„Wir sollten uns das Gartentor genauer ansehen“, schlug Laura vor und blieb so abrupt stehen, dass Steffen, den sie noch immer krampfhaft an der Hand hielt, beinahe umgerissen wurde. „Schau dir nur diese feinen Formen an! Schmetterlinge, Blumen und total wirres Gekräusel voller Symmetrie. Der Schmied muss ein wahrer Meister seines Fachs gewesen sein.“ Wie ein kleines Kind hockte sie nieder und strich bedächtig über das Metall. Nie im Leben hatte sie solch ein schönes Gartentor gesehen – das wollte sie ihrem Mann jedenfalls weismachen –, und würde er nicht eingreifen, so hätte sie kein Problem damit, Büchlein samt Bleistift zu zücken und die gesamte Nacht Notizen und Skizzen über dieses Schmuckstück zu kritzeln. Dabei sollte es sie nicht einmal stören, dies auf fremden Boden im eleganten Abendkleid zu vollführen.
Aber Steffen wusste genau, wieso sie diese plötzliche Begeisterung befiel, und sanft hob er sie wieder auf die Füße. „Du wirst deinen Spaß haben, glaub mir“, flüsterte er so überzeugt wie möglich, wobei er ihr tief in ihre wunderschönen, grünen Augen sah, hinter denen sich eine schüchterne Seele verbarg.
Diese antwortete ihm mithilfe roter Lippen sorgenvoll: „Ach Steffen, ich weiß nicht, was ich hier soll, ich kenne doch niemanden!“
„Zwölf Personen auf einer Feier und du kennst wirklich niemanden? Das kann doch gar nicht sein.“ Ein Lächeln huschte über sein Gesicht, das Laura nicht so recht erwidern konnte. „Immerhin kennst du dich selbst seit geraumer Zeit“, meinte er verschmitzt, „und ich sollte dir auch kein Unbekannter mehr sein.“
Sie verleierte ihre Augen, musste aber in sein Lächeln einstimmen und gab ihm einen Kuss. Nicht aber, weil sein Humor so unglaublich fein war, sondern weil er sie auf eine interessante Frage gebracht hatte, die ihr den Abend etwas versüßen würde. So ließ sie sich zwar von Steffen zu dem hell erleuchteten Haus führen und seinen alten Schulfreunden vorstellen, doch währenddessen weilte sie mit offenen Augen tief in ihrer Gedankenwelt und nickte nur ab und zu stumm mit dem Kopf.
„Hast du zu mir gefunden?“, fragte die kleine Kugel mit Radius 1, die eifrig um sie herum rollte und nimmermüde Kreise zog.
„Natürlich“, antwortete Laura und setzte sich mitten in ein solches Bildnis hinein. „Von überall her ist man innerhalb eines Augenblicks hier, niemandem wird der Einlass verwehrt.“
„Wie wahr“, sprach die Kugel. „Hier gibt es der Tore genug, die all die schönen Wege davor schützen, leichtfertig begangen zu werden. Dieses kleine hier aus Eichenholz gehört zu dir, gerade erst ist es erschienen. Mit der rechten Idee wird es sich dir auftun.“
„Dann überlegen wir einmal, verehrte Kugel. Auf einer Feier befinden sich zwölf Personen, je zwei davon miteinander verheiratet und untereinander bekannt oder nicht. Die Frage, die sich mir stellt, ist nun, ob von diesen stets zwei gewählt werden können, die mit gleich vielen Leuten bekannt sind.“
„Nun, man kann wohl nicht davon ausgehen, dass wir zwei Leute finden, die exakt denselben Bekanntenkreis besitzen, selbst wenn wir die beiden Teilnehmer einer Ehe betrachten“, warf die Kugel eine Bemerkung in die Runde, die Laura vor vorschnellen Schlüssen schützen sollte. Diese Gefahr hatte jedoch zu keiner Zeit bestanden, immerhin hatte sie das Extrem ihres Gatten vor Augen, der durch zahlreiche Tagesausflüge und Internetaktivitäten beinahe jedem bekannt war.
„Wir können auch nicht sagen, wie viele Bekannte diese zwei hätten, immerhin könnte jeder jeden kennen oder aber auch nur seinen eigenen Partner“, meinte Laura, die mit einem Stöckchen Linien in den Sand zeichnete und versuchte, aus Spezialfällen schlau zu werden.
„Was aber, wenn du einmal deine Fragestellung umkehrst und behauptest, solche zwei Leute, die gleich viele andere kennen, existierten nicht, und wenn auch nur in einer ganz ausgefeilten Situation?“
„Dann wäre es so, dass der Bekanntenkreis jeder Person eine andere Größe hätte“, nahm Laura den Faden auf. „Höchstens einer würde vier Leute kennen, höchstens einer sieben, höchstens einer ..“ Plötzlich hatte sich eine Idee gebildet, die in ihrem Hirn förmlich auf und ab hüpfte, und mit einem breiten Grinsen sah sie die Kugel an. „Jeder Gast kennt mindestens zwei Personen, wie Steffen mir beigebracht hat, aber höchstens zwölf, denn mehr sind gar nicht anwesend.“
Gutmütig nickte die Kugel, Laura war nur noch Sekunden davon entfernt, die Lösung zu formulieren.
„Jeweils höchstens eine Person kann zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht, neun, zehn, elf oder zwölf Personen kennen. Damit sind aber höchstens die Bekanntschaften von elf Personen abgedeckt, die letzte muss zwischen zwei und zwölf Bekannte besitzen, was jedoch nicht mehr möglich ist.“ Freudig richtete sie sich auf und stellte sich vor das kleine Tor. „Somit kann es nicht sein, dass alle unterschiedlich viele Leute kennen, es gibt also stets zwei Personen, die genau gleich viele Bekannte haben.“ Damit hatte sie die Frage vollständig gelöst und die beiden Flügel taten sich knirschend vor ihr auf und wiesen ihr den Weg auf das gelbe Wegelchen, dass sich windungsreich bis hin zum Horizont erstreckte.
Laura lief los und bestaunte die Blumen, die am Wegesrand standen. Nichts anderes waren sie als Probleme, die ihrem gleich waren, bis auf einen Unterschied: mal handelte es sich nur um insgesamt zwei Ehepaare, mal um mehrere tausend. Immer jedoch gab es mindestens zwei Personen, die mit gleich vielen anderen bekannt waren, und der Beweis dazu nutzte dieselbe Idee, die Laura gerade ausgesprochen hatte. Endlos könnte sie weiterlaufen und sich an immer neuen Blümchen erfreuen, nach einigen Schritten drehte sie jedoch um. Was nutze ihr ein Weg ohne Tore, die es zu knacken galt?
Die Kugel war derweil in einen geistreichen Monolog über Verallgemeinerungen Lauras Idee verfallen und redete über Schubfachprinzipien und allerlei komische Namen wie Ramsey, Van der Waerden oder Schur, was Laura jedoch nach kurzem Zuhören so sehr langweilte, dass sie sich entschloss, wieder zurückzukehren, und sich mit einem kurzen Gruß verabschiedete.
„Schatz, erinnerst du dich wirklich nicht an Klaus?“, stellte ihr Steffen schon zum zweiten Mal diese Frage, verwundert über ihre geistige Abwesenheit. „Was ist denn nur los mit dir?“
„Ah!“ Laura blinzelte heftig, dann war sie zurück in dieser anderen Welt. „Natürlich kenne ich Klaus“, lachte sie und umarmte ihn fröhlich. „Wenigstens einer, der mir bekannt vorkommt, auch wenn ich dich nur einmal beim Einkaufen getroffen habe.“
„Du Glückliche!“, erklang eine helle Stimme direkt neben Klaus, die zu einer brünetten, zierlichen Frau gehörte. „Ich kenne hier wirklich niemanden und klammere mich die gesamte Zeit an ihm fest. Mein Name ist übrigens Paula.“
„Freut mich“, antwortete Laura und reichte ihr die Hand. „Damit kenne ich jetzt schon vier Gäste. Wusstest du übrigens, dass es auf einer Feier immer zwei Leute rumstehen, die gleich viele Bekannte besitzen?“
„Wirklich?“ Paula schien nicht sonderlich entzückt zu sein, wollte es sich mit ihrer neuen Freundin aber nicht verderben. „Das müssten wir glatt überprüfen und eine Umfrage durchführen.“
„Wir brauchen nicht ..“, hob Laura an, die sich dieser Tatsache absolut sicher war, doch Steffen kam ihr zuvor: „Das ist eine großartige Idee, ich werde gleich Peter bitten, alles zu organisieren.“
Verdutzt blickte Laura ihrem hinweg eilenden Mann hinterher und verfluchte ihre Unaufmerksamkeit. „Wer ist denn nun schon wieder Peter?“, flüsterte sie in sich hinein. Bestimmt hatte er sich schon längst vorgestellt.
„Ganz einfach“, grinste Paula, „er ist der Gastgeber“, und zog die hochrot beschämte Laura hinter sich her in ein großes Zimmer, um dessen mit Speisen bedeckten Tisch der Großteil der Gesellschaft versammelt war. Auch Steffen stand neben einem großgewachsenen Mann, der ihm erfreut auf den Rücken klopfte und dann mit tiefer Stimme um Aufmerksamkeit bat. Einjeder sollte sich flugs bei ihm ein Zettelchen abholen und darauf in größtmöglicher Geheimhaltung die Anzahl seiner Bekannten schreiben – natürlich bezogen auf den Beginn der Feier, denn schließlich waren nun schon alle mehr oder weniger miteinander ins Gespräch gekommen.
Einige Minuten später standen die zusammengeführten Zahlen fest und der große Peter verkündete das Ergebnis: „Nach der Auszählung ergibt sich: Jeweils genau ein Gast kennt zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht, neun, zehn, elf oder zwölf andere Gäste, keine Zahl taucht doppelt auf.“
Ein Raunen ging durch die Menge, sollte Lauras Vorhersage wirklich falsch gewesen sein? Elf Paar Augen wurden interessiert auf sie gerichtet, eine Reaktion erwartend, aber da sie wusste, vollkommen im Recht zu sein, verzog sie keine Miene. Der Fehler musste in der Auszählung liegen, wie Peter sogleich bestätigte: „Wie jedem Anwesenden aufgefallen sein dürfte, waren dies nur elf Zahlen. Die zwölfte stammt von mir und stimmt mit einer schon gegebenen überein. Welche dies ist, bekommt unsere Laura bestimmt heraus, ohne einen weiteren Hinweis zu benötigen.“
Nun herrschte nur noch ehrfürchtiges Staunen, doch Laura lief es kalt den Rücken hinunter. Jeden einzelnen Blick spürte sie als heißen, erwartungsvollen Punkt auf ihrer Haut. „Ich muss nachdenken“, presste sie heraus, packte Steffen an der Hand und zog ihn hinaus in den Garten, auf eine hölzerne Bank in die Nähe des kleinen Tores.
„Erinnerst du dich an ..“, versuchte sich ihr Mann an einer hilfreichen Frage, doch sie wies ihn unwirsch an, zu schweigen. Einen Moment später jedoch schmiegte sich sich an ihn und wartete darauf, dass er ihr Haar streichelte. Dann begann sie, nachzudenken.
„Nanu, so schnell hatte ich dich nicht wieder erwartet“, begrüßte sie die kleine Kugel sehr charmant.
Aber auch Laura wusste sich zu benehmen, indem sie mit ihrem Zeigefinger auf die Ecken der Kugel zeigte und entsetzt Augen und Mund aufriss. „Was ist denn mit dir passiert? Wieso bist du ein Viereck?“
„Wieso sollte denn eine Kugel nicht auch ein Viereck sein können?“
„Na, weil ..“
„Weil ich nur noch zwei Dimensionen besitze? Du kennst doch sicherlich Kreise, die nichts weiteres sind als plattgedrückte Kugeln.“
„Aber ..“
„Meine Kanten? Als Kugel bin ich die Menge aller Punkte, die von meinem Herzen höchstens 1 entfernt sind, nicht wahr? Je nach dem, wie ich diesen Abstand messe – das kommt ganz auf meine momentane Stimmung an –, kann ich die wunderlichsten Formen annehmen.“
„..“
„Nun also zu deinem Problemchen“, plauderte die Kugel fröhlich und heftete sich an ein völlig aus Stahl gefertigtes Monstrum von Tor, das Laura um einige Köpfe überragte. „Es scheint etwas schwerer zu sein als das alte, aber das soll uns nicht schrecken. Eine Skizze wird dir helfen, deine Gedanken zu ordnen.“
Folgsam griff Laura nach einem Stöckchen und begann zaghaft, in den Sand zu zeichnen, ohne zu wissen, wo dies hinführen würde. Wie sollte sie aus diesen dürftigen Informationen überhaupt nur irgendetwas schließen? Ihre Mutter würde wohl antworten: „Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg!“, doch hatte diese sich niemals einem solchen Tor gegenüber gesehen, auch wenn sie ihren alten, treuen Gatten ob seiner Frauenwahl oft so bezeichnet hatte. Zugleich aber war Lauras Hindernis auch Quell ihrer Hoffnung, schließlich ist ein Tor nicht dazu angehalten, Besucher außen vor zu lassen – dazu gibt es der Mauern genug. Eine nützliche Idee flog durch die Gegend, das war gewiss, sie musste nur gefangen werden.
Vor ihr breitete sich nun ein Bild von sechs Vierecken und sechs Kreisen aus, die paarweise durch einen Strich verbunden waren. „Die Kreise sind die Frauen und die eckigen Teile sind die Männer“, erklärte Laura der interessiert blickenden Kugel. „Der Strich symbolisiert das Band der Ehe.“
„Eine sehr feine Graphik“, meinte die Kugel. „Wenn wir noch ein bisschen Theorie reinstecken, sind wir mitten in der Graphentheorie.“
„Eine Theorie zu haben, wäre wahrlich schön“, seufzte Laura, und malte zwei Kreise und ein Viereck probehalber aus. „Das sind ich und Klaus und natürlich Steffen, die drei Leute, die mir zu Beginn bekannt gewesen sind. Und Peter ist auch irgendwo, er wird ein Dreieck.“
Gerade wollte sie ein Viereck seiner schönsten Ecke berauben, da räusperte sich die Kugel in dieser wirklich unauffälligen Art, die sie auf etwas hinweisen sollte.
„Was denn nun schon wieder?“
Die Kugel rang sichtlich mit sich. Im Allgemeinen hielt sie sich strikt an ihren selbstauferlegten Bildungsauftrag, indem sie nicht zu viel verriet und lieber zusah, wie Laura sich plagte, aber zu viel war zu viel. „Was ist denn der Aufgabenkern?“
„Der Kern?“ Laura konzentrierte sich. „Wir reden vorrangig von Bekanntschaften: ein jeder kennt sich selbst, seinen Partner und eine undefinierte Anzahl weiterer Personen.“ Sie verwischte die Formen jeweils zu einem undefinierbaren Fleck und zeichnete jedem noch eine Schlinge an, die die Selbstkenntnis widerspiegelte. Damit degradierten die Linien kurzerhand vom hochliebevollen „verheiratet“ zum schlichten „bekannt“ und waren bereit, sich auf den Rest ihrer zwölfteiligen Welt auszudehnen.
„Sehr schön!“, lobte die Kugel. „Es war mir auch unverständlich, nur den Männer Ecken und Kanten anzudichten. Nun sind alle gleich, nur einer ist gleicher.“
Seine gelehrige Schülerin runzelte die Stirn, hinter der sich das Abstimmungsergebnis in Position brachte. „Natürlich! Es gibt einen Fleck, der nur zwei andere kennt.“ Spontan zeigte sie auf denjenigen, der ihr am nächsten war. „Und derjenige mit den meisten Bekannten ist .. da!“ Sie tippte auf den am weitesten entfernten Flecken, zog aber sofort die Hand weg, als hätte sie sich verbrannt. „Der allseits bekannte Fleck muss auch mit Fleckchen Unbekannt im Gespräch gewesen sein. Dieses aber kennt nur seinen Partner, und daher ..“ – ihr Finger landete direkt neben dem ersten Flecken – „.. ist dies der Gesuchte.“
Sie begann, von ihm ausgehend zehn Striche zu den restlichen Flecken zu malen, aber kurz nach dem dritten fiel der Groschen und gleich einem Steinchen, das durch Schmetterlingsflügelschlagwinde zu rollen beginnt, öffnete Laura ihren Mund und entsandte Wort um Wort, erst langsam und zögerlich, doch bald schon als gewaltige Lawine.
„Der Flecken, der genau einen anderen nicht kennt, sozusagen Fleck 11, kennt auch denjenigen, der nur dreie kennt: Fleck 3. Dieser nun kennt nur sich, Fleck 12 und seinen Ehepartner, also sind Fleck 11 und 3 verheiratet.
Genauso muss auch Fleck 10 mit Fleck 4 verheiratet sein, da Fleck 10 lediglich die Flecken 2 und 3 nicht kennt, und Fleck 4 neben seiner Person und den Flecken 12 und 11 nur von seinem Partner weiß.
Und damit ist Flecken 9 ..“
„Ich glaube, wir haben dich verstanden, Laura“, zügelte die Kugel zur Freude aller Anwesenden den ungehemmten Redeschwall. „Das Argument ist stets dasselbe.“
Laura grinste verlegen und schrieb nur still die Nummern an die Flecken: 2 und 12, 3 und 11, 4 und 10, 5 und 9, 6 und 8. Bei den letzten beiden Flecken zögerte sie, jetzt kam es darauf an. „Einer davon muss Fleck 7 sein, denn dieser steht noch aus, womit wir alle Zahlen beisammen hätten. Der letzte Flecken – Fleck x! – ist also mit Peter identisch und es ist klar, wie viele Personen er kennt.“
„Ist dem so?“, fragte die Kugel misstrauisch, obwohl sie schon spürte, wie sich das Tor unter ihrem Allerwertesten zu öffnen begann.
„Ja, denn die Bekanntschaften sind vollständig verteilt: Peter kennt die Flecken 12 bis 8, aber nicht die Flecken 6 bis 2, das haben wir eben geklärt. Mit seiner Frau und sich selbst sind ihm insgesamt genau sieben Bekannte zugeordnet.“
Damit sprang das Tor krachend auf und wirbelte die Kugel weit durch die Luft, sodass sie von hoch oben sehen konnte, wie Laura jauchzend den Weg entlangsprang und mit Leichtigkeit dasselbe Rätsel mit beliebig vielen Ehepaaren löste. Diese Freude war es, die die Kugel und andere Geistesgrößen dazu veranlasste, wohlgeformte Wege im Schweiße ihres Angesichts über die freie Ebene zu ziehen und das Tor als Grenzschutz zu hinterlassen, der, versehen mit klaren Anweisungen, aus dem einstigen, ungelösten Problem eine Aufgabe formte, die Gedanken kanalisierte und in pures Glück verwandelte. Eine kleine Träne rann ihr über die Ecke, bei schönen Ideen wurde ihr immer so warm ums Herz. Man stelle sich nur einmal vor, Laura hätte tatsächlich alle siebenundsiebzig Bekanntschaften per Hand in das Diagramm gezeichnet! Das Chaos wäre riesig gewesen.
Mit einem letzten gutmütigen Blick auf Laura ließ die Kugel ihre Endlichkeit fallen und entschwand feurig glitzernd in Gefilde, deren Wegebauer jede helfende Hand gebrauchen konnten.
„Er kennt sieben!“, brach es aus Laura heraus, und die gesamte Feiertagsgesellschaft, die sich mittlerweile im Garten versammelt hatte, applaudierte ausgelassen und jemand zündete sogar eine Rakete an, die Lauras Namen glitzernd in den Nachthimmel pflanzte, wie Götter es besser nicht könnten. Dann nahm sie Steffen auf die Schultern und laut grölend zogen sie durch die Straßen, gefolgt von immer mehr Menschen, die aus ihren Betten gestiegen waren und fröhlich die Fantastivität der reinen Vernunft besangen.
Dann erwachte Laura aus ihrem Schlummer, noch immer fest an Steffen gekuschelt.
„Hast du es herausgefunden?“, fragte er lächelnd und streichelte weiter ihr Haar.
„Ja, Peter kennt hier sieben Leute. Soll ich dir erklären, wie man das beweisen kann?“
„Später vielleicht“, enttäuschte sie Steffen. „Ich kenne nämlich einen Weg, der bestimmt leichter ist.
Erstaunt richtete Laura sich auf. „Sag!“
Grinsend reichte er seiner Vorzeigemathematikerin die Karte, die zwei Monate an ihrem und vier weiteren Pinnwänden gehangen hatte.
An die Gruppe Klaus, Steffen, Emilie, Natalie und Conan!
Wisst ihr noch, wie wir beide vor fünf Jahren zum Klassentreffen als einzige verheiratet gewesen sind und ihr scherztet, euch würde so etwas nie im Leben zustoßen? Nun, wir haben gewartet und gewartet, und endlich ist es soweit: Ihr alle habt einen Partner, doch keinen einzigen davon kennen wir. Daher laden wir euch recht herzlich zu einem Sommerfest ein, die genauen Daten findet ihr umseitig.
Eure Claudia & Peter
Zweimal las sich Laura den Text durch und ihr Gefühlsleben wechselte von Neugierde („Was ist das?“) zu Erstaunen („Ach herje!“) zu Bestürzung („Wie oft habe ich diese Einladung nicht gelesen?“) zu Spaß an der Sache („Du bist doch blöd!“), bis sie das Kärtchen einsteckte und eine passende Antwort parat hatte: „Dafür weiß ich etwas, dass dir keine Einladung der Welt verraten kann.“
„Und das wäre?“, fragte Steffen.
„Ganz einfach“, verriet sie ihm, „du hast eine dicke 11 auf deinen Zettel geschrieben.“ Damit eilte sie fröhlich zu Paula, die gemeinsam mit ihr das Buffet vernichten wollte, und ließ ihren fassungslosen Mann allein zurück, dessen Gedanken schon eifrig um Flecken, Striche und eine kleine Kugel kreisten.
Texte: Covasol Libri
Bildmaterialien: unter Verwendung von Cinderella.2
Tag der Veröffentlichung: 11.03.2012
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
allen,
die noch vor den Toren harren