From: Ibrahim.al-Asiri@gmx.com
To: centre@cnn.com
Date: 02.32 P.M
Subject: Mein Vermächtnis
Nur mein Gewissen war Zeuge, als ich mich auf den blutigen Pfad der Rache begab. Es wäre zu ausschweifend hier und jetzt meine Beweggründe offen zu legen, Ihnen zu erläutern, wie das eine zum anderen gekommen ist. Ohnehin würden Sie es nicht begreifen und verstehen Sie mich hierbei bitte nicht falsch! Ihr Unverständnis wird keinesfalls auf mangelndes Denkvermögen zurückzuführen sein. Sie sind ganz einfach zu sehr im menschlichen Dasein verstrickt, um mein zukünftiges Handeln mit meinen Beweggründen in Einklang bringen zu können. Ich habe mich schon längst von der Menschlichkeit gelöst, bin Wege gegangen, die allesamt in der Dunkelheit zu enden wussten. Dafür habe ich mit meiner Persönlichkeit bezahlt, mit meinem Gewissen gebüsst und wurde zu jenem Tier, dass ihr aus mir gemacht habt. Ihr seid für alle meine Taten verantwortlich und wer am Ende behauptet, ich hätte es für meinen Gott getan, hat mein Handeln selbst nach der folgenden Botschaft nicht verstanden.
Alles begann am elften September zweitausendeins, als um 08h46 in der Früh das erste Flugzeug mit tosender Geschwindigkeit ins World Trade Center preschte und damit das Weltbild aller für immer ins Verderben stiess. Anfangs hatte uns der Schock so fest im Griff, dass wir das Ausmass nicht einmal ansatzweise begreifen konnten. Und nach der ersten, lähmenden Angst kam die Wut. Wer von euch hat bemerkt, dass diese alles umfassende Emotion ganz einfach ausgenutzt worden ist? Die Bedrohung brach so rassant über uns herein, dass man die Sachlage schon akzeptiert hat, bevor man ihre Tragweite überdenken konnte. Bush ging hierbei mit bestem Beispiel voran! Er war es, der mit dem Finger auf uns zeigte – mit schleichenden Worten eine Hetzjagt entfachte, die schon nach wenigen Wochen nicht mehr kontrollierbar war. Ja, man hat dem Schrecken ein Gesicht gegeben, es personifiziert und damit alle Kinder Allahs über einen Kamm geschert. Nun frage ich mich, ob ihr euch noch daran erinnern könnt, wann ihr damit begonnen habt uns zu hassen? Ich frage euch, was habe ich getan, um diesen Hass zu verdienen? Merkt ihr denn nicht, dass sich die Geschichte wiederholt? An dieser Stelle will ich euch erzählen, was mir widerfahren ist.
Ich wurde mit dem Namen Ibrahim al-Asiri bedacht und habe vor ein paar Monaten das einundreissigste Lebensjahr erreicht. Meine Wurzeln liegen in der saudi-arabischen Provinz Nadschran, wobei ich in den Vereinigten Staaten geboren und aufgewachsen bin. Auf der Suche nach dem ´american Dream´ sind meine Eltern vor nun mehr als vier Jahrzehnten in dieses Land gereist. Nur durch ehrliche und harte Arbeit war es ihnen möglich hier Fuss zu fassen und das mit viel Ehrgeiz ersparte Geld reichte mit der Zeit sogar für ein kleines Haus am Randgebiet von Washington aus. Dennoch ruhten sich die beiden auf vergangenen Erfolgen nicht aus, schliesslich galt es jetzt für die Zukunft zu sparen. Es war ihnen ein grosses Anliegen sowohl meinem Bruder als auch mir die beste Ausbildung zu ermöglichen, die der Kontinent zu bieten hat. Ich selbst dankte es den beiden, indem ich Chemie studierte. Wer hätte damals gedacht, dass es wohl der grösste Fehler war, den ich in meinem Leben begangen habe? Damals war ich mir sicher, dass ich dadurch an genug Geld kommen würde, um meine Eltern im Alter finanziell unterstützen zu können. Mitunter war dies einer der Gründe, warum ich mich in den Jahren meines Studiums so hart ins Zeug gelegt habe. Und letzten Endes wurde ich mit einer Elitestelle bei Exxon-Mobile belohnt, wo ich mir schon nach wenigen Jahren einen gewichtigen Namen erarbeitet habe.
Nun wissen sie, wer ich bin. Ein gewöhnlicher Mensch, ein Amerikaner, wie es noch tausende vor und nach mich geben wird. Auch in mir sass die Trauer am elften September tief, als sich die Welt für immer verändert hat. Auch ich verspürte Wut und Ratlosigkeit, stimmte in die verlangenden Rufe nach Krieg gegen den Terrorismus mit ein. Können sie sich meinen Schrecken vorstellen, als man mich eines Tages wie ein räudiges Tier im Schlaf überwältigte und ohne ein Wort der Erklärung vor die Tür trieb? Eine ganze Spezialeinheit schickte der Geheimdienst nach mir, Männer, die wie Hunde in meine hart erarbeitete Existenz stürmten, um mich zu holen. Ich habe geschlafen, als schwer bewaffnete Soldaten nach mir packten und meine Hände in Ketten legten. Man gab mir nicht einmal die Möglichkeit etwas anzuziehen, schleifte mich in Unterhosen vor die Haustür und warf mich den Wölfen zum Frass vor. Menschen, die mich schon viele Jahre kannten, sahen angewidert zu mir herüber, zeigten mit Fingern auf mich und urteilten... meine Mitmenschen waren mir einen deutlichen Schritt voraus, denn während ich mir mehr Kontext herbeiflehte, hat man die Nachbarschaft schon darüber unterrichtet, dass sie Tür an Tür mit einem gefährlichen Tier gehaust hatten. So brachte man mich fort, weg von allem was mir vertraut war, und sperrte mich für Stunden in eine düstere, graue Zelle. Weder hielten es meine Peiniger für nötig mich über meine Rechte aufgeklären, noch wurde mir Rechtsbeistand angeboten. Erst später habe ich erfahren, dass mir diese Grundrechte aufgrund meines derzeitigen Status aberkannt worden sind. Ein Amerikaner besitzt demnach ab dem Moment keinerlei Rechte mehr, sobald man ihn eines terroristischen Akts zu bezichtigen weiss. Man wird zu einer Persona non grata degradiert, bevor der vorliegende Verdacht mit Beweisen untermauert werden kann. Dies wiederum verdanken wir einem Bundesgesetz, das am 25. Oktober 2001 im Zuge des Krieges gegen den Terrorismus verabschiedet worden ist.
An dieser Stelle muss ich gestehen, dass ich mir über den ´Patriot Act´ keine Gedanken gemacht habe. Ich vertraute meiner Regierung auf tiefstem Herzen und war fest davon überzeugt, dass der Präsident nur das Beste für sein Volk im Sinn haben kann. Dieser feste und unabdingbare Glaube wurde in seinen Grundfesten erschüttert, als man mir schliesslich den Grund meiner Verhaftung offenbarte. Auf dieser grossen Welt gab es doch tatsächlich einen Mann mit demselben Namen, wie ich ihn trug ... und damit war mit Nichten das Ende aller Zufälle erreicht. Dieser Fremde mit meinem Namen hat ebenfalls in Amerika Chemie studiert. Eigentlich unterschieden wir uns nur in einer einzigen Sache grundsätzlich, denn während ich darum bemüht war ein ehrliches Leben zu führen, war jener, nach dem man tatsächlich fahndete, einer der schlimmsten Terroristen dieser Tage. Dieses Genie des Bösen entwickelte die Unterhosenbombe, was mir in unzähligen Verhörstunden mehrfach zur Last gelegt werden wollte. Auch hier hat man mich um mein Recht betrogen. War ein amerikanischer Staatsbürger nicht so lange unschuldig, bis man ihm die Schuld bewiesen hat? Ich wurde für Gräueltaten verantwortlich gemacht, von denen nicht einmal in den Zeitungen zu lesen gewesen war. Anfangs versuchte man mich verbal zu einem Geständnis zu zwingen, griff dann aber doch ziemlich rasch zu gewaltsameren Methoden. An diesem Ort hat man mich geschlagen, durch Waterboarding und Stromschläge zu Wahrheiten gezwungen, die ich dem Geheimdienst aufrund meiner Unschuld logischerweise nicht liefern konnte.
Nur Allah weiss wie ich an diesem gottlosen Ort verendet wäre, hätte es das Schicksal nicht gut mit mir gemeint. Das Glück war wohl zur Gänze auf meiner Seite, als ein Zollbeamte der New Yorker Flugsicherheit meinen Namensvetter dabei erwischt hat, wie er mit gefälschten Papieren das Land zu verlassen versuchte. In manchen Augen mochte der Mann einem Genie gleichkommen, doch war er sich seiner Sache wohl einfach zu sicher gewesen. Nach meiner Verhaftung musste er sich auf der sicheren Seite geglaubt haben, nur so kann ich mir sein Wagnis die vereinigten Staaten so übereilt zu verlassen erklären. Jene Bredouille, in die sich der amerikanische Geheimdienst nun unweigerlich katapultiert hat, war obendrein unverkennbar. Auf einmal veränderte sich der Ton, den man mir entgegenbrachte, deutlich. Für mein Schweigen bot mir die Regierung mehr als 1,5 Millionen Dollar an, die ich aus einer reinen Trotzreaktion heraus abgelehnt habe. Von meiner Warte aus war es an der Zeit diesen Missstand öffentlich zu machen, doch jenes Vorhaben wurde so schnell unterbunden, dass ich meine Pläne nicht einmal zur Gänze durchdenken konnte. Von der Regierung höchstselbst wurde mir untersagt nur ein Sterbenswort an die Öffentlichkeit dringen zu lassen und sie drohte mir mit einer lebenslangen Haftstrafe, würden meine Erklärungen von den ihren nur um eine Haaresbreite abweichen. Und ich willigte ein, ohne den Hauch einer Ahnung zu besitzen, was mich in der Aussenwelt erwarten würde. Erst nach meiner Entlassung wurde mir klar, welch Höllenritt unweigerlich auf mich zukam.
CNN hat meine Verhaftung gefilmt und für sie war ich ein gefundenes Fressen. Ich sass kaum eine halbe Stunde in meiner Zelle, als mein Gesicht schon im Fernseher zu sehen war. Meine vermeintliche Geschichte verbreitete sich einem Buschbrand gleich über die ganze Welt. Natürlich wurde nach der Inhaftierung des wahren Ibrahim al-Asiri alles aufgeklärt, aber dann war es schon längst zu spät. Exakt hier beginnt die Geschichte erst wirklich grausam zu werden. Manch einer mag sich denken, dass ich doch eigentlich glimpflich aus der Sache herausgekommen bin und das liegt daran, dass meine Erlebnisse von der Weltbevölkerung schnell vergessen wurde – nicht aber von meinem näheren Umfeld. Niemand wollte etwas mit einem Terrorverdächtigen zu tun haben, selbst dann nicht, wenn seine Unschuld doch unweigerlich bewiesen worden ist. Der Rattenschwanz nahm mit einem Anruf meines Vorsetzen seinen Anfang. Exxon-Mobile kündete mir fristlos und vertröstete mich mit dem Argument, dass sie es sich nicht leisten könnten mit dieser Geschichte in Verbindung gebracht zu werden. Der Zusammenhang zwischen al-Qaida und jener Firma, der ich viele Jahre treue Dienste geleistet habe, sei einfach zu schnell geknüpft. Auch hier wollte man mich mit einer dicken Abfindung mundtot machen, die ich ebenfalls ablehnte. Diesbezüglich kann man allerdings behaupten, dass ich mir das Messer ins eigene Fleisch gedrückt habe. Vor Jahren unterschrieb ich eine Verschwiegenheitserklärung, die mich selbst nach einer Kündigung dazu verpflichtete über die Geschäftsgebahren von Exxon-Mobile stillschweigen zu wahren. Damals habe ich mir auch nicht ausmahlen können, dass mir jemals ein solches Unrecht zuteilwerden könnte.
Zurück in meinem Wohnviertel sollte ich gleich mit einem weiteren metaphorischen Schlag in die Magengrube bestraft werden. Obschon meine Unschuld schon längst ihren Weg durch die Medienhölle gegangen war, hat man sich von mir abgewandt. Menschen, die ich mit grosser Freude meine Freunde nannte, wagten es nun nicht einmal mehr mir in die Augen zu sehen. Wer mich erblickte, wandte sich ab, tuschelte verstohlen hinter mir her oder holte seine auf der Strasse spielenden Kinder hurtig ins Haus. Schon im ersten Augenblick meiner Rückkehr musste ich erkennen, dass man mir die Zukunft an diesem Ort für immer zerstört hat. In diesem Moment kam mir die fristlose Kündigung schon fast recht, schliesslich war es an der Zeit die Lebenszelte an einem anderen Ort neu aufzuschlagen. Gleich am nächsten Tag begann ich mit neuen Zukunftsplänen. Damals habe ich fest an mich und meine Fähigkeiten geglaubt, immerhin nahm man mich bis zu diesem Zeitpunkt als einen renommierten Chemiker wahr. Dennoch war es mir unmöglich eine neue Anstellung zu finden. Verbittert musste ich mir eingestehen, dass man mich auf ewig gebrandmarkt hat ... und diese Erkenntnis ging mit allmählich aufschäumender Wut Hand in Hand. Während meine Hoffnung und das schwer erarbeitete Geldpolster schwand, stieg die Hilflosigkeit und der Schuldenberg so sehr an, dass ich mir meinen hart erkämpften Lebensstandart nicht mehr leisten konnte. Nach einem Jahr höchst erfolgloser Arbeitssuche verlor ich mein Haus. Der gutbürgerliche Amerikaner würde sagen, dass mir mein Heim unter dem Arsch weggepfändet worden ist und ich glaube Erleichterung in den Augen der Nachbarn, meiner einstigen Freunde, erkannt zu haben, als ich den kleinen Vorstadtort für immer hinter mir liess.
Nun hat mich dieses unerhörte Missverständnis Arbeit, Heim und Existenz gekostet. Es hat mich von der einen Sekunde zu der anderen in einen tiefen Abgrund geworfen, aus dem ich nie wieder herauskommen kann. Mittlerweile wohne ich in einer Sozialwohnung, in einem sogenannten Project, und bin zum ersten Mal froh, dass meine Eltern beidermassen eines frühen Todes erlagen – welch Schande diese Verwechslung über die ganze Familie gebracht hätte, will ich mir in den letzten Minuten meines Daseins nicht einmal ansatzweise vorstellen! Hier und heute wird meine Geschichte enden und ich werde als dieses Tier von der Erde verschwinden, zu dem ihr mich gemacht habt. Meine Kenntnisse, gepaart mit mühsam erlerntem Wissen, reichten für die grausemen Rachepläne vollkommen aus. Während ich meinen Nachlass in Worte fasse, blicke ich immer wieder auf die kleine Zeitschaltuhr, dessen Ziffern kontinuierlich gen null runterzählen – hat es sein Ziel erreicht, wird jener Plastiksprengstoff, den ich in einer Weste um meinen Oberkörper trage, in die Luft gehen und neben mir noch viele andere unschuldige Menschen mit in den Tod reissen. Es ist Samstag, 14h30 und ich befinde mich am zentralsten Ort, den man im Meridian Hill Park in Washington finden kann. Ich wage nicht die Opfer zu zählen, die ich in wenigen Minuten zum Tode verurteile, doch werden sie – wenn auch unbewusst – an der Seite eines vermeintlichen Verbrechers ein exampel statuieren!
Dies hier ist kein Aufruf zum Dschihad, kein Kampf im Namen eines einzigen Gottes, den wir alle nur bei einem anderen Namen nennen. Lediglich handle ich wie jenes Tier, das ihr aus mir gemacht habt. Und obgleich meine Tat ein Akt des Grauens ist, hinterlasse ich euch nicht nur mit trauer und Ratlosigkeit! Ich vermache euch Wahrheit, wehrte Hinterbliebene. Wacht auf und denkt nach! Sind die Kinder Allahs tatsächlich Feinde? Wirklich alle?! Und selbst wenn ihr euch an diesem Glauben festkrallen wollt, lasst mich euch mit einer weiteren Wahrheit beschenken. Was mir widerfuhr, kann jedem passieren. Ob Christ oder Moslem ... ob Jude, Hinduist oder Buddhist! Wie schnell ist mit dem Finger auf einen Menschen gezeigt ... wie schnell nennt man ihn gedankenlos einen Terroristen. Ein rasch gewonnener Ruf, den man nie wieder ablegen kann. Einem Schatten gleich wird er dich bis zum letzten Tag verfolgen.
Mit diesen Worten und in Hoffnung auf Veränderung verabschiede ich mich von dieser Welt, von euch, die leichtfertige Urteile fällt, vom jenem Leben das ich einst kannte und so geliebt habe.
Hochachtungsvoll
Ibrahim al-Asiri
Der unschuldige Schuldige
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Ich schliesse meine Augen
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Ich atme tief durch
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Ich denke an nichts!
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Ende
Tag der Veröffentlichung: 26.04.2014
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