Bob Dylan schreit schon wieder, damit er die Stimmen, die ihn beschimpfen, nicht hört, Stimmen, die er nur hört. Ich weiß nicht, wie er wirklich heißt, aber sieht so aus wie Bob Dylan in jungen Jahren, deswegen nenne ich ihn so. Er hatte zwei Stäbe, eine Leiter ohne Sprossen, wie er mir vor Tagen erzählte, auf seinem rechten Unterarm tätowieren lassen, die man jetzt deutlich sehen kann, weil er seine Hände gegen die Ohren gepresst hat. Niemanden scheint sein Geschrei hier im Fernsehraum zu stören, nur ein Neuzugang, auf einem Stuhl in der Ecke, knabbert hektisch auf den Nägeln seiner nikotingelben Fingern, aber das kann auch eine andere Ursache haben, denn seine Blicke jagen ängstlich durch den Raum. Er wippt dabei vorgebeugt mit dem Oberkörper vor und zurück. In dem Fernseher läuft gerade „Ich bin ein Star - Holt mich hier raus!“. Das passt ja wieder, irgendwie. Ich wäre jetzt lieber auch zuhause und würde malen oder irgendetwas anderes machen, Hauptsache, nicht mehr hier sein. Hier darf man nur mittwochs malen, nur eine einzige Stunde, und das nur mit blassen Buntstiften, zusammen mit Verrückten, die überhaupt nicht malen können. Warum ich hier bin, weiß ich gar nicht. Man meint, ich hätte Paranoia, Wahnvorstellungen. Nur weil ich rausgefunden habe, dass ich Teil einer Geschichte bin, meiner Geschichte. Sie heißt auch „Meine Geschichte“, nur habe ich sie nicht geschrieben. Ich bilde mir das nicht ein, so wie die anderen hier, die glauben, sie werden von Aliens beeinflusst, kontrolliert oder beobachtet, von Gott oder einer fremden Macht, die durch den Fernseher mit ihnen spricht. Nein, ich bilde mir das wirklich nicht ein, ehrlich. Ich bin in einer Geschichte, die oft gelesen wird. Jetzt gerade wieder. Ich kann zwar niemanden sehen, aber ich weiß, dass jemand da ist, dass Sie jetzt da sind. Können Sie mir helfen, mich hier rausholen oder jemanden Bescheid sagen, den Psychiater Bescheid sagen? Ich bin schon so lange hier. Bitte, ich möchte hier raus. Bitte, bitte, bitteeeeee! … Hallo, sind Sie noch da? … Hallo?
Texte: Raimund J. Höltich
Bildmaterialien: Raimund J. Höltich
Tag der Veröffentlichung: 04.03.2013
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