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Glibberiger Schleim tropfte von den grob behauenen Wänden und verströmte einen nicht unbedingt unangenehmen, modrigen Duft. Manche würden für eine solche Atmosphäre Unsummen ausgeben, Badger hingegen, seines Zeichens grobschlächtiger Anführer einer wirklich niederträchtigen Piratenbande, war nicht wegen seines Reizhustens hier, sondern wegen des riesigen Diamanten, den die klapprige, alte Eule sorgsam bewachte.
„Damit war es den alten Kulturen also möglich, einen fremden Körper zu übernehmen?“, fragte er, mit nicht mehr als einem Fotoapparat bewaffnet.
Die Eule nickte und rückte ein wenig zur Seite, damit diese scheinbar so netten Ausflügler einen besseren Blick auf das Heiligtum werfen konnten. „Das erste Foto ist umsonst“, verriet sie grinsend, „jedes weitere kostet extra“, und zeigte auf die kleine Sammelbüchse.
„Da bin ich anderer Meinung“, lachte Badger auf und zog sein verstecktes Messer. „Dieser Klunker gehört ab jetzt nämlich mir.“ Seine Kumpane taten es ihm gleich und schon herrschte ein Kampf auf Leben und Tod, dem sich eine schneeweißen Schönheit aus Badgers Gruppe entzog, ohne auch nur einen Kratzer abzubekommen.
Ihre Aufgabe, von Badger genau definiert, führte sie zu Captain Kitty.


Seufzend trat er an das verstärkte Bullauge und blickte hinaus in die Schwärze des Universums, die nur an einer Stelle gleißendem Licht wich. Dort, in einer Entfernung von wenigen Lichtsekunden, tanzte das feurig leuchtende System, bestehend aus sechs umeinander kreisenden Sternen, das alle Kinder unter dem Namen Biber kannten.
Der Unterschied zwischen luftleerem Raum und einer wohlbehütenden Heimatatmosphäre erstaunte ihn immer wieder. Obwohl er beinahe meinte, diese Gasriesen anfassen zu können, würde er seine Pfote nur weit genug ausstrecken, herrschte um ihn herum weder helllichter Tag – schließlich gab es weit und breit nur sein eigenes Schiff, das Licht zurückwerfen konnte – noch eine angenehme Wärme: die Instrumente berichteten von unfassbaren -270°C Außentemperatur.
Sein Interesse galt jedoch nicht dem leuchtenden Spektakel, das er auf seinen Streifzügen durch die Galaxis schon oft genug gesehen hatte. Er wollte sich nur vergewissern, dass der Bordcomputer die Berechnungen ordnungsgemäß durchgeführt hatte und ihn und seine Mannschaft nicht in den Tod steuerte. Im Notfall würde er das Schiff manuell an diesen gigantischen Massen vorbeimanövrieren, um genügend Schwung für die weite Reise bis zur Erde aufzunehmen. Im Zweifelsfall ging nichts über gute ehrlicher Hände Arbeit.
Leider verhielten sich alle Abstände ordnungsgemäß und ihm blieb nichts weiter übrig, als tatenlos darauf zu warten, seinen Körper an den ruchlosen Rascal Badger zu verlieren. Dieser dachte wohl, ihn überraschen zu können, doch da hatte er den Käpt'n unterschätzt. Nicht umsonst hatten ihn seine Eltern mit dem Namen Captain bedacht: allen einen Schritt voraus zu sein, lag ihm im Blut. Seit zwei Jahren war alles für einen solchen Tag vorbereitet. Er hoffte nur, dass Lotte nichts geschehen würde.
Noch einmal seufzte er schwer, dann endlich begrüßte er seinen wortlosen Besucher, dessen Klinge seit einigen Sekunden an seinem Hals lag. „Ich habe dich schon erwartet, Alley Cat.“
Sie schnurrte ihm ins gespitzte Ohr. „Käpt'n Kitty, seid Ihr immer so leicht zu überrumpeln? Jeder Attentäter hätte leichtes Spiel.“
„Jeder Attentäter“, bemerkte er nüchtern, „wäre schon an der Tür mit einem meiner Messer im Herzen tot zu Boden gegangen.“
„Da frage ich mich doch, wieso mir dieses Schicksal so offensichtlich erspart geblieben ist?“, fragte sie keineswegs verängstigt.
Ohne auf die Schneide zu achten, die einen blutigen Striemen auf seinem Fell hinterließ, drehte er sich schwungvoll um und blickte in Alleys tiefgrüne Augen. „Wie gesagt: Ich habe dich erwartet.“
Ein Knistern lag in der Luft, das minutenlange zwei Sekunden anhielt, bevor sie ihre Lippen stürmisch aufeinander pressten, lustvoll zu Boden sanken und ihre Krallen in Teppich und Fleisch schlugen.
Kein Mann dieser Welt konnte dieser schneeweißen, überaus felininen Katze widerstehen – doch ebenso wurde jede Frau schwach, wenn sie ihm gegenüberstand. Ihm, dem weithin bekannten, überall gefürchteten Piraten Captain Kitty.


Keuchend lag Alley auf dem Boden, neben ihr Captains eilig abgeworfener Gürtel. Was war nur in sie gefahren? Sie hatte sich doch geschworen, jetzt endlich stark zu bleiben, wenn sie ihm gegenüberstand. So einem hübschen Kater waren ihre Vorsätze einfach nicht gewachsen.
Er lag neben ihr, penibel darauf bedacht, kein Zeichen der Erschöpfung preiszugeben. Doch war dies alles umsonst, da sein Körper völlig die Form einer Katze angenommen hatte.
Für diejenigen, die mit diesem Volk nicht vertraut sind, möchte ich dies kurz erklären. Alley, Captain und all die anderen Bewohner des Planeten Animal-Solaris sind hochentwickelte humanoide Lebensformen, die im Vergleich zu uns Menschen viel mehr Variabilität aufweisen.
Im Klartext heißt das erstens, dass sie uns wie eine Mischung aus Mensch und Tier erscheinen. Diese beiden beispielsweise in Form einer Katze – wobei Captain natürlich stets vorgibt, den prächtigen Körper eines Königstigers zu besitzen. Seinen Erzfeind Rascal Badger hingegen könnte man als Dachs bezeichnen und viele Handlungsreisende sind hortende Hamster.
Zweitens bedeutet das aber auch, dass diese Außerirdischen ihr Erscheinungsbild in gewissen Grenzen verändern können: Von beinahe menschlich – also nur mit unnatürlich großen Ohren, viel besseren Sinnen und einer übermäßigen Körperkraft versehen – bis hin zu rein tierisch. Diese tierische Form geht gemeinhin mit weniger Intelligenz, doch umso mehr Instinkten einher, wie ihr euch sicherlich denken könnt.
Daher sollte es auch nicht verwundern, dass Captain, der Inbegriff des gerissenen, intelligenten Weltmannes, seine Katzengestalt nur dann annimmt, wenn seine Gefühle überhand nehmen und all seinen Intellekt verdrängen. Nun – nicht ohne Stolz konnte Alley berichten, ihn dazu gebracht zu haben.
Seit zehn Minuten schon sprach er kein Wort mehr, starrte lediglich an die Decke und wartete ab, was geschehen würde. Lange konnte es nicht mehr dauern.
Gerade wollte sie ihm ein aufmunterndes Wort zuwerfen, da wurde das Zimmer in grelles Licht getaucht und das Letzte, was sie von Captain hörte, war ein trockenes „Oh“.
Die nächsten Worte stammten eindeutig von Badger, obwohl sie mit der sonoren Stimme des Käpt'ns vorgetragen wurden: „Weib, was suhlst du dich auf der Erde wie ein dreckiges Tier!“
„Ich bitte um Verzeihung, Herr“, beeilte sie sich zu versichern. „Ich wollte nur diesen Kitty hinhalten, damit er keinen Verdacht schöpft.“
Er rümpfte die Nase und spuckte aus, kaufte ihr diese Lüge jedoch ab und ließ sich sogar zu einem leisen „Gut gemacht, Püppchen“ herab, während er mit unverhohlener Gier dabei zusah, wie sie in eine beinahe menschliche, kaum bekleidete Form wechselte.
„Männer sind alle gleich“, dachte sich Alley, „das macht sie verwundbar.“ Eine Truppe zu infiltrieren, die aus Frauen bestand, wäre ungleich schwieriger gewesen. Leider hatten all ihre Informationen nicht genügt, um Kitty vor diesem Schicksal zu bewahren.
Badger wischte sich den Speichel aus den Mundwinkeln und trat etwas ungelenk vor das aufgeschlagene Logbuch, dessen letzter Eintrag beinahe noch feucht war. Und obwohl dieser nur aus drei kurzen Zeilen bestand, benötigte er eine halbe Ewigkeit, um seine rudimentären Lesekenntnisse anzuwenden. Dann endlich schrie er: „Mach dich bereit, Weib, wir fliegen zur Erde!“
Ein echtes Genie. Wieder einmal wurde Alley eindrucksvoll bewiesen, weshalb sie auf der Seite Kittys stand.


Ein gewaltiger, stechender Schmerz durchzuckte Captains Schädel und ließ ihn breit grinsen. Er wusste zwar noch nicht, wo er sich befand, aber Eines war sicher: „Ich lebe noch.“
„Ein Leben würde ich dies nicht nennen, Kater“, lautete die Antwort, deren unüberhörbar alte und weibliche Quelle er in der Dunkelheit auch dann nicht ausmachen konnte, als er blinzelnd seine Augen öffnete. Rings um ihn herum wuselten zwar kleine Lichter, doch gaben diese nicht mehr her als halbstarke Glühwürmchen.
Schwerfällig richtete er sich auf und befühlte seinen Körper. Alle ursprünglich vorhandenen Gliedmaßen schienen noch anwesend zu sein, neue hatten sich dafür leider aber auch nicht gebildet. Selbst seinen Gürtel trug er am Leib, obwohl er sich beinahe sicher war, diesen neben Alley abgelegt zu haben.
Alley! Die plötzlich eintretende Flut der Erinnerungen ließ ihn panisch aufspringen und blindlings in eine Richtung rennen. Er musste schleunigst hier raus – wo immer „hier“ auch war –, doch krachte er nur gegen einen Felsen und fiel wieder zu Boden.
„Die Jugend heutzutage“, kicherte die Unsichtbare, die er schon wieder verdrängt hatte. „Immer gleich mit dem Kopf durch die Wand.“
Captain betastete fluchend seine Stirn, konnte jedoch nicht einmal eine Schramme entdecken. Selbst die Kratzer, die Alley ihm zugefügt hatte, waren verschwunden. Dennoch beschloss er notgedrungen, es etwas ruhiger anzugehen. „Wo bin ich?“, fragte er die Frau in seiner Nähe. „Und wer bist du überhaupt?“
„Du bist natürlich in der Zwischenwelt, in der alle verlorenen Seelen landen, die noch zu sehr an ihrer ehemaligen Existenz hängen!“, tadelte ihn die Alte, als wüsste das doch jedes Kleinkind, und wirklich hätte er es sich denken können. „Die zweite Frage kostet allerdings extra“, kicherte sie und schüttelte eine klapprige Sammelbüchse.
„Ah, du bist die Eule aus der Glibberhöhle“, freute sich Captain erkennend und versuchte, ihr blind um sich tastend die Hand zu reichen. Vieles hatte sie ihm in der Vergangenheit beigebracht, ohne das er nicht in der Lage gewesen wäre, sich auf Badgers Übergriff vorzubereiten.
Sie, mit ungleich besseren Augen ausgestattet, wich ihm jedoch aus und zog sich schmollend auf ihre Stange zurück. Was brachte ihr größtmögliche Bekanntheit, wenn sich diese nicht in klimpernder Münze auszahlte?
Captain verdrehte die Augen und zog eine Golddublone aus seinem Gürtel, die sie sich sogleich gierig schnappte. Frauen, die sich allein von seinem Charisma betören ließen, waren ihm um einiges lieber.
„Bürschlein“, kicherte die Eule, „du bist ja doch ein ganz Süßer. Darum will ich dir auch umsonst verraten, wem du dieses Schlamassel zu verdanken hast –“
„Badger.“
„– und wie er dies zu Stande gebracht hat –“
„Der Diamant.“
„– und wie du deinen Körper zurückerlangen kannst.“
„Das Portal.“
Eingeschnappt verzog die Eule den Schnabel. „Dann lass dir wenigstens dies hier geben.“ Sie reichte Captain ein gefaltetes Stück Papier, hieß ihn jedoch an, es erst zu öffnen, wenn die Zeit reif war.
„Und nun gib mir einen Kuss“, scherzte sie, um Captain unmissverständlich zum Aufbruch zu bewegen. Das Portal lag an der höchsten Stelle der Zwischenwelt, also hatte er einen weiten Weg in sehr kurzer Zeit zu bewältigen.


Nur noch einige Lichtstunden trennten Bold Monger und sein Gefolge überaus ehrlicher Handlungsreisender von der langersehnten Heimat. Sie hatten einige äußert vorteilhafte Geschäfte abschließen können, ihre Bäuche sowie der des Schiffes waren randvoll und die eingekauften Sklaven versüßten ihnen die restliche Fahrt.
Mitten in herrlichster Entspannung erreichte Monger ein panischer Funkspruch aus der Aussichtsplattform: „Piraten!“
Sofort ließ er die höchste Alarmstufe ausrufen und eilte, noch halb entkleidet, zur Kommandobrücke. „Welches Zeichen trägt ihr Schiff?“
Der blutjunge Assistent stammelte nur unverständliches Zeug vor sich hin, also setzte er sich notgedrungen selbst ans Radar. Alles, nur nicht Badger, dachte er verzweifelt. Dieser gierige Dachs würde sein Schiff zerstört haben, noch ehe eine Schutzeinheit den Notfunk aufgefangen hätte.
Dreimal überprüfte er seine Berechnungen, dann war er sich sicher und atmete beruhigt aus. Ihr Kurs kollidierte lediglich mit dem Schiff Kittys. Eine Einigung, die für beide Seiten von Vorteil wäre, sollte kein Problem sein.

Kurze Zeit später standen er und ein namenloser Assistent vor Kittys Piratenthron und warteten in gebückter Haltung auf seine Worte.
„Zwei Mäuse also?“, fragte Badger ohne aufzusehen.
Irgendetwas an seiner Stimme klang verkehrt, doch konnte es Monger nicht zuordnen. „Nicht ganz, Käpt'n Kitty“, sprach er nun erhobenen Hauptes. „Wir sind Hamster aus der Kolonie.“
„Hamster, Mäuse, Mittagessen – ist doch alles dasselbe“, grummelte der vermeintliche Kitty und Monger trat zitternd einige Schritte zurück. „Weitere Worte?“
Jetzt galt es, nicht zu zögern. „Wir haben von Ihrem Großmut gehört, verehrter Käpt'n Kitty. Sicherlich können wir uns einig werden.“
„Ja, das denke ich auch“, meinte Badger und leckte sich vor Vorfreude über die Zähne. „Meine Gemahlin wird sich um euch kümmern.“
Aus dem tiefen Schatten neben ihm trat Alley, deren betörendes Aussehen den beiden Händlern einen wohligen Schauer über den Rücken fahren ließ. Mit ihr würde Monger die Beratungen gerne durchführen, da sie sicherlich genauso dämlich wie damenhaft war. Mit eingespieltem, breitem Grinsen winkte er seinen Assistenten heran, der die Pergamente mit den einzelnen Gütern an Bord bei sich trug.
„Wie Sie hier sehen können, Verehrteste“, begann er seine Rede, „führen wir die erlesensten Waren aus allen Quadranten des Univer...“, und hielt schockiert inne, als das weiße Biest dem Assistenten ihre Reißzähne in den Hals und ihr Schwert in die Brust trieb. Röchelnd brach dieser zusammen, die Augen weit aufgerissen.
Und dann stand auch schon die imposanten Gestalt Kittys vor dem dicken Klops und lachte schallend. „Die Maus sitzt in der Falle.“ Ohne ihm nur die geringste Chance zu geben, sich auf die veränderte Situation einzustellen, schnellten seine Pranken vor und brachen ihm mit einem trockenen Knacken das Genick.

Das mörderische Kätzchen leckte sich das Blut von den Lippen und betrachtete die Leichen ohne Bedauern – hätte sie sich Badger widersetzt, wären die beiden nur einen noch grausigeren Tod gestorben. Mord und Totschlag gehörten seit Jahren genauso zu ihrem Leben wie der Schlaf und die Liebe.
Hinter ihr gab Badger der fassungslosen Mannschaft den Befehl, das Handelsschiff statt zu plündern nur diskret zur Explosion zu bringen. Einerseits wollte er sich auf keinen Kampf mit der Schutzstaffel einlassen, andererseits erwartete ihn auf der Erde ein weitaus wertvollerer Schatz als billige Glasmuscheln.
„Dafür müsst Ihr jedoch eine tierische Form annehmen, um nicht aufzufallen“, bemerkte Alley spitz.
„Dies sollte dein geringstes Problem sein, Weib“, lachte Badger auf und hieß sie an, ihm in sein Privatgemach zu folgen. Die drei Stunden, die sie noch bis zur Erde benötigten, wollten genutzt sein.


Die Irrlichter formten ohne Unterlass fabelhaft aussehende Frauen, die nackt an ihm vorbeiglitten, ihn sacht streiften und mit wollüstigen Versprechen weit hinab in die Tiefen der Zwischenwelt locken wollten.
Doch Captain kniff seine Augen zusammen, um nicht auf diese Schemen hereinzufallen, und stellte seine Ohren auf Durchzug. Er musste die Felswand bezwingen, nicht die Abgründe erforschen. Dort unten, das wusste er aus alten Sagen, lauerten unvorstellbare Schrecken, denen er zurzeit nicht begegnen wollte. Freilich nicht, weil er Angst gehabt hätte! Er plante fest, in Zukunft mit einer verwegenen Mannschaft eine Expedition zu starten und noch das kleinste Klümpchen Gold zu plündern. Dafür aber bedurfte es zuerst eben dieser Mannschaft und allem zuvorderst eines Körpers, der nicht von stinkenden Dachsen besessen war.
Käpt'n Kitty verhielt sich demnach sehr klug. All die Hamster, Mäuse und Eichhörnchen jedoch, die vor kurzer Zeit herabgestürzt waren und die er mit umfangreichen Argumentationsketten davon überzeugt hatte, sie nicht vor zwei Sekunden hatte umbringen können, nahmen sich kein Beispiel an ihm. Freudig schwatzend liefen sie neben rundlichen Dirnen daher, versprachen riesige Gewinne bei minimalem Risiko und stürzten unversehens in ein bodenloses Loch, das selbst ihre gellenden Schreie schmatzend verspeiste.
„Verlasst euch nur auf eure Pfoten“, wiederholte Captain seinen Rat, ohne noch von jemandem gehört zu werden. Die Zwischenwelt war nicht für geistig Schwache geeignet und für einen heldenhaften Rettungseinsatz fehlte ihm die Muße.
Stück für Stück schob er sich weiter aufwärts, seine Zeit war knapp. Würde Badger auf Lotte treffen, ehe er das Portal erreichte, wäre alles aus. Er schalt sich selbst, vor Jahren, als er die schwere Truhe in ihrem Garten vergraben hatte, nicht an diese Komplikation gedacht zu haben. Doch getan war getan, jetzt galt es, Schlimmeres zu verhindern.
Ein letztes Mal zog er seine Muskeln zusammen, dann stand er oben auf der Klippe und vernahm wie aus heiterem Himmel Sinneseindrücke, die seine Ahnenreihe schon seit Generationen nicht mehr vernommen hatte. Er hörte das Rauschen der Brandung, roch das Salz der See, und zu verblüfft, um noch an die optischen Gefahren zu denken, riss er seine Augen auf und erblickte tosende Wellen, die sich allen Naturgesetzen zum Trotz in einer gigantischen Blase über seinem Kopf gesammelt hatten.
Die Singularitäten in der Raum-Zeit-Struktur, die die Gravitation auf den Kopf stellten, beeindruckten ihn kaum, waren sie doch eine beliebte Attraktion auf Jahrmärkten, die schäumende Gischt jedoch ließ einen tief verwurzelten Instinkt an die Oberfläche treten, den er schon für überwunden gehalten hatte: „Bäh, Wasser!“ Jahrhunderte hatte es gedauert, bis sich sein Beruf von den Weltmeeren distanziert hatte, und jetzt sollte er wieder in diese blaue Plörre steigen? Das konnte nur ein schlechter Scherz sein.
Zu seinem Leidwesen sah er jedoch keinen anderen Weg, als in die See zu steigen, auf deren anderer Seite er schon das Portal erblickte, und so sprang er beherzt nach oben und tauchte ein in seinen schlimmsten Feind. Dagegen sahen die Haie, die sich ihm augenblicklich näherten, um ihr Mittagsmahl einzunehmen, geradewegs niedlich aus. Angst hatte Käpt'n Kitty vor diesen Angreifern jedenfalls nicht und grimmig schrie er ihnen entgegen: „Überlegt euch das gut, Fischchen, ich bin gereizt!“


Am Erdenhimmel zogen sich dichte, dunkle Regenwolken zusammen. Nun war es wichtig für Fritz, den alle nur Alter riefen, einen trockenen Ort aufzusuchen. Er sammelte die paar Münzen zusammen, die auf dem dreckigen Tuch lagen, und begab sich in gebückter Haltung in das Gewirr aus engen, verdreckten Seitengassen. Unterwegs blickte er sich immer wieder um, ob ihm auch niemand folgte. Sein geheimer Platz sollte genau dies bleiben, für zwei Menschen reichte die Nische nicht aus.
Mit dem ersten berstend lauten Donnergrollen erreichte er seine kleine Kuhle und zog die dicken Decken eng an seinen Körper, damit die Spritzer Himmelsnass, die ihn doch erreichten, nicht allzu viel Unheil anrichteten. Dann lehnte er sich zurück und beobachtete das Schauspiel der fröhlich zuckenden Blitze.
Einige zeigten sich weiter entfernt, andere eher links, und einer schlug nur wenige Meter von Alter entfernt in eine knochige Eiche ein, die zersplitterte und in Flammen aufging.
Als er die Augen wieder öffnete, blickte er direkt auf zwei pitschnasse Katzen, die teilnahmslos im Regen standen, als wären sie nicht von dieser Welt. Die eine war mit ihrem ungepflegten, grauen Fell offensichtlich eine Straßenkatze und nicht weiter von Belang, die andere aber leuchtete schneeweiß und gehörte sicherlich einer reichen alten Dame.
Sich eine Decke über den Kopf haltend schritt Alter schleunigst zu ihr hin und hielt erfolglos Ausschau nach einem Halsband. „Kleines Kätzchen, was führt dich denn hier her?“
„Miau“, antwortete dieses nur und schaut ihn aus großen, grünen Augen an.
„Nun, komm einfach mit, du kleine Flohschleuder“, scherzte er, nahm es auf den Arm und trug es Richtung Unterschlupf. „Für dich ist sicherlich noch Platz und ein paar Mäuse finden wir auch. Dieser räudige Kater ist doch keine Begleitung für dich.“
„Erbärmlicher Mensch“, erklang da in seinem Rücken, „für was hältst du dich eigentlich?“
Er blieb stehen, traute seinen Ohren nicht. Hatte da jemand gesprochen?
„Ja, dich meine ich!“
Langsam drehte er sich um. „Mich?“
Was er sah, konnte nur ein schlechter Scherz seiner Augen sein. Vor ihm stand noch immer der Kater, doch nicht mehr in der handlichen Gestalt von eben, sondern auf das Doppelte seiner ehemaligen Größe angewachsen. Und obendrein konnte er sprechen!
„Hier ist doch sonst niemand, oder?“
„N…nein“, stotterte Alter Fritz, „ich bin ganz alleine.“
„Das ist doch wunderbar.“ Badger grinste breit und stellte sich auf die Hinterpfoten, entwickelte kraftvolle Muskeln. „Stirb, du Wurm.“
Ein einziger Schlag seiner Pranke genügte, um Alter tödlich verletzt zu Boden gleiten zu lassen. Seine halbtoten Augen fielen dabei auf eine beinahe nackte Frau, die am gesamten Körper von Fell bedeckt war.
„Ist das … der Himmel?“, fragte er Blut spuckend.
Der Engel trat an ihn heran. „Ich wünschte für dich, es wäre so.“ Dann pustete Alley Alters Lebenslicht aus.
„Gut gemacht, Püppchen“, lobte Badger sie zum zweiten Mal an diesem Tag. „Irgendwann wird aus dir noch eine wahre Piratenbraut.“
„Wir müssen vorsichtiger sein“, mahnte Alley, während sie niederkniete und Alters Augen schloss. „Die Erde steht nicht in Kontakt mit unserer Rasse. Wenn nur ein einziger Mensch von uns berichtet, wird uns die Schutzstaffel bis an den Rand des Universums jagen.“
Zähneknirschend nickte Badger und verwandelte sich zurück in den flauschigen Traum eines jeden Mädchens. Er war zwar ungebildet, doch ganz sicher nicht blöd.
Alley folgte ihm in die Dunkelheit, weg von der nun nur noch glimmenden Eiche, und hoffte, er würde die verräterischen Tränen in ihren Augenwinkeln nicht entdecken. Wo blieb nur Captain, um diesem Treiben ein Ende zu setzen?


Jauchzend schoss er über das Wasser, ein straff gespanntes Seil in der Hand, das von den gezähmten Fischchen gezogen wurde. Was waren schon blutrünstige, ausgehungerte Haie gegen Käpt'n Kitty?
Elegant glitt er zum Strand und ließ die Raubfische mit ihren noch wochenlang andauernden Albträumen allein. Gründlich schüttelte er sich trocken, dann fiel sein Blick auf das massive, glitzernde Portal, das die einzige verlässliche Lichtquelle in diesem Höllenloch darstellte und die verlorenen Seelen wie Motten anzog. Endlich hatte er sein Ziel erreicht! Jetzt brauchte er nur noch genügend Kraft, um es zu durchschreiten.
Abertausende hatten sich auf den Weg gemacht, um ins Leben zurückzukehren, doch die wenigsten überstanden die Fallen, die Meter für Meter heimtückischer wurden. Und auch um Käpt'n Kitty stand es just in diesem Moment, als er den letzten Weg antreten wollte, schlecht: Vor ihm nämlich tauchte aus einem diffusen Nebel in all ihrer Schönheit Alley Cat auf.
Er wollte seinen Augen nicht trauen, hatte jedoch keine andere Wahl. Wie war sie in diese Hölle gekommen? Totenblass trat Captain Schritt für Schritt näher, streckte zaghaft seine Pfoten aus. „Alley?“
Ihr Blick ging leblos durch ihn hindurch, nur ein einziges Wort glitt über ihre Lippen: „Badger.“ Dann brach sie mit einem leisen Wehlaut zusammen.
Noch ehe ihr lebloser Geist den Boden erreicht hatte, war Captain bei ihr und fing sie auf, presste sie fest an sich. Dieser Hund von einem Dachs, wie konnte er nur wagen, Hand an diese Frau zu legen! „Alles wird gut, Alley“, flüsterte er, ohne sich selbst auch nur ein Wort abzukaufen. Soviel war klar: Für Alley gab es kein Zurück mehr in die wirkliche Welt, sie würde nur in einen toten Körper einziehen.
„Cap…“, hauchte sie, „bleib bei mir.“
Er streichelte ihr sanft über den Kopf. „Natürlich.“
Hilfesuchend blickte er sich um, doch was erwartete er? Alle Insassen dieses Loches waren entweder damit beschäftigt, zu fliehen oder andere in die Tiefen zu reißen. Erste Hilfe gehörte nicht zu ihren Präferenzen.
„Wir brauchen Wasser für dich“, entschied er und lief eilig los. Das Meer war viel zu salzig, in der Nähe gab es aber bestimmt eine Quelle, dort könnte er Alley ablegen und pflegen, bis sie wieder bei Kräften war. Dann würden sie sich ein Haus errichten, auf Monsterjagd gehen und bis in alle Ewigkeit ein glückliches Scheinleben führen.
„Ich wünschte“, flüsterte Alley, „ich hätte mich damals für dich und nicht für Badger entschieden.“
Captain stutzte. Alley war zwar seit Jahren in Badgers Mannschaft aktiv und informierte ihn tagesaktuell über dessen Machenschaften, doch tat sie dies nur auf seinen Wunsch hin.
„Er hat mir den Kopf verdreht, Captain“, redete Alley weiter, „aber jetzt weiß ich, dass du der Richtige bist.“
„So ein Blödsinn“, meinte Captain nüchtern und ließ das Wesen in seinen Armen achtlos in den Dreck fallen. „Alley war, ist und wird auch immer mein sein, ihr Schattenwesen seid wirklich schlecht informiert.“
Ohne auf das Gejammer hinter ihm zu achten schritt er entschlossen den Pfad bis zum Portal entlang und blickte durch die schillernde Substanz hindurch, die dessen Durchgang ausfüllte. Sie zeigte ihm das Bild, das Badger sah: ein sonniger Tag in einer ruhigen Wohngegend, nicht weit von Lotte entfernt.
„Jetzt bin ich am Zug“, sprach Captain möglichst gelassen und ignorierte sein warnendes Bauchgefühl. Seinen großen Auftritt wollte er sich nicht durch Zaghaftigkeit verderben lassen, also schritt er aufrecht und verwegen grinsend in die wabernde Substanz hinein, die sich wie kühler Schokoladenpudding anfühlte. Er spürte schon die Wärme auf seinem Fell, da verfestigte sich die Masse unversehens und warf ihn kraftvoll zurück in die Dunkelheit.
Badger hatte seinen Versuch bemerkt und gegengesteuert. Wie schon erwähnt: Badger war ungebildet, aber nicht blöd. Sein Seelenstein hatte genügend Macht, um solch lächerliche Aktionen zu vereiteln. Es wäre auch zu einfach gewesen!
Zornig schrie Captain auf und warf sich mit voller Wucht gegen das Portal – nur, um wieder zurückgeworfen zu werden. Davon unbeeindruckt versuchte er es nochmals und nochmals und nochmals, immer mit demselben Ergebnis. Er hatte zwar noch einen entscheidenden Trumpf im Ärmel, doch diesen würde er erst später ausspielen können. Für Lottes Sicherheit musste er eigenhändig sorgen.
„Badger, du dreckiger Hund!“, brüllte er und rannte, trat und schlug aus Mangel an Alternativen immer und immer wieder gegen die Barriere.


Vom Streben Captains ungerührt und in höchster Selbstsicherheit lief Bager als lieb dreinblickende Straßenkatze langsam über den Bürgersteig. Sollte sich Kitty dort unten doch abrackern, zurück in seinen Körper würde er es nie schaffen. Allenfalls ein paar unwillkürliche Zuckungen könnte er mit seinen Angriffen hervorrufen – nichts, womit man nicht leben könnte.
Auf der anderen Straßenseite ragte das weiße Einfamilienhaus empor, hinter dem der Schatz laut Kittys Logbuch vergraben sein sollte. Ein rotes X markierte den Punkt, der, wie sollte es auch anders sein, von einer Horde Menschen umgeben war. Er müsste die Nacht abwarten, um den Schatz heimlich heben zu können. Diskretion war daher oberstes Gebot.
Plötzlich gellte der laute Schrei Frau Schmidts durch die Nachmittagsstille: „Lotte!“, und Badgers Herz, das noch immer das von Captain war, zog sich schmerzvoll zusammen.
Die so lautstark angerufene Lotte, ein junges Mädchen mit blonden Zöpfen, rannte kreischend über den Rasen, schaute nicht nach links, nicht nach rechts, überquerte die – zum Glück nicht befahrene – Straße und kniete sich vor Badger hin.
Captain sah Lotte durch das Portal direkt in die Augen. Ihr durfte nichts geschehen, es war nicht ihr Kampf. Mit ungekannter Kraft schmiss er sich in den Durchgang und schaffte es, immerhin die Motorik seines Körpers zu übernehmen. Auf der Stelle drehte er sich weg von Lotte und versuchte, so weit weg von diesem Ort zu kommen wie möglich.
Doch er war zu langsam, Lottes beherztem Griff zu entgehen. Fröhlich drückte sie ihn an sich, streichelte ihn sorgsam und murmelte „Braves Kätzchen“ vor sich hin, während Captain verzweifelt versuchte, ihr einen Warnruf zukommen zu lassen. Badger allerdings blockierte all seine weiteren Versuche, indem er seinen erschöpften Rivalen zurückdrängte.
Von diesen inneren Kämpfen bekam weder Lotte noch ihre Mutter etwas mit, die verzweifelt am Fenster stand. Irgendwann brachte Lottes Katzenbesessenheit sie noch ins Grab. Sie hätte jede Wette eingehen können, welche Frage als nächstes kommen würde, und wirklich stand keine zehn Sekunden später Lotte mit dem sich hilflos windenden Badger auf dem Arm vor ihr und fragte mit zuckersüßer Stimme: „Darf ich es behalten?“
„Ab in den Garten mit ihm, Plan C“, lautete die Antwort, die entschlossen genug klang, um Lotte daran zu hindern, um eine Verbesserung zu Plan B oder gar Plan A zu betteln.
Freudig lief sie um das Haus herum und bettete ihren neuen Liebling auf ein bereitgestelltes Kissen. „Weißt du, Kätzchen, Mama mag es nicht so gern, wenn ich dich und deine Freunde mit ins Haus bringe, daher musst du hier draußen bleiben, bekommst aber Futter.“ Sie schaute Badger, der noch gar nicht so recht wusste, wie ihm geschehen war, tief in die Augen. „Ist das in Ordnung für dich?“
Er würgte sich ein klägliches Maunzen aus der Schnauze, dann war Lotte auch schon quietschend im Haus verschwunden, um das Notwendigste zu besorgen. Hätte sie sich an Captains wahre Natur erinnert, wäre dies sicherlich nicht nur Katzenfutter und eine Gummimaus gewesen.
„Nun gut“, dachte sich Badger und machte es sich gemütlich, einige Stunden würde er durchhalten können. Die Nacht kam früh genug.
Aus der anderen Welt meldete sich keuchend Captain zu Wort: „Denkst du wirklich … damit durchzukommen?“
„Verschwinde, räudiger Kater“, knurrte Badger und drängte ihn zurück in dunkle Tiefen. „Jetzt regiere ich.“


Stundenlang versuchte Captain mit immer neuen Angriffen, seinen Körper zurückzuerobern, scheiterte aber Mal zu Mal an Badgers Willenskraft. Mittlerweile verfügte dieser über genug Erfahrung, ihn auch ohne geistige Anstrengung zurückzuhalten, und so machte er sich grinsend auf, den Schatz zu heben.
Am Firmament leuchtete, fünfzig Lichtjahre entfernt, das Sonnensystem Biber, für das Auge nur als ein einziger, blasser Stern erkennbar. Gleich daneben prangte der Mond mit dem Leuchtvermögen eines Kohlestücks, doch aufgrund seiner Nähe zur Erde hell genug, um den noch feuchten Boden ausreichend zu beleuchten.
Die perfekte Nacht für eine Grabung! Badger und Alley standen neben dem alten Kirschbaum, sorgsam sechs Schritte entfernt, und stießen ihre Pranken in die Erde. Die Familie lag schlafend in ihren Zimmern, da konnten sie es wagen, in ihrer kräftigen Mischform aufzutreten. Der Aushub türmte sich höher und höher – und endlich stießen Badgers Klauen auf die Truhe.
„Kätzchen?“, kam da gänzlich unerwartet eine schlaftrunkene Frage von hinten. Lotte war aufgewacht und nach draußen getorkelt, jetzt stand sie vor den beiden Außerirdischen und wusste nicht so recht, ob sie noch träumte oder nicht.
„Verdammtes Gör“, zischte Badger und trat langsam auf sie zu. Seine Hände waren zu Fäusten geballt und es gab keinen Zweifel daran, was er nun zu tun bereit war.
Das konnte Captain nicht zulassen. Badger konzentrierte sich nicht genug, Lottes Gesicht gab ihm Kraft – diesen doppelten Effekt musste er nutzen, um durchzudringen. Unschuldigen Kindern durfte nichts geschehen.
Lotte hielt den Kopf schief. In den Augen dieses Katzenwesens schien sie kurz ein freundliches Leuchten zu sehen, das ihr vage bekannt vorkam, dann erlosch es wieder und wich der rot funkelnden Bosheit Badgers. Das Untier hob seine Pranke, um den Schädel mit einem Schlag zu zertrümmern – dann krachte von der Seite eine schneeweiße Katze in seine Rippen.
„Lauf, Kleine!“, schrie Alley. „Ich werde ihn aufhalten.“ Mit beiden Fäusten drosch sie solange auf Badgers Gesicht ein, bis sich dieser vom Schreck erholt hatte und sie mit Leichtigkeit von sich stieß. „Nichts wirst du, Miststück!“
Er war nur überrascht worden, im direkten Zweikampf war er Alley haushoch überlegen. Nach zwei wuchtigen Treffern packte er sie am Hals und drosch sie mit voller Wucht gegen den massiven Baumstamm, sodass sie stark blutend in Ohnmacht fiel. Eine adäquate Bestrafung für sie würde er sich ausdenken, wenn er mit diesem Mädchen fertig war.
Bedrohlich schritt er auf Lotte zu, die mittlerweile nicht mehr starr vor Schläfrigkeit, sondern vor Angst war.
Und wieder war da dieses Leuchten in den Augen. Der Mund des Wesens öffnete sich, diesmal aber entglitt ihm eine viel glattere, freundlichere Stimme: „Lotte, erinnerst du dich an mich? Ich bin Käpt'n Kitty.“
Ihre Augen weiteten sich erkennend, es war kein Traum gewesen.
Ein Sommertag vor zwei Jahren. Klein-Lotte allein im Garten. Ein Blitz, der aus dem wolkenlosen Himmel herunterschießt. Ein Loch, neben dem Baum, in dem ein eindrucksvoller Kater mit einer klaffenden Wunde liegt. Ihre sofortigen Hilfsmaßnahmen. Sein dankbares Lächeln. In seiner Hand eine Truhe, die beide gemeinsam mit Erde bedecken. Ihr Versprechen, das Geheimnis zu bewahren.
Sie nickte stumm.
„Dann renn jetzt weg!“
Dieser Appell wirkte Wunder, doch ehe sie sich halb umgedreht hatte, griff sie Badger am Arm und zog sie zurück. „Kein kleines Kätzchen Kitty wird sich mir widersetzen!“
„Aber ein Tiger, der ist mächtig!“, lachte Captain auf und stellte die wimmernde Lotte wieder zurück auf den Boden. Diese Emotionen müssten genügen, um …
„Schweig still!“ Badger dachte mit aller Kraft an den Kristall, der ihm seine unglaubliche Macht verlieh, und es half. Captain wurde zurückgeschleudert, und hoffentlich würde er sich nie mehr von diesem Schlag erholen.
Das kleine, lästige Mädchen hielt Badger nun kopfüber, den Mund mit Erde gestopft. „Nun sieh dir an, wie ich den Schatz hebe. Danach wirst du sterben.“
Mit seiner Rechten zog er die Kiste aus ihrem Versteck. Ein kräftiger Tritt ließ das Schloss zerspringen und schon lag der glänzende Inhalt vor ihm: ein riesiger, lupenreiner Diamant von mindestens zehntausend Karat.
In der Zwischenwelt stand Captain vor dem Portal und grinste triumphierend, jetzt lagen alle Karten auf dem Tisch. Der hinterlassene Eintrag im Logbuch und Alleys fabelhaftes Schauspiel hatten Badger zu dem einzigen Gegenstand im Universum geführt, der seine Macht wirklich auf Dauer brechen konnte.
Badger starrte ihn an. Dieser Stein sah genau so aus wie derjenige, den er genutzt hatte, um Kittys Körper zu übernehmen, nur funkelte er in einer etwas anderen Farbe. Vorsichtig ging er in die Knie und rückte näher. „Wie kann das sein?“
Zittrig streckte er die Hand aus, um die kühle Oberfläche zu berühren, hielt aber kurz vor ihr inne. Was war, wenn Kitty genau dies alles geplant hatte? Nein, das war nicht möglich. Selbstsicher griff er zu und riss den Diamanten in die Höhe. Einen Augenblick lang kostete er das himmlische Gefühl des Sieges aus – dann erstrahle ein grellweißes Licht und zog ihn in die Zwischenwelt.
An seiner Stelle fühlte Captain endlich wieder das Blut in seinen Adern schlagen, den Wind über sein Fell streifen und die Welt vor seiner Größe erzittern. Käpt'n Kitty war zurück!


Eng umschlungen lagen die weiße und die graue Katze auf der Brücke und sonnten sich im feurigen Glanz des Bibers. Alley hatte es wieder einmal geschafft, Captain in seine überaus reizvolle Katzenform zu locken.
Er sah auch keinen Grund, weshalb er nicht entspannen sollte: Badger war verbannt, Lotte erfolgreich dazu überredet, nur geträumt zu haben, und Alleys Verletzungen waren bei Licht betrachtet nicht der Rede wert gewesen und schnell geheilt.
„Welches Abenteuer wird uns wohl als nächstes erwarten?“, fragte sie verträumt und schmiegte sich fest an ihn.
Captain erinnerte sich an den Zettel der alten Eule, für den jetzt sicherlich der rechte Augenblick war. Ohne auf Alleys Einwände zu hören, sprang er auf und durchsuchte seinen Gürtel. Ein wenig bedauerlich war es schon, das alte Muttchen an die Zwischenwelt verloren zu haben, ein Kontakt dort unten würde aber auch nicht schaden. Erfreut stellte er fest, dass die Nachricht den Sprung durch die Dimensionen unbeschadet überstanden hatte, die Eule wusste scheinbar doch mehr über das Raum-Zeit-Gefüge, als sie zugeben wollte.
Hastig überflog er die gekritzelten Zeilen: Badger in Zwischenwelt – Chaos – Lebende Tote – Lotte in Gefahr, und lächelte Alley zu. „Ich schätze, wir werden unseren wohlverdienten Urlaub an einem wirklich interessanten Ort verbringen.“

Impressum

Texte: Maximilian Isaac Rex
Bildmaterialien: Musouka
Lektorat: Musouka, Aushilfskraft 2
Tag der Veröffentlichung: 28.05.2012

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
für Captain Kitty, der mir viel von seinen Abenteuern erzählte, und für meine ganz persönliche Alley

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