme hatte er Platz für Zusatzschilde und Reaktoren und statt der Rückbank eine Liege für Krankentransporte.


Der andere amerikanische Pilot saß nun neben May und wusste nicht was ihn mehr erstaunte. Die unglaubliche Flugmaschine in die er wie von Zauberhand transportiert worden war, oder das kleine Mädchen am Steuer des futuristischen Gerätes. »May übernimm die Raketen!«, hörte er Sab über den Bordfunk sagen und die Sensoren zeigten vier Raketen, die frontal auf Air Force One zusteuerten. »Air Force One - Ray Team One. So sehr unterscheiden sich die beiden Parteien also gar nicht.«, ging es May durch den Kopf. Unter Protest vom sekundären Sitz steuerte May direkt vor das große Flugzeug: »May an Air Force One! Halten sie ihren Kurs, ich erledige die Raketen.« Die Angreifer hatten anscheinend die Strategie geändert. Ihnen war wohl ihre Chancenlosigkeit bewusst geworden. Sie hatten keine Möglichkeit gegen die neuerliche Übermacht, die von den Ray Team Gleitern ausging, zu bestehen. May zog ihr Raumschiff vor dem Flugzeug senkrecht hoch, vergrößerte die Schilde und die Sprengkörper krachten mit ihrer tödlichen Ladung direkt in die Schilde unterhalb ihres Gleiters.


Es gab einen gewaltigen Ruck und einige Warnsignale leuchteten auf und gaben Töne von sich, die nichts gutes verhießen. Der Antrieb fiel aus und Mays Gleiter stürzte unaufhaltsam in die Tiefe. »Sekundär- und Terziärreaktor hochfahren!«, befahl May und ihr unfreiwilliger Kollege fühlte sich angesprochen. May unterdrückte seine Fragen mit einem lauten: »Klappe!« »May raus da!«, wies Sab über Funk an. »Kommt nicht in Frage!«, erwiderte May während der Meeresspiegel sich immer schneller näherte. »Wir müssen hier raus!«, schrie nun auch der Pilot neben ihr und suchte offensichtlich nach dem Hebel für den Schleudersitz. Das es ein kleiner Taster neben seinem Hintern war, konnte er nicht wissen. »Ich bin May, wie heißen sie?«, fragte sie den Mann neben sich. »Levtenant Simmons« »Cool bleiben ist wohl nicht so euer Ding, oder?«, gab May schnippisch von sich und beobachtete die Vorwärmsequenz der Reaktoren.


Ohne das Vorwärmen würden die Energielieferanten innerhalb von wenigen Sekunden ausbrennen und wären maximal für eine Notwasserung tauglich. May hatte aber dennoch keine Wahl, die Reaktoren würden nicht schnell genug anlaufen, also startete sie den zweiten kleinen Reaktor in der Hoffnung so etwas Zeit zu gewinnen. Sofort leitete sie die komplette Energie in den Antrieb um und bremste ihren Sinkflug direkt über dem Meer. Das Wasser teilte sich durch den gestreuten Gravitationsstrahl unter ihnen. Eine Wand aus Wasser war für kurze Zeit auf beiden Seiten des Gleiters zu sehen und dann ging es endlich wieder steil nach oben. »Oh, Gott!«, hörte sie ihren Beiflieger jammern und wie auf Kommando begann der zweite Reaktor auszubrennen. »Ich muss Tin unbedingt sagen, dass der sekundäre Reaktor immer in Bereitschaft sein sollte und nicht erst noch hochgefahren werden muss. Wäre in solchen Situationen wirklich praktisch.«, erläuterte sie ihrem Nachbar, der sich festkrallte und kein Wort von dem Technogeschwätz verstand, welches May wie ein Profi von sich gab.


Erneut ging es abwärts, diesmal aber nur kurz, denn der letzte und deutlich größere Reaktor aktivierte sich und lieferte mehr als genug Energie für alle Bordsysteme. »Das wollte ich schon länger mal ausprobieren! Kampfmodus aktivieren. Alle Waffensysteme ausfahren.«, gab die kleine Pilotin von sich und der Gleiter begann damit ihre Anweisung umzusetzen. Die Gleiterflügel verstellten sich. Auf jeder Seite traten zwei weitere Flügel aus dem Rumpf hervor und das Geräusch, welches ihr Gleiter im Flug machte, wurde viel dunkler und klang nun richtig böse. Sie zog den Gleiter hoch und bereits im Steilflug trennte sie mit ihren Geschützen die Tragflächen eines Jets ab, der daraufhin wie ein Stein zu Boden flog. Der Pilot nutzte den Schleudersitz und sank am Fallschirm hängend Richtung Meer.


Der Präsident und seine Leute saßen in ihren Sitzen und schauten gebannt nach draußen. Wie ein riesiges mit Waffen überladenes Schlachtschiff tauchte Mays Gleiter am Fenster auf und trotz der bunten Lackierung und der Mangafigur auf der Frontpartie war der Anblick furchteinflössend. Plötzlich durchschlugen Geschosse die Außenwand. Das riesige Fluggerät verlor den Innendruck und sackte ruckartig ab. »Nesha«, rief der Präsident, als er seine Tochter blutend in ihrem Gurt hängen sah. »Es gibt Verletzte an Bord des Ziels!«, gab May über Funk dem Doc zu verstehen, während sie erneut einen der Angreifer mit ihren Geschützen zerlegte. »Ich bin bereits unterwegs!«, gab dieser nur knapp zu verstehen und bereitete sich auf den Umstieg vor.


Mit einem Lichtstrahl erschien der Mediziner des Ray Teams an Bord der Präsidentenmaschine und wurde sofort von den Waffen der Sicherheitstruppe bedroht. »Erstens haben ihre Waffen keine Wirkung auf mich. Zweitens würden sie wohl nur ihr Flugzeug weiter beschädigen und drittens bin ich Arzt und will helfen.«, erläuterte der Doc schnell und sachlich. »Nehmen sie die Waffen runter!«, wies der Präsident an und der Doc löste das Mädchen aus dem Sitz, während ihre Schwester unverletzt daneben saß und weinte. Der Wind pfiff durch die zerborstene Scheibe. Der Bordarzt mischte sich ein, als der Doc das Mädchen auf den Boden legte. »Mit Verlaub, sie sind nicht in der Lage ihr schnell und gut genug zu helfen.«, forderte der Doc nachdrücklich und legte der kleinen Patientin den Autodoc an. Der Bordarzt, der auf den Namen Relling hörte, protestierte lautstark, aber der Präsident gab ihm nur die Anweisung den Ray Team Arzt zu überwachen und zu kontrollieren. Es war mehr die technologische Überlegenheit, als das Vertrauen, die ihn zu dieser Entscheidung trieb.


Mit dem kleinen Handscanner zog dieser zwei Mal über den Körper der Kleinen, die er auf 11 Jahre schätzte. Zum Erstaunen der Anwesenden erschien das Hologramm ihres Körpers über ihr und der Doc begann gerade die verletzten Stellen zu behandeln, als am defekten Fenster ein Repligen erschien und mit seiner Arbeit begann. Sofort waren die Sicherheitsleute zur Stelle und schossen auf ihn. »Lassen sie das!«, brüllte der Doc: »Der repariert die Schäden.« Zögerlich und immer noch mit den Waffen im Anschlag beobachteten sie jetzt jede Bewegung der kleinen Spinne, die nach einer Neupositionierung gleich wieder damit begann ihre Strahlen auszusenden und das Loch zu flicken. Erst einige schmale Streifen und dann immer dicker, bis das Fenster schließlich wieder repariert war und der Kabinendruck sich normalisierte.


May und Sab versuchten unterdessen die Angreifer abzuwehren. Das war gar nicht so einfach, denn die hatten genau die entgegengesetzten Vorstellungen vom Sieg und selbst das eigene Leben war ihnen egal. Die alten russischen Migs und ihre Piloten taten ihr bestes und versuchten durchzubrechen, um den Jumbo direkt zu rammen, wurden aber von Sab und May in der letzten Sekunde gestoppt. Sie begannen auf gut Glück mit ihren Bordgeschützen zu schießen. Sab und May konnten nur reagieren und mit ihren Schilden verteidigen. Dann landeten die Angreifer einen Glückstreffer. Diverse Kugeln fetzten in die Front der riesigen Flugmaschine und rissen große Löcher in den Rumpf und in die Scheiben. Pilot und Kopilot wurden getroffen und sanken in ihren Sitzen zusammen. May flog über den Jumbo, der anfing seitlich zu kippen und warf den immer noch zittrig neben ihr sitzenden Jet-Piloten mit einem Transportstrahl direkt in die große Kabine des angeschlagenen Flugzeugs ab, wo auch die meisten anderen Passagiere sich befanden. Direkt danach transportierte sie sich selbst in die Front des Flugzeugs. Blutüberströmt lagen die beiden Piloten regungslos in ihren Sitzen.


May zog den Piloten aus seinem Sitz und aktivierte die Sprechanlage: »Doc ich brauche hier sofort Hilfe im Cockpit!« Der Doc hatte die Behandlung des Mädchens unter den staunenden Zuschauern gerade abgeschlossen, als die Pilotenkanzel getroffen wurde. Der Präsident, der Bordarzt und die anderen, die ihre Sicherheitsgurte gelöst hatten, waren durch die Kabine geschleudert worden. Einzig der Doc und seine kleine Patientin wurden durch die im Autodoc vorhandene Gravitationseinheit fest am Boden gehalten. Der zuerst eingetroffende Jet-Pilot hatte sich, durch Haltung und Schmerzensschreie deutlich erkennbar, ein Bein gebrochen, aber der Doc ignorierte ihn und machte sich auf den Weg ins Cockpit, wo er die schwer verletzten Piloten und eine May vorfand, die sich bemühte die tonnenschwere Metallmaschine wieder unter Kontrolle zu bringen. Er zog den ersten Mann aus dem engen Raum in den hinteren Bereich und ein anderer Regierungsbeamter machte das Gleiche mit dem Zweiten. Mays Gleiter schwebte derweil als Schild über dem ungleich größeren Fluggerät. Die Schilde der beiden Gleiter hätten locker gereicht um das ganze Flugzeug zu schützen, aber dadurch wäre der Luftstrom abgerissen und ein Absturz unvermeidlich gewesen. Sab kämpfte verbissen, aber es waren zu viele Jets die gleichzeitig feuerten und nur ein Kampfgleiter der die Menschen beschützte.


Schließlich hatte May den, sich wie einen Betonklotz verhaltenden, Flugkörper unter Kontrolle und der Repligen war bereits dabei auch die vordere Außenhülle des Jumbos zu flicken. Schlagartig hatte das Mädchen genau die zündende Idee, die ihr kleines Team jetzt brauchte, um die Aufgabe zu erfüllen: »Doc ich brauche die Kontrolle über deinen Gleiter!« Ihr männlicher Kollege vernahm den Wunsch, antwortete aber nicht, sondern ließ Taten sprechen. Zwei Raketen flogen direkt auf sie zu: »Sab, die Raketen übernehme ich!« May flog das Luftschiff in eine Wolkenformation, wo sie die Transponder deaktivierte und beide Gleiter tarnte. Der Gleiter vom Doc tarnte jetzt allerdings auch das komplette Flugzeug und störte sämtliche Funksignale. Mit ihrer Fernsteuerung aktivierte May den Hologenerator und feuerte einen Gravitationstorpedo ab. Sab sah nur einen Lichtblitz und dann wie die Wolke sich zerteilte. Riesige Trümmerteile des Jumbos fielen vom Himmel wie Schneeflocken. »Sab an May!«, rief der Kommander mit ungewohnt zittrig klingender Stimme nach ihren Kollegen.


Es gab keine Antwort. May konnte sie nicht hören und Sab konnte May nicht sehen. Genau wie die Piloten der restlichen Kampfjets, die jetzt abdrehten und ihre Mission als erfüllt ansahen. Sab blieb zurück und scannte die Trümmer nach Lebenszeichen und nach den Transpondern von May, Doc und den Kampfgleitern. Aber da war nichts. May konfigurierte derweil über ihre Kontaktlinsen an den Frequenzfiltern des Kampfgleiters herum und schließlich isolierte sie die der Transponderchips und ließ sie durch. »May, Doc?«, hörte sie jetzt die noch um Längen verzweifelte Anfrage von Sab. »Wir sind noch da! Air Force One auch!«, gab May zu verstehen. »Wie ist das möglich?«, fragte Sab verwirrt. »Mein MK6 hat einen Hologenerator und damit habe ich den Abschuss simuliert. Wirkungsvoll oder?«, flachste May. Sab schluckte vor Erleichterung: »Gut gemacht. Wir gewinnen noch ein wenig Abstand zu den Migs und dann verschwinden wir!« »Das geht nicht so einfach! Ich fliege Air Force One.« »Dann transportiere dich halt wieder in deinen Gleiter.«, schlug Sabs strenger genervter Ton schon wieder zu May durch. »Ich fliege nicht mit Air Force One, sondern ich fliege das Flugzeug! Die Piloten sind beide schwer verletzt. Der Doc kümmert sich gerade um sie.«


Mays Kampfgleiter enttarnte sich über dem vermeintlichen Trümmerfeld und flog in Richtung des getarnten Flugzeugs. Sab folgte ihm, denn sie konnte die genaue Position nicht ohne externe Hilfen wie Signalpeilungen bestimmen. »Du kannst einen Jet dieser Größe fliegen?«, fragte Sab unsicher. »Jep!«, gab May nur eine flapsige Antwort. Sie wollte gerade Details erläutern als die Tür zur Kanzel sich öffnete. Es war der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, Johnson, höchst persönlich: »Was ist hier gerade passiert?« »Wir haben ihren Arsch gerettet.«, gab May spöttisch ihren Unmut zu verstehen, den sie verspürte, wenn sie ihn auch nur ansah. »Wir haben keinen Funkkontakt mehr. Selbst über Satellit. Es ist alles ausgefallen.«


»Ich störe die Signale, damit die Terroristen nicht merken dass wir noch hier sind. Die denken nämlich sie hätten uns erfolgreich abgeschossen. So wie ihre Leute vor einigen Stunden jubelnd meinen Abschuss in New York gemeldet haben. Sie können von Glück sagen, dass ich nicht nachtragend bin. Wie geht es den Verletzten?« »Ihr Doktor verbringt da hinten wahre Wunder. So etwas haben wir noch nie gesehen.«, gab er eine vorbildliche Politikerantwort. »Setzen sie sich!«, befahl May und deutete auf den Stuhl neben ihr. Ohne zu zögern setzte sich der Präsident und ein Sicherheitsbeamter rückte an den freien Stehplatz vor. »Ist der wirklich nötig?«, fragte May und deutete nach hinten: »Wenn wir sie hätten umbringen wollen, hätten wir das auch leichter haben können.« »Lassen sie uns bitte alleine!«, kommandierte der Präsident und erst nach einer zweiten Aufforderung verließ der Sicherheitsmensch den kleinen Raum. »Es ist beeindruckend wie sie mit dieser Maschine umgehen können.«, merkte der ältere Herr an und meinte damit wohl ehr ihr Alter als die Fähigkeit als solche.


»Meine leichteste Übung.«, erwiderte May: »Aber wir haben ein Problem! Ich kann sie nur bis zur Landesgrenze fliegen. Ich habe Flugverbot über ihrem Land.« »In diesem Fall können wir ja wohl eine Ausnahme machen.«, gab der Präsident eine für ihn logische Antwort. »Nein, können wir nicht.« May würde ernster: »Wir sollen für sie und ihre Familie eine Ausnahme machen, aber das kleine Mädchen heute morgen hätten sie sterben lassen? Was für ein Anführer sind sie eigentlich? Wir helfen den Menschen. Wenn wir ihr Land erobern wollten, dann hätten wir das längst getan. Ihre Waffen sind den unseren sowieso nicht gewachsen.«


Dem Mann neben ihr verschlug es die Sprache. Einerseits war dieses junge Mädchen in der Lage Kampfflugzeuge und Jets zu fliegen, anderseits wirkte sie in dem großen und wuchtigen Pilotensitz so klein und unschuldig. Und dann waren da diese harten, direkten aber auch weisen Worte, die man von einem Kind so eigentlich nicht erwarten würde. Schließlich brachte der Präsident zögerlich eine Entschuldigung heraus. May rang ihm das Versprechen ab das Überflugverbot offiziell zu beenden, um auch für andere Länder ein Zeichen zu setzen. Nach einigem weiteren belanglosem Geplänkel beendete May das Gespräch von sich aus, in dem sie den Präsidenten aufforderte den Piloten Simmons nach vorne zu holen.


Mergy war unterdessen auf der Insel angekommen, aber dort war keine Spur mehr von der Frau aus dem Fernsehen. Er suchte fast eine Stunde die Insel und die Umgebung ab, bis eine winkende Frau seine Aufmerksamkeit errang. Sie war schlicht und einfach gekleidet. Ihre Kleidung passte optisch zu den Menschen, die May damals aus dem Wasser gezogen und ihr geholfen hatten. Die etwa 35 bis 40 Jahre alte Frau berichtete von bewaffneten Männern mit einem Boot, die auf die Insel gekommen waren und eine Frau verschleppt hätten. Mergy zeigte ihr das Bild aus dem Fernsehen, dass er direkt auf die Seite seines Gleiters projizierte. Sofort zeigte die Zeugin abwechselnd auf das Bild am Gleiter und in die Richtung in die das Boot gefahren war. Mergy flog, nicht ohne sich vorher für die Hilfe zu bedanken, gezielt in die zugewiesene Richtung. Direkt auf dem Kurs fand er kein Boot mehr, aber einige Seemeilen abseits lokalisierte er eine prunkvolle Jacht, die auf die Beschreibung passte. Er tarnte seinen Gleiter und tastete das Schiff mit den Sensoren ab.


Im unteren Teil entdeckte er einen Raum, in dem eine Person still saß. Die anderen waren mindestens zu zweit oder dritt in anderen Kabinen oder an Deck. Mergy transportierte sich in den Schiffsteil mit der einzelnen Person. Es war wirklich die gesuchte Frau, die sein wunderliches erscheinen mit großen Augen aufnahm. Mergy deutete mit dem Zeigefinger auf seinem Mund an, die Frau möge still sein. Dann löste er den Knebel und die Fesseln. »Sie suchen May?«, flüsterte er. Die Frau nickte und traute sich nicht etwas falsches zu machen oder zu sagen. Eine Hand öffnend ließ der Kommander einen Transportring erscheinen. Abermals versetzte die Frau dieser Zaubertrick in Bewunderung. Mergy streifte ihr den Ring um den linken Arm und betätigte den roten Taster. Mit einem Lichtblitz war die Gefangene verschwunden und erschien im unsichtbaren Luftschiff. Mergy setzte sich auf den Stuhl und legte sich die Fesseln etwas lieblos um. »Lasst mich hier endlich raus!«, brüllte er: »Ich bin nicht ihre Mutter!« Seine Stimme war wohl nicht fraulich genug, denn nur wenige Sekunden später öffnete sich die Lagerraumtür und ratlose Gesichter standen ihm gegenüber.


»Ihr habt euch mit den Falschen angelegt!«, gab Mergy zu verstehen und als die Typen überlegten was der verwandelte Gefangene eigentlich meinte, sprang dieser auf und rammte seine rechte Hand tief in den Boden. Dabei durchtrennte er einige Stromleitungen, verschiedene Schichten Holz, Plastik, Carbonfasern und Lacke bevor er das Wasser unter dem Schiff fühlte. Als er seine Hand wieder herauszog, drang ein fester Wasserstrahl mit über zehn Zentimetern Durchmesser in die kleine Kabine. Die Jacht würde sinken. Selbst wenn sie es schaffen würden diese eine Stelle schnell von Innen abzudichten, so war das Wasser im Boot und suchte sich seinen Weg zwischen den Schichten. »Damit seit ihr aus dem Geschäft!«, merkte der Kommander noch kurz an und transportierte sich direkt zurück in seinen Gleiter, bevor die verwirrte Besatzung auch nur eine Waffe ziehen konnten. Unten konnte man die Panik sehen, die sich breit machte. Das teure Schiff lag hinten bereits deutlich tiefer im Wasser. »Die haben jetzt echte Probleme!«, erklärte Mergy der Frau neben ihm auf dem Sitz: »Ich bin Mergy!« »Mein Name ist Reiko. Danke das sie mir geholfen haben.« Mergy schätzte sie auf Anfang 30, aber bei Asiatischen Frauen empfand er es schon immer schwer das Alter zu schätzen.


Der Name stimmte auf jeden Fall mit dem von Mays Mutter überein, aber auch das konnte ja immer noch ein Zufall oder absichtliche Täuschung sein. Mergy startete unauffällig einen Scan und schickte die Daten auf die Station, wo Sandra die Aufgabe übernahm die gesendeten Daten mit der gesamten Besatzung auf DNA-Ähnlichkeiten abzugleichen. Sie wusste nicht genau womit der Doc beschäftigt war, nur das der Doc mit seinem Gleiter unterwegs war. Mergys Nachbarin war sprachlos und als sie die Erde verließen, schaute er in ein seltsam vertrautes Gesicht. Genau das hatte er schon einmal gesehen. Nur viel jünger. Als Mergy um Landeerlaubnis fragte, antwortete Trish. Sie erklärte das Sab und May auf einer Mission seien. Sie schien zu wichtig gewesen zu sein um zwei Anfänger da mit alleine zu beauftragen. »Hoffentlich vertragen sich die Beiden.« Reiko lauschte interessiert, als sie Mays Namen hörte. Mergy erklärte ihr, dass May momentan nicht Zuhause sei, aber in Kürze zurück wäre und sie sich keine Sorgen machen müsse. Der Vergleich der DNA mit der gesamten Crew war sehr schnell abgeschlossen. Mergy hatte absichtlich nicht gesagt welches Mitglied er verglichen haben wollte, um jeden Zweifel seinerseits auszuräumen. Daher wurden die Daten mit dem kompletten Personal abgeglichen. Auf dem Schirm erschien nur eine kleine Mitteilung der medizinischen Abteilung: »May«. Sie war also wirklich Mays Mutter.


»Da wird sich aber jemand heute mal so richtig freuen!«, dachte Mergy beim Durchfliegen der Tarnwand, die immer noch unsichtbar die Station vor Blicken aus Richtung Erde schützte. Mergy schaute nicht nach vorne, sondern blickte nach rechts. Die Frau hatte ordentliche Kleidung. Die Schäden waren wohl durch die Entführung entstanden. Es war nichts besonderes. Ein grauer Rock und eine weiße Bluse. Die Haare waren etwas zerzaust und auch ihre Haut war stellenweise schmutzig. Diese Frau hatte sicherlich einiges erlebt in den letzten Jahren und doch die Hoffnung nie aufgegeben. Reiko kam aus dem Staunen nicht mehr heraus als die Station vor ihnen auftauchte. Mergy flog seine gewohnte Route über die Station und schwenkte zurück um die Landebucht anzusteuern. Sanft setzte er seinen Gleiter auf und öffnete die Türen. »Willkommen auf Ray Team One«, begrüßte er sie erneut.


»Jaque, wir brauchen ein Quartier. Das neben dem von May ist doch noch frei, oder?« Reiko bekam davon nichts mit. Sie war, wie May zuvor, einfach nur erschlagen von der Größe des Ortes. Mergy führte sie in den Lift, der sie in die Quartiere brachte. Ihre neue Bleibe sah exakt so aus wie die Wohnung von May bei ihrem Einzug. »Das ist ihre Wohnung, dahinten sind Schlafzimmer und Bad. Im Schrank finden sich hoffentlich ein paar Kleidungsstücke nach ihrem Geschmack.«, erklärte Mergy. »Meine Wohnung?«, fragte Reiko. »Ja, May hat auch ihr eigenes Reich. Sie wohnt eine Tür weiter.«, erklärte Mergy. Ihr neuer Vermieter brauchte kein Hellseher zu sein. Der Blick der Frau sagte alles. Wie hatte May es noch gesagt? Die Station war wie ein riesiges Schloss und genauso musste es jetzt Reiko ergehen. »Wenn da noch Fragen sind, dann einfach laut in den Raum fragen. Der Stationscomputer wird dann helfen.«, sagte Mergy. Reiko schaute in den dunklen Raum, der ihr Schlafzimmer sein sollte. »Licht!«, warf Mergy in die Finsternis und die Beleuchtung schaltete sich ein. Reiko lächelte und verstand was er meinte. Mergy zeigte ihr noch den Schrank und das Bad bevor er sich verabschiedete.


Er ging auf die Kommandobrücke, wo Trish gerade mit Sab kommunizierte. Sie kehrte offensichtlich alleine auf die Station zurück. »Wo sind May und der Doc?« »Der Doc hat noch Patienten und May fliegt Air Force One zurück in die Staaten!«, erklärte der Kommander auf dem Rückflug. »Das Letzte hab ich wohl falsch verstanden?«, staunte Mergy. »Nein, die Piloten sind außer Gefecht und May ist die Einzige an Bord, die den Vogel fliegen kann.«, erläuterte Sab über Funk. »Jaque, sie kann so ein Ding fliegen?«, fragte Mergy erstaunt. »Ja, diverse Modelle. Außerdem diverse Kampfjets und Sportflugzeuge.«, erklärte Jaque von der Decke. May legte sich unterdessen mit der Flugsicherung des Militärstützpunktes an: »Diese Frequenz ist nur für Militärflugzeuge gedacht Kindchen.«


»Ich sag euch gleich was Kindchen. Das hier ist die Air Force One, nicht weil ich das sage, sondern weil der Präsident der Vereinigten Staaten an Bord ist.«, maulte sie ins Mikrofon. »Und wie kommt es das wir kein Flugzeug auf dem Radar habe?«, fragte die Flugsicherung zurück. »Ups, Mein Fehler! Schauen sie noch einmal hin!«, gab May zu verstehen nachdem sie die Tarnung abgeschaltet hatte. Beide Kampfgleiter flogen nun links und rechts neben der Maschine während May wartete: »Kommen da jetzt Anweisungen zur Landung, oder soll ich mir eine Piste aussuchen?«, muffelte sie weiter ins Mikrofon. »Air Force One wird von männlichen Piloten geflogen und nicht von einer Frau. Identifizieren sie sich, oder wir müssen sie abschiessen.«, kamen wieder andere Ausreden. »Das hatten wir heute schon!«, gab sie zu verstehen und forderte dann den Präsidenten auf ins Cockpit zu kommen, denn auch Simmons konnte die Bodenbesatzung nicht überzeugen.


Der Präsident sprach mit dem Kontrollturm und ordnete an ihren Anweisungen zu folgen. Kaum hatte er einige Codes durchgegeben änderte sich der Ton schlagartig. Man wies May eine Landebahn zu und sie stellte den Kurs ein. Bisher war das Fliegen nur etwas an den Gashebeln schieben und steuern. Jetzt wurde es erstmals wirklich ernst. May war zu klein um alle Knöpfe und Schalter zu erreichen, die sie brauchte. Dieses Problem kompensierte sie genauso gekonnt wie unauffällig mit ihren neuen Superkräften, andere Dinge ließ sie einfach Simmons machen. Schnell war die Maschine im Sinkflug und wie ein Profi fuhr May das Fahrwerk aus, setzte sanft auf der Rollbahn auf und rollte langsam aus. Sofort war das Fluggerät von unzähligen Fahrzeugen umstellt und eine Treppe wurde herbei gerollt.


Kaum hatte May die Triebwerke und den Rest des Flugzeugs abgeschaltet, da stürmte auch schon ein Trupp Soldaten ins Cockpit, zerrte May vom Sitz und drückte sie auf den Boden. May konnte nichts passieren. Sie hätte sich jederzeit in ihren Gleiter transportieren oder die Soldaten überwältigen können, aber sie wollte sehen, wie der Präsident zu seinem Wort und auch zu ihr stand. Simmons jedenfalls protestierte lautstark und forderte Mays sofortige Freilassung, was ihr persönlich sehr gefiel. Sie wurde gründlich abgetastet, was angesichts des aktiven Körperschildes eigentlich ziemlich sinnlos war.


Handschellen klickten hinter ihrem Rücken um ihre Handgelenke. Dann wurde sie nach hinten, die Treppe hinunter in die Kabine, Richtung Ausgang gezerrt. »Lassen sie sie los und nehmen sie ihr die Dinger ab!«, befahl der Landeschef in einem sehr ernsten Ton und wendete sich direkt an May: »Diese Behandlung tut mir leid!« May lächelte kurz: »Hab ich mir schon selbst abgenommen, trotzdem Danke!« Sie wedelte mit den Handschellen und warf sie dem Soldaten, der sie und die Metallringe irritiert ansah, zu. Der Präsident und seine Familie verließen das Flugzeug über die Treppe. Die anderen Personen an Bord folgten. Die Soldaten auf dem Rollfeld zielten direkt auf May, bekamen aber sofort von einem Vorgesetzten die Anweisung die Waffen zu senken.


Die verletzte Tochter des Präsidenten war auch wieder, wenn auch etwas wackelig, auf den Beinen, sah aber durch die Blutflecken und das zerrissene Oberteil etwas derangiert aus. Sie kam direkt auf May zu: »Danke!« »Wir machen nur unsere Arbeit!«, gab May zu verstehen. Auch der Präsidentenvater und einige der Politiker sprachen erleichtert ihre Dankbarkeit aus, als ein Schrei die Szene überschallte. Der weiße Gleiter des Docs setzte auf und Mays Gleiter landete direkt daneben. »Denken sie an ihr Versprechen!«, mahnte May und schritt in Richtung Gleitertür. May schaltete noch beim Gehen die Waffensysteme aus, die mit einem surren im Inneren verschwanden, bis nur noch die vier kahlen Flügel ausgefahren waren und ihr Gleiter dem des Docs, bis auf die verschiedenen Lackierungen, wieder ähnlich sah. Mit einem Gravitationspuls ließ sie die Erde ein wenig erzittern, während der, auf Normaltonlage zurückgeschaltete, Schrei ihres Gleiters über die zuschauende Menge herein brach.


Auf der Station war Reiko unterdessen mit der Körperpflege fertig und hatte sich auch schon Kleidung ausgesucht. Staunend betrachtete sie die Dinge im Raum, als mit einem Piepen auf dem großen Bildschirm im Wohnraum eine Nachricht in ihrer Sprache erschien: »Damit sie wissen was da auf sie zukommt. Sagen sie einfach 'Anhang abspielen'. Mergy.« Reiko las den Text mehrfach und schließlich sagte sie die magischen Worte, die ein Video starteten. Es war ein Zusammenschnitt aus Stations- und Gleiterkameras sowie Fernsehaufnahmen der letzten Monate.


Alles über und mit May. Angefangen von Mays Rettung, ihre geschlossenen Freundschaften, ihre Rettung von Tin, die Flugprüfung und einige ihrer Missionen. Den abschließenden Satz sagte May selbst. Es war die erste offizielle Ray Team Mission überhaupt gewesen. Sie schaute in die Kamera und sagte: »Ich bin May!« Mit diesem Bild und Mays Gesicht blieb das Video stehen. Reiko streichelte das Bild ihrer Tochter auf dem Schirm: »Kann ich das nochmal sehen?« »Natürlich«, antwortete Jaque unsichtbar von der Decke. Reiko erschrak und schaute sich um, aber es war niemand da. Das Video startete erneut und Reiko sah es genauso gefesselt an, wie schon beim ersten Mal.


Ohne zu ahnen, welche riesige Überraschung dieser Tag noch bereit hielt, landeten der Doc und May im Hangar. Beide marschierten in den Lift und während May in den Quartieren ausstieg, fuhr der Doc weiter in seine Krankenstation. Mergy hatte nur auf die Ankunft gewartet und fing May an ihrer Quartiertür ab. »Komm mal mit!«, gab er May zu verstehen. Der immer noch staubige und abgekämpfte lila Pilot versuchte vergeblich ihm eine Pause zum Duschen abzuringen. Mergy lächelte und meinte nur das sich dieser Wunsch wohl schnell von selbst verabschieden würde, wenn sie ihren Besuch sehen würde.


»Besuch?«, fragte May, in deren Kopf es sofort anfing zu rattern. Wer würde sie auf der Station besuchen und wieso? »Besuch!«, erwiderte Mergy weiterhin geheimnisvoll und sie blieben vor ihrem Nachbarquartier stehen. Mergy drückte die Taste und beide warteten gespannt auf das, was gleich passieren würde, wenn auch mit unterschiedlichen Motiven. Aber es passierte nichts. Mergy drückte nochmal, aber es blieb dabei. »Ah, ich hab schon wieder vergessen die Klingel zu erklären.«, schimpfe Mergy mit sich selbst: »Jaque, kannst du unserem Gast die Klingeltöne erläutern?« »Schon geschehen.«, bestätigte er auf Mergys Kommunikator. Wenige Sekunden später öffnete sich die Tür und verschwand sanft in der Wand. Weiter passierte für einige Augenblicke nichts. May war genauso erstarrt wie Reiko, die wohl abwartete ob May sie überhaupt noch erkennen würde. May machte einen Satz nach vorne und klammerte sich an sie: »Mama!«


Mergy hatte derweil andere Probleme, denn Reiko hatte sich durch die neue Kleidung und die Körperpflege nicht nur ein wenig verändert. Er erkannte die eben noch so unscheinbare Frau kaum noch. Es dauerte einige Minuten bis sich beide aus der innigen Umarmung lösten. »Ich lass den Nahrungsverteiler in beiden Quartieren bis auf weiteres freischalten. Ihr habt euch sicher viel zu erzählen und könnt auf Zuschauer verzichten.«, wandte sich Mergy an May, die sich mit Tränen in den Augen umdrehte. »Ich nehme dich auch bis auf weiteres aus der Missionsliste. Schau mit deiner Mutter morgen beim Doc vorbei.«, gab er noch zu verstehen und wendete sich immer noch auf dem Gang stehend von den beiden ab.


Hinter ihm schloss sich die Tür. Suki kam ihm auf den Weg zum Lift entgegen: »Willst du zu May?«, fragte er direkt, denn ihr Quartier wäre anders herum deutlich schneller zu erreichen gewesen, als erst einmal zwei Drittel des unbewohnten Rings abzulaufen. »Ja. Ist sie jetzt da? Wir haben doch heute unseren Filmabend und sind schon spät dran.«, erklärte sie. »Tut mir leid, aber May wird in den nächsten Tagen wohl sehr wenig Zeit für dich haben. Lasse sie bitte in Ruhe. Das wirst du später sicherlich verstehen.«, umriss Mergy auch hier nur geheimnisvoll die Situation. Suki vertraute seinem Urteil und zweifelte nicht an seiner Aussage. Natürlich war sie ungeheuer neugierig, aber Mergy war so etwas wie Mays väterlicher Freund und wenn er es so wollte, dann hatte das wohl seinen Grund.


Auf dem Kommandodeck schauten Sab und Trish gebannt auf den Schirm als Mergy eintrat. »Was gibt es zu sehen?«, fragte Mergy, erntete aber nur ein: »Psst!« Auf dem Schirm mit dem üblichen Hintergrund war der Präsident der Vereinigten Staaten zu sehen, der gerade die voreilige Todesmeldung von einigen Nachrichtensendern und die Abschussmeldungen der Terroristen widerlegte: »–ist sicher auf der Edwards Air Force Base gelandet. Etwaige Meldungen bezüglich meines Ablebens sind daher etwas verfrüht. Des weiteren und auch wenn meine Berater mir davon abgeraten haben, so muss ich nicht nur als Präsident dieses Landes, sondern auch als Vater zugeben einen Fehler gemacht zu haben und dazu stehen. Um das Leben meiner Familie zu retten musste ich dem Ray Team erlauben in unser Land einzufliegen und das Flugverbot jetzt noch aufrecht zu halten wäre mit zweierlei Maß gemessen. Diese Lektion habe ich heute von einem kleinen Mädchen bekommen, welches nur wenig älter ist als meine eigene Tochter. Diese junge Frau setzt jeden Tag ihr Leben aufs Spiel, um andere Menschen zu retten und mit dem Flugverbot haben wir – habe ich – ihr unnötig Steine in den Weg gelegt. Daher wird das Überflugverbot für das Ray Team mit sofortiger Wirkung aufgehoben.« »Ein Problem weniger wie ich höre!«, gab Mergy zu verstehen und ging lächelnd in sein Büro.

Hauch des Vertrauens

»Es muss eine Fälschung sein.«, zischte Trish. »Das ist eindeutig Kampfgleiter 1.«, gab Mergy zu verstehen, während er dicht am großen Schirm auf der Kommandozentrale stand und mit den Händen immer wieder andere Stellen vergrößerte. »Jaque, es auch sicher keine Fälschung?«, fragte Trish. »Ohne das Original zu haben ist das schwer zu sagen, aber alle Schatten und Proportionen sind korrekt. Die Qualität der Aufnahme spricht ebenfalls eindeutig dafür, dass diese Aufnahme im besagten Zeitraum von 1943 oder 1944 gemacht wurde. Digitale Manipulationen kann ich ziemlich sicher ausschließen.«


Die Tür des Liftes sprang auf »Was gibt es denn so wichtiges?«, fragte Sab leicht genervt noch bevor sie den Lift komplett verlassen hatte. »Schau dir an was Jaque aus dem Internet gefischt hat.«, gab Mergy zu verstehen. »Hah, doch eine Fälschung!«, triumphierte Trish: »Da sind keine Scannervertiefungen an der Seite.« »Das Bild zeigt eine Aufnahme aus dem zweiten Weltkrieg und darauf ist ein Kampfgleiter zu sehen, der über die russischen Soldaten hinweg fliegt fliegt.«, erklärte Mergy. »Keine Scannervertiefungen!«, stimmte Sab zu. »Also doch nichts weiter als ein Fake. Zurück an die Arbeit.«, grinste Trish, aber Sab sah das anders: »Keine Fälschung!« »Bitte?« »Naja, Scannervertiefungen sind nicht mehr nötig und werden laut Tin beim nächsten Technologieupdate von Mergys Gleiter entfernt. Nächste Woche um genau zu sein.«, erklärte Sab.


»Auf dem Bild aus der Vergangenheit ist ein Kampfgleiter aus der Zukunft?«, fragte Trish ungläubig. »Sieht wohl so aus, aber das kann euch Tin bestimmt besser erklären!«, sprach Sab aus und wie auf Kommando stieg Tin aus dem Lift und bekam die aktuelle Meinung ebenfalls präsentiert. »Also theoretisch sind Zeitreisen möglich, aber die Energie dafür ist gewaltig. Wenn man etwa 40 der großen Reaktoren zusammenschalten würde, könnte man vielleicht – und ich meine wirklich nur vielleicht – ein Objekt in der Größe eines Kampfgleiters 30 Tage in die Vergangenheit zurück schicken, aber diese Technologie haben selbst wir bisher nicht und 40 große Reaktoren sind alleine schon deutlich größer als ein Kampfgleiter.«, erläuterte Tin, die das Bild schon auf dem Weg zur Zentrale auf ihrem tragbaren Terminal untersucht hatte.


May schwebte indes, wie schon in den letzten Tagen auch, auf Wolke Sieben und war unzertrennlich von ihrer Mutter. Sie erzählte ihr von allen Erlebnissen der letzten Jahre und im Gegenzug erfuhr auch sie was ihre Mutter durchgemacht hatte. Beide waren unendlich froh einander wieder zu haben, auch wenn ihr Vater nicht dabei war, hatten sie endlich einen Teil ihrer Vergangenheit zurück erhalten. So saßen sie auch an diesem Morgen zusammen bei Sor und frühstückten gemeinsam, als Sab May über ihren Chip kontaktierte und ihr eine Aufgabe zuteilte. »Ich dachte ich muss erstmal keine Missionen fliegen?«, sagte May und ihre Mutter war für einen kurzen Moment irritiert. Sie selbst hatte auch die nötigen Implantate bekommen, nutzte es aber mangels Kontakten zu anderen Personen bisher nicht weiter zur Kommunikation. »Das Orakel will es anscheinend so.«, erklärte Sab am anderen Ende. May ließ die Koordinaten an ihren Gleiter schicken und verabschiedete sich von ihrer Mutter, die, wie May selbst, noch nicht mit der Mahlzeit fertig war und machte sich auf den Weg zum Landedeck.


Mergy rannte sie fast um, als sie die Örtlichkeit verließ und rief ihm nur ein »Tut mir leid!« zu. Mergy nahm das übliche Frühstück bei Sor am Tresen entgegen und setzte sich, nicht ohne vorher zu fragen, an den Tisch von Reiko. »Schon etwas eingelebt?«, fragte er die neue Bewohnerin direkt. »Es ist alles so neu und fremd.«, gab Reiko zu verstehen und strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Mergy erkannte die Bewegungen sofort. May machte es genauso. Der Kommander war immer noch angetan von der Anmut dieser Frau. Jede ihrer Bewegungen war bedacht und sorgsam und ihre Ausstrahlung war gleichsam schüchtern wie anziehend. »Ich würde May gerne mitnehmen!«, platzte sie ohne Vorwarnung heraus und fügte noch eine abmildernde Frage nach: »Wenn das geht?« Mergy war für einen Moment wie von einem Hammer getroffen.


Einerseits gefangen von ihrer Optik und andererseits dieser Wunsch, der nicht nur Mays Leben radikal verändern würde. Sie wollte ihm seine Tochter nehmen. Ja, seine Tochter. Er konnte sich gar nicht vorstellen wie diese Station ohne May wäre. Klar waren sie auch weit über ein Jahr ohne May ausgekommen und sie war nicht unersetzlich, aber ihre forsche Art, ihr Witz und ihre unschuldige Sicht der Dinge war ein Schatz unermesslichen Ausmaßes. »Natürlich können sie sie mitnehmen.«, hörte Mergy sich sagen, was er eigentlich nicht wollte: »Sie sind schließlich ihre Mutter und wir sind kein Gefängnis. Haben sie schon mit May darüber gesprochen?« »Nein, ich wollte es ihr gerade eben sagen, aber sie musste wohl auf eine Mission.«, gab Reiko zu verstehen.


May ahnte von alle dem nichts als sie das Landedeck betrat. Ihr Gleiter war noch nicht bereit. Katie wies gerade einen Piloten zur Landung ein. Es war Moon. May konnte ihn nicht wirklich leiden. Er war immer hochnäsig zu ihr und unterstellte ihr bei jeder Gelegenheit mal klar und mal in Andeutungen, dass May ja nur so weit gekommen wäre, weil sie Mergys kleines Mädchen wäre. Es gab schon einige Situationen, da hätte May ihm am liebsten seine riesige Nase eingehauen, aber das wäre nicht richtig gewesen und am Ende hätte sie sich noch bei ihm entschuldigen müssen. Das war es wirklich nicht Wert.


Der Gleiter sauste durch den Flugkorridor. Dann gab es einen Schlag. Einer der Stabilisatoren war regelrecht explodiert und der Gleiter rumpelte von einer Wand in die Nächste. Er krachte auf den Boden, nur um im nächsten Moment erneut abzuheben und herum zu schleudern. Mit lautem Scheppern und herum fliegenden Teilen kam er in der Haupthalle an und die Trümmer schossen direkt auf May und Katie zu. »Deckung!«, schrie May und Katie versuchte sich schützend hinter der Konsole zu verstecken. May hob ihre Arme, spreizte die Finger und schloss die Augen.


Als sie vorsichtig die Augen wieder öffnete hing der Kampfgleiter, mit der Frontscheibe nach unten nur wenige Zentimeter über der Konsole, direkt vor ihr in der Luft. Die losen Fragmente des Gleiters rieselten nach dem Aufprall auf die unsichtbare Barriere, die May erschaffen hatte, scheppernd zu Boden. May hatte Mühe die schlagartigen und wechselnden Bewegungen des Gleiters zu kompensieren, der immer noch versuchte auszubrechen. Mit der Kraft ihrer Gedanken betätigte sie die Sensortaste für die Kommunikation und brüllte: »Antrieb abschalten! Stalks ausfahren!« Es passierte nichts. Moon hing auf dem Kopf in seinem Gleiter. Seine langen schwarzen Haare versperrten ihr die Sicht in seine Augen. Er war anscheinend ohnmächtig.


»Katie schalte den Antrieb des Gleiters über die Konsole aus.«, gab der kleine Pilot mit verzerrtem Ton zu verstehen. Katie hatte sich schon vorsichtig aus ihrer Deckung gewagt und schaute verwirrt zwischen May und dem Kampfgleiter her, der mit der Frontluke nur knapp über ihren Köpfen schwebte und immer wieder bedenklich zuckte. »Mach' schon, ich kann ihn nicht mehr lange halten!« Katie drückte auf dem Sensorfeld einige Tasten und aktivierte die Fernsteuerung, mit der sie den Gleiterantrieb deaktivierte. Ihre junge Kameradin drehte ihre Arme ganz so als wenn sie den Gleiter in den Händen hielt und die große Maschine folgte ihren Anweisungen ohne einen Laut von sich zu geben. Es dauerte nicht lange und der Gleiter sank mit den verbliebenen zwei Landefüßen voraus sanft auf den Boden.


Mit einem Schnaufen der Erleichterung ließ May die Konzentration weichen und wies Katie an den Doc zu rufen und ihren Gleiter startklar zu machen. May öffnete noch schnell die Gleitertür des demolierten Gefährts. Moon schaute ziemlich benommen aus der Wäsche. »Der wird wieder!«, sprach sie noch aus und kaum war der Gleiter aus dem Regal gezogen und auf dem Deck angekommen schwang sich May hinein und flog los. Ihre Kollegin blieb gleichsam erstaunt und verwirrt im Hangar zurück. Mays Gedanken kreisten ebenfalls um das Geschehene. Jetzt war es nicht mehr zu verheimlichen. Die Beiden hatten gesehen was sie konnte. Auch wenn Katie als Freundin ihre Klappe halten würde, Moon würde das niemals machen. Naja, vielleicht hatte er seine wundersame Rettung gar nicht mitbekommen. Aber darüber nachzudenken war sowieso Zeitverschwendung, denn die Überwachung hatte sicherlich auch alles aufgezeichnet.


Unrecht hatte May da nicht. Sab hatte auf dem Bildschirm die beinahe Katastrophe gesehen und gerade als sie ein Notfallteam schicken wollte hatte May die Situation entschärft. Sie kontaktierte sofort Mergy, der aber abwiegelte und sich erst einmal weiter mit Reiko unterhalten wollte. Natürlich sagte er das nicht so direkt, sondern meinte, dass beim Essen sei und es wohl noch 10 Minuten Warten könne. Mergy erklärte Reiko, dass May auf dem Planeten zumindest für die nächsten Jahre eine Zielscheibe für alle Menschen und Gruppen sei, denen das Ray Team die illegalen Machenschaften still gelegt hatte. Es waren sogar schon Kopfgelder auf einzelne Ray Team Mitglieder ausgesprochen worden und auch Reiko hatte schon am eigenen Leib erfahren, was es hieß nur die Mutter von May zu sein.


»Hier ist aber nicht das richtige Umfeld für ein kleines Mädchen.«, betonte Reiko. Mergy bestätigte diese Meinung, aber erläuterte auch gleich, das das kleine Mädchen in den letzten Jahren alleine für sich gekämpft hätte und nun endlich einen Platz gefunden hatte, den sie wieder als Zuhause ansehen würde. Sie hatte alle Freiheiten und sich freiwillig entschieden mit den anderen Piloten zusammen Menschenleben zu retten. »Sie ist vielleicht erst 14, hat aber mehr erlebt als die meisten 25 jährigen hier auf der Station. Und sie benimmt sich in vielen Fällen auch deutlich erwachsener als ihre deutlich älteren Kameraden.«, schloss er sein Plädoyer ab.


Schließlich waren beide mit dem Essen fertig und Mergy verabschiedete sich auf das Kommandodeck, wo Sab bereits ungeduldig mit dem Sicherheitsvideo wartete. Mehrfach spielte er die Aufnahme ab, in der deutlich zu sehen war wie May den Gleiter in der Luft einfach stoppte. »Kein Trick? Kein Fehler in der Aufzeichnung?«, fragte er schließlich. »Nein. Auch keine Abweichung im Gravitationsnetz oder ähnliches. Jaque hat die Sensordaten bereits geprüft.«, erläuterte sie: »May hat ihn in der Luft einfach angehalten.« »Das ist unglaublich.«, gab Mergy zu verstehen. »Und das sagst ausgerechnet du?«, fragte Sab schließlich: »Du warst doch von Anfang an der Meinung sie wäre etwas besonderes. Sieht so aus als wäre ihre besondere Auffassungsgabe und ihr Gespür für Taktik nicht das Einzige was sie von allen anderen abhebt.«


Mergy hörte gar nicht mehr richtig hin, sonst wäre ihm das beinahe Eingeständnis seines Besatzungsmitgliedes aufgefallen. Er machte sich auf den Weg und war genauso schnell verschwunden, wie er erschienen war. Sab hatte jedenfalls noch eine Diskussion über die Art von May Fähigkeiten erwartet, aber Mergy war bereits einen Schritt weiter und suchte den Doc auf, dem er auch gleich die Aufzeichnungen präsentierte. Moon war in einem der Krankenzimmer verstaut und hatte, wie der Doc ihm berichtete, nichts von alle dem mitbekommen.


Der Doc war genauso sprachlos wie Mergy. Er meinte es wäre wohl der erste Fall von dokumentierter Telekinese und schaute sich nochmal die Daten von Mays letztem Scan an. Er konnte aber nichts ungewöhnliches finden, was auf diese spezielle Fähigkeiten hin deutete. Mergy zitierte Katie in die Krankenstation und sperrte den Zugang auf die Videodateien, was Sab fast zeitgleich bemerkte, als sie Trish in der Kommandozentrale die Sensation vorspielen wollte. Es dauerte nicht lange bis Katie eintraf und Mergy nahm sie ins Gebet niemandem etwas von dem, was mit dem Gleiter passiert sei, zu erzählen. Wohlwollend nahm er auf, dass Katie zwar über den Vorfall gesprochen hatte, weil andere Kadetten Moon auf der Trage gesehen und gefragt hatten, aber sie hatte nicht einmal die Anwesenheit von May erwähnt, weil sie doch ihre Freundin sei und sie ihr nicht schaden wollte.


May war bereits auf dem Rückweg zur Station. Die Mission war ziemlicher Käse gewesen. Ein Kind war in einen Schacht gefallen, aber es waren bereits Helfer vor Ort und ihre Hilfe wurde gar nicht benötigt. Anscheinend hatte ihr das Orakel diese Mission nur ihr angedichtet, damit sie im Hangar das Unheil verhindern konnte. Das Landedeck lief wieder über die Kommandokontrollen auf dem Kommandodeck und der Terminal selbst war unbesetzt. Der Gleiter von Moon stand auf der Abstellfläche für Gleiter, die fehlerhaft waren oder, wie in diesem Fall, nach Unfällen untersucht werden mussten, um etwaige technische Probleme zu beseitigen. Kaum war May im Lift und hatte ihr Ziel angegeben, da empfing sie auch schon die Nachricht von Mergy sich in seinem Büro zu melden. Damit war es klar: Die Sensation machte bereits die Runde. »Sein Büro.«, dachte May.


Es war eigentlich das Büro des aktuell kommandierenden Offiziers. Das konnte jeder dort sein, aber Sab und Trish saßen lieber an den Terminals in der Kuppel, als alleine in dem großen Büro. Sie nutzen es nur, wenn jemand einen Anpfiff bekam. »Ob ich jetzt wohl auch einen bekomme?«, fragte sich May, als der Lift stoppte. Sab und Trish schauten May mit erstauntem Blick von ihren Konsolen aus an, als sie den Lift verließ. Es gab keinen Zweifel. Die Beiden wussten offensichtlich bereits über ihre Fähigkeit bescheid. Die frisch gebackene Superheldin ging direkt rechts die kleine Treppe hinauf und in das Büro in dem Mergy schon hinter dem Tisch auf sie wartete. Nur einmal war sie wegen ihrer Anhörung bisher hier auf dem Kommandodeck gewesen und Sab hatte sie des Mogelns bezichtigt. Das war aber im Konferenzraum nebenan. Jetzt musste sie in den Thonsaal des Königs.


Unsicher betrat sie das Zimmer. Es hatte die gleichen Ausmaße wie der andere Raum. Nur war er komplett anders eingerichtet. Mergy saß an einem massiven Grauen Tisch, der sich aus dem Boden empor zu schwingen schien und oben eine Fläche bildete. Davor zwei Sessel. Ein Lächeln fuhr ihr über das Gesicht, als sie auf dem Tisch zwei der blauen Figuren erblickte, die sie schon in seinem Quartier gesehen hatte. »Setz dich.«, sagte Mergy freundlich und deutete auf einen der beiden Sessel. »Ich denke du weißt warum du hier bist?«, fragte Mergy und May nickte nur. »Du willst nicht darüber reden, oder?«, gab er zu verstehen und drückte auf dem schwarzen Feld in der Tischfläche herum. Über dem Tisch erschien ein Hologramm, welches die Aufnahmen aus dem Gleiterraum zeigte. Deutlich war zu sehen wie May ihre Arme hob und den Gleiter umdrehte und auf die Füße setzte. »Ich kann Dinge bewegen ohne sie zu berühren. Ist das jetzt schlimm?«, fragte May zurück: »Ich bin immer noch die Selbe!« »Klar bist du noch die Selbe. Seit wann kannst du das denn?«, fragte Mergy.


»Wahrscheinlich schon immer, aber auf der Insel habe ich es zum ersten Mal genutzt.«, erklärte sie. »Warum hast du nichts gesagt?«, bohrte Mergy nach und May erklärte ihm ihre Gründe. Sie musste selbst lange probieren, bis sie herausgefunden hatte, wie ihre neuerlichen Kräfte funktionierten. Sie streckte ihre Hand aus und eine der blauen Figuren flog quer über den Tisch in ihre Hand. »Ein Ritter! Wie treffend.«, merkte May schnippisch an, als sie das Schwert und die Rüstung des kleinen Männchens betrachtete. Mergy hatte diese kleine Demonstration zwar deutlich wahrgenommen, konnte aber nicht wirklich glauben was er gesehen hatte. »Ich hab die Aufnahme gesperrt und Katie scheint dir eine sehr gute Freundin zu sein, aber ich denke du schuldest ihr trotzdem eine persönliche Erklärung. Außer der Kommandocrew hat sonst niemand was von dem, nennen wir es mal Zwischenfall, erfahren«, erklärte er. Damit hatte May jetzt nicht gerechnet: »Ich - ich bin also nicht der Freak der Woche?« »Nur die süße unschuldige May, der man keinen Traubensaft anvertrauen kann.«, gab Mergy zurück.


»Jaque du Verräter!«, blaffte May zur Decke und erntete ein: »Verrat ist nicht Bestandteil meiner Programmierung.« Beide mussten lachen und schließlich öffnete May ihre Hand und das Spielzeug erhob sich erneut in die Luft und stoppte direkt vor Mergys Gesicht. Ungläubig fuhr dieser mit seinen Händen um das Objekt, aber es bewegte sich nicht einmal. Er vermochte keine Drähte oder ähnliches auszumachen. Selbst als er den Kopf des Männchens berührte, war es nicht möglich die Figur auch nur minimal zu bewegen. Starr wie angeklebt schwebte sie vor ihm in der Luft und grinste ihn dabei frech an.


Schließlich schwebte das Spielzeug wieder an seinen alten Platz auf dem Tisch zurück: »Kann ich dann gehen?« »Ja, natürlich. Deine Mutter wollte noch etwas mit dir etwas besprechen. Ihr seit vorhin unterbrochen worden.« »Hey«, hielt er sie noch einmal zurück: »Du kannst mit mir über alles reden. Egal was es ist, ok?« May lächelte und machte sich auf den Weg nach draußen. Sab und Trish schauten sie weiter ungläubig und direkt an. Ohne das May die Beiden auch nur eines Blickes würdigte, nahm May ihre Tassen und vertauschte sie hinter ihrem Rücken bevor der Pilot sie am alten Platz der jeweils anderen Tasse absetzte.


Mergy hatte die Szene genüsslich beobachtet und wartete jetzt nur darauf, dass eine von beiden einen tiefen Schluck des falschen Getränks nahmen. Er griff nach dem kleinen Ritter, der eben noch Teil des Zaubers gewesen war. Es war kein Trick gewesen. Es war echt. Und dann die Nummer mit den Tassen. »Von der Kleinen haben wir noch eine Menge zu erwarten.«, dachte er, während er dabei zusah wie Sab den vermeintlichen Tee in den Gang prustete. Es dauerte nicht lange, da stand May erneut in seinem Büro. Bereits 30 Minuten später um genau zu sein. »Sie will mich mitnehmen. Du wusstest das!«, blaffte sie gleich mit einem zornigen Blick heraus und warf sich in einen der Sessel.


»Ich nehme an du willst nicht?«, fragte Mergy. »Natürlich will ich nicht. Hier ist mein Zuhause. Ich habe hier meine Freunde und so etwas wie eine Familie.«, sprach May ihre Gefühle für ihr neues Leben erstmals offen aus. »Deine Mutter ist auch deine Familie. Mehr noch. Sie ist deine richtige Familie.«, gab Mergy zu verstehen: »Sie hat sonst niemanden. Nur dich!« »Ich will hier aber nicht weg.«, maulte sie und verschränkte ihre Arme trotzig wie ein Süßigkeiten forderndes Kind, welches sich vor dem Regal im Laden auf den Boden wirft. »Ich kann da nichts machen. Sie ist deine Mutter und damit hat sie jedes Recht der Welt dich mitzunehmen.«, erklärte Mergy weiter und versuchte weiterhin ruhig und sachlich zu bleiben, obwohl ihn das Thema genauso berührte. »Doch kannst du. Ohne einen Gleiter kommen wir hier nicht weg und ohne einen Piloten auch nicht.«, erläuterte May ihren Plan.


»Das geht nicht. Das wäre Freiheitsberaubung. Womit hat es deine Mutter verdient hier gegen ihren Willen einsperrt zu werden?«, vernichtete er ihren Wunsch mit wenigen Worten. May antwortete nicht und muffelte in Gedanken vor sich hin: »Du bist auf ihrer Seite!« »Ich bin auf keiner Seite. Denkst du mir fällt es leicht dich einfach so gehen zu lassen? Meinst du etwa du bist mir egal? Habe ich dir etwa jemals dieses Gefühl vermittelt?«, wurde er jetzt nur eine Spur lauter, fügte aber dafür eine Priese Vorwurf in seine Stimmlage ein. »Nein.«, brummelte May nur leise und blieb still im Sessel sitzen.


»Warum nimmst du deine Mutter nicht einfach in deinem Gleiter auf einen Ausflug mit. Redet in Ruhe miteinander. Erkläre ihr was du willst und höre dir an, was sie sich vorstellt. Das machen Erwachsene so und wenn du so behandelt werden willst, dann solltest du dich auch entsprechend benehmen. Vielleicht gibt es ja einen Kompromiss der euch beide zufrieden stellt.«, riet Mergy der kleinen Prinzessin. »Ich versuche es.«, kam leise aus dem eben noch patzigen Mund. »Nicht einfach versuchen! Anstrengen und richtig Mühe geben.«, erklärte Mergy: »Hab ich von einem kleinen Mädchen in deinem Alter gelernt.« »Schlaues Mädchen.«, grinste sie leicht und erhob sich aus ihrem Sessel.


Es bedurfte etwas Überredung, aber May konnte ihre Mutter dazu bringen in einen Gleiter zu steigen, den ihre kleine Tochter steuerte. Erst flogen sie nur still neben einander sitzend einfach so über dem Meer. Schließlich erhob May das Wort: »Mama ich will nicht zurück auf die Erde. Die Station ist mein Zuhause. Dort sind meine Freunde.« »Die Station ist so fremd. So anders. Das ist nichts für mich.«, gab Reiko an: »Ich muss etwas tun. Arbeiten. Aber auf der Raumstation geht das nicht.« »Du kannst doch Pilot werden und auch Kampfgleiter fliegen.«, versuchte May eine Art Kompromiss zu finden, wie Mergy es vorgeschlagen hatte.


Reiko wollte gerade antworten, als ein Funkspruch das Gespräch unterbrach: »Niesha an alle Kampfgleiter in der Nähe ich brauche Hilfe.« May leitete die Koordinaten, die der Mitteilung angeheftet waren direkt in die Navigation um, stellte den Hebel für die Geschwindigkeitsbegrenzung in der Mittelkonsole auf Maximum und trat das Gaspedal voll durch. »May an Niesha. Bin unterwegs, was ist los?«, fragte sie direkt. »Ein Konvoi mit Flüchtlingen ist in einem Minenfeld und kann nicht umdrehen. Jets, Hubschrauber und Artillerie hindern mich daran zu helfen.«, kam prompt die Antwort.


Mit einem Knall traf Mays Gleiter über dem Gebiet ein. Der Konvoi hatte versucht einen schmalen Pfad in Richtung Landesgrenze zu nehmen, aber augenscheinlich war das eine Falle. Es waren 3 Lastwagen und 2 Busse, die hintereinander standen. Die komplette Ebene war mit tausenden von Sprengkörpern versehen, wie ein schneller Scan ergab. May öffnete die Funkverbindung: »Halt die Raketen weiter auf. Ich kümmere mich um die Fahrzeuge.« »Da ist ein Kind im Minenfeld.«, hörte May plötzlich ihre Kollegin rufen. May riss ihren Gleiter rum und öffnete die Tür. Mit viel Konzentration griff sie aus über hundert Metern das Kind und riss es Senkrecht in die Luft. Keine Sekunde zu früh, denn mindestens eine Mine detonierte nur Momente später. Es war ein kleiner Junge von etwa 3 Jahren, der sie mit seinen großen Augen ansah, als sie ihn in der Luft entgegen nahm. May zog den kleinen Passagier zu sich rein und schob ihn direkt nach hinten auf den Rücksitz weiter. »Euch passiert hier nichts. Ich bin gleich wieder da!«, gab May ihrer Mutter noch zu verstehen und sprang direkt über dem ersten Fahrzeug der Kolonne ab. Mit einem Rumpeln landete sie auf der Motorhaube und sprang von dort direkt auf den Boden neben der Tür.


»Fahren sie dem Wirbelsturm hinterher!«, rief sie dem Fahrer zu, der nicht verstand was sie meinte. May wiederholte den Satz und fügte noch ein »Ich kümmere mich um die Minen!« an. Sie stellte sich vor das Fahrzeug, breitete ihre Arme aus und schnell begann die Luft um sie herum zu kreisen. Wie ein Staubsauger wehte der Sand nach oben und bildete einen großen, braun grauen Wirbelsturm direkt vor dem Lastwagen. May schwebte im Inneren und legte den Weg fest. Die Minen wurden wie der Sand und lockere Steine einfach angesaugt. Einige der Bomben explodieren direkt, andere brauchten erst einen Zusammenstoß mit anderen in der rotierenden Wolke herumfliegenden Objekten. Wieder andere machten einige Umdrehungen im Sturm und wurden weit in das Minenfeld hinausgeschleudert, wo sie selbst und oft auch noch zwei oder drei andere Minen explodieren ließen. Der Wirbelsturm hatte sich schon einige duzend Meter vom ersten Fahrzeug entfernt, als der Beifahrer seinen vor erstaunen erstarrten Kollegen anwies aufs Gas zu treten.


Die kleine Karawane setzte sich in Bewegung und folgte der nun sauberen und ungefährlichen Passage. Auf der anderen Seite der Grenze waren einige Soldaten, die sich das Schauspiel ansahen, aber nicht eingreifen konnten, wollten oder durften. Der bedrohliche Sturm, der direkt auf sie zu hielt, machte ihnen dennoch Beine. Sie rannten wie die Ameisen davon und suchten Schutz. Direkt am Ende des Minenfeldes ließ May den Sturm zerstreuen und sah schwebend über die Kolonne hinweg. Das letzte Fahrzeug hatte Probleme und war nicht mitgekommen. May schwebte auf direktem Weg zu dem Bus. Es war unmöglich dieses Gefährt ohne größere Reparaturen auf den eigenen vier Rädern zu bewegen. Er war in eine Kuhle gefahren hatte sich dabei das linke Vorderrad mit samt seiner Lenkeinheit komplett abgerissen. Die Leute hatten wohl gerade beschlossen zu laufen, aber May gab zu verstehen sie sollen zurück in den Bus steigen. Sie setzte sich auf den Fahrersitz und auch die Tatsache, dass der ursprüngliche Fahrer meinte, mit dem Fahrzeug würde sich nicht mehr fahren lassen, ließ sie nicht zögern.


May umgriff das Lenkrad und konzentrierte sich: »Alle Fenster aufmachen oder einschlagen.« Die Leute befolgten ihre Anweisung ohne sie zu hinterfragen. Ihre Flugnummer hatte sie so beeindruckt, dass man ihr wohl jeden Wunsch erfüllt hätte. Mit offenen Fenstern war es einfacher und May spürte die Unterseite des Busses. Der Bus knarzte und ächzte. Dann hob er sanft ab. Niemand sagte etwas, aber die Einatmer der Schrecksekunde waren deutlich zu hören. Wie ein Kampfgleiter beim Angriff, mit gesenkter Front und erhobenem Heck, sauste der Bus auf geradem Weg über die Minen hinweg. Das Gewicht zerrte an Mays Kräften, aber sie war nicht bereit aufzugeben. Schließlich hatten sie das Ende ihres Weges und den Grenzstreifen erreicht. »Festhalten!«, rief May und die Schnauze des Busses krachte auf die Erde. Das hintere Ende folgte und der Bus schob sich noch einige Meter über den sandigen Boden, bevor er ächzend zum Stillstand kam.


Der kleine Pilot verließ das Wrack als Erste durch die Fahrertür. Niesha setzte mit ihrem Gleiter neben dem Bus auf und stieg aus: »Wie hast du das gemacht?« Jetzt musste May sich schnell etwas einfallen lassen: »Mini Grablings. Das Neuste!« Niesha schaute unter den Bus, aber da war natürlich nichts von den Grablings zu sehen. »Getarnt!«, fügte May noch schnell hinzu. Die beiden waren schnell von der Menge umringt. Für etwas Platz sorgte Mays MK6, der ebenfalls mit einem kernigen Fauchen und von May ferngesteuert auf dem Platz aufsetzte. Er hatte automatisch auf alles geschossen, was sich den Fahrzeugen näherte und gleichzeitig mit seinen Schilden Deckung gegeben, soweit es möglich war. May öffnete die Tür und schnappte sich den kleinen Mann: »So, jetzt geht es zur Mama!« »Ja!«, lächelte der Junge und May rubbelte mit ihrer Hand über den kleinen braunen Wuschelkopf. Eine lange Suche erübrigte sich. Kaum war May mit dem Jungen vor dem Gleiter teilte sich die Menge und eine Frau stürmte nach vorne und umarmte in ihrer Freude gleich May mit.


Die Menschen waren allesamt ausgelassen und jubelten. Sie waren in Sicherheit und auch die Soldaten, die eigentlich die Grenze bewachen sollten, standen zwischen den Menschen und bestaunten die Kampfgleiter. Die Frau gab May zum Dank noch einen Kuss auf die Stirn und sprach ein kurzes Gebet aus. May drehte sich zu Niesha um und deutete mit einer Kopfbewegung an, dass verschwinden angesagt war. Auf einem der Lastwagen stand der Mann, der auf ihre Anweisung dem Wirbelwind gefolgt war. Unmerklich, aber mit viel Respekt, senkte er leicht seinen Kopf.


May legte zwei Finger an die Stirn und bewegte sie dann seitlich weg. Diesen etwas schlaksigen Militärgruß hatte sie einige Male bei Mergy gesehen und machte ihn hier einfach nach. Dann stieg sie in ihren Gleiter und zusammen mit Niesha ging es auf den Heimflug. Weder Mutter noch Tochter machten Anstalten das Gespräch erneut aufzunehmen und so landeten sie schweigend, ohne die großen Probleme auch nur ansatzweise gelöst zu haben, wieder in der Station. Auch ihre Superkräfte waren kein Thema. Reiko wusste nicht, was die Technik des Ray Teams alles zu bieten hatte und so kam nicht einmal der Verdacht auf, dass ihre Tochter selbst diese wunderlichen Dinge vollführte.


Die Tochter trennte sich von ihrer Mutter. May war voller Staub und Dreck, da sie ja bei dem Einsatz keinen Schild nutzen konnte. Sie wollte erstmal eine reinigende Dusche nehmen und dabei unweigerlich nachdenken. Reiko zog es zurück ins Sors. Das war der einzige Ort, an dem sie sich einigermaßen wohl fühlte. Hier gab es Menschen und die Umgebung eines belebten Lokals war für sie wie ein Stück Heimat. Sie ließ sich aber dann doch von der Treppe in der großen Halle verführen und schritt nach oben. Hinter den großen Fenstern lag die Erde. Ihre wirkliche Heimat. Reiko bemerkte gar nicht, dass sie nicht mehr alleine ins All sah. Mergy hatte sie gesehen und war ebenfalls auf die Empore geklettert. »Die Sicht ist toll, oder? Ich stehe hier auch ab und zu, wenn ich nicht schlafen kann!«, meldete er seine Anwesenheit akustisch an: »Sieht nicht so aus, als hätten sie schon eine Lösung gefunden!«


Reiko erklärte ihm, sie hätte May beobachtet. Ihre Tochter hätte all diese Menschen gerettet und den kleinen Jungen seiner Mutter unbeschadet zurückgebracht. »May hat ihren Platz hier gefunden. Ich bin so stolz auf sie und auf das was sie schon alles in ihrem Leben erreicht hat.«, gab die Mutter mit echtem Stolz zu verstehen: »Es steht mir nicht zu ihr das zu nehmen.« »Sie können auch mit Recht stolz auf ihre Tochter sein. Sie sind ihre Mutter. Ich jedenfalls bin ziemlich stolz auf meinen Fund.« Mergy hatte bereits erkannt was das eigentliche Problem war. May hatte ein Zuhause, Freunde und eine Aufgabe gefunden, aber Reiko hatte nichts von alledem. Sie hatte in einem Gasthaus als Putzfrau und manchmal als Aushilfe gearbeitet und wohnte bisher in einem witzigen Raum, den sie Zuhause nannte.


»Kommen sie mal mit!«, sagte Mergy und zog Reiko schon fast unfreiwillig mit sich. Es gab keine Fenster mehr an diesem Teil der oberen Promenade und Reiko fragte sich was er vor hatte. »Jaque, öffne die komplette Sektion.« Es gab einen Ruck und die Wände rollten zur Seite und gaben den Blick frei. Dahinter war ein riesiger halb runder Raum, der komplett von Fenstern umrandet war. »Und wie finden sie es?«, fragte Mergy. »Groß!«, war das einzige was Reiko dazu einfiel. »Das Sors ist gut, aber mir fehlt etwas gemütliches, etwas leises. Ein Ort wo man entspannt essen und sich unterhalten kann. Etwas Abwechslung ist wichtig.«, erläuterte Mergy. Reiko verstand nicht was das alles mit ihr zu tun hatte. »May hat mir einmal erzählt sie wären eine hervorragende Köchin und hätten schon immer von einem eigenen Lokal geträumt. Dragon Fly wäre ein netter Name. Oder Chongs!«, erklärte er weiter und erst jetzt machte es bei Reiko klick.


»Ich soll hier ein Restaurant aufmachen?«, fragte sie. »Ja! Hatte ich das nicht gesagt?«, fragte Mergy erstaunt. »Ich kann mir das nicht leisten. Soviel Geld hab ich nicht.«, wiegelte Reiko gleich ab. »Hab ich etwas von Geld gesagt?«, widersprach Mergy: »Sie bekommen den Laden mit allen was dazu gehört und genau so wie sie ihn sich vorstellen und ich asiatische Küche direkt um die Ecke. Klingt für mich mehr als fair. Dieser monotone Geschmack der Nahrungsverteiler ist nicht mein Ding. Da fehlt die Varianz. Außerdem finde ich es auch mal nett mit einem Menschen zu sprechen und nicht nur mit einem ohrlosen grauen Troll mit Klumpfüßen.« »Das hab ich gehört!«, rief Sor erbost von unten zu ihnen hinauf und entlockte beiden ein Lächeln. »Lassen sie den Raum einfach auf sich wirken. Ist nur ein Vorschlag, der der Entscheidungsfindung helfen soll.«, überrollte Mergy Reiko noch einmal und verschwand aus der extra breiten Tür.


Sab saß wie immer hinter ihrem Pult und tat das was sie am liebsten tat. Sie überwachte. »Der große Raum über der Promenade wird Reikos Lokal!« Direkt und unverblümt setzte er Sab die längst beschlossene Tatsache vor die Nase. »Oh, gut. Etwas mehr Abwechslung ist wichtig.«, gab seine Kollegin nur beiläufig von sich. Mergy erstarrte. Der sonst so mürrische Kommander hatte nicht gemeckert oder um Argumente gerungen, sondern einfach nur zugestimmt. Nein, er war für seine Verhältnisse regelrecht begeistert. »Mergy an Doc. Medizinischer Notfall auf dem Kommandodeck.«, sprach Mergy in seine Hand und ließ unbemerkt einen Finger ausgerollt, so das dieser Funkspruch fast ungehört verhallte.


Trish drehte sich um und auch Sab schaute hastig nach hinten. Da war natürlich nichts und Sab drehte sich mit ihrem Stuhl zurück in die alte Position. »Was soll das?«, fragte sie schließlich. »Wer sind sie und was haben sie mit meiner ständig auf der anderen Seite stehenden Kollegin gemacht!«, fragte Mergy. »Ich denke ich sollte mehr Vertrauen in die Meinung anderer haben. Meine Menschenkenntnis ist ja wohl nicht so gut ausgeprägt, wie ich immer dachte.«, erklärte Sab in wie immer sachlichem Ton. Mergy lächelte und ging zu seinem Büro hinüber.


Wenig später traf auch Tin ein, um einige Details zur Stationserweiterung zu besprechen. Erweiterung traf es eigentlich nicht, sondern nur die Nutzung und das Ausbauen von einigen Sektionen des äußeren Rings und der Räume im Kern. »Die obere Promenadensektion ist bereits vergeben.«, brachte er Tin zum Staunen, die gerade vorschlug dort einen Fitnessraum zu installieren. »Die Aussicht ist Verschwendung für einen Fitnessraum. Dort wird ein asiatisches Lokal entstehen.«, gab er an: »Ich denke zwei Ebenen unter der Promenade wäre ein guter Platz zum Sport treiben. Dort könnten wir auf der kompletten Fläche einen kompletten Wellnessbereich installieren. Zwei Schwimmbecken, Sauna, Dampfbad, Fitnessgeräte und eine kleine Getränkebar.« »Gleich mehrere Schwimmbecken? Ich denke da muss ich die Statik nochmal durchrechnen. Da muss sicherlich einiges verstärkt werden, damit das Gewicht des Wassers nicht bei einem Einschlag oder einer Explosion die komplette Station zerreißt.«, gab Tin zu verstehen.


»Mach' das! Wie sieht es mit den neuen Waffenplattformen am äußeren Ring aus?« »47% sind bereits installiert. Die drei Reaktoren für die Kanonen sind bereits montiert und getestet.«, erklärte sie: »Auch wenn ich nicht ganz verstehe wozu wir diese Feuerkraft brauchen.« »Brauchen wir hoffentlich auch nicht, aber wir haben den Platz und die Möglichkeiten und ich bin gerne vorbereitet. Die Torpedowerfer?«, fragte er weiter. »In den oberen Türmen abgeschlossen und einsatzbereit. Für die Unteren brauchen wir noch Zeit. In 2 Wochen sollten alle Waffen bereit sein, wenn ich die Zahl der Repligens nicht erhöhen lasse.«, erläuterte sie ihren Zeitplan. »Wir haben ja keine Eile. Gibt es sonst noch etwas?« »Soll ich einen asiatischen Sor für den neuen Laden kreieren?«, fragte Tin schließlich. »Ich denke die Maschine wäre nicht in Reikos Sinn.«, erwiderte der Kommander auf der anderen Seite des Tisches und Tin verstand wo der Hase lief. »Reiko übernimmt den Laden?«, fragte sie dennoch nach. »Steht noch nicht 100% fest, aber wenn wir später noch Wissenschaftspersonal von der Erde einmieten lassen, dann sollten wir schon mehr bieten als nur das Sors. Darum auch ein kleiner Wellnesspark.«


Die Tür sprang auf und May stürmte herein und noch bevor Mergy etwas machen konnte, war sie um den Tisch gestürmt und hing sie ihm schon um den Hals: »Danke!« Tin schaute fragend zu Mergy herüber. »Ich denke es steht jetzt zu 100% fest. Richtig?«, fragte er May, die ihren Kopf zurückzog und fast ihm Nase an Nase in die Augen schaute. Das Mädchen nickte und drückte ihn nochmal fest an sich. »Ist ja gut! Ist ja nicht ganz uneigennützig. Schließlich esse ich gerne asiatisch.«, grinste er und schob May wieder auf ihre Füße zurück. »Du solltest dich auch bei Sab bedanken. Es hat viel Mühe gekostet sie zu überreden. Lag wohl am Vertauschen ihres Tees.«, log er gerade heraus. May verließ den Raum wie sie gekommen war: Im Sturm. Nur wenige Momente später klammerte sie sich an Sab und bedankte sich für ihre Zustimmung.


Tin und Mergy schauten aus dem Fenster und sahen wie Sab erst erschrocken zusammenzuckte, dann langsam auftaute und schließlich sogar eine Hand auf Mays Rücken legte: »Was hat er dir für Märchen erzählt?« »Das er dich lange überreden musste.«, erwiderte May kurz und knapp. »Ich bin zwar kein Experte in Personenfragen, aber ich weiß in welcher schwierigen Situation du gerade steckst. Außerdem muss ich doch meine besten Piloten unterstützen wo immer ich kann.«, lächelte Sab und May machte sich fröhlich auf den Weg zum Lift, wo sie sich nochmal umdrehte: »Tut mir übrigens leid, dass ich vorhin eure Tassen vertauscht habe.«


Sab drehte sich zurück Richtung Terminal und rief die Überwachungsaufzeichnungen ab. Sie hatte sich schon die ganze Zeit gefragt mit welcher Unachtsamkeit es möglich gewesen war, dass beide Tassen auf dem falschen Platz abgesetzt worden waren. Natürlich hätte sie auch vorher die schon die Aufzeichnungen abrufen können, aber der Grund war ihr nicht ausreichend, nicht wichtig genug für die Mühe gewesen. Trish und Sab sahen sich auf dem Bildschirm, wie sie May hinterher schauten und ihre Tassen flogen hinter ihrem Rücken vorbei zurück auf die Pulte. Trish hatte Mays Fähigkeiten zum ersten Mal gesehen und ließ die Aufnahme noch einige Male abspielen. »Freches kleines Ding!«, sagte Sab und Trish antwortete: »Aber durchaus liebenswert.«

Wer Wind säht ...

Mergy befand sich mit seinem Gleiter im Anflug auf die Station, als sein rechter Arm plötzlich nicht mehr auf seine Nervenimpulse reagierte. Er durchschlug wie von selbst das Armaturenbrett und beschädigte die Frontscheibe. Mergy konnte seine Extremität gerade noch abschalten und abtrennen, bevor diese noch mehr zerstören oder gar ihn selbst verletzen konnte. Der Gleiter hatte zwar keine großen Schäden, da die wichtigen Teile im Heck verstaut waren, aber er konnte nicht mehr gesteuert werden. Mehr als den Gleiterantrieb abschalten ging auch mit der optischen Steuerung nicht mehr. »Mergy an Ray Team One! Ich habe Probleme mit meinem Gleiter. Erbitte um Greifstrahllandung.«


Ein intensiver Lichtstrahl verließ die Station und umschloss den Gleiter. Das blieb natürlich nicht unbemerkt und schnell hatten einige der Leute auf der Station den Gleiter identifiziert. So erfuhr auch May auf welche Weise Kampfgleiter 1 hereingeholt wurde. Diese Art der Landung wurde eigentlich nur verwendet, wenn der Pilot verletzt war und die nötigen Manöver nicht selbst durchführen konnte. Einzig wenn der Gleiter selbst schwere Schäden und Fehlfunktionen hätte, würde er sonst noch per Lichtstrahl zurück in die Station gesaugt, aber von Schäden hatte niemand etwas berichtet. Hastig stürmte May zum Hangardeck, wo sie gerade noch sah wie der Gleiter abgesetzt wurde.


Die Tür öffnete sich und sie war froh Mergy zu sehen, aber dann erschrak seine junge Kollegin und machte einen Satz zurück. Mergy fehlte ein Arm. »Oh, ich wollte dich nicht erschrecken. Der Arm hat wohl eine Fehlfunktion und hat das komplette Cockpit zertrümmert.« Mergys Arm war, genau wie Tins Beine, nicht echt. »Ich dachte du wüsstest von der Sache mit meinem Arm! Ist schon ein paar Jahre her. Nichts was dir Sorgen machen muss.« May war neugierig, fragte aber nicht weiter nach und begleitete ihren väterlichen Freund wie selbstverständlich zur Krankenstation. Der Doc legte den Arm auf einen Tisch und aktivierte ein Kraftfeld bevor er das Körperteil einschaltete. Es war komisch zu sehen wie der Arm sich von alleine bewegte. »Richtig gruselig.«, dachte May. Dann plötzlich rumpelte er gegen den Schild und schien entkommen zu wollen. »Der Arm ist intakt. Es gibt keinerlei Schäden!«, bestätigte der Doc seine Untersuchung, aber der Arm war dennoch nicht wirklich unter Mergys Kontrolle.


»Jaque, stört da etwas die Verbindung?«, fragte Mergy und Jaque bestätigte ein zweites Signal zu empfangen, dass etwas schwächer auf der gleichen Frequenz sendete. Der Doc deaktivierte den Arm und Jaque stellte eine Verbindung zur anderen Quelle her. Mergy bestätigte etwas zu fühlen. May verstand nicht so recht was gerade passierte, aber Mergy tastete mit einem Arm, den er nicht hatte die Umgebung ab, die nicht einmal in seiner Nähe zu sein schien. »Das ist ein Kampfgleiter! Kampfgleiter 1 um genau zu sein. Keine Rückbank.«, gab Mergy an. »Kampfgleiter 1 steht im Hangar. Das Signal kommt aber von der Erde.«, merkte Jaque an. »Fliegst du mich?«, fragte Mergy seine Ziehtochter: »Mit einer Hand ginge das zwar auch aber sicher ist sicher!« »Klar.« Beide gingen zurück in den Hangar.


Mergys Gleiter war bereits repariert worden und wurde auf dem Landedeck abgestellt. »Ich soll den fliegen?«, fragte May ungläubig und auch Moon hinter dem Terminal war von der Frage ebenso erstaunt und wartete gespannt auf die Antwort. »Wieso? Hast du es dir anders überlegt?«, stellte Mergy nur eine Gegenfrage. May lächelte. Schnell stiegt sie auf der Pilotenseite ein, während Mergy rechts platz nahm. Die junge Pilotin wusste nicht was ihr besser gefiel: Diesen besonderen Gleiter fliegen zu dürfen oder das Gesicht von Moon, als sie damit abhob? Die meisten waren ohne Zweifel neidisch, weil May bereits einen MK6 flog, aber dieses Geschoss war noch einige Nummern größer.


Jaque peilte das Signal in Europa an. Deutschland um genauer zu sein. May setzte den Kurs, während Mergy mit den stärker werdenden Signalen die Richtung verfeinerte. Der Zielpunkt lag in Berlin. Langsam schwebte der Gleiter getarnt in weniger als 4 Metern Höhe über dem Zielpunkt ein. Eine viel befahrene Kreuzung mit Häusern und Geschäften umsäumt lag unter ihnen. »Da ist es! Etwa 25 Meter unter der Straße. Ein Hohlraum.«, erklärte Mergy: »Du solltest hier bleiben. Es wird bestimmt kein schöner Anblick.« »Ich komm mit!«, erwiderte May mit leicht trotzigem Unterton. Mergy wusste anscheinend was da unten zu erwarten war und sie wollte es ebenfalls sehen. Es war nur eine grobe Vermutung, die in Mergy aber anscheinend ebenfalls großes Unbehagen erzeugte. Das konnte selbst May spüren. Seine Armfehlfunktion, die Signale und das Bild das Jaque im Internet ausgegraben hatte, ließen nur den einen Schluss zu. Und der gefiel ihm genauso wenig, wie er May gefallen würde. Innerlich hoffte er, er würde sich irren. »Es sind Leute da unten!«, gab May an, die eine Zielposition für den Transport suchte. »Das habe ich erwartet.«, blieb Mergy schweigsam.


Der Lichtstrahl erhellte den Tunnel zusätzlich zu den Scheinwerfern und Lampen und ließ die Männer aufschrecken. Dann standen Mergy und May ebenfalls vor dem Objekt. »Ich denke der gehört uns!«, machte Mergy gleich klar, wem dieser Fund zustand. »Ein Kampfgleiter!«, sagte May leise. Als sie um den Gleiter herum ging wischte sie über die staubige Luke und sah sie die Eins. »Gibt es zwei Kampfgleiter 1?«, fragte sie neugierig und auch die Männer mit ihren Leuchthelmen schienen gespannt auf die Antwort und warten. »Nein, es gibt und gab immer nur einen.«, erklärte Mergy, ungewohnt mit seiner Sonnenbrille und noch bevor May mit ihrem offenen Mund noch eine sicherlich sehr schlaue Frage stellen konnte, fragte Mergy ob sie den Gleiter durch den Tunnel hier rein fliegen könne. Erst jetzt wurde May klar was hier eigentlich los war. Hier wurde eine neue U-Bahn gebaut und dabei hatten die Arbeiter den Gleiter in einem Hohlraum gefunden. May nickte und Mergy wies sie an ihn zu holen. Er nutzte die Zeit und öffnete die verblendete Tür und fand ein ziemlich widerlich riechendes und zerfressendes Inneres vor. Auf dem Pilotensitz oder besser den Resten des Leders und der Metallteile, saß ein verwestes Skelett mit fehlendem Arm und man musste kein Experte sein, um zu erkennen, dass die Reste der Jeansweste aufzeigten, wer da tot im Gleiter saß. Es war Mergy. Der mechanische Arm lag genau da, wo er ihn vor einer Viertelstunde gefühlt und abgeschaltet hatte. Achtlos schob er die Leichenteile zur Seite und der Körper fiel mehr oder weniger komplett auf den zweiten Sitz oder was davon noch übrig war.


Kaum saß er ungemütlich auf den Sitzresten im Gleiter, da aktivierte sich die Anzeige in der Scheibe und die Tür schloss sich automatisch. Auf dem Bildschirm war eine deutlich ältere Version von Mergy zu sehen. Er war vielleicht 80 Jahre alt. »Man siehst du schlimm aus!«, sagte Mergy. »Hallo«, sagte der alte Mann aus der Vergangenheit: »Wenn ich richtig liege, dann will man hier gerade eine U-Bahn bauen und hat den Gleiter gefunden. Du hast wahrscheinlich meine oder besser unsere Überreste einfach achtlos von Sitz gefegt, oder?« Mergy schaute nach rechts: »Ja, hab ich wohl.« »Ich kann dir nicht sagen was passieren wird oder warum es passiert. Aber ich kann dir versichern, es ist dafür gesorgt, dass ich, also eigentlich du, nicht nochmal hier enden wirst. Versuche nicht es zu verhindern und mach´ die Dinge genau wie immer, dann kommen wir beide aus der Sache gut raus. Schönes Leben noch!«


Der Bildschirm wurde schwarz. »Das war nicht sehr hilfreich.«, merkte er muffelig an und fügte noch ein gedankliches »Notiz an mich selbst. Deutlichere Nachrichten hinterlassen.« hinzu, bevor er aus dem Gefährt stieg und die Tür wieder verschloss. Scheinwerfer erleuchteten die Szene. May flog den zweiten Gleiter über die verstaubte Version im Tunnel und drehte ein. Die Flügel hatte sie komplett eingefahren und so passte er Gleiter bequem in den Tunnel und es war genug Platz um die Baufahrzeuge und Scheinwerfer zu umfliegen. Gekonnt rastete sie die Schlepphaken unter dem Gleiter ein und war Abflugbereit. »Können wir?«, fragte May durch die offene Tür nach unten wo Mergy noch nachdenklich stand. »Hol' mich rein.«, gab er den Befehl zum Transport und wenige Augenblicke saß er wieder neben ihr im Gleiter.


May flog mit dem Zusatzgewicht aus dem Tunnel, was an einigen Stellen nicht mehr ganz so einfach war, weil Bagger und Gerüste die Flugbahn deutlich verkleinerten. »Wie der Flug durch die Asteroiden. Nur mit Baggern!«, schoss es May durch den Kopf, während sie sich auf den kollisionsfreien Flug konzentrierte. Draußen angekommen, ging es direkt weiter zur Station. »Was ist nun mit dem Gleiter? Wo kommt der her?«, sprudelten aus May die angesammelten Fragen. »Wir wissen er ist etwa 1943, also im zweiten Weltkrieg, im Kriegsgebiet geflogen. Wie er da hingekommen ist wissen wir nicht. Tin wird den wohl auseinandernehmen um herauszufinden was passiert ist.«, gab er nur die halbe Wahrheit an um May nicht zu beunruhigen. Sab erteilte die Landeerlaubnis auf dem Landedeck 3, was May sehr überraschte. Dieses Landedeck war gesperrt. Niemand außer der Kommandocrew war je hier gewesen. Es war so etwas wie das große Geheimnis, die Area 51 der Station und May war direkt auf dem Weg dort hin. Sie flog durch den Korridor in die Halle, die zu ihrem Erstaunen komplett identisch mit den anderen zwei Landebuchten war. Nur gab es hier keine identischen Regale, sondern maßgefertigte Fächer für allerlei Gerät. May setzte den Gleiter auf einer markierten Fläche ab und landete. Was sie hier zu sehen bekam verschlug ihr den Atem.


Ein Hubschrauber parkte zwischen mehreren wie Vögel aussehenden Maschinen: »Sind das Vögel?« »Ja, Jumper-Klasse, 2 Personengleiter, Nicht sehr praktisch, aber optisch ein Highlight.«, erklärte Mergy. »Und das?«, fragte May und zeigte auf ein riesiges scheibenförmiges Raumschiff, das vorne zwei Rohre wie Kanonen hatte. »Manta-Klasse, Truppen und Kleintransporter und sehr wendiges Schiff für Angriff und Verteidigung geeignet.«, erfuhr sie. »Der sieht ja lustig aus!«, zeigte May auf einen Roboter neben der Tür: »Star Wars, Standard Droide. Trish fand man müsse ja nicht alles neu erfinden.« Zu Mays Bedauern verließen sie die Halle, die wohl noch hunderte witziger und kurioser Objekte enthielt. Vieles war durch Kisten verstellt und nicht einsehbar gewesen. »Wozu ist das alles?«, fragte sie schließlich. »Naja, wir haben nicht nur die Gleiter gebaut, die du kennst. Wir haben experimentiert und das Zeug ist dabei herausgekommen. Einiges werden wir vielleicht später noch benutzen, anderes bleibt wohl für immer in der Datenbank. Eigentlich könnten wir das Lager hier auch auflösen, da alle Dinge darin bereits von Jaque gespeichert sind. Die meisten Objekte hat er sowieso selbst repliziert. Aber wenn wir mal schnell einen Gegenstand benötigen, haben wir ihn ohne Zeitverzögerung griffbereit. Lagerplatz ist ja genug vorhanden.«


Mergy erteilte Tin die Aufgabe den Gleiter zu prüfen und in einen gesicherten Lagerraum zu verfrachten. Der Doc sollte sich den Toten ansehen. Schnell war klar, der Gleiter war komplett sauber. Alle Datenbanken waren gelöscht und somit war auch die Videoaufzeichnung ebenfalls nicht mehr vorhanden. Das konnte nur jemand mit speziellen Kenntnissen der Computersysteme und der Doc bestätigte, dass es sich bei der toten Person im Gleiter um Mergy handelte. Der Kommander versuchte nicht weiter über seine Zukunft nachzudenken und verweilte im hier und jetzt. Tin hatte die volle Einsatzfähigkeit der Station und deren Bewaffnung gemeldet. Sab hatte neue Spielzeuge und war begeistert von den neuen Verteidigungssystemen und den damit verbundenen Möglichkeiten.


»Die nützen nur etwas, wenn wir besonnen damit umgehen.«, dämpfte Mergy Sabs Euphorie: »Hochmut kommt vor dem Fall!« »Ja, und gleich erzählst du mir David kommt und vernichtet uns mit einem Stein.«, erwiderte Sab sarkastisch seine Anmerkungen. »Die Entscheidung ob wir May mehr Verantwortung übertragen ist noch nicht gefallen.«, fragte Mergy nach. »Ich dachte das wäre vom Tisch? Sie ist gut, aber um ein eigenes Kommando zu führen fehlt ihr noch Erfahrung.«, wiegelte sie gleich ab. »Vorschlag! Eine Wette. May bekommt die Aufgabe in die Station einzudringen und etwas zu stehlen. Schafft sie es, bekommt sie mehr Verantwortung. Schafft sie es nicht, warten wir noch ein Jahr.«, schlug Mergy vor. »Aber keine Zaubertricks.«, hing Sab am Haken. »Sie darf sich vorher von der Station Leute und Ausrüstung nehmen, die sie für den Einsatz benötigt und hat dann 24 Stunden Zeit das Objekt zu beschaffen. Komplette Waffensimulation.«, fügte Mergy noch hinzu. »Aber keine Tarnvorrichtung!« forderte Sab. »Naja, etwas Überraschung für dich sollte drin sein. Tarnvorrichtung nicht im Umkreis von einem Kilometer um die Station.«, reduzierte Mergy ihre Forderung. Trish lauschte dem Gespräch und besiegelte die Regeln und die Wette.


May war schnell instruiert und begeistert von der vermeintlichen Übung. Das es hier nicht nur um einen Test der Stationssicherheit, sondern um ihre eigene Zukunft auf der Station ging, erfuhr sie nicht. Schnell hatte der frisch gebackene Missionskommandeur Suki und Katie ausgewählt und ihnen die Aufgabe erklärt. Beide waren weniger begeistert, weil sie keine Chance sahen gegen die Übermacht ihrer Kollegen zu gewinnen. Die Sensoren der kompletten Station, alle Waffen und alle Gleiter waren gegen sie. May meinte nur sie würde sich etwas ausdenken. Am Computer sah sie sich noch einmal die Pläne der Station genau an und stellte eine umfassende Liste mit Ausrüstungsgegenständen zusammen. Einen Reaktor, ein Hologrammgenerator, 2 Dutzend mini Geschütztürme, einen portablen Torpedowerfer. Die Liste war endlos. Am nächsten Morgen sollte es losgehen. Was genau sie geplant hatte verriet sie nicht, weil die Wände Ohren hätten, wie sie meinte. Gemeint war natürlich Jaque, den Sab sehr leicht hätte anzapfen können und dieses Risiko wollte May nicht eingehen.


Der lila Anführer gab den beiden Mitstreitern nur die Anweisung die Liste mit dem Container abzugleichen bevor es los ging. Der übergroße Metallkasten wurde mit zwei Grablings versehen und zusammen mit ihren drei Gleitern schwebten sie ins All und folgten May, die auf den Mond zusteuerte und zwar auf den in absehbarer Zeit nicht von der Station oder einem Satelliten einsehbaren Bereich auf der rückwärtigen Seite. Dort setzten sie den Metallklotz ab und landeten. May transportierte ihre Freunde zu sich in den Gleiter. Als erstes begannen sie alle Signalgeber abzuschalten. Gleiter, Autodocs alles was man aus der Ferne ansteuern konnte wurde abgestellt. Auch die Steuercodes für die Gleiter und Grablings wurden geändert, damit Sab nicht durch die Hintertür ihre Mission sabotieren könnte. Erst jetzt erklärte sie ihren Freunden den eigentlichen Plan.


»Das könnte klappen!«, sagte Suki schließlich und Katie stimmte zu. »Wir müssen uns genau an den Plan halten. Wir können nicht per Funk kommunizieren, also muss alles zeitlich passen.«, mahnte May zur Sorgfalt. »Und wozu ist der ganze andere Kram?«, fragte Katie schließlich. »Eine sehr gute Frage!«, antwortete May mit einem schelmischen Grinsen: »Den brauchen wir gar nicht. Ich dachte je mehr ich einpacke, desto mehr hat Sab zu grübeln.« Alle lachten fröhlich und sie schauten noch ein wenig in die Sterne, bevor sie begannen: »Phase 1, Generator, Hologenerator und Grablings verbinden. Tarnvorrichtung aus Sukis Gleiter anbringen. Die drei Autodocs programmieren wir auf unsere IDs.« Schnell war alles programmiert und überprüft. Die Grablings sollten mit ihrer Fracht einmal um die Erde und dann auf die Station zu fliegen. Danach würde der Angriff stattfinden.


Schließlich ging es los. Alle waren in Position. May saß in Sukis Gleiter, während der MK6 sie schleppte und beide Gleiter tarnte. Katie folgte direkt und ebenfalls im Tarnflug. Genau wie geplant enttarnte sich die vermeintliche Dreiergruppe von Gleitern auf der anderen Seite der Station. Natürlich bemerkte Sab das sofort mit ihren Sensoren: »Gut gemachte Fälschung. Das sind Hologramme. Die haben sogar Lebenszeichen. Wirklich gut. Aber nicht gut genug.« Sie kommen von der anderen Seite: »Sab an Landebucht 1. Alle Gleiter starten und in Sektor 3 fliegen.« Die Gleiter flogen ab und kamen direkt auf die drei noch getarnten Schiffe zu. Der Computer von Sukis Flieger zeigte die IDs ihrer Gegner und deren Pilotenkennungen an, die May in einem kleinen Datenburst in ihre eigene Maschine kopierte. Bruchteile von Sekunden später sahen alle Buchstäblich doppelt. Jeden Gleiter gab es doppelt. Einmal echt und einmal als Hologramm. Die Piloten konnten nicht erkennen, welches Schiff nun welches war. Der MK7 beantwortete auch alle Anfragen der Gleiter und der Station mit den korrekten Codes der jeweiligen Maschine. Da sie keinen Feuerbefehl hatten flogen sie nur wild durcheinander. Unbemerkt hatten sich mit den Hologrammen aber auch zwei weitere Gleiter enttarnt.


Die Gleiter von Suki und Katie waren sichtbar und beide verfolgten sich genauso wie die anderen Schiffe, um nicht aufzufallen. Mays Gleiter blieb getarnt zurück und projezierte weiter die Hologramme. Mergy saß auf der Treppe im Kommandoraum und sah eine schwitzende Sab. »Die anderen sind echt! Die haben uns nur eine Fälschung vorgemacht. Holt euch die drei Schiffe auf der anderen Seite.«, befahl sie. Sofort setzten sich alle Gleiter in Bewegung und flogen zwischen den Türmen auf die drei einzelnen Schiffe zu. »Da hab ihr euch verrechnet.«, sprach Sab noch aus. Sie hatte aber, ohne es zu wissen, genau das getan was May vermutet hatte. Im Gewusel der Gleiter waren sie sichtbar und doch versteckt in den Stationsperimeter eingedrungen und transportieren sich an Bord der Station, was von Jaque sofort entdeckt wurde: »Eindringlinge Frachtraum 4 und im zentralen Kern. Deck 7.« »Was?«, wurde Sab schwummrig. Katie schloss einen Verteiler auf dem Deck mit einem Jaqueinterface kurz. Jaques Energieversorgung wurde so stationsweit lahmgelegt und der Computer warf sich automatisch aus. Somit war Sab auf sich allein gestellt. May öffnete einen Versorgungsschacht, der Senkrecht nach oben führte. Sie musste an einen Zugang mehrere hundert Meter über ihr. Sie hätte fliegen können, aber das war nach den Regeln der Simulation nicht erlaubt. Suki hatte die Kontrollen für die Gravitation aktiviert und die Schwerkraft für den kompletten umkreis des Schachtes abgeschaltet.


Katie begann mit dem Transporter im Lagerraum die komplette restliche Besatzung in die sieben Konferenzräume zu transportieren, deren Türen verriegelt wurden. Ohne Mühe bewegte May sich senkrecht nach oben. Ohne die Gravitation, die sie nach unten zog, war es fast wie fliegen. Aber im Gegensatz zu ihrer Fähigkeit strengte es sie dabei nicht einmal an. Am Ziel angekommen war die Luke zum Korridor schnell offen und May zog sich auf den Gang. Ein paar Meter weiter öffnete sie eine Verkleidung. Der Transportunterbrecher lag vor ihr. Diese Vorrichtung sollte eigentlich verhindern, dass Personal vom Kommandodeck transportiert wurde. Außerdem verhinderte er eine Sabotage von wichtigen Komponenten der Station durch einen Transport von außen.


May zog eine Verbindung. »Transportunterbrecher abgeschaltet!«, meldete sie gedanklich. Katie hatte den Vorgang bereits bemerkt, da sie nun auch alle Personen auf der Kommandobrücke erfassen konnte und mit einem Zap waren sie ebenfalls in einem Konferenzraum eingeschlossen. Mergy lachte sich kaputt und Sab verstand die Welt nicht mehr: »Was geht hier vor?« Reiko war ebenfalls gefangen und hatte keine Ahnung, von der geheimen Mission ihrer Tochter. »Ist das nicht offensichtlich?«, wendete sich der Kommander an Sab: »May will nicht nur deine komische Kiste, die du gesichert hast. May nimmt sich gleich die komplette Station. Höchster Schwierigkeitsgrad bevorzugt! Schon vergessen?« Mergy brach wieder in Lachen aus, während sich die drei Eindringlinge auf das Kommandodeck transportierten. »Suki, Stationswaffen aktivieren und die falschen Gleiter deaktivieren.«, kommandierte sie ihre kleine Truppe: »Katie versuche unsere Beute zu finden.« »Was ist da draußen los?«, hörte man eine Stimme im Konferenzraum sagen, als die Station begann aus vollen Rohren auf die Gleiter zu feuern.


Ein Gleiter nach dem Anderen wurde durch die simulierten Feuerstöße deaktiviert und zu Treibgut im All. »Ich hab das Paket. Es ist von einem Schild und einem Transportblocker geschützt. Moon, Honk, Stiff und Charlie stehen bewaffnet Wache.«, erklärte Katie, während Sab fast zeitgleich das gleiche Mergy berichtete: »Sie muss das Paket in Händen halten und das schafft sie nicht innerhalb des Zeitfensters. Egal ob mit Station oder ohne.«


»Da kommen wir nie ran!«, befand auch Katie die Situation als hoffnungslos. »Wir sind so weit gekommen. Wir können jetzt nicht einfach aufgeben.«, versuchte Suki zu ermuntern, aber ihre Stimme ließ ebenfalls viel Skepsis durchklingen. »Hey, ich bin auch noch da!«, gab May zu verstehen: »Alles was wir brauchen ist ein Transporter-Descrambler, der die Störungen beseitigt und einen Transport ermöglicht.« »So etwas gibt es?«, fragte Katie mit einem sehr dicken Fragezeichen. »Klar, direkt neben dir unter der Tasse.«, erklärte May und Katie griff nach dem Gerät, dass sie genau betrachtete. »Und das ist so ein Transportdingsbums?«, fragte sie unsicher. »Nein, das ist Sabs Tassenwärmer.«, grinste Suki und Katie suchte nach dem richtigen Gerät.


May brach in Lachen aus und beide Kameraden schauten unsicher und verwirrt drein. »Kannst du einen Transport von mir aufzeichnen und in Echtzeit ein Hologramm projizieren?«, fragte May endlich wieder eine Frage, die Katie zu beantworten wusste. »Gib mir das Teil.«, forderte May an und schnell war ein Transport von links nach rechts durchgeführt. Eine zweite May stand im Raum und wurde wie eine Marionette von der echten gesteuert. »Dieses Hologramm transportieren wir jetzt möglichst weit weg von den den Jungs mit unserer Beute in das Feld. Sobald du die Kiste erfassen kannst, transportiere sie hier her und die Verlierer in die Zelle zu Sab.«, erklärte May den Rest des angepassten Plans, den ihre Freunde immer noch nicht ganz durchschauten.


Mit einem Lichtblitz erschien das Hologramm im Raum und die Jungs waren verwirrt durch den vermeintlichen Transport. Auf dem Monitor konnte May das Geschehen sehen, musste sich aber konzentrieren, um die Bewegungen in die richtigen Richtungen auszuführen. Sie feuerten mit ihren Handfeuerwaffen auf die Holo-May, was aber dank Körperschild eigentlich sowieso zwecklos war. »Wie konntest du hier rein kommen?«, fragte Moon, immer noch die nutzlose Waffe im Anschlag. May hielt den blinkenden Tassenwärmer hoch: »Transport-Descrambler. Ist das neuste! Und jetzt her mit der Kiste. Ihr habt verloren.« Jetzt hatten sie die Wahl zwischen verlieren und verlieren. Naja, eigentlich mussten sie einfach nur gar nichts machen, um zu gewinnen. Aber May spekulierte darauf, dass sie genau das nicht tun würden. Kampflos aufgeben würde Moon nie. »Schnappt euch die Kiste und dann raus hier.«, wies er an und feuerte noch einmal auf die vermeintlich echte May. »Hab dich!«, gab Katie von sich, kaum das die Bewacher den Einflussbereich des Transportblockers verlassen hatten und sie die Kiste erfassen konnte. Mit dem nächsten Transport waren die Helden in der Zelle, wo eine muffelige Sab wenig erfreut war sie zu sehen.


»Das glaube ich jetzt nicht!«, brüllte sie los als sie die vier Bewacher sah und Mergy brach erneut eine Lachsalve los. May betrachtete die Kiste und traute dem Frieden nicht: »Da ist bestimmt was fieses drin. Was sagt das Transportlogbuch?« »Hmm! Da ist was am Deckel. 90% Wasser.« »Eine Farbbombe. Das sieht Sab ähnlich. Transportier unseren Schatz heraus und ihren Tassenwärmer in die Kiste.« Nach einiger Tipparbeit hatte Katie den Transporter programmiert und ein goldener Pokal stand vor ihnen. »Gewonnen!«, sagte Suki und winkte mit dem Pokal über ihrem Kopf wie nach einem gewonnenen Autorennen. Auch Katie nahm das gute Stück an sich und strahlte. »Sadi an Ray Team One! Ich brauche Hilfe.«, ertönte es aus dem Lautsprechern. »Ein Trick?«, fragte Katie. »Nein, Sadi war nicht auf der teilnehmenden Pilotenliste. May an Doc, Notfallteam in Landedeck 2.« May war in ihrem Element und hatte weiterhin alles unter Kontrolle: »Suki Greifstrahl aktivieren. Sadi schalte deinen Antrieb aus wir holen dich rein. Sadi?« Die Pilotin antwortete nicht mehr. »Doc an May, das medizinische Personal ist nicht Bestandteil der Übung.«, meldete sich der Doc wenig erfreut über die Kommunikation. »Doc die Übung ist vorbei. Der Notfall ist echt!«, wiederholte sie ihre Aufforderung und der Doc bestätigte.


Im Konferenzraum der Promenade sah man wie der Doc und Sandra mit einer Trage zum Lift stürzten. »Was geht da vor?«, fragte Sab: »Der Doc macht bei der Aktion doch gar nicht mit.« Suki zielte auf den Gleiter, musste aber warten bis Katie den Antrieb via Fernsteuerung abgeschaltet hatte. Dann endlich kam der Greifer zum Einsatz, der den angeschlagenen Flieger in die Landebucht zog. »Schalte den Übungsmodus aus. Die Gleiter aus Landebucht 1 einweisen. Die restlichen Flieger sollen in Warteposition gehen.«, gab May an ihr Team weiter, während sie auf dem Schirm sah, wie der Doc die Pilotin aus dem Gleiter zog und versorgte. »Griff und Sonny haben nicht auf mich gehört und setzen zu Landung in Bucht 2 an.«, quiekte Suki. »Sind die blind und doof?«, brachte May noch raus: »Tor schließen!« »Das dauert zu lange. Die sind zu schnell. Wenn sie in den Tunnel einfliegen gibt es eine Katastrophe.«, wurde Suki richtig nervös. »Katie, Torpedo zwischen Landebucht und Gleiter. Minimale Ladung. Detonationsrichtung von der Station weg.«, befahl May und strengem Ton. Katie zögerte. Diese Waffen waren jetzt echt. »Mach' schon!«, wiederholte May ihren Befehl noch eindrücklicher. Die Waffenluke eines Turms öffnete sich und eine blaue Lichtkugel trat mit hoher Geschwindigkeit aus und zündete direkt vor der sich schließenden Hangartür und den darauf zufliegenden Gleitern.


Die komplette Station bebte leicht als der Torpedo seine Gravitationswelle entfaltete. Die beiden Kampfgleiter wurden von dem Gravitationspuls voll erwischt und schleuderten zurück ins All. »Die feuern mit echten Waffen!«, brachte Sab noch entsetzt raus und auch Mergy war schlagartig nicht mehr nach Lachen zu Mute. »Wow, die haben Bums!«, merkte May an während Katie zittrig und vorsichtig den Finger von der Waffenkonsole nahm: »Guter Schuss! Sind die Beiden in Ordnung?« Suki bestätigte, ihre Kameraden seien noch ein wenig benommen aber unverletzt. »Lass unsere Gefangenen frei. Wenn der Landetunnel wieder frei ist können die restlichen Gleiter landen. Griff und Sonny sollen sich hier sofort melden wenn sie gelandet sind. Ich bin in meinem Büro!«, gab May zu verstehen und schnappte sich den Pokal, den sie dekorativ auf den Schreibtisch stellte. Sie nahm auf dem Sessel hinter dem Tisch platz und drückte die Kommunikation: »Doc wie geht es Sadi?« »Sie hat zwei Schusswunden. Ihr Körperschild hat wohl nicht funktioniert. Keine Sorge sie wird wieder!«, gab er May die Antwort, die sie erhofft hatte.


Für einen kurzen Moment genoss sie die Situation. Sie hatte das Kommando über die komplette Station. Der Raum hatte deutlich an Respekt verloren. Jetzt war sie für einen Moment die Königin des Schlosses. Schneller als gedacht war dieser Moment auch schon vorbei. Die Tür rauschte auf und eine brüllende Sab gefolgt von Mergy rein. Mergy setzte sich sofort wortlos in einen der Sessel, während Sab protestierend und mit den Armen fuchtelnd im Raum stand und meinte May solle gefälligst den Platz verlassen. Erst als ihr Mergy es befahl setzte sie sich endlich neben ihn in den Sessel und büßte etwas von ihrer Bedrohlichkeit ein. »Warum hast du mit echten Stationswaffen auf unsere Gleiter gefeuert?«, wurde sie nochmal lauter. May hatte gelernt das Sab oft zu intensiv reagierte und blieb äußerlich wie Mergy gelassen. Innerlich hatte sie aber dennoch Angst, ihre Kollegin könnte ihre Handlungsweise nicht verstehen: »Wir haben eine verletzte Missionspilotin und ihren Gleiter mit dem Greifstrahl hereingeholt und der Doc hat sie direkt im Tunnel erstversorgt, als diese Spinner meinten, nicht auf unsere Anweisungen zu hören zu müssen und trotzdem einfliegen wollten. Ich hab auch nicht auf die Gleiter feuern lassen, sondern in ihre Flugbahn, um sie von einer Landung abzuhalten.«


»Gut gemacht!«, gab Mergy zu verstehen: »Hätte ich wohl auch nicht anders gemacht. Sab ist nur so sauer, weil sie die Wette verloren hat.« »Wette?«, fragte May neugierig. »Ja, genau Sab. Worum ging es nochmal in der Wette?«, setzte Mergy stichelnd nach. Sab hatte zwar begriffen, dass May in keinster Weise unverantwortlich mit ihrer Position umgegangen war, hatte aber noch Zweifel an ihrem Sieg. »Sie hat gewonnen und ich bin mir sicher sie hat jede deiner kleinen Regeln bis ins letzte Detail befolgt.«, war es nun Mergy, der redete. »Ja, habe ich.«, fügte May strahlend hinzu. »Und du musst zugeben, sie hat sogar die ungeplante Notfallsituation perfekt gemeistert und somit gleich zweimal ihre Führungsposition perfekt ausgefüllt.«, bohrte Mergy weiter in der klaffenden Wunde.


Sab fasste sich langsam. Sie musste ihre Unterlegenheit einsehen. May hatte sie nach Strich und Faden überlistet. »Ist ja gut! Sie bekommt ihr Kommando.«, gab Sab schließlich zu verstehen. »Ich bekomme ein Kommando?«, fragte May überrascht. »Aber nicht heute!«, fügte Sab hinzu und hatte schon wieder ein leichtes Lächeln aufgesetzt. Suki vermeldete die beiden Piloten seien eingetroffen. Mergy merkte an, diese Belehrung und Bestrafung der amtierenden Führungsposition zu überlassen. Also verließen die Kommander das Büro. Griff und Sonny standen bereits auf Abruf draußen. Sie staunten nicht schlecht, als Mergy und Sab das Büro verließen und sie nicht weiter beachteten. »Wollt ihr nicht reingehen?«, fragte Suki unverfroren und die beiden Sünder gingen in die Höhle der Löwin.


»Glaubt ihr eigentlich die Flugkontrolle existiert nur zum Spaß?«, wurde May gleich laut. Die beiden schauten sich an und waren nicht ganz sicher was sie jetzt von dieser Situation halten sollten. May war deutlich jünger als sie, aber andererseits saß sie in diesem Büro und selbst Mergy und Sab ließen sie gewähren. »Warum sollten wir warten? Das war doch reine Schikane?«, ließ Sonny verlauten. »Ihr solltet warten, weil es so angewiesen wurde. Ihr solltet warten, weil die Plattform durch Lichtsignale als gesperrt gekennzeichnet war. Das 'Warum' kann euch egal sein. Für die Station und den Flugbetrieb ist eindeutig nur die Flugkontrolle zuständig und wenn die etwas anordnet, dann wird dem Folge geleistet.«, blaffte May zurück. »Ist doch nichts passiert.«, beschwichtigte Griff. »Ja, weil ich mit Waffeneinsatz dafür gesorgt habe. Seht euch mal das hier an.«, deutete sie auf den holographischen Bildschirm, der den Doc und Sandra bei der Erstversorgung von Sadi im Flugtunnel zeigte. »Das konnten wir doch nicht wissen!«, wiegelte Sonny ab.


»Falsch! Das brauchtet ihr gar nicht zu wissen! Darum habt ihr keine Landeerlaubnis bekommen. Ich denke ihr braucht etwas Zeit um darüber nachzudenken. Ihr nehmt einen Gleiter und fliegt zum Mond. Da steht einer unserer Frachtcontainer. Den solltet selbst ihr finden. Diesen Container bringt ihr zur Station zurück und jetzt raus hier.«, wurde May nochmal eine Spur lauter. Kaum hatten die beiden das Büro verlassen, wies May Jaque an den Gleiter der beiden so langsam einzustellen, dass sie mindestens sechs Stunden für den Flug benötigen würden. Außerdem ließ sie ihn sämtliche Funktionen abstellen mit denen sie sich hätten amüsieren können: »Wenn sie trotzdem versuchen sollten das System auszutricksen, dann spielst du bis zur Rückkehr den Holly Polly Doodle über die Kommunikation ab. Wir schon werden sehen, wer hier zuletzt lacht.«


May schnappte sich den Siegespokal und verließ das Büro: »Ich denke wir gehen jetzt mal ordentlich feiern.«, verkündete sie und selbst Sab wünschte ihnen viel Spaß. Kurz bevor sich die Türen des Lifts schlossen fragte Sab noch nach ihrem Tassenwärmer. »Ist in der Kiste!«, gab May zu verstehen und dann fuhren sie los. »Oh!«, dachte May noch und schaute den beiden anderen in die Augen, denen erst jetzt bewusst wurde, was da wohl gleich passieren würde. Komischerweise hob das nochmal die Stimmung im Lift deutlich an. Sab öffnete unterdessen die Metallkiste. Es gab ein feucht und dumpf klingendes Plopp. Mergy brachte es auf den Punkt: »Gerade dachte ich sie hätte sich beruhigt aber jetzt ist sie schon wieder ganz grün!« Trish brach in schallendem Lachen aus und Mergy war sowieso nicht mehr zu halten. Die grüne Farbe ihrer eigenen kleinen Sprengfalle tropfte ihr vom Kopf und aus der Nase. »Wer andern eine Grube gräbt.«, merkte Mergy unter prusten noch an und auch Sab konnte sich ihrer eigenen Dummheit diese Kiste selber zu öffnen nicht entziehen und musste mit den Anderen lachen.


Das Team um May schaute noch beim Doc rein. Sadi war nicht mehr zu sehen und lag laut dem Doc im Krankenzimmer 1. »Ihr könnt sie morgen besuchen.«, berichtete der Mediziner. Erleichtert ging die Reise weiter ins Sors, wo sie sich an einen Tisch setzten und den Pokal wie ein Mahnmal mitten auf dem Tisch aufstellten. Moon und seine Verlierertruppe saßen mit gesenkter Miene da. »Gewonnen dank Wunderwaffe!«, triumphierte Suki und rückte den Pokal demonstrativ noch einmal um. »Teetassenwärmer gehören in jede Missionsausrüstung.«, trug auch Katie zur Unterhaltung bei. »Sab ist bestimmt begeistert von ihrer neuen Hautfarbe.«, merkte May an. Dann ließen sich die drei von Sor Pizza bringen und besprachen das Geschehene. Gleiches passierte auf der Kommandobrücke, wo Sab gerade erfahren hatte, dass sie ihre Tasse ohne zu wissen jeden Tag auf einen Transporter-Descrambler gestellt hatte. »Phantasie hat die Kleine. Das muss man ihr lassen.«, merkte Mergy an und Trish fügte noch hinzu, ihre Taktik, sich Zugang zur Station zu erschleichen, wäre einfach nur brillant gewesen.


Derweil befanden sich zwei Schlauköpfe im Schneckentempo auf dem Weg zum Mond und lauschten den endlosen Klängen des Holly Polly Doodle.

Sturm der Zeit

Mergy saß auf der oberen Promenade, wo Reiko mittlerweile ein richtiges Lokal aufgemacht hatte. Sie war seinem Vorschlag gefolgt und hatte es »Dragon Fly« genannt. Die Ausstattung war bis ins Detail perfekt und liebevoll ausgearbeitet. Wäre da nicht die direkte Sicht auf den Planeten und die Sterne hätte das Lokal überall stehen können. Wie immer hatte er sich an einen der Zweiertische am Fenster gesetzt und war in Gedanken versunken. Er genoss die Ruhe. Das war es was ihm hier neben dem Essen besonders gefiel. Hier wurde nicht gefeiert oder gespielt. In diesem Etablissement wurde nur gegessen und sich diskret und in gemäßigtem Ton unterhalten. So bemerkte er nicht, wie Reiko ihm einen reichlich gefüllten Teller vorsetzte, dessen Duft ihm langsam in die Nase stieg.


Der Kommander drehte seinen Kopf und schaute direkt in die Augen von Reiko, die in ihrer traditionell wirkenden roten Uniform an seinem Tisch stand. »Ich habe doch noch gar nichts bestellt.« »Sie kommen jeden zweiten Tag her und nachdem sie die Karte durchgeblättert haben, wollen sie überrascht werden.«, erwiderte Reiko: »Ich dachte ich drehe den Spieß einmal um.« Mergy schaute auf den Teller: »Also wenn es so gut schmeckt, wie es aussieht und riecht, dann brauche ich sicher mehr davon.« Er griff zur Gabel und nahm ein kleines Stück in den Mund. »Hmm, ich habe keine Ahnung was das ist, aber ich brauche definitiv mehr davon.«, lächelte er zu Reiko hoch, die schon gespannt auf seine Meinung wartete. »Das ist–«, konnte Reiko gerade noch aussprechen, als ein Donnern über sie herein brach und sich die Fenster von Außen verschlossen. Der Stationsalarm ertönte unheilvoll. »Mergy an Sab, was ist los?« »Da kommt etwas auf uns zu. Die Energiemenge ist gewaltig. Sie wird von den Sensoren nicht einmal mehr erfasst. Wir haben noch keine Ahnung was es ist.«, ertönte Sab mit ungewohnt besorgter Stimmlage. »Tut mir leid.«, war er wirklich betroffen diese köstliche Mahlzeit nicht mehr einnehmen zu können: »Beim nächsten Mal würde ich gerne genau mit dieser Mahlzeit überrascht werden.«


Hastig stürzte er in die Kommandozentrale. Auf einem der Monitore konnte er gerade noch sehen wie ein Gleiter an der sich schließenden Hangartür aneckte, aufschlug und durch den Tunnel in den Hangar schrammte. »Die Energiewerte sprengen die Sensorlimits.«, merkte Trish an. »Ich starte einige Sparx zur Datenerfassung. Jaque sichern und abschalten.«, kommandierte Sab während Mergy sich die Datensammlungen ansah, die über die Sensoren eintrafen. »An die Besatzung. Auf Einschlag vorbereiten!«, ließ Trish über die Monitore und Lautsprecher verlauten. Dann wurden auch die anderen Systeme überall auf der Station abgeschaltet. »Es wirkt wie eine gigantische Energieblase.«, stellte Mergy eine vage Vermutung an. Sab schaltete nun die restlichen Systeme auf dem Kommandodeck manuell ab. »Schilde sind auf Maximalleistung! Alles andere ist abgeschaltet.«


Die Station wurde geschüttelt und gerüttelt wie ein Blatt, welches einen Fluss hinunter trieb. Dann wurde es still. Lediglich ein Knarzen der Entspannung war aus den Tiefen der Station zu hören. Sab wartete noch einige Sekunden und startete die Sensoreneinheit, die unversehrt ihre Arbeit verrichtete: »Die Blase ist verschwunden. Ich fahre restlichen Stationssysteme wieder hoch.« Mergy fiel als erstes ein Detail auf, welches so nicht stimmte: »Die Erde ist nicht da wo sie sein sollte.« »Du meinst wir sind nicht da wo wir sein sollten.«, erwiderte Trish. »Unsere Position weicht nur etwa um 63 Meter ab. Die Erde aber ist auf einer komplett anderen Position ihrer Umlaufbahn. Oh, nein!« »Was ist los?« »Ich nehme an unsere Satelliten reagieren nicht?«, fragte Mergy und Sab war erstaunt, weil sie das gerade erst selbst festgestellt hatte. »Trish hatte teilweise recht. Stationsabweichung 63 Meter und einige dutzend Jahre. Keine Satelliten, keine digitalen Fernsehübertragungen. Zweiter Weltkrieg? 1943? Jaque?« »Die Annahmen sind nach meinen Berechnungen der Sternkonstellationen korrekt.«, antwortete die allseits vertraute Stimme von der Decke.


»Wir sitzen in der Vergangenheit fest?«, fragte Trish. »Ich werde hier fest sitzen. Die Station wird erneut mitgerissen. Welche Zeit sie auch immer ansteuern wird.«, erklärte Mergy. »Wie kommst du darauf?« »Ist doch klar. Wir haben abgesehen von Kampfgleiter 1 nie Teile oder gar Bruchstücke von Ray Team Technologie gefunden. Daher wird, egal was auch immer mit der Station in der Zukunft passiert, nicht vor unserer Gegenwart passieren. Denke ich zumindest. Zeitreisen sind verwirrend.« »Dann bleibst du einfach an Bord der Station und alles wird gut.«, sprach Trish aus, was Mergy schon länger beschäftigte. Der Kommander hatte schon lange darüber nachgedacht und alles mögliche durchgespielt. »Es wird einen guten Grund geben. Ich werde eben genau das trotzdem machen.«, setzte er seine Erklärung fort: »Außerdem steht Kampfgleiter 1 aus der Vergangenheit noch immer im gesicherten Lagerraum, was dafür spricht, dass ich es immer noch tun werde.«


Alle Systeme der Station waren nach wenigen Minuten reaktiviert und wieder voll betriebsbereit. »Wieviele Piloten fehlen uns?«, fragte Mergy. »Fünf Gleiter waren noch im Einsatz. Sadi, Hati, Moon, Stiff und May.«, gab Sab zurück: »Ich hoffe die bauen keinen Mist« »May ist bei ihnen. Die wird sich schon durchsetzen und für Ordnung sorgen.«, schmunzelte Mergy beruhigend zurück. »Dann hat sie ja ihr Kommando!«, witzelte Sab heraus. »Das zählt nicht.«, bekam sie genau die Antwort, die sie bereits von ihm erwartet hatte. Die vier Datensammler wurden zurück an Bord geholt, was gar nicht so einfach war. Sie zeigten keinerlei Funktion mehr und waren wegen ihrem Durchmesser von gerade einmal 30cm und der relativ flachen Scheibenform mit dem Greifstrahl nicht wirklich leicht zu treffen, zumal sie nicht nur im Raum trieben, sondern dabei auch noch rotierten. Gleiter wollte man aus Sicherheitsgründen nicht aussenden. Sab analysierte die wenigen vorhandenen Daten, kam aber zu keinem stichhaltigen Ergebnis, was diese Energieblase oder Wolke war oder woher sie kam.


Ein Problem ganz anderer Art hatte May. Als sie die riesige Tarnwand der Station durchflogen hatte, war da nichts. Sie versuchte es via Funk. Nichts. Vier weitere Gleiterpiloten machten nur wenig später die selbe Erfahrung. May aktivierte einen optischen Kommunikationsstrahl. Eigentlich war er dazu gedacht eine direkte Verbindung zweier Gleiter zu ermöglichen, die nicht von Feinden geortet werden konnte. Jetzt diente der Strahl nur einem Zweck. Abtasten des Raums. Vielleicht war die Station ja nur getarnt und sie spielten ein Spielchen mit ihnen. Aber da war nichts und die Station war zu gewaltig, als das sie dem intensiv gebündelten Strahl hätte aktiv ausweichen können. Sie war weg. »Ist sie explodiert?«, fragte Sadi unsicher und voller Sorge. »Dann wären hier tonnenweise Trümmer, aber hier ist nichts. Gar nichts!«, antwortete May. »Das ist eine Übung.«, hatte Hati die nächste Idee. »Unangekündigte Übungen sind immer nur Dienstags.«, warf Moon einen wohl witzig gemeinten Kommentar ein. »Nein, das wäre schwer möglich. Die Ereignisse, die das Orakel vorhersagt, müssen verhindert werden.«, wies May auch diese Idee zurück: »Wir warten erst einmal ab.«


Vier Stunden trieben die fünf Gleiter im All und warteten auf einen Funkspruch, ein Signal oder einfach nur ein Zeichen. Aber es passierte nichts. »Ok, ich übermittele euch Koordinaten. Dort fliegen wir hin und errichten eine provisorische Basis.«, kommandierte May. »Wer hat dich zum Chef gemacht?«, fragte Moon direkt an, während die anderen Gleiter bereits Kurs auf das Ziel nahmen. »Willst du die Verantwortung übernehmen? Nur zu.«, fragte May direkt und ohne lang zu überlegen zurück. Moon hatte sich in der letzten Zeit nicht gerade mit Ruhm bekleckert und war einige Male unangenehm in der Kommandoebene aufgefallen. Klar könnte er jetzt Punkten, aber wenn das wirklich eine Übung war, wollten sie vielleicht gerade ihn testen. Moon war Zwiegespalten.


Einerseits der Wunsch Chef zu sein und die Anderen herumzuscheuchen, aber andererseits hatte er keinerlei Erfahrung. May hingegen hatte schon mehrfach bewiesen es sogar mit Sab aufnehmen zu können. Moon beschloss die Sache diesmal clever anzugehen und überließ May den Posten ohne weiter darauf herumzureiten. Der Kurs führte sie direkt in die Sahara. Diese riesige Wüste in Afrika bot einigermaßen Schutz vor den Medien. Hoffentlich so lange, bis sie ihr Lager errichtet hätten. Die Landefüße der Gleiter versanken einige Zentimeter im Wüstensand und die Sonne brannte ihnen auf den Kopf. May ließ ihren Gleiter über ihnen schweben und einen Schild aufspannen, der die Wärmestrahlung abwehrte.


Glücklicherweise hatte May in ihrem Prototypen einen Repligen an Bord. Ohne den wäre die Lage um ein vielfaches schwerer geworden. Sie stöberte in der Datenbank umher und fand ein Projekt mit der Bezeichnung »Notunterkunft - Zwei Personen«. Die Darstellung des Aufbaus ließ schon vermuten, was sie bekommen würden. Zwei Betten, ein Tisch, zwei Stühle, ein Nahrungsmittelverteiler und ein kleines Bad. Da war zumindest auf einen Schlag alles, was zum Leben nötig war, vorhanden. Sie definierte noch die Zielposition und sofort begann die Spinne damit ihren Bauauftrag auszuführen. »Wie lange dauert das?«, fragte Stiff. »Drei Stunden!« »Warum replizierst du nicht einfach den Repligen mehrfach und danach geht alles viel schneller, wenn die zu dritt oder viert arbeiten.«, erläuterte Moon fachmännisch. »Du bist ja so clever.«, gab May in gehobener Stimmlage zu verstehen: »Hättest ja sagen können, dass du den Sicherheitscode hast?« »Was für einen Sicherheitscode?«, fragte er irritiert und May hatte ihn genau da wo sie ihn haben wollte. »Den Sicherungscode, der verhindert, dass man Repligens replizieren kann.«, brummte May zurück. Moon schwieg.


Der Sand kühlte sich langsam ab, weil die Wärmestrahlung von dem durch den Gleiter aufgespannten Mantel blockiert wurde. Einzig die warme Luft, die unten in den Schild einströmte wärmte den Rest der unsichtbaren Kuppel. Die größte Sorge von May galt dem Hochleistungsreaktor des Repligens. Er war hoffentlich stark genug und würde nicht durch die Hitze und den Dauerbetrieb überlastet. May ließ sich aber nichts anmerken und ging streng nach ihrem Plan vor. Schließlich war die erste Unterkunft fertig. Die selbsternannte Anführerin startete den gleichen Bauauftrag noch einmal, während ihre Besatzung sich das neue Domizil genau ansah. Nach weiteren drei Stunden ließ sie einen mobilen Schildgenerator bauen. Die Sonne ging am Horizont bereits unter, als der neue Auftrag ausgeführt wurde.


Die Frauen bezogen die zweite Wohnkiste. Stiff und Moon hatten sich sowieso schon in die Betten der ersten Wohneinheit gehauen und überall ihre Spuren hinterlassen. »Wie machen wir das mit dem Schlafen?«, fragte Hati, während sie die beiden Betten betrachtete, die übereinander in der Wand steckten. »Ich schlafe im Gleiter bis die dritte Kabine fertig ist.«, erklärte May. In der Nacht werkelte der Repligen außerdem noch an einem kleinen Flugfeld, das May schnell entworfen hatte und einfach zu replizieren war. Jeder der 5 Gleiter hatte seinen Platz. Außerdem ließ sie noch einen großen Tisch und Stühle erstellen. Ein Besprechungsraum unter freiem Himmel. Am nächsten Morgen waren alle früh wach. May hatte kaum geschlafen und neben der Programmierung des Repligens immer wieder nach Signalen der Station gesucht. Mit ihrem mobilen Terminal kam sie direkt an den großen Tisch. Eigentlich hatten sie es schon recht gemütlich in ihrem neuen Heim. Die Stimmung war bedrückend. Keiner hatte eine Ahnung wie es weitergehen sollte. Sie waren gestrandet und heimatlos. May traf es besonders. Da hatte sie gerade ein neues Zuhause gefunden, ihre Mutter war wieder da und sie hatte sogar einen Menschen gefunden, der für sie wie ein Vater war und jetzt war sie trotzdem wieder alleine. Naja, nicht wirklich alleine, aber auf sich gestellt, wie in den harten Jahren nach dem Tsunami.


»Gleich stellen wir erst einmal die drei Container neu auf und dann die Gleiter und den Tisch um.«, erklärte May den minimalen Tagesplan, den sie schon hatte. »Sollten wir nicht nach den anderen suchen?«, fragte Hati, aber May erklärte ihr das sie bereits alles versucht hatte, um die Station oder auch nur einen Hinweis auf ihren Verbleib zu finden. Sie konnten ja nicht wissen, dass die Station noch genau an ihrem Platz war, aber eben nicht mehr hier und jetzt, sondern im Jahre 1943 friedlich im All rotierte, als wenn nichts gewesen wäre.


Mergy ließ Sab und Tin Möglichkeiten ausdiskutieren, wie man die Station erneut und am Besten sofort zurück in die Zukunft bekommen könnte. Alle Berechnungen führten zu dem gleichen Schluss. Eine Zeitreise mit der kompletten Station und einer eigenen Zeitmaschine war unmöglich. Sab berechnete die dazu benötigte Energie schon mit der Einheit Erdsonnen. Die sonstigen Vorschläge waren allesamt nicht weniger abenteuerlich. Der beste Vorschlag war noch die komplette Station tiefer ins All zu bewegen und die Besatzung mit Autodocs einzufrieren. In der Gegenwart, nachdem die Station vom Sturm getroffen würde, könnte man die Mannschaft auftauen und die Station zurück an ihren Platz bringen. Es gab nur diverse Probleme bei dieser Idee. Die Station dürfte niemals von der Erde entdeckt werden. Bei den vielen Sonden die in den kommenden Jahren gestartet würden und den immer moderner werdenden Teleskopen und Sternwarten, musste die Station schon sehr weit weg positioniert werden. Schließlich dürfte auch das Ray Team die Station nicht selbst finden. Der Doc merkte an, die Autodocs wären nicht für Dauerbetrieb konstruiert worden und daher könne nicht vorausgesagt werden, ob sie überhaupt so lange durchhalten und ob ein Mensch so lange in heruntergekühltem Zustand überleben würde. Der Alterungsprozess würde auch nur minimal verlangsamt, schließlich war es ja kein wirkliches einfrieren, sondern nur eine Art Tiefkühlmarinade in der sich die Menschen befanden.


Zwei Tage waren sie nun in der Vergangenheit. Da der Plan mit dem Einfrieren der Mannschaft am brauchbarsten war, führten alle Parteien weitere Tests durch, um die bestehenden Technologien zu verbessern. »Argh!« Mergy zuckte unkontrolliert. Er hielt sich seinen Körper während er ohne jegliche Körperkontrolle unsanft zu Boden ging. Als wäre er mit einer Elektrowaffe getroffen worden, die unaufhörlich weiter Strom in ihn hineinpumpte, um die Zuckungen aufrecht zu erhalten, zitterte er weiter. »Doc, medizinischer Notfall auf dem Kommandodeck.«, signalisierte Sab, während Trish sich schon um ihn kümmerte. Mergy zuckte unkontrolliert am ganzen Körper und schrie vor Schmerzen. Der Doc führte einen Scan durch, während Sandra, seine Assistentin, die Stellen, die er umklammerte abtastete. Gemeinsam legten sie ihn schließlich auf die Trage. Trish folgte dem Notfallteam und ihrem Patienten. Es dauerte fast 30 Minuten, bis der Doc sich an Trish wendete, die draußen vor der Scheibe stand und nicht wusste was sie sonst tun konnte.


»Ich hab so etwas noch nicht gesehen.«, sagte der Doc. »Ich habe über 30 Scans gemacht und sie sind alle verschieden.« »Wie verschieden?«, fragte Trish. »Es ist als ob ganze Zellteile fehlen und dann plötzlich wieder da sind.«, versuchte er zu erklären, was er gesehen hatte. Trish wollte die Daten sehen. Sie kannte sich mit dem Atomaren zerlegen und zusammensetzen von Gegenständen und Personen aus. Sie hatte schließlich den größten Teil der Transporter und Replikationstechnologien selbst entwickelt. »Da fehlen wirklich komplette Zellgruppen.«, merkte sie ebenfalls an und der Doc nickte. »Löse ich mich auf?«, fragte eine Stimme hinter ihnen. Es war Mergy, der sich unbemerkt von den Anwesenden vom Tisch hinter ihnen erhoben hatte. Der Doc machte mit dem Handscanner einen weiteren Testscan und alles schien normal zu sein. »Was war das bloß?«, fragte er laut. »Das ist kein Zufall und hat mit unserer Situation zu tun.«, mutmaßte Mergy: »Die Chance das jemand mit Transporterstrahlen an mir herumpfuscht ist ja hier noch geringer als in der Zukunft.« »Ich stell dich auf laut!«, gab Trish an. »Das Orakel hat eine Koordinate ausgespuckt.«, berichtete Sab. »Für 1943?«, fragte Mergy nach. »Ja, der Zielpunkt liegt in Wolgograd. Wenn unsere Zeit stimmt, in 15 Minuten.«, führte Sab aus. »Die Schlacht von Stalingrad!«, fuhr ein Gedankenblitz durch Mergy: »Wir haben Februar 1943 richtig?« »Den 2 Februar 1943.«, spezifizierte Jaque. »Am 2 Februar waren die Kampfhandlungen beendet und die deutschen Soldaten gingen in die Gefangenschaft. Jaque, wie lautet der restliche Text vom Orakel?«, stellte er die Frage der Fragen direkt an den Stationscomputer und noch bevor Sab etwas dagegen tun konnte antwortete er: »Mergy«


»Du kannst da nicht hinfliegen.«, versuchte Sab besorgt ihn aufzuhalten. Trish tat es ihr gleich. »Es muss sein!« »Warum?« »Weil er es gesagt hat! Ich soll machen was richtig ist, um hier diesmal heil heraus zu kommen.«, erklärte Mergy. »Hat wer gesagt?«, tönte es aus dem Kommunikationssystem der Krankenstation. »Ich. Also die ältere Version von mir hat mir das in der Aufzeichnung hinterlassen.«, gab er sein kleines Geheimnis preis und machte sich direkt auf den Weg in die Gleiterhalle. »Jaque mach' meinen Gleiter bereit.«, befahl er. »Das werde ich nicht zulassen.«, gab Sab durch die Lautsprecher zurück. »Das Schicksal kann man nicht austricksen.«, erwiderte Mergy und stieg in seinen Gleiter. Das gewaltige Hangartor öffnete sich und sein Gleiter schoss pfeilschnell aus der Station Richtung Erde. Im Tarnflug überflog er das Schneegebiet. Eine einzelne Wärmequelle war direkt im Zielgebiet auszumachen. Eine breite Spur aus Fuß, Reifen und Kettenabdrücken führte an ihm vorbei. Mergy transportierte sich direkt neben den Mann. Er hatte eine tiefe Bauchwunde und auch einige weniger schlimm wirkende Schnittwunden. Schnell klemmte er den Autodoc an seinen Arm und fror ihn ein. Leider hatte er nicht daran gedacht, dass er keine Rückbank im Gleiter hatte. Glücklicherweise hatte der Mann sich vor seiner Ohnmacht und wegen der Kälte zusammengezogen. Das so entstandene Paket neben ihm passte fast perfekt auf die Beifliegerseite des Gleiters. Mit dem eisigen Passagier neben sich flog der Kommander zurück zur Station.


In der Basis war man mehr als nur froh, Mergy wieder an Bord zu haben. »Vielleicht haben wir ja wirklich Glück.«, schöpfte selbst die, eigentlich immer an das Schlimmste denkende, Sab wieder Hoffnung. Der Doc versorgte den Patienten. Mergy wies ihn an die Wunde außen nicht ganz zu verschließen. Schließlich müsse der Mann noch zurück auf die Erde und könne nicht, wie durch ein Wunder komplett geheilt, aus dem Nichts auftauchen. Dem Doc widerstrebte dieser Wunsch. Er war es gewohnt seine Patienten immer komplett zu heilen. Er ließ aber die oberen Hautschichten offen und flickte sie mit Nadel und Faden zusammen. »Barbarische Methoden«, fluchte er bei fast jedem Nadelstich. Mit einem Verband komplett um den Mann gewickelt schloss er seine Behandlung widerwillig ab.


Es dauerte zwei Stunden, dann wurde der Fremde wach. Alles kam ihm unwirklich und fremd vor. War schon einem Menschen aus der Gegenwart die Station futuristisch vorgekommen, wie musste die Umgebung da erst auf einen Menschen aus dem Jahr 1943 wirken? Nicht gerade Hilfreich war die Tatsache, dass sowohl Sandra als auch der Doc Briten waren und ihr Akzent dies trotz Übersetzung deutlich verriet. Mergy fand sie sollten diese sprachlichen Details nicht einfach durch die Übersetzung ausblenden, sondern zeigen, wie International die Station und deren Bewohner war. An Zeitreisen hatte er dabei verständlicherweise dabei nicht gedacht. Pech für den Deutschen, der nun vermutete in Gefangenschaft der Engländer geraten zu sein.


»Doc an Mergy der Patient ist wach. Er weigert sich aber mit uns zu sprechen.« Mergy war in Windeseile in der Krankenstation, wo der Patient in seiner ramponierten Wehrmachtsuniform unsicher umher blickte. »Hallo, ich bin Mergy! Willkommen auf der Station.«, begrüßte ihn sein Retter. Unsicher schaute der Mann Mergy von oben bis unten an, sagte aber nichts. »Ist er fertig?«, fragte der Kommander den Stationsarzt. »Ja, ich wünschte ich könnte sagen so gut wie neu, aber das wird noch etwa zwei Wochen brauchen.«, gab dieser leicht muffelig zu verstehen. »Das muss alles sehr verwirrend für sie sein.«, zeigte Mergy Verständnis: »Eben noch im Krieg und jetzt hier. Sie sind weder Tod noch in Gefangenschaft. Ich komme auch aus Deutschland.« »Verräter!«, war das erste Wort, dass der Mann heraus brachte. Für einen Augenblick war Mergy verwirrt und auch die anderen starrten hinüber. »Jetzt verstehe ich. Die beiden britischen Landsmänner hier. Mein Fehler. Wir kommen aus der Zukunft. Deutschland, Österreich, Schweiz, Polen, Spanien, Italien, Frankreich und die meisten anderen Länder gehören zu einer großen friedlichen Vereinigung. Bei uns herrscht Frieden in Europa.«


Unsicher der vielen Worte, die auf ihn hinunter prasselten, schaute der Mann nur zurück. »Ja sicher, sie denken jetzt: "Der kann viel erzählen". Schauen sie sich um. Schon mal so ein so modernes Krankenhaus gesehen?« Wie auf Kommando rauschte die Tür mit einem Surren auf. Suki kam in den Raum und stützte Niesha, die Tränen in den Augen hatte. Der Doc half ihr auf den zweiten Tisch und scannte die schmerzende Körperstelle. Der Knöchel war sichtbar abgeschwollen. »Was habt ihr nun wieder angestellt?«, fragte Mergy. »Wir haben Tennis gespielt. Niesha ist beim Versuch meine Rückhand noch zu bekommen umgeknickt.«, erläuterte Suki. Mergys Gast schaute mit großen Augen dem Treiben am anderen Tisch zu. Die beiden Mädchen waren nur wenig älter als er und die Tenniskleidung war für sein Verständnis wohl ziemlich offenherzig. Was aber für ihn wohl noch verwirrender war, war die Tatsache, eine asiatische und eine dunkelhäutige Frau vor sich zu haben. Als über dem Tisch das holographische Skelett von Niesha erschien zuckte der Soldat regelrecht zusammen. Der Doc vergrößerte ihren Fuß und drehte die Ansicht. »Nichts gebrochen. Nur geschwollen.« Er nahm eines seiner Instrumente und bestrahlte einige Sekunden damit ihren Fuß. »So, wie ist das?«, fragte der Doc. Niesha hüpfte auf den gesunden Fuß und setzte den andere vorsichtig auf: »Tut kaum noch weh.« »Trotzdem kein Sport mehr die nächste Woche.«, befahl der Doc. »Danke Doc.«, bedankte sich Niesha und verschwand mit Suki noch leicht humpelnd durch die Tür.


»Wie ich gesagt habe. Hier sind Menschen aus allen Teilen der Welt friedlich auf der Station vereint.«, erklärte Mergy. »Station?«, fragte der Gast erstmals. »Eine Raumstation. Wir sind hier nicht auf der Erde.«, erläuterte Mergy. Das war mal wieder so ein Punkt, der für jemanden aus dieser Zeit nicht wirklich glaubhaft klang. »Sie können sich alles ansehen. Wo die Tür ist haben sie ja schon gesehen.«, bot Mergy an und deutete auch mit den Armen an, die Bewegungsfreiheit seines Gastes an. Zögerlich erhob er sich und ging auf die gläserne Wand zu, die sich wie von Zauberhand vor ihm auseinander schob. Die Piloten hatten nicht viel zu tun und so waren die Meisten auf dem Promenadendeck und bei Sor. »Ich bin immer noch Mergy und wer sind sie?«, bohrte Mergy erneut nach. »Joseph Merniger.«, antwortete er fast wie in Trance. »Oh, mein Gott!«, war es nun Mergy, der glaubte im falschen Film zu sein.


»Sie sind aus Augustdorf, richtig?«, fragte Mergy nach. Joseph nickte und fragte sich aber, woher Mergy das wissen konnte. »Das erklärt warum ich dich retten musste.«, redete Mergy vor sich her, ließ alle Förmlichkeiten fallen und schaute schließlich in die fragenden Augen des Soldaten. »Du bist mein Großvater. Ich bin dein Enkel. Wenn du gestorben wärest, dann würde ich aufhören zu existieren. Das alles hier würde wahrscheinlich nicht existieren.«, gab Mergy seinem Großvater eine Erklärung die er nicht verstand. »Wie kannst du mein Enkel sein, ich bin viel Jünger als du!«, fragte der unsichere Mann jetzt auch in der persönlichen Form nach. »Denk mal nach. Du gründest eine Familie, die Jahre vergehen, du bekommst Kinder und eins deiner Kinder bekommt mich. Dann vorgestern wird die komplette Station zurück ins Jahr 1943 verschoben, wo ich auf dich treffe.« »Wer sind die Leute hier?«, fragte Joseph erneut. »Wir sind so etwas wie die Polizei, Feuerwehr, Krankenwagen in einem und diese jungen Leute hier fliegen normalerweise auf die Erde, retten Menschen, fangen Bösewichte und verhindern Katastrophen.«, erklärte Mergy »Normalerweise. Wir dürfen hier nicht eingreifen oder es könnte selbst in einer Katastrophe enden.«


Immer noch ungläubig führte Mergy seinen Großvater zu den Fenstern im ersten Stock, wo Reiko gerade einige Gäste bediente, die an den Tischen vor ihrem Laden saßen. »Gibt es etwas neues?«, fragte sie unsicher. »Wir haben noch keine Lösung für unser Problem gefunden. May ist das cleverste Kind das ich kenne. Sie und die anderen werden schon klar kommen. Die eigentliche Frage ist doch, ob die anderen mit unserer Kleinen klar kommen.«, flachste Mergy. Reiko lächelte und Joseph fragte nach was die Unterhaltung zu bedeuten hätte. Mergy erzählte ihm von einigen Flugzeugen, die in seiner Zeit geblieben waren und nun ohne die Station heimatlos waren. Er benutzte bewußt das Wort Flugzeuge, um nicht noch mehr Fragen zu erzeugen.


So ganz stimmte das jedoch nicht mehr. Das verbliebene Ray Team in der Gegenwart hatte es sich bereits recht gemütlich eingerichtet. Sie hatten auf ihrer Basis alles was nötig war. Sogar der Schutz vor Dritten war dank neuer Tarnvorrichtung gegeben. »Wir haben jetzt Zugriff auf die Satelliten.«, meldete Stiff den Erfolg seiner Bemühungen. »Gut, zapf die TV Sender an. Wir brauchen alles was live ist. Ohne Jaque und das Orakel können wir sonst niemandem helfen.«, erklärte May. »Wir sollen Einsätze fliegen?«, fragte Moon erstaunt. »Natürlich. Das ist unsere Aufgabe und genau das tun wir.«, gab May zurück. »Aber wir sind nur fünf Leute.«, erklärte Hati unsicher. »Das Ray Team wurde auch nur mit fünf Leuten auf den Weg gebracht.«, führte May ein Argument an, welches niemand widerlegen konnte. »Ich hab da schon was.«, meldete Stiff. Da ist ein Bergwerksschacht in China eingestürzt. Man vermutet über 40 verschüttete Arbeiter. »Sadi übernimmt Ray Team Two. Wir fliegen los.«, befahl May. Schnell waren die Gleiter in der Luft. Während Sadi die neue Kommandozentrale übernahm, die in einen der Container zusammen gebaut war. Es gab kein passendes Modul im Computer. Daher mussten sie die einzelnen Teile herstellen und manuell zusammenbauen. »Das funktioniert nie.«, hatte Stiff noch gesagt und May war in Lachen ausgebrochen. Sie hatte genau so ein Durcheinander schon mal auf der Südpolstation gesehen und dort war es deutlich konfuser zugegangen und es funktionierte trotzdem.


Dank ihrer Transporter konnten die Vier mit ihren Gleitern 42 Menschen aus dem Bergwerk retten. Sieben Arbeiter waren bei dem Unglück umgekommen und konnten nur noch Tod geborgen werden. Mays Stimmung war bedrückt, während die Anderen zufrieden mit ihrer Leistung waren. Sie strebte nach Perfektion und wollte jeden Menschen retten, aber an diesem Tag lernte sie auf bittere Weise, dass das nicht immer möglich war, auch wenn man sich richtig Mühe gibt. Mergy hatte mal gesagt, man könne das Schicksal nicht austricksen und müsse seinem Fluss folgen. Vielleicht hatte er recht. Er hatte May damals gefunden, obwohl die Hinweise des Orakels noch gar nicht entschlüsselt waren. Milliarden von Menschen befanden sich auf dem Planeten und er fand genau sie. War das wirklich Schicksal gewesen oder nur ein blöder Zufall mit glücklichem Ende? Auf dem Rückweg meldete Sadi noch einen Großbrand in Washington, den sie auch noch zusammen bekämpften.


Schließlich rauschten die Kampfgleiter über die Wüste zurück: »May an Ray Team Two, erbitten um Landeerlaubnis.« »Landeerlaubnis gewährt«, vermeldete Sadi, die sich immer noch über den Basisnamen lustig machte. May entgegnete nur die Station wäre One und dann könnte dieses armselige Abbild einer Basis doch wohl auch Two sein. Niemand hatte jemals hinterfragt welche Bedeutung die Nummer ihrer Raumstation eigentlich hatte. Die gesamte Operation funktionierte jedenfalls bereits recht gut, obwohl nicht nur May hoffte, ihre weiße Heimat wieder am Himmelszelt ausmachen zu können.


Mergy nahm mit seinem Gast noch ein Mahl ein. Joseph fragte nach einer Zigarette, aber Mergy wies seine Anfrage zurück und erklärte ihm die Tatsache das Rauchen Lungenkrebs erzeuge und schon das Einatmen von Zigarettenqualm gefährlich sei. Joseph war zwar Arzt, aber der direkte Zusammenhang zwischen Rauchen und Krankheiten war damals noch nicht wirklich bekannt. Skeptisch sah er immer wieder Sor an, der noch einmal ein paar Getränke brachte. Mergy hatte ihm zwar erklärt, er sei eine Maschine und auch demonstrativ seine Hand durch ihn hindurch gesteckt, aber dafür sah der falsche Alien wirklich erstaunlich echt aus. »Ich bin bestimmt sehr stolz auf meinen Enkel.«, meinte sein Großvater schließlich. Mergy lächelte nur verlegen und unsicher. Schließlich war der Zeitpunkt da und er musste zurück auf die Erde. Es gab keinen anderen Weg. Die Geschichte musste passieren, wie sie passiert oder besser vorherbestimmt war. Mergy und sein Großvater gingen durch die Halle in den Lift. Die Augen des Besuchs sprachen Bände. Selbst für Menschen aus seiner hochtechnologischen Zeit waren Kampfgleiter richtige Wundermaschinen. Wie musste das auf Joseph wirken. Er kam aus einer Zeit in der man gerade Kino und vielleicht schwarzweiss Fernsehen für sich entdeckt hatte, wenn man es sich denn leisten konnte. Radio war immer noch das zentrale Medium und gleich würde er in einem Raumschiff von einer Raumstation zurück auf den Planeten gebracht.


Der Gleiter hing am Lichthaken und wurde auf dem Deck abgesetzt als beide durch die Tür kamen. Sab protestierte erneut, aber Mergy ignorierte ihre Ansagen. Enkel und Opa stiegen in den Kampfgleiter und hoben ab. Mergy verzichtete auf den direkten Weg und machte noch eine kleine Schleife. Zwischen den strahlenden Türmen der Station hindurch flog er auf die Erde zu. Ab und zu schaute er nach rechts in die offenen Augen des jungen Mannes, der bald wieder die harte Realität des Krieges erfahren würde. Lautlos flogen sie auf den Planeten zu und mit einem Feuerball in die Atmosphäre. Im Schutz der Dunkelheit transportierte Mergy sich zusammen mit dem Gast in ein sowjetisches Gefangenenlager. Dort wurden auch seine Kameraden seines Familienmitgliedes gefangen gehalten. Mergy nahm ihm den blinkenden Ring vom Arm und mit einem Zwinkern hatte er seine Kleidung gegen die holographische Uniform des Feindes getauscht. »Wenn jemand fragt, du wurdest von einem Arzt gefunden und versorgt.« Der deutsche Soldat nickte. »Ach noch etwas. Die Sache mit dem Rauchen war ernst gemeint. Ich würde von meinem Großvater gerne mehr haben, als nur eine Erinnerung an einen älteren Herrn, der todkrank seinen kleinen Enkel noch einmal sehen will.« Mit deutlich ernsterer Miene nickte der Gefangene noch ein letztes Mal. Mergy schob ihn vor sich her. Ein Wachsoldat versperrte den Zugang zu den Gefangenen. Mergy sprach auf russisch mit ihm und er gab die Tür frei. Der vermeintliche russische Soldat schubste seinen Verwandten in die Baracke und verschloss die Tür erneut mit dem Riegel.


Dann ging er wie er gekommen war. Zwischen zwei Gebäuden transportierte Mergy sich zurück in seinen Gleiter und prüfte noch einmal das Gebäude mit dem Scanner. Joseph wurde von den anderen Soldaten freudig begrüßt. Seine Kameraden hatten, nicht ohne Grund, angenommen er sei Tod. Zufrieden die Geschichte repariert zu haben stiegt Mergy mit seinem Gleiter auf. »Sab an Mergy. Die Energieblase ist zurück und steuert auf uns zu.«, tönte es hastig aus dem Kommunikationssystem. Mergy wusste was das zu bedeuten hatte, aktivierte alle verfügbaren Reaktoren und brachte seinen Gleiter auf Maximalgeschwindigkeit.


Im Gegensatz zu den regulären Kampfgleitern, wo nach oben noch eine Sicherheitslücke blieb, war hier Maximum auch wirklich Maximum. Der Überschallknall wurde sicherlich von den meisten Menschen wie eine Bombe aufgenommen. Als ein typisches Geräusch des Krieges. Mergy schnellte in den Nachthimmel und direkt auf die Station zu, die ohne den Tarnschirm zwischen den Sternen strahlte wie ein Leuchtfeuer aus weißem Marmor. Das Schloss wurde größer und größer. Die Fenster und Luken der Station waren abermals komplett geschlossen. Einzig der Hangar lag unbeleuchtet aber offen direkt in seiner Flugbahn. Mergy konnte nicht sagen, ob das Zufall war oder ob Sab die Stationsrotation gestoppt hatte, um ihm Zeit zu verschaffen. Ohne zu bremsen schoss Mergy auf den Koloss aus Metall und speziell auf diese immer größer werdende Öffnung zu.


Blitze schlugen bereits von den hinteren Türmen im Kern ein und hoben sich deutlich vom Dunkel des Alls ab. Das Funkeln der Energieblitze, die sich über die Außenhaut der Station einen Weg Richtung Kern suchten, leuchteten vor dem schwarzen Hintergrund des Weltraums wie eine elektrostatische Kugel bei Berührung. Mergy spürte bereits leichte Unebenheiten in der Flugbewegung. Eine Salve aus Energie zuckte direkt über dem Hangar in die Station. Mergy wurde für einen kurzen Moment geblendet. Dann wurde es dunkel. Es dauerte einige Sekunden, bis sich die Pupillen in seinen Augen weiteten. Er sah die Sterne vor sich, auf die er immer noch zu raste. Den Gleiter in einer harten Wende herumziehend sondierte er die Umgebung. Er war alleine. Die Station war weg.


May und ihre kleine Kampftruppe stellten sich erfolgreich diversen Aufgaben und retteten so viele Leben wie sie konnten. Es war gar nicht so einfach, da sich nur das verspätete Medium Fernsehen oder das schnellere Internet als Quelle nutzen ließ. Anders als mit dem Orakel waren sie immer erst unterwegs, wenn das Unheil bereits passiert war. Sadi drückte die Tür zur Bank auf. Moon folgte ihr direkt. Sie waren in einem kleinen Ort in Nevada. Viele Menschen lagen ängstlich auf dem Boden und auch die beiden Piloten wurden gleich von dem Mann aufgefordert sich flach hinzulegen. Moon hatte vorgeschlagen den Typen einfach mit einem Transportring zu versehen und heraus zu transportieren, aber das Risiko andere Menschen dabei zu verletzen war May zu hoch. Ein Junge nahm die Tür, die sich hinter Moon langsam schloss als Anlass und sprang auf. Sofort zielte der Bankräuber auf ihn.


Instinktiv warf sich Sadi dazwischen und schützte ihn. Moon stürzte sich auf den Schützen, warf ihn zu Boden und entwaffnete ihn. Als er sich umdrehte schaute ihn Sadi seltsam befremdlich an. »Nicht schon wieder.«, gab sie unter stöhnen von sich und kippte vorne über. »Sadi wurde getroffen.«, rief Moon in seinen Arm und rannte auf sie zu. Sadi hatte mehrere Treffer in den Rücken bekommen. May konnte sie nicht erfassen und so transportierte sie ihre Kollegin mit einem Transportring in ihren Gleiter. Der Autodoc war schnell angeschlossen, aber das Problem war nicht ohne einen Arzt zu lösen. »Sadi, bleib wach! Das ist ein Befehl.«, brüllte May während Moon zwei der Kugeln aus den leichten Verletzungen entfernte und die Wunden verschloss. »Wir müssen sie einfrieren.«, schlug er vor. »Dann können wir sie nicht mehr auftauen. Das können nur Doc, Sandra und vielleicht die anderen vom Kommando und die sind nicht hier!«, erwiderte May. Sie stellte einen Kurs ein und ihr Gleiter beschleunigte mit einem lauten Knall auf Überschall. Stiff bekam die Aufgabe die drei anderen Gleiter zurück zur Basis zu fliegen.


»Entferne ihr den Chip im Arm.«, wies May an. Moon wollte Erklärungen, aber May wiederholte nur ihren Befehl mit Nachdruck und sprach über Funk mit einem Krankenhaus und gab Informationen durch. Mit dem Autodoc war es leicht den Chip zu entfernen. Er schnitt ihn einfach heraus und versiegelte die Wunde mit dem Wundschließer. Sadi atmete schwer. Der Autodoc wies wiederholt an einen richtigen Arzt zu holen, während er gleichzeitig ihr vorhandenes Blut mit Sauerstoff anreicherte und zusammen mit Neuem direkt über eine Infusion in ihre Adern drückte. May landete auf einer Helikopterplattform. Direkt neben dem mit einem großen H gekennzeichneten Feld standen bereits Personen in weißem Kittel und einer Trage. Kurz bevor May die Tür öffnete sagte sie noch zu Moon er solle das Autodoc auf Lock stellen. Dadurch war es dem Krankenhauspersonal nicht möglich das Gerät zu entfernen. Sie konnten über die Maschine jederzeit Informationen über Sadis Zustand abfragen und ihre Freundin aus dem Krankenhaus transportieren, wenn es an der Zeit war.


May öffnete die Tür und half Moon Sadi herauszuziehen. »Wir haben sie auf der Straße gefunden. Der Kasten versorgt sie mit Blutkonserven. Wir holen ihn morgen ab.«, gab May noch an. Sie war nicht sicher ob die Menschen ihr zugehört hatten, da sich alle intensiv um Sadi kümmerten. Moon wollte gleich hinterher, aber May griff ihn am Arm. »Wir können nicht.«, gab May zu verstehen und zog ihn zurück in Richtung Gleiter. Ihr Blick zeigte deutlich: Ihr gefiel die Lage ebenfalls nicht. »Aber wir können sie doch nicht zurücklassen.«, gab Moon mit einer Stimmlage zu verstehen, die sie so noch nie von ihm gehört hatte. Er war richtig besorgt um Sadi. Von dem sonst immer so großkotzigen Typen war zumindest für den Moment nichts zu spüren. Still saß er neben May und sagte kein Wort. Die anderen Beiden kamen sofort zum Gleiter gelaufen, als der auf der Landemarkierung aufsetzte. May erklärte ihre Kollegin wäre in guten Händen sei und man würde sich um sie kümmern. Hastig stellte Hati eine Verbindung zum Autodoc her und alle waren erleichtert als der Diagnosebildschirm ihren Herzschlag und ihre Werte zeigte. Minutenlang saßen sie so da und starrten auf den Bildschirm. »Was ist wenn sie stirbt?«, fragte Stiff mit leiser Stimme. »Sie wird nicht sterben!«, gab May mit klarer und ernster Stimme zurück.


Auf einem der anderen Monitore war ein gelber Bus zu sehen, der fast senkrecht an einem Berg hing. »Moon, Stiff ihr erledigt das.«, kommandierte May. »Wir können doch nicht einfach so weitermachen als wenn nichts passiert wäre.«, war der alte Moon fast wieder da. »Sadi hat ihr Leben riskiert um einen Jungen zu retten.«, erklärte May sachlich: »Egal was passiert, wir machen weiter. Das ist unsere Aufgabe und jetzt los.« Beide machten sich auf den Weg. »Ich bin in meinem Container.«, brachte May noch einigermaßen klar heraus bevor sie verschwand. Hati war unsicher. Ihre Stimme hatte so einen leisen Unterton gehabt. Vorsichtig schob sie die Tür zu Mays Wohncontainer auf. May saß nicht am Tisch und in der kleinen Badezimmerkabine war sie auch nicht, denn die Tür stand offen. Unsicher, ob sie nicht gleich angeschrien würde, weil sie ihren Posten verlassen hatte, ging sie mit vorsichtigen Schritten weiter.


Dann sah sie May. Hinter dem Tisch in der Ecke auf dem Boden saß ihre Kollegin die Beine angezogen, mit den Armen umschlossen und vom Kopf abgedeckt. Sie vernahm ein leises schniefen. Hati setzte sich neben sie auf den Boden. »Hey.«, sagte sie vorsichtig und in besorgtem Ton. Dann legte sie May einen Arm um Hals und Schulter. Es dauerte einige Sekunden bis May ihren Kopf hob: »Was ist wenn sie stirbt? Dann bin ich Schuld.« »Sie wird nicht sterben und du wärst nicht Schuld.« »Ich hätte sie einfrieren sollen.«, weinte May undeutlich heraus. »Und dann?«, erwiderte Hati: »Dann hätte sie vielleicht 30 Jahre in einem Klotz gesteckt. Wenn der Autodoc überhaupt so lange durchgehalten hätte. Ich will auch nicht eingefroren werden, verstanden?«


Hati ließ die von ihr ausgesprochenen Worte in ihrem viel jüngeren Kollegen sacken. »Ein schlauer Typ hat einmal zu mir einmal gesagt: Jeder braucht mal Hilfe.«, fügte sie schließlich noch hinzu: »Heute waren wir das.« »Ich bin eine miese Anführerin. Ich habe alles falsch gemacht! Ich schäme mich so.«, gab May weinerlich zu verstehen. »Du schämst dich? Wir müssten uns eigentlich schämen. Wir sind die Erwachsenen hier und du bist doch eigentlich noch ein Kind. Ich bin fast doppelt so alt wie du und bekomme von dir eine Lektion nach der anderen. Keiner von uns hätte auch nur ansatzweise das Zeug dazu ein Kommando zu führen. Keiner von uns hat sich getraut die Verantwortung zu übernehmen. Ohne dich würden wir wohl immer noch im All treiben und auf die Station warten.«, versuchte sie aufmunternde Worte zu finden. May schniefte: »Wer war der Typ?« »Welcher Typ?« »Der mit "Jeder braucht mal Hilfe"?«, fragte May etwas ruhiger. Hati lächelte: »Du kennst ihn. Das war Mergy.«


»Hab ich mir gedacht. Er ist ein Schlaukopf.«, grinste May schon wieder leicht. »Du vergisst das ich meinen Posten verlassen habe und ich werde den Anderen nicht erzählen das du eigentlich nur eine kleine Heulsuse bist, ok?«, wurde Hati nun auch forsch. Hati griff Mays Hand, stand auf und zog ihren Anführer nach oben. Das Kreischen der Kampfgleiter war bereits deutlich zu hören. »Ich kümmere mich um die Jungs und du solltest dich frisch machen.«, flachste Hati weiter und verließ Mays Ersatzwohnung. Stiff und Moon berichteten von der Rettung der Kinder und auch Sadis Monitor zeigte immer noch zufrieden stellende Werte an.


Zwei Tage später transportierte May Sadi direkt aus dem Krankenhaus in ihren Gleiter. Der Polizist, der vor ihrer Tür wache schob, dürfte sich später ziemlich gewundert haben. May brachte sie zur Wüstenbasis, wo sie schon sehnlichst von ihrem Team erwartet wurde. Sie legten die Patientin in ihr Bett. May nahm den Wundverschließer und ließ die vernähten, aber blutig roten Wunden komplett verschwinden. »Du bleibst liegen!«, wies sie an. »Wir können es nicht riskieren. Die inneren Wunden könnten aufreißen.« May schob noch eine Haarsträhne, die über ihren grünen Augen herumzuwuchern schien, beiseite. Zwei Wochen durfte Sadi nur für Toilettengänge das Krankenlager verlassen. Fürsorglich schaute May regelmäßig bei ihr nach dem Rechten und erzählte ihr von den aktuellen Taten. Sadi konnte und durfte wegen ihres fehlenden Chips nicht mehr aktiv fliegen. Also übernahm sie dauerhaft die Kommandozentrale. Es war nicht genau klar, warum der Chip in ihrem Arm plötzlich versagte, aber es passierte dem Mädchen nun schon zum zweiten Mal. Es war wichtig herauszufinden warum, denn schließlich könnte anderen Piloten das Selbe ebenfalls passieren. May kam eine Idee und deaktivierte ihren eigenen Sprachübersetzer. Sie stellte Sadi eine Frage, aber das Mädchen verstand nichts mehr und May wiederum verstand ihre Antwort nicht. Eigentlich hätte der Synthesizer in Sadis Kopf diese Aufgabe übernehmen müssen. Er funktionierte also auch nicht mehr. »Beide Chips funktionieren nicht mehr.«, verkündete May ihre Schlussfolgerung laut. Damit war zumindest ein zufälliger Defekt komplett ausgeschlossen.


Die Tage und Wochen vergingen. Die Missionen waren mal reichlich und mal ehr dürftig gesät. Eigentlich waren wenige Missionen ja gut, weil eben nichts schlimmes passierte, aber leider war genau das ja nicht wirklich der Fall. Sie bekamen von den Ereignissen wenig bis gar nichts mit und konnten oft einfach nicht mehr helfen. »Waldbrand in Kalifornien.«, meldete Sadi und die Truppe war wie schon unzählige Male zuvor nach wenigen Sekunden in der Luft. Technische Probleme hatte es bislang außer den beiden Chips von Sadi nicht gegeben, aber zumindest an den Gleitern hätte der Repligen selbst die Schäden reparieren können. Ohne einen Arzt waren sie jetzt nach dem Ereignis mit Sadi deutlich vorsichtiger geworden. Oft übernahm May die gefährlicheren Aufgaben. Sie konnte sich mit ihrer besonderen Fähigkeit sehr einfach schützen, aber das hatte sie ihren Teamkollegen natürlich nicht gesagt. Bei anderen Dingen wie Feuer oder einfachen Bergungsmaßnahmen durften die kleine Truppe freier agieren. So fiel die ungleiche Verteilung der Aufgaben nicht weiter auf. May war nach jeder Mission dankbar, wenn niemandem etwas passiert war. Die Feuer waren schnell unter Kontrolle und die eingekreisten Feuerwehrleute waren gerettet. Mit Druckwellentorpedos wurde das Feuer regelrecht ausgeblasen und die weiter anfliegenden Löschflugzeuge verhinderten ein erneutes aufflammen der Feuer. May hielt den Funkkontakt mit einem der Einsatzleiter am Boden und so war der ganze Einsatz eine sehr koordinierte Operation.


Das Rumpeln hörte auf. »Systeme wieder hochfahren.«, wies Sab an, während sie mit den ersten Zügen der Sensoren nach der Raumblase suchte. Schließlich wurde auf der gesamten Station die Notbeleuchtung wieder durch das normale Licht ersetzt und auch die Luken vor den Fenstern ließen erneut freie Sicht auf die Sterne. »Jaque, sind wir wieder in unserer Zeit?«, fragte Trish unsicher. »Negativ. Seit unserem Verschwinden sind 73 Tage, 4 Stunden, 10 Minuten und 12 Sekunden vergangen.«, verkündete er. »Ich bekomme keinen Zugriff auf unsere Satelliten. Jaque was ist da los?« »Zugriff über Datenport erfolgt. Der Zugang wurde auf etwas mit der Bezeichnung Ray Team Two umgeleitet. Die Zielkoordinaten liegen in der Sahara.«, begründete er die fehlende Zugriffsmöglichkeit: »Soll ich die Standardkonfiguration wieder herstellen?« »Nein.«, war Sab gelassen: »Vielleicht werden sie gerade benötigt. »Ich habe vier unserer vermissten Gleiter ausgemacht. Sie löschen gerade einen Waldbrand in Kalifornien.«, meldete Trish, die einige Fernsehsignale abgefangen hatte, die ins All strahlten. Ein Nachrichtenhubschrauber flog über dem Wald und filmte den kombinierten Einsatz von Gleitern und Löschflugzeugen.


»Das Orakel meldet einen Zwischenfall in der Schweiz. 3 Minuten.«, meldete Jaque. »Ray Team One an Ray Team Two.« Sadi schluckte und starrte einige Sekunden auf ihre Anzeigen. Das Signal kam nicht von den Anderen. Es war kein blöder Scherz. Es war augenscheinlich echt. »Ray Team Two hört.«, gab sie in unsicherem Tonfall zurück und öffnete die Bildverbindung. Sie war noch nie so froh gewesen Sab zu sehen. »Übertrage Daten und Koordinaten für einen Einsatz.«, vermeldete Sab ohne weitere Begrüßung. Sadi reichte die Koordinaten direkt an May weiter. Natürlich nicht ohne den Kontakt zu Ray Team One zu melden. Pünktlich trafen die vier Gleiter in einem Skigebiet ein, wo eine Lawine gerade drohte einige Menschen zu verschlucken. Sie waren mit ihrer Technik leicht auszumachen und aus der Gefahrenzone zu bringen. Dann kam der Teil auf den sich alle so lange, so sehr gefreut hatten. May überzeugte sich noch einmal durch direkten Kontakt mit Ray Team One von der Lage. Die Station war wirklich wieder da und erhielt umgehend die Kontrollen über das Satellitensystem zurück. Abschließend nutzten alle Fünf die Transporter ihrer Gleiter und machten ihr neues Quartier, welches ihnen in den letzten Monaten ein Zuhause war, dem Erdboden gleich. Sie transportieren einfach die einzelnen Teile ohne sie wieder erscheinen zu lassen. Nach einigen Minuten war die Wüste so unversehrt wie vor ihrer Ankunft. Es war als hätte es hier niemals eine kleine Basis gegeben.


In V-Formation ging es heimwärts. Sie durchflogen die Tarnwand. »Ist das schön.«, sagte Sadi, während Hati nur ein »Unser Zuhause ist wieder da!«, verkündete. May freute sich schon Mergy, Tin, Suki und vor allem ihre Mutter in die Arme schließen zu können. Umgekehrt war das Geschehene nicht so lang gewesen. Die Station selbst war nur ein paar Tage in der Zeit verschwunden. May und ihre Kameraden mussten aber mehr als zwei Monate auf ihre Rückkehr warten. Sab gab Landefreigabe für alle Gleiter und wie an einer Schnur gezogen sausten die kleinen Drachen endlich wieder in ihre angestammte Höhle. Sab machte sich auf den Weg zum Hangar um May zu erklären, das ihr Freund Mergy nicht mehr da war, bevor es offiziell bekannt würde. Trish hatte große Zweifel an ihrem Vorhaben vorgebracht. Sab war eigentlich diejenige, die man sich auf keinen Fall wünscht, um so eine Botschaft zu bekommen. Sab aber sah es genau anders herum. Es würde nichts ausmachen, wenn sie von May verantwortlich und als Schuldig hingestellt würde. May bräuchte alle Menschen, denen sie zugetan sei und sie gehörte sicherlich nicht dazu. Trish war erstaunt über diese offenen und auch selbstverletzenden Worte, hatte dem aber leider nichts entgegenzusetzen.


Fröhlich marschierte die komplette Mannschaft von Ray Team Two auf das Tor zu. Es öffnete sich schon weit vor ihnen. Die Jungs taten cool, aber May war sich sicher, sie freuten sich mindestens genauso über die Rückkehr in ihre Heimat wie die Mädels. Erstaunt fanden sie Sab im Korridor vor. »Ich bin schon gespannt zu erfahren, was ihr während unserer Abwesenheit hier so alles angestellt habt.«, gab Sab zu verstehen. Dann wendete sie sich an May und bat um ein paar Worte unter vier Augen. May willigte ein: »Ihr sorgt dafür das Sadi vom Doc komplett durchgecheckt wird.« »Zu Befehl«, antwortete ihre kleine Armee mit einem breiten Lächeln auf den Lippen. »Was ist mit ihr?«, fragte Sab. »Sie wurde böse angeschossen, weil ihre Implantate nicht mehr funktioniert haben. Wir mussten sie in ein Krankenhaus bringen. Es war sehr knapp.«, sprach May aus und Sab musste bewundernd eingestehen: Ihre jüngste Pilotin hatte, wie von Mergy vorausgesehen, den Laden und ihre Kollegen anscheinend fest im Griff.


»Die Station wurde ins Jahr 1943 geschleudert. Darum waren wir aus eurer Sicht verschwunden.«, begann Sab zu erklären. »Der Großvater von Mergy wurde im damaligen Krieg schwer verletzt und Mergy musste ihn retten. Bevor er auf die Station zurückkehren konnte, wurden wir wieder zurück in diese Zeit geschleudert. Mergy ist im Jahr 1943 zurückgeblieben.« May verstand nicht so recht was Sab meinte: »Können wir ihn nicht holen?« »Das haben wir schon. Genaugenommen hast du das schon.«, gab Sab zu verstehen, als sie eines der großen Tore zum Sektor 3 öffnete, welches normalerweise den Blicken von Normalsterblichen verborgen blieb. In diesem Bereich lagen alle Geheimnisse der Station, von denen sie bisher nur Landedeck 3 gesehen hatte. Sab stoppte vor einem Lagerraum, dessen Tür sich nur durch Handauflegen von Sab auf eine graue Tafel öffnete. »Diesen Kampfgleiter hast du von der Erde geholt.«, erklärte Sab und May nickte. »Das war aber nicht das Einzige.« Sab ging um den Gleiter herum, wo ein Sarg stand. »Mergy, also der Mergy aus 1943 saß noch drin.« May wurde schwummrig: »Da ist Mergy drin?« »Ja!«, gab Sab leise zu verstehen. »Wie kann das sein?«, fragte May. »Tin sagt immer: "Zeitreisen sind kompliziert" Ich schätze da ist etwas dran.«, erklärte Sab: »Unser Mergy, der Mergy, den wir vor einer Stunde im Jahr 1943 zurück ließen, hat sich in die Erde eingegraben, damit wir ihn finden. Ihr habt den Gleiter dann geholt, wie er es sich gedacht hatte.«


»Wenn er wusste was passiert, warum ist er dann nicht auf der Station geblieben?«, fragte May eine Frage, für deren Antwort Sab auch lange gebraucht hatte. »Wenn er seinen Großvater nicht gerettet hätte, wäre er nie geboren worden. Das Ray Team, diese Station und alles andere hier würde es wahrscheinlich nicht geben. Du wärst damals auch nicht gerettet worden.«, erläuterte ihr Sab die Konsequenzen. »Dem Schicksal kann man nicht entfliehen.«, flüsterte May leise. »Ja, so etwas in der Art hat er auch gesagt.«, bestätigte Sab. »Ich will ihn sehen.«, gab May an. »Das ist keine gute Idee.«, wies Sab den Wunsch zurück. »Ich will ihn sehen.«, wiederholte May energischerem Ton ihr Anlilegen. Sab öffnete das Schloss und May hob vorsichtig den Deckel, wo nur Knochen und einige Kleidungsreste auf ihren Freund hinwiesen.


Eine Träne kullerte ihr die Wange herunter. »Wir können ihn doch holen? Eine Zeitreise machen?«, fragte May jetzt komplett aufgelöst Sab, die ebenfalls in Tränen da stand und in den Sarg schaute: »Ich vermisse ihn doch auch und würde alles dafür tun, aber das können wir nicht. Es geht einfach nicht.« Sab wirkte so hilflos. May hatte sie noch nie so gesehen und fiel ihr in die Arme. Beide drückten sich und ließen ihrer Trauer freien Lauf. Es vergingen einige lange Minuten, bis sich beide ein wenig gefasst hatten. »Warum hat er nichts gesagt?«, fragte May schließlich. »Ich denke er wollte in der Zeit, die ihm noch blieb eine fröhliche und freundliche May um sich haben. Du hättest doch immer nur daran gedacht und dir Sorgen gemacht.«, erläuterte Sab: »Diesen Teil hab ich übernommen.«


Sab schloss den Deckel und reaktivierte den Verschluss. Zusammen mit May verließ sie die Sektion. »Was passiert mit ihm?«, fragte sie. »Wir werden eine Beerdigung veranstalten und ihn in die Sonne schicken.«, gab Sab mit immer noch zittriger Stimme zu verstehen: »Aber nicht heute!« May hatte noch Fragen, aber die schob sie auf. So richtig konnte sie das Ganze noch immer nicht verstehen. Er war für Sab eben noch da und doch seit vielen Monaten in diesem Lagerraum. Sab hatte recht: »Zeitreisen sind kompliziert.« May stieg auf dem Promenadendeck aus und war froh die anderen aus ihrem Team dort nicht anzutreffen. Sofort wäre ihre Veränderung klar gewesen. Schnell stieg sie die Treppen nach oben und fiel in die Arme ihrer Mutter.

Der lange Weg aus der Dunkelheit

Die Beerdigung von Mergy stand auf dem Programm. Es wurde die festliche Uniform gefordert, die May noch nie getragen hatte. Sie zupfte den Kragen zurecht und schaute in den Spiegel. Der dunkelblaue Anzug mit dem roten Streifen der seine Kanten umschloss stand ihr eigentlich gut. Sie wirkte vornehm und erwachsen in dem Kleidungsstück. Es gefiel ihr trotzdem nicht. Der heutige Tag und der Grund warum sie dieses Teil tragen musste, war ihrem Wohlbefinden auch nicht gerade dienlich.


Als sie den Hangar betrat, war er voll. Abgesehen von einem Podest, welches mitten in der Landezone stand und einigen neuen Bildschirmen an den Wänden sah alles normal aus. Das Licht wirkte nicht so hell und freundlich wie sonst, sondern wirkte düster oder dämmrig. May überlegte noch, ob das jetzt Einbildung oder wirklich so war, stellte sich aber schließlich zu ihrer Mutter. Sie trug ein schwarzes Kleid und schaute, wie alle anderen Anwesenden auch, unglücklich drein. May wusste das Reiko Mergy mochte. Mehrfach hatte sie versucht May unauffällig über ihn auszufragen. Angeblich weil sie wissen wollte, wem ihre Tochter die Rettung verdankte. May hatte sie schnell durchschaut, aber nie auch nur eine Anmerkung gemacht und einfach mitgespielt. Mergy war offiziell seit einer Woche tot, auch wenn der exakte Zeitpunkt viele Jahre zurück lag. Der Raum war still. Niemand sagte etwas. Ab und zu wurde mal gehustet, aber sonst war es einfach nur still. Totenstill.


Der breite Flugkorridor war fast bis zum Übergang in den Weltraum voll mit Stationspersonal. Jeweils links und rechts stehend bildete die Besatzung eine breite Gasse. Die Hangartür öffnete sich. Sab, Trish, Tin und der Doc betraten den Raum und führten dabei einen Sarg auf einem kleinen Grabling. Mergys Sarg. May zog es bei dem Anblick alles zusammen und sie konnte ihre Tränen nicht mehr zurückhalten. Ihrer Mutter blieb das natürlich nicht verborgen und legte ihrem Arm um sie und zog sie leicht an sich. Die Station rumpelte leicht. May spürte sofort was passiert war. Die Stationsrotation wurde gestoppt, damit der Hangarausgang direkt in Richtung der Sonne zeigte. Sab betrat das kleine Podest, während sich die anderen in die Menge stellten. »Heute ist für uns alle ein schwerer Tag!«, begann sie ihre Rede: »Mergy war für viele hier mehr als nur ein Vorgesetzter. Viele hier verdanken ihm das Leben. Andere haben durch ihn eine Zukunft erhalten, die vorher unvorstellbar war. Fakt ist, er hat durch sein Opfer diese Realität und unser aller Leben erhalten hat. Es wäre für ihn ein leichtes Gewesen einfach nichts zu tun, aber dann wäre all das hier wahrscheinlich nie passiert. Das Ray Team würde nicht existieren und all die Menschenleben, die wir bisher gerettet haben und in Zukunft retten werden, wären verloren. Mergy wusste sein Leben und seine Zukunft würde möglicherweise so enden. Er hat dieses Risiko, dieses Opfer ohne Zögern gebracht, weil er sein Lebenswerk, sein Vermächtnis bewahren wollte. Wir sollten dieses Opfer nie vergessen und in seinem Namen diese Zukunft gestalten, wie er es getan hätte. Wir haben einen großen Menschen und ein Vorbild verloren, aber so lange wir hier sind, wird er nie vergessen werden.«


Still und andächtig lauschten alle ihren Worten. Trish, Doc, Sandra schritten auf den Sarg zu. Jetzt musste auch May aktiv werden. Sab hatte sie gefragt, ob sie am letzten Geleit teilnehmen wolle und May hatte zugesagt. In diesem Moment wäre sie am liebsten aus dem Hangar gerannt und hätte sich in eine Ecke verzogen. Wie an der Schnur gezogen lief sie auf den Sarg zu und nahm ihren Platz an der hölzernen Truhe ein. Langsam und jeweils mit einer Hand am Sarg schoben sie das schwebende Gebilde durch den Landetunnel. Zwischen all ihren trauernden Freunden und Kollegen hindurch führte ihr Weg durch 7 der 8 Sicherheitsschilde in Richtung Weltraum. Vorne blendete schon die Sonne, deren Strahlung durch den Schild auf ungefährliches Niveau gefiltert wurde. An der Kante angekommen schoben sie den Sarg durch die letzte Barriere in den kalten Raum, während die Sargträger jeweils nach links und rechts an die Kante traten. Draußen warteten Sab und Tin in Kampfgleitern. Sie geleiteten den Sarg auf seinem letzten Weg in Richtung Sonne. Einige Minuten standen die vier noch an der Hangarkante und schauten dem Sarg und den Gleitern hinterher, die aber schon längst vom gleissenden Licht der Sonne verschluckt waren. Schließlich trat Trish zurück, drehte sich um und verkündete, die komplette Mannschaft dürfe wegtreten und könne ihren Aufgaben nachgehen.


May nahm das leise Raunen im Hintergrund nicht wahr und blickte weiter in die Sonne. »Alles ok?«, fragte plötzlich eine Stimme hinter ihr. May hörte die Stimme, als wäre die Person hunderte von Metern weit weg. Sie war tief in ihren Gedanken versunken. Erst eine Berührung am Arm befreite sie aus der Starre: »Was?« May drehte ihren Kopf. Es war Sandra die sie besorgt ansah. »Alles gut.«, erwiderte May und folgte Sandras Geste. Langsam gingen beide nebeneinander den langen Korridor entlang. »Kanntest du ihn schon lange?«, fragte May schließlich. Sie hatte mit Sandra noch nicht wirklich viele Worte gewechselt. Die traurige Prinzessin hatte mit ihr lediglich bei ihren zahlreichen Besuchen auf der Krankenstation zu tun und bei zwei ihrer Medizinkurse hatte sie den Doc vertreten. »Schon eine ganze Weile.«, erklärte die Ärztin: »Die Station war damals noch nicht ganz fertig. Wir, also mein Kollege und ich waren in der Nacht zu einem Unfall gerufen worden. Ich war noch in der Ausbildung und habe in einem Krankenwagen Dienst geschoben. Wir kamen also am Unfallort an und da lag ein Motorradfahrer schwer verletzt auf der Straße.


Die Verletzung an seinem Hals waren massiv. Mein Kollege hatte ihn bereits aufgegeben und er hatte eigentlich recht. Dem Mann war nicht mehr zu helfen. Ich wollte trotzdem nicht aufgeben und habe es weiter versucht, obwohl mein Partner versucht hat mich wegzuziehen. Dann tauchte dieser Typ auf klappte dieses Teil auf, legte es an den Arm des Unfallopfers, verschloss die großen Wunden und reanimierte den Mann auf eine Weise, die ich noch nie gesehen hatte.« May lauschte ihren Erzählungen aufmerksam. »Er verschwand so schnell wie er gekommen war. Der Motorradfahrer hat überlebt. Es war wie ein Wunder. Wenige Tage später klopfte es an meiner Haustür und Mergy stand davor. Ich hatte natürlich 1000 Fragen. Er beantwortete nicht eine davon, sondern stellte nur selbst einige. Dann fragte er mich ob ich mit meinem Leben zufrieden sei oder wirklich etwas bewegen wolle. Ich müsse nur mein bisheriges Leben aufgeben und das Land verlassen. Zwei Wochen später habe ich alles gekündigt und mein Leben in Kisten gepackt.« Sandra musste lachen: »Das Land verlassen! So ein Witzbold.«


»Hast du es jemals bereut?«, fragte May. »Nein, spätestens als der Kampfgleiter in der Nacht vor meiner Haustür landete, war mir klar, ich würde ein unglaubliches Abenteuer erleben. Das mache ich immer noch. Jeden Tag.« Ihre Wege trennten sie auf dem Quartierdeck. May dachte lange über die Erzählung nach. Sie hatte noch nie jemanden nach seinem Leben vor dem Ray Team gefragt und wie sie auf die Station gekommen waren. Vielleicht weil es ihr unangenehm oder viel schlimmer den anderen hätte unangenehm sein können. May beschloss bei Gelegenheit mehr über ihre Kollegen und ihren verstorbenen Freund zu erfahren und diese Gespräche nachzuholen als sie ihren Wohnbereich betrat.


Jaque vermeldete eine neue persönliche Nachricht, aber May ignorierte die Meldung und wollte nur aus diesen Kleidungsstücken raus. Sie verband die Uniform nur noch mit dem Tod. Eigentlich dumm, denn die Kleidungsstücke waren wirklich schön, wenn auch nicht ganz ihr Kleidungsgeschmack. Den Luxus zwischen Kleidung zu wählen hatte sie sehr lange nicht gehabt und davor hatte sie auch nur eine sehr begrenzte Auswahl an Kleidungsstücken. Jetzt konnte sie alles haben was sie wollte. Der Computer konnte ihr erstellen, was sie gesehen, gescannt oder frei erfunden hatte und dabei war selbst Farbe, Form und Material nicht von belang. Aber dieser Anzug würde sie immer an den heutigen Tag erinnern. Das war schlimmer als nur nicht bequem gekleidet zu sein. Sie wählte wie in den letzten Wochen auch nicht ihre übliche Kleidung mit viel Lila, sondern eine viel dunklere Variante. Nicht nur weil es angemessen war, sondern auch weil es ihren Gemütszustand gut beschrieb. Sie blickte noch einmal in den Spiegel und betrachtete das traurige Mädchen. Schließlich zupfe sie ihre Haare zurecht und ging in den Wohnraum, wo sie sich in den Sessel am Fenster schmiss. Die Erde war klein und wirkte unendlich weit weg. »Nachricht abspielen!«, warf sie beiläufig in den Raum, ohne sich nur minimal vom Ausblick abzuwenden.


»Hallo Prinzessin!«, vernahm sie die Stimme, die ihr schon so lange fehlte. Sie traute sich kaum den Kopf zum Bildschirm zu drehen. »Wenn du das hier siehst, dann hat jemand Sab davon überzeugt meine Beerdigung abzuhalten. Du bist bestimmt sauer, weil ich dir nichts gesagt habe. Ich wollte einfach die fröhliche unbeschwerte May um mich haben und nicht eine, die sich nach jeder Begegnung fragt, ob es die Letzte war.«, setzte Mergy seine Nachricht fort. May stand mittlerweile vor dem Bildschirm. Eine Träne lief ihr das Gesicht herunter und ihr Blick war wässrig. »Ich musste damit leben. Das hat gereicht. Ich denke man hat dir bereits erzählt was mit mir passiert ist und warum ich trotz meines Wissens um die kommenden Ereignisse tun musste, was nötig war. Es war mein Schicksal, meine Bestimmung. Meine Reise ist hier zu Ende, aber deine hat gerade erst begonnen. Du wirst deinen Weg auch ohne meine Hilfe gehen. Da bin ich mir ganz sicher. Wo auch immer ich jetzt bin, ich versuche in der ersten Reihe zu sitzen, um die May-Show nicht zu verpassen. Mach' mich stolz. Ich hab dich lieb.« »Ich hab dich auch lieb.«, brach May in Tränen aus und sank auf ihr Sofa. Das Video brachte alle Gefühle hoch, die sie in den letzten Tagen so erfolgreich verdrängt hatte.


Aber May war nicht die einzige, die eine Nachricht von Mergy bekam. Sab, war fast zeitgleich auch auf ein Dokument gestoßen und spielte es ebenfalls ab. »Hallo alte Freundin. Sie haben dich also überreden können meine Beerdigung abzuhalten und so wie ich dich kenne hast du es ihnen nicht leicht gemacht, nehme ich zumindest mal an.«, sprach Mergy aus der Vergangenheit zu Sab. »Du kennst mich gut alter Freund.«, antwortete Sab. »Ich möchte eigentlich nur, dass du den Chongs das Leben nicht schwer machst. May braucht nur eine Chance und auch ihre Mutter wird ihren Platz in unserem kleinen Reich finden, da bin ich mir sicher. Auch wenn du immer so tust, als wenn du May nicht magst, kannst du mir nichts vormachen. Das ist deine Holzhammermethode, um sie zu fordern. Übertreibe es nicht. Ich bin nicht mehr da um dich zurückzuhalten.« »Da bin ich dir bereits einen Schritt voraus.«, erwiderte Sab wohl wissend, dass diese Unterhaltung nur in eine Richtung funktionierte. »Es liegt nun an dir und den Anderen unseren Traum zu vollenden. Ich zähle auf dich.« Sab lehnte sich in ihrem Sofa zurück und ließ den Kopf nach hinten kippen. Sie spielte zwar immer die Harte und Unnahbare, aber eigentlich würde sie sich am Liebsten verdrücken. Sie vermisste Mergy. Ihre Spitzen und seine Konter.


Ein Lächeln entfuhr ihr, als ihr die erste Begegnung mit Mergy einfiel. Er hatte sich mit ihr getroffen, nachdem sie sich schon länger über das Internet unterhalten hatten. An diesem Tag eröffnete er ihr bereits nach einer halben Stunde Unterhaltung, in einem mehr oder weniger stillosem Pub mitten in London, seinen Plan. Sie war in Lachen ausgebrochen, während Mergy ganz ruhig da saß und ihr zusah. Als sie sich wieder gefasst hatte, fragte er nur ganz ruhig: »Fertig?« Sie hatte ihn für einen Spinner gehalten, aber sie war auch neugierig gewesen. Mergy sprach in seiner unnachahmlichen Art genau das aus: »Sie halten mich für einen Spinner, aber das wird sich schnell ändern.« Er überreichte Sab eine Karte mit der Adresse der McNeil Laboratorien mitten im Nirgendwo der Vereinigten Staaten. »Wenn sie Interesse haben, dann melden sie sich bei uns.«, sagte er, zahlte und verschwand.


Sie hatte ihn eigentlich schon abgehakt. Drei Wochen später, an einem Freitag, überkam sie mal erneut der große Frust bei der Arbeit. Sie konnte nicht das verwirklichen was sie wollte, weil eben nicht genug Geld und Zeit vorhanden war. Sie sollte wie so oft zuvor an der Qualität und der Perfektion sparen. Als sie an ihrem Kühlschrank die kleine Karte mit dem bunten Logo erblickte, buchte sie einen Flug und flog in die Staaten. Die Firma war größer als sie es erwartet hatte, aber komischerweise wusste niemand etwas von der Abteilung TRT. Dabei sollte es doch das große Projekt sein, mit dem man die Welt verändern wollte? Schließlich wurde eine der Firmenchefs herbeigeholt. Es war ihr anzusehen. Sie hatte das Sagen hier. Die Kleidung war eindeutig hochpreisig und sie vermochte diese perfekt zu repräsentieren. »Hallo, ich bin Patricia McNeil. Wir hatten gehofft, sie würden es sich noch überlegen.«, stellte sie sich vor: »Folgen sie mir bitte.« Sie stiegen in einen Lift. Der bewegte sich aber keinen Zentimeter, sondern öffnete nur die Tür zur anderen Seite mit einer kleinen Treppe nach unten, nachdem die Chefin ihre Hand auf eine Platte gelegt hatte. »Ist einfacher so. Niemand bemerkt so unsere Flucht aus dem Hauptgebäude.«, gab sie zu verstehen. Sab dachte nach den Worten noch es wäre eine Art Fluchttunnel nach draußen. Der Weg durch den Lift führte sie in einen abgelegenen Gebäudeteil der erschreckend winzig und heruntergekommen wirkte. Stahlträger und Beton war alles was der Laden zu bieten hat.


»Schau an wer da ist?«, hörte sie die Stimme von Mergy, der aus einem der kleinen Räume kam. »Wie unbegrenzte Möglichkeiten sieht das hier nicht aus.«, merkte Sab an, während ihre Begleiterin nicht mehr so recht ins Umfeld passte. »Das hier ist auch eine Möglichkeit.«, merkte die Dame an und Mergy bot an sie zu führen. »Sie bauen also eine Raumstation im Hobbyraum, ja?«, bohrte Sab erneut skeptisch weiter. »Es ist nicht so einfach etwas geheim zu halten. Hier würde niemand etwas wertvolles Vermuten, zumal das Hauptgebäude über einen riesigen Tresor verfügt und nein wir bauen hier keine Raumstation, sondern entwickeln nur die nötigen Technologien und bauen ein Transportschiff.«, erläuterte Mergy.


Sie betraten einen Raum in dem eine Frau stand, die dieser Patricia McNeil mehr als nur ähnlich sah. »Hallo, ich bin Tina McNeil, nennen sie mich einfach Tin.«, stellte sie sich vor. »Wie sieht es aus?«, fragte Mergy und deutete auf eine große Kiste auf dem Tisch. »Die Energie sollte reichen wenn wir zwei oder drei Reaktoren zusammenschalten.«, erklärte sie. »Reaktoren?«, fragte Sab besorgt. »Fusionsreaktoren. Ich arbeite noch an der Verkleinerung und der Effizienz, aber die sind momentan noch zu wackelig und schalten sich ständig ab.« erklärte Tin. »Kommen sie, ich zeige ihnen wo die zum Einsatz kommen sollen.«, sagte Mergy. Sie betraten einen größeren Raum am Ende des Gangs mit einem großen Container in der Mitte. »Das ist unser Raumschiff!«, merkte Mergy stolz an. »Das ist ein Frachtcontainer.«, feuerte Sab zurück. »Naja, das ist ja auch der eigentliche Zweck. Wir wohnen darin während die Station gebaut wird und transportieren damit die Ausrüstung ins All.«, erklärte Mergy. »Das ist doch Schwachsinn.«, blaffte Sab. Mergy drückte einen Knopf auf eine der Konsolen und mit einem Rums hob die Kiste ab und schwebte lautlos in einem Meter Höhe im Raum.


Damit hatte er Sabs Aufmerksamkeit. Sie umschritt den Metallklotz, aber es war kein Trick. Mergy lächelte: »Drücken sie mal dagegen.« Sab drückte und der Container bewegte sich in die Druckrichtung. »Wie geht das?«, fragte sie schließlich von der anderen Seite. »Antigravitation.«, antwortete Mergy: »Da wir nicht auffallen wollen, haben wir noch eine Kleinigkeit im Programm.« Wieder drückte er auf einen Knopf und der Stahlwürfel begann zu wabern und verschwand. »Wo ist er hin?«, fragte Sab. »Wo ist was hin?«, fragte Mergy schnippisch zurück. Sab machte zwei Schritte auf Mergy zu: »Das Raumschiff nat auh...« Mehr brachte sie nicht heraus, denn sie knallte mit ihrem Kopf gegen das unsichtbare Schiff. »Ich denke das beantwortet ihre Frage!«, hob Mergy die Mundwinkel und schaltete den Koloss erneut auf sichtbar. »Das ist ja unglaublich!« Sab schaute den Kasten mit großen Augen genau an, um zu verstehen wie das alles funktionierte. »Nicht schlecht für ein paar Hobbybastler, oder?«, warf Mergy zurück.


Sab hatte noch am selben Tag ihren Job gekündigt und war in den Staaten geblieben. »Das waren noch Zeiten.« Sie beschloss ihren Plan sofort durchzuführen und nicht noch weitere Tage verstreichen zu lassen, wie von ihr ursprünglich geplant. Sie erhob sich vom Sofa und wies Jaque an die komplette Besatzung auf der Promenade zusammen zu rufen. May hatte das Deck noch nie so voll gesehen. Sab informierte die restliche Kommandocrew über ihre Entscheidung und erntete überraschte aber durchaus positive Reaktionen. Es wurde schlagartig still als sich die Türen des Lifts öffneten. Tin, Trish und Sab verließen den Lift und stellten sich vor die Krankenstation, während sich die komplette Mannschaft neu ausrichtete und gespannt war, was hier und jetzt passieren würde.


»Die Auswahl der Kadetten ist eine Entscheidung, die mit viel Bedacht getroffen werden muss.«, eröffnete Sab ihre zweite Rede an diesem Tag. »Wir beobachten und erheben Daten, um zu erfahren welcher Mensch sich wirklich hinter dem Gesicht verbirgt, aber selbst wenn wir unsere Entscheidung getroffen haben, ist das keine Garantie. Wir haben keinen grossen Einfluss darauf wie sich die Kadetten so entwickeln. Um so mehr freut es mich, dass ich bis zum heutigen Tag noch keine dieser Entscheidungen bereuen musste.« Die Augenpaare schauten gebannt in die Richtung von Sab und warteten auf den eigentlichen Sinn des Ganzen.


»Im Gegenteil. Einige von euch sind mehr als positiv aus der Masse herausgetreten. Hati, Moon, Sadi und Stiff vortreten!« Es dauerte eine Weile bis die vier begriffen und den Weg durch die Menge gefunden hatten. Schließlich standen sie aufgereiht und sichtlich nervös vor dem Kommando und Sab setzte ihre Rede fort: »Diese vier Piloten haben verstanden, wofür wir kämpfen und was unsere Aufgabe ist. In einer ziemlich ausweglosen Situation haben sie das Beste daraus gemacht und unsere Fahne stolz hochgehalten. Diese vier Piloten haben sich nicht verkrochen und abgewartet, sie haben ohne eine Basis und ohne die damit verbundene Sicherheit Eigeninitiative, Integrität und Mut bewiesen.«


Nach einer kleinen Pause wendete sie sich direkt an die Vier um die es eigentlich ging. »Das rechnen wir euch hoch an! Als Zeichen unserer Wertschätzung haben wir euch die ersten Serien MK6 Gleiter bereitgestellt. Außerdem werdet ihr bei Zeiten noch andere, nennen wir sie Vergünstigungen, erhalten.« Die Vier freuten sich wie Schneekönige über ihre neuen Gleiter. Mehr als die aufgerissenen Münder und das leuchten in ihren Augen brauchte man dazu gar nicht sehen. »Pilot May, vortreten.«, kam diesmal eine Anweisung, die alle längst erwartet hatten. Schließlich war May es gewesen, die den Haufen angeführt und die Zügel in der Hand gehalten hatte, während die Anderen weiterhin nur die Befehlsempfänger waren. May trat neben ihre Kollegen und wartete auf die Dinge, die jetzt über sie gesagt würden. Sie mochte es nicht so im Mittelpunkt zu stehen und hoffte nur es würde schnell vorbeigehen. Schon damals als sie Tin gerettet hatte, war ihr die Aufmerksamkeit und der Lobgesang, den Trish mit ihrer Nachrichtensendung in selbige streute, zu wider. Sab wartete noch einen Augenblick bis auch Mays Mutter sich durch die Namensnennung ihrer Tochter angelockt oben an der Brüstung einfand.


»Viele von euch denken May sei nur hier, weil Mergy ihr das ermöglicht hat. Das stimmt ohne Zweifel.«, begann Sab erneut ihre Rede und May gefiel gar nicht was sie da sagte. Sie goss Öel ins Feuer derjenigen, die sie schon immer abwertend behandelten, weil sie angeblich bevorzugt wurde. »Wurde sie auch bevorzugt behandelt?«, stellte Sab die gleiche Frage rhetorisch in den Raum. »Sicher nicht. Ich persönlich war dagegen sie hier auf die Station zu bringen, weil ich meine Zweifel hatte, was sie hier zu suchen hat. Ich persönlich habe ihr mehrfach Steine in den Weg gelegt und ihr das Leben schwer gemacht. Aber egal was ich auch angestellt habe: May ist ihren Weg unbeirrt weiter gegangen und hat alle Hürden mit einer Leichtigkeit überwunden, die selbst mich hat aufwachen lassen. Wie die vier Piloten hier, die das Kommando und damit ihr Leben einer viel jüngeren Kollegin anvertraut haben, so musste auch ich einsehen, mich in May geirrt zu haben. May hat hart gearbeitet und trainiert, um es allen Anderen und wohl besonders mir recht zu machen. Das du ein Kommando verdienst, steht schon länger außer Frage. Das du in der Lage bist mit der damit verbundenen Verantwortung umzugehen, hast du ebenfalls mehrfach bewiesen.« May wurde unruhig.


So hatte sie Sab noch nie über sich reden hören. Ok, es gab ein »Gut gemacht!« oder ähnliches, aber das hier war wirklich ein Lobgesang verglichen mit dem, was bisher an Bestätigung kam. »Daher bleibt mir nicht nur nichts anderes übrig, sondern ich stehe auch persönlich voll dazu, dich mit sofortiger Wirkung in den Rang eines Kommanders mit allen damit verbundenen Rechten und Pflichten zu befördern.« May schluckte. Hatte sie gerade richtig gehört? Kommander? Das Murmeln im Hintergrund deutete die Antwort an. Sie hatte es nicht falsch verstanden. »Wenn du es denn auch willst?«, fügte Sab noch an. May überlegte kurz und stellte dann eine Frage die sie schon länger beschäftigte.: »Kann trotzdem weiter Einsätze fliegen?« Sab reichte ihr die Hand und nahm damit die Antwort vorweg: »Natürlich kannst du das.« »Klar will ich!«, brachte May noch zittrig und mit leiser Stimme heraus und reichte auch ihre Hand. »Du hast es dir wirklich verdient.«, unterstrich Sab nochmal ihre Worte und fügte ein: »Stationssitzung in 30 Minuten. Sei pünktlich.« mit einem Lächeln hinzu. Tin und Trish verzichteten auf den Handschlag und drückten sie gleich an sich. Der Doc reichte ihr die Hand und legte ihr die andere auf die Schulter: »Mit dir haben wir einen wirklich guten Fang gemacht.« Reiko stand oben vor ihrem Laden und war so stolz wie noch nie. Klar sie hatte mit eigenen Augen gesehen was ihre Tochter alles vollbrachte, aber es war doch etwas anderes zu sehen, wieviel Respekt und Freundschaft ihr diese Menschen entgegen brachten. May hatte wahrlich ihren Platz im Leben gefunden.


»Applaus für die Fünf.«, rief Trish in die Menge und ein tosender Jubel überspülte die Menge. Das »Wegtreten.« von Sab kam kaum gegen den Sturm an und wurde wohl nur von den Wenigsten wirklich gehört. Suki stürmte auf May zu, umarmte sie und drückte sie ebenfalls fest an sich. Plötzlich machte sie einen Schritt zurück und ließ von ihr ab: »Tut mir leid Kommander. Ich habe mich hinreissen lassen!« May war für einen Augenblick erschrocken über die Situation. Würde sie jetzt ihre Freundschaften verlieren, nur weil sie Teil des Kommandos wäre. Nein, soweit würde sie es nicht kommen lassen. May hob ihre Hand, ballte sie zur Faust und stupste Suki gegen die Schulter während sie lächelnd ein »Pappnase!« von sich gab, nur um sie dann noch einmal zu sich heran zu ziehen. Langsam leerte sich das Deck und auch die Kommandotruppe hatte sich schon in ihren Turm verzogen. Katie, Hati, Sadi, Moon, Stiff und einige andere Piloten gratulierten ebenfalls zu ihrem Erfolg. Gerade als sie wieder einmal mehr von einem ihrer Freunde geherzt wurde, fiel ihr Blick auf die Empore, wo ihre Mutter stand und sie mit einem Lächeln beobachtete. Reiko bemerkte ihre Entdeckung und deutete mit Klatschbewegungen an, wie sie sich über den Erfolg ihrer Tochter freute. Schnell und mit wenigen Schritten sprang May die Treppe hinauf und fiel ihrer Mutter in die Arme: »Ich bin so stolz auf dich und Papa wäre es sicherlich auch.« May genoss die Umarmung und es war ihr egal ob jemand sie sah oder nicht. Sollten es doch alle sehen. Das wäre nur ein weiteres Beispiel dafür, dass sie nicht wie die anderen Kommander abgeschieden und unnahbar in Turm oder Labor ihrer Aufgabe nachgehen, sondern auch ein Leben außerhalb haben würde.


»Ich muss jetzt los. Meine erste Stationssitzung fängt gleich an.«, vermeldete May noch in fester Umarmung. Langsam löste sich ihre Umklammerung und Reiko gab ihrer Tochter noch einen Kuss auf die Stirn, bevor sie sie entließ. May hüpfte die Treppen hinunter und in den Lift, der sie direkt auf dem Kommandodeck wieder entließ. Diesmal war sie nicht als Besucher oder als Teilzeitmitarbeiter hier. Sie war offiziell mit von der Partie. Obwohl sie eigentlich fünf Minuten zu früh war, waren alle anderen schon im Konferenzraum.


»Ah, May gut. Da wir ja nun schon komplett sind, können wir auch früher anfangen.«, sagte Sab und alle setzten sich auf ihre Plätze. May wählte einen Sessel aus und nahm ebenfalls Platz. Der Doc eröffnete die Runde und vermeldete man würde kleinere Fortschritte machte, was das Abstoßen der Multifunktionscontroller anging. Er und Sandra würden intensiv nach einer Lösung für das ernste Problem suchen. Es sei aber klar, die Piloten, bei denen das Problem bisher noch nicht aufgetreten sei, wären auf der sicheren Seite. Die restliche Besatzung, allen voran Sadi, würde die Implantate immer schneller abstoßen. Insgesamt bezifferte er die Anzahl der Piloten mit derartigen Problemen auf 14 und empfahl diese aus Sicherheitsgründen nur noch im Stationsdienst einzusetzen. Die Anderen stimmten zu und auch May nickte. Sie hatte schließlich selbst erlebt was passieren konnte, wenn die kleinen Biester ihren Dienst versagen.


Sab erteilte Trish das Wort: »Etwas stimmt mit der Stationsrotation nicht. Das Abbremsen und Neustarten heute hat viel mehr Energie benötigt als üblich. Ich habe bereits die Systeme prüfen lassen, kann aber keinen Fehler finden.« Tin musste lachen: »Das kann ich aufklären. Die Masse der Station sich in den letzten Tagen gewaltig verändert. Die Bauarbeiten am Erholungsdeck sind abgeschlossen und ich habe gestern die beiden Becken geflutet, um die Statik bei Nutzung der RAM Triebwerke heute zu prüfen. Alle Werte sind normal. Ich denke wir können das Deck freigeben.« »Gut, Hati, Moon, Sadi und Stiff sollen sich da ruhig mal austoben und die Einrichtung testen. Für die anderen Piloten bleibt der Bereich erst einmal geschlossen.«, wies Sab an und die restlichen Kommander waren einverstanden.


Einzig May verstand nur Bahnhof: »Was für ein Erholungsdeck?« »Schwimmbecken, Fitnessgeräte, Sauna und allerlei andere Dinge zum Spaß haben und ausspannen. Wir müssen der Mannschaft ja auch mal was bieten.«, erklärte Trish. May verstand zwar immer noch nicht was sie sich darunter vorzustellen hatte, aber das konnte sie ja später selbst herausfinden. »Wir haben jetzt vier MK6 Gleiter im Regelbetrieb und wenn nicht noch unerwartete Probleme auftauchen, würde ich vorschlagen die MK5 Serie in den nächsten vier Wochen während der Wartungszyklen komplett zu ersetzen.«, merkte Tin an und es gab keine Einwände. May fragte sich wieso es nur vier Gleiter waren, wo doch jetzt eigentlich fünf im Einsatz waren, aber da vier oder fünf für das Ergebnis nicht relevant waren, ließ sie es so stehen. Trish vermeldete, die Tarnplattform, die den riesigen Sichtschutz vor der Station aufspannte, würde dringend eine umfangreiche Wartung benötigen.


Einige der Statuswerte machten ihr große Sorgen: »Der optische Schild ist seit weit über zwei Jahren im Dauerbetrieb. Wir müssen dringend die Emitter, die Reaktoren und die kleinen RAM Triebwerke tauschen oder wir sind in Kürze sichtbar.« »Was denkst du wie lange hält die Plattform noch durch?«, fragte Sab nach. »Maximal einen Monat, aber es kann jederzeit passieren. Die meisten Teile laufen bereits auf dem Notsystem, wenn da noch etwas ausfällt, war es das.«, erklärte Trish weiter. »Ich denke es wird Zeit, die Plattform abzuschalten.«, machte Sab eine Bemerkung die alle verwunderte. Sie war diejenige, die immer zurückhaltend und auf volle Tarnung gepocht hatte und jetzt wollte sie die Hosen herunterlassen und der Welt zeigen, wo das Ray Team sein Hauptquartier hat? Trish und Tin machten kleinere Einwände, aber Sab meinte es wäre an der Zeit und dank der aktualisierten Verteidigungsmöglichkeiten und der frisch installieren neuen Schilde wären sie auf der sicheren Seite. Schließlich wurde abgestimmt und alle waren dafür das Schildsegel bei Zeiten einzuholen und sich der Welt zu offenbaren.


»Gibt es sonst noch was zu klären?«, fragte Sab schließlich in die Runde. Keiner der am Tisch sitzenden meldete sich und gerade als Sab die Sitzung beenden wollte, meldete sich May zu Wort. »Wow, du lässt ja nichts anbrennen.«, bemerkte Tin. »Jetzt wo die MK6 fertig sind sollen wir vielleicht unser Augenmerk auf andere Transportmittel richten.«, gab May zu verstehen und versuchte sich erwachsen und reif auszudrücken. »Worauf willst du hinaus?«, fragte Trish neugierig nach und auch die anderen Kommander waren gespannt auf ihren Vorschlag. »Naja, in unseren Einsätzen hatten wir bereits mehrfach das Problem, dass wir mehr als nur ein paar Personen aus einer Gefahrensituation befreien mussten. Oft wurden zu diesem Zweck mehrere Gleiter geschickt, oder wir sind durch Mehrfachflüge das Risiko des Verlustes von Menschenleben eingegangen. In Hangardeck 3 habe ich einen Transporter gesehen, der, wenn man ihn auf den aktuellen technischen Stand bringt, eine große Hilfe in solchen Situationen sein dürfte. Wir brauchen ja nicht hunderte, sondern nur eine Hand voll davon.«, erläuterte May ihre Ansicht. Die Idee hatte sie schon seit dem sie die Feuerwehrleute aus dem Gefahrenbereich gerettet hatten, aber wem hätte sie damals etwas von dem Einfall erzählen sollen? Nun wurde sie nicht nur gehört, sondern, wie sie feststellen musste, auch absolut gleichberechtigt behandelt.


»Eine gute Idee. Wir haben den Transporter damals auf die Halde geschoben, weil die Stabilisatoren für diese Größe von Objekten nicht gut genug funktionierten und ein zur Stabilisation benötigter Flügelausleger hätte die Nutzbarkeit mehr als nur eingeschränkt.«, griff Tin ihrerseits das Thema auf. »Du hältst es jetzt für machbar?«, fragte Sab nach. »Ja, je kleiner der Radius ist desto mehr Energie benötigen die aktuellen Stabilisatoren, aber in dem Ding ist genug Platz um zusätzliche Energiekerne nur für diese zusätzlichen Systeme unterzubringen. Die Technik von damals ist Steinzeit verglichen mit unseren aktuellen Entwicklungen.«, erklärte Tin der Mannschaft. »Gut dann würde ich sagen fangen wir mit zwei Transportern an und wenn die sinnvoll zu gebrauchen sind, dann werden wir die Flotte auf 6 erhöhen. Tin du solltest May bei den Umbauten zu Rate ziehen. Sie hat von uns allen die meiste Erfahrung, was man da draußen wirklich benötigt und was nicht.«, gab Sab dem Projekt grünes Licht.


»Gut, wenn ansonsten nichts mehr ist, dann war es das für heute!«, schloss Sab die Sitzung. May nahm sich vor das neue Fitnessdeck mal näher anzusehen. Sie kam aber nicht wirklich weit. Bereits im Lift fragte Tin ob sie nicht Lust hätte sich gleich mal den alten Transporter anzusehen. Sie war sehr an ihrer Meinung und Zusammenarbeit interessiert: »Wenn du aber lieber erst einmal alleine sein willst, dann verstehe ich das. Ist ja heute schon ziemlich viel passiert. Ich lenke mich lieber mit Arbeit ab.« »Nein, ich fände diese Art der Ablenkung auch sehr gut.«, erwiderte May. »Super! Ich bin schon gespannt wie du die Sache angehen willst.«, gab Tin zu verstehen. May stutzte. Was meinte sie damit? »Ich?«, fragte sie schließlich nach einer kurzen Denkpause nach. »Ich bin nicht gut in so etwas. Wenn du mir sagst "Das ist die Form und diese Dinge müssen da rein", dann ist das kein Problem, aber Design selbst ist nicht mein Ding. Das geht in die Hose.«, gab sie zu verstehen. »Weißt du, alle mit denen ich bisher zusammengearbeitet habe, haben Vorschläge gemacht und danach war es dann doch nicht so wie sie es wollten oder sie es sich vorgestellt hatten. Von der ersten Version des Kampfgleiters haben wir 27 verschiedene Varianten gebaut, weil ständig hier die Flügel anders und dort die Innenausstattung geändert wurden. Das war nicht sehr produktiv. Du scheinst bereits klare Vorstellungen davon zu haben, was du willst. Das wäre sehr hilfreich.«, erläuterte Tin. Die große Halle öffnete sich vor den beiden Kommandern und da waren wieder all die sinnvollen und weniger sinnvollen Geräte und Maschinen und auch der Transporter.


»Oh, da müssen wir erst einmal Platz schaffen, sonst kommen wir gar nicht an den Transporter heran.«, merkte Tin an und gerade als sie von Jaque ein paar Grablinge anfordern wollte, platzte May ihr ins Wort: »Ich mache das.« May hatte noch nie eine Demonstration ihrer Fähigkeiten gemacht. Ja, das eine Mal mit der Figur im Büro, aber wirklich beeindruckend war das nicht gewesen. Obwohl Mergy es damals anders gesehen hatte. Man hatte ihr heute so viel Vertrauen und Respekt entgegen gebracht, dass es an der Zeit war auch mit zumindest etwas geöffnetem Blatt zu spielen. May streckte die Arme und hob sie leicht seitlich vom Körper ab, um möglichst viel Kontakt mit der Luft um sie herum zu bekommen. Schnell spürte sie die großen und kleinen Kisten und Gegenstände hinter denen der Transporter stand. Sekunden später erhoben sich alle Dinge auf einmal in die Luft. »Wow!«, hallte Tins Ruf des Erstaunens durch den Raum. Der Transporter schien für einen Augenblick seitlich umzukippen, aber flog dann direkt auf die Beiden zu. Tin machte einen Satz nach hinten um nicht vom Transporter getroffen zu werden: »Vorsicht!« Doch als sie nach links schaute war May nicht mehr zu sehen. Sie schwebte an der Hallendecke und dirigierte die Kisten ordentlich an den Platz. Tin lief um das längliche Raumschiff herum und sah gerade noch wie die letzten Kisten sich zu einem stabilen, leicht pyramidenförmigen Turm verbanden. Sanft glitt May durch die Luft Richtung Boden und setzte lautlos mit ihren lila Tretern neben Tin auf dem Boden auf. Ein weniger leises Ausatmen schloss die Aufräumdemonstration ab. »Das war ja unglaublich.«, staunte Tin. »Ich habe auch viel geübt.«, schmälerte May ihre Leistung und schob einfach alles auf intensives Training ihrer noch relativ neuen Fähigkeiten: »Fangen wir an?«


Tin brauchte noch einen Moment um das gerade Gesehene zu verdauen. Schließlich folgte sie May, die schon um das Fahrzeug herum ging. Es war wie neu. Keine Kratzer oder Dellen. Ein farbloser langweiliger Metallkörper. »Die Form entspricht dem ersten Transporter mit dem wir die Ausrüstung in All gebracht haben, um die Station zu bauen. Er hat nur Fenster und Bänke bekommen und die restliche Einrichtung fehlt.«, erklärte Tin das Gerät: »Jaque, transportiere Twinky aus meinem Labor bitte hierher.« Wenige Augenblicke später tauchte aus einem von Transportmarkierungen umkreisten Lichtblitz eine kleine fliegende Scheibe auf und gab lustige Piepsgeräusche von sich. May kannte die Maschine an sich schon. Sie wurde benutzt um Informationen und Bilder zu übertragen.


Erst heute morgen waren bei der Beerdigung auf den Monitoren Bilder erschienen, die augenscheinlich von mehreren getarnten Sparx aufgenommen wurden. Aber dieser war seltsam. »Twinky?«, fragte May nach. »Ja, ist sowas wie mein kleines Haustier. Er ist nicht wie die anderen und hat eine eigene Persönlichkeit. Naja, in gewissem Rahmen. Nicht wie Jaque oder Sor.«, gab sie zu verstehen. »Und das Piepen?«, bohrte May erneut nach. »Das ist seine Art zu reden. Für das Sprachmodul war damals kein Platz mehr. Ich hab mich irgendwie daran gewöhnt und so ist es dabei geblieben. Daher piept er nur kleine Tonfolgen.«, erklärte Tin: »Vorschlag. Du sagst was dir gefällt und was nicht. Beschreibe einfach möglichst genau wie du dir den Umbau vorstellst. Twinky zeichnet alles auf. Ich erstelle daraus nachher ein Modell für die Repligens und morgen wiederholen wir das Ganze mit dem erweiterten Transporter. Was meinst du?«


»Also ich beschreibe nur was ich anders machen würde?«, erkundigte sich May noch einmal um bloß nichts falsch zu machen. »Sei bitte schonungslos und nimm keine Rücksicht. Das spart uns viel Zeit.«, gab Tin noch einmal nachdrücklich zu verstehen. May marschierte erneut um die Kiste herum. Sie hatte große Fenster und sah von außen eigentlich ganz brauchbar aus. »Hat es Waffen?«, fragte sie nach: »Ich denke eine minimale Bewaffnung wäre gut. Die Minikanonen aus dem Gleiter vielleicht, jeweils eine in jeder Ecke.« May legte sich flach auf den Boden und schaute in den Spalt zwischen Transporter und Boden. Kleine Füße, die an denen eines Kampfgleiter erinnerten hielten das Schiff etwa 15cm über dem Boden: »Die Bodenfreiheit sollte entfernt werden. Vielleicht eine komplette Unterseite aus Gummi und einige Stempel, damit es auf unebenem Grund nicht kippelt.« Die offene Tür an der Seite war ihr nächstes Ziel. May rüttelte daran: »Die sollte nicht nach außen aufgehen. Wenn die, wie die Quartiertüren, in der Wand verschwinden, kann sich niemand verletzen und man kann dicht an Fenster oder Gebäude fliegen, ohne einen Spalt lassen zu müssen.« Tin lauschte ausführlich ihren Worten und machte einen erstaunten Gesichtsausdruck, den May aber nicht bemerkte, weil sie sich voll auf ihre neue Aufgabe konzentrierte. Sie stampfte auf die Kante des Fahrzeugs: »Der Einstieg sollte sich leicht absenken können. So wird verhindert das jemand stolpert. Auch wenn er später ohne die Landefüße deutlich niedriger liegt.« Im Innern fand May links und rechts Zweiersitzbänke vor, die an der rechten Seite nur durch die Tür unterbrochen waren. Offensichtlich hatte hier jemand das Innere eines Linienbusses kopiert.


May rüttelte an einer Bank und wendete sich Tin zu: »Sind die fest?« Tin nickte nur und May beschrieb ihre Vorstellung: »Wenn Bank plus Freiraum genauso lang wäre wie die Länge einer Bank, dann könnte man den Innenraum je nach Bedarf umbauen.« Sie zeigte auf, wie man die Bänke optional mit der Lehne zum Fenster drehen könnte und so in der Mitte eine Fläche schaffen würde, in der weitere Menschen stehen oder liegend medizinisch versorgt werden könnten. May bemerkte erstmals das Gesicht von Tin, weil sie sich nicht sicher war, ob sie das jetzt richtig und verständlich erklärt hätte: »Stimmt etwas nicht? Mache ich etwas falsch?« »Nein.«, lächelte Tin zurück: »Im Gegenteil! Du scheinst genau zu wissen was du willst. Wie machst du das?« »Ich stelle mir einfach vor ich bin mit dem Ding im Einsatz und überlege was nötig wäre und was stören könnte.«, erläuterte May. »Sab hatte anscheinend recht mit ihrer Einschätzung. Mach' einfach genauso weiter.«, wies Tin mehr aus Spannung, als aus Interesse das Projekt schnellst möglichst fertig zu stellen, an.


Der frische Kommander deutete auf einen Kasten im Heck an, der weit in den Innenraum ragte: »Ich nehme an dieser Kasten enthält die Reaktoren und sonstigen Systeme?« Abermals bestätigte Tin ihre Vermutung. »Das braucht eindeutig zu viel Platz. Dafür könnte man toten Raum nutzen. z.B. am Boden der Länge nach an den Seitenwänden entlang. 15cm. Oder an der Decke entlang. Die Haltestangen mit den Schlaufen finde ich gut. Vielleicht sollte man noch diagonale Querstangen einfügen, damit die bei umgestellten Sitzen gewonnenen Stehplätze auch sicher sind.« May setzte sich auf den Pilotensitz. Es gab kein Steuer wie bei einem Flugzeug oder einem Gleiter. Nur eine Instrumententafel wie sie auch bei den Lagertransportern und der Landedeckkonsole verwendet wurden. May tippte das Display an und es leuchtete auf. Steuermöglichkeiten für den Transporter, Navigation, Funk und anderer Systeme erschienen. Alles war sehr logisch aufgebaut. May startete den Antrieb, nicht ohne vorher die Stabilisatoren abzuschalten und ließ den Transporter abheben.


»Besser nicht nach draußen fliegen. Das neue Steuersystem ist nie komplett getestet worden.«, gab Tin zu bedenken und May legte eine kleine Wende hin und flog den Korridor Richtung All. Vor dem letzten Schild wendete sie und flog gekonnt zurück. Anfänglich hatte sie kleine Probleme mit der Steuerung. Das Lenken mit einem Steuer war etwas anderes als das Tippen auf einer Konsole. Sanft setzte sie das Schiff wieder auf dem Deck auf. »Wow, Mergy hat damals zwei Wochen gebraucht um ansatzweise mit der Steuerung klar zu kommen.«, gab Tin an. May schmälerte das Kompliment, in dem sie auf die Probleme mit den Stabilisatoren hinwies, die sie ja gar nicht nutzte: »Also das Steuern mit der Tafel hat was. Es könnte etwas schneller reagieren, aber ansonsten sehr angenehm. Die Antriebs und Steuerungsfelder sollten erfühlbar sein. Wenn man aus dem Fenster schaut und sich auf die Umgebung konzentriert, dann kann man leicht mit den Fingern daneben liegen. Das wäre sehr gefährlich.« May drehte sich noch einmal genau um und betrachtete die Details wie Autodoc und Notfalltransporter, die aber alle vorhanden waren: »Mehr fällt mir momentan nicht ein. Du bist wirklich nicht böse weil ich soviel zu meckern hatte?« »Machst du Witze? Das war mit Abstand die beste Beschreibung von Änderungen, die ich je von jemandem bekommen habe. Du hast sogar die Gründe genannt warum du etwas willst.«, platzte Tin heraus: »Sonst heißt es immer "Mach das einfach irgendwie kleiner." und später "Nee, so geht das wohl auch nicht.". Alles was du vorgeschlagen hast, hatte Hand und Fuß, war durchdacht und wurde von dir begründet. Ich werde mir die Aufzeichnung gleich nachher ansehen. Sollte ich noch Fragen haben, melde ich mich bei dir.« May nickte stumm und war mit ihren Augen schon zum wiederholten Male bei den wundersamen Maschinen die hier parkten und die jetzt sie zum ersten Mal in Ruhe angesehen und bestaunten konnte.


»Den finde ich besonders gut.«, deutete May wieder auf den Roboter, der ihr schon beim ersten Besuch so gut gefallen hatte und sie um einen Kopf überragte. »Ja, den hat Trish wohl nur gebaut, weil sie sich dann um das Aussehen keine Sorgen machen muss.«, erklärte Tin. May schaute hinter einen Stapel Kisten und zuckte kurz zusammen. Es sah aus wie auf einem Schlachtfeld. Arme und Beine in verschiedenen Größen. »Das ist das Gruselkabinet.«, erläuterte Tin: »Wir haben einige Zeit und viele Versuche gebraucht um die vollständige Funktion unserer Exoprothesen zu gewährleisten.«


»Wie ist das so mit diesen Prothesen herumzulaufen?«, fragte May etwas zögerlich und unsicher. »Nach dem Unfall war es erst schlimm. Wir hatten ja keine Vorlagen und ich war die Erste von uns der etwas in der Art brauchte. Mergy bastelte Beine zusammen, wie ihn auch Sportler auf der Erde verwenden. Eigentlich nicht mehr als ein Gelenk mit Feder. Naja, bei einem Bein geht das aber bei zwei Beinen hat man da schon größere Probleme. Wie auch immer. Not macht erfinderisch und ich habe unsere Techniken kombiniert und mir einen ersten Satz Beine gebaut. Die sahen noch aus als hätte ich sie einem 500 Kilo schwerem Mann geklaut. Mit der Zeit und den Fortschritten bei der Verkleinerung von einzelnen Komponenten wurden sie immer effektiver und kleiner. Dank Trish hatte ich ja eine Vorlage, wie die Beine nachher aussehen mussten. Eine dünne Folie über dem Metall hat schließlich die Gefühle von Berührungen und Wind auf der Haut übertragen. Die ging aber immer schnell kaputt und das war nervig. Später hat der Doc dann ein Polymere entwickelt, dass der Haut sehr ähnlich ist und sich auch so anfühlt. Aber das weist du ja.« »Ja, ich konnte damals nicht erkennen ob dein zweites Bein echt ist oder nicht.«, bestätigte May. »Jetzt merke ich oft selbst nicht mehr. Es sind eben meine normalen Beine geworden.«, beantwortete sie schließlich Mays Frage. »Und wie ist der Unfall passiert?«


»Eigene Dummheit. Ich stand hinter dem Kampfgleiter und nahm einige Änderungen vor. Es war glaube ich die fünfte Version des MK1. Ich habe versehentlich einen Kurzschluss verursacht. Der schwebende Gleiter beschleunigte rückwärts und rammte mich gegen die Wand. Dabei zerquetschte er meine Beine.«, berichtete Tin sachlich und ohne jegliches Gefühl die Ereignisse. May bereitete bereits die Vorstellung des Unfalls Schmerzen: »Tut mir leid.« »Ist schon gut. Ich bemerke es ja selbst nur noch, wenn es eine Fehlfunktion gibt, aber das ist mittlerweile sehr selten.«, erklärte Tin nüchtern. »Machen wir Schluss für heute. Ich denke morgen Nachmittag ist die verbesserte Version fertig. Sagen wir 14 Uhr?« »Hat Spaß gemacht!«, vermeldete May und Tin bestätigte das ihr die Zusammenarbeit auch gut gefallen hatte.


May beschloss sich noch etwas Ruhe zu gönnen und später zu ihrer Mutter was essen zu gehen. Tin machte sich auf den Weg zum Kommandodeck. »Tin freiwillig auf dem Kommandodeck.«, gab Sab gleich mit ihrer unnachahmlichen sarkastischen Ader zu verstehen: »Das kann eigentlich nur bedeuten du kommst mit May nicht klar und willst sie so schnell wie möglich loswerden.« »Das du so redest kann eigentlich nur bedeuten du Hangar 3 nicht im Auge behalten.«, blaffte Tin zurück. Erschrocken tippte Sab auf dem Tastenfeld und starrte auf den Monitor. »Die Zusammenarbeit war übrigens mehr als effektiv. Ich freue mich schon auf weitere Projekte dieser Art.«, gab Tin noch zu verstehen, während Sab jeden Zentimeter des Hangars nach einem Problem absuchte. »Da ist doch nichts.«, vermeldete sie schließlich. »Was soll denn da auch sein?«, fragte Tin. »Du hast doch gesagt ich hätte den Hangar nicht im Auge gehabt.«, warf Sab zurück. »Es ist auch nichts ungewöhnliches darin oder damit, aber du solltest mal die Aufzeichnungen zurückspulen.« »Wow!«, gab Sab zu verstehen, als das Rückspulen der Aufnahme aussah als würden die Kisten von der Wand gesprengt und durch die Luft geworfen. »So etwas in der Art habe ich auch gesagt.«, grinste Tin. Sab war wieder beim normalen Vorlauf angekommen und sah das Inventar nebst May durch die Luft fliegen. Ohne auch nur einmal den Blick von der Anzeige zu nehmen entfuhren ihr diverse »Unglaublich«.


May hatte in ihrem Quartier auf dem Weg zum Bett ihre Schuhe verloren und war einfach der Länge nach darauf gefallen. Was war das für ein Tag gewesen? Erst die Beerdigung, ihre Beförderung und was ihr noch besser gefiel der offen ausgesprochene Respekt, der ihr in der Sitzung von allen entgegen gebracht wurde. So schlecht wie der Tag angefangen hatte, so angenehm neigte er sich langsam dem Ende. In Gedanken versunken schlief sie einfach ein.

Das Leben geht weiter

Der frisch gebackene Kommander wachte auf. Er lag immer noch auf dem Bett und trug die Kleidung des Vortages. Nach einer ausgiebigen Streckung rollte sie sich zurück auf den Rücken: »Jaque, wie spät ist es?« »Es ist 5 Uhr 17.«, erschallte die monotone Stimme in ihrem Kopf. »Morgens?«, sprach sie entsetzt und richtete sich auf. »Ja, es ist 5 Uhr 17 am Morgen.«, bestätigte Jaque die Zeitangabe. »Ähh.«, brachte May noch heraus und fiel nach hinten in ihre Kissen zurück. Ein lautes Knurren durchfuhr den Raum. May hielt sich den Bauch. Sie hatte seit gestern Morgen nichts gegessen. »Ich hab Hunger!«, muffelte May in den Raum. Jaque fühlte sich angesprochen: »Einen besonderen Wunsch zum Frühstück?« May war irritiert. Hatte Jaque ihr gerade angeboten das Frühstück ans Bett zu liefern. »Ich kann im Bett frühstücken?«, fragte sie zurück. »Wenn das dein Wunsch ist?«, fragte Jaque zurück. »Seit wann geht das denn?«, fragte May erstaunt zurück. »Seit gestern 14 Uhr 23.« »Ich verstehe gar nichts.«, brabbelte May und drückte sich eins der Kissen auf die Augen. »Gestern um 14 Uhr 23 wurdest du zum Kommander befördert.«, erläuterte die Computerstimme in ihrem Kopf und May schaltete. Genau, sie war kein Pilot mehr. Sie hatte neue Rechte und Pflichten. Das hatte Sab gesagt. Aber wie genau diese Rechte und Pflichten aussahen hatte sie nicht erwähnt. »Was möchtest du zum Frühstück?«, wiederholte der Stationscomputer seine Frage.


»Nein, ich frühstücke im Sors. Trotzdem danke!«, gab May zu verstehen und schälte sich aus ihrer zerknautschten Kleidung um die morgendliche Dusche zu nehmen. Keine halbe Stunde später stand sie bereits im Fahrstuhl und fuhr zur Promenade. Außer Sor, der wie immer hinter seinem Tresen stand und geschäftig wirkte, traf sie niemanden. »Guten Morgen, Sor!«, begrüßte sie ihn in gewohnter Weise, obwohl sie genau wusste, dass sie eigentlich über Umwege schon mit ihm gesprochen hatte. Jaque und Sor waren für sie zwei verschiedene Personen. Ja, Personen. Es war ihr egal ob Sor nur ein Hologramm war und Jaque nicht mal einen Körper hatte. Sor war nett und es machte Spaß mit ihm zu reden. Jaque war mehr der kühle und gefühllose Typ. Er vermochte zwar erkennen, wenn jemand nicht gut drauf war, aber er selbst war immer gleich. Seine Stimme war emotionslos und gerade heraus.


»Guten Morgen, Kleines. Du bist ja heute früh auf.«, grinste der graue Kopf: »Oh, tut mir leid Kommander. Macht der Gewohnheit. Kommt nicht wieder vor.« May stutzte. Kommander! Wie das klang? Kommander May. Ungewohnt aber auch nicht schlecht. Jaque beziehungsweise Sor wollte also herausfinden, wie sie zu ihrem neuen Rang stand. Oder war es einfach nur das normale Vorgehen um unauffällig die gewünschte Anrede zu ermitteln? Das Problem würde sie mit einigen ihrer Freunde wohl auch noch bekommen. Sie war jetzt ihre Vorgesetzte, aber dennoch auch Freundin. Bei Sor war das anders und so war ihre Antwort einfach: »Sor, du bist mein ältester Freund hier auf der Station. So wie es zwischen uns war kann es auch gerne bleiben. Ok?« Sor setzte eine fragende Miene auf, die May so noch nie gesehen hatte: »Ich bin dein Freund?« »Ja, und auch wenn du kein Mensch bist, empfinde ich das so.«, stärkte May ihre Aussage. Sors Gesicht verwandelte sich sanft in die freundlich und frech grinsende Version, die May so mochte. »Ok, Kleines. Was darf es sein?« »Heute brauche ich was Großes. Ich hab zwei Mahlzeiten ausgelassen. Rührei mit Speck. Toast mit Käse und eine Kanne heißen Kakao bitte.«, bestellte May ihr Frühstück und war froh das Sor wieder ganz normal mit ihr umging. »Kommt sofort.«, bestätigte Sor. May setzte sich an einen Zweiertisch, der neben einer der beiden tragenden Säulen stand.


Nur wenige Sekunden später stand Sor an ihrem Tisch und stellte das Tablett ab: »Guten Appetit!« May bedankte sich und begann gleich sich einen Toast hinein zuschieben. Sie ließ sich Zeit und versank in ihren Gedanken. Erst ein »Morgen Kommander.« mit angehängtem Kichern erweckte sie aus ihrer Starre. »Morgen.«, antwortete May. Es waren Hati und Sadi die sich an den Nebentisch setzen und wohl auch hofften das May so blieb wie sie war. »Und wie gefallen euch die neuen Gleiter?«, fragte May schließlich über den Gang an den Tisch der Beiden. »Die sind unglaublich!«, vermeldeten die Beiden einhellig. »Gibt es schon was neues wegen den Implantaten?«, fragte nun May zurück. »Ich habe in jedem Arm zwölf verschiedene von den Dingern. Der Doc hofft eine der neuen Ummantelungen wird nicht vom Immunsystem angegriffen.« May zuckte und verzog ihr Gesicht. Ein Chip tat ja schon verdammt weh und ihre Kollegin hatte 24 davon in ihren Armen?


Sadi deutete den Gesichtsausdruck ihres neuen Vorgesetzten richtig: »Ich will wieder Missionen fliegen können und wenn er mich dafür noch tausend mal stechen muss.« »Das bekommt der Doc in den Griff. Da bin ich mir sicher.«, gab May hoffnungsvoll zu Protokoll. Sadi war nicht nur tapfer, sondern auch verdammt mutig. Sie war zweimal lebensgefährlich verletzt worden und doch wollte sie erneut da hinaus und der Gefahr abermals ins Auge blicken und die Schmerzen, die sie dafür ertragen musste, waren ihr egal. Schließlich hatte May ihr Frühstück vernichtet und verließ ohne Hast das Lokal. Natürlich wünschte, sie wie gewohnt, ihrem grauen Freund hinter dem Tresen einen schönen Tag, der ihr, dem nicht abgesprochenen Ritual folgend, ein »Dir auch Kleines!« hinterher warf. Im Lift ging es direkt auf das Kommandodeck. Zum ersten Mal nicht weil es ihr befohlen wurde oder weil sie jemanden aus der Kommandoebene persönlich sprechen wollte. Nein, sie ging auf das Deck weil sie es durfte. Einfach so. Es war ein komisches Gefühl aus dem Aufzug zu steigen und nicht zu wissen, was man eigentlich hier will.


Es war noch niemand da. Das letzte Mal hatte sie die Station in ihre Gewalt bringen müssen, um das Deck so zu sehen. Es war noch früh und wahrscheinlich schliefen alle anderen kommander noch. Offensichtlich regelte Jaque den kaum vorhandenen Flugverkehr und verteilte die Missionen an die Flieger der Nachtschicht. May setzte sich auf Sabs Platz und schaute auf die Monitore. In den Hangars war kein Betrieb und auch das Orakel schien nichts zu melden zu haben. Zumindest war das Feld auf der Anzeige grün, was soviel hieß wie »schon erledigt«. Es gab auch keinen Flugverkehr im Umkreis der Station. Das änderte sich als Sadi und Hati sich auf dem Hangardeck einfanden und in ihre Gleiter stiegen: »Sadi und Hati an Obs, erbitten Starterlaubnis.« »Ich übernehme das, Jaque.«, gab May an. »Starterlaubnis erteilt.«, antwortete May und fügte noch ein »Sadi du bleibst im Stationssektor, Verstanden?« an die Nachricht an. »Verstanden, Kommander.«, antwortete sie höflich, wenn auch mit einem leicht muffeligen Unterton. May beobachtete die Beiden beim Abflug und auch im All folgte sie ihren Flugkurven. Offensichtlich machten sie einige Kampfübungen, bevor Hati sich tarnte und Richtung Erde verschwand.


»Hati an Ray Team One! Die Tarnwand ist unten! Die Station ist von der Erde aus sichtbar.«, warf sie mit hastigem Ton heraus, was sie gerade bemerkt hat. »Ray Team One an Hati. Das hat seine Richtigkeit. Die Tarnung wurde aufgehoben. Die Station kann jetzt ungetarnt und direkt angeflogen werden.«, vermeldete May und bekam ein »Verstanden, Kommander« zu hören. May öffnete einen Sammelruf. Sie war jetzt auf allen öffentlichen Schirmen der Station und in jedem Kampfgleiter zu sehen. »Achtung eine wichtige Mitteilung! Die Stationstarnung wurde aufgehoben. Von nun an kann die Station direkt und ohne Tarnung angeflogen werden.«, erläuterte sie. »Jaque wiederhole diese Meldung bitte bis um 10 Uhr alle 15 Minuten auf den Stationsmonitoren. Starte einen Satz Grablinge. Die sollen die Plattform einsammeln, bevor sie noch verloren geht. Nein, warte! Vergiss die Grablinge. Ray Team One an Sadi.«, setzte May ihre Kommandopflichten fort. »Sadi hört.«, erschallte es aus dem Lautsprecher. »Sadi die Tarnplattform muss eingeholt werden. Schlepp sie über das Frachtdeck 1, wir holen sie dann mit dem Greifstrahl rein.«, wies May die Aufgabe Sadi zu und bekam die gewünschte Quittierung, nur diesmal deutlich motivierter als noch zuvor. »Seit wann ist die Tarnung ausgefallen?« Jaque berichtete May, dass die Wand kurz nach vier Uhr in der Nacht instabil geworden und zwölf Minuten später komplett zusammengefallen wäre. Sonst hatte es keine außerplanmäßigen Ereignisse gegeben versicherte der Stationscomputer auf Nachfrage.


Der Lift zischte auf. Sab kam durch die Tür: »Oh, schon jemand da! Morgen! Tee Nummer 1« Das Licht im Nahrungsautomaten leuchtete auf und die Tasse erschien wie immer auf wundersame Weise. May wollte aufstehen, aber Sab meinte sie könne sitzen bleiben. Mit der freien Hand rollte sie einen Stuhl von der gegenüberliegenden Konsole und setzte sich neben May. »Wäre das mit Grablingen nicht einfacher?«, fragte Sab als sie auf dem Bildschirm Sadi sah, die die große Plattform im Zickzack Richtung Station bewegte. »Sie ist frustriert, weil sie keine Einsätze fliegen darf. So hat sie etwas zu tun.«, merkte May an. »Gute Idee.«, befand Sab die Sache und nahm einen Schluck Tee aus der Tasse: »Wir sollten uns aber generell was für die betroffenen Piloten einfallen lassen. Immer nur Hangardienst machen die nicht lange mit.« »Sadi an Ray Team One, ich bin in Position.«, meldete sich die Pilotin und May bestätigte. Sie öffnete die riesige Ladeluke über dem gewaltigen Stationsträger und aktivierte den Greifstrahl. Langsam verschwand die Plattform im Bauch der Station. Schließlich schlossen sich die Tore und May ließ Sadi weiter ihre Übungen fliegen.


»Das gestern war wirklich beeindruckend!«, gab Sab zu verstehen. »Das war doch nur eine Idee, sonst nichts.«, gab May zu verstehen und verstand nicht warum Sab jetzt so ein großes Ding daraus machte. Sab lachte laut auf: »Das doch nicht. Deine Umräumaktion im Hangar. Das war unglaublich.« »Naja, ein bisschen mehr als eine Tasse kann ich schon bewegen.«, schmälerte May abermals ihre eigentlichen Fähigkeiten. »Ein bisschen ist wohl mehr als nur ein wenig tiefgestapelt. Alleine der Transporter wiegt trotz Leichtbauweise sicherlich über eine Tonne.« Sab hatte so einen warmen Ton drauf. Sie war schon gestern komplett anders gewesen. Von der schroffen Art war keine Spur mehr zu erkennen. »Erst war es schwer, aber mittlerweile hab ich das im Griff.«, erklärte May ihre Fortschritte. »Zeigst du mir was?«, fragte Sab vorsichtig nach. Sie wusste das May nicht als Party Clown oder Freak angesehen werden wollte. May antwortete nicht und schaute auch nicht vom Monitor auf, aber spätestens als die Tasse an Sab vorbei schwebte war ihr klar, die Demonstration war bereits in vollem Gange.


Die Tasse stoppte unter Mays Nase: »Hmm, Jasmin.« Dann setzte die Tasse ihren Rundflug durch den Raum fort und flog im hohen Bogen von der anderen Seite zurück an ihren Platz auf den Tassenwärmer. »Das ist wirklich unglaublich. Du musst nicht mal hinsehen?« »Nein, muss ich nicht.«, gab May nur kurz und monoton als Antwort. Sab verstand. May war nicht gewillt weitere Auskünfte zu geben und so beließ es der Kommander dabei. Die Tür vom Aufzug surrte auf und eine aufgebrachte Tin stürmte in den Raum: »Was habt ihr mit der Tarnplattform gemacht?« »Dir auch einen guten Morgen Tin. Den Weltraumschrott haben wir entsorgt.«, blaffte Sab zurück. Tin explodierte und brüllte wie wichtig die Daten wären und die Abnutzungserscheinungen unter realen Nutzungsbedingungen wären unbezahlbar. May musste lachen und auch Sab konnte sich nicht mehr halten. »Was?«, unterbrach Tin ihren Monolog über die Nutzung von Weltraumschrott, wie Sab das nannte.


»Du bist gemein!«, grinste May Sab an und wendete sich dann Tin zu: »Sie ist in Frachtdeck 1.« Tin verzog sich wutschnaubend zurück in den Lift und verschwand. »Musste das jetzt sein?«, fragte May. »Sie muss einfach ruhiger werden und den Leuten mehr Vertrauen entgegen bringen.«, erläuterte Sab. »Ah, so wie dieser Kommander, der mir an die Gurgel wollte weil ich einen Torpedo abgefeuert habe? Oder der andere Kommander, der mich des Lügens und Schummeln beschuldigt hat? Ach, halt warte. Das warst ja beide Male du!«, schaute May jetzt Sab direkt an und zog eine Augenbraue hoch. »Hast ja recht.«, musste Sab sich eingestehen: »Manchmal schieße ich über das Ziel hinaus. Ich werde mich nachher bei ihr entschuldigen. Aber witzig war es schon, wie sie abgegangen ist.« »Stimmt.«, kicherte May.


Dann starteten nach und nach die restlichen Gleiter der ersten Tagesschicht und wenige Minuten später rauschten die Gleiter der Nachtschicht zurück zur Station. Der Flugbetrieb lief wie immer sauber und ordentlich ab. May gefiel es zur Abwechslung mal auf der anderen Seite der Kommunikation zu stehen und die Gleiter einzuweisen, aber auf Dauer wäre das nichts für sie. Sab sah das wohl genau anders. Sie liebte ihren Arbeitsplatz. Sie war ein Kontrollfreak soviel stand fest. Trish traf auch ein und setzte sich an ihre Stammkonsole. »Braucht ihr das Büro? Ich würde gerne noch ein wenig meine englische Sprache aufpolieren.«, gab May an. Sie war schon deutlich besser geworden und hatte auch kaum noch Probleme die normalen Anzeigen und Informationen zu lesen, aber die Aussprache der Worte gefiel ihr selbst noch nicht. »Nein, kannst es benutzen.«, gab Sab ihrem Wunsch grünes Licht und May räumte das Feld. Das Büro erinnerte sie ungewollt wieder an Mergy. Er fehlte ihr. Sogar seine Figuren standen noch auf dem Tisch. Ganz so als wenn er jeden Augenblick durch die gläserne Tür eintreten würde. Die Anderen konnten sich wohl auch nicht davon trennen. Bevor sie ihren Kurs abspulte schaute sie sich nochmal die kleinen blauen Männchen an, die so fröhlich lachten, als wäre alles in bester Ordnung. Kurz versank sie in Traurigkeit, als die alten Erinnerungen in ihr hoch kamen. Der Ritter. Ja, das passte so sehr. Er war wie ein Ritter auf einem Pferd aufgetaucht und hatte sie gerettet, auch wenn sie den Kampfgleiter erst für einen Drachen gehalten hatte. Egal ob Ritter, Drachenreiter oder Gleiterpilot, es schmerzte an den Verlust zu denken. Endlose Minuten starrte sie auf den fröhlichen blauen Zwerg, aber schließlich nahm sie sich zusammen und konzentrierte sich auf ihre Aufgaben. Mergy hatte gesagt sie solle ihn stolz machen und nichts anderes würde sie tun.


Die Aussprache der fremdartigen Worte war besser als von ihr selbst gedacht und viele der Beispielsätze konnte sie schon, ohne den Text vorher von der Computerstimme vorgesprochen zu bekommen, fehlerfrei aussprechen. Sie verbrachte den kompletten Morgen im Büro. Erst gegen 13 Uhr verließ sie den Raum. Fast hätte sie es gar nicht gemerkt, aber es gab auch keine Sperre mehr was die Nutzung der Terminals anging. Sie war sich nicht sicher. Es war schließlich ein Terminal auf dem Kommandodeck. Einem Kommander die Nutzungsdauer zu beschränken machte jedenfalls keinen Sinn und war, eine entsprechende Situationen vorausgesetzt, sogar gefährlich. Die Terminals bei ihrem Kurs hatten allerdings auch Ausnahmen gemacht und sie dann im Nachhinein doch wieder ausgesperrt. May beließ es dabei und beschloss das Mittagessen bei ihrer Mutter einzunehmen. Reiko servierte May Glasnudeln, Reis, Gemüse und verschiedene Soßen. Natürlich wollte sie gleich wissen was sie so alles machen müsse, wo sie doch jetzt Kommander sei. May erklärte ihr, sie hätte eigentlich noch gar nichts machen müssen, aber bereits das Kommandodeck geleitet und den Flugbetrieb geregelt. Reiko war sichtlich stolz auf ihre Tochter und ließ keine Gelegenheit aus ihr diesen Fakt durch eine innige Umarmung zu zeigen.


Eigentlich wollte sich der Kommanderneuling erst um 14 Uhr mit Tin treffen, war aber eine Viertelstunde zu früh. Zu ihrer Überraschung stand nicht nur ein neuer Transporter, sondern auch ihr lila Kampfgleiter in der Halle. Unten hatte er zwei zusätzliche Beine. Die von Tin wie sie annahm. Sie lag anscheinend auf einer Matte unter dem Fluggerät und arbeitete daran. May konzentrierte sich und ihre Füße hoben vom Boden ab. Wie eine schwebende Jungfrau in den Zaubertricks lag sie in der Luft. Sanft senkte sie ihre Flughöhe ab und glitt unter den Gleiter. Tin hatte unten ein Loch in den Boden geschnitten und war mit einer Hand darin am Arbeiten. »Was machen wir gerade?«, fragte May gerade heraus. »Das Sensordiff ließ sich nicht einfügen.«, war die kurze Antwort. »Ah, verstehe!«, brachte May überdeutlich als Kommentar heraus, um Tin subtil darauf hinzuweisen, dass sie eigentlich gar nichts verstanden hatte. Tin lachte und erklärte sie hätte die Änderungen in den Gleiter einfügen wollen, aber weil in ihrem Prototypen an einigen Stellen etwas anders verbaut worden war, passten diese Änderungen nicht und die Repligens wussten nicht wie sie das Problem lösen sollten. Sie könnten ja nicht zwei Teile am selben Platz verbauen. »Jetzt sollte es gehen.«, sprach Tin ohne den Kopf abzuwenden in das kleine Loch und begann es mit einem Stift zu verschließen, der dem Autodoc Wundschließer optisch sehr ähnlich war. Dann schob sie sich über die Matte wieder raus. May schwebte ebenfalls unter dem Gleiter hervor und erntete nur ein Grinsen, als sie sich wie von Zauberhand auch noch in die Senkrechte drehte.


»Ich wollte schon immer wissen wo die Flügel hin verschwinden?«, fragte May nach. Tin entfuhr ein lautes Lacher der Überraschung: »Weißt du, noch nie hat jemand danach gefragt! Das ist vielleicht der komplizierteste Teil am ganzen Gleiter, aber keiner hat bisher gefragt, wie das funktioniert.« »Echt? Ich dachte alle wüssten das, nur ich nicht. Da ist doch gar kein Platz drin.«, gab May die Begründung für ihre Frage an. Tin tippte auf ihrem tragbaren Terminal herum und steuerte den Gleiter fern.


Die Luke hinter denen sich die Flügel verbargen öffnete sich, aber da war nichts zu sehen außer einer schwarzen Fläche aus der jetzt in Zeitlupe der Flügel erschien. »Im Prinzip funktioniert es wie deine Haarwurzeln.«, erläuterte Tin. May verdrehte die ihre Augen und versuchte die Haare zu sehen, auf die Tin gerade zeigte. »Nur können diese hier auch wieder kürzer werden. Diese Fläche ist quasi die Haarwurzel auf dem Kopf. Der Arm wird direkt auf der Oberfläche repliziert. Das Schwierige ist, den Flügel in jeder Flugphase und bei jeder Zuladung stabil zu halten. Daher werden mal links und mal rechts neue Stützen repliziert, die den Stab herausschieben, während er selbst verlängert wird.«, erklärte Tin. »Der Flügel wird also jedes Mal erschaffen und wieder vernichtet?«, fragte May.


»Ja, genau wie die Minikanonen an den Enden, die Raketen und die Stabilisatoren. Ich habe lange gebraucht um es so perfekt und vor allen Dingen so klein hinzubekommen.« »Dann kann ein abgebrochener Flügel ja nachwachsen!«, fand May gleich ein taktisches Element. »Eigentlich schon, aber wenn ein Flügel abreißt dann wird meistens auch die empfindliche Technik beschädigt. Diesen Nachteil der Haarwurzel musste ich leider auch übernehmen.«, machte Tin diesen Vorteil gleich wieder zu Nichte. »Tut mir übrigens leid, weil ich vorhin so gelacht habe.«, gab May zu verstehen. »Schon ok. Ich sollte so langsam wissen, wie ich mit Sabs Humor und Sarkasmus umgehen muss.«, erwiderte Tin.


»So, dein Kampfgleiter ist jetzt zum MK7 aufgerüstet. Ich hoffe du bist nicht sauer, weil ich dich nicht gefragt habe. Sind nur kleine Änderungen. Die Scannervertiefungen vorne sind jetzt nicht mehr nötig. Außerdem hast du neue Schilde, aktuellere Reaktoren und die AG-Elemente sind auch auf neustem Stand.«, erklärte Tin: »Die meisten Dinge brauchen jetzt deutlich weniger Energie und die Reaktoren liefern deutlich mehr davon. Alles wurde bereits ausgiebig getestet.« May schaute sich ihre Lackierung an. Es war nicht wirklich eine Lackierung, sondern nur ein Überzug aus einem Material, welches jede Farbe annehmen konnte. Da würde sie nachbessern müssen. Die fehlenden Vertiefungen führten dazu, dass die vormals geraden Streifen an den überarbeiteten Stellen verzerrt waren. »Danke!«, freute sich May und schaute zum Transporter hinüber: »Sollen wir?« »Ich kann es nicht abwarten.« Tin war gespannt was May an der aktuellen Version auszusetzen hätte. May wiederum fand ihre Wünsche perfekt umgesetzt vor. An einigen Stellen hatte Tin sogar an Details gedacht die May vergessen hatte. »Testflug?«, fragte May schließlich. Tin zögerte, willigte aber schließlich ein. »May an Ops. Erbitte Starterlaubnis.« Sab antwortete und May startete das neue Schiff. Sanft hob es ab und sauste den Korridor entlang bis es an dessen Ende in das kalte All schoss.


Tin kontrollierte alle Informationen auf ihrem kleinen Terminal: »Sieht gut aus. Steigere mal die Geschwindigkeit.« May schob mit der rechten Hand den unter ihrem Finger abgebildeten Regler nach vorne. Der Transporter beschleunigte bis May am Anschlag war: »Die Reaktoren sind bei 92% Auslastung.« »Ich fliege mal ein paar Manöver. Mal sehen wie es dann aussieht.« Sie wusste aus ihrem Unterrichtsstoff, wie stark sich Richtungswechsel und extreme Änderungen der Flugbahn auf die vom Gleiter benötigte Energie auswirkten. Tin wollte gerade noch etwas anmerken, da hatte May den Transporter schon seitwärts rollen lassen. Abrupt änderte sie bei voller Geschwindigkeit die Flugrichtung um 180 Grad und fügte noch einen Looping und eine Rolle an. Dank der internen Schwerkraft waren solche extremen Flugkurven überhaupt erst möglich. Ohne diese technischen Helferlein hätten May und Tin schon die ersten schnellen Rollen nicht überlebt. May vernahm ein komisches Geräusch von der Seite und wendete ihren Blick Tin zu, die seitlich über dem Sitz hing und sich auf den Boden erbrach. May stoppte den Transporter: »Was ist los?« Besorgt kümmerte sie sich um ihre Kollegin, die blass aus der Wäsche schaute. Tin reagierte nicht, sondern spukte weiter Teile ihres Mittagessens auf den Boden. »Mir geht es gut.«, gab sie schließlich zu verstehen. »Nein, tut es nicht.«, wollte May davon nichts wissen.


Sab hatte den antriebslos im All driftetenden Transporter bereits bemerkt: »Ray Team One an Transporter One. Alles in Ordnung bei euch?« May setzte sich zurück auf den Sitz und öffnete einen Kanal: »Ja, wir sehen uns nur die Testresultate an.« »Verstanden«, schloss Sab das Gespräch ab. May konnte es nicht wissen, aber Sab wusste genau was passiert war, denn der Transporter hatte fast durchgehende Fenster und die Station ziemlich gute optische Sensoren. Tins Gesichtsfarbe war immer noch ziemlich fahl, aber sie setzte sich schnaufend wieder auf ihren Sitz. »Was ist mit dir? Du machst mir Angst! Soll ich dich zum Doc transportieren?«, gab May zu verstehen. »Nein, ich bin nur Seekrank.«, brachte Tin noch heraus und spukte die Säurereste aus ihrem Mund auf den Boden. »Warum hast du nichts gesagt, dann hätte ich die Manöver nicht durchgeführt? Es tut mir so leid.«, war May immer noch in Sorge um Tin. »Konntest du ja nicht wissen. Wenn ich selbst fliege geht es einigermaßen, aber eigentlich vermeide ich jede Art von Flug.«, gab Tin an. »Dann fliege ich jetzt langsam und gerade zurück. Die nächsten Testflüge mache ich dann einfach alleine.«, erläuterte May und beschleunigte so sanft es ging. In einem großen Bogen steuerte sie das Hangardeck an und setzte ebenso langsam wie sachte auf.


»Was schaust du dir da an?«, fragte Trish. »Den ersten Transportertest. Das Flugverhalten ist wohl zum Kotzen.«, grinste Sab. »Warum hat sie sich nicht vom Doc etwas geben lassen?«, fragte Trish einem leichten Hauch von Mitleid in der Stimme. »Mays Vorstellung eines Testfluges ist wohl doch mit mehr Flugbewegungen verbunden gewesen, als Tin sich das gedacht hatte.«, kommentiere Sab wie Tin aus dem Transportschiff stieg und sich erst einmal auf eine Kiste setzte. Innerlich überlegte sie schon wie sie das bei nächster Gelegenheit nochmal auskosten könne, aber ihr lagen auch noch Mays Worte im Ohr. Sie merkte, wie es ihr schwer fiel die Schadenfreude, und damit auch die Möglichkeiten einige kleine Spitzen auf Tin abfeuern zu können, zu unterdrücken.


»Ich denke die Stabilitsatortests mache ich wohl wirklich besser alleine.«, vermeldete May und bekam vollste Zustimmung von Tin: »Aber erst muss die Kiste gesäubert werden. Die müffelt.« Tin zog schlagartig ihre Mundwinkel nach oben, als sie den Ausdruck »müffeln« hörte. Es war so leicht zu vergessen wie jung May eigentlich noch war: »Müffeln? Da stinkt es erbärmlich!« »Das hast du jetzt gesagt.« Beide brachen in schallendem Gelächter aus und Tin bekam auch schon wieder etwas Farbe. Sie nahm noch einen Schluck Wasser, welches May schnell aus dem Automaten gezogen hatte und spülte ihren Mund. Der Hallenkran übersurrte die Beiden und ein Lichtstrahl umschloss das neue Transportmittel von vorne bis hinten.


»Reinigung abgeschlossen.«, vermeldete Jaque über die gesamte Halle schallend. May schaute vorsichtig mit schnüffelnder Nase in den Transporter, als würde sich der Gestank nur heimtückisch unter einem Sitz verstecken und im ersten unbedachten Moment hervorspringen und sie anstinken wollen. Sie war nicht zu stoppen und meldete sich bei Tin und auf dem Kommandodeck ab. Nach dem sie einige Kilometer von der Station weg geflogen war, aktivierte die Stabilisatoren. Sie musste hier keinen Steuerknüppel halten, daher konnte sie ihn auch einfach so fliegen. Einzig auf Korrekturen der Fluglage musste sie verzichten, was aber hier einfacher war. Sie tippte auf die Flugrichtung und schob den Regler nach vorne. Der Transporter wackelte hin und her. Tin meinte sie solle mehr Energie in die Stabilisatoren leiten. Es funktionierte. Je mehr Energie sie einleitete, desto weniger schaukelte das Schiff. Bis einige Warnlampen aufleuchteten und Warntöne den kleinen fliegenden Kasten mit Schallwellen überfluteten. May sah hinter sich und konnte zwischen den Sitzen Rauch aufsteigen sehen. Sie schaltete die Stabilisatoren sofort wieder ab und drehte um.


Doch nicht nur Innen nahm das Gefährt Schaden. Ein Loch brannte sich in die Außenhaut und Luft begann nach draußen zu entweichen. Als der Transporter in den Hangar einflog war bereits die komplette Luft abgesaugt worden. May setzte den das Modul sanft ab und öffnete die Tür. Alles war durch den luftleeren Raum kalt gefroren, aber May war dank ihres Körperschildes nichts passiert. »Das lief nicht so gut.« »Da werde ich wohl nachbessern müssen.«, meinte Tin nur und schaute sich die Schäden an: »Das kann aber etwas dauern. Ich muss mir ja auch noch die Tarnplattform genauer ansehen, damit der Hangar frei wird. Ein paar Tage werde ich wohl benötigen.« »Ist nicht schlimm. Kann ich meinen Gleiter wieder benutzen?« »Ja, er ist voll einsatzfähig.«, bestätige Tin. May schoss aus der Station, flog einige Testrunden um selbige und landete auf dem normalen Deck.


»Da sind wirklich einige Spinner da unten.«, grinste Sab während sie sich einige TV Sendungen ansah die Jaque zusammengestellt hatte. Die Station war das Thema auf dem gesamten Planeten. Das Ray Team selbst war schon lange keine Titelseite mehr Wert gewesen. Höchstens in kleineren Zeitungen waren die Rettungen das Tagesprogramm. Im Fernsehen wurden sowieso nur die spektakulärsten Dinge gezeigt. Aber jetzt war die Station entdeckt worden. Es hatte etwas gedauert, aber die Regierungen und deren Weltraumobservatorien konnten die Sensation nicht vor der Masse geheim halten. Jeder mit einem halbwegs brauchbaren Teleskop konnte die Station ohne viel Mühe finden. Die professionelleren Hobbyastronomen bekamen mit ihrem Werkzeug bessere Bilder des gewaltigen Objekts im Erdraum. Dank Internet waren die Koordinaten schnell rund um den Erdball und die Sichtung selbst in Form von Bildern im Netz zu finden. »Verdammt noch mal!« Sab machte einen Satz in ihrem Sessel. »Verdammt ist das detailliert.« Sab staunte über eine Aufnahme die hochaufgelöst sogar die einzelnen Fenster der Station zeigte. »Jetzt brauche ich Rollos für meine Fenster.« »Wieso machst du neuerdings nackt Yoga vorm Fenster?«, witzelte Trish zurück und erntete nur einen kurzen bösen Blick.


Anscheinend hatte jemand eines der Deepspace-Teleskope direkt auf die Station gerichtet. Es war nur eine Frage der Zeit bis noch bessere Aufnahmen auftauchen würden. »Warum nutzen wir nicht die neuen unidirektionalen Scheiben der Gleiter?«, fragte Trish. »Ja, ich werde gleich in paar Repligens losschicken um die Quartierfenster zu überarbeiten.« »Hah, das ist gut! "Das Ray Team ist vergleichbar mir der Justice League."«, gab Trish zum Besten. »Was ist die Justice League?«, fragte eine Stimme aus der anderen Raumseite. May hatte gerade den Raum betreten und die Unterhaltungsfetzen mitbekommen. »Das sind Superhelden mit Superkräften aus verschiedenen Comicserien, die sich zusammen schließen, um das Böse zu bekämpfen und auf einer Raumstation ihre Basis haben.«, erklärte Trish. »Ja, aber wir haben keine Superkräfte.«, erwiderte Sab. »Einige von uns schon.«, witzelte May zurück. Trish fing laut an zu lachen. Ihr gefiel die offenere May, die zumindest ihnen Gegenüber zu ihren Fähigkeiten stand. Sie konnte es ja nicht wissen. Mays Kräfte waren so viel mehr als nur Telekinese, wie alle bisher annahmen. Unbemerkt schmunzelte auch Sab über diese Aussage. »Batman und Robin haben auch keine Superkräfte.«, merkte Trish an. »Dann bin ich Batman und du Robin!«, erwiderte Sab. May lauschte gespannt den ihr unbekannten Namen. »Wenn, dann bin ich ja wohl Batman. Bruce Wayne hat die Raumstation schließlich bezahlt.«, diskutierte auch Trish intensiv bei der Namensfindung mit.


Sab stellte die Aufzeichnungen auf den großen Schirm und alle schauten was die Nachrichten des Planeten so zu bieten hatten. Einige Wissenschaftler sprachen von dem Beweis außerirdischen Lebens. Andere hielten das ganze nur für eine groß angelegte Täuschung. Es war schon witzig. Die Täuschung war ausgefallen und jetzt war das, was die Leute sahen, ebenfalls eine? »Die Jungs in der Dose kommen sich jetzt bestimmt ziemlich mickrig vor.«, murmelte Trish als ein Größenvergleich mit Gebäuden auf der Erde, der internationalen Raumstation und Ray Team One eingeblendet wurde. »Wer auch immer die Berechnungen durchgeführt hat, ist ziemlich gut. Er liegt nur 3 Meter daneben.«, musste Sab neidlos zugeben. »Vielleicht sollten wir sie mal zu uns einladen?«, fragte May in den Raum. »Damit sie nachmessen können?«, warf Sab mit fragendem Blick nach hinten. »Nein, nicht die. Unsere Nachbarn da drüben.« »Aber erst wenn unser Taxi fertig ist. Sah ja noch mehr nach einer Dampfmaschine aus.« »Tin bekommt das schon hin.«, verteidigte May mit einem Lächeln ihre Kollegin.

Zeitensturm

Die Alarmsirene schallte über das Kommandodeck. Sab und Trish stürzten fast zeitgleich aus den beiden Lifttüren. »Stell' den Alarm ab, wir sind ja schon hier!«, rief Sab in den Raum und Jaque folgte der unfreundlichen Anweisung kommentarlos. »Was ist überhaupt los?«, fragte Trish, die noch keine näheren Informationen bekommen hatte. »Eine Strahlenquelle ist aus dem Nichts außerhalb der Station aufgetaucht.«, faste Sab zusammen. »Jaque, die Sensordaten auf meinen Schirm.« Wenige Momente später rauschten Informationen über den Kontrollmonitor an Trish's Arbeitsplatz: »Die Werte machen überhaupt keinen Sinn.« »Sab an Sadi, Kursänderung! Koordinaten werden übermittelt. Schild auf maximale Stärke und Sensoren auf maximale Auflösung stellen.«, brabbelte Sab in ihren Arbeitsplatz. Sadi bestätigte und flog auf die angegebene Position zu. Sie war sichtlich froh endlich einmal wieder etwas zu tun zu bekommen. Sie nutzte jede Gelegenheit und flog mit ihrem Gleiter Übungen und versuchte einige schwere Manöver zu erlernen. Selbst am Flug ohne Stabilisatoren hatte sie sich heran gewagt, aber die Versuche endeten alle mehr oder weniger erfolglos in unkontrollierten Flugbewegungen. »Nicht zu dicht heran fliegen. Wir wissen nicht was es ist.«, gab Sab noch einmal über Funk zu verstehen.


»Da ist gar nichts.«, meldete Sadi. »Die Sensoren zeigen Strahlung im unsichtbaren Bereich an. Das sollte sich Tin ansehen.« »Die habe ich schon verständigt und müsste. – Da ist sie ja schon.«, brach Trish ihren Satz ab, als ihre Schwester den Lift verließ. »Was ist los?«, fragte diese. »Strahlung aus dem Nichts.«, gab Trish eine noch kürzere Zusammenfassung weiter: »Die Werte machen keinen Sinn.« »Doch machen sie! Das ist ein Unterraumsignal. Deep Space One hat ähnliche Werte beim Wiedereintritt in den Normalraum erzeugt.«, erklärte Tin bereits nach nur einem kurzen Blick auf einen der Datenschirme. Sie hatte noch nicht viele Informationen über den sogenannten Unterraum und die meisten stammten von einer kleinen Sonde, die sie Deep Space One getauft hatte. »Da kommt etwas durch?«, fragte Sab jetzt deutlich besorgter und hektischer als noch wenige Momente zuvor, wo es nur ein Strahlunganstieg war. »Sadi, Waffen aktivieren. Es besteht die Möglichkeit eines Unterraumportals. Etwas könnte durchkommen. Aber nicht feuern, sondern auf weitere Befehle warten.«, gab Sab mit ihrem Mund Anweisungen, während sie mit den Händen die Station in eine Festung verwandelte. Die schweren Tore der Hangars schlossen sich und auch die Luken vor den Fenstern verdunkelten die Sicht nach draußen. An den Türmen aktivierten sich die Torpedowerfer und die Bordkanonen im äußeren Ring brachten sich in Stellung.


Sadi war nun nicht mehr so ganz so wohl in ihrer Haut. Das war jetzt eine Situation, die komplett anders war, als alles, für das sie ausgebildet worden war. Die Strahlungssignale stoppten so plötzlich, wie sie aufgetaucht waren. »Es ist verschwunden.«, gab Trish zu verstehen. Sadi bestätigte auf Anfrage, die Position nicht verlassen und den Scan nicht abgebrochen zu haben. Mehrere Minuten warteten die Vier auf ein erneutes Auftauchen der Strahlung, aber es passierte nichts. »Sadi, komm zurück.«, wies Sab an. Gerade als sie die Stationswaffen deaktivieren wollte, meldete Jaque eine weitere Quelle, die etwa einen Kilometer von der vorherigen Stelle abwich. Sadi wurde beordert die neue Stelle ebenfalls anzufliegen und zu scannen. »Ich glaube da kommt etwas durch!«, meldete sie über Funk. »Wir wissen noch nicht ob da etwas durchkommt.«, muffelte Sab genervt zurück. »Nein, ich sehe da etwas durchkommen!«, sprach Sadi mit gleichzeitig nervöser, gespannter und ängstlicher Stimmlage. Sadi stellte eine Bildverbindung her. Ein roter Trichter im sichtbaren Lichtspektrum schien etwas schwarzes freizugeben. »Weitere Anomalie gefunden.«, meldete Jaque. »Wo?«, fragte Trish. »Hangardeck 3, Lagerraum 4« »In der Station?« »Das Überwachungsbild des Lagerraums auf meinen Schirm.«, forderte Tin. Die Spannung im Raum war zum Greifen.


Tin zoomte in dem Lagerbereich mit der Kamera herum und traute ihren Augen nicht. »Oh, mein Gott! Auf keinen Fall feuern! Ich wiederhole! Auf keinen Fall feuern.«, übernahm sie plötzlich den Funkverkehr und Sab drehte sich mit fragendem Blick zu ihr um. »Jaque leg beide Bilder auf den großen Schirm.« »Kampfgleiter 1 aus dem Lagerraum verschwindet!« »Er verschwindet nicht. Er wird ausradiert. Die Vergangenheit wird ausradiert.«, erklärte Tin. Trish verstand nicht so recht: »Wie jetzt?« »Das ist ein Kampfgleiter!«, meldete Sadi und nahm Tin zumindest eine Erklärung ab: »Oh, mein Gott. Es ist Kampfgleiter 1. Er kommt mit dem Heck zuerst durch.« Im Hangardeck war bereits das Heck bis zur Front verschwunden. Der letzte kleine Teil löste sich gerade auf. »Ein schwaches Lebenszeichen an Bord, aber ich kann es nicht erfassen.«, führte Sadi weiter aus. »Sadi schnappe dir den Gleiter und bring ihn zu Station. Sab an Doc, medizinischer Notfall in Hangardeck 3« »Jaque Stationswaffen herunter fahren und die Sicherheitstore öffnen, sobald der Gleiter geborgen wurde.«, warf sie noch hastig ein Kommando hinterher.


»Ich kann ihn nicht einklinken. Er wurde modifiziert. Da ist etwas angebaut. Ich muss den Greifstrahl nutzen.«, erklärte die Pilotin ihr Vorgehen bei dieser nun zur Rettungsmission gewordenen Aufgabe. »Jaque Gravitation im Hangardeck 3 abschalten.« »Sadi Landefreigabe. Hangardeck 3. Die Gravitation wurde abgeschaltet.« »Hangardeck 3?«, fragte Sadi nach. »Bestätigt.« Sadi sauste mit ihrem Paket in den offenen Hangar. Diverse Kisten und Teile schwebten bereits in der Halle umher. Sadi schaltete ihren Antrieb aus: »Sadi an Ops, ich bin soweit!« »Jaque Schwerkraft reaktivieren.« Langsam aber sicher sanken die Gleiter und der ganze andere Krempel im Hangar wieder zu Boden. Der Doc wartete schon vor der Tür und stürmte zusammen mit Sandra die riesige Halle, kaum das die Gravitation wieder Normalwerte erreicht hatte.


Sadi verließ ihren Gleiter und rannte ebenfalls zum geborgenen Flieger, wo der Doc schon die Tür geöffnet hatte. Der Gleiter hatte Aufbauten und seltsame Kisten auf dem Dach und an den Seiten. Selbst an der Unterseite hatte Sadi Modifikationen gesehen. Sie traute ihren Augen nicht. Im Kampfgleiter saß Mergy. Er hatte einen Bart und sein Gesicht war schmerzverzerrt. Er war offensichtlich bewusstlos. Sadi half den beiden Ärzten ihren vermeintlich verstorbenen Kollegen auf die Trage zu packen und schon waren die vier auf dem Weg in die Krankenstation. Sab, Trish und Tin machten sich auch auf den Weg zur Haupthalle.


Der Lift wurde umprogrammiert. Er nahm nur noch Routen von der Promenade weg an. Außer für die Kommandobesatzung und ihre Begleitung war es nur noch über die Nottreppen möglich in das Zentrum der Station zu gelangen. Sie wollten ohne großes Aufsehen erzeugen die Anzahl der Menschen auf der Promenade minimieren.


Es funktionierte. Als der Doc mit seinen Begleitern die schwebende Trage durch die riesige Halle schob war niemand zu sehen. Einige Piloten waren im Sors, aber die bemerkten den Krankentransport nicht einmal, weil sie nach draußen blickten. Offensichtlich waren sie noch abgelenkt durch das Verschließen der Fenster, welches auf eine Gefahr von Außen hindeuteten und nicht auf etwas, dass gerade im Innern passierte. Ebenso das asiatische Restaurant im Obergeschoss. Es lag zurück und bot, wenn man nicht auf dem Rundgang vor dem Lokal saß keinerlei Blick auf die Ebene darunter. Die Kommandotruppe verließ den zweiten Lift nur wenige Sekunden nach dem Krankentransport. »Schalte die Lifte zurück auf Normalbetrieb. Aktiviere eine Informationssperre über die aktuellen Ereignisse. Verdunkele die Fenster von Medic One und verriegele die Tür für nicht Kommandomitglieder.«, gab Sab noch den Befehl und verschwand als letzte in der weißen Tür, die, während sie sich schloss, ihre Durchsichtigkeit verlor. Sie war jetzt milchig und das war wohl neben der Tatsache, dass die Tür sich nicht mehr automatisch öffnete, der offensichtlichste Grund für ein Geheimnis dahinter.


Mergy lag, dank der Hilfe seiner Retter, schnell auf dem Behandlungstisch und die Trage schwebte wie von Geisterhand in eine Lücke zwischen Wand und Schränken. »Nicht im Weg herumstehen!«, blaffte der Doc Sab an, die sich zu dicht an ihren Freund gewagt hatte. Ruckartig wich sie zurück und machte dem medizinischen Personal platz. »Sieh' dir das an.«, sagte Sandra und drehte einen holographischen Schirm mit den Fingerspitzen so, das der Doc ihn genau sehen konnte. »Die interneuronalen Synapsen verändern sich. So etwas habe ich noch nicht gesehen. Wie ist das möglich?«, gab der Doc an. »Wenn er in der Vergangenheit ein Ereignis verändert hat und damit Teile seiner persönlichen Geschichte verändert hat, dann müssten sich die Erinnerungen an diese Ereignisse doch auch anpassen?«, warf Tin von hinten ein. »Wir hatten diese Probleme nicht.«, erwiderte Trish. »Ja, wahrscheinlich weil die Änderungen auf unser Leben keinen oder nur minimalen Einfluss hatten, oder wir waren schon wieder in unserer Zeit als die Änderungen passiert sind und haben sie nicht einmal bemerkt. Dann wäre unsere Zeitlinie einfach in eine andere übergegangen.«, führte Tin ihre Erklärungen zur möglichen Funktionsweise der Zeit aus.


Schlagartig wurde Mergy wach. Er setzte sich auf und schrie vor Schmerzen, während er seinen Kopf mit den Händen zu halten schien. Dann kippte er erneut nach hinten um. Nicht nur das medizinische Personal war geschockt. Auch die vier Zuschauer waren entsetzt. Sie hatten Mergy noch nie so schreien gehört. Als er in der Vergangenheit zusammen gebrochen war, war es schlimm. Als er damals seinen Arm verloren hatte, war er ziemlich angeschlagen gewesen, aber der Schmerz, den er jetzt durchlitt war offensichtlich um ein Vielfaches größer. »Ich kann nichts machen. Wenn sich sein neuronales Netz verändert, dann könnte schon ein einfaches Schmerzmittel gewaltigen Schaden anrichten.«, erläuterte der Doc ohne auch nur den Blick von seinem Patienten und den Monitoren zu nehmen. »Die Synapsen scheinen sich zu stabilisieren.«, gab Sandra an und der Doc stimmte zu. Ein Stöhnen war vom Tisch zu hören: »Das es beim Wiedereintritt in die Zeit holprig wird wusste ich, aber davon hat der Doc nichts gesagt.« Der Doc verstand nicht was Mergy da von sich gab: »Er halluziniert.« »Nein, tut er nicht.«, grinste Trish: »Er meint nur einen anderen Doc.« Jetzt waren auch die anderen verwirrt und Trish klärte ihre Kollegen auf: »Zurück in die Zukunft! Toller Film!«


»Willkommen zurück.«, grüßte Sab und auch die Anderen traten auf ihn zu und bekundeten ihre Freude an seiner Rückkehr. Der Doc versuchte noch Ruhe zu verordnen, aber Mergy hatte sich bereits hingesetzt und schaute sich um. »Wo ist May?«, fragte er schließlich. »Ach, als du weg warst hab ich sie samt ihrer Mutter von der Station geschmissen. War besser für uns alle!«, gab Sab in ihrer typischen Stimmlage und ohne einen Funken Zögern oder Reue zurück. Mergy war aber noch nicht ganz auf der Höhe, um einen ihrer üblichen fiesen Späße zu erkennen. »Du hast was?«, wurde er laut. »Ja, die soll sich in 10 Jahren noch mal melden.«, legte Sab nach. Mergy wollte gerade richtig ausrasten, als der Doc ihn zurück hielt: »Es geht ihr gut.« Von der Decke erschallte die Stimme von Jaque: »Kommander May ist mit ihrem Gleiter auf der Erde.« »Sie müsste eigentlich bald zurück sein. In 20 Minuten wollen wir einige Testflüge mit den neuen Rettungstransportern machen.«, fügte Tin noch einige Informationen hinzu.


»Kommander? Rettungstransporter? Bin ich in der falschen Zeitlinie gelandet?«, fragte Mergy sichtlich verwirrt. »Nur einige Monate zu spät!«, gab Trish an. Mergy merkte an, erst einmal eine Dusche nehmen zu wollen. Sab stimmte zu und meinte nur sie hätte nichts sagen wollen. Alle im Raum anwesenden Teammitglieder mussten laut und schallend lachen. »Sind die Crewquartiere frei?«, erkundigte sich Mergy nach einer Möglichkeit sich frisch zu machen. Der Doc bestätigte, nicht ohne nochmal darauf hinzuweisen, er würde noch Ruhe benötigen. Der Kommander war aber schon wieder ganz der Alte und ignorierte wie üblich seine Anweisungen. Erst als er vom Tisch aufstand bemerkte er Sadi, die hinten im Raum wie das vergessene Anhängsel herum stand. Trish erklärte das Sadi ihn im All aufgesammelt hatte. »Schön dich zu sehen und danke fürs einsammeln.«, begrüßte er seine Pilotin, und legte ihr im Vorbeigehen die Hand auf die Schulter. »Schön sie zu wieder zu haben, Kommander!«, erwiderte Sadi die Geste. Mergy verließ den Hauptraum und verschwand durch eine der Türen in den Quartieren für das medizinische Bereitschaftspersonal.


Der Doc und Sandra analysierten derweil die medizinischen Daten während Tin und Sab sich in Diskussionen zur Zeitmanipulation verstrickten. »Sieht so aus als hätten wir nicht viel zum Thema beizusteuern, was?«, meinte Trish schließlich zu Sadi. Der Pilot grinste und schließlich entwickelte sich auch ein Gespräch zwischen den beiden. Sadi berichtete von ihren langweiligen Tage und welch willkommene Abwechslung diese kleine Rettungsmission gewesen sei. Keiner der Anwesenden dachte auch nur daran die Krankenstation zu verlassen und zurück an die normale Arbeit zu gehen.


Das musste auch May erkennen, die mit ihrem Kampfgleiter unterdessen Richtung Station sauste und stutzig wurde als Jaque selbst auf ihren Ruf antwortete. Es kam schon mal vor das Jaque die Flugkontrolle übernahm, aber doch eigentlich nur Nachts, während einer Stationssitzung oder im Notfall. Jetzt war es gerade mal halb Drei am Nachmittag und eine Sitzung war nicht angesetzt. »Wo sind den alle?«, fragte sie unsicher nach. »Die Kommandobesatzung befindet sich auf der Krankenstation.«, gab Jaque wahrheitsgemäß an, verweigerte aber aufgrund Sabs Order weitere Auskünfte über den Grund. May landete und stürmte zum Lift. Im Lift kontaktierte sie ihre Mutter. Ihr ging es gut und sie hatte auch keine Ahnung was da vorgehen könnte. Sie berichtete ihr aber von dem Schließen und Öffnen der Luken an den Fenstern ihres Lokals, was May nicht weniger beunruhigte.


Schon beim Verlassen des Liftes fielen ihr die trüben Scheiben der Krankenstation auf. Die Tür öffnete sich wie gewohnt und alle hörten Schlagartig auf zu reden. »Was ist los? Warum ist niemand auf dem Kommandodeck?«, fragte der besorgte Kommander direkt, aber niemand machte auch nur Anstalten ihr zu antworten. Sie waren irgendwie komisch drauf und grinsten sogar ein wenig. Besonders Sab sah merkwürdig gut gelaunt aus. So hatte May sie noch nie gesehen. Erst jetzt fiel ihr auch Sadi auf, die neben Trish, wie die anderen auch an dem Tisch gelehnt, da stand.


»Habt ihr das Chipproblem gelöst?«, lehnte sich May mit einer mehr oder weniger plausiblen Idee aus dem Fenster. Das würde Sadi erklären, aber die Sache war doch keiner Feier würdig. »Was versteckt ihr da?«, fragte sie schließlich erneut etwas, nachdem sie auf die vorherige Frage keine Antwort bekam und trat noch einige Schritte in den Raum, um um ihre Freunde herum sehen zu können, aber der Tisch war leer. Tin erbarmte sich als Erste: »Also es ist was passiert.« Mehr als diesen Satz brachte sie nicht heraus, denn von hinten ertönte plötzlich eine andere Stimme: »Hallo Prinzessin.« May erstarrte und ihr Körper zog sich krampfhaft zusammen.


Mit offenem Mund und weit aufgerissenen Augen stand sie regungslos da. »Genau darum wollte ich schon immer Sicherheitsausweise. So ein Gesicht gehört einfach auf einen guten Sicherheitsausweis.«, prustete Sab heraus und die anderen brachen in schallendem Gelächter aus. War das ein gemeiner Scherz von Sab? Aber warum machten da alle mit. Trish und Tin würden da nie mitspielen und wie passte Sadi in das Puzzle. Vorsichtig und ganz langsam drehte sie sich um. Als wäre hinter ihr ein Geist, der bei einer hastigen Bewegung einfach verpuffen würde, schwenkte sie ihren Körper um 180 Grad. Das Mädchen merkte selbst, wie sie zitterte und das gleichmäßige Atmen fiel ihr sichtlich schwer. »Oder muss ich jetzt "Prinzessin Kommander" sagen?«, fragte die Erscheinung noch einmal nach. Vorsichtig machte May einen Schritt nach vorne. Mit ihren Superkräften hätte sie normalerweise schnell herausgefunden, ob er echt oder ein Hologramm war, aber daran dachte sie in diesem Moment der Anspannung gar nicht.


Die Konzentration hätte wohl auch nicht ausgereicht. Mit ihrem Finger drückte sie gegen das schwarze T-Shirt, welches an den fehlenden Armen der Weste herausschaute. »Ich bin echt!«, bestätigte die Stimme, aber zu spät. May hatte sich bereits entschieden und klammerte sich fest an ihn. »Ich hab dich auch vermisst.«, war es dieses Mal Mergy der zuerst seine Gefühle aussprach. Er erwiderte ihre Umarmung und legte seine Arme um ihren Oberkörper. »Und was ist eigentlich mit dem Schicksal und dem Austricksen von selbigem?«, fragte Sab aus dem Hintergrund. Mergy schaute lächelnd zum Tisch hinüber, an dem immer noch alle wie angewachsen herumstanden: »Ich hab mir gedacht ich pfeif drauf.« May hob ihren Kopf und drückte ihn nach hinten um hochsehen zu können: »Den Film hab ich gesehen, der war toll.« »Sag ich doch!«, fühlte Trish ihre Filmkritik untermauert und bestätigt.


May machte keine noch so kleine Andeutung in den nächsten Minuten die Umklammerung zu lösen, aber ein lautes Knurren war aus Mergys Innerem ließ sie aufhorchen: »Da hat aber jemand Hunger.« Wie auf Kommando knurrte Mays Magen zurück. »Sieht so aus als hätten wir beide noch eine Mahlzeit nachzuholen. Meinst du deine Mutter macht eine Ausnahme, wenn wir jetzt noch hineinschauen?« »Bestimmt.«, lachte May. Tin machte den Vorschlag durch die obere Tür auf die Promenade zu gehen, um nicht gleich das riesige Aufsehen zu erzeugen. So gingen die Beiden durch eine der Seitentüren in das Obergeschoss der Krankenstation. Hier war May noch nie gewesen. Hier gab es weitere Krankenzimmer, Lagerräume, einen Konferenzraum und auch eine kleine Kommandobrücke von der aus man Medic One fliegen konnte, wenn sie abgekoppelt war.


Mergy aktivierte die Tür mit seiner Hand und leise schob sie sich zur Seite. Sie waren direkt über dem normalen Eingang des Stationskrankenhauses. »Ich lenke sie ab und du setzt dich hin.«, platzte es aus May hervor und noch bevor Mergy etwas sagen konnte, war May schon ins Dragon Fly verschwunden und hinter den Tresen gestürmt, wo ihre Mutter gerade Zutaten für das Abendessen vorbereitete. Reiko merkte sofort das etwas nicht stimmte. May war so ausgelassen und fröhlich, wie sie sie schon länger nicht gesehen hat: »Was ist denn mit dir los?« »Ich hab bloss Hunger!«, verkündete May. »Ich kann dir jetzt nichts zu essen machen. Höchstens etwas aus dem Verteiler.«, gab Reiko an. »Sieht so aus, als müssten wir doch zu Sor gehen!«, rief sie an ihrer Mutter vorbei in den Saal. Reiko drehte sich um und brachte nur einige unverständliche Wörter heraus, die nicht einmal der Computer zu übersetzen verstand, während sie regelrecht auf ihren Gast zustürmte. »Schön sie zu sehen.«, begrüßte Mergy sie, während Reiko unsicher inne hielt. Genau wie May war sie unsicher ob er echt war. »Ja, so sind sie die Chongs. Immer am Zweifeln.«, witzelte Mergy bereits wieder auf gewohnte weise. May bestätigte seine Echtheit und Reiko ließ sich zu einer Umarmung hinreissen, die selbst May und Mergy überraschte. Besonders Mergy hatte nicht mit einer so herzlichen, persönlichen und vor allen Dingen spontanten Geste gerechnet, wo Reiko doch sonst jede noch so kleine Bewegung wirkte, als hätte sie Stundenlang geübt um es so perfekt hinzu bekommen.


Als sie sich aus der Umarmung löste und wohl selbst über ihre Reaktion erschrocken war, verkündete sie das man bei so einem Anlass ja wohl doch eine Ausnahme machen könne und verschwand hastig in ihre Küche, wo schon wenige Sekunden später ein Zischen und Brutzeln zu vernehmen war. Mergy erzählte von seinem Aufenthalt in der Vergangenheit und wie er eine weitere Nachricht des alten Mergy zusammen mit den Bauplänen eines Zeitverschiebers bekommen hatte, der zwar von Tin entworfen worden, aber noch unvollständig und somit nie getestet war. Er hatte einige Monate damit verbracht den Gleiter so zu modifizieren, damit er die Teile herstellen konnte, die er dafür brauchte. May erzählte von ihren Abenteuern als die Station verschwunden war und von den sonstigen Ereignissen während seiner Abwesenheit. Mergy lauschte den Ausführungen des kleinen Kommanders aufmerksam und stellte auch hier und da einige Fragen über die anderen Mitglieder und die Beerdigung. Er wollte unbedingt die Aufnahmen seiner Beerdigung sehen, was May überhaupt nicht verstehen konnte, wo es doch eine der schlimmsten Stunden war, seit sie auf der Station war. Sie ließen sich viel Zeit und genossen das leckere Essen, das Reiko auf die schnelle gezaubert hatte.


So in die Unterhaltung vertieft, bemerkten gar nicht, wie sich bereits einige Tische mit anderen Piloten füllten, die ebenso ungläubig wie verwirrt zum den kleinen Tisch am Fenster herüber sahen. »Was macht dein Chopper?«, fragte Mergy plötzlich, ohne mit dem aktuellen Thema auch nur in die Nähe von Hobby oder Freizeit gekommen zu sein. »Der ist schon lange fertig.«, gab May an. »Lust ihn mir zu zeigen?«, fragte Mergy neugierig nach. May freute sich über das Interesse, welches er ihr trotz seiner noch leicht angeschlagenen Kondition entgegen brachte. Er wollte alles genau wissen. »Fast wie ein Vater, der seine Tochter lange nicht gesehen hat.«, dachte May, als Mergy sich bei Reiko für die Mühe und das leckere Essen bedankte. Erst als sie aufstanden bemerkten sie die teils offensichtlichen und teils flüchtigen Blicke von den anderen Tischen. Der Laden war voll. Normalerweise war hier immer noch genug Platz, aber heute war der Laden wirklich komplett belegt. So wie es aussah hatte sich herumgesprochen, wer da an seinem Lieblingstisch saß und mit seiner Ziehtochter ein Mahl einnimmt. Mergy grinste: »Ja, ich bin echt! So schnell werdet ihr mich dann doch nicht los.« Die Meute an den Tischen wechselte ihr Verhalten schlagartig. Die einen setzten ein freudiges Lächeln auf und den anderen war es einfach nur peinlich so beim Beobachten erwischt worden zu sein.


Mergy und May verließen das Lokal und machten sich auf zum Lift. Egal wer ihnen über den Weg lief schaute verwirrt und unsicher drein. »Das kenne ich!«, sagte May: »Damals als ich angeblich Teile der Station gesprengt habe, haben die genauso geschaut.« Wenige Minuten später standen sie schließlich vor Mays Meisterwerk, wie Mergy es bezeichnete. Er staunte über die vielen kleinen Details die May eingebaut hatte und die Tatsache, nicht einfach nur einen Bausatz zusammen geschraubt, sondern ihn wirklich selbst gebaut zu haben, fand er mehr als nur beeindruckend. »Schon eine Probefahrt gemacht?«, fragte er. »Nein, die wollte ich doch mit dir machen und du warst nicht mehr da. Wenn der neue Transporter einsatzbereit ist können wir ja vielleicht mal zur Erde fliegen und sie nachholen.«, freute sich May, darüber das auch dieser Wunsch nun doch noch in Erfüllung gehen würde.


»Du hast es noch nicht wirklich verstanden, oder?«, fragte Mergy und May war verwirrt. Worauf wollte er jetzt wieder heraus? »Du bist jetzt ein Kommander. Du kannst machen was du willst, solange du dich verantwortungsvoll benimmst. Wir dürfen nämlich auch mal unseren Spaß haben.«, erklärte er, aber May verstand immer noch nicht. Mergy musste lachen als er Mays verwirrten Blick sah und zog sie aus ihrer Wohnungstür: »Was siehst du?« »Den oberen zentralen Korridor und Türen?«, antwortete May fragend zurück. »Echt? Ich sehe da einen perfekten Rundkurs um ein Motorrad zu testen.«, lachte Mergy. Jetzt machte es Klick. Hatte er ihr gerade ernsthaft vorgeschlagen auf dem Flur des Quartierdecks mit dem Chopper herum zu fahren? Für Mergy war das schon beschlossene Sache. »Jaque, alle Türen auf dem Quartierdeck mit Ausnahme von Mays Quartier sperren. Die Sektionsschotts offen stehen lassen und die eingehenden Lifte bis auf weiteres zur Promenade umleiten.«, wies Mergy an. May traute ihren Ohren nicht. »Fass an!«, war Mergy schon an dem Bike und sie zogen es auf den Flur. »Jaque ist der neue Rundkurs frei?«, fragte Mergy noch mal nach und Jaque bestätigte das niemand ihrer Fahrt in die Quere kommen würde. »Los hopp, es ist dein Bike. Du fährst als erstes.«, gab Mergy zu verstehen und May war immer noch nicht sicher ob die Idee so gut war. »Du kannst doch fahren?«, fragte Mergy schließlich ebenfalls leicht unsicher. »Ja, ich hab sogar den Führerschein gemacht.«, erklärte May stolz. »Dann zeig was du gelernt hast.«, forderte Mergy sie heraus.


May nahm auf ihrer Maschine platz und Mergy setzte sich hinter sie. Wie ein Profi ließ sie es an und ließ den Motor einige Male aufheulen, bevor sie einen Gang einlegte und langsam los fuhr. Es blieb nicht lang bei dem Langsam und schließlich knatterten sie mit über 80 Stundenkilometern durch den Korridor. »Woooh!«, hörte sie Mergy hinter sich rufen, der sich, mit einer Hand um ihren Bauch geschlungen, an ihr fest hielt. Mays Haare wehten im Fahrtwind und auch ihr Kleid war nicht mehr zu halten. Sie musste es mit den Knien am Motorrad einklemmen, damit es unter Kontrolle blieb.


Auf dem Kommandodeck trafen unterdessen erste Meldungen ein, weil Personal nicht in die Quartiere hinein oder heraus kam. Trish hatte die Ursache schnell gefunden, aber konnte sich keinen Reim darauf machen wieso Mergy den Gang gesperrt hatte. Es gab keinerlei technische Fehler und selbst wenn, er hatte sogar die Sektionsschotts, die den kompletten Ring in drei Teile unterteilten, offen gelassen. Auch auf der Überwachung fand sie erst keinen Anhaltspunkt, bis etwas an der Kamera vorbei huschte. Bild für Bild spulte sie die Aufnahme zurück und traute ihren Augen nicht: »Ist das cool!« Sab kam gerade aus dem Lift. »Da gibt es anscheinend eine Fehlfunktion im Liftsystem.«, vermeldete auch sie. »Das ist keine Fehlfunktion. Schau mal.«, erklärte Trish und legte Kamerabilder auf den großen Schirm und ließ die Kameras automatisch wechseln, sodass sie konstant auf dem Schirm zu sehen waren. »Spinnen die jetzt total?«, fragte Sab: »Wo haben die das Motorrad her?« Plötzlich waren die Bilder wieder leer und von dem Motorrad war nichts mehr zu sehen. »Was ist passiert? Haben die sich zerlegt?«, fragte Sab schnippisch nach hinten. Trish brauchte eine Weile und dann hatte sie die beiden wieder im Kamerafokus.


Jetzt saß Mergy am Steuer und May kuschelte sich hinten an seinen Rücken. »Oh, ist das Süß!«, merkte Trish an, als sie eine seitliche Aufnahme sah, auf man beide in Aktion sehen konnte. Mergy der mit einem breitem Grinsen hinterm Steuer saß und May, die sich mit geschlossen Augen an Mergy schmiegte die Fahrt einfach nur genoss. »Jaque mach davon zwei Abzüge. 30 Zentimeter Breit und ein passenden Holzrahmen.«, wies Trish an und Sab verstand die Welt nicht mehr: »Die fahren auf deiner Station Motorrad und es stört dich nicht?« Jetzt war es also wieder ihre Station, während Sab sonst immer so tat als wenn es ihre eigene war. Trish störte die Aussage nicht weiter und ignorierte die gemachten Einwände einfach. Mit einem »Schön« kommentierte sie das erste Bild das Jaque zu ihr auf den Tisch transportierte und machte sich sogleich auf den Weg ins Büro, wo sie das Bild direkt hinter den blauen Figuren auf dem Tisch platzierte.


May und Mergy hatten unterdessen ihre Fahrt abgebrochen. Naja, eigentlich wurde die Fahrt abgebrochen, weil das bisschen Benzin im Tank verbraucht war. Sie schoben das Geschoss die letzten Meter zurück in Mays Wohnzimmer. »Ein tolles Teil. So etwas will ich auch!«, merkte Mergy an, nicht ahnend das May die gleiche Idee schon einige Minuten vor ihm hatte. »Das hat Spaß gemacht.«, befand auch May das Erlebte. »Ich sollte mich jetzt mal auf dem Kommandodeck blicken lassen. Ich hab ja wohl noch einiges zu erledigen und aufzuarbeiten. Jaque stelle die Türen und Lifte in den normalen Modus zurück. Wir sehen uns!«, verabschiedete sich Mergy und May war einfach nur überglücklich ihn wieder zu haben.


»Wie ich sehe ist hier immer noch alles beim Alten.«, merkt Mergy an, als er den Lift auf dem Kommandodeck verließ und Sab und Trish an ihren Konsolen saßen. Wie man es von ihm gewohnt war, ging er direkt in das Büro, wo ihm gleich das Bild auffiel: »Es scheint wir wurden erwischt.« Trish beobachtete mit einem Lächeln wie er das Bild betrachtete und über den Bildrand blickend war Mergy sofort klar, wer dieses Kunstwerk gerahmt hatte.


Auf dem Quartierdeck öffnete sich derweil die Lifttür und einige Piloten traten in den Gang. »Was ist denn hier passiert?«, fragte Wimp gerade heraus als er die schwarzen Striemen auf dem Boden sah. »Sieht aus wie Reifenspuren«, merkte ein anderer Pilot an. Nur Suki stellte sich diese Frage nicht, sondern machte sich mit einem breiten Grinsen auf den Weg in ihr Quartier.

Königin der Lüfte

»Oh, so früh schon auf?«, fragte Mergy, der durch die Lifttür in die Kommandozentrale kam. May saß bereits wieder am Terminal und stöberte in den Datenschichten nach Dingen, die sie noch nicht in sich aufgesaugt hatte. »Ich konnte nicht schlafen.«, erwiderte May und freute sich, die Geschehnisse des gestrigen Tages doch nicht geträumt zu haben: »Danke für das Bild.« »Das Bild?«, fragte Mergy zurück. »Ich hab es heute morgen in Geschenkpapier vor meiner Tür gefunden.« »Wir zwei auf deinem Motorrad?«, fragte ihr älterer Freund nach. »Ja.«, grinste May langezogen und mehr fragend als bestätigend. »Das war sicher Trish. Mir hat sie auch eins auf den Tisch gestellt.«, lächelte Mergy und setzte sich an die andere Konsole: »Wir wurden wohl ertappt.« »Lieb von ihr« May betrachtete ihren so lange vermissten Freund genau. »Warum eigentlich immer diese Jeansweste?«, fragte sie schließlich. »Warum immer diese Lila Outfits?« »Nein, das meine ich nicht. Warum ist die kaputt? Du könntest doch auch eine unbeschädigte Weste anziehen?« »Ich hänge an dem Teil. Naja, auch wenn es nicht mehr die selbe Weste ist, so kommt sie immer wie zum Zeitpunkt des Scans aus dem Schrank. Außerdem mag ich es nicht, mir jeden morgen Gedanken zu machen, was ich anziehen soll. Dank unserer Technik kann ich jeden morgen das Gleiche anziehen.« »Aber ist das nicht langweilig?« »Naja, ich muss mich ja nicht den ganzen Tag sehen. Ich finde es bequem so wie es ist.« »Sollte ja keine Kritik sein, hat mich nur interessiert.«, versuchte May ihre Frage ungültig zu machen. Mergy grinste: »Ist schon gut. Was steht heute auf dem Programm?«


»Stationssitzung um 10 Uhr. Ansonsten alles wie immer.«, vermeldete May. »Du klingst schon wie ein alter Hase.«, witzelte Mergy zu May hinüber. »Was gibt es neues auf dem Planeten?«, fragte Mergy den kleinen lila Datenspeicher. »Wir sind wohl offiziell keine grünen Aliens mehr.«, erklärte May. »Oder Lila?«, schmunzelte Mergy zurück. »Einige Regierungen und auch Privatleute versuchen uns zu kontaktieren, andere behaupten sie hätten bereits Kontakt mit uns.« »Das Problem sollten wir schnell lösen, bevor sich da noch ein Konflikt entwickelt, weil sich jemand übervorteilt fühlt.« Plötzlich bebte die Station. Das Licht flackerte. Einige Gegenstände vibrierten nach einem Schlag regelrecht von den Konsolen auf den Boden. Selbst May wäre fast vom Stuhl gefallen, konnte sich aber gerade noch halten. »Was war das denn?«, fragte Mergy ins Dunkel hinein. Die Bildschirme und das Licht reaktivierten sich. »Jaque, Stationsscan!« Es kam keine Bestätigung. Der kleine Kommander vermeldete den Kontakt zu diversen Systemen der Station verloren zu haben: »Ich habe eine Datenverbindung zu Jaque. Anscheinend ist das Kommunikationssystem komplett ausgefallen.«


Mergy schaute aus dem Fenster und Trümmerteile schwebten an seinem Fenster vorbei. Er versuchte sie zu identifizieren, aber es waren nur Standardkomponenten, die für die Außenwände der gesamten Station verbaut worden waren. Dann flog Geschirr und Besteck am Fenster vorbei. Das Drachenmotiv ließ keine Zweifel aufkommen, woher die Trümmer stammten: Aus dem Dragon Fly. »Wir verlieren Sauerstoff. Der Kerndruck nimmt rapide ab. Einige Schotts schließen anscheinend nicht oder nicht Luftdicht.«, übernahm May wieder den Part, der sonst Sab zu Teil wurde. »Die Promenade wurde getroffen.«, bestätigte Mergy Mays Aussage ohne zu sehr ins Detail zu gehen. Er konnte ihr das nicht gänzlich verheimlichen. Sie würde es ohnehin ziemlich schnell selbst herausfinden.


Seine jüngere Kollegin war momentan so in ihrer Arbeit vertieft, dass sie gar nicht an ihre Mutter dachte, die sich um diese Zeit immer dort aufhielt und das Mittagsgeschäft, wie sie es nannte, vorzubereiten. »Ich kann den beschädigten Bereich nicht mit den Kernsensoren erfassen. Die sind fast alle ausgefallen.«, meldete May und wendete sich mit fragendem Blick an Mergy. »Geht die externe Kommunikation?« »Nein, die würde uns auch nicht viel bringen. Wir könnten höchstens die Gleiter zur Hilfe rufen.« Mergy ging hastig an einen der Schränke der Kommandozentrale und wühlte darin herum. May hatte sich schon oft gefragt, was der Inhalt sein könnte, aber nie die Gelegenheit gehabt oder genutzt einfach mal nachzusehen. »Da ist es ja.« »Ein Terminal?«, fragte May. »Eine universelle mobile Fernsteuerung für die Gleiter. Tin nutzt für die Wartungsarbeiten auch so eine. Ich muss nur die Codes eingeben, dann sollte es gehen.«, erklärte Mergy. »Die sind doch alle in den Ladebuchten verriegelt und die Hangartore sind noch geschlossen.«, wies May auf mögliche Probleme hin. Mergy aktivierte Kampfgleiter 1 und dessen Schilde auf maximaler Stufe. Wie durch Butter schnitt sich die Energiekugel, die den Gleiter umgab, durch die Stahlträger und Haltebolzen des übergroßen Regals. Sehen konnten die Beiden diese Aktion allerdings nur auf Mergys kleinem Tablett, da es ebenfalls keine Verbindung mehr zum Sicherheitssystem und die Kameras gab. Mergy steuerte dem Hangarausgang entgegen und feuerte einen Torpedo ab. Der Boden unter ihnen rumpelte und sie spürten deutlich den Einschlag und die Wucht des Gravitationspulses, den die Waffe beim Aufschlag auf das massive Tor entfesselte, welches der rohen Gewalt nichts entgegen zu setzen hatte. »Gut das die Tore eine eingebaute Schwachstelle für Druckwellen aus dem Inneren haben.«, fügte Mergy sein, durch ein Ereignis in den Anfängen des Ray Teams erlangtes, Wissen an.


Mergy scannte die Station mit dem Kampfgleiter und transferierte die Daten direkt auf den Schirm an Mays Pult. »Die Verbindungen zwischen Stationskern und den drei Ringhalterungen sind schwer beschädigt. Dabei sind fast alle Verbindungsleitungen getrennt worden. Offensichtlich stören die Kurzschlüsse an den Bruchstellen den Ausfall der Kernsysteme.«, meldete sie während Mergy das Abfliegen der Station übernahm, »Da ist ein riesiges Loch in der Station. Direkt über der Promenade. Oh, Gott. Mama ist da drin.« May sprang auf und stürmte zur Tür. »Bleib' hier. Die Lifte funktionieren sowieso nicht.«, hörte sie Mergy befehlen. Es lag eine Stränge in seiner Stimme, wie sie sie noch nie gehört hatte. »Ich muss ihr helfen.«, versuchte sie ihr Handeln mit Angst erfüllter Stimme zu erklären.


»Wir müssen besonnen an die Sache herangehen und herausfinden was passiert ist und wer genau alles unsere Hilfe braucht. Wenn deine Mutter im Dragon Fly war, dann wurde sie ins All gesogen. Der Körperschild wird sie schützen, aber er hält nicht ewig.«, versuchte er May die Wahrheit zu sagen und sie gleichzeitig zu beruhigen. »Tut mir leid.«, gab May mit leisem Tonfall zu verstehen, während sie sich wieder an ihren Platz setzte. »Schon gut. Ich feuere ein paar Schildnetze an die beschädigten Stellen und suche nach Personal im All.« Auf der kleinen Anzeige sah man deutlich die Kapseln aus einer kleinen Öffnung der Ladeluke des Gleiters schließen und auf die beschädigten Teile der Station zufliegen. Dann hafteten die kleinen Minischilde rund um die beschädigte Außenhülle und spannten einen Schutzschild zwischen sich auf, der das Innere der Station vom All abschirmte.


Mergy wendete den Gleiter und stellte die Scanner so um, damit sie nur noch nach ID Chips der Besatzung suchten. Schnell hatte er zwei aufgespürt und auf direktem Weg in die Krankenstation transportiert. Reiko war nicht dabei. Sie musste als eine der ersten über Bord gegangen sein und dementsprechend schon viel weiter ins All getrieben worden sein. Schließlich fand er sie bereits mehrere Kilometer ins All getrieben vor. Im Gegensatz zu den Anderen hing sie nicht einfach nur in dem Schild und wartete auf Rettung. Sie war ohnmächtig und blutete am Kopf. Um May nicht weiter zu beunruhigen gab Mergy keinen Hinweis darauf sie gefunden zu haben. Sie lebte. Es war alles was er mit Sicherheit über ihren Zustand wusste. Die Entfernung zur Station war bereits zu groß und ein direkter Transport nicht möglich. Also transportierte er Reiko an Bord, hielt sie aber im Speicher bis der Gleiter nah genug an der Station war um sie direkt in der Krankenstation auszuspucken. »Deine Mutter ist jetzt auf der Krankenstation.«, meldete er schließlich seine Aktion. Gerne hätte er noch Gesund und Munter angefügt, aber das hätte nicht annähernd der Wahrheit entsprochen. May zeigte sich erleichtert und ihre Gemütslage wurde deutlich ruhiger, was sich auch durch ihre Stimmlage ausdrückte: »Ich habe die Repligens auf die Stationsverbindungen angesetzt. Vier suchen nach den Problemen im Kommunikationssystem und den internen Scannern.«


Der Doc behandelte die Patienten. Die anderen hatten nur kleinere Blessuren, weil sie wohl im Moment des Unfalls den Schild manuell aktiviert hatten. Reiko hatte nicht so viel Glück. Ihr Schild war zwar identisch und sie hätte ihn einschalten können, aber ihr fehlte die Erfahrung und wahrscheinlich auch die Zeit dazu. Erst als die Sensoren eine Bedrohung für ihr Leben feststellten hatte sich der Schild selbst aktiviert und ihr das Leben gerettet.


Die ersten Gleiter der Nachtschicht trafen selbstständig an der Station ein, nachdem weder die Ablösung eintraf, noch eine Kommunikation mit der Station zu Stande kam. Unsicher umkreisten die Piloten die Station. Einige Piloten führten Scans durch, denn die äußeren Schäden und umherfliegenden Trümmer waren natürlich unübersehbar. »Hast du das gehört?«, fragte May schließlich. Mergy hörte kurz mit seiner Arbeit auf und lauschte: »Da ist nichts.« »Doch ein Klopfen.«, erwiderte May. »Bestimmt ein Repligen der durch die Schächte krabbelt.«, erklärte Mergy. »Das glaube ich nicht.«, blieb seine kleine Kollegin bei ihrer Meinung. In dem Moment hörte man abermals das dumpfe Klopfen, welches tief aus einer Wand zu kommen schien. Jetzt war auch Mergy überzeugt. Er wollte gerade aufspringen und nachsehen, da hatte May schon ihre besonderen Eigenschaften aktiviert und schnell den rechten Lift als Quelle für die Geräusche ausgemacht. Mit einer Wischbewegung rammte sie die Tür in die dafür vorgesehene Lücke in der Wand. Einige kleine Metallteile der Mechanik sprangen in den Raum und in den Schacht darunter. »Wow, hab ich mich jetzt erschrocken.«, kam hallend eine vertraute Stimme aus der Tiefe. Es war Sab, die sich mühsam über die Tritte im Schacht nach oben zog. May schnappte sich ihre Kollegin und zog sie erst mit einem erschrockenen Quieken nach oben und setzte sie dann vor dem Lift auf den Boden. »Danke! Eine Warnung wäre gut gewesen. Was ist passiert? Ich hab über 10 Minuten im Lift gesteckt und keiner hat mir geantwortet.« Mergy gab ihr ein kurzes Briefing und verschwand dann in einer der Servicetüren.


Mehrere Minuten besprachen die beiden die aktuelle Situation und was zu tun war. »Wo kommst du jetzt her?«, fragte Sab als Mergy mit einem Transporterstrahl wie aus dem Nichts auf auf dem Kommandodeck erschien. »Vom Doc. Medic One ist unbeschädigt und voll einsatzfähig. Jaque sitzt jetzt in der Krankenstation. Er ist uns ja hier sowieso keine große Hilfe und übernimmt von dort die Gleiterkommunikation. Die werden jetzt erst einmal die Trümmer einsammeln und uns Schutz vor was auch immer das vorhin war geben.«, erklärte er weiter und steckte einen Datenspeicher in seine Konsole, die daraufhin die Daten der Scans aus den anderen Gleitern zeigte, die deutlich mehr Bereiche und genauer die Station abgetastet hatten, als Kampfgleiter 1 via Fernbedienung es in der kurzen Zeit hätte machen können.


»Was auch immer uns getroffen hat, es hat uns wirklich komplett lahmgelegt.«, merkte Sab an: »Wir haben einen Verräter an Bord, anders kann ich mir diesen präzisen Schlag nicht erklären.« »Jetzt bringen wir erst einmal den Laden wieder ans Laufen. Vermutungen und Anschuldigungen bringen uns nicht weiter.«, warf Mergy zurück. »Die Repligens haben einen gravierenden Schaden im zentralen Verteiler im Zwischendeck zwischen oberer und unterer Promenade gefunden. In wenigen Minuten sollte der Stationskern zumindest teilweise wieder einsatzfähig sein.«, meldete May. »Endlich mal eine gute Nachricht.«, befand Mergy, während Sab in der Schadensanalyse vertieft war.


»Was geht da jetzt wieder vor?« Sab stand bereits am Fenster als ein großes Objekt die Sicht nach draußen verdunkelte. Nur Momente später drehte es ab und beschleunigte Richtung Erde. »Medic One haut ab. Sind jetzt alle komplett durchgeknallt?«, konnte Sab nicht glauben was sie da sah. Einige Gleiter begleiteten den Flug der Krankenstation in Richtung Erde. »Interne Kommunikation und Sensoren sind wieder betriebsbereit.« »Mergy an Stationspersonal. Wir haben einige technische Probleme. Wenn kein Notfall vorliegt die Kommunikation freihalten.« »Suki an Ops. Hier ist ein Loch in der Station. Niesha und mindestens ein anderer Pilot wurden ins All gesaugt.«, meldete sich Suki, die laut der internen Sensoren im abgeschotteten Sors mit über 20 anderen Piloten fest saß. »Die Piloten sind bereits ärztlich versorgt worden. Es geht ihnen gut.«, erklärte Mergy und die Bestätigungsmeldung von Suki beinhaltete im Hintergrund deutliche Erleichterung der anderen Eingeschlossenen. »Energieversorgung der Liftsteuerung wieder aktiv.«, vermeldete May. Wenige Augenblicke vernahm man ein Rumpeln im Liftschacht und dann öffnete sich die zweite Tür. Trish war eingetroffen.


»Gut dann sehen wir uns jetzt mal den Schaden an.« May reagierte nicht. Sie fühlte sich nicht einmal angesprochen. »May, du warst gemeint.«, lächelte Mergy als seine Ziehtochter endlich reagierte. Sie stiegen in die Kabine und fuhren auf die Promenade, die verlassen wirkte, wie ein Kaufhaus nach Ladenschluss. Ein Eindruck, der sich besonders durch das verrammelte Sors einfand, denn die breite Front war normalerweise komplett offen und das rund um die Uhr, da Sor ja nie geschlossen hatte. Die Tür zur Krankenstation wirkte ebenfalls befremdlich. Direkt durch die streifig transparenten Fenster konnte man jetzt das dunkle All sehen. Es war als hätte jemand die Farben der Türen geändert. Durch die Sicherheitsscheiben des Lokals konnte May ihre Freundin und die anderen Piloten entdecken, denen die beiden Kommander bereits aufgefallen waren. »Jaque das Sors entriegeln.«, wies Mergy an und ärgerte sich dann sofort über seine Doofheit. Jaque war zusammen mit der Krankenstation abgeflogen und jetzt übernahm das Hilfssystem, welches deutlich weniger tolerant war und nach Sicherheitscodes verlangte. Jaque brauchte das nicht. Wenn jemand nach einer Aktion verlangte, dann wusste er genau wer diese Person war, welche Rechte sie hatte und welche nicht. Fehler ausgeschlossen. Dieser Computer verstand nur einfachste Kommandos und verwendete die gleiche Stimme die May nicht leiden konnte. Naja, es war Sabs Stimme, die auch im Nahrungsverteiler und im Lift ihren Dienst tat. Das hatte sie damals mit erschrecken festgestellt, als sie Sab kennen gelernt hatte, aber die Computerstimme von Sab war zusätzlich so kalt, monoton und emotionslos.


May hatte Sab schon in einigen Situationen sauer erlebt, aber diese Stimme blieb einfach immer ruhig und hatte diesen bissigen Unterton, der es einem kalt den Rücken herunterlaufen ließ. »Computer, Promenadenschotts entriegeln. Stimmidentifikation Mergy Alpha 1.«, korrigierte Mergy seinen Befehl. Ein lautes Rumpeln von allen Seiten ließ keinen Zweifel: Die Sicherheitsbolzen der Tür wurden freigegeben. Mergy betätigte die nun blinkende Taste an einem der Elemente. Es schob sich hinter das Nebenliegende und gab eine kleine Lücke ins Sors frei. »Hier ist alles in Ordnung?«, fragte er nochmal nach, obwohl er ja bereits mit Suki gesprochen hatte. »Ja, uns geht es gut.«, vermeldete ein anderer Pilot: »Können wir hier raus?« »Momentan nicht. Das Liftsystem wurde beschädigt und die Zugangsmöglichkeiten zu den Ringen sind versperrt.«, erklärte Mergy. Selbst May lauschte seinen Ausführungen. Er hätte die Frage einfach verneinen können, aber er beschrieb ihnen die aktuelle Lage genau. Sab ihrerseits hätte wahrscheinlich nicht einmal die Tür geöffnet, um ein Gespräch bereits im Ansatz zu vermeiden. »Haltet die Tür geschlossen. Momentan wird das Deck nur durch einige provisorische Schilde vom Vakuum getrennt.«, gab er trotzdem Anweisungen und schloss die Tür wieder.


Dann ging es die Treppe nach oben. Das Dragon Fly war komplett verriegelt. Es sah fast so aus wie bei Mays Ankunft auf der Station. Eine graue Wand die sich parallel zur oberen Balustrade um die Kurve bog. Von den Tischen, Stühlen und der Dekoration vor dem Lokal waren nur einige wenige kleine Teile zu sehen. Mergy betätigte auch hier einen Taster an der rechten Seite. Die Tür klappte genauso weg wie unten bei Sor. Der Laden sah schlimm aus. Tische und Stühle lagen verkeilt vor den Fenstern, die jetzt durch die Schilde von außen verschlossen waren. Sie wären wohl herausgesaugt worden, wenn das Gerümpel sich nicht so vor dem großen Loch verknotet hätte. Das Meiste der Dekoration war einfach weg. Einige der Laternen hingen noch an ihrem Platz, aber von anderen war nur noch der Faden zu sehen, der wie von einem alten Spinnennetz übergeblieben nach unten hing.


Buchstäblich alles was nicht angeschraubt war, war entweder verschwunden, zertrümmert oder klemmte an völlig anderer Stelle zwischen den Trümmern der Innenausstattung. Mergy schaute sich Fenster, Decke und Boden genau an: »Was ist hier nur passiert?« May hatte keine Idee und verzichtete deshalb auf eine Antwort. Die beiden Küchenzeilen waren komplett kreisförmig verbogen und auch der Boden hatte eine kugelförmige Delle. »Als wenn es hier eine Explosion gegeben hat, aber ohne das etwas verbrannt ist.«, merkte Mergy an: »Ein Druckwellentorpedo könnte das anrichten!« May positionierte sich in die Vertiefung im Boden und stellte sich die gleichen Fragen. Aber ein Torpedo im Dragon Fly? Mergy kam anscheinend zu dem selben Schluss: »Der hätte die Scheibe nie so einfach durchdringen können und wir haben nur eine Detonation gespürt und nicht zwei.« Der Boden auf dem May stand war um mindestens einen halben Meter abgesackt. Verbogen. Plötzlich wurde May schwummrig. Konnte das sein? Sie schloss ihre Augen und fühlte in den Raum. Schließlich schwebte sie genau an der Stelle an der das Zentrum der Detonation war. Mergy fragte sich was sie da gerade machte, war aber mehr von der spontanen Demonstration ihrer Fähigkeiten abgelenkt. Daher sah er nur schweigend zu.


Genauso plötzlich wie sie abgehoben hatte fiel sie wieder auf ihre Füsse. Noch bevor Mergy etwas sagen konnte sprach sie schon mit Sab: »Nimm' die Fernsteuerung für Kampfgleiter 1 vom Tisch, transportiere dich in den Gleiter und ruf' Medic One. Der Doc soll meine Mutter sofort in ein Kraftfeld stecken. Möglichst eng am Körper.« Mergy war genauso erstaunt über den Wunsch wie Sab, konnte ihre Antwort aber nicht hören. »Verdammt mach' es einfach oder es gibt eine Katastrophe.«, wurde May richtig laut und energisch. Sie bemerkte Mergy's fragenden Blick. May deutete mit der Hand auf ein Stück des metallenen Arbeitsbereichs, der noch unbeschädigt war und kaum hatte Mergy seine Augen darauf gerichtet gab es einen dumpfen Knall und das Metall ebenfalls hatte eine kreisförmige Delle: »Sie ist wie ich.« »Mergy an Sab, tu es!«, bestätigte er Mays Kommando nochmal von seiner Seite, aber Sab hatte, nach Mays dringlich vorgetragender Aufforderung, die Aufgabe bereits erledigt. Wenn May so lautstark etwas verlangte, dann musste es einen triftigen Grund dafür haben. Das war selbst einer Oberskeptikerin wie Sab klar.


Der Doc war mitten im Einsatz. Medic One schwebte über einem Trümmerfeld. Ein Bürogebäude war ohne jede Vorwarnung einfach eingestürzt und dabei auf ein zweites Gebäude gekippt. Hunderte von Tote waren zu beklagen, aber dank des gewaltig anmutenden weißen Raumschiffs, war die Hilfe näher als erwartet. Die Gleiter überflogen das Gebiet und suchten nach Überlebenden, die sie dann mit Transportringen in das fliegende Krankenhaus oder zu anderen Helfern am Boden transportierten. Die Krankenhäuser im Umkreis waren bereits überfüllt und so brachten selbst Rettungshubschrauber die Verletzten direkt zur Station und die versorgten Patienten zurück auf die Erde. Sie landeten direkt auf dem Dach, dass genau für diesen Zweck entsprechende Landemarkierungen hatte. Jaque koordinierte die Suche und die Transporte. Niesha und Simon waren durch ihren unfreiwilligen Aufenthalt im All nun als medizinisches Hilfspersonal im Einsatz. Die Presse war bereits in Mengen Vorort und störte mit ihren Hubschraubern, die immer möglichst dicht an das fliegende Wunder heran flogen um die besten Bilder zu liefern. Mehrfach musste Jaque darum bitten Abstand zu halten, aber seine sanfte und monotone Stimme fand nicht genug Durchsetzungsvermögen, also drängten die Gleiter die Hubschrauber immer wieder von der Station weg und erzeugten mit ihren Triebwerken leichte Druckwellen, die den Piloten das Anfliegen erschweren sollten.


»Sab, die Gleiter von der Station abziehen. Sie sollen sich bei Jaque neue Anweisungen abholen. Wir brauchen sie nicht.«, wies Mergy an. May stand immer noch im Raum und fragte sich wie das alles hatte passieren können. Sab bestätigte und die Gleiter sausten Richtung Erde. Ihr war immer noch nicht klar, warum Mergy die Stationssicherheit aufs Spiel setzte, konnte sie doch nicht wissen, wer dieses Unheil ganz alleine angerichtet hatte. »Alles klar?«, fragte Mergy schließlich. »Sie – sie hat das nicht absichtlich gemacht. Das würde Mama nie machen.«, erklärte May fast flehend: »Sie werden ihr die Schuld geben. Sie werden uns zu Freaks machen.« »Sie?«, fragte Mergy unsicher. »Die anderen vom Team.« »Habe ich dir jemals das Gefühl gegeben ein Freak zu sein? Oder Sab?«, fragte Mergy. »Nein, aber Sab tickt anders. Sie denkt bestimmt Mama hätte es vorsätzlich gemacht hat. Die Anderen werden ihr auch nicht mehr vertrauen.« Mergy verstand das Dilemma in dem sie steckte: »Was kann deine Mutter dafür, wenn hier ein ausgedienter Reaktor im Zwischendeck explodiert?« May schaltete nicht: »Reaktor? Was?« »Muss doch ein Reaktor gewesen sein. Was könnte sonst solche Schäden verursachen?« Mergy hob die Augenbrauen und bei May machte es Klick: »Sab wird ihr trotzdem keine Ruhe lassen und uns bei jeder Gelegenheit das Leben schwer machen.« »Überlasse mir Sab. Du klärst die Sache mit deiner Mutter. So etwas darf nicht wieder passieren, sonst kann ich auch nichts mehr machen und jetzt komm´. Wir stehen hier im Weg.« May hatte gar nicht gemerkt das ein halbes Dutzend Repligen sich durch das Fenster in den Innenraum vorgearbeitet hatten und bereits hinter ihr den Boden zerlegten.


Mergy verriegelte die Türen zum Lokal, damit niemand einen Blick auf die Beweise werfen konnte und Beide gingen still nebeneinander zurück zum Lift und auf die Kommandoebene zurück, wo Sab den aktuellen Status vermeldete. Die meisten Systeme würden wieder arbeiten und es wären nur noch einige strukturelle Schäden zu beheben. »Reiko hat die Schäden verursacht?«, platzte ihr dann doch die Frage heraus, die sie beschäftigte. »Nicht absichtlich.«, verteidigte May sofort ihre Mutter mehr schlecht als recht. Sab öffnete den Mund und wollte gerade zum wiederholten Male querschießen, als Mergy das Wort erhob: »Wir haben doch alle schon mal versehentlich den ein oder anderen Hangar gesprengt, nicht wahr?« Trish brach in Lachen aus und May konnte dem Gespräch weder Folgen, noch war ihr nach Lachen zu mute. Nachdenklich setzte sie sich wieder an einen der Plätze und prüfte, mehr um beschäftigt zu wirken als aus Pflichtbewusstsein, die Daten. Sab muffelte noch einige unverständliche Worte in sich hinein und tat selbiges. Der Raum versank in geschäftigem Schweigen, welches erst unterbrochen wurde, als die einzige noch funktionierende Lifttür aufsprang und Tin frei gab.


»Schau an! Auch schon da?«, fragte Mergy direkt mit einem Lächeln, welches den Satz mehr als freundliche Bemerkung klingen ließ. »Wieso? 9:55. Die Sitzung ist doch erst um 10, oder?«, war Tin sichtlich unsicher. »Du hast nichts ungewöhnliches bemerkt heute morgen?«, fragte Trish. »Nein, wieso?« Sie schaute sich unsicher um und entdeckte die verbogenen Reste der Lifttür und deutete mit dem Finger darauf. Sab nutzte die Gelegenheit und deutete mit dem Finger auf May: »Sie wars!« »Was ist denn hier los?« Tin fühlte sich mehr veräppelt, als das in ihr das Gefühl aufkam sie hätte etwas entscheidendes verpasst. »Explosion auf der Promenade, Abreißen des Stationskerns vom Rest der Station. Totalausfall der Lifte, der Transporter und der gesamten Kommunikation. Achja und einige Leute wurden ins All gesaugt.«, fasste Mergy zusammen. »Ich hab gearbeitet. Von der Station getrennte Versorgungssysteme, damit ein Unfall im Labor nicht noch einmal die gesamte Station lahmlegt.«, erklärte sie ihren problemlosen Morgen. »Das mit dem Lahmlegen haben wir auch ganz alleine hinbekommen.«, sagte Mergy noch, als er von Tin unterbrochen wurde, die aus dem Fenster deutete: »Ist das etwa – Medic One?«


Mergy schnippste mit den Fingern: »Ich wusste doch, da war noch was. Aber gut das wenigstens einer von uns einen normalen und produktiven Morgen hatte.« »Jaque an Ray Team One, erbitten Erlaubnis zum Andocken.« »Jaque ist nicht auf der Station?« Mergy schnippste erneut mit den Fingern: »Hatte ich das etwa auch vergessen?« Die Stimmung von Sab hob sich bereits deutlich und ihr entfleuchte unbemerkt von den anderen ein Grinsen. Auch May musste über Mergys, von den eigentlichen Problemen ablenkenden, Witzeleien schmunzeln. »Erlaubnis erteilt. An alle Gleiter im Stationsbereich Landeerlaubnis für Hangardeck 2.« »Ich gehe auf die Krankenstation.«, meldete sich May ab und verschwand auch schon im Lift. Bevor Tin ebenfalls verschwinden konnte, nahm Mergy seine Kommandotruppe ins Gebet.


»So wie es aussieht hat Reiko die gleichen Fähigkeiten wie May und damit die Probleme heute verursacht. Ich bin mir sicher es war keine Absicht und nur ein Unfall. Wahrscheinlich hat sie nur versehentlich eine Druckwelle ausgelöst. May wird das mit ihr klären und ihr zeigen, wie sie damit umgehen muss. Ich bin mir sicher Reiko selbst wird mehr als nur entsetzt darüber sein und sich ziemlich schuldig fühlen. Macht ihr also bitte das Leben nicht schwerer als nötig und haltet euch da einfach heraus. May möchte nicht zum Freak werden. Die Sache mit ihrer Mutter macht es ihr da nicht gerade leichter. Offiziell ist ein alter, vergessener Reaktor im Zwischendeck detoniert und hat all die Probleme verursacht.«, erklärte er. »Du willst die Sache unter den Tisch kehren?«, fragte Sab erstaunt. »Wenn du es so nennen willst, ja! Niemandem ist geholfen, wenn wir die Chongs zu einer Zirkusnummer machen. Das haben sie nicht verdient.«, erklärte Mergy sein vorhaben. Tin und Trish stimmten zu und Sab hatte sowieso keine Wahl mehr und fügte sich der Gruppenentscheidung.


»Wir verschieben die Sitzung auf 15 Uhr, dann hat Tin auch Zeit sich etwas zu überlegen, wie wir die Stationsträger sicherer machen können. Es muss etwas passieren. Bei jeder Kleinigkeit gibt es Totalausfälle der gesamten Station.«, beendete Mergy seine Erklärungen und verzog sich mit einem beherzten Druck auf die kleine Tablettfernsteuerung und einem kreisenden Lichtstrahl in seinen Gleiter, der immer noch alleine und verlassen außerhalb der Station im Raum parkte, während Tin zurück in ihr Labor verschwand. Als May auf dem Promenadendeck ankam sah alles wieder normal aus. Naja, beinahe. Ein Blick nach Oben zeugte von den Geschehnissen, denn das Dragon Fly war immer noch hinter der grauen Stahlwand verschwunden. »Alle Piloten der Morgenschicht in Hangar 1 zum Einsatz melden.«, tönte Sabs Stimme überdeutlich durch die Halle, als May die Tür zur Krankenstation durchschritt. Hier sah es schrecklich aus. Der Boden war voller Blut, Sand und Kiesel. Überall lagen Kleidungsstücke und Fetzen herum. Alle Tische waren aufgestellt und zeugten ebenfalls von intensiver Benutzung. »Wir müssen los.«, sagte Niesha und erhob sich. »Öhhhh«, dröhnte es aus Simon, der wie der Doc, Sandra und Niesha zuvor auch auf dem Rücken auf den Behandlungsplätzen lagen.


»Was ist denn hier los?«, fragte May, die von Allen bis zu diesen Worten unbemerkt geblieben war. Jetzt wurde auch Simon aktiv, der noch wenige Momente zuvor Nieshas Versuche, ihn am Arm hoch zu ziehen, komplett ignorierte. May hatte augenscheinlich deutlich an Autorität gewonnen. Auch der Doc erhob sich, wenn auch nur ein wenig: »Ich nenne das "Pause machen".« May verstand schnell die Lage: »May an Sab. Simon und Niesha von der Pilotenliste nehmen. Die Beiden haben beim Doc Dienst geschoben und brauchen eine Auszeit.« Sab bestätigte und Niesha fiel wieder auf ihren Tisch zurück, nicht ohne sich mit einem Lächeln bei ihrer Kollegin für deren Einsatz zu bedanken. »Du willst sicher zu deiner Mutter. Sie liegt in Zimmer zwei.«, nahm der Doc May die Worte aus dem Mund und begleitete sie in den Vorraum. Er erklärte ihr von der Ähnlichkeit der Symptome, die May nach dem Stoppen der Flutwelle gezeigt hatte. May berichtete ihm die aktuelle Situation und Mergys Vorhaben. Der Doc hatte sich schon soetwas bereits gedacht, als er die Werte ihrer Mutter gesehen hatte und wurde zusätzlich in der Annahme bestärkt als die Anweisung kam Reiko in einen Schild zu packen. Zu Mays Erleichterung hatte zu keiner Zeit eine Gefahr für MedicOne bestanden.


Schließlich betrat May das Krankenzimmer. Ihre Mutter war noch sichtlich geschwächt und begrüßte sie. Die Arme und Beine waren durch den Schild zwischen Bett und Decke eingeklemmt und auch der Kopf blieb starr auf dem Bett liegen. »Warum bin ich gefesselt?«, fragte Reiko ihre Tochter. »Tut mir leid. Ich musste das anordnen.« »Du warst das?«, fragte Reiko entsetzt. May schaltete den Schild mit dem Kontrollfeld am Fußende des Bettes ab: »Eine Sicherheitsmaßnahme. Weisst du noch was passiert ist?« Reiko hatte wohl schon vorher versucht sich an die Ereignisse zu erinnern und begann sofort zu erzählen. »Ich habe den großen Topf mit Wasser zum Kochen gebracht. Wie jeden Morgen.«, erklärte sie: »Als er heiß war wollte ich ihn auf die kleinere Kochstelle heben, aber ich hatte noch Saft vom Schneiden der Zutaten an den Händen und der linke Griff ist mir weg gerutscht. Gerade als ich dachte, ich würde mich verbrennen, knallte es und Dinge flogen durch den Raum und dann wurde ich herumgeschleudert. Mehr weis ich auch nicht. Was ist denn passiert? Warum der Schild? Ich verstehe das nicht. Ich hab doch nichts gemacht.«


»Doch hast du.«, blieb May sachlich: »Du hast die komplette Station außer Gefecht gesetzt. Lifte, Transporter. Die Gleiter konnten nicht starten und einige Leute wurden zusammen mit dir ins All gesogen.« Der Blick ihrer Mutter sprach Bände: »Das soll ich alles getan haben? Das glaubst du doch nicht etwa?« »Doch. Ich glaube es nicht nur. Ich weiß es! Du bist wie ich oder besser ich bin wie du.«, merkte May an und deutete auf den Stuhl auf der anderen Seite des Bettes. Wenige Augenblicke schwebte er über dem Fußende und begann wild um alle Achsen zu rotieren. »Das machst du?«, fragte Reiko ungläubig. »Du kannst das auch.«, bestätigte May: »Ich denke, als du das kochende Wasser verschüttet hast, hast du instinktiv versucht es wegzustoßen und dabei alles um dich herum von dir weg gestoßen. Die Decke und der Boden im Dragon Fly waren wie eine Kugel gebogen und einige Dinge sind dabei durch die Fenster gekracht. Dann wurdest du vom Vakuum des Alls aus der Station gesaugt. Der Schlag auf den Stationskern war so gewaltig, dass er teilweise aus der Verankerung gerissen wurde und die Verbindung zu den Ringen zerstört wurde.« »Wurde jemand verletzt?« »Außer dir wurden Niesha und Simon aus der Station gezogen. Aber die Körperschilde haben euch geschützt. Sonst gab es keine Verletzten.«, beruhigte May ihre Mutter. »Wie lange weisst du das schon?«, fragte Reiko schließlich nach einer längeren Denkpause.


»Seit ich die Insel gerettet habe. Damals wusste ich auch nicht wie ich das geschafft habe. Ich hab es einfach gemacht. Seit dem habe ich viel geübt und trainiert. Es hat mir schon einige Male sehr geholfen, auch wenn es schwer ist es vor den Anderen zu verstecken.« »Du hast es niemandem gesagt?«, fragte Reiko schließlich nach. »Ich wollte einfach nur May sein. Die Leute sollten keine Angst vor mir haben oder mich nicht mehr so sehen wie ich bin. Es wissen nur die Kommandocrew, Sandra und Katie von meinen – von unseren – Fähigkeiten.«, erklärte May: »Es wäre besser wenn das auch so bleibt.« »Aber jetzt werden alle davon erfahren und ich bin Schuld daran.«, bemerkte Reiko das Dilemma, welches May schon selbst heute Sorge gemacht hatte. »Mergy hat offiziell einen Reaktorunfall vorgeschoben. Niemand wird dich verdächtigen. Er hat aber auch gesagt ich soll dir helfen die Kräfte zu kontrollieren. So etwas wie Heute darf nicht noch einmal passieren. Schließlich sind Menschen in Gefahr geraten.«, mahnte May.


Der Doc unterbrach die Unterhaltung als er den Raum betrat: »Stand der Stuhl schon immer da?« May hatte die Rotation des Stuhls zwar gestoppt, aber er schwebte immer noch wie angeschraubt über dem Bett. Mit einem Lächeln ließ May das Möbel wieder an seinen Platz zurück fliegen und ihre Mutter konnte immer noch nicht glauben, was für ein Wunder sie da eigentlich sah. Der Doc war ebenfalls noch nie direkt Zeuge einer Demonstration geworden. Er staunte nicht weniger über die perfekte Bewegung. Doch kaum war der Stuhl wieder an seinem Platz schaltete er wieder in den Arztmodus. Er bat May zu gehen und verordnete seiner Patientin bis zum Abend strikte Ruhe. So verabschiedete sie sich. Ihre Mutter würde noch viele Fragen haben und auch sie selbst würde nicht alle beantworten können, aber erstmal war May beruhigt. Es ging ihr gut.


Mergy machte sich ebenfalls auf den Weg in die Krankenstation um zu erfahren, was es mit dem Einsatz auf der Erde auf sich hatte. May und ihr väterlicher Kommander verfehlten sich an den Aufzügen nur knapp. May war gerade eingestiegen, als ihr älterer Freund aus der anderen Box stieg. Der leitende Kommander ließ sich vom Doc erklären was beim ersten praktischen Einsatz der Station passiert war und wie sie sich geschlagen hatte. Die Krankenstation war noch nie wirklich im Flugmodus getestet worden. Damals beim Bau der Station war sie als einzelne Komponente von den Repligens erschaffen worden. Tin hatte einige kurze Testflüge gemacht, aber wirklich testen konnte man sie nicht, ohne die Tarnung von Ray Team One zu gefährden. Das ganze Testprogramm war nicht viel mehr als eine simple Einparkübung auf einem Parkplatz gewesen. Die Situation war jetzt komplett anders. Medic One hatte nicht nur ihren ersten Langstreckenflug, sondern auch ihren ersten Großeinsatz mit Bravour und ohne technische Probleme hinter sich gebracht. Vorher waren höchstens mal zwei oder drei Personen gleichzeitig als Patient anwesend gewesen. Heute alleine waren es bereits einige hundert Personen gewesen. Der Doc hatte einige Vorschläge zur technischen Verbesserung, die sich durch diese erste Mission ergeben hatten, aber Mergy verwies auf Tins Künste die Repligens zu programmieren und derartige Änderungen vorzunehmen. Schließlich wollte er zu Reiko und setzte sich auch über den Hinweis auf Ruhe des Patienten hinweg, versprach aber es kurz zu machen.


Er vernahm ein leises »Ja« von der anderen Seite der Tür. Schlafen war für Reiko trotz ihrer Müdigkeit nach dieser Informationsflut der letzten Stunde nicht einfach. »Hallo, ich höre es geht ihnen schon besser.«, begrüßte er die Kranke. »Ja, aber ich fühle mich noch ziemlich erledigt.«, erklärte Reiko. »Naja, wenn ich eine Raumstation mit meinen Gedanken durchschütteln würde, wäre ich nachher auch ziemlich geschafft.«, lächelte Mergy. »Es tut mir leid. Ich wollte das nicht. Glauben sie mir. Bitte!«, flehte Reiko schon fast und das Gefühl ihrer Schuld war so intensiv, dass es fast mit den Händen greifbar war. »Unter einer Bedingung.«, erwiderte Mergy die Bitte um Verzeihung mit einer deutlichen Forderung, die er aber mit seinem Gesichtsausdruck wieder deutlich schmälerte: »Wir lassen dieses Sie. Das nervt mich tierisch.« »Sehr gerne!«, war Reiko erleichtert. »Gut, dann wird jetzt geschlafen.« Mergy verschwand ohne ein weiteres Wort aus dem Raum.


Auf dem Kommandodeck war wieder alles ruhig und wirkte normal. Sab studierte die letzten Scans der Station und suchte nach weiteren Beschädigungen. Trish zappte durch die Fernsehsender und schmunzelte über die Aussagen zum Auftritt von Medic One auf der Erde. Mergy schaute auch ins Büro, aber May war nicht da. Erst als die Lifttüren geschlossen waren fragte er Jaque nach ihrem Aufenthaltsort. Laut seiner Angabe befand sie sich auf dem oberen Turm in Sektion zwei. Die Turmspitzen wirkten zwar von außen wie stumpf abgeschnitten, aber in Wirklichkeit war dort oben eine Kuppel aus Glas. Die Station bot dort einen sensationellen Rundumblick auf den Planeten, den Mond und die Sterne. Also fuhr er bis in den Turm hoch. Die letzten 20 Meter nach oben musste er zu Fuß über die Treppe gehen. Hier war der Raum für einen Lift einfach zu klein und es war nur noch sehr wenig Technik verbaut. Neben ein paar Sensoren befand sich hier eigentlich nur das Positionslicht, welches in strahlend gelben Licht und wie ein Tanz mit den anderen Türmen und dem Kern um die Wette blinkte.


May hatte offensichtlich kein Interesse an der Aussicht. Sie saß einfach auf dem Boden, die Knie angezogen und den Kopf darauf gelegt. »Hey.«, begrüßte Mergy sie: »Der Boden ist zwar nicht schlecht, aber wir haben statt einer Decke hier ein Fenster eingebaut und stell' dir vor. Man kann sogar nach draußen sehen.« May reagierte nicht obwohl sie gedanklich ein »Witzbold« ausgesprochen hatte. Also setzte er sich neben sie und machte einfach nichts bis May ihren Kopf hob und schaute was Mergy machte. »Immer noch hier.«, vermeldete ihr hartnäckiger Freund mit einem Lächeln und bemerkte ihre verweiten Augen. »Hey, was ist los?«, fragte er jetzt besorgt nach. »Ich bin ein mieser Kommander. Total unfähig!«, gab sie zu verstehen und zog nochmal schniefend ihre Nase hoch. »Ja, das finde ich auch.«, bestätigte Mergy ihre Meinung: »Ich hab noch nie einen Kommander gekannt, der so unfähig ist. Niemand, den ich kenne, hat sich bisher so komplett falsch selbst eingeschätzt wie du.« »Ich meine es ernst!«, muffelte May dumpf zwischen ihren Beinen durch. »Ich auch.«, bestätigte Mergy wieder und hatte keine Ahnung was sie eigentlich so bedrückte.


»Vielleicht zählst du mir einfach einmal deine ganzen Fehler auf. Ich bin mir noch nicht so richtig sicher wie schlecht du wirklich bist. Auf meiner Liste fehlen bestimmt diverse Punkte.«, flachste Mergy weiter. »Ich war kopflos und habe nur an Mama gedacht, dabei waren auch noch andere Menschen in Gefahr, aber die waren mir egal. Nicht einmal die einfachsten Probleme konnte ich lösen. Nutzlos war ich.«, erklärte sie. »Ok, ich könnte jetzt sagen du bist erst 15 und niemand erwartet das von dir. Aber ich denke genau das ist dein Problem. Du bist erst 15 und erwartest einfach zu viel von dir selbst. Du willst perfekt sein, aber das ist niemand. Ich auch nicht.«, erklärte ihr Sitznachbar: »Und was das "Ich will zu meiner Mama" angeht, so kenne ich da einen Kommander, der vor nicht allzu langer Zeit genauso reagiert hat als Tins Labor explodiert ist und dieser Kommander ist sowohl älter als auch erfahrener als du. Außerdem habe ich deutlich länger gebraucht um ihm Vernunft beizubringen.«


Jetzt hatte er ihre Aufmerksamkeit: »Trish hat auch so reagiert?« »Ja, Tin ist ihre Familie. Genau wie Reiko deine Familie ist. Das kann man nicht so einfach verdrängen und nach Dienstplan verfahren. Was die Ideen angeht, so bin ich doch ab und zu froh dich wenigstens etwas zu überraschen. Du hast genau das gemacht, was ich von einem Kommander in der Situation erwartet habe. Du hast ohne Anweisung alleine die zu erledigenden Aufgaben übernommen. Ich konnte die Dinge tun, die nötig waren, weil ich genau wusste du hast alles im Griff. Weil ich mich auf dich verlassen konnte. Darum haben wir auch das Wort Team im Namen.«, redete er weiter auf sie ein: »Man muss keine Superkräfte haben oder immer als Erster die Lösung finden. Es reicht wenn man seine Aufgaben erfüllt und ein Vorbild für andere Menschen ist. So wie ich das sehe bist du darin besser als alle anderen Kommander zusammen.«


Mergy stand vom Boden auf und streckte sich mit etwas Stöhnen: »Hand her!« Diese Aufforderung war genauso direkt wie ungewöhnlich. May folgte ihr und reichte ihm die Hand. Kraftvoll zog er sie auf ihre Beine, schob sie zwischen sich und die Scheibe, die sie umgab. May konnte ihr Spiegelbild und den deutlich größeren Typen hinter sich leicht spiegelnd in der Glaswand sehen. Er legte die Hände auf ihre Schultern und sie schauten gemeinsam in die Sterne. »Das sieht man auch nicht alle Tage.«, meinte Mergy als plötzlich ein Wok lautlos vor ihrem Fenster vorbei rotierte: »Mergy an Sab. Das Aufräumteam soll noch mal losziehen. Es scheint sie haben einiges übersehen. Wir haben hier ein UWO am oberen Turm in Sektion 2.« May konnte die Antwort, beziehungsweise die Frage, von Sab nicht hören, aber sie stellte sich wahrscheinlich sowieso die selbe Frage. »Unbekanntes Wok Objekt.«, grinste Mergy in den Spiegel und beide Spiegelbilder brachen in lautem Lachen aus.

Die Briese der Freundschaft

»Gibt es sonst noch etwas zu besprechen.«, fragte Sab in den Raum. May hob die Hand und bekam das Wort: »Die Piloten, die wegen des Implantatproblems Einsatzverbot haben, werden zum Problem. Die Stimmung ist im Keller und könnte jeden Tag kippen. Ich hätte da eine Idee, wie wir drei Fliegen mit einer Klappe schlagen können. Der neue Transporter ist bis auf intensivere Tests der Stabilisatoren eigentlich einsatzfähig. Wir haben aber keine Piloten. Mein Vorschlag wäre die betroffenen Piloten durch spezielle Trainingsprogramme zu schicken. Später dürfen sie im All auch echte Flugübungen im Stationsbereich durchführen. Dadurch würden die Transporter nebenbei weiter getestet. Der Doc hat sich beklagt, weil es nicht genug Bereitschaft für die erweiterten Medizinkurse gibt. Da der Transporter hauptsächlich für Evakuierung und Rettungsmissionen gedacht ist, sollten die Piloten auch weiterreichende Kenntnisse als nur die medizinische Erstversorgung haben.« May hatte lange an diesem kompakten Text gearbeitet.


Immer wieder musste sie an Mergy denken, der meinte sie müsse nicht perfekt sein, aber es war schwer. Leicht verunsichert schaute May in die Runde, weil einige Sekunden nichts passierte und niemand reagierte. »Also ich finde die Idee sehr gut.«, war es der sonst eigentlich immer sehr schweigsame Doc, der als erster das Wort erhob. Die meisten Probleme waren technischer oder personeller Natur. Medizinisch waren sie ehr selten. Die Tatsache, immer noch keine dauerhafte Lösung für das Problem gefunden zu haben, machte es ihm nicht leichter. Sab wendete sich an Tin, die die begrenzte Einsatzfähigkeit der neuen Fluggeräte bestätigte. »Gut. Dann würde ich sagen übernimmt May entsprechende Maßnahmen. Jemand dagegen?«, fragte sie in die Runde und alle waren dafür.


»Doc ich brauche eine Liste aller Piloten, die das Chip-Problem haben.«, übernahm May gleich ihre Aufgabe: »Kannst du die Piloten über die Stationsnachrichten informieren, Trish?« »Was soll ich ihnen mitteilen?«, fragte diese zurück. »Sie sollen sich sich um 14 Uhr in Hangardeck 2 einfinden. Den Rest erkläre ich dann.«, gab May zu verstehen. »Wie lange brauchst du das Hangardeck? 30 Minuten? Dann kann ich den Flugbetrieb solange auf Deck 1 umleiten.«, beteiligte sich nun auch Sab an der mittlerweile regen Unterhaltung. »30 Minuten sollten ausreichen. Danke!«, bestätigte May und wies den Doc nochmal darauf hin die Liste auch Trish zukommen zu lassen. Mergy und Tin hielten sich aus der Unterhaltung komplett raus. Mergy beobachtete May. Souverän übernahm sie die vor ihr liegende Aufgabe wie ein Profi und auch seine Kollegen ließen keinen Zweifel an ihrer Kompetenz. Dieses 15 jährige Mädchen fachsimpelte mit einem Team das mindestens doppelt so alt war wie sie selbst. Tin hingegen beobachtete Mergy. Er war sichtlich stolz auf die Kleine. Nicht nur weil er sie entdeckt hatte, sondern weil er sich ihr so verbunden fühlte. Schließlich beendete Sab die Sitzung und die Kommandomitglieder verschwanden wieder in ihre Bereiche.


May hatte sich natürlich schon längst einige Simulatorübungen ausgedacht und den Schwierigkeitsgrad nicht gerade zimperlich gewählt. Sie wollte den Piloten nicht nur etwas zu lernen geben, sondern sie sollten auch Beschäftigung und Zerstreuung finden, ohne es selbst zu merken. Zusammen mit Tin hatte sie bereits ein technisches Handbuch für den neuen Flugapparat zusammengestellt. Es war nicht sonderlich groß und beschrieb nur die technischen Funktionen und den groben Aufbau der verbauten Technik. Oft verwies es bei detaillierteren Anfragen auf die Handbücher zu den Reaktoren, Stabilisatoren oder generell den Kampfgleitern. Über Abwechslung bei ihrer Arbeit konnte sich May, im Gegensatz zu den bisher unheilbaren Piloten, jedenfalls nicht beklagen. Der kleine Kommander war regelrecht aufgeregt. Es waren noch fast 3 Stunden, aber jede Minute bis dahin dauerte ewig. Beim Mittagessen im Sors traf sie auf einige der Piloten, die in der sich wiederholenden Aufzeichnung auf den Schirmen, immer wieder an den Termin erinnert wurden. Eben diese Piloten schickten anscheinend Sadi vor, die von allen betroffenen Personen May am Nächsten stand. Aber May gab vor nichts zu wissen und wiegelte somit jede Art von Auskunft ab.


Pünktlich um 14 Uhr warteten bereits alle 16 Piloten von der Liste auf dem zugewiesenen Landedeck und überlegten was jetzt wohl passieren würde. Der Warnton für einfliegende Gleiter erschallte und unterbrach jegliche Unterhaltung. Wenige Augenblicke rauschte May mit dem Transporterprototyp in den Hangar und setzte unter Staunen der Anwesenden auf dem Deck auf. Einige Piloten hatten schon die Testflüge damit gesehen, aber direkt und so nah hatte das Gerät noch niemand gesehen. Die Tür öffnete sich und May betrat die Station. Sie konnte an Sadis Blick deutlich erkennen, wie unzufrieden diese mit der nicht ganz wahrheitsgemäßen Erklärung am Mittagstisch war, aber May ignorierte sie und ging streng nach Programm vor: »Das ist der Prototyp des neuen Mehrzwecktransporters und ihr werdet lernen ihn zu fliegen.« Mit diesem einen Satz hatte May schon den ersten Teil ihrer Mission erfüllt. Langweilig war jetzt schon niemandem mehr.


Jeder im Raum wollte das neue Gerät als erster fliegen. Das konnte man schon am Blitzen in ihren Augen sehen. »Vorher werdet ihr die Trainingsflüge im Simulator absolvieren und eine Flugprüfung ablegen. Da dieser Transporter für Rettungs– und Evakuierungsmissionen eingesetzt wird, erfordert die Flugerlaubnis außerdem eine erweiterte medizinische Ausbildung. Auch wer diese schon abgelegt hat, wird die Kurse zur Auffrischung noch einmal besuchen und die Prüfungen erneut ablegen. Das dürfte in dem Fall ja nur Formsache sein. Alle Informationen und Zeitpläne werden in diesem Moment auf eure Terminals kopiert.« Die medizinischen Kurse lösten bei den Anwesenden keine Freudensprünge aus, aber es gab keinen Weg sich davor zu drücken, wenn man diesen Flieger in die Finger bekommen wollte.


»Ihr könnt ihn euch jetzt eine halbe Stunde ansehen.«, schloss May ihre Ausführungen ab und schnell war der Transporter von den Piloten umschwärmt. »Wie schnell fliegt der?«, fragte Ron. May lächelte: »Schneller als ein MK6 Gleiter.« Diese nicht einmal ansatzweise präzise Angabe von Geschwindigkeit reichte schon aus um weitere Begeisterung anzufachen. Schneller als den Piloten lieb war, war die Besichtigungszeit zu Ende. Der kleine Kommander hob unter den Blicken der Menge ab, wendete auf der Stelle und rausche mit leisem Fauchen des Fluggerätes aus dem einen Hangar direkt in den nächsten wo sie ihn wieder abstellte. Tin wollte noch einige Änderungen durchführen und wartete bereits auf May. Sie erklärte ihr noch einmal ausgiebig alle Modifikationen und erwartete offensichtlich die Zustimmung ihrer Kollegin. May genoss es immer noch diesen Respekt entgegen gebracht zu bekommen. Tin hätte sie auch vor vollendete Tatsachen stellen können, aber ihr war Mays Meinung wichtig, zumal sie ja auch an dem Projekt beteiligt war. »Kannst du heute noch ein paar Tests in der Atmosphäre machen?«


Die Prinzessin bestätigte und meldete sich dann ab. Es stand noch ein Treffen mit ihrer Mutter auf dem Programm. Es war wichtig. Sie musste lernen ihre Kräfte zu kontrollieren. Unter keinen Umständen durfte es wieder zu so einer Katastrophe kommen. Reiko wartete bereits gespannt in ihrem Quartier. Sie war neugierig auf die Dinge, die sich angeblich können würde. Sie hatte aber, aus gegebenem Grund, auch Angst es einfach mal selbst zu probieren. »Bleib einfach ruhig. Dann passiert schon nichts.«, gab May an. »Jaque, stelle dieses Quartier für 2 Stunden auf maximale Privatsphäre.«, befahl May. Jetzt konnte Jaque nicht mehr hören was sie sagten, aber auch keine Wünsche mehr ausführen. Reiko verstand nicht warum May diesen Wunsch äußerte: »Wir sind nicht wie die anderen.« Reiko aber meinte sie wüsste doch schon über ihre Telekinesefähigkeiten Bescheid. May zog ihre Mutter auf das Sofa. Es war immer noch das gleiche Sofa, wie es in allen Wohnräumen stand, die neu geöffnet wurden. Anscheinend war Reiko auch in diesen Dingen genauso anspruchslos wie May. »Wir können keine Telekinese. Was wir können ist viel mächtiger.«, erklärte May: »Das wissen nicht einmal die anderen Kommander auf der Station. Das Orakel hat mich damals "Prinzessin der Lüfte" genannt und Mergy meint wohl, dass damit meine Fähigkeit zu fliegen gemeint ist, aber das Orakel meinte etwas anderes. Ich – wir – können die Luft kontrollieren.«


»Luft?«, fragte Reiko ungläubig. »Ja, ich hab auch lange gebraucht bis ich es verstanden habe. Wir können keine Dinge bewegen, sondern nur die Luft benutzen um sie zu bewegen. So wie ein starker Wind eine Dose durch die Luft werfen kann.«, erklärte May: »Aber das ist noch nicht alles. Schließe deine Augen.« Ohne zu zögern nahm sie die Anweisung ihrer Lehrerin entgegen und führte sie aus. »Fühle deine Haut und konzentriere dich auf die Luft an ihrer Oberfläche. Wenn du soweit bist, dann folge der Luft in den Raum.«, erläuterte May die nächsten Schritte. Es passierte nichts. Mit geschlossenen Augen saß ihre Mutter neben ihr auf dem Sofa und verharrte regungslos. »Nein!«, erschrocken sprang sie auf ihre Füße und entfernte sich vom Sofa. »Was ist passiert?«, fragte May. »Ich war in einem grauen Raum, alles hatte die gleiche Farbe und wirkte wie mit Zuckerguss überzogen.«, beschrieb Reiko ihre Erfahrung. May lächelte. Zuckerguss war eine ziemlich treffende Umschreibung, die sie so selbst nicht gewählt hätte. »Es war kein anderer Raum. Es war dieser Raum.«, erklärte May: »Du hast alles im Raum gespürt. Jeden Schrank, jede Sessel, die Türen. Du brauchst keine Angst zu haben. Es kann nichts passieren.« Unsicher setzte sich Reiko wieder auf ihren Platz und schloss erneut die Augen. Diesmal war sie schneller in dem ungewöhnlichen Raum. May bemerkte, wie sie ihren Kopf drehte um sich umzuschauen: »Nicht den Kopf drehen. Fühle was neben und hinter dir ist.« »Bist du das?«, fragte Reiko schließlich und May hob ihre Hand und winkte: »Denke schon. Konzentriere dich auf die Tür zum Schlafzimmer.« »Ich sehe mein Bett. Meine Kette auf dem Nachttisch. Wie ist das nur möglich?« »Das sind die Chong Superkräfte!«, witzelte May und versuchte ihrerseits in den Nebenraum zu blicken. Es war schwer. Nicht wie sonst. Anscheinend blockierten sich ihre Kräfte gegenseitig und ihre Mutter hatte anscheinend schon jetzt deutlich mehr Kraft als sie.


»Wie weit geht das? Ich verstehe das nicht.«, fragte ihre Mutter, die sich laut ihren Kommentaren bereits im Badezimmer umsah. »Ich weiß es auch nicht. Eine Tür oder ein leicht offenes Fenster reduzieren unsere Kraft dahinter. Wahrscheinlich weil wir mit der Luft hinter dem Hindernis nicht mehr so stark verbunden sind. Wenn etwas Luftdicht ist, dann kommen wir da natürlich nicht durch.«, erklärte May aus ihrem Erfahrungsschatz: »Jetzt lass uns das wichtige Lernen. Die Kraft auf ein Objekt zu lenken und es zu bewegen ohne es zu zerstören.« Reiko öffnete ihre Augen und sah immer noch die Zuckergusswelt, was in ihr wieder die Angst aufsteigen ließ. »Wow, du bist gut. Ich hab lange gebraucht, um das mit offenen Augen zu machen. Das ist viel Schwieriger, weil man leicht abgelenkt wird. Du musst die Verbindung trennen. Konzentriere dich nur auf deine Haut und lass' die Luft los. Es ist schwer zu beschreiben, wie das geht.« Reiko blieb einige Sekunden schweigsam neben ihr sitzen und starrte geradeaus. Dann war sie wieder da. »Das war ja unglaublich!«, gab sie zu verstehen und schaute sich um, um das Gesehene mit der Welt aus Zucker zu vergleichen.


Mergy hatte unterdessen andere Pläne. Er hatte sich nach der Sitzung noch einmal die Daten angesehen und war sich nun sicher. Mit dem Gleiter flog er zur Erde. Genauer gesagt nach Deutschland an den Stadtrand von Köln. Lautlos und mit aktivierter Tarnung suchte er nach dem passenden Haus. Er transportierte sich unter einen Baum in einem der Vorgärten, der einigermaßen vor Blicken schützte und ging ein Haus weiter. Der richtige Name stand an der Tür. Zögerlich drückte Mergy auf die Klingel. Jetzt kam der kritische Part. In der Scheibe spiegelte sich seine Sonnenbrille, die er aber nicht wegen der Sonne, sondern nur wegen der Tarnung trug. Er konnte damit genauso gut sehen wie ohne. Die Tür öffnete sich und er erkannte sie sofort: »Hallo, Frau Briel. Ich bin Mergy vom Ray Team und würde ihnen gerne ein Angebot unterbreiten.« »Gratuliere, der war ja mal richtig neu.«, sagte die Frau und rammte die Tür mit lautem Krachen zurück ins Schloss. »Spinner gibt es.«, sagte sie noch, konnte Mergy aber nicht mehr durch die leicht getönte Scheibe in der Tür sehen. Ein lauter Schrei entwich ihr, als sie sich umdrehte und Mergy hinter ihr stand. »Tut mir leid, wenn ich hier so eindringe, aber sie lassen mir keine Wahl.«, entschuldigte Mergy sich förmlich. »Wie kommen sie hier rein?« »Transporter? Beamen? Das sollten sie doch eigentlich wissen.«, erwiderte Mergy. »Was wollen sie?«, fragte die junge Frau immer noch mit einer Mischung aus Angst und Neugier. »Können wir uns dazu hinsetzen?«, antwortete Mergy mit einer Gegenfrage.


»Geradeaus durch die Tür.«, deutete die Dame auf die Tür am Ende des kleinen Flures, der neben Treppen, einer Garderobe und ein paar Türen nicht viel zu bieten hatte. Die Hausherrin folgte ihrem ungebetenen Gast vorsichtig. Das Wohnzimmer war ordentlich eingerichtet und wirklich gemütlich. Nicht überladen mit Schnickschnack und anderen Staubfängern. »Schön haben sie es hier.«, merkte er an und setzte sich in einen der Sessel. Die laut Akte nur ein Meter Fünfundsechzig große Frau folgte ihm unsicher und setzte sich ebenfalls. »Was für ein Angebot?«, stellte sie wieder eine Frage. »Lassen sie mich erst einmal prüfen, ob meine Informationen über sie stimmen. Sie heißen Daneen Briel und sind gestern 30 Jahre alt geworden, haben Medienwissenschaften studiert und bei einem Fernsehsender Techniksendungen moderiert. Der Sendebetrieb wurde eingestellt und jetzt halten sie sich mit selbstproduzierten Sendungen im Netz über Wasser und nehmen vereinzelt Moderatorenjobs an. Ihrer Ehe hat das nicht gut getan und sie sind seit 3 Monaten geschieden. Sie haben keine Kinder und ihre Eltern sind seit einigen Jahren tot. Ihr Ex-Mann verlangt die Hälfte des Hauses. Sie können ihn aber nicht auszahlen. Darum bieten sie es gemeinsam zum Verkauf an und suchen bereits nach einer neuen Bleibe. Stimmt das in etwa?«


»Ja, das ist so in etwa richtig. Woher wissen sie das alles?«, musste sie den Ausführungen zustimmen. »Gut, ich biete ihnen eine Wohnung und den Job ihres Lebens für den es absolut keine Bezahlung gibt.«, erklärte Mergy weiter, »Sie bekommen ihren eigenen Fernsehsender und berichten über die Aktivitäten des Ray Teams in aller Welt. Sie fliegen bei Einsätzen mit und führen Interviews. Wie sie das machen ist ihre Sache. Das ist ihr Fachgebiet. Ihnen steht die modernste technische Ausrüstung für die Arbeit zur Verfügung.« »Kein Geld?«, fragte Daneen. »Kein Geld! Betrachten sie es als ehrenamtliche Arbeit.«


May ging zum Nahrungsmittelverteiler und bestellte ein Tablett leerer Tassen. Der erste Versuch ging gleich schief, da sie jetzt eine Taste drücken musste, um sich Gehör zu verschaffen. »Tassen?«, fragte Reiko als May mit dem Tablett an den Tisch kam. »Damit habe ich es gelernt. Obwohl ich nie eine kaputt gemacht habe, glaube ich das du einige Versuche brauchst, bis du das mit der Stärke geregelt bekommst.«, erläuterte May und stellte eine Tasse auf den Tisch. »Konzentriere dich auf den Becher und umschließe ihn mit der Luft. Du bist jetzt die Luft und willst die Tasse anheben.«, erläuterte May. Reiko konzentrierte sich, aber es passierte nichts. »Wie beim Sehen gerade. Von der Haut zur Luft und über die Luft weiter zur Tasse.« Wie ein Hypnotiseur klangen die Worte. Sanft und ruhig. Dann gab es einen Schlag und es regnete Scherben. Die Tasse war senkrecht nach oben geschossen und beim Aufschlag an der Decke in tausend Teile zersprungen. »Das ist wie mit einem Eimer. Wenn du denkst er ist 10 Kilo schwer, dann benutzt du bereits automatisch mehr Kraft zum Anheben und wenn er dann trotzdem leer ist, erschrickst du dich und Eimer und Arm schnellen nach oben. Genau das ist hier gerade passiert. Die Tasse ist viel leichter zu bewegen als du denkst.«, erklärte May schon fast so wie ein Karatelehrer, der seine Weisheiten verteilte. Sie stellte eine weitere Tasse auf den Tisch. Abermals schoss die Tasse Richtung Decke, blieb aber diesmal knapp darunter stehen. »Immer noch zu viel Kraft. Spüre das Gewicht der Tasse und hole sie langsam wieder nach unten.« Es dauerte bis die Tasse auf Augenhöhe vor ihnen schwebte. »Beweg' sie hin und her.«, forderte May. Zögerlich bewegte sich das Porzellan wackelnd durch den Raum. Mal links mal rechts. Reiko bekam langsam ein Gefühl für die neuerlich entfachte Macht.


»Es gibt aber einen Haken, den ich ihnen nicht verschweigen kann.«, räumte Mergy ein. »Wenn sie ihr Gesicht für uns in die Kamera halten, sind sie Freiwild. Genauso ihre Freunde. Die Piloten haben die Wahl sich hinter einer Sonnenbrille zu verstecken, um die Option eines Lebens auf der Erde offen zu halten und existierende Verwandtschaft und Freunde zu schützen. Diese Möglichkeit haben sie nicht. Ihre Entscheidung ist endgültig und es gibt kein Zurück. Das ist einer der Gründe, warum ich sie ausgewählt habe. Natürlich würde ich ihnen vorher einen kleinen Einblick in die Station und ihr neues Zuhause geben.« Daneen musterte den Typen auf ihrem Sofa genau. Mergy konnte die Blickrichtung ihrer großen braunen Augen sehr gut verfolgen. »Was ist der andere Grund?«, fragte sie schließlich. »Der andere Grund?«, wusste Mergy nicht was sie meinte. »Der erste Grund war, dass ich alleine bin und der andere ist?«, fragte sie forsch und zog ihre Augenbrauen hoch, was ihre Augen noch größer machte. »Ähm, ja. Ich bin ein Fan oder wie sie es nannten ein Spinner.«, grinste Mergy. »Sie schauen Fernsehen?«, fragte die junge Frau erstaunt. »Wir wohnen doch nicht hinterm Mond. Obwohl, wenn man es genau und wörtlich nimmt, war das jetzt eine unglückliche Wortwahl.«, versuchte Mergy das Vertrauen durch seine witzige Art aufzubauen: »Kabelfernsehen haben wir aber nicht. Lust auf einen Ausflug ins Weltall?«


Die Reporterin traute dem Braten immer noch nicht. War er wirklich der, für den er sich ausgab. Sie hatte eigentlich keinerlei Beweis für seine Aussagen. Mergy öffnete die Hand zu einer Fläche und ließ einen Transportring darauf erscheinen. Mit diesem Trick waren auf einen Schlag ziemlich viele Zweifel ausgeräumt. Er warf ihr den Ring herüber: »An den rechten Arm legen und dann den roten Knopf drücken.« Wie hypnotisiert folgte die junge Reporterin seinen Anweisungen und verschwand mit den üblichen Spezialeffekten. Mergy folgte und erschien neben ihr auf dem Sitz. »Wo sind wir?«, fragte seine Begleitung. »In meinem Kampfgleiter, direkt über ihrem Haus.« Mergy flog eine Schleife und sie erkannte ihre Straße und ihr Haus. Dann zog Mergy den Flugapparat senkrecht in die Höhe und beschleunigte. Bevor Daneen überhaupt wusste, was mit ihr passierte, hatten sie den Planeten verlassen. Mergy verlangsamte den Flug durch die Satelliten, deren Flugbahn sie kreuzten. Dann flog er auf die Station zu, die schnell größer wurde. Zwischen den Türmen hindurch und mit einigen Umwegen und Schleifen fand er schließlich seinen Weg in das Hangar Deck, welches Sab ihm zugewiesen hatte.


Fast zwei Stunden hatten die Beiden trainiert. May beschloss es für heute zu beenden. Sie wies ihre Mutter noch an weiter zu üben und die Sache mit der Luft für sich zu behalten und Telekinese vorzuschieben. Reiko behagte es nicht die anderen anzulügen, aber sie konnte auch nicht einfach so den Wunsch ihrer Tochter auf ein normales Leben ignorieren. So fügte sie sich ihrem Wunsch. May war schon lange gegangen, da ließ Reiko immer noch Tassen im Raum herum fliegen. Sie musste ein Gefühl für ihre Stärke bekommen. Nicht noch einmal wollte sie im Affekt anderen Menschen Schaden zufügen.


Mit leichter Verspätung hastete May in Hangar 3 wo Tin noch die letzten Anpassungen machte und gar nicht bemerkt hatte, dass ihr eigentlicher Termin bereits verstrichen war. Wenige Minuten später konnte May abfliegen und in die Atmosphäre des Planeten eindringen. Sie prüfte die Belastungen bei maximaler Geschwindigkeit, wie sie es schon im All gemacht hatte. Diesmal blieben alle Werte weit unter den vordefinierten maximalen Grenzwerten zurück. Die Stabilisatoren funktionierten und brachten den Metallkasten auch nach den wildesten Manövern wieder in eine stabile Flugbahn zurück. »Sab an Transporter One.«, strömten die Schallwellen durch das Schiff. »Transporter One hört.«, meldete May sich folgsam. »Kannst du Suki aufsammeln? Du bist am nächsten dran, sonst schicke ich einen Gleiter.«, fragte Sab. »Was ist passiert?«, fragte May besorgt. Sab verstand. May hatte keine Ahnung. Suki hatte ihre Eltern für zwei Tage besucht hatte und musste nun abgeholt werden. Sab erklärte ihr die Situation. May übernahm die Aufgabe und änderte den Kurs auf Tokio. Den Koordinaten, die sie bekommen hatte, waren einige andere Angaben angehängt. Anscheinend die genaue Adresse. Es war ein riesiges Gebäude. Mehr als 30 Stockwerke war es hoch und nur eines von vielen. Die Station wirkte winzig verglichen mit diesem Meer aus Gebäuden zu ihren Füßen. May tarnte ihr Schiff und landete auf dem Dach. Sie überlegte kurz. Zu groß war die Neugier sich mal Sukis weltliches Zuhause anzusehen. Sie tippte kurz auf der Konsole herum und ein blaues Licht ließ auf der kleine Konsolenfläche vor dem Kopilotensitz einige Kleidungsstücke und eine Brille erscheinen.


Schnell schlüpfte sie in die blaue Hose und zog das gelbe T-Shirt an. Dann setzte sie die Brille auf und entfernte das, sonst die Haare hinter ihrem Platz haltende, Haargummi. Im Monitor sah sie sich ihr Bild noch einmal genau an. Das feste schwarze Plastik der Brille umschloss ihre Augen wie ein Rahmen. Das Einzige, was noch an May die Kampfgleiterpilotin erinnerte, waren ihre grell gefärbten Schuhe. »Das geht!«, lächelte sie und transportierte sich direkt in einen der Korridore, nicht ohne vorher zu prüfen, ob sie dort auch alleine war. Das Stockwerk wusste sie ja, aber die entsprechende Tür zur Adresse war nicht so leicht zu finden. Mehrfach prüfte sie die Nummer und erst dann klopfte sie an. Es dauerte nicht lange und die Tür wurde von einer Frau geöffnet. Sie musste Ende vierzig, maximal Anfang 50 sein. »Hallo, ich bin Reiko und möchte Suki abholen.«, lächelte May und verbeugte sich vor der ihr unbekannten Frau. Mit einem Lächeln bat die Frau den getarnten Kommander hinein. Im Eingangsbereich fielen May gleich die Schuhe und Pantoffeln auf. May kannte das schon, auch wenn sie selbst in ihrer Wohnung anders handhabte. Dafür machte Jaque ja auch jeden Tag sauber. Richtige Dreckmengen gab es auf der Station ja sowieso nicht. Ihre Mutter hielt es anscheinend genauso, obwohl sie früher immer pedantisch darauf geachtet hatte. Vielleicht fühlte sie sich auf der Station auch noch nicht wirklich Zuhause, sondern nur als Gast und folgte den üblichen Gepflogenheiten.


Suki, obwohl durch ihre flippige Art ziemlich an die westliche Kultur angepasst, folgte dieser alten Tradition ebenfalls. Sie hatte wie ihre Eltern direkt neben der Tür ein kleines weißes Regal. Komisch fand May nur wie selbstverständlich Suki mit ihren Schuhen in ihre Wohnung gelaufen war. Naja, wahrscheinlich hatte sie keine entsprechende Ablage gesehen und es einfach angenommen. Von den anderen Piloten würde wohl kaum jemand dieser Tradition folgen. Damals im Dorf war das jedenfalls zwingend nötig gewesen, denn sonst hätte man den Dreck von den sandigen und matschigen Wegen direkt im ganzen Haus verteilt. Auch in dem Heim in denen May für kurze Zeit gewohnt hatte, wurde es so gehandhabt. Der Kommander schlüpfte aus seinen Schuhen und direkt in die weichen Hausschuhe. Dann wurde sie durch die Schiebetür in den Wohnraum geleitet, wo Suki mit einem älteren Herren an einem Tisch saß. Das musste ihr Vater sein. Wieder verbeugte May sich. Sukis Mutter stellte sie vor und so erübrigte es sich, dass May sich selbst erneut als Reiko vorstellen musste, damit Suki ihre Scharade erkannte.


»Sie sind sehr jung dafür das sie mit unserer Tochter zusammenarbeiten.«, merkte Sukis Vater an. »Ich bin auch ganz neu dabei und mache noch Botengänge um alles kennenzulernen.«, erwiderte May: »Eines Tages bin ich vielleicht auch mal so gut wie Suki. Sie müssen sehr stolz auf sie sein.« Suki konnte Zuhause nichts über ihre Arbeit sagen konnte. Soviel wusste May. Besonders Sab legte großen Wert auf Geheimhaltung. Es war aber auch im eigenen Interesse von Suki. Niemand durfte den Wohnort von Angehörigen eines Ray Team Mitgliedes erfahren und je weniger von ihrer Arbeit wussten, desto besser. May war sich sicher sie würde ihnen gerne alles erzählen und so fand sie mit ihren wenigen Worten einen kleinen Kompromiss, der alle Seiten ein wenig zufrieden stellen sollte. Die Worte verfehlten ihr Ziel nicht und auch Suki zeigte sie überrascht von dieser offenen Aussage. »Wir sollten aber jetzt gehen, die Anderen warten.«, forderte May dennoch ohne zu sehr zu drängen zum Aufbruch auf. Suki wurde von ihren Eltern noch einmal innig geherzt und auch von May alias Reiko wurde sich verabschiedet. Schließlich waren sie wieder in ihren Schuhen und Suki hatte ihren kleinen Rollkoffer auf den Flur gezogen. Nebeneinander gingen sie um die nächste Ecke, nur um in einem Lichtstrahl in den Transporter zurückzukehren.


Suki nahm ihre Freundin sofort fest in den Arm: »Danke. Sie fragen immer und ich weiß nie was ich sagen soll.« »Schon gut.«, lächelte May zurück und erst jetzt erkannte Suki, dass sie nicht erkannte wo sie eigentlich waren. »Was ist das hier?«, fragte sie. »Transporterprototyp. Ich mache gerade einen Testflug. Auch mal?« »Machst du Witze?«, fragte Suki ungläubig, merkte aber schnell das May es durchaus ernst meinte. Suki bekam eine kurze Einweisung in die Flugkontrollen und dann ging es sanft in die Höhe. Es dauerte einige Minuten, aber dann hatte ihre ältere Freundin den Bogen raus. May verwandelte sich derweil wieder zurück in die May, die jeder kannte und setzte sich auf den zweiten Sitz. Jederzeit hätte sie über ihre Kontaktlinsensteuerung eingreifen können, aber das war gar nicht nötig. Suki machte ihre Sache für das erste Mal wirklich gut.


Mergy machte unterdessen eine kleine Führung auf der Station. Viel brauchte er nicht sagen, denn die Blicke, die die Menschen machten, wenn sie die vermeintlichen Wunder auf der Station zum ersten Mal sahen waren sich alle ziemlich ähnlich. Eins musste er musste allerdings zugeben. Es erfüllte ihn ein wenig mit Stolz diese Station mit den Anderen gebaut zu haben und sie nun gemeinsam zu leiten. Dieser Stolz wurde von den Blicken der Gäste mehr als nur ein wenig genährt. Die Tour endete im Quartierdeck, wo sie auf Reiko trafen. »Reiko, das ist Daneen. Daneen das ist Reiko. Reiko führt das Dragon Fly auf der Promenade. Daneen wird, wenn sie sich dafür entscheidet, unser Pressemensch.«, stellte Mergy beide vor und machte nebenbei noch eine flappsige Bemerkung zum Beruf des Neuankömmlings. Sie betraten das Quartier neben dem von Reiko.


»Das ist unsere Standardeinrichtung. Die können sie nach belieben abändern. Reinigung der Wohnung und der Wäsche wird automatisch durchgeführt. Alles hier ist stimmgesteuert. Licht! Hier ist das Schlafzimmer und nebenan das Bad. Änderungen an Ausstattung und Farbe ist auch hier in wenigen Minuten möglich.«, fasste Mergy kurz die Eckdaten der Bleibe zusammen. Sab versuchte Mergy über den Kommunikator in seiner Hand zu kontaktieren, aber Mergy ließ Jaque die Verbindung auf den großen Schirm im Wohnraum legen. Tin plante die Hangartore zu warten und zu überarbeiten. Daher wollte sie wissen ob sie den Kampfgleiter umparken soll, oder ob Mergy seinen geplanten Abflug in den nächsten 20 Minuten durchführen wolle. Mergy stellte die Beiden einander vor und meinte sie würden sich langsam auf den Rückweg machen.


Suki und May flogen bereits mehr als 30 Minuten über Tokio und dessen Umgebung. Die frische Transporterpilotin konnte es nicht lassen und zeigte May Orte, die sie aus ihrer Zeit vor dem Ray Team kannte, aber auch echte Sehenswürdigkeiten der Stadt. Wieder meldete sich Sab bei ihnen über Funk und fragte ob sie einen Job übernehmen könnten. Da technisch nichts dagegen sprach und sie eigentlich schon vor Ort waren, flogen sie das ihnen genannte Ziel an. Es war ein Großbrand in einem Hotel. Die meisten Gäste waren bereits über die Treppe nach unten dem Inferno entkommen, aber etwa 60 Leute hatten nur die Wahl auf das Dach zu steigen, da sie keinen Weg mehr nach unten gefunden hatten. Das war fast ein Mustereinsatz aus Mays Trainingsprogramm und so überließ sie Suki die Steuerung. Flammen durchschlugen bereits an einigen Stellen das Dach und ließen keinen Zweifel an der schwindenden Stabilität.


Bald würde die gesamte Dachfläche nachgeben. Also gab May ihrer Freundin die Anweisung an der Dachkante zu parken. May transportierte sich aus dem Schiff auf das Dach, wo sich die Menschen auf den einzigen Ausweg zu drängten. »Die bekommen wir nicht alle mit.«, meldete Suki und May bestätigte. Etwa 30 Leute zwängten sich bereits im Innern, als Suki feststellte, dass sie keine Möglichkeit hatte loszufliegen, ohne das die restlichen Drängler auf dem Dach in die Tiefe stürzen würden. Das war ein Punkt auf Mays Trainingsliste, den die Fluganwärter eigentlich selbst lösen sollten, aber diese Menschen waren keine Hologramme, sondern echt. »Flieg seitlich auf das Dach zu und dränge sie langsam auf die Fläche zurück.«, wies May an. Ein dicklicher Typ versuchte sich trotzdem vorne am Rettungsflieger durchzudrängeln und ein kleines Mädchen stürzte direkt vor Sukis Scheibe in die Tiefe. »Die übernehme ich.«, gab May noch zu verstehen und sprang direkt vor den Augen der entsetzten Suki vom Dach hinterher.


Im Fallen konnte May sehen, wie das Mädchen sie ängstlich ansah und hatte instinktiv eine Lösung. Während sie den Flug mit ihren Fähigkeiten bremste aktivierte sie die Hologrammfunktionen des Transporters. Den hätte sie am liebsten auch benutzt, als sie sich für Sukis Eltern umgezogen hatte, aber dann hätte sie den Transporter unauffällig mit ihn ihre Wohnung nehmen müssen und das es dafür einen passenden Pantoffel gab bezweifelte sie. Es gab einen Lichtblitz und May trug ein Kostüm, welches sie eigentlich erst in einigen Tagen auf Sadis Party tragen wollte und das Jaque noch für sie schneidern musste. Es war eine Figur aus einer Zeichentrickserie, die Sadi so liebte. Eng anliegende Stumpfhosen mit Ringeln in Grüntönen, ein kurzer lila Rock, der Bauch war frei und oben herum trug sie ein grünes Oberteil. Die Krönung waren halbtransparente grünlich schimmernde Flügel auf ihrem Rücken. Wie eine wundersame Fee sauste sie hinter dem Mädchen her. Die Kleine hatte mit offenen Augen die Verwandlung des Kommanders deutlich gesehen und für einen Moment den Sturz vergessen. »Hab dich!«, sagte May noch beruhigend und bremste ihren Fall ab. Ihre kleinen Flügel, die eigentlich niemals in der Lage wären auch nur einen ansatzweise ähnlich schweren Körper alleine zu tragen, stemmten jetzt auch noch das kleine Mädchen. Naja, in Wirklichkeit war es natürlich May mit ihren Kräften und die Flatterteile nur einfach eine Attrappe. Die junge Dame war vielleicht 8 Jahre alt und machte große Augen als sie vor der Gestalt in Grün und Lila auf der Straße stand. Sie war damit nicht alleine. Suki war mit dem Transporter bereits unten angekommen und setzte die erste Ladung Menschen ab.


May flog, dieses Outfit und dann noch die Flügel. Suki war sichtlich verwirrt von dem Anblick. May brachte das Mädchen zu den anderen Personen vom Dach und hob nicht nur vor Suki, sondern auch vor den staunenden Menschen auf dem Platz, einfach Flügel flatternd wieder ab. »Los. Worauf wartest du?«, kommandierte May und Suki erwachte aus ihrer Trance. Schnell war das Fluggerät ebenfalls erneut in der Luft. Die Personen auf der Dachfläche warteten bereits an der Dachkante auf den Rettungsflieger. So konnte Suki unmöglich in Position gehen ohne das weitere Menschen vom Dach fielen. Die anderen Dachteile waren schon so brüchig und rissig. Man konnte Rauch sehen, der durch die unzähligen Spalten und Löcher hinter den ängstlichen Menschen aufstieg. Es war zu gefährlich an einer anderen Seite des Daches zu parken und die Menge diese Stellen überqueren zu lassen.


Da der Kommander nun schon einmal dieses wunderliche Kostüm trug, versuchte sie es wie die Figuren in dieser Fernsehserie machen würden. Naja, May hatte nur einige wenige Folgen zusammen mit Sadi gesehen, aber das Prinzip war wohl immer das Selbe. Vor den Menschen, die jetzt zusätzlich zu ihrer Angst auch noch das fliegende Mädchen bestaunten, schwebend, brüllte May nur »Wind« und drückte sie mit einem Windstoß einen halben Meter zurück. Ziemlich passend setzte sich Suki mit dem Transporter dazwischen und öffnete die Tür.


»May das Orakel sagt da ist noch jemand im Gebäude.«, hörte May Suki in ihrem Kopf sagen. May flog wie eine Libelle von Fenster zu Fenster. Viele waren kaputt und so konnte sie bequem und ohne Reflexionen in die Räume hinein schauen. Es war nicht einfach. Das Feuer verursachte Störungen, weil es den Sauerstoff verzehrte. Für May wirkte es als würde der Zuckerguss schmelzen. Ihre Mutter hatte da wirklich eine ziemlich passende Analogie gefunden. Suki sauste bereits mit dem Transporter Richtung Boden, als May endlich den Mann gefunden hatte. Er war vom Feuer eingeschlossen und saß in einer Ecke. May schwebte in das Gebäude und lief direkt durch das Feuer. Die Sichtverbindung zum Transporter war abgerissen und ihr Holokostüm verschwand flackernd, als sie in das Gebäude eindrang. Mittlerweile war es für sie selbstverständlich zwischen Chip und Superkraft umzuschalten. Beides ergänzte sich meistens sehr gut, oft reichte es die Hände ungeschützt zu lassen um beide Fähigkeiten nutzen zu können, aber hier wollte sie kein Risiko eingehen. Das Feuer war zu dicht und sie würde sich ohne den Schild ihre Hände verbrennen. »Los. Kommen sie!«, sagte May und wartete nicht. Sie zog den Typen auf die Beine. Obwohl er mindestens doppelt so schwer war wie May hob sie ihn auf die Beine und umschloss ihn mit dem Schild. Bevor er wusste was passiert war, waren sie bereits auf der anderen Seite der Feuerwand, wo sich die wieder wie eine wundersame Fee aussehende May direkt mit ihrem Begleiter aus dem Fenster stürzte, was er mit lautem Geschrei untermalte. Erst wenige Zentimeter über dem Boden ließ sie ihn vor der staunenden Menschenmenge auf den Boden plumpsen.


Suki war erneut in der Luft und flog mit offener Tür über dem Platz. May prüfte nochmal ob das Mädchen ihre Eltern gefunden hatte und hob dann ebenfalls sanft und elfengleich ab. In der Tür stehend verwandelte sie sich wieder in die normale May zurück und schloss die Tür des Personentransporters. »May an Ray Team One, Mission erfolgreich ausgeführt.«, meldete May ihren Status und sie flogen ohne hast Richtung Station. Suki hatte jetzt eigentlich eine Erklärung verdient hatte und May überlegte noch, wie sie das am Besten anstellen könnte. Sie hatte noch die Worte ihrer Mutter in den Ohren was die Lügen anging. Suki war ihre beste Freundin und sie wollte sie nicht mehr anlügen, aber ihr jetzt hier die Wahrheit zu sagen, wäre unpassend. Suki kam ihr zuvor und fragte, wie das mit dem Fliegen funktioniert hätte. May traf eine Entscheidung, musste jetzt aber Suki erst einmal auf lustige Art abwimmeln. »Du hast meine wahre Gestalt gesehen.«, startete sie ihre vermeintliche Erklärung: »Jetzt werde ich dein Gedächtnis auslöschen müssen.« May steckte ihre Hand zu Suki hinüber, die sichtlich verwirrt und sogar ängstlich versuchte ihr auszuweichen. May fixierte ihre Freundin mit ihren Kräften auf dem Sitz und setzte eine ernste Miene auf, spürte aber auch die Angst in Suki aufsteigen und beendete die Vorstellung schneller als geplant. Mit drei Fingern klopfte sie auf Sukis Stirn: »Du glaubst auch jeden Scheiß!« »Oh, Gott. Du hast mich fast zu Tode erschreckt.«, brachte die immer noch verwirrte Suki unter schnaufen raus. Während May sich kichernd auf ihrem Sitz rollte.


Sie waren schon im Anflug auf die Station, als beide wieder in der Lage waren ruhig miteinander zu sprechen. »Hast du jetzt noch etwas Zeit. Ich denke ich schulde dir einige Erklärungen.«, wurde May jetzt ernst und Suki merkte schnell, wie wichtig es ihrer Freundin war. Der Transporter landete im Hangar Deck 3. Tin war immer noch da und arbeitete an einigen Geräten. Für Suki war dieser Hangar eigentlich immer das große Ziel gewesen, aber gedanklich konnte sie sich nicht auf den sie umgebenden Raum konzentrieren. Selbst May nahm ihr Schweigen beunruhigt wahr. Ihre Freundin war still und schien überhaupt nicht mitzubekommen, welche wundersamen Dinge um sie herum gestapelt waren. Sie fuhren direkt in Mays Wohnbereich, wo sich May gleich aufs Sofa fallen ließ. Zögerlich folgte Suki. »Hast du immer noch Angst vor mir?«, fragte May schließlich: »Ich kann deine Erinnerungen genauso wenig löschen, wie ich dir dein Hirn aussaugen könnte.« May grinste: »Obwohl mit einem Bohrer und einem Strohhalm – Nein, das wäre dann doch zu ekelig.«


Suki lächelte und setzte sich zu May auf die Couch. Es musste jetzt passieren, auch wenn sie Angst davor hatte ihre beste Freundin zu verlieren. »Du bist meine beste Freundin und ich hatte noch nie eine beste Freundin. Nicht einmal eine richtige Freundin.«, begann May ihre Ausführungen: »Aber ich war nicht ganz ehrlich zu dir.« Mit genauem Blick versuchte sie bei jedem Wort die Gefühlslage ihrer Freundin zu ermitteln. »Du hast heute gesehen wie ich geflogen bin und normalerweise behaupte ich dann immer das wäre ein neues von mir getestetes technisches Gerät. Aber ich will dich nicht mehr anlügen. Ich kann wirklich fliegen. Naja, ich kann Dinge mit meinen Gedanken bewegen und mich selbst eben auch.«, erklärte sie. Sukis Augen wurden groß bei diesem Geständnis. May spürte das sie diese Worte erst einmal sacken lassen musste und legte eine Pause ein. »Wer weiß alles davon?«, fragte Suki schließlich vorsichtig.


»Nur Mama, Mergy, Tin, Trish, Sab, Sandra, Doc, Katie und Jaque.«, gab May die gewünschten Informationen. »Katie?«, fragte Suki und fühlte sich ein wenig übergangen. »Ich musste es ihr sagen. Als Moon damals die Bruchlandung im Hangar gemacht hat, habe ich seinen Kampfgleiter mit meinen Kräften in der Luft gestoppt, sonst wären wir beide von ihm zerquetscht worden. Da konnte ich mich schlecht herausreden und musste es ihr sagen. Sie hat mir versprechen müssen es niemandem zu erzählen. Du bist der erste Mensch, dem ich das freiwillig erzähle, weil ich es wirklich will und weil ich dir vertraue.«, schenkte May ihrer Freundin weiter die Wahrheit ein. Schließlich kam das was May schon vor einigen Sätzen erwartet hatte. Bisher hatte sich noch jeder eine kleine Demonstration gewünscht und jetzt fragte auch Suki nach einen Beweis für ihre Macht.


May rollte mit den Augen nach links, oben und rechts, als würde sie auf etwas deuten. Suki schweifte ihren Blick aber nicht ab und schaute May immer noch direkt an. May grinste und im nächsten Moment erschrak Suki und stieß sich den Kopf. Ohne das ihre Freundin es bemerkt hatte, war das komplette Sofa senkrecht in die Luft angehoben. Sie schwebten bereits einige Zeit unter der Decke, was Suki erst bemerkte als May so dicht flog das ihre Haare das Metall der Decke leicht berührten. May kicherte und Suki war noch dabei ihre Umgebung zu begreifen, während sie sich mit der anderen Hand den Kopf hielt. Wiederholt versuchte sie unter das Sofa zu blicken und den Trick herauszufinden, den May benutzte. »Es ist kein Trick.«, gab diese nur an und legte eine Kohle nach. Mit einem Ruck verschwand das Sofa in der Tiefe und stellte sich augenblicklich an seinen alten angestammten Platz.


Präzise wie die Zahnräder in einem Uhrwerk fielen die Füße des Sofas wieder in die dazugehörenden Abdrücke im flauschigen Teppich. May und Suki allerdings hingen immer noch unter der Decke, wobei Suki krampfhaft wie eine Cartoonfigur ruderte und versuchte sich an der glatten Decke festzuhalten. Es dauerte eine Weile bis sie ihren schwebenden Zustand akzeptierte. Schließlich ließ May ihre Freundin noch einmal durch das Zimmer fliegen und setzte sie sanft auf dem Sofa ab. Wie ein Flaschengeist schwebte dann auch May von der Decke und landete ebenfalls im Schneidersitz auf dem weichen Podest. »Sind wir jetzt noch Freundinnen?«, fragte sie schließlich mit einer bitteren und ängstlichen Stimmlage, während Suki noch dabei war das gerade Erlebte zu verarbeiten und zu sortieren.


»Spinnst du? Mit so jemandem kann ich doch nicht befreundet sein!«, sprang Suki auf und Mays schlimmster Alptraum wurde wahr. »Mit so jemandem!«, hatte sie gesagt und diese Härte in ihrer Stimme. Es fühlte sich an wie ein Dolchstoß mitten ins Herz. Nach allem was sie zusammen schon erlebt hatten kündigte sie ihr die Freundschaft. Tausend Dinge schossen May durch den Kopf. Suki ging zwischen Tisch und Sofa vorbei, während May von ihren Gefühlen erschlagen regungslos da saß. Dann boxte Suki May mit ihrer Faust leicht gegen die Schulter: »Du glaubst auch jeden Scheiß.« May brauchte einige Momente um zu realisieren was hier nun schon wieder passiert war: »Wir sind noch Freundinnen?« »Klar sind wir das!«, erwiderte Suki und nahm ihre Freundin in den Arm. Als sich die beiden voneinander lösten merkte Suki wie groß Mays Angst wirklich gewesen war sie zu verlieren, denn dicke Tränen liefen ihr das Gesicht runter. »Hey, das hattest du nach der Nummer im Transporter verdient. Was ist mit diesem komischen Outfit und den Flügeln? Ist das dein offizielles Superheldenkostüm?«, grinste Suki mit einem warmen, freundlichen Ton und einem Lächeln auf den Lippen. »Sadi macht doch eine Kostümparty. Das will ich da anziehen. Darum war es im Computer. Ich wollte das Mädchen nur beruhigen.«, erklärte May. »Gut das ich das nicht tragen muss. Da würde ich bestimmt fett drin aussehen.«, lachte Suki.


»Lust auf Pizza? Ich hab Hunger.«, fragte May ihre immer noch beste Freundin. Sie stimmte zu. »Jaque, eine Pizza mit Thunfisch, eine mit Salami und beide mit doppelt Käse. Dazu eine Kanne Traubensaft und zwei Gläser.«, orderte May und das Licht im Verteiler aktivierte sich. »Hey, wieso geht das bei dir?«, fragte Suki erstaunt, weil May einfach so und ohne Widerworte feste Nahrung aus dem Spender bekam. May zeigte mit beiden Fingern auf ihre Brust: »Kommander, schon vergessen? Das ist einer der Vorzüge.« Suki wollte aufspringen und die erste Pizza holen, die bereits im Fach lag, aber May zog sie am Shirt zurück. Gerade als sie erklären wollte, was sie vor hatte, da schwebte auch schon der Pizzateller über dem Tisch und setzte zur Landung an.


Wenige Sekunden später trafen auch die restlichen bestellten Dinge ein. »Das warst jetzt aber du, oder?«, fragte Suki immer noch unsicher. May nickte: »Das war jetzt das erste und letzte Mal das ich eine Demonstration gemacht habe. Die Kräfte sind für einen guten Zweck da. Nicht um damit Unfug zu treiben.« May schob sich das erste Stück in den Mund, während Suki noch über den Satz nachdachte. »Du benutzt die Kräfte nicht für dich? Ist doch cool wenn man nicht mehr für alles laufen muss.«, fragte sie nach. »Ich will kein Hündchen sein, das Kunststücke vorführt. Ich will einfach nur ein normales Mädchen sein und auch so behandelt werden.«, machte sie ihren Standpunkt nochmal klar. »Verstanden, Kommander!«, salutierte Suki mit einem grinsen und schob sich ihrerseits das erste Stück hinter die Backen.


Mergy war mit seinem Gast längst auf dem Rückflug und transportierte sich und die Reporterin derweil zurück in ihre Wohnung. »Sie haben zwei Wochen es sich zu überlegen und alles zu regeln. Am 12. um 18 Uhr stehe ich wieder vor der Tür.«, sagte Mergy noch und wartete nicht auf eine etwaige sofortige Entscheidung. Er verschwand ohne weitere Worte direkt zurück auf sein Schiff und wollte überhaupt keine übereilte Entscheidung. Dieser Schritt sollte auch von Seiten des Ray Teams wohl überlegt sein. Außerdem hatte er sie auf eine Probe gestellt. Sie konnte die neuen gewonnenen Informationen an die Presse verkaufen. Es gab zwar keinerlei Beweise, aber sie hatte doch genug gesehen, um damit ihrer Karriere wieder ordentlich Auftrieb zu verschaffen.

Wind des Wandels

Als May die Tür vom Sors durchschritt fiel ihr gleich Mergy auf, der etwas lustlos am anderen Ende der Halle in einem Stück Kuchen bohrte. »Kuchen?«, fragte May Sor direkt und deutete auf Mergy. »Das macht er jedes Jahr genau am selben Tag.«, antwortete Sor. »Gib mir auch eins.«, bat May und wollte dem wiederholten Abraten von Sor nicht Folge leisten. Ohne zu Fragen setzte sie sich mit ihrem Kuchen an Mergys Tisch, der kurz aufblickte und mit Missfallen den Kuchen bemerkte: »Was soll das?« »Das wollte ich dich fragen.«, erwiderte May und machte gar keine Anstalten sich zu entfernen. Tin war auf dem Weg zum Doc, als sie May und Mergy mit dem Kuchen sah. Schnell änderte sie die Richtung und wandte sich an Sor: »Ist es wieder so weit, ja? Hättest du das nicht verhindern können? Er hat mit mir drei Wochen nicht mehr geredet, als ich das gemacht habe.« »Sie wollte es und ich hätte ihr ja auch keine Antworten auf das Warum und Wieso geben können.«, erklärte Sor. »Naja, vielleicht hat unsere Prinzessin ja Glück und lüftet das große Geheimnis.«, gab Tin zu verstehen und setzte ihren Weg zum Doc fort.


»Der Kuchen ist lecker.«, verkündete May und Mergy grummelte nur. »Jemand hat mir mal gesagt, ich könne jederzeit zu ihm kommen, wenn ich was auf dem Herzen habe oder jemanden zum Reden brauche. Das gilt auch umgekehrt.«, erklärte sie mit einem warmen und dennoch bestimmenden Ton. Dann genehmigte sie sich einen zweiten Bissen der Sahne-Schoko Torte. »Anja hat heute Geburtstag.«, erklärte er immer noch etwas widerwillig mit brummigen Worten. May überlegte. Diesen Namen hatte sie auf der Station noch nie gehört: »Anja?« »Aus meinem Heimatdorf.«, blieb Mergy bei seinen Kurzantworten. »Und warum isst du den Kuchen dann nicht mit ihr?«, bohrte May weiter. »Für sie bin ich doch nur ein Witz.«, brachte Mergy heraus. May dämmerte es. Er möchte diese Frau offensichtlich sehr, aber wieso war er ein Witz? »Ein Witz? Du hast das alles hier geschaffen. Du rettest Menschen und gibst ihnen Hoffnung. Du bist doch kein Witz.«, führte seine jüngere Kollegin aus.


Mergy fühlte sich durch die Worte sichtlich geschmeichelt: »Mergy ist vielleicht kein Witz, aber Thomas schon.« Wer war jetzt auch noch dieser Thomas? »Welcher Thomas?« Mergy schmunzelte über die Unwissenheit seiner jungen Kollegin: »Ich bin Thomas Merniger. Zumindest auf dem Planeten da unten.« »Wie kann denn Mergy anders sein als Thomas?«, fragte May nach. »Weil Thomas ein Verlierer ist, der nichts auf die Reihe bekommt. Wie sollte er auch, wenn er nie da ist. Er hat keinen Job und kein Geld. Er war sogar mal einfach für mehrere Monate verschwunden. Frauen wollen Sicherheit für die Zukunft und die kann Thomas ihnen nicht geben.«, erklärte er erstmals richtig ausführlich was ihn bedrückte. »Könntest du ihr nicht einfach die Wahrheit sagen?«


»Würde sie sich in Thomas verlieben oder in die Vorstellung eines Superhelden auf einer Weltraumbasis?«, führte er sein Dilemma weiter aus. May verstand ihn besser als Mergy es vielleicht in diesem Moment erwartete. Sie wollte wegen ihrer selbst von den Leuten gemocht werden und nicht wegen ihrer Superkräfte. Wenn sie jetzt offen zu ihren Fähigkeiten stehen würde, dann hätte sie bestimmt sehr schnell viele neue Freunde, die aber eigentlich nur Super-May wollten und nicht das kleine Mädchen aus dem kleinen Fischerdorf. »Verstehe. Ich will auch das mich die Leute mögen so wie ich bin und nicht wegen meiner Superkräfte.«, erklärte May.


Zum ersten Mal in diesem Gespräch hatte Mergy das Gefühl verstanden zu werden und blickte auf. May machte die gleichen Erfahrungen wie er und wollte eigentlich nur das Selbe für sich. »Erzählst du mir von ihr?« »Sie arbeitet bei einem Arzt in meinem Dorf und ist heute 30 geworden. Sie ist einer von den Menschen, die einen durch ihre bloße Anwesenheit in den Bann ziehen können. Es kann dir noch so schlecht gehen, aber wenn sie dich anlächelt, dann ist alles nur noch halb so schlimm.«, erklärte Mergy und legte dabei so viel Gefühl und Wärme in die Worte, dass selbst May eins klar wurde: Mergy mochte diese Frau nicht einfach nur, sondern er liebte sie über alles. »Vielleicht sieht sie ja eines Tages den richtigen Thomas in dir.«, merkte May an.


Mergy lächelte: »Ja, vielleicht. Danke fürs zuhören. Es hat gut getan einmal mit jemandem darüber zu reden.« »Gern geschehen. Jederzeit wieder.«, lächelte May zu Mergy hinauf, der mit seinem Teller schon aufgestanden war und sich Richtung Tresen aufmachte. »Sor, die letzten zehn Minuten aus deinem Log löschen.«, wies Mergy im vorbeigehen an. Sor hatte die ganze Zeit den Raum überwacht und nach Bestellungen gelauscht. Er hatte seine Worte aufgezeichnet und es wäre ihm sichtlich peinlich, wenn jemand von der Kommandoebene darauf Zugriff bekäme. Eigentlich war diese Aufzeichnung nur eine Notwendigkeit für das Holoprogramm, aber er traute dem Braten nicht und war eigentlich schon immer gegen dieses Spionieren gewesen. Sab hatte damals argumentiert, jeder im Raum könne auch Zeuge eines Gesprächs sein, weil es eben ein öffentlicher Platz sei und somit wäre es nicht so tragisch. Außerdem wurden nur einige Minuten aufgezeichnet und in einer Schleife wieder mit neuen Informationen überschrieben.


May hatte der Kuchen gut geschmeckt. Sie ließ sich von Sor noch einen bringen und setzte ihn sogleich auf ihre Liste bevorzugter Nahrungsmittel. Tin konnte auf dem Rückweg vom Doc nicht umhin ins Sors zu linsen, wo May jetzt alleine am Tisch saß. »Hi, auch ein Stück Kuchen? Der ist wirklich gut.«, fragte May direkt als Tin an den Tisch kam. »Nein, danke.«, lehnte sie das Angebot ab: »Sor hätte dich warnen sollen. Mergy ist ziemlich empfindlich was diese Kuchengeschichte angeht. Mit mir hat er drei Wochen nicht mehr geredet, als ich mich wie du mit einem Stück Kuchen an den Tisch gesetzt habe.« »Schon gut. Nichts passiert.«, gab May zu verstehen. »Hat er dir gesagt was diese Kuchengeschichte zu bedeuten hat?«, fragte Tin erstaunt nach. »Ja, wir haben darüber geredet und ich denke es hat ihm gut getan.«, merkte May an. »Nun, erzähl' schon.«, wollte Tin wissen, worum es bei diesem Kuchending in Wahrheit ging. »Ich fürchte das wäre ihm nicht recht.«, erwiderte May, vernichtete die letzten Krümel ihres Figurkillers, der aber dank der Ray Team Technologie kaum Kalorien enthielt und verabschiedete sich ihrerseits.


Mergy hatte sich auf die obere Promenade begeben und in die Sterne geschaut. Natürlich dachte er immer noch an Anja und auch an May, die abermals so erwachsen gewirkt hatte. Er schaute ins Dragon Fly hinüber, wo Reiko eine Pfanne schweben ließ. »Erwischt.«, rief er in den Raum und die Pfanne krachte laut auf die Arbeitsplatte. »Hast du mich erschreckt.«, gab Reiko an. »Du solltest etwas vorsichtiger mit deinen Übungen sein. May wäre es gar nicht recht, wenn jemand davon erfahren würde.«, erklärte Mergy. Reiko war sich einerseits klar, gerade einen Fehler gemacht zu haben, aber andererseits hielt sie nicht viel davon die Fähigkeiten geheim zu halten, was sie Mergy noch einmal ziemlich deutlich steckte. »Wie würdest du es finden, wenn ich überall erzählen würde, dass ich dich hier nur dulde, weil ich May brauche und nicht weil du gut kochen und ein Lokal führen kannst. Das wäre ziemlich verletzend und würde dein Leben hier ziemlich in Frage stellen. Genau davor hat May Angst. Sie möchte nicht eines Tages feststellen ihre Freunde würden nur wegen der Superkräfte zu ihr halten.«, erklärte Mergy.


»So hab ich das noch gar nicht gesehen.«, zeigte Reiko Einsicht. »May ist ein Schlaukopf.«, grinste Mergy: »Sie weiß genau was sie will. Damals kam sie an und wollte die Pilotenausbildung machen. Ich habe ihr gesagt, sie wäre dafür viel zu jung und dachte damit wäre der Fall erledigt. Einige Monate konfrontierte sie mich erneut damit und wollte einfach so an der Abschlussprüfung für Gleiterpiloten teilnehmen. Ich hab ihr erklärt es wäre kein Spiel. Die anderen Piloten hatten immerhin ein hartes Training abgelegt. Böser Fehler! Daraufhin durfte ich mir detailliert anhören, wie May ganz alleine und ohne Hilfe alle Prüfungen und Tests abgelegt hatte. Sie war fleißiger gewesen als alle anderen. Ihre Ergebnisse waren die Besten von allen. Sie ist vielleicht noch sehr jung, aber sie ist ehrlich, willensstark und hat das Herz am rechten Fleck. Darum hat sie es hier schon so weit gebracht und ich denke eines Tages wird sie den Laden hier übernehmen und ich bin mir sicher er wird in guten Händen sein.« Reiko war sichtlich verwundert über dieses wortreiche Geständnis. Sie wusste wieviel Mergy von May hielt, aber diese Aussage übertraf selbst ihre kühnsten Vorstellungen. Er konnte sich sogar vorstellen May einmal die Leitung des Ray Teams anzuvertrauen. Wow. »Ich denke ich werde dich mal in Ruhe arbeiten lassen, sonst bin ich nachher Schuld, wenn die Leute keine ordentliche Mahlzeit bekommen.«, lachte Mergy und verschwand aus der Tür.


Auf dem Kommandodeck gab es nicht viel zu tun. Die Lage war ruhig und die Piloten hatten alles im Griff. May machte wie so oft ihre Sprachkurse, während Sab den Flugverkehr kontrollierte und die Technik prüfte. Trish sondierte die Kommunikation der Erde. Hauptsächlich Fernsehen und Internet. »Jaque gibt es Neuigkeiten bezüglich Daneen Briel?«, fragte Mergy den Stationscomputer. Er bekam die gewünschte Antwort. Es gab keinerlei Anzeichen dafür, dass die Reporterin mit anderen Reportern geplaudert oder sonst wie Informationen weiter gegeben hatte. »May hast du Zeit? Ich bräuchte einen Transporterpiloten.«, warf er in den Büroraum hinein. May war natürlich sofort dabei. Auf dem Weg zum Hangar erfuhr May von dem Plan offiziell einen Reporter auf die Station zu holen, der über das Projekt berichten würde. Schnell hoben sie ab und setzten Kurs auf den Planeten. Eine Abtastung des Gebäudes brachte schnell Klarheit. Die Reporterin wollte mit auf die Station kommen. Einige Kisten und Koffer befanden gestapelt im Flur. Es waren zwei Personen im Gebäude, die sich offensichtlich anbrüllten. »Klar, du gehst zum Ray Team!«, hörten sie eine Männerstimme brüllen: »Die haben bestimmt Interesse an einer drittklassigen Reporterin! Du bekommst seit Jahren nichts mehr auf die Reihe und jetzt wollen sie ausgerechnet dich? Ist ja zum Todlachen! Wo sind sie denn? 18 Uhr ist längst vorbei.« »Er wurde bestimmt aufgehalten.«, hörten sie ihre neue Mitarbeiterin kleinlaut.


»Bestimmt wieder Stau auf der Milchstraße!«, lachte der Mann wieder hämisch. »Das muss ihr Exmann sein.«, erklärte Mergy. »Sollen wir ihn überraschen?«, fragte May. Mergy grinste. Hatte May doch die gleiche Idee wie er selbst gehabt. »May flog eine Schleife und brachte den Transporter nochmal kurz auf Überschall. Der Knall, gefolgt von einem Mark erschütternden Schrei, überschallte die gesamte Wohnsiedlung. May deaktivierte die Tarnung und setzte direkt vor dem Haus auf, dessen Bewohner längst in der Tür standen. May öffnete die Tür und Mergy sprang aus der Luke: »Tut mir leid, wir sind zu spät. Stau auf der Milchstraße.« Das Gesicht des Typen sprach Bände. Seine Kollegin musste sich richtig zusammenreißen, um nicht in lautem Lachen auszubrechen, als Mergy dem Typen seinen eigenen Spruch ins Gesicht drückte. May folgte und wurde der neuen Mitarbeiterin vorgestellt. Mergy fragte gar nicht nach ihrer Entscheidung, sondern stellte gleich die übernächste Frage: »Die Kisten müssen mit?« Daneen nickte. May ging zielstrebig auf die Kisten zu. Mergy wusste nicht genau was sie vor hatte, denn sie fummelte an den unteren Kanten der Kisten herum. »So, mal sehen ob die Minigrablinge wirklich so gut sind, wie Tin immer behauptet.«, sprach sie noch aus und alle Kisten hoben vom Boden ab und schwebten durch die Tür aus dem Haus.


»Wie ich sehe könnten wir jetzt auch ein Umzugsunternehmen aufmachen, wenn es mit dem Rettungswesen nicht mehr so gut läuft.«, scherzte Mergy, der genau wusste das May hier keine Minigrablinge einsetzte. Kiste für Kiste verschwand ohne anzustoßen im Bauch des Transporters. Den Exmann hatte Mergy komplett ignoriert und Daneen machte es, nach dem Gebrüll vorher, wohl auch nichts aus. »Sollen wir?«, fragte Mergy schließlich und die Reporterin nickte. Auf der ganzen Straße waren die Menschen aus den Häusern gekommen und hatten sich der Szene genähert. May setzte sich erneut auf den Pilotensitz und startete die Flugmaschine. Ihre Jugendlichkeit ließ die Reporterin nicht in Ruhe. Immer wieder schaute sie nach vorne zum Pilotensitz. »Keine Sorge. Sie ist mit Abstand die beste Pilotin die wir haben.«, merkte Mergy an: »Ich muss selbst erst noch lernen, wie diese neuen Dinger überhaupt funktionieren.« May lächelte unbemerkt nach vorne über seine respektvolle Bemerkung und zog den Transporter steil in die Höhe. Wenige Augenblicke später waren sie bereits von Sternen umgeben und steuerten auf die Station zu. Sie bat um Landeerlaubnis und erfuhr das Landedeck 2 ihr Ziel war. So ganz traute man dem neuen Gast wohl doch noch nicht, denn so würde das jetzt ein zusätzliches Umparken des Transporters erfordern.


Unbemerkt von diesen Gedanken saß die neue Medienbeauftragte auf ihrem Platz und schaute mit großen Augen die Station an, die für die nächsten Jahre wohl ihr Zuhause sein würde. May setzte auf dem Deck auf und lud die Ladung aus dem Schiff auf einen echten Grabling den Mergy anscheinend schon bei Jaque angefordert hatte. Daneen und Mergy machten sich auf den Weg zum Doc, während May den Transporter in den Hangar mit den Geheimnissen steuerte und parkte. Schließlich kam sie auf dem Kommandodeck an, wo Sab gerade einen Bericht im Fernsehen ansah. Verzweifelt versuchten Menschen einen Ölfrachter vor dem Zerbrechen zu retten.


Immer wieder wurde er vom Wind und den Wellen auf das Riff gedrückt. Die Texteinblendung im Bild gefiel May nicht: »Ölpest bedroht das Great Barrier Reef« »Sollten wir da nicht helfen? Das ist unschätzbar Wertvoll für das Ökosystem.«, merkte May an und Sab zeichnete sich beeindruckt über das Wissen, das May mittlerweile angehäuft hatte: »Ich hab bereits drei Gleiter geschickt. Die sollen helfen das Öl vom Schiff zu transportieren.« »Das klappt nie. Wenn der Tanker leichter wird, wird er nur noch anfälliger für die See und den Wind. Sie werden ihn mit den Gleitern nie im Leben fixieren können.«, warf May ein. Sab stutzte. Wenn May mit der Annahme recht hatte, dann würde der Tanker zerbrechen bevor er leer wäre. Sab musste sich eingestehen, dass May eigentlich immer Recht hatte, wenn sie eine gewagte Aussage dieser Art traf.


Als sie wieder in Richtung Lift schaute, war ihre Kollegin verschwunden, aber im Büro war sie auch nicht. Jaque konnte sie im Fahrstuhl auf den Weg zum Hangar ausfindig machen. Der junge Kommander würde also selbst eingreifen und ihre Kollegin war gespannt, was ihr kleiner Schlaukopf sich gerade ausdachte. Jaques Berechnungen bestätigten die Annahme von May. Die Gleiter würden es nicht schaffen diese Verseuchung aufzuhalten. Wäre das Öl erstmal im Wasser wäre es ungleich schwieriger es mit dem Transporter zu erfassen, als konzentriert in einem Frachtraum.


»Sab an Stiff, Rom und Mike. Führt einen Scan des Schiffes und des Riffs durch. Versucht das Schiff vom Riff wegzuhalten. Keine weiteren Aktionen.«, versuchte Sab May etwas Zeit zu verschaffen. Der Wellengang war immens. Immer wieder schrammte das Schiff an den scharfen Kanten des Riffs und würde sicher bald seine tödliche Ladung komplett verlieren. Die gelben Ringe, die von einem anwesenden Bergungsteam um das Schiff gelegt worden waren, um bereits ausgetretenes Öl einzudämmen, hatten durch die Wellen schon teilweise ihre Wirkung verloren. Mays Kampfgleiter erschien mit einem lauten Knall über der Bergungsstelle, wo ihre Kollegen bereits auf Anweisungen warteten. Der Tanker Bretang war ebenfalls auf einige hundert Meter herangefahren, aber es war unmöglich bei diesem Seegang eine direkte Schlauchverbindung zwischen den Schiffen herzustellen. Eine Kollision beider Tanker hätte die Lage nur verschlimmert. »Ray Team an den Kapitän der Bretang.«, funkte May das Schiff an. »Hier ist die Bretang.«, hörte sie mit Knacken und Knarzen aus dem Kommunikationssystem. »Bretang, vergrößern sie ihren Abstand zur Shengchi. Wir werden das Schiff vom Riff weg ziehen und dann das Öl auf ihren Frachter pumpen. Schließen sie alle Verbindungen zwischen den Tanks und öffnen sie die Entlüftungen, damit wir gleichmäßig befüllen können.«, gab May Anweisungen. Der Kapitän verstand nicht wie das funktionieren sollte und bot an, seine Männer mit den Schläuche bereitzuhalten, damit die Gleiter sie herüber ziehen können. »Negativ, Bretang. Verbindungen der Tanks schließen. Entlüftungen offen halten.«, wiederholte May ihre Anweisungen. Der Kapitän bestätigte und das Schiff drehte langsam ab. May schwebte bereits über dem havarierten Frachter und wies an die bereits ausgelaufenen Treibstoffe aus dem Wasser zu filtern, bis sie das Schiff in Position hätte. Anmerkungen das ein einzelner Kampfgleiter den riesigen Frachter nie bewegen könne, wiegelte sie nur ab und deutete darauf hin einen Prototyp zu fliegen.


Die drei Gleiter bewegten sich über dem Meer und transportierten das ausgetretene Schweröl und den Diesel aus dem Meer, während May auf die vordere Ladeluke stieg und ihre Arme leicht ausbreitete. Sie holte einmal tief Luft und dann drückte sie mit aller Kraft, aber gleichmäßig gegen das Monster aus Metall. Ein Greifstrahl, der aber nur ein Hologramm war um ihre Kollegen im Glauben zu lassen, ihr Gleiter würde diese Leistung vollbringen, strahlte die komplette Schiffsseite an. Erst unmerklich, dann aber immer schneller bewegte sich die Bedrohung aus der Gefahrenzone. Schließlich kommandierte sie ihre Piloten zwischen die beiden Schiffe und der Transport des Schweröls wurde durchgeführt, während May das Schiff mit all ihrer Gedankenkraft in Position hielt. Mehrere Schlepper trafen an der Unglücksstelle ein und wurden sofort mit dem Frachter vertäut. May spürte wie ihre mächtigen Dieselmotoren ihr buchstäblich die Last von ihren Schultern nahmen. Schließlich waren die Tanks leer und auch der restliche Diesel im Tank für den Motor wurde entleert. Ihre Kollegen hatten den Inhalt einfach auf die Schlepper und den anderen Tanker verteilt.


»May an Bretang. Bergung abgeschlossen. Gute Reise.«, meldete sich May bei dem Kapitän ab und die Männer auf dem Frachter und den Schleppern winkten und jubelten den vier Helden in ihren fliegenden Kisten zu. Erst jetzt nahm May die Reporter in den Hubschraubern über ihren Köpfen war. Sie hatten alles gesehen und aufgezeichnet. Nur das wirklich besondere, das eigentlich Einzigartige, konnten sie mit ihren Kameras nicht einfangen: Ein kleines Mädchen hatte einen komplett beladenen Ölfrachter nur mit ihren Gedanken bewegt. »Gute Arbeit Leute.«, lobte May ihre drei Kollegen und gab ihnen Anweisung die restlichen kleineren Giftansammlungen im Wasser zu entsorgen. Der Einsatz hatte sie viel Kraft gekostet. Es fiel ihr sichtlich schwer in den Gleiter zurück zu klettern und sie war froh nach kurzem Flug wieder auf der Station zu sein. Sie meldete sich noch bei Sab ab und beschloss sich hinzulegen. Sab hatte die ganze Aktion über die Fernsehkanäle gesehen und natürlich war ihr klar, was da unten auf dem Planeten wirklich passiert war. May nahm noch eine kurze Dusche und legte sich erschöpft ins Bett.


»Es ist bereits Zehn nach Zehn. Wo steckt sie? Sie ist doch sonst immer pünktlich.«, fragte Mergy. Sab erklärte ihm die Geschichte mit dem Frachter und musste zweideutig drumherum reden, da die neue Medientante, wie Mergy sie vor der Sitzung genannt hatte, mit am Tisch saß. »Jaque, wo ist May?«, fragte er schließlich. »May liegt in ihrem Bett und schläft. Vitalzeichen normal.«, bekam er die Antwort. »Hast du sie nicht geweckt?«, fragte er nach. »Ich habe es versucht, aber sie reagiert nicht.«, erklärte Jaque. »Ist jemand in der Nähe?«, fragte Mergy deutlich besorgter als noch zuvor. »Sadi und Suki sind auf dem Weg zu ihrer Schicht und erreichen gleich den Lift.«, erklärte Jaque sachlich und neutral wie immer. »Mergy an Sadi und Suki. Mit May stimmt was nicht. Geht in ihr Quartier und seht nach ihr.«, wies er an: »Jaque Türverriegelung aufheben.«


Niemand hätte die zwei Freundinnen jetzt noch aufhalten können. Beide stürmten besorgt zur Tür, die bereits offen stand und schauten hinein. Im Schlafzimmer war es hell, aber May lag immer noch auf dem Bauch unter ihrer Decke und schien zu schlafen. Vorsichtig stupste Suki May an, die erschrocken nach oben schnellte und kurz aufschrie. »Was macht ihr hier? Wie kommt ihr hier rein.«, fragte sie immer noch unsicher umherschauend. Die Beiden antworteten ihr, aber sie sah nur wie sich ihre Münder bewegten. »Lasst den Quatsch.«, muffelte sie die Beiden an, die sich fragend ansahen. Suki schaltete als erstes und schlug mit der flachen Hand auf eine der Schranktüren. May konnte sehen wie die Türen sich unter der Gewalt der Einschläge bewegten, aber sie hörte nichts. »Ich kann nichts hören.«, sprach sie aus, was die beiden Anderen längst vermuteten.


»Was geht da vor?«, fragte Mergy nach. »Wir brauchen den Doc. May kann nichts mehr hören.«, erklärte Suki. May versuchte zu erraten was sie gesagt hatte, aber es gelang ihr nicht. Sie wollte es selbst versuchen und sprang aus dem Bett, um selbst mit der Faust gegen die Tür zu schlagen. Alles begann sich zu drehen. Sadi konnte ihre Freundin gerade noch auffangen und zurück aufs Bett rücken. Ohne die Hilfe ihrer Freunde wäre sie mit dem Kopf auf das kleine Nachtschränkchen neben ihrem Bett gekracht. »Was ist mit mir los?«, fragte May jetzt selbst sichtlich unsicher und ängstlich. Beide zogen die Schultern nach oben und schauten ihre Freundin besorgt an.


Der Doc kam mit Sandra ins Zimmer, welches bei so vielen Personen gleich viel kleiner wirkte als es eigentlich war. »Sie hört nichts und ihr ist schwindelig wenn sie aufsteht.«, fasste Suki die bisherigen Erkenntnisse zusammen. »Ok, ihr wartet draußen.«, wies der Doc an und machte ein paar kleine Untersuchungen, die aber keinen Hinweis auf die Störung ergaben. Der Doc deutete auf May und dann auf sich und Sandra und machte dann mit den Fingern eine laufende Figur nach. May verstand. Sie würden sie mit in die Krankenstation nehmen. Schnell war sie auf der Trage verstaut und eingepackt. Dann ging die Fahrt los. Sadi und Suki folgten den Dreien, wurden aber auf der Promenade von Mergy angewiesen ihren Aufgaben nach zu kommen. Er erklärte sie könnten May später besuchen, wenn es auch Neuigkeiten gäbe.


Mergy selbst machte noch einen Abstecher auf die obere Promenade, wo Reiko das Essen vorbereitete: »Es stimmt was mit May nicht. Sie kann nichts mehr hören und ihr ist schwindelig. Mehr weiß ich auch noch nicht.« Reiko ließ alles stehen und liegen und folgte ihm in die Krankenstation, wo der Doc einen Scan nach dem anderen machte und rätselte. Sab, Trish, Tin und Daneen waren auch eingetroffen. »Ich habe keine Erklärung.«, musste sich der Doc eingestehen. »Würden sie draußen warten?«, war es May, die Daneen nach draußen schickte. Daneen folgte ihren Anweisungen ohne zu zögern und May wartete bis sich die Tür zum Vorraum schloss: »Meine Kräfte sind auch weg.« »Du kannst nicht mal etwas Kleines bewegen?«, fragte Reiko. Jaque stellte die gesprochenen Worte der anderen auf einem Monitor dar, so konnte May wenigstens lesen was die anderen im Raum sagten.


»Nein. Alles weg!«, erklärte May. »Alles? Was meinst du?«, fragte Mergy nach. »Sag es ihnen. Sie sind deine Freunde. Vielleicht ist es wichtig.«, legte Reiko nach. Mergy und die anderen waren von dieser Aussage sichtlich irritiert und May überlegte, ob ihre Mutter vielleicht recht hatte. »Wir können keine Dinge bewegen.«, begann May ihre Erklärung mit einer auf den ersten Blick offensichtlichen Falschaussage: »Wir können Luft kontrollieren und fühlen.« »Luft?«, fragte Mergy nach. »Ja, wir können uns mit der Luft verbinden und alles erfühlen was mit der Luft verbunden ist.«, erklärte Reiko. »Darum kann May auch Dinge bewegen, die sie gar nicht sehen kann.«, merkte Sab an.


»Hmm.«, brachte der Doc wieder eine seiner bekanntesten Aussagen heraus. »Hmm, was?«, fragte Tin nach. »Jetzt ergibt das alles einen Sinn.«, murmelte der Doc an: »Jetzt passt alles zusammen. May hat nicht ihren Gleichgewichtssinn oder ihre Hörkraft verloren, sondern nur ihre Fähigkeit mit der Luft zu kommunizieren.« »Wieso?«, fragte May jetzt selbst erstaunt nach. »Du hast nie mit den Ohren gehört, sondern immer nur mit deiner Fähigkeit. Darum war damals auch der Multifunktionscontroller bei dir so laut. Er musste nur bis zur Haut dringen und nicht bis zum Ohr.«, führte der Doc aus: »Du hast wahrscheinlich noch nie in deinem Leben aktiv mit deinen Ohren gehört. Als Jaque so laut in deinem Kopf ertönte hast du dir auch nicht die Ohren zugehalten, sondern nur deinen Kopf gehalten. Warum ist mir das damals nicht aufgefallen? Das mit dem Gleichgewicht ist wohl genauso und die Frage wieso du ohne Stabilisatoren fliegen kannst erklärt sich damit auch. Dein ganzer Körper ist wie ein großer Sensor für Luftveränderungen. So wusstest du immer im Voraus wie der Gleiter ausbrechen wird und konntest so gegenlenken.«


»Prinzessin der Lüfte. Es war so eindeutig.«, sah Mergy seine Fehlinterpretation ein. »Seit mir nicht böse. Ich wollte–«, brachte May noch heraus, wurde aber von Trish unterbrochen: »Wir verstehen das. Das ist etwas persönliches und eigentlich auch intimes, was man nicht jedem gleich erzählen will.« »Ihr seit aber nicht irgendwer, ihr seit meine Freunde. Es tut mir leid.«, beteuerte May. »Ist schon gut.«, lächelte selbst Sab. »Wie bekommen wir unsere voll funktionsfähige May zurück?«, fragte Mergy den Doc. »Ich würde sagen, die Kräfte kommen von selbst wieder. Vielleicht hat sie es gestern einfach nur übertrieben. Vielleicht ist es nur eine normale pubertäre Reaktion, damit ihr Körper lernt ohne die Kraft auszukommen. Da Reiko die Fähigkeiten noch hat können wir zumindest mit hoher Wahrscheinlichkeit ausschließen, dass May sie für immer verloren hat. Ich wünschte ich könnte mehr dazu sagen.«, gab der Doc zu verstehen: »Ich schlage vor die junge Dame lernt erst einmal selbst das Gleichgewicht zu halten und mit den Ohren zu hören. Der Rest wird sich dann zeigen. Ruhe ist auch wichtig.« Der Doc warf die versammelte Besatzung mit den Worten auch gleich aus seiner Station. Nur Reiko durfte an der Seite ihrer Tochter sitzen bleiben, die sich fragte was jetzt passieren sollte, wo sie nicht einmal mehr etwas hören könne.


Noch auf dem Weg zum Kommandodeck bekamen sie Nachricht von Jaque. Einer der Kampfgleiter war verschwunden. »Nicht noch einer. Das gibt es doch nicht.«, maulte Sab und zitierte Tin auf die Kommandobrücke, während sie sich von Jaque die letzten Positionen geben ließ und einen Gleiter in der Nähe zur Bergung losschickte. »Das ist jetzt der dritte Gleiter, der einfach so vom Himmel fällt. Wir haben Glück das es schon wieder über dem Wasser passiert ist.«, merkte Trish an. »Es ist bereits der Vierte. Gestern hatten wir auch einen. Gut das die Rettungszellen da schlimmere Verletzungen verhindert haben.«, merkte Sab an. Tin und Mergy trafen fast Zeitgleich auf dem Deck ein. »Tin, wie kann das passieren?«, fragte er direkt. »Ich habe keine Ahnung. Wenn ich die Flieger auf der Station intensiv prüfe funktionieren die wieder einwandfrei.«, erklärte Tin. »Langsam erkenne ich ein Muster.« deutete Sab an und zeigte auf den Bildschirm in dem sie die Absturzorte vermerkt hatte und diese von einem Dreieck umschlossen hatte. »Das glaubst du doch jetzt nicht wirklich?«, spottete Mergy. »Wir hatten hier schon seltsameres.« erwiderte Sab. »Das Bermuda Dreieck? Das ist nicht dein Ernst. Unsere Flieger verschwinden auch nicht, sie fallen einfach nur vom Himmel.«, glaubte Trish ebensowenig die Idee einer mystischen Macht, die Gleiter nach unten ziehen würde.


»Es muss einen technischen Grund geben.«, bestand Mergy auf seine Meinung und verschwand wieder im Lift. Sein Weg ging ein paar Stockwerke nach oben. Hier in der Kuppel hatten sie das Studio für Daneen eingerichtet. Naja, eigentlich war es mehr ein Büro mit sensationellem Rundumblick auf die Station. Wie bei den anderen Türmen musste er die letzten Meter über eine Treppe laufen um in die Kuppel zu gelangen. »–Briel und berichte Live von der Ray Team Station – Ray Team One, nein. Hier ist Daneen Briel mit Neuigkeiten vom Ray Team, nein. Guten Morgen, hier ist Daneen Briel auf der Ray Team Raumstation und ich habe keine Ahnung was ich hier eigentlich mache.«, hörte er Daneens Stimme bereits im Treppenschacht. »Das Letzte gefiel mir.«, grinste Mergy als er die Kuppel betrat. »Ohje, wieviel haben sie gehört?«, fragte Daneen unsicher. »Ich denke genug.«, gab Mergy schmunzelnd zu verstehen.


»Das ist ja so peinlich.«, wurde die kleine Frau sichtlich unsicher und lief sogar leicht rot an. »Sie machen das schon.«, lächelte Mergy: »Ich habe sie schon schwerere Dinge meistern sehen.« »Sie müssen wirklich ein Fan sein, wenn sie das glauben.« Daneen ließ sich in ihren Stuhl fallen. Mergy hatte sich schon in einen der beiden anderen Stühle auf der gegenüberliegenden Seite gesetzt. »Ja, bin ich. Ich muss da drei Dinge mit ihnen Besprechen.«, kam Mergy zum eigentlichen Grund seines Besuches: »Erstens. Können wir das mit dem Sie lassen? Für sie ist das bestimmt schwieriger als für mich. Sie waren so viele Male Gast in meinem Wohnzimmer. Es noch etwas surreal ist sie hier leibhaftig zu sehen und dann auch noch so förmlich anreden zu müssen.«


»Sehr gerne.«, kam die erhoffte Antwort und das Gesicht schien durch dieses versteckte Kompliment nochmals leicht an Farbe gewonnen zu haben. »Zweitens. Nimm es unserer Prinzessin nicht übel, dass sie dich eben hinaus geschickt hat. Sie kennt dich noch nicht und wir sind für sie mittlerweile so etwas wie ihre Familie.«, erklärte er. »Ja, ich habe mir mir schon etwas in der Richtung gedacht. Wie geht es ihr?«, fragte sie trotzdem besorgt nach. »Der Doc meint sie wird wieder, aber sie wird wohl erst wieder Laufen und Hören lernen müssen. Wäre schön, wenn du dich, falls möglich, an Kommander May wenden könntest, wenn du Fragen hast. Sie wird sich in der nächsten Zeit ziemlich nutzlos vorkommen und braucht jede noch so kleine Aufmunterung in Form von sinnvoller Beschäftigung.«, gab er Auskunft und gleichzeitig nochmal den Hinweis auf ihren Rang.


»Mache ich und was ist drittens?«, fragte Daneen neugierig nach. »Drittens wird dir nicht gefallen, aber da gibt es keinen Weg drumherum.«, begann Mergy seine letzte Forderung: »Alle Informationen, die die Station verlassen, werden vom Stationscomputer geprüft.« »Geprüft? Du meinst ihr wollt mich zensieren!«, reagierte Daneen wie von einem Reporter erwartet. »Wenn du es so nennen willst, ja. Wir haben die Verantwortung für über 200 Menschen auf der Station und für etwa genauso viele auf dem Planeten. Eine Information zu viel kann auf dem Planeten zu einer Tragödie führen.«


Mergy sah, dass sie ihm nicht folgen konnte und führte seine Erklärungen ins Detail: »Wenn du mein Gesicht ohne die sonst verwendete Brille sendest, dann ist meine Familie, ja, dann sind selbst meine Freunde auf dem Planeten in wenigen Stunden Tod. Jaque wird die Informationen prüfen und gegebenenfalls die Brille ins Bild einfügen. Das ist alles. Gleiches gilt für Technologie. Wir können es nicht erlauben, dass unsere Technik in die Hände dritter fällt. Es mag vielleicht unsinnig klingen, aber wenn dir sage das man mit der Technik eines simplen Autodocs, der nur dazu dient Verletzungen zu heilen, tausende Menschen töten könnte, so ist das wahrscheinlich noch untertrieben. Darum geht an dieser Zensur kein Weg vorbei. Wir wollen nicht die Wahrheit verdrehen, sondern nur uns und andere damit schützen. Wenn unser Personal keine privaten Details nennen will, dann steht es ihnen natürlich auch frei. Ich will hier keinen Paparazzi-Journalismus, sondern richtige wahrheitsgetreue Berichte, Interviews und Geschichten über das Ray Team, das Personal, die Station und unsere Arbeit.« Daneen musste einsehen, dass ihr Interesse eigentlich gar nicht so von dem abwich was Mergy wollte. Sie hätte schon gerne Gesichter ohne Sonnenbrille gezeigt, aber die Gründe für diese Tarnung leuchteten ihr ein.


»Und über die Lage deines Arbeitsplatzes und die Aussicht kannst du dich wohl nicht beschweren.«, gab Mergy noch abschließend zu verstehen, als er bemerkte wie es in Daneen arbeitete. »Ja, das ist wirklich unglaublich. Ich wundere mich weil es sonst niemand wollte.«, erklärte Daneen. »Wir haben auf dem Kommandodeck bereits ein kaum benutztes Büro. Im Keller gibt es eine identische Kuppel, aber da mir wird immer schlecht wenn ich die Treppe hinuntergehe, weil dort die Gravitation gedreht wird.«, erklärte Mergy die Tatsache das die andere Kuppel am Fuß des riesigen Kreisels auf dem Kopf stand. »Darf ich ein paar Fragen stellen?«, fragte Daneen schließlich. »Natürlich. Darum bist du doch hier, oder?« »Wieso gibt es das alles hier? Ich meine woher kommt die ganze Technologie und warum habt ihr das alles aufgebaut.«, stellte sie ihre erste offizielle Frage, die es schon in sich hatte.


»Wir sind ein Haufen von Experten gewesen. Jeder auf seinem Gebiet. Leider standen uns immer öfter Geldmittel und engstirnige Leute im Weg. Ideen werden verworfen, weil man damit keinen Profit machen konnte. Oder die Forschung musste eingestellt werden, weil jemand den Geldhahn zugedreht hatte, dem es egal war wie weit wir waren und was eigentlich das Ergebnis sein würde. Schließlich habe ich Trish und Tin kennen gelernt. Sie waren genau diese Art von Menschen, die einen Großkonzern führen, Millionen verdienen und Entscheidungen treffen, die Anderen nicht passten. Sie bekundeten Interesse an meiner Arbeit und habe ich mich mit ihnen getroffen. Es war schon seltsam. Dieses riesige edle Firmengebäude und dann stiegen wir in den Lift und auf der anderen Seite durch einen geheimen dreckigen und staubigen Ausgang wieder hinaus. Dort hatten sie ihr eigenes Labor. Unabhängig von der Firma. Ich hab gedacht die spinnen, als sie mir von ihren Plänen mit der Raumstation berichteten, aber dank der technischen Wunder, die bereits zur Verfügung standen, hatte ich kein Zweifel an der Machbarkeit. Sie meinten es ernst. So bauten wir unser erstes kleines Raumschiff. Sab kam nur wenig später dazu. Es war der Traum eines jeden Wissenschaftlers, der schon einmal in den Nachrichten den Tod von Menschen gemeldet sah, die mit seiner Erfindung hätten gerettet werden können, wenn sie eben nur jemand gebaut hätte. Als die Repligen-Technologie fertig war, wurde es noch einfacher. Kein Bestellen von Kleinigkeiten, die uns hätten verraten können. Wir konnten nun alles selbst herstellen. In einem Frachtcontainer mit Antrieb sind wir dann Nachts ins All gestartet und haben die Repligens ausgesetzt. Sie haben alles hergestellt, was wir gebraucht haben. Nach einigen Wochen war ein Hangar, die Promenade und ein paar Quartiere fertig. Die Station wurde unser Zuhause. Es war ein erhebendes Gefühl den Fuß auf die Station zu setzten. So muss sich auch Armstrong beim Betreten des Mondes gefühlt haben.«


»Die Station ist also komplett von Menschen gebaut?«, fragte Daneen erstaunt. »Ja.«, lachte Mergy und hielt sich die Hand vor den Mund: »Von fünf Menschen um genau zu sein. Was dachtest du denn?« »Naja, ich dachte das Ray Team hätte sie im All gefunden.«, wurde Daneen erneut rot. »Achso, wir haben uns ein Raumschiff aus der Garage geholt und uns gesagt: 'Hey da könnte eine riesige Station im All parken, die suchen wir jetzt!'« Mergy musste laut lachen und entschuldigte sich anschließend mehrfach für sein Verhalten. Daneen selbst wurde auch langsam lockerer. »Und wie kamen die anderen dazu?«, fragte sie schließlich nach. »Naja, wir haben diverse Hintergrundinformationen gesammelt und damit potentielle Kandidaten gefunden. Dann lief es eigentlich wie bei dir. Ich habe sie besucht und ihnen eine Möglichkeit aufgezeigt ihrem Leben einen Sinn, eine neue Richtung, zu geben.«, erklärte Mergy. »Und ihr habt nie eine Entscheidung bereut?«, fragte Daneen nach und traf ungewollt eine offene Wunde. »Zweimal war ich zu langsam. Als ich die Jungs einsammeln wollte, waren sie bereits tot. Bandenkriege.«, erklärte Mergy nüchtern und mit traurigem Unterton in seiner Stimme.


»Ich sollte jetzt noch mal in der Krankenstation vorbei schauen. Die Stationssitzung werden wir nachholen.«, wimmelte Mergy jede weitere Frage ab und machte sich auf den Weg nach unten. Daneen war sichtlich geschockt und gleichermaßen schuldbewusst dieses Thema aufgebracht zu haben. Das mit einem neuen Leben hatte er mehr als Ernst gemeint und jetzt wurde ihr auch klar, was sie bei einem Interview mit den Piloten zu erwarten hatte. Sie hatten alle ihre kleine Lebensgeschichte und waren Teilweise aus diesem Sumpf des Lebens gerettet worden. In ihrem Kopf bildeten sich erste Ideen für passende Sendeformate.


In der Krankenstation war May zur Beobachtung in eines der Zimmer verlegt worden. »Hey.«, lächelte Mergy durch die Tür. Mays Laune war sichtlich getrübt. Sie strebte nach Perfektion und jetzt konnte sie weder richtig Laufen noch etwas hören. »Jetzt schau' nicht so.«, brachte Mergy zum Ausdruck, dass ihm ihre Sichtweise der Lage nicht gefiel. »Ich kann gar nichts mehr. Ich tauge nicht zu einem Kommander und nicht zu einem Piloten. Ich tauge nicht mal mehr zum Putzdienst.«, maulte May. »Ich kann mir sehr gut vorstellen wie du dich fühlst. Trotzdem bist du ein Kommander und damit immer noch ein Vorbild für andere. Aufgeben gibt es nicht, verstanden?«, wurde Mergys Ton deutlich strenger, aber May ignorierte ihn komplett, was natürlich teilweise dem Gehörverlust geschuldet war: »Woher willst du wissen wie ich mich fühle?«


»Junge Dame, ich weis was es heißt, wenn einem der Arm abgerissen wird und der wächst nicht einfach nach. Habe ich mich je beschwert? Oder haben sich Tin und Trish beschwert? Nein, sie machen weiter und das wirst du auch. Du lernst zu hören und findest dein Gleichgewicht, wie es jeder Mensch auch gemacht hat.« May überlegte. Tin hatte keine Beine mehr, aber was war mit Trish? Bisher wusste sie nur das Mergy und Tin Exoprothesen besaßen. Trish hatte auch welche? »Trish hat auch eine Prothese?« fragte sie unsicher nach. »Ja, sie hat ohne Schutz mehr oder weniger direkt in das Licht der Sonne geschaut und sich dabei die Augen aus dem Kopf gebrannt. Ihre Ersatzaugen sind das Neuste und funktionieren noch nicht wirklich fehlerfrei.«, erklärte Mergy. May musste einsehen, dass ihr Problem, verglichen mit denen der Drei, eigentlich lächerlich war. »Die Stationssitzung ist auf Morgen verschoben und ich erwarte dich pünktlich dort. Daneen wartet immer noch auf ihre offizielle Einführung.«, sagte Mergy noch und verließ den Raum: »Doc verpasse ihr den alten Stuhl von Tin und wirf sie hier raus.« Seine Anweisungen waren hart und auch ein wenig gemein, aber er war der Ansicht May würde der unfreiwillige Sturz ins kalte Wasser gut tun.


Der Doc hätte May im Zimmer lassen können und den Wunsch von Mergy übergehen können, aber er tat es nicht. Sie war ja nicht wirklich krank, sondern musste lernen, was ein Kleinkind schon kurz nach der Geburt lernt. Also zog er den alten Stuhl aus dem Lager und schob ihn in Mays Zimmer. May gefiel schon der Anblick des schwebenden Stuhls nicht, aber sie dachte an Tin und ihre Erzählung wie sie von einer Minute auf die Nächste ohne Beine klarkommen musste. Sie hatte es geschafft und May schwor sich es ihr gleich zu tun. Wackelig, aber bestimmt einfacher als jemand, der keine Beine hat oder diese nicht bewegen kann, wechselte sie vom Bett in den Sitz. Nach einigem Probieren hatte sie die Steuerung ihres neuen Untersatzes im Griff und verschwand wie angewiesen aus der Krankenstation.


In der großen Halle war niemand und auch im Sor war fast nichts los. Ihr Blick fiel auf die Vitrine, die hier seit einigen Wochen stand und von den meisten schon gar nicht mehr wahrgenommen wurde. Darin befand sich ein echter Raumanzug der NASA. May musste lächeln. Mergy hatte ihn geschenkt bekommen, weil er die Explosion einer Trägerrakete beim Start verhindert und den sieben Astronauten das Leben gerettet hatte. Er hatte sich benommen wie ein Junge der gerade sein liebstes Spielzeug bekommen hatte. Jaque hätte ihm jederzeit einen Anzug herstellen lassen können, aber Mergy wollte einen echten und den hatte er nun. »Voll funktionstüchtig.«, wie er immer wieder betonte. Der schwere Anzug war zu klein für ihn und so musste er sich leicht zusammenziehen um überhaupt komplett hineinzupassen. Wie ein Elefant auf Zehenspitzen war der durch das Kommandodeck gelaufen und hatte mit wabernden Armbewegungen Schwerelosigkeit gespielt. May hatte Sab noch nie so herzhaft lachen sehen. Aber es war einfach zu lustig gewesen, wie er da in diesem unförmigen Ding umher torkelte. »Hey.«, sagte eine Stimme neben ihr und May drehte den Kopf. »Hey, du kannst mich ja wieder hören!«, grinste Suki, aber May schüttelte den Kopf. »Ich hab jetzt die Kontaktlinsen drin. Jaque übersetzt alles und blendet es ein.«, erklärte May ihrer Freundin. »Und was ist mit dir los?«, wollte Suki den Gesundheitszustand genauer wissen. »Der Doc meint ich hätte noch nie mit meinen Ohren gehört und jetzt wo meine Superkräfte weg sind, kann ich eben auch nichts mehr hören. Ich soll jetzt lernen mit den Ohren zu hören und habe noch keine Ahnung wie das gehen soll.«, gab May Auskunft und war froh das sie den Schritt gewagt hatte und sich vor Suki nicht mehr verstellen musste. »Irre, du hast nie mit den Ohren gehört?« »Nein, ich wusste es selbst nicht. Ich hatte die Kräfte wohl schon immer und hab sie auch benutzt, ohne es zu merken.« Suki schien ihre Aussage nicht weiter zu hinterfragen. Sie hatte ihr nichts von der Luft erzählt und nur mit Telekinese oder dem gedanklichen Bewegen von Objekten war ihr Hörverlust eigentlich nicht plausibel zu erklären.


»Bleibt es bei heute Abend, oder willst du deine Ruhe haben?«, fragte Suki schließlich nach und spielte auf ihren wöchentlichen Pizza, Film und Freundinnenabend an. »Film vielleicht nicht, aber sonst würde ich mich freuen wenn es dabei bleibt.« »Toll, klar! Aber dann ohne Nachthemd, oder?« May schaute an sich herunter. Das hatte sie komplett vergessen. Sie steckte immer noch in ihrem weißen Nachtgewand mit den Lila-Hasen darauf und wurde rot. »Oh, Mist. Muss los.«, sprach sie noch und sauste mit ihrem schwebenden Gefährt Richtung Lift, der sie direkt verschluckte, während das laute Lachen von Suki die große Halle durchflutete. Ohne Umwege ging es weiter in ihre Wohnung wo sie sich umzog und dann am Terminal nach Methoden suchte, die ihr möglichst schnell zumindest das Hörvermögen zurückbringen sollten.

Herrscherwinde

»Gut dann können wir anfangen.«, leitete Sab die Sitzung ein. »Zuerst einmal möchte ich allen noch einmal Daneen Briel vorstellen. Sie wird hier sowas wie der Stationsreporter und erlaubt den Menschen auf der Erde einen Einblick hinter die Kulissen des Ray Teams.« Sie stellte Daneen noch einmal allen Anwesenden vor und gab ihr die Gelegenheit sich persönlich an ihre neuen Kollegen zu wenden. Mergy nahm mit Freude auf, dass sie allen das Du anbot und es von niemandem eine Abneigung gegen die neue Art von Öffentlichkeit gab. Sab fragte schließlich nach dem ersten Thema. Erstaunlicherweise war es der sonst so stille Doc, der sich als erster meldete und berichtete, es sei gelungen das Chipproblem zu lösen. Alle Probanden hätten den neusten Chip jetzt seit 14 Tagen im Einsatz und wenn auch die heutigen Tests keine Beschädigungen am Material aufweisen würden, wären die Piloten wieder voll diensttauglich. Er lobte nochmal die Zusammenarbeit mit den Piloten während dieser medizinischen Kriese und auch ihre neuerliche Begeisterung für die von May angestoßene erweiterte medizinische Ausbildung.


Gerade als Sab nach dem nächsten Thema fragte, kam von Jaque die Meldung, es habe in Nordkorea ein schweres Erdbeben gegeben. Alle waren sich sofort einig: Bei der Schwere käme nur der direkte Einsatz von Medic One in Frage und so erteilte man dem Doc sofortige Starterlaubnis. Sab fügte noch hinzu er solle die eben so hoch gelobten Piloten als Unterstützung mitnehmen. Trish fragte noch ob sie nicht einige Gleiter als Eskorte mitschicken sollten, aber Mergy wiegelte ab. Nordkorea war ein heikles Thema und er wollte auf keinen Fall eine Provokation auslösen. Wenige Sekunden später rief Jaque bereits das Personal zusammen. Sab beschloss die Sitzung fortzusetzen und erteilte Tin das Wort.


»Das Orakel hat Gestern 'SSE Tin' ausgespuckt. Ich bin mir sicher es bedeutet ich soll die neuen Unterraum-Emitter in die Gleiter einbauen und ich würde das gerne machen.«, erklärte diese. »Sind die den schon funktionstüchtig und sicher?«, fragte Trish unsicher nach. Auch Mergy behagte es nicht diese kaum getestete Technologie jetzt schon in aktuelle und im Einsatz befindende Gleiter einzubauen. Zwar hatte er damit in Kampfgleiter 1 bereits einen Flug zum Mars durchgeführt, aber das Wabern und die Welt hinter dem dunklen Vorhang war fast gänzlich unerforscht.


»Sie sind erst einmal absolut passiv. Ich kann sie so einstellen, dass sie nur über einen Code aktiviert werden können. Außerdem benötigten die Emitter keinerlei Energie, wenn sie nicht aktiviert werden. Der Einbau ist simpel. Da sie an die Energieversorgung der Waffensysteme gehängt werden, brauchen sie keine eigenen Reaktoren und auch nur sehr wenig Platz. Wenn wir den Piloten nichts davon sagen, werden sie es nicht einmal bemerken. Das Orakel hat bisher nie etwas einfach nur so gesagt. Vielleicht ist diese Modifikation für einen kommenden Einsatz wichtig?«, führte Tin ihre Argumente weiter aus.


Die Tatsache das die neuen Bauteile nur passiv im Gehäuse baumeln würden, beruhigte die Anderen und Tin bekam grünes Licht für ihre geheime Aktualisierung der Flotte. Daneen bekam einen langen Hals und schaute an May vorbei durch die Kommandozentrale hindurch aus dem Fenster. Medic One drehte direkt vor dem Fenster in Richtung Erde und zwei weiße Kampfgleiter eskortierten sie. »Ist schon beeindruckend, oder?«, kommentierte Mergy ihren Gesichtsausdruck. »Tut mir leid, aber das hier ist einfach alles so unglaublich.«, gab Daneen zu verstehen.


Sab riss das Wort erneut an sich und May ergriff die Aufforderung nach einem weiteren Thema, was besonders durch ihre aktuelle Situation einmal mehr überraschte. »Wir sollten in den Hangardecks, direkt vor den Kontrollpulten einen Greifstrahlwerfer einbauen, der im Notfall die Gleiter abbremsen kann. Ich kann aus eigener Erfahrung sagen, dass es nicht sehr angenehm ist einen Kampfgleiter unkontrolliert auf sich zufliegen zu sehen. Unter dem Deck sind nur Versorgungsschächte. Es sollte also keine Probleme mit der Anbringung und der Energieversorgung geben.«, schlug May Änderungen am Landedeck vor. »Ich hatte schon an einen Schutzschild vor der Konsole gedacht, aber es spricht nichts dagegen beides zu kombinieren. Doppelte Absicherung für Pilot und Deckpersonal.«, merkte Tin an. »Gut, wer ist noch dafür? Damit erübrigt sich wohl die Gegenfrage. Tin kümmerst du dich um den Einbau?« »Ja, kann aber ein paar Tage dauern. Ich muss noch einige andere Probleme lösen. Die Transporter sind auch noch nicht komplett fertig.«, bestätigte Tin. »Ich denke wir sollten das vorziehen. Transporter können wir vom Einsatz ausnehmen, die Hangars nicht. Die Sicherheit unserer Leute geht vor.«, mahnte Sab und Tin fügte sich, immer noch Mays Absturz am Südpol vor Augen, ihrem Wunsch und setzte die Änderung ganz oben auf ihre Liste.


Da niemand mehr einen Punkt vorzubringen hatte, beendete Sab die Sitzung. May schwebte mit ihrem Stuhl auf direktem Weg in den Lift. Sie wollte in einer der Holokammern an ihrem Gehör arbeiten. Mergy und Daneen nahmen zusammen den zweiten Lift und der Kommander fragte nach ihrer Meinung zur Stationssitzung. Daneen erklärte, sie hätte bei weitem nicht alles verstanden hat, was da besprochen wurde, aber sie zeigte sich dennoch angetan von dem Respekt der May entgegen gebracht wurde. Mergy konnte nicht umhin darauf zu verweisen, man könne May nicht nach normalen Maßstäben und schon gar nicht nach ihrem Alter einordnen. »Was ist?«, meldete sich Mergy leicht genervt, als ihm schon wieder Sab ins Ohr trällerte: »Spinnen die? – Nein, das erledige ich selbst. Sechs Piloten sollen sich zum Abflug bereit halten.« Daneen lauschte dem halben Gespräch, konnte sich aber nicht so recht einen Reim darauf machen was los war.


»Neues Ziel, Hangardeck 2!« »Was ist los?« »Die nordkoreanische Regierung hat beschlossen mit allem was sie haben auf unser Lazarettschiff zu schießen, um es zur Landung zu zwingen, während am Boden ihre eigenen Leute sterben. Sieht so aus, als bekämst du schon jetzt deinen ersten Außeneinsatz.«, erläuterte Mergy die Sachlage. »Ich brauche doch einen dieser Sparx für die Aufzeichnungen.«, wurde Daneen unsicher, um nicht hinterher ohne Material da zu stehen. »Die Gleiter zeichnen alles auf. Du sollst nur alles mit eigenen Augen sehen, damit du es verstehst.« Drei der Piloten waren bereits anwesend, die anderen folgten wenige Sekunden später. »Also Abflug, Anweisungen gibt es unterwegs.«, kommandierte Mergy noch und deutete auf Kampfgleiter 1. Daneen verstand den Wink und setzte sich hinein. »Wir haben bereits Startfreigabe.«, vermeldete Mergy über Funk und die sieben Gleiter schossen aus dem eckigen Loch ins kalte All Richtung Erde.


»Ok, Medic One wird von den Nordkoreanischen Truppen angegriffen. Unsere Waffensysteme bleiben abgeschaltet. Aktiviert die Medi-Lackierung. Wir werden ihnen nicht den Gefallen tun und diese Schlacht mit Waffengewalt beenden.«, gab er an. Einer der Piloten fragte direkt und ohne Umschweife, wie sie denn dann Medic One helfen sollten. Mergy gab an sich etwas zu überlegen, als sie bereits in der Ferne die Raketen und Geschosse in den Himmel fliegen sahen. Einige Kampfflugzeuge umkreisten die Szenerie. Im Anflug konnte man sehen, wie die echten Medigleiter bereits über der Station auf eine Möglichkeit zur Landung warteten. Wegen dem Dauerbeschuss der Angreifer konnte die Station ihre Schilde nicht gefahrlos senken und die Gleiter konnten nicht landen. Die komplette Rettungsaktion war ins Stocken geraten. »Ok, ich übermittle ein Transportermuster. Fliegt über die Angreifer und benutzt das Muster für den Transport. Jagt die überschüssige Energie durch eure Schilde. Sofort begannen die Piloten die neuen Anweisungen umzusetzen. Mergy steuerte direkt auf einen Panzer zu, der auf einem Hügel das Feuer jetzt gezielt auf den sich nähernden Kampfgleiter zu richten schien. Mit lautem Krachen explodierte ein Geschoss beim Auftreffen auf dem vorderen Schild in einem Feuerball, der kurzzeitig das komplette Flugschiff umwirbelte und es dabei leicht schüttelte. Mergy steuerte seinen Gleiter weiter auf den Panzer zu, der erneut eine Granate direkt vor den Gleiter katapultierte. Die Blicke der Soldaten sprachen Bände, als der weiße Gleiter direkt und unversehrt aus der Flammenhölle auftauchte und mit einem lauten Schrei langsam und provokativ über ihren Köpfen eindrehte. Mergy aktivierte den Transporter und der Panzer hörte auf zu Feuern. Auch die Soldaten, die bisher verzweifelt mit ihren Maschinenpistolen und Panzerfäusten auf den Gleiter geschossen hatten, waren plötzlich Problemen an ihren Waffen konfrontiert.


Auch im Umkreis wurden wurden die auf Medic One anfliegenden Geschosse weniger und weniger, bis es schließlich fast still war. »Sie haben aufgehört zu feuern.«, merkte Daneen an. »Mergy an Medic One, obere Schilde senken. Nein, haben sie nicht. Ihre Munition ist nur faul.«, erklärte Mergy: »Ich habe alle Treibmittel der Raketen und Geschosse durch Sand ersetzen lassen.« Daneen brauchte einen Moment um den zweiten Teil des Satzes als speziell für sie zu erkennen. Mergy legte zur Untermalung seiner Aktion eine Geschützbatterie auf den Schirm in der Frontscheibe. Man konnte deutlich das hektische Treiben der Soldaten sehen, die krampfhaft versuchten ihre Waffen wieder feuerbereit zu bekommen. »Entwaffnen ist mir lieber als schießen.«, grinste Mergy und setzte mit dem Gleiter auf der Krankenstation auf: »Stiff übernimm die Gleiter und helft bei der Suche und Bergung.« Einer der echten weißen Gleiter hatte gerade auf einer anderen Landemarkierung aufgesetzt, als sie ihren Gleiter verließen. Der Pilot half zwei Frauen aus dem Fluggerät. »Die Beiden übernehmen wir.«, erklärte Mergy an und nahm die Frauen an jede Seite, während Daneen sich direkt unter den Arm einer der Frauen einhängte und auch ihr anderes blutendes Bein entlastete.


Im Krankenbereich waren die anderen bei der Arbeit. Selbst einige der Geretteten kümmerten sich um die Verletzten. »Transportringe einsetzen, Piloten herausholen und die Jäger mit den Schilden zerstören.«, wies Stiff der Piloten an und folgte damit dem Ansinnen von Mergy: »Stiff an die koreanischen Kampfflugzeuge, es ist sinnlos einen Kamikazeangriff zu fliegen. Unsere Gleiter werden dabei nicht einmal beschädigt.« Es half nichts. Der erste Flieger steuerte direkt auf Medic One zu, aber ein Gleiter ließ ihn in seine Unterseite krachen. Eine riesige Explosion umgab für einen kurzen Moment den Gleiter, der sich wie ein Mahnmal der Unzerstörbarkeit seinen Weg aus dem gleißenden Licht des Feuers schnitt.


Weitere Flugzeuge griffen auf die gleiche Art und Weise an. Ihre Waffen waren wie die der Bodentruppen nicht mehr funktionsfähig und so sahen sie in der direkten Kollision, die einzige Chance wenigstens etwas Schaden anzurichten. Etwa 15 weitere Flugzeuge wurden so durch die Gleiter zerstört ohne auch nur einen Schuss abzufeuern. Die verwirrten Piloten wurden einfach bei ihren nicht minder konfus agierenden Kameraden am Boden abgesetzt. Durch das Ausbleiben weiterer Feuergefechte trafen endlich auch viele Helfer auf dem Landweg ein. Die Gleiter konnten wieder bei der Suche nach Überlebenden helfen und tasteten das Stadtgebiet nach Verschütteten ab. Wie am Fließband wurden Menschen auf die Krankenstation und wieder auf die Erde zurück gebracht. Mergy und Daneen halfen auf der Station aus so gut sie konnten. Mergy hatte durchaus Erfahrung in der medizinischen Versorgung, aber für Daneen war das alles Neuland. Mergy zeigte ihr die wichtigsten Handgriffe zum Versorgen der einfacheren Wunden. Komplizierte Brüche überließen sie dem Doc und Sandra.


Mehr als sechs Stunden wurden Verletzte geborgen. Zuletzt wurden mehr und mehr leicht Verletzte auf die Station gebracht, bis Mergy die weitere Suche abblies. »Ich möchte dir etwas zeigen.«, gab er Daneen zu verstehen und sie folgte ihm in seinen Gleiter. Mergy steuerte ein kleines Feld am Stadtrand an, an dem die Gleiter ihre Patienten entließen. Das hatte sich herumgesprochen und hunderte von Menschen warteten hier auf ihre Verwandten und Freunde. Zwei Frauen und ein Kind wurden gerade auf den Platz transportiert als sie eintrafen. Sie wurden sogleich von mehreren Personen herzlich in Empfang genommen. »Du hast mich gestern gefragt, warum wir das alles machen. Sie es dir an. Darum machen wir das!«, gab Mergy zu verstehen. Daneen sagte nichts dazu, sondern nahm mit den Augen die sich vor ihr abspielenden Dinge schweigend auf.


Der Doc vermeldete über Funk alle auf Medic One behandelten Patienten seien bereits abtransportiert worden. Mergy formierte die Gleiter links und rechts von der Krankenstation. Wie eine riesige Vogelmutter mit ihren Kleinen setzte sich die gigantische medizinische Zentrale unter mächtigem Grollen in Bewegung. Da dem Kommander die ganze Situation um die Rettungsmission mächtig stank, wählte er einen Kurs, der gezielt über das politische Zentrum des Landes führte. Gegenwehr gab es kaum. Einige Waffen wurden zwar auf die Retter abgefeuert, aber seitens der kleinen Armada komplett ignoriert. Die vereinzelten Raketen waren wie Mückenstiche auf der Haut eines Elefanten und genauso klein wie Mücken durften sich die Regierungsvertreter jetzt gerade vorkommen.


Sie hatten alles eingesetzt, keinerlei Effekt damit erzielt und würden in den nächsten Wochen und Monaten dafür von der internationalen Politik und Presse heftigst kritisiert werden. Daneen war nur ein vergleichsweise kleines Rad in der Maschine, die durch diese Aktion in Bewegung geraten war. Sie würde die Aufzeichnungen vertonen und mit ihrem Wissen der Welt vor Augen führen. Mergy hatte keine große Eile zog seine kleine Machtdemonstration in die Länge. Fast 20 Minuten dauerte es bis die kleine Flotte Nordkorea überflogen hatte. Erst dann zog er die Formation fast senkrecht nach oben und setzte direkten Kurs auf die Raumstation. Jaque übernahm die automatische Ankopplung der Krankenstation, während die Gleiter in den Hangar zurückkehrten.


»Leute! Das war gute Arbeit da unten.«, lobte Mergy noch seine Piloten, bevor sie im Lift verschwanden. »Ich denke du hast jetzt einiges zu berichten.«, wendete sich Mergy an Daneen, die immer noch nicht so recht begriffen hatte, was hier heute, an ihrem ersten Tag, schon alles passiert war. Mergy verließ den Lift im Quartierdeck, während Daneen direkt ihr Büro ansteuerte, wo sie gleich das Material sichten wollte. Es dauerte einige Momente bis sein Klingeln Wirkung zeigte und sich die Tür zu Mays Wohnbereich öffnete. Eine frustrierte und muffelige May begrüßte ihn und erklärte sie hätte keine Ahnung, wie sie lernen solle mit den Ohren zu hören. Mergy machte ihr Mut und schlug vor mal eine Idee von ihm zu probieren. Wenige Sekunden später saß May ihm gegenüber und streichelte mit den Händen um ihre Ohren. »Jetzt konzentriere dich auf die Berührung.«, wies er an und May fühlte die Finger, die sanft an ihren Ohren entlang fuhren. »Jetzt taste weiter nach innen und fühle die Finger.« Schließlich hatte sie mehrere Finger, die im Innenbereich der beiden Ohren herum strichen.


Plötzlich zuckte sie zusammen und riss die Augen auf. Mergy beobachtete, wie sie es erneut versuchte und augenscheinlich wieder die Reaktion bekam, die sie abermals nicht erwartet hatte. »Ich glaube, ich hab etwas gehört. Ganz kurz.«, merkte May unsicher an. »Dann ist meine Aufgabe erledigt und Doc Mergy geht wieder hinaus in die weite Welt, um weiteren Menschen zu helfen.«, sprach er mit heroischem Ton, den May leider nicht hören konnte. Sonst wäre sie sicherlich in lautem Lachen ausgebrochen. »Woher wusstest du, wie das geht?«, fragte May. »Naja, wenn ich mich auf das Hören konzentriere, dann denke ich an meine Ohren und fühle ihre Haut. Daher dachte ich es würde dir auch helfen. Naja, mit einer richtigen Berührung, weil du die ja spüren kannst.«, erklärte Mergy. May grinste und Mergy verschwand aus der Tür und ließ eine deutlich positiver gestimmte May zurück.


Auf der Krankenstation waren die Aufräumarbeiten in vollem Gange. Der Doc hätte sicherlich Jaque das Sortieren des Equipments übernehmen lassen können, aber er fand es wäre sinnvoll, wenn sich das Personal nicht nur auf die Maschine verlassen würde. Außerdem musste jeder wissen, wo alles gelagert wird, um im Notfall schnell Zugriff darauf zu erlangen. Nichts desto trotz erledigten die vielen Hände die Arbeiten sehr schnell und es dauerte nicht lange, da sah der Raum abgesehen von Dreck, Blut und anderen Dingen auf dem Boden wieder manierlich aus. Jaque würde später sowieso alles komplett reinigen und fehlende Ausrüstung ersetzen. Gerade als Mergy den Raum betrat entließ der Doc die versammelte Mannschaft, nicht ohne auch selbst ein Lob über ihre Leistung auszusprechen. »Hast du es ihnen schon gesagt?«, fragte Mergy. Der Doc überlegte kurz und pfiff sofort alle zurück. »Tut mir leid, ich mache es kurz. Mit sofortiger Wirkung seit ihr wieder voll diensttauglich.«, gab er der leicht unzufriedenen Meute zu verstehen. Die Stimmung schlug wie erwartet gleich rapide ins Gegenteil um und trotz ihrer Müdigkeit brachen sie in Jubel aus und stürmten zurück in die Station.

Sturm des Hasses

May kämpfte sich in den nächsten Wochen durch die ihr vom Leben neu gestellten Aufgaben. Es dauerte, bis ihre Ohren die eigentlich für Menschen normalen Funktionen selbstständig übernahmen. Ihre Superkräfte blieben allerdings verschwunden. Auch die diversen Flugtrainings, die sich nun mit aktivierten Stabilisatoren durchführen musste, weil sie nicht mehr in der Lage war ohne zu fliegen, verliefen nicht nach ihrer Zufriedenheit. Sie war nicht wirklich schlecht und immer noch eine der Besten. Aber sie war früher deutlich besser und das Wissen darum ließ sie nicht aufgeben. Das Bestehen der ganzen Prüfungen hatte viel länger gedauert als zuvor. Sie schaffte zwar alle Aufgaben in der höchsten Schwierigkeit, aber es war ihr unmöglich auch nur ansatzweise ihre eigenen Rekorde zu erreichen.


Sie war jetzt normal und gewöhnlich. Eigentlich war es genau das, was sie immer wollte, aber sie vermisste doch ihre sonst selbstverständlichen zusätzlichen Möglichkeiten. Sor werkelte hinter seinem Tresen und einige Piloten saßen an den Tischen. May hatte das Sor fast erreicht, als es auf einen Schlag dunkel wurde. May vernahm noch ein paar erschrockene Schreie. Geschirr krachte laut klappernd auf den Boden und dann war es für einen Moment still. »Was ist los?« »Was ist passiert?«, hörte sie ihre Kollegen im Hintergrund rufen. Schnell eilte sie die Treppe nach oben und schaute aus den Fenstern. Alles war dunkel. Die komplette Station war nicht mehr in Betrieb. »Als hätte jemand den Stecker gezogen.«, dachte May noch, als sie ein lautes Rumpeln auf der anderen Seite aufhorchen ließ.


Im ersten Moment konnte sie nicht sehen, was passiert war, aber wenige Augenblicke später sah sie einen Kampfgleiter, der wohl auf Höhe der Promenade gegen die Station gekracht war. Durch den Impuls drehte er sich nun wieder von der Station weg. Es war im Inneren kein Licht zu sehen. Er war auch ausgefallen. Genau wie Tin die Gleiterausfälle wiederholt beschrieben hatte, wenn Sab mit ihrer Bermuda Dreieck Geschichte ankam. Aber jetzt war alles betroffen. Ja, wirklich alles. Sie konnte die Kontaktlinsen nicht mehr aktivieren. Ihr Sichtfeld blieb klar. »Was ist passiert?«, fragte plötzlich eine Stimme von Hinten. May hatte immer noch leichte Probleme die Stimmen den Menschen zuzuordnen, weil es mit den Ohren doch etwas anders klang als mit ihrem Supergehör.


Die Stimme gehörte ihrer Mutter, die sich ebenfalls fragte was los wäre. »Woow!«, ertönte hinter ihnen noch eine Stimme. Honk schwebte an ihnen vorbei und krachte direkt in die Wand über dem Dragon Fly Schild. »Wieso schwebt ihr nicht?«, fragte er schließlich, als er über den Köpfen der Beiden etwas klarer wurde. Erst jetzt bemerkte May zwei Dinge. Erstens die Chips in ihrem Körper funktionierten auch nicht, denn Honk sprach English mit ihnen und zweitens stand sie fest auf dem Boden. Sie war ganz normal nach oben gelaufen und auch ihre Mutter stand sicher auf ihren Füßen, als wenn nichts ungewöhnliches mit der Gravitation passiert wäre. »Bestimmt Restenergie in den Emittern.«, erklärte May zweisprachig und ihre Mutter verstand. Reiko stellte ihre Luftverbindung ab und auch May fühlte die so lange vermisste Verbindung wieder, die sich unabsichtlich aufgebaut hatte. Schließlich schwebten auch die Chongs im Raum. Honk stellte keine weiteren Fragen mehr, schluckte die kleine Scharade und stieß sich mit einem lauten »Woooh!« von der Decke ab. May dachte nach. Wenn die Gleiter keine Energie mehr hätten, dann würden die Piloten darin bald ersticken. May erschrak und schaute aus dem Fenster. Wenn die Sicherheitsschilde der Hangars auch ausgefallen waren, dann wäre jeder im Hangar bereits ins All gesaugt worden und ohne den schützenden Körperschild bereits tot.


Sie konnte nichts sehen, aber das war dank des schwarzen Hintergrundes auch nicht wirklich verwunderlich. Etwas weißes tauchte in ihrem Blickfeld auf und May brauchte einige Momente um zu realisieren, was es war und das es sich nicht dort draußen befand, sondern hinter ihr. Es war die Vitrine mit dem Raumanzug von Mergy, der in seinem Gefäß durch die Halle schwebte und sich in der Scheibe spiegelte. Mays Gedanken kreisten. Wenn das hier das Gleiche war, was die Gleiter abgeschaltet hatte, dann lag Sab nicht wirklich falsch und die Lösung musste wirklich im Bermuda Dreieck zu finden sein, denn dort hatte alles angefangen. Aber wie sollte da jemand ohne Gleiter hinkommen. Die Gleiter auf der Erde konnte sie nicht kontaktieren und herfliegen konnten sie auch nicht ohne selbst auszufallen. Trotz der ernsten Situation musste May schmunzeln. Sie konnte trotz der Tonnen von Metall zwischen ihr und Mergy förmlich seine Gedanken spüren. Er hasste es wenn die Station ausfiel und das war jetzt schon das dritte Mal. Diesmal allerdings war es wirklich ernst. Ihre Freunde in den Gleitern hatten nicht genug Zeit die Lage auszusitzen. Erneut fiel Mays Blick auf den Anzug. »Voll funktionsfähig.«, murmelte sie, warf noch einen Blick aus dem Fenster und hatte eine Entscheidung gefällt.


Bekannte Formeln ihres Unterrichts verbanden sich fast magisch vor ihrem inneren Auge. Positionen, Geschwindigkeiten und Massen rauschten durch ihren Kopf. Sie hatte die Mathematik immer gehasst, aber jetzt erkannte sie zum ersten Mal, wie hilfreich es war die Umgebung berechnen zu können. »Ich muss mich beeilen, sonst ist Hangar 3 am Sprungpunkt vorbei!«, murmelte sie zu sich selbst. Mit ihrem Gewicht und unterstützt durch ihre geheime Fähigkeit drückte der kleine Kommander die Plexiglaskiste wieder unsanft auf den Boden der Promenade, wo die Plastikscheiben auseinander flogen und sich schwebend im Raum verteilten. May schnappte sich den Anzug, der wirklich schwerer war, als er aussah, auch wenn sie jetzt nur die wuchtigen Ausmaße in der Bewegung einschränkten. Sie öffnete die Tür zum Treppenhaus des Kerns.


Lange war sie nicht mehr hier gewesen. Damals bei ihrem Trainingsmarathon hatte sie die Treppen als Abwechslung genommen, aber als sie versehentlich eine Stufe verfehlte und mit dem Kopf zuerst hinunter gestürzt war, war die Treppe keine Option mehr. Wie ein Affe hatte sie schnaufend vor Schreck an dem Geländer gehangen, während ihre Füße noch einige Stufen höher klemmten. Jetzt waren die Treppen kein Hindernis. Sie beachtete sie gar nicht und flog, unterstützt von der fehlenden Gravitation, mit alter Kraft durch den Tunnel nach unten. Die Lifte der Promenade führten durch den Träger 1 der Station. May musste in Hangardeck 3. Sie hoffte das die Tore dieses geheimen Bereiches wie immer geschlossen waren, wenn keine Tests oder Transporterflüge anstanden. In einem der Zwischendecks lief sie zum nächsten Träger durch und setzte ihren Weg nach unten fort. Ihr Weg führte sie durch unzählige Türen und Tore, die sich für einen unbedarften Beobachter automatisch vor ihr öffneten und hinter ihr schlossen. Natürlich setzte sie auch hier ihre wiedergewonnenen Kräfte ein um dem Federmechanismus entgegen zu wirken, der die Türen ohne Energieversorgung fest geschlossen hielt. Am Hangartor stoppte sie und öffnete die Tür nur einen kleinen Spalt. Es passierte nichts. Als sie den Hangar betrat schwebten die Kisten, Fluggeräte, Roboter und sonstigen Gegenstände, die nicht fixiert waren durcheinander im Raum.


Auf dem Kommandodeck saßen, oder besser schwebten, Mergy, Trish und Sab fest und versuchten den Grund für die Störung zu finden. Mergy war, wie schon von May vermutet, ziemlich ungehalten über die Situation. Er hatte sich bereits seinen ebenfalls nutzlosen Arm abgenommen und lautstark in die Ecke geknallt. Zumindest hatte er es versucht. Die nicht mehr vorhandene Gravitation machte selbst diese Aktion zu Nichte. »Ich kann Gleiter sehen, die antriebslos im All treiben.«, merkte Sab an: »Es ist einfach alles ausgefallen.«


May rückte derweil die Ausrüstung mental in eine Ecke und verkeilte sie mit den anderen Dingen, die fixiert waren. Ein paar Spanngurte brachten zusätzliche Sicherung der geheimen Ausrüstung. Das kostete zwar Zeit, aber wenn sie das Tor öffnen würde, würden sie so nicht ins All geschleudert und zu tödlichen Geschossen werden. Das Tor war mächtig. May war sich trotzdem sicher. Mit ihrer Fähigkeit würde sie die übergroße Luke öffnen können, aber dann wäre sie ohne Schutz. Sie würde ersticken oder erfrieren bevor sie mit dem Aufsperren fertig wäre. Nur kurz dachte sie nach und ging gedanklich das Inventar der Lagerräume durch. Es gab allerlei Waffen, die aber allesamt nicht funktionieren dürften. Dann erinnerte sie sich an den Lagerraum mit allerlei altem Kram und dort befand sich eine Kiste mit Schneidladungen und Sprengzündern. Ohne Zeit zu verlieren machte sie sich auf und stürmte den Lagerraum, dessen Ordnung durch die fehlende Gravitation bereits komplett durcheinander geraten war. May schwebte zwischen den Kisten umher und suchte nach der der Nummer 472. Die Kisten änderten ständig ihre Positionen im Raum und drehten sich langsam um ihre eigene Achse und umeinander. May dachte erst es wäre das Beste die Kisten alle runter auf den Boden zu drücken, aber dann fiel ihr die Prägung der Nummer auf einer der Kisten auf. Sie schloss ihre Augen und durchfühlte den Raum, der sich vor ihrem geistigen Auge wieder wie eine Welt aus Zuckerguss aufbaute.


»Hab dich.«, triumphierte May und steuerte die Kiste mit ihren Gedanken direkt zur Tür. Vorsichtig öffnete sie den Deckel und es waren die Ladungen, die sie für die Rettungsaktion benötigte. Mit der Kiste ging es zurück in den Hangar und ans Ende des Tunnels, wo die schwere Festung einzunehmen war. Der lila Kommander hoffte die Sprengladungen wären stark genug um das massive Tor zu öffnen. Wenn das nicht klappen würde, dann hätte sie ein echtes Problem. Diese Technik war nicht vom Ray Team, soviel wusste May und nach einen kurzen Test stellte sie fest: Diese eigentlich altbackene Technik funktionierte noch einwandfrei. Die keilförmigen Ladungen ließen sich leicht an der Tür anbringen. Die Explosion des Sprengstoffes sollte die Metallwinkel in die riesige Tür treiben und ein Loch hinein stanzen. Diese Lücke musste groß genug sein, damit May in dem Anzug hindurch passte. Sie hatte nur einen Versuch und so klebte sie alle Ladungen auf einmal an das Tor und verband die Teile mit einem der Empfänger für den Funkzünder.


Schließlich stieg sie am anderen Ende des Hangars in den Anzug, was schon alleine ziemlich schwierig war. Mergy hatte damals erklärt, die Astronauten von der Erde würden mit einem Hilfsgestell in den schweren Anzug einsteigen. Im All wäre es dank der fehlenden Schwerkraft nicht zwingend nötig. May hatte dennoch so ihre Probleme. Ihr war der Anzug viel zu groß und sie füllte ihn mit zusätzlicher Luft, um die fehlende Masse auszugleichen. Bevor sie die Handschuhe anschraubte, drückte sie noch Luft in das Ventil des Sauerstofftanks auf ihrem Rücken. Ein kleiner Test und dann war der weiße Elefant fertig für den Start und schwebte unbeholfen, wie die anderen Menschen auf der Station auch, hinter die Wand. Der Knopf der Sendeeinheit klickte deutlich hörbar und ein Feuerball verzehrte den Sauerstoff im Raum und schoss an May vorbei auf die Flugkonsole zu, bevor das Vakuum des Raums die Flammen wieder absaugte. May spürte die Druckwelle und das Rumpeln der Wand hinter ihr. Dann ließ sie sich vom Sog wie eine Kugel in einem Lauf in den Weltraum saugen. Die Sprengladungen waren wohl doch mehr als ausreichend gewesen, denn es fehlte nicht nur die massive Tür, sondern auch fast vier Meter des kompletten Landekorridors waren abgerissen und komplett zerstört. Vielmehr konnte sie nicht erkennen, denn wie eine Kanonenkugel schoss sie aus dem Rohr ins All. Jetzt war sie dem Weltall mehr oder weniger hilflos ausgeliefert.


»Was war das?«, fragte Trish, die den Schlag und die Vibrationen der Explosion deutlich gespürt hatte, während Mergy und Sab vor dem Fenster schwebend das kurze Feuerwerk sahen. »Da ist etwas in Hangar 3 explodiert. Da fehlt ein großer Teil des Trägers.«, merkte Mergy an. »Was ist das? Dahinten! Das Weiße?«, war jetzt Sab mit dem Fragen dran. Beide Kommander versuchten das Objekt zu identifizieren. Trish saß auf dem Stuhl, der, wie die Anderen im Kommandozentrum auch, magnetisch auf dem Boden haftete. Die Beine unter der Konsole taten ihr übriges um ihren Körper zu stabilisieren. Sie fühlte sich ziemlich nutzlos und wollte nicht auch noch im Weg herum schweben. Ihre Augen waren genauso funktionsunfähig wie Mergys Arm. Jegliche Technik war komplett ausgefallen. Zwangsläufig musste sie an Tin denken, die wohl als einzige einen Vorteil in der Situation und an Beweglichkeit gewonnen hatte. »Das sieht aus wie ein Raumanzug. Wie mein NASA-Raumanzug!«, stellte Mergy fest: »Welcher Wahnsinnige fliegt damit ins All? Da haben selbst die Gleiter noch mehr Luft in den Druckkammern.«


Die Flugkurve passte in etwa, auch wenn es momentan noch aussah als würde May sogar den ganzen Planeten verfehlen. Ein Gleiter rotierte sanft im All an ihr vorbei und May versuchte zu erkennen, wer da drin saß, konnte aber nur den Namen auf dem Heck lesen. Es war Wimp, der, wie einige andere Piloten auch, in seinem Gleiter fest steckte. In der Ferne konnte sie einen weiteren Gleiter ins All aufsteigen sehen, der, kaum das er die Erde verlassen hatte, abschaltete und zu Treibgut wurde. Das bestätigte Mays Vermutung und gab ihr Hoffnung auf dem richtigen Weg zur Lösung dieser Krise zu sein. Es kam ihr wie eine Ewigkeit vor, bis die Internationale Raumstation vor ihr auftauchte. Mit den Steuerdüsen des Anzugs korrigierte sie Flugbahn und Geschwindigkeit. Sie musste aufpassen und mit den Düsen auf Maximum ihren Flug abbremsen, sonst wäre sie wie eine Fliege auf ein fahrendes Auto geknallt. An einem Bügel fand sie halt und bremste komplett ab. Ihr Sauerstoff war bereits fast komplett verbraucht.


Durch den Anzug in der Beweglichkeit eingeschränkt, hangelte sie sich jedoch dennoch fast problemlos bis zur Luftschleuse der kleinen Weltraumdose, die sich leicht öffnen ließ. Mit Einbrechern musste man hier wohl genauso wenig rechnen wie auf der Station am Südpol. Es dauerte einige Momente, dann wurde das Einströmen von Sauerstoff durch lautes Zischen bestätigt und nur Augenblicke später wurde die zweite Tür von Innen geöffnet. Die Astronauten hatten ihre Ankunft wohl schon erwartet. Ein Russe und ein Amerikaner schwebten vor ihr und fragten was sie wolle. »Ich brauche eure Rettungskapsel.«, gab May in für ihr Verständnis immer noch nicht perfektem English zu verstehen.


Ohne auf eine Antwort zu warten, schwebte der Kommander direkt aus ihrem Anzug, zwischen den Typen hindurch, zur Rettungskapsel. Sie hatte den Plan der Station schon früher einmal auf ihrem Terminal abgerufen, weil sie sich fragte, wie man darin leben könne, aber egal wie sie es betrachtete, schon mit Schwerkraft wäre die Dose niemals ein richtiges Zuhause geworden. May hörte noch wie die Männer protestierten, aber sie versprach nur, sie würden eine Neue bekommen, schloss die Tür und löste die Kapsel aus. Es dauerte einige Momente bis sie die Steuerung verstand und auf dem Weg zur Erde war. Endlose 10 Minuten dauerte es, bis sie die Atmosphäre erreichte und weitere 5 Minuten bis sie den gefährlichen Wiedereintritt überstanden hatte. Sie war viel zu schnell unterwegs. Noch bevor der Fallschirm der Kapsel sich öffnen konnte, löste sie die Sprengung der Luke aus. Kalter Wind strömte in den Kegel und die Flugbahn der Kapsel wurde durch die geänderte Form instabil. Trudelnd raste die Rettungshülle nun Richtung Planetenoberfläche. Dank ihrer Kräfte konnte sie das unkontrollierbare Objekt weiter und besser abbremsen, als es mit den Schirmen funktioniert hätte.


Mit einem Stoß sprang May schließlich aus ihrem Metallrettungsboot und war in der Luft, in ihrem Element. Wie eine Rakete schoss sie durch die Wolken nach unten und sah unter sich die Inseln und das endlose Wasser. Die Kälte des Luftstroms spürte sie vor Anspannung kaum. Wie sollte sie ausgerechnet die Leute finden, die ihren Freunden, ihrer Familie, diesen Schaden zufügten? May überflog die Inseln, aber sie konnte nichts verdächtiges ausmachen. Plötzlich schalteten sich ihre Kontaktlinsen ab. Ihr war gar nicht aufgefallen, dass sie wieder funktionierten, weil das kleine Menü am Rande ihres Sichtfeldes sich mittlerweile so normal anfühlte. Mit neuer positiver Energie flog die menschliche Rakete eine Schleife bis die Linsen plötzlich erneut funktionstüchtig waren. Nach etwas Suchen fand sie die Stelle, an der nur wenige Zentimeter über Funktion oder nicht Funktion entschieden. Diesem unsichtbaren Stahl folgte sie zu einer kleinen Inselgruppe mit kleinen Hügeln und Palmen. Gerade fragte sich das Ray Team Mitglied noch, ob auf einer der Inseln ihr Ziel lag, als vom Strand aus zwei Raketen in ihre Richtung abgefeuert wurden. Damit war klar. Sie war richtig.


Die Raketen explodierten weit vor ihr beim Aufschlag auf eine unsichtbare Wand aus Luft, während May unbeirrt direkt den Strand ansteuerte. Weitere Raketen und Gewehrfeuer konnten sie nicht abhalten und mit beiden Füßen gleichzeitig setzte sie auf dem Eiland auf. Mit einem Gedankenblitz fegte die menschliche Waffe die Männer weit auf das offene Meer hinaus. Zum ersten Mal spürte sie die ganze Macht, die ihr zur Verfügung stand. Sie war sauer. Diese Leute hatten sie angegriffen. Ihre Freunde saßen im All fest und würden qualvoll ersticken. May musste das Schlimmste verhindern. Nichts würde sie jetzt noch aufhalten können. Der kleine Kommander rannte auf eine Stelle zu, an der eine zweite Welle von bewaffneten Schützen aufgetaucht war, die aber genauso weit draußen im Wasser endeten wie ihre Kollegen. Eine Stahltür in einer Felswand markierte mehr als deutlich ihr Ziel. May riss die Tür gleich mit Teilen der Felswand direkt aus dem Berg und warf sie, wie das Altmetall einer offenen Konserve, einfach auf die Seite. Im Innern gab es erneut starken Widerstand, aber May sprang unbeirrt hinein. Von einer dicken Blase aus komprimierter Luft umgeben schwebte sie nun durch die Gänge, deren Wände und Träger sich beim Vorbeigleiten durch die Gewalt der Luft, die May umgab, verzogen und teilweise brachen.


Die Geschosse schlugen in die unsichtbare Kugel ein. May entfesselte eine Druckwelle, die in alle Richtungen die Angreifer wie Puppen gegen die Wände schleuderte. Türen verbogen sich oder brachen unter dem Druck aus ihren Scharnieren. Der Weg endete in einem großen kuppelförmigen Raum mit vielem Computern und anderen technischen Geräten. Ein Typ in einem weißen Mantel, der wirkte wie ein Arzt, stand an einem der Rechner und tippte. Er erschrak als May einschwebte: »Wieso funktioniert es bei dir nicht?« May gab keine Antwort, sondern begann die Leitungen aus den Wänden zu reißen und Geräte im gesamten Raum zu demontieren. Demontieren war vielleicht der falsche Ausdruck, denn sie wurden einfach zerquetscht wie eine alte Limonadendose von einer Dampfwalze.


Das Licht flackerte und Funken sprühten aus den Maschinen, bevor sie ihren Dienst einstellten. Der Mann stand fassungslos da und musste mit ansehen, wie seine Ausrüstung durch Zauberhand dem Erdboden gleichgemacht wurde. Einige Wachleute, die sich augenscheinlich nochmal aufgerappelt hatten, stürmten mit ihren Waffen hinein und legten eine zweite Flugstunde hin. Ihre Waffen verbogen sich noch in ihren Händen in ein Stück wertloses Metall. Plötzlich wurde May schwummrig und sie sank zurück auf ihre Füße. Sie begann zu schwanken. Als sie an sich herunter sah, bemerkte sie das Blut, das ihr Lila-Outfit rot verfärbte. Sie hatte ein Loch in der Schulter und auch in der Bauchgegend auf Höhe ihres Bauchnabels. Das letzte was sie sah, war das ihre Kontaktlinsen normal arbeiteten. Dann fiel sie einfach um.


»Alle Systeme starten wieder. Gravitation nimmt wieder zu.«, gab Sab an. Trish bestätigte die Lage ebenfalls. Ihre Augen begannen gerade mit dem Einschaltselbsttest. Mergy ließ seinen Arm wieder einklinken und nach einigen kurzen Kalibrierungszuckungen war auch der wieder in Funktion. »Zwei der Gleiterpiloten melden sich. Drei weitere reagieren nicht. Ich aktiviere die Notfallsauerstoffversorgung in allen Gleitern und hole sie ferngesteuert rein.«, erklärte Sab. »Trish an Doc. Notfallteam in Hangardeck 2« »Was ist passiert?«, fragte Tin, die leicht derangiert aussah als sie aus dem Lift trat. Trish zog eine Augenbraue hoch, als sie ihre Schwester sah, deren Kleidung eindeutig der Dreck des Labors anhaftete. »Laborboden?« »Ja, es hat nichts mehr funktioniert.«, bestätigte Tin ihren kurzen Ausflug auf den Boden, bevor die fehlende Gravitation sie wieder von ihm getrennt hatte. »Hier auch.«


»Stationsscan abgeschlossen. Alle Lebenszeichen der Piloten regenerieren sich. Aber es fehlt jemand. May ist nicht mehr auf der Station.«, erläuterte Sab. »Aktiviere Satellitenscan.«, gab Trish zu verstehen. »98%, 99%, sie ist nicht auf dem Planeten. Zumindest nicht bis etwa 20cm unter der Oberfläche. Für einen Tiefenscan müsste ich die Tarnung der Satelliten abstellen.«, erklärte Trish. »Schalte sie ab. Die waren vorhin sowieso für alle sichtbar. Das Ganze ist längst überfällig.«, gab Mergy zu verstehen. Trish enttarnte die Satelliten. Sie waren direkt nach der Reaktivierung automatisch wieder in den Tarnmodus gegangen. Wabernd tauchten sie im All zwischen Weltraummüll und anderen Satelliten auf. Trish wiederholte den Abtastvorgang: »Bis 1000 Meter unterhalb der Erdoberfläche kein Anzeichen von Mays ID-Chip.« »Jaque, stelle mir einen normalen Gleiter bereit.«, gab Mergy zu verstehen. »Was ist los?«, fragte Tin. »Ich habe so ein Gefühl.«, merkte Mergy an. Ausgerechnet Sab fügte hinzu: »Dann solltest du dich beeilen. Mein Gefühl sagt immer noch Bermudadreieck.«


Im Lift musste Mergy über ihre Worte nachdenken. Zum ersten Mal hatte sie nicht widersprochen oder Einwände gehabt. Sie war niemand der auf ein Bauchgefühl hin eine Entscheidung machte. Dieses Verhalten zeigte sie bei jeder Gelegenheit. Alles musste immer und jederzeit durchdacht und geplant sein. Er dachte auch über ihre Bemerkung mit dem Dreieck nach. Das war der einzige Anhaltspunkt, den er hatte und so setzte er sich in den Gleiter, den Sab ohne auf seine Anfrage zu warten direkt frei gab.


Als May die Augen öffnete lag sie auf einem Tisch. Für einen Moment dachte sie an die Krankenstation, aber das war nicht die Krankenstation, sondern immer noch dieser große Raum auf der Insel. Ihre Arme und Beine waren mit Riemen am Tisch fixiert und sie fühlte den Schmerz der beiden Wunden, die sich immer noch schwächten. »Gib dir keine Mühe, Kindchen. Der Sender ist genau auf dich gerichtet. Deine Superkräfte funktionieren nicht mehr. Wie fühlt sich das an, wenn man klein und hilflos ist? Jetzt bist du nicht mehr so mächtig und besser als alle Anderen, oder?«, sagte dieser komische Arzt mit gleichzeitig hasserfüllter und abwertender Tonlage. May tastete den Raum mit ihren Kräften ab. Ohne den Blick zu ändern, konnte sie drei bewaffnete Kämpfer hinter ihrem Kopfende und zwei in etwas Abstand neben dem Tisch stehen sehen. Ebenso spürte sie die jeweils drei Schrauben unter dem Tisch, die ihre Riemen mit dem Tisch verbanden. »Sie haben ja keine Ahnung mit wem sie sich hier anlegen.«, gab May dem Fremden warnend zu verstehen.


»Ich werde dir gleich deine kleinen Chips aus dem Körper schneiden und dann werde ich genauso mächtig wie ihr. Nein, Mächtiger.«, erklärte der Fremde und hielt ein blitzendes Skalpell wedelnd nach oben. Mit einem Schlag schlugen sich alle fünf Zuschauer mit dem Gewehrkolben bewusstlos und fielen einfach um. »Was?«, brachte ihr Peiniger gerade noch heraus, während die 12 Schrauben unter dem Tisch simultan ihre Runden drehten und zu Boden regneten. May setzte sich auf und der vermeintliche Arzt wollte sie mit dem scharfen Messer angreifen, bekam aber schlagartig keine Luft mehr. »Ich bin weder hilflos, noch ihr Kindchen.«, gab May nun ebenfalls in herablassendem Ton zu verstehen, während der Typ seinen Hals hielt, als würde er versuchen jemanden daran zu hindern ihn zu erwürgen. Schließlich fiel er wie die anderen Angreifer ohnmächtig zu Boden und May ließ von ihm ab.


Zuerst wollte sie den Kasten mit der Waffe, die anscheinend ihre Technologie abschaltete, einfach zerdrücken, wie den Rest des Labors, aber Tin hätte es sicherlich einfacher, wenn sie das Gerät studieren könnte. So zog sie einfach den Stecker aus der Wand, der das Gerät mit Energie versorgte und nahm den etwa zwanzig Zentimeter breiten Kasten von seinem Ständer. »Sab an Mergy, Koordinaten werden übermittelt.« »Ja, ich bin schon da. Hier treiben Leute im Wasser. Ich denke hier bin ich richtig.«, erwiderte Mergy. »Diese kleine Kiste konnte soviel Unheil anrichten.«, dachte May noch, als ein knirschendes Geräusch hinter ihr sie zu einer hastigen Drehung verleitete. Ihre rechte Hand nach vorne gestreckt war sie bereit eine erneut Druckwelle der Zerstörung auszusenden. »Ich bin es Prinzessin.«, brachte Mergy gerade noch heraus und May konnte im letzten Moment ihren Angriff stoppen. Sie war erleichtert ihn zu sehen. Die Wunden schmerzten durch die Anstrengungen der letzten Sekunden wieder stärker und sie spürte erneut das sie schwächer wurde. Mergy konnte sie gerade noch auffangen und auf den Boden legen. Er forderte einen Autodoc vom Gleiter an, legte ihn an und fror sie ein. »Wäre ihr Gesicht nicht so leer und von Schmerzen gezeichnet sähe sie aus wie Schneewittchen, die in ihrem gläsernen Sarg auf ihren Prinzen wartet.«, dachte Mergy bevor er den Transporter aktivierte.


Obwohl es eigentlich keine Eile hatte, knallte Mergy mit Höchstgeschwindigkeit durch die Stratosphäre ins All und weiter zur Station. Er informierte Sab über Mays Zustand und Sab wies ihm wieder ohne Anfrage direkt Hangardeck 2 zu, wo der Doc schon mit Sandra auf sie wartete. Auf der Promenade war viel los, denn alle fragten sich was eigentlich passiert war und hofften jemanden zu finden, der mehr wusste. Es wurde schlagartig still, als die Trage mit dem Mayblock durch die Halle in die Krankenstation geschoben wurde. »Last mich durch.«, hörte man Reiko rufen, die sich ihren Weg durch die Menschen bahnte. Tin kam zusammen mit den anderen aus dem Lift und folgte in die Krankenstation. »Tin, den Würfel hatte May dabei. Das scheint unser Problem zu sein. Aber erst probieren, wenn alle Sicherheitsvorkehrungen getroffen wurden und May aufgetaut ist.«, erklärte Mergy und Tin nickte. Sie drehte gleich um und machte sich auf den Weg in ihr Labor, bat aber um sofortige Mitteilung über Mays Zustand.


Der Doc und Sandra lösten den Eisblock auf und verschlossen sofort die Wunden. Mays Kreislauf stabilisierte sich langsam und sie bekam wieder deutlich mehr Farbe. »Was ist passiert?«, fragte Reiko. Mergy legte einen Arm um die Köchin und drückte sie leicht an sich: »Ich weiß es nicht genau, aber so wie es aussieht, war sie mal wieder cleverer und mutiger als wir alle zusammen. Keine Sorge. Der Doc bekommt sie wieder hin. Dieses Krankenhaus ist das am Besten ausgerüstete im ganzen Sonnensystem.« Sandra kam aus dem Behandlungsraum und wandte sich an Reiko: »Sie wird wieder gesund. Wir haben sie in ein leichtes Koma gelegt. Es ist in ihrem Fall besser als ein Schmerzmittel gegen die Phantomschmerzen.« »Phantomschmerzen?«, fragte Reiko unsicher. »Die Schusswunden haben dem Körper Schmerzen zugefügt und wir haben die Wunden schnell geschlossen. Der menschliche Körper kennt aber diese schnelle Heilung nicht und so schmerzen die Wunden, die nicht mehr da sind, noch etwa 24 bis 48 Stunden in voller Wucht nach. Das ist aber normal und kein Grund zur Sorge.«, beruhigte Sandra Reiko: »Sie können jetzt zu ihr wenn sie wollen.«


Mergy und die anderen Kommander warfen ebenfalls noch einen Blick auf das Stationsküken und wendeten sich den Aufgaben zu, während Reiko am Bett ihrer Tochter blieb. Mergy besuchte Tin in ihrem Labor. Sie hatte den Kasten bereits aufgeschraubt und untersucht. »Und?«, fragte Mergy. »Ich müsste ihn testen um genaues sagen zu können.«, gab Tin an: »Aber es scheint eine Trägerwelle im Teraherzbereich mit einem wiederholenden Puls zu erzeugen. Aber ich verstehe nicht was das soll.« »Mergy an Sab und Doc. Tin würde das von May gefundene Gerät gerne testen. Alle Stationen sollten vorher gesichert werden.« Der Doc bestätigte das von seiner Seite aus keinerlei Einwende gab und Sab schloss noch die beiden verbliebenden Hangars und gab via Stationsdurchsage Warnungen über mögliche Systemausfälle bekannt.


»Dann mal los.«, wurde auch Mergy neugierig und Tin schaltete das Gerät ein und ihre Beine knickten ein. Mergy konnte sie gerade noch fassen, aber auch sein Arm setzte aus und so war das Unterfangen schwerer als erwartet. Einige Computer und das Licht im Raum störten sich aber nicht weiter an der aktivierten Maschine. Mergy nahm den Würfel und drehte ihn. Er strahlte nur in eine Richtung und wie eine Taschenlampe erzeugte dieses Gerät einen Ausfall aller Technik, die es bestrahlte. »So etwas hab ich noch nicht gesehen. Besser wir richten ihn vom Kern weg.«, gab Mergy zu verstehen und drehte die gefährliche Seite zur Stationsaußenwand.


Tin konnte ohne Probleme hinter dem Kistchen stehen, traute dem Braten aber nicht so richtig und holte sich erst einmal einen Stuhl. Mergy setzte sich mit einem Terminal still in eine Ecke während Tin auf ihrem Computer herumtippte und mit einem Messgerät die Signale des Würfels prüfte. Der Kommander wusste das man Tin besser einfach machen lässt, um möglichst schnell zu zu einem Ergebnis zu kommen. Eine sofortige Lösung konnte er natürlich nicht erwarten. Dennoch blieb er im Labor, um ihr zu helfen, falls ihre Beine wieder versagten, oder sie dumme Ideen brauchte. Er schätzte ihre Arbeit und sich interessiert und hilfsbereit im Hintergrund zu halten, war der einzige Weg dieses passive Lob aktiv auszudrücken. »Wie doof ist das denn?«, hörte er Tin nach 10 Minuten sagen. Der schweigende Kommander schaute auf, sagte aber immer noch nichts dazu. »Kann das stimmen?«, murmelte sie und dann kam ein »Das ist ein dickes Ding!« »Was gefunden?«, fragte Mergy vorsichtig, aber voller Neugier, nach.


»Das Ding benutzt unsere Kommunikationsträgerfrequenz um durch alle Schilde zu kommen und moduliert einen seltsamen Niederfrequenzpuls darauf, der unsere optoelektrischen Schalter stört.«, erklärte Tin: »Wir hatten Glück. Der Puls hätte auch zufällige Schaltpulse auslösen können. Da hätte sonst was passieren können.« »Ja, wir hatten wohl ziemlich viel Glück heute. Was machen wir, damit so etwas nicht wieder passiert?«, fragte Mergy interessiert nach. »Wir müssen alle optischen Schaltkreise gegen Versionen mit besserer Schirmung austauschen. Das sind Milliarden und wird einige Tage dauern.«, erklärte Tin. »Dann würde ich sagen, wir programmieren als erstes die Repligen um, damit die sich selbst neue Schaltkreise verpassen, dann sitzen wir bei einem erneuten Angriff zwar immer noch im Dunkeln, aber können uns selbst helfen. Dann die Stations- und Hangarschilde und die Gleiter, damit wir reagieren können. Der Doc kann der Mannschaft zeitgleich neue Chips, Brillen und Linsen verpassen. Arme, Beine und Augen eingeschlossen.«, schlug Mergy einen Plan vor. Tin stimmte zu und machte sich sofort an die Arbeit.


Als May Stunden später in ihrem Krankenzimmer erwachte war sie nicht alleine. Ihre Mutter lag mit dem Kopf auf dem Bett und schlief. May streckte sich und schob das Oberteil ihres weißen Krankenstationschlafanzugs hoch. Ihre Wunde war verschwunden. Auch durch den Halsausschnitt sah sie nichts mehr vom Loch unterhalb ihrer Schulter. Es kribbelte alles noch ein wenig, aber das war nicht weiter schlimm. »Wie ein eingeschlafener Fuß.«, dachte May und stieg vorsichtig, ohne ihre Mutter zu wecken, aus dem Bett. Als sie in den Behandlungssaal kam saß jemand auf dem Tisch.


»Du solltest eigentlich im Bett bleiben.«, ermahnte der Doc, der aus dem zentralen Raum an ihr vorbei in sein Büro ging. May schaute genauer hin und es musste Trish oder Tin sein. Ein weißer Medigen, eine medizinische Variante der Repligens, klammerte sich mit seinen langen Spinnebeinen an ihren Kopf und aus seinem Unterleib strahlte ein blauweißes Licht direkt in ihre Augen. »Gruselig! Als würde er ihr Gehirn aussaugen.«, dachte May und erinnerte sich an die Aussage von Mergy. Es musste Trish sein. Sie hatte künstliche Augen. Der Strahl schaltete sich ab. Die Spinne kletterte über die Schulter an der Frau hinunter zum Ende des Tisches und verwandelte sich dort in einen ovalen, wie ein Stein wirkenden, weißen Klumpen. Wie eine sterbende Spinne, die ihre Beine anzieht, rollte sich auch die mechanische Version ein.


»Alles ok?«, fragte May vorsichtig. Trish schaute instinktiv zur Seite obwohl sie noch nichts sehen konnte und May erschrak, was durch ein lautes Einatmen überdeutlich zu hören war. Ihre Augen waren blass Grau. Keine Pupille. Da war gar nichts. Die Augenhöhlen waren komplett mit etwas grauem gefüllt. Trish wusste, es konnte eigentlich nur May sein, die sich da erschrocken hatte. »Ich wollte dich nicht erschrecken.«, merkte sie an: »Ich dachte du wüsstest von meinen künstlichen Augen?« Weiße Linien fuhren in beiden Augen Senkrecht von links nach rechts und Horizontal von oben nach unten und zurück, bis sie nach einigen Durchläufen wie ein Fadenkreuz in der Mitte stehen blieben und verblassten. Dann wurden die Augen pechschwarz, was nicht weniger gruselig aussah. Als hätten die Augen ihre Gedanken gelesen, färbten sie sich langsam weiss, nur um schlagartig die normalen Augen von Trish darzustellen, die May kannte. »Ja, ich wusste es. Aber das war gerade doch etwas gruselig. Tut mir leid.«, erwiderte May verzögert und mit gesenkter Stimme.


»Ist schon gut. Wenn du das gruselig findest, dann solltest du mal meinen bösen Blick sehen.«, sprach Trish noch aus und im nächsten Moment strahlten ihre Augen in grellem wabernden Rot, wie die Augen des Teufels. »Du kannst alles darstellen was du willst?«, fragte May. »Ja, ist wie ein Monitor.«, erklärte Trish sachlich, als würde sie ihren neuen Fernseher vorführen. »Und was kannst du noch damit machen?«, fragte May schon deutlich neugieriger nach. Trish mochte ihre neue Offenheit und May selbst hatte ihr größtes Geheimnis vor ihr gelüftet, daher sprach nichts dagegen ihr auch von ihren Fähigkeiten zu erzählen. »Ich kann ziemlich weit sehen. Ich habe gleichen Sensoren wie die Station. Und ich kann auch im Dunkeln sehen. Siehst du da hinten im Regal, die kleine Dose links in der zweiten Reihe. Da steht AX-137 drauf.«, gab Trish eine kleine Demonstration ihrer Fähigkeiten. May konzentrierte sich und konnte die durch den Druck leicht erhabene Schrift ebenfalls mit ihrer Kraft abtasten.


Allerdings stand auf dem Etikett AX-137b. Das fehlende 'b' konnte Trish nicht sehen, weil die Krümmung der Dose den Text aus dem Blickfeld nahm. »AX-137b um genau zu sein.«, lächelte May verschmitzt und stellte eine Frage, vor dessen Antwort sie richtig Angst hatte: »Gab es Verletzte oder sogar Tote?« Ihre Stimme bestand aus eine einer Mischung aus zittriger Angst und dem unbändigem Drang nach der Wahrheit, die sie aus dem Bett getrieben hatte. »Ein paar Minuten länger und es wäre für einige Piloten schlimm ausgegangen. So gab es gab nur einige kleinere Blessuren, weil Gleiter zusammen geprallt oder auf die Station geschlagen waren.«, erklärte Trish sachlich und in beruhigendem Ton: »Tin hat dank der Maschine, die du gefunden hast, das Problem schnell lösen können. Die Repligen werkeln überall auf der Station und machen sie wieder sicher. Darum habe ich die Augen auch aktualisieren lassen. Ich bin nämlich ziemlich nutzlos ohne meine Augen.« May nahm ihre Worte mit viel Erleichterung und Freude auf, spürte aber auch die Kälte langsam vom Boden an ihren blanken Beinen hinaufkriechen: »Ich sollte wieder ins Bett gehen. Sonst bekomme ich noch Ärger mit dem Doc.« »Schlaf gut.«, verabschiedete Trish sie und schaute sich das Regal und die Dose näher an: »AX-137b. Die Kleine ist wirklich gut.«


Als May einige Stunden später erneut erwachte, war auch ihre Mutter wach und freute sich ihre Tochter endlich in die Arme schließen zu können. Mehrmals musste May ihr Wohlbefinden bekunden und die Sorgen ihrer Mutter abschwächen. Natürlich wollte Reiko wissen, was eigentlich passiert war. May beschloss zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen und nahm das Terminaltablett aus der Halterung an ihrem Tisch und startete die Berichtsaufzeichnung. Gebannt lauschte Reiko ihren Ausführungen. Ihrer Mutter gefiel die Gefahr nicht, in die sie sich gebracht hatte. Ein Blick in ihre Augen sprach Bände. Im Anschluss an die Aufzeichnung brachte Reiko ihrem Mädchen diese Tatsache in aller Deutlichkeit auch in Worten näher. Mitten in dieser Mahnrede klopfte es an der Tür. Es war Mergy, der sich, wie er sich ausdrückte, nach dem Gesundheitszustand der Stationsprinzessin erkundigen wollte. »Du hast uns alle gerettet.«, erklärte er. »Nur die Piloten in den Gleitern. Spätestens nach 10 Stunden wäre die Station nicht mehr im Strahl der Waffe gewesen und alles wäre wieder normal gelaufen.«, erklärte May.


»Das stimmt so nicht ganz. Der Störpuls, der das Chaos verursacht hat, hat die optischen Schaltelemente durch die Hochfrequenz auch beschädigt. Nach spätestens drei bis vier weiteren Stunden Dauerbeschuss wären viele von ihnen durchgebrannt und hätten Fehlfunktionen ausgelöst. Tin meint dabei wären uns auch einige Reaktoren um die Ohren geflogen.«, erklärte er: »Du bist – schon wieder – der Held des Tages. Wir sind alle schon unheimlich gespannt auf deinen Bericht.« Mergy grinste und bei dem "schon wieder" rollte er mit seinen Augen und zog die Brauen hoch. May wurde verlegen und lief leicht rot an. »Der Bericht ist bereits fertig. Wir schulden der ISS eine Rettungskapsel und sie haben deinen Anzug.«, versuchte May ihn abzulenken. »Ja, Jaque hat den Funkverkehr zwischen NASA und der ISS mitgehört. Diesen Teil haben wir uns schon selbst zusammen gereimt. Dann muss ich jetzt aber los und einen wahrscheinlich sehr spannenden Bericht lesen.«, grinste er jetzt noch verschmitzter als noch Momente zuvor und verschwand wie er gekommen war.


Ohne es zu wissen und zu wollen hatte er Reiko die Argumente entzogen und so drückte sie ihre Tochter noch einmal nicht ohne ihr zum wiederholten Male zu sagen, wie froh sie sei, dass ihr nichts schlimmeres passiert sei. Dann lag May erneut alleine in ihrem Zimmer und tippte auf dem Terminal herum um herauszufinden, was die Presse auf der Erde zum Komplettausfall des Ray Teams zu sagen hatte. Sie kam aber nicht wirklich dazu, denn es stand schon wieder Besuch vor der Tür.


Katie und Suki schauten mit besorgtem Blick ins Zimmer. »Nun kommt schon rein.«, grinste May ihren Freundinnen zu, die sich nicht zweimal bitten ließen und sie ersteinmal wie ein rohes Ei drückten. »Du glaubst nicht was die anderen so erzählen.«, begann Suki: »Die behaupten du hättest den Hangar gesprengt. Ist das zu glauben, denen fällt auch nichts Neues mehr ein.« »Naja.«, druckste May leicht heraus: »Ich habe den Hangar ja auch wirklich gesprengt.« »Hast du nicht!«, blaffte Suki zurück. May hob nur die Augenbrauen an und lächelte ihr ins Gesicht. »Hast du doch? Erzähl!«, wollte Suki nun die ganze Geschichte wissen. May erzählte noch einmal die gesamte Geschichte und ihre Zuhörer konnten nicht glauben was sie da hörten. »So steht es in meinem offiziellen Bericht. Ich kann euch gerne eine Kopie zukommen lassen.«, flachste May.


»Da soll noch jemand meckern, weil du Kommander geworden bist.«, merkte Katie respektvoll an. »Darum werkeln die Repligen seit Stunden auf der ganzen Station?«, fügte Suki fragend hinzu. »Ja, die modifizieren die Systeme, damit so etwas nicht noch einmal passiert.«, bestätigte May. »Und du hast deine Superkräfte wieder!«, freute sich Suki. »Stimmt. Daran hatte ich schon gar nicht mehr gedacht. Die sind wieder komplett da.«, lächelte sie und ließ demonstrativ das Wasserglas vom Tisch an ihren Mund schweben. Sie nahm einen Schluck und das Glas schwebte zurück an seinen Platz.


»Hier ist ja noch jemand?«, drang plötzlich die Stimme des Docs in den Raum. »Wo sollte ich denn sonst sein?«, fragte May zwischen ihren Freunden hindurch: »Ich sollte doch hier im Bett bleiben.« »Ich hätte nicht gedacht, dass du dich auch daran hältst. Die anderen tun es jedenfalls nur sehr selten.«, erwiderte der Doc. »So oft wie ich verletzt in der Gegend herumliege, will ich es mir doch nicht mit meinem Lieblingsarzt verderben.«, ließ May als Erklärung verlauten.


Der Doc musste laut lachen und auch die beiden Piloten an ihrer Seite konnten sich über Mays amüsante Sicht der Dinge nicht zusammenreißen und lachten ebenfalls schallend los. »Noch Schmerzen?« »Es kribbelt noch ein bisschen, aber das ist schon weniger geworden.«, erklärte May. »Ja, das ist normal. Dann kannst du gehen, wenn du willst.« »Danke für das Zusammenflicken, Doc.«, bedankte sich May und stand auch schon im nächsten Moment neben dem Bett. Ihre Kleidung hing in einem Schrank an der Wand, der viel kleiner war als der in ihrer Wohnung. Die Sachen waren bereits wieder sauber und geflickt. Sie erklärte ihren Freundinnen, erstmal eine Dusche nehmen zu wollen und verschwand durch die Tür an der Zimmerseite. Dieses Bad war offensichtlich für drei Krankenzimmer, denn genauso viele Türen führten hinein. Die Ausstattung war anders angeordnet als bei ihr Zuhause um Platz für diese zusätzlichen Türen zu machen, ansonsten stimmte die Ausstattung bis auf den fehlenden Frisiertisch mit ihrem Bad überein.


Unter der Dusche schaute May noch einmal genau die Stellen an, die noch einige Stunden vorher geblutet und höllische Schmerzen verursacht hatten. Da war aber nichts mehr zu sehen. Da war weder eine Delle, eine Beule oder gar noch eine Narbe zusehen. Einfach nur ihre normale Haut. Wäre das leichte kitzelige Kribbeln nicht, dann hätte sie wohl die genauen Stellen auch nicht mehr wieder gefunden. Nach einer Trocknung, der obligatorischen Einkleidung und einem abschließenden prüfenden Blick im kleinen Spiegel über dem Waschbecken sah sie wieder aus wie die normale May. Diesmal würde sie aufrecht, laufend und nicht in zerrissenen Klamotten aus der Krankenstation kommen, sondern aussehen wie immer. »Warum habe ich mich nicht früher hier wieder hergerichtet?«, dachte May und musste an die peinliche Nummer mit dem Häschen-Schlafanzug denken.


Suki und Katie waren schon gegangen und als May in den Hauptraum der Krankenstation kam, war nur Sandra an einem Terminal beschäftigt. »Du sollst dich bei Sab im Büro melden, wenn du hier fertig bist.«, lächelte Sandra geheimnisvoll zur Prinzessin hinüber und wandte sich sogleich erneut ihrer Arbeit zu. Sab hatte wohl direkt mit der Krankenstation gesprochen um May nicht zu wecken, aber was wollte sie von ihr? Auf der Promenade wurde sie, wie schon einige Male zuvor, schräg von der Seite angesehen, aber immer wenn sie direkt jemanden ansah, wendeten sie ihren Blick ab. Sadi hüpfte gerade noch zu May in den Lift bevor sich die Türen schlossen. »Warum schauen die mich alle so an?«, fragte May. »Naja, du hast uns allen das Leben gerettet.«, erklärte Sadi mit fragendem Blick und zog dabei eine Augenbraue hoch.


»Oh, nein. Hat Trish wieder eine ihrer Durchsagen gemacht?«, fragte May. Es war ihr schon damals nach der Rettung von Tin unangenehm gewesen, als sie sie vor der gesamten Station als Heldin hingestellt hatte. »Kommander Trish hat nur gesagt, wir wären angegriffen worden und das diese Gefahr abgewendet wurde. Du warst bei dem Angriff auf der Station. Später wurdest du verletzt und eingefroren von Mergy auf die Station zurück gebracht. Man muss nicht viel Fantasie haben um zu erkennen, wer uns gerettet hast.«, erklärte Sadi und verließ den Lift auf dem Erholungsdeck. May fuhr weiter in die Kommandozentrale der Station, wo Sab bereits in ihrem Büro wartete.


»In ihrem Büro.«, dachte May. Das wird doch von Sab nur benutzt wenn jemand Mist gebaut hat. Hatte sie Mist gebaut? Trish saß an ihrem Terminal und begrüßte May nur kurz. Sonst war niemand da. Naja, Sab saß im Büro am Schreibtisch und der transparente Holoschirm zeigte, sie tat eigentlich genau was sie immer machte: Kontrollieren und Überwachen. »Setz dich.«, wies sie leicht schroff an, als May den Raum betrat. »So, was haben wir da?«, begann sie monoton und mit diesem fiesen Unterton zu reden, den May schon lange nicht mehr von ihr gehört hatte: »Mutwillige Beschädigung einer Vitrine auf der Promenade, stehlen eines Raumanzugs, stehlen von Chemischen Sprengstoffen, einsetzen der eben genannten Sprengstoffe ohne entsprechende Ausbildung, Sprengung eines Stationshangars und das Stehlen einer Raumkapsel. Habe ich was vergessen?« »Ich glaube nicht.«, gab May vorsichtig und etwas kleinlaut zu verstehen. Mergy war ganz normal gewesen. Warum war sie jetzt in ihre alten Gewohnheiten zurückgefallen? »Gut gemacht!«, lachte Sab schelmisch: »Ich kann es noch, oder?« May viel ein Stein vom Herzen »Ich dachte schon du wirfst mich gleich von der Station.«, war Mays Stimme jetzt wieder sichtlich erleichtert.


Sab lachte und erklärte in Hangardeck 1 würde eine funkelnagelneue Rettungskapsel auf ihre Auslieferung warten. Sie betonte außerdem der Rettungskörper entspräche den neusten Plänen der NASA. Jaque hätte einige potentielle Gefahrenquellen ausgebessert und die aktualisierten Pläne in die Kapsel gelegt. »Ich denke du solltest die Kapsel ausliefern. Du hast sie ja auch geklaut.«, begründete Sab und May war mit ihr einer Meinung. »Gut, dann liefere das Teil jetzt mal aus. Der Trümmer stört nämlich den Stationsbetrieb.«, warf Sab May schon mal verbal hinaus. »Was waren das für Leute und warum haben die uns angegriffen?«, fragte May nach und hoffte weitere Hintergrundinformationen zu erhalten.


»Mergy ist noch einmal zurück geflogen und hat sich dort genauer umgesehen. Anscheinend war das die Drogenmafia. Jedenfalls gehört die Insel wohl einem Drogenbaron. Zumindest geht die Drogenfahndung in ihren Dokumenten davon aus. Auf der anderen Seite des Eilands gibt es wohl auch eine größere Villa mit einem direktem unterirdischen Zugang zu dem Komplex, den du gefunden hast. Der ganze Bau war wohl hauptsächlich als Fluchttunnel gedacht. Die Typen sind anscheinend ziemlich sauer auf uns, weil sie durch das Ray Team viele Milliarden in Drogen verloren haben. Eines muss man ihnen lassen. Der Plan war genial, aber mit unserer lila Geheimwaffe haben die Bösewichte nicht gerechnet.«, grinste Sab. »Der Typ wirkte auf mich mehr wie ein verrückter Wissenschaftler auf einem Machttrip.«, gab May ihre Sicht der Dinge weiter. »Vielleicht hat er seine Chance gesehen mit unserer Technik selbst Macht zu bekommen. Seine Auftraggeber werden jedenfalls nicht sehr glücklich über seine Arbeit sein.«, fügte Sab abschließend hinzu.


Im Hangar fand May die unübersehbare Raumkapsel, die viel größer wirkte, wenn man daneben stand. Naja, sie diente ja auch dazu bis zu zwölf Personen zu retten und benötigte entsprechend viel Platz. May stieg in ihren Gleiter und ließ Sab die Gravitation im Hangar abschalten. So war es ein leichtes das metallene Objekt ohne Kollision durch den Korridor ins All zu schieben.


»May an ISS. Bitte kommen.«, nutzte sie die normalen Sprechfrequenzen der Erdstation um den Kontakt herzustellen. »ISS hört.«, ertönte die Antwort. »Ich bringe wie versprochen eine neue Rettungskapsel und erbitte um Andockerlaubnis.«, fragte May freundlich, aber ohne die offizielle Vorgehensweise für so einen Vorgang überhaupt zu kennen, nach. »Andockerlaubnis erteilt. Andockklammern bereit.«, vernahm sie aus dem Lautsprecher und dirigierte die große Tonne mit dem Verschlussring zuerst Richtung Station. Sie nutzte einen unsichtbaren Sparx, um genaue Informationen und Bilder des Vorgangs zu bekommen. Schließlich klinkte sich der Ring in die Station ein.


»Andockklammern gesichert.«, meldete sich die Station und May schaltete den Greifstrahl ab. Noch bevor die Besatzung der Station die neue Kapsel öffnen konnte, hatte sich May zur Überraschung der Astronauten schon hinein transportiert. »Hallo, ich wollte mich nochmal für ihre Hilfe bedanken und mich dafür entschuldigen, weil ich ihre Kapsel einfach so genommen habe.«, sprach sie diesmal durch den Übersetzer in perfektem English: »Diese Kapsel entspricht den neusten Plänen. Wir haben einige Änderungen gemacht um die Sicherheit zu erhöhen. Hier sind die Pläne, die Änderungen sind markiert.«


Sie bekam mit einem deutlichen russischen Akzent eine Antwort die ihrer Vorstellung entsprach: »Wir müssen als Nachbarn doch zusammenhalten.« Der andere Astronaut reichte ihr die Hand und May ergriff sie. Dann schüttelte sie die Hand des Russen. »Ich würde sie gerne einmal auf unsere Station einladen, sie herumführen und auch zum Essen einladen. Ich meine nicht nur sie beide, sondern alle hier an Bord. Ein Nachbarschaftsessen sozusagen.«, schlug May eine Idee vor, die sie schon vor einiger Zeit hatte. Die Astronauten waren von der Idee begeistert. Sie sahen täglich Dutzende von hochmodernen Gleitern zur Erde und zurück fliegen und diese riesige Station leuchtete in der Ferne und lockte sie schon länger.


Die Besatzung betonte, diese Entscheidung nicht alleine treffen zu können, aber das Angebot würden sie gerne annehmen. Die Ehrlichkeit wurde durch die Vorfreude, die sich in ihren Gesichtern breit machte, nur noch unterstrichen. May fragte nach dem Anzug von Mergy, den sich sich auch nur geborgt hatte, wie sie betonte. Ein dritter Astronaut kam aus einer der Sektionen geschwebt und brachte das gute Stück und die zugehörigen Teile. May bedankte sich noch einmal, transportierte sich vor den Augen der staunenden Besatzung zurück in ihren Gleiter und setzte Kurs zurück auf die Station.

Der Anfang vom Neuen

Es war die zweite Tour mit dem Transporter an diesem Tag. Gemächlich und ohne Eile rauschte die kantige Flugmaschine Richtung Planeten. May genoss den Anblick der immer größer werdenden Kugel. Vor dem Eintauchen in das Blau brachte sie den Transporter noch einmal in eine Rotation um die Längsachse. Zwei Kampfgleiter schossen ihr entgegen. »Bleibt es beim Filmabend heute?« Die Worte aus der Kommunikation rissen May aus ihren Träumen. Es war Suki, die mit Nibbler von ihrer Schicht auf die Station zurückkehrte. »Kann ich nicht sagen. Ich weiß noch nicht wie lange wir Gäste auf der Station haben. Das hat Vorrang. Sieht aber ehr schlecht aus. Besser wir verschieben das.«, erwiderte May. »Alles klar.«, trällerte es wieder durch den fliegenden Bus. May schmunzelte. Was hatte sie doch für Bedenken gehabt, von ihren Freunden ausgegrenzt zu werden, nur weil sie jetzt ein Kommander war. Suki, Sadi und Katie waren nur einige, die sie genauso behandelten wie zuvor. Ihre Freunde wussten genau, wann May kommandierte und wann sie einfach nur ihre Freundin war und sich einen Spaß erlaubte. Aber es gab auch die Piloten, die sie um ihre Position auf der Station beneideten und das obwohl May mehrfach überdurchschnittliche Kompetenz und viel Mut bewiesen hatte.


Wenn sie es sich genau überlegte waren es immer schon die selben Personen gewesen. Seit sie mit den Anderen zusammen als Pilot zugelassen war, gab es diese unsichtbare Mauer zwischen denen, die May akzeptierten und denen, die sie nicht leiden konnten oder ihren Werdegang und schnellen Aufstieg als ungerecht empfanden. Mergy hatte mal gesagt, man könne es nie allen recht machen, egal wie sehr man sich anstrengt und egal wie viel Mühe man sich gibt. Damit hatte er wohl recht. In der Kommandotruppe war sie voll akzeptiert. Da gab es kein wenn und aber. Selbst Sab nahm ihre Anwesenheit und ihren Rang nicht nur einfach hin. Aber sie hatte sie ja auch selbst befördert. Mergy hatte May erzählt, er hätte sich damals sehr anstrengen müssen, ihren Verbleib auf der Station zu gewährleisten. Ein Kichern entfuhr ihr: »Das mit dem Kinderhort bekommst du noch irgendwann zurück, Sab.«


Die große Stadt tauchte vor ihr auf. Washington. Eine Stadt mit einer großen Geschichte und großer Bedeutung für das riesige Land unter ihr. Sie konnte nicht anders als ihre Anwesenheit mit einigen Schreien des Transporters zu verkünden. Ein paar bewaffnete Hubschrauber setzten sich an ihre Seite und geleiteten sie auf der abgesprochenen Flugbahn direkt zum Weißen Haus. Sanft bremste sie das Flugschiff über dem Asphalt ab und reduzierte die Höhe. Sie konnte bereits einige bekannte Gesichter in der kleinen Menge ausmachen. Der Präsident, seine Frau und seine Töchter Nesha und Saden blickten neben einigen Leuten in Uniform gespannt nach oben. Mit dem Abstellen des Antriebs verstummten auch langsam die künstlichen Antriebsgeräusche. May ging zwischen den Sitzen und den Tischen nach hinten zur Tür und betätigte den kleinen Taster. Mit einem Zischen verschwand die Tür im Innern der Wand, ja wenn man es genau nahm sogar im Inneren der Scheibe. Tin hatte da wohl die gleiche Technik verbaut wie in den Flügeln der Kampfgleiter. Die Türen wurden also beim Öffnen vernichtet und beim Schließen neu erschaffen.


Präsident Johnson machte einen Schritt nach vorne: »Es freut mich sie wieder zu sehen, Kommander.« Die Begrüßung war herzlich und offen. Auch seine Frau begrüßte sie freundlich, musste sich aber eingestehen, nur den Vornamen des Kommanders zu kennen. »May Chong, aber May reicht.«, lächelte May nur und begrüßte auch die beiden Kinder. »Wir würden uns gerne im Inneren umsehen.«, vermeldete einer der Beamten vom Secret Service und verschwand, ohne auf eine Antwort zu warten, mit drei weiteren im Bauch des Flugapparates. May machte unterdessen ein weiteres bekanntes Gesicht aus: »Simmons, schön sie zu sehen. So ganz ohne Flugzeug hätte ich sie fast nicht erkannt.«


Der Pilot, den May auf etwa 35 schätzte, freute sich der jungen Frau sogar namentlich in Erinnerung geblieben zu sein. Für May war es ein leichtes sich Namen und Gesichter zu merken, aber das konnte er ja nicht wissen. Er berichtete, er würde nun für den Stab des Präsidenten arbeiten. Technischer Koordinator für Sicherheitsfragen. May kam nicht dazu zu hinterfragen, was es mit dieser Bezeichnung auf sich hatte, denn neben ihr stand wieder der Sicherheitsbeamte: »Wo ist der Pilot?« »Ich bin der Pilot.« May deutete mit den Fingern auf sich selbst. »Kindchen, wir lassen den Präsidenten der Vereinigten Staaten sicherlich nicht von einem Kind fliegen.«


»Erstens heißt es Kommander und nicht Kindchen und zweitens bin ich durchaus in der Lage dieses Gerät zu fliegen. Was soll eigentlich diese Kamera? Die kann doch keine guten Bilder machen? Kaufen sie sich mal eine Ordentliche.« May pickte mit dem Finger auf die Krawattennadel des Mannes, der jetzt verdutzt und erwischt drein schaute. »Ich muss mich entschuldigen.«, war es der Präsident der das Wort ergriff: »Ich hatte keine Ahnung von dieser Aktion, aber das wird noch ein Nachspiel haben.« May konnte nicht sagen, ob es der Wahrheit entsprach oder es sich nur um das normale Abwehrverhalten des Landesvaters handelte, aber es war ihr auch egal. Sie hatten ja nichts zu verbergen. May bat die Anwesenden sich einen Platz zu suchen. Nesha fragte sofort ob sie Vorne neben May sitzen dürfe, was ihr Vater sofort verneinte. »Also von mir aus gerne, wenn sie nichts dagegen haben.«, gab May nach hinten, als hätte sie die Antwort des Präsidenten nicht vernommen. May konnte nicht sehen, was hinten passierte, aber wenige Sekunden später saß das Mädchen neben ihr auf dem Stuhl und zog sich die beiden Gurte über die Schultern und steckte die Haken zusammen, als wenn sie das schon immer so machen würde.


Der kleine Pilot fragte noch nach hinten ob die Passagiere startklar wären und schloss die Tür. Sanft hob das Gefährt vom Boden ab. May hatte keine Eile. Sie drehte das Schiff langsam in der Luft und bot damit allen Anwesenden einen spektakulären Blick über die Stadt. Kaum merklich startete der Flug über die Metropole. Der Pilot hätte direkt Senkrecht ins All aufsteigen können, aber er wollte den Gästen ein Erlebnis der besonderen Art bieten. Auf der Konsole neben der Steuerung tippte May einige Kommandos ein. Wenige Augenblicke später erschien direkt vor ihrer Sitznachbarin eine bunte Pappschachtel auf der Ablage. Es war eine originalverpackte Kamera. »Reichst du mir die Schachtel?«, fragte May und das Mädchen folgte ihrer Bitte: »Boyd, fangen sie.« May warf die Kiste blind nach hinten und steuerte mit ihren Kräften die Flugbahn so, das sie genau auf den Beamten mit der Krawattenkamera zuflog, der sichtlich irritiert dreinschaute, als er das Päckchen fing. Im Vergleich zu seiner Miniaturkamera war diese, von der Bildqualität her, ein Luxusmodell mit allen Funktionen, wenn auch etwas auffälliger.


May schaute nach rechts und sah den fragenden Blick ihres weiblichen Gastes: »Auch eine?« Das war nicht die eigentliche Frage gewesen, aber bevor das Mädchen auch nur etwas sagen oder eine andere Geste machen konnte, erschienen zwei weitere Schachteln auf der Ablage. »Eine für dich und eine für deine Schwester. Damit ihr Erinnerungsfotos machen könnt.« May musste an das Foto mit Mergy auf dem Chopper denken. Es war immer noch ihr einziges Bild und für sie eine wirklich wertvolle Erinnerung. Nesha reichte die Kamera gerade nach Hinten durch, als sich der Himmel verdunkelte und das Weltall erschien. »Vielleicht können wir unsere Astronauten sehen.«, erklärte der Präsident seinen Töchtern, als die ISS langsam vorbei schwebte. »Dort ist niemand mehr an Bord.«, erwiderte May: »Die Besatzung habe ich vorhin abgeholt. Wenn wir schon Tag der offenen Tür machen, dann auch mit unseren Nachbarn.« »Ohhh.«, entfuhr es Nesha als die unfertig aussehende weiße Kugel in ihr Blickfeld geriet: »Das sieht ja auch in Echt aus wie ein fliegendes Schloss!« »Ja, das habe ich beim ersten Anblick auch gedacht. Das ist Ray Team One. Mein Zuhause. Auch ein weißes Haus.«, gab May witzelnd zu verstehen und Nesha kicherte bei dem Vergleich ihrer Domizile.


»Transporter One an Ray Team One. Erbitte um Erlaubnis zum Perimeterflug.« »Erlaubnis erteilt. Landefreigabe für Hangar 2« »Was ist ein Perimeterflug?«, stellte das Mädchen neugierig weiter Fragen. »Das bedeutet wir fliegen zwischen den Türmen und Ringen hindurch. Durch die Gravitationswellen der Station ist das Fliegen im Perimeter nicht so einfach und kann gefährlich werden.«, erklärte May. »Sollten wir dann nicht besser außen herum fliegen?«, kam sofort eine besorgte Frage von einem der Sicherheitsbeamten. »Keine Sorge. Genießen sie den Flug.«, erklärte May und flog unter dem äußeren Ring hindurch und zwischen den Ringen wieder langsam nach oben. »Da ist meine Wohnung.«, erklärte sie ihrer staunenden Kopilotin und deutete auf ein paar Fenster. Dann ging es über den inneren Ring und kreisförmig um den zentralen Kern zurück nach oben. »Ist das riesig.«, merkte Simmons an, während May über den Zielhangar hinweg das All ansteuerte. »Wo fliegen sie hin?«, kamen erneut besorgte Fragen von hinten. »Keine Panik, alles streng nach Vorschrift.«, beschwichtigte May und rotierte den Metallkasten, der nun wieder direkt auf die Station und die eckige Hangaröffnung zu flog.


Sanft wie schon hunderte Male zuvor navigierte sie durch den Korridor in die große Halle, in der schon Tin, Trish, Mergy, Daneen und der Doc aufgereiht warteten. Nim stand an der Konsole und überwachte den Landeanflug. Mergy hatte ihn wohl da platziert, damit es nicht so leer aussah. »Den Dingen eine menschliche Komponente verleihen.«, hatte er eine ähnliche Aktion einmal bezeichnet. Leicht knarzend setzte der Bus sachte auf dem Deck auf. May schaltete den Antrieb aus und öffnete die Außentür, an der Mergy sich und die anderen Teammitglieder den Gästen vorstellte. Die zeigten sich begeistert von den riesigen Regalen in denen etwa 90 Gleiter verstaut waren. Viele der anderen Fächer waren einsatzbedingt leer. Heraus stachen wie immer Mays bunter und die beiden medizinischen Gleiter. May verließ als letzte den Transporter und bekam gerade noch mit, wie das Landesoberhaupt sich verwundert zeigte, dass die Anwesenden den identischen Rang bekleideten wie May. Mergy erläuterte, nicht zum ersten Mal, förmlich und respektvoll, wieso May für diesen Rang qualifiziert war.


Gerade als der junge Kommander unauffällig Sab per Funk fragen wollte, ob sie den Gleiter in Hangar 3 parken solle, kam Suki in den Hangar. Sie trug ebenfalls die festliche Uniform, die May schon die ganze Zeit zwickte. Offensichtlich sollte Suki den Transporter umparken. »Hangar 3«, quiekte sie ungewohnt leise mit einem frechen Grinsen auf den Lippen, als sie an May vorbei wanderte und versuchte dabei vergeblich professionell auszusehen. Der Doc wurde ebenfalls überschwänglich begrüßt, hatte er doch damals höchstpersönlich das Leben der Präsidententochter und der Piloten gerettet. Suki hob mit dem Schiff ab, drehte mittig zwischen Decke und Boden und sauste durch den Korridor nach draußen.


Simmons schaute mit großen Augen hinter dem Transporter her durch den Landetunnel ins offene Weltall. »Was ist los?«, fragte May direkt und unverblümt. Sie hatten schließlich schon einige Schlachten zusammen geschlagen und es war als würden sich die Beiden schon ein wenig kennen. »Müssten wir nicht?«, sprach er eine halb fertige Frage aus und deutete auf das unsichtbare Vakuum, welches sich am Ende des Tunnels ausbreitete. May lachte. »–aus der Station gesaugt werden? Ist mir schon passiert. Dafür musste ich den halben Hangar sprengen. Das ist absolut sicher. Acht komplett unabhängige und nicht abschaltbare Schilde trennen uns vom All. Locker bleiben, Simmons. Einfach locker bleiben.« Simmons nahm die Worte auf, aber er fühlte sich dennoch nicht wirklich sicherer.


Daneen kannten alle Gäste durch ihre Berichte und Sendungen über das Ray Team. Mergys Plan war aufgegangen. Die Frau hatte, durch ihre offene Berichterstattung und die Interviews mit dem Ray Team als auch mit geretteten Personen, viele der Vorurteile vom Ray Team genommen. Die Tatsache, jetzt den Präsidenten der Vereinigten Staaten auf ihrer Station im Weltraum zu haben, setzte jetzt wiederum ein Zeichen für die anderen Nationen. Sab hatte sich besorgt gezeigt, weil sich genau durch dieses Zeichen andere Nationen übervorteilt fühlen könnten, aber Mergy meinte nur, es stände ihnen ja frei selbst eine Delegation zu schicken und man würde kein Land bevorzugen.


Mergy fragte bei den Gästen an ob es genehm sei, wenn May die beiden Kinder herumführen würde. Sie hätten wohl andere Interessen als die Erwachsenen. Nach einer kurzen Diskussion mit den Sicherheitskräften stellte man zwei der Beamten an ihre Seite. »Willkommen im Kinderhort.«, dachte May noch als die beiden Babysitter sich zu ihr und den beiden Mädchen gesellten. »Also wozu habt ihr Lust, was wollt ihr sehen?«, fragte May. »Zeig uns dein Zimmer!«, machte Nesha den ersten Vorschlag, der auch gleich angenommen wurde. »Also los.« Die anderen waren schon aufgebrochen, als die beiden Mädchen mit ihren Kamerakartons den Hangar verließen waren sie nicht mehr zu sehen. Mit dem Lift ging es aber nicht in die Wohnung, sondern erstmal direkt in einen der oberen Türme, wo alle erstaunt die Aussicht auf die Station und den Planeten genossen.


»Setzt euch. Wir packen erst einmal die Kameras aus, damit ihr auch Bilder machen könnt.«, schmunzelte May: »Der Vorteil bei Ray Team Geschenken ist, dass man sie sofort nutzen kann.« Schnell waren die Kameras ausgepackt und ausprobiert. May war erstaunt wie schnell die Beiden die Kameras auch ohne Anleitung verstanden. Diese Technik von der Erde war so ganz anders als alles was May selbst kannte. Einem Sparx sagte man schließlich einfach er soll Bilder machen und brauchte man nur am Ende des Tages nachsehen, welche Bilder man behalten wollte. Hier waren Knöpfe, Schalterchen und sogar ein kleiner Terminal eingebaut, der Eingaben erlaubte.


Nach einer kleinen ersten Fotosession setzten, sie weiter knipsend, ihren kleinen Rundgang im Wohnring der Station fort. »Wohnen hier überall Leute?«, fragte Saden nach, weil sie viele Türen auf ihrem Weg passierten. »Das sind alles Wohnungen. Die auf der rechten Seite sind fast alle frei. Nur wenige bevorzugen den Blick auf den Stationskern und über die Station hinweg.«, erklärte May: »Auf der anderen Seite, mit unverbautem Blick auf die Erde und das All, sind etwa 240 Quartiere bewohnt.« »Wie viele gibt es denn?« »Insgesamt etwas über 2000.« »So viele?« »Naja, man weiß ja nie wer zu Besuch kommt.«, grinste May und hielt vor ihrer Tür: »Da wären wir.« Sie drückte auf die Taste und trat in den Wohnraum. Ihre vier Begleiter folgten wortlos, aber es dauerte nicht lange, bis die ersten Fragen der beiden kamen. Als Erstes stach natürlich der Chopper ins Blickfeld aller. Wer hat auch schon ein Motorrad im Wohnzimmer? »Wem gehört das Motorrad?«, fragte Saden. »Das ist meins. Ich habe es selbst gebaut.« May konnte nicht umhin das Gefährt mit gewissem Stolz zu präsentieren. Die Kindergärtner hatten bei dem Thema mit Sicherheit auch diverse Fragen, hielten sich aber dezent zurück.


»Möchtet ihr was trinken?«, fragte May und beide wünschten sich ein Erfrischungsgetränk, welches May zur Verwunderung aller aus der Wand zauberte. »Was ist mit ihnen? Stehen sie nicht so steif in der Gegend herum. Setzen sie sich und trinken sie etwas.«, wies May schon fast fordernd an, aber die Beiden weigerten sich. »Wenn ich sie hätte ausschalten wollen, dann hätte ich das schon längst getan und sie könnten mich bestimmt auch jetzt nicht daran hindern. Wir werden es schon niemandem verraten.« Zögerlich setzten sich die beiden Agenten zu den Kindern an den Tisch. »Wo sind denn all deine Sachen?«, fragte Nesha plötzlich während sie sich umschaute. »Was meinst du?« »Naja, deine Spielsachen, Poster und so?« »So etwas habe ich nicht. Suki, eine Freundin von mir, hat mal gesagt, man könne damit spielen kann. In der Wand ist ein Fach mit Steuerungen, aber ich habe das noch nie gemacht.« May deutete auf den großen Schirm und eine Klappe in der Wand darunter. Nesha öffnete die Schublade und fand die genannten Steuergeräte.


»Andere Spielsachen hast du nicht?«, fragte Saden immer noch ungläubig nach. »Nein.« May war sichtlich unsicher. Sie hatte mit den Anderen auf der Station viel Zeit verbracht, aber meistens hatten sie Filme geschaut, oder sich im Sor mit Spielen und Sport vergnügt. Das neue Freizeitdeck war auch eine tolle Sache, aber diese anderen Spielsachen von denen die Beiden redeten machten sie doch neugierig, obwohl sie nie etwas vermisst hatte. »Was machst du denn den ganzen Tag?«, fragte Nesha. May gab freundlich Auskunft über ihren normalen Tagesablauf und erklärte ausführlich die dabei aufkommenden Fragen der Präsidententöchter. Die beiden Wächter lauschten aufmerksam ihren Worten und wurden langsam lockerer und saßen weniger verkrampft da. May erklärte Jaque würde vielleicht eins ihrer Spiele kennen und könnte es wie die Kameras herbei zaubern. Saden und Nesha nannten den Namen eines Kartenspiels und Jaque brauchte nur wenige Augenblicke und die passende Schachtel erschien in der Vertiefung, in der sonst immer nur Speisen und Getränke auftauchten. May ließ sich die Karten und die Regeln erklären und auch die beiden Erwachsenen wurden zum Mitspielen verdonnert.


Das Spiel war lustig. Der junge Kommander hatte viel Spaß und vergaß komplett die Zeit. Erst eine Anfrage von Mergy, wo sie denn bleiben würden, riss die Spielgruppe aus der Unterhaltungsschleife. »Wir sind unterwegs.«, sprach sie in die Hand und wendete sich den anderen zu. »Wir haben die Zeit vergessen. Die Anderen warten schon mit dem Essen im Dragon Fly.«, erklärte May und bedauerte sichtlich die so schnell vergangene Zeit. Es war eine komplett neue Erfahrung für sie gewesen und je länger sie darüber nach dachte, desto mehr wurde es ihr klar. Genau dies dürfte Mergy bezweckt haben, als er sie mit den Beiden losgeschickt hatte. Einerseits war sie sauer auf sich selbst, weil sie mal wieder seinen kleinen Plan nicht durchschaut hatte, aber andererseits war es ein wirklich schöner Nachmittag gewesen.


Die Fünf machten sich erneut auf den Weg und fuhren mit dem Lift auf die Promenade, auf der das Sors natürlich die Blicke auf sich zog. Besonders die Sor Avatare, die dort bedienten, warfen sofort die normale Frage nach der außerirdischen Herkunft auf. May erklärte seine Existenz und deutete nach oben zum Dragon Fly, welches komplett für das heutige Treffen reserviert war. Die meisten Tische waren aus der Mitte verschwunden, wo nun eine lange festlich hergerichtete Tafel stand. Die anderen Teilnehmer der Präsidentendelegation saßen bereits am Tisch und auch die Astronauten hatten Platz genommen und bekamen gerade von Reiko ihre Getränke. Reiko nahm die Getränkewünsche der jungen Gäste auf und reichte allen die Speisekarte, nicht ohne darauf hinzuweisen, auch jede andere internationale Speise liefern zu können.


May schaute sich am Tisch um. Hier saßen hohe Politiker, Astronauten und Weltverbesserer an einem Tisch und diskutierten über die Zukunft der Menschheit. Mittendrin saß das kleine Mädchen aus einem winzigen Dorf. Von einer unbedeutenden Randfigur war sie zu einem vollwertigen Mitspieler geworden und hatte ihren Platz gefunden. Wie hatte Mergy eben noch auf die Frage nach der Bedeutung des Namens Ray Team geantwortet?


»Wir sind der Junge, der im Pappkarton unter einer Brücke wohnt. Wir sind das Mädchen, dass um ein wenig Nahrung bettelt. Wir sind die junge Frau, die sich mit Hilfsjobs durchschlägt, weil es nie eine Schule besuchen konnte. Wir sind die Menschen die im Leben nie eine Chance hatten. Jedes dieser Lichter für sich leuchtet vielleicht unbedeutend und schwach, aber als Gruppe, als Team zusammen werden die Lichter gebündelt. Sie werden zu einem Leuchtfeuer, einem Strahl, der anderen Menschen den Weg weisst. Das sind wir! Das ist das Ray Team.«


Ja, sie war eines dieser unbedeutenden schwachen Lichter gewesen und jetzt Teil des großen Leuchtfeuers. Jeder neue Tag war auch ein neues Abenteuer. May war schon gespannt, welche Abenteuer das Leben in Zukunft noch für sie bereit hielt.

Vorschau auf: Prinzessin May und der Angriff der Draken

May ist zu hause angekommen und hat als Teil des Ray Teams bereits viele aufregende Abenteuer erlebt. Sie hat neue Freunde und eine neue Familie gefunden. Doch dieses Glück ist in Gefahr als feindliche Raumschiffe auftauchen und ihr Paradies in Schutt und Asche legen. Plötzlich ist sie wieder heimatlos und dann ist da noch diese Sache mit der Liebe ...

Impressum

Texte: Summa Dornigen
Bildmaterialien: Guido Mersmann
Cover: Guido Mersmann
Lektorat: Guido Mersmann
Korrektorat: Guido Mersmann
Satz: Guido Mersmann
Tag der Veröffentlichung: 02.11.2010

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