Der Sumpf umspannte alles, jedes und jenes Dorf, liegend am Rand dieser Welt, in der die Sonne jeden Abend die verlorene Schwärze küsste und jeden Morgen dem dunklen Grab mit einigen neuen Schrammen entfloh. Einzige Lichtblicke im Leben waren die wilde, ungezügelte Liebe und reichhaltiges Essen. Wegen jener hatte Frau Terli schon mit mehr als sieben Männern – vom verspielten Lustknaben bis zum senilen Sack – ihr Heim geteilt, wegen diesem hatte sie alle verloren; der Sumpf war nicht gemacht, um in ihm Rehe zu jagen. Zu viele versteckte Löcher, aus denen man nie wieder auftauchen sollte, zu viele Schrecken, die niemandem je bekannt sein würden, und jener eine Schrecken, den alle fürchteten.
Der Sumpf, das Revier und Reich des Todes.
Frau Terli, einsam und allein, saß in ihrer Stube und nichts geschah. Das Moor hatte ihr alles im Leben genommen. Nur manchmal, wenn der Mond tief stand, sah sie, wie verlorene Seelen in den Gärten des Todes wuchsen, und hatte während ihres versonnenen Sitzens das absurde Bedürfnis, hinüber zu waten und selbst zu versinken. Doch jedes Mal, wenn sie den Fuß in die kalte Brühe tauchte, wenn sie den feuchten Odem des tödlichen Reiches einatmete, erwachte ihr Wunsch von neuem und unbesiegbar. Also wartete sie darauf, dass der Tod endlich kam und ihr das brachte, was sie so sehr verlangte: ein kleines Kind. Dieser dachte jedoch nicht einmal in seinen freundlichsten Träumen daran, zu kommen, und kam nicht, und kam nicht, und kam endlich doch, da diese achtzigjährige Frau nicht bereit wäre zu sterben, bis ihr Flehen ein ergiebiges Ohr gefunden hätte. Mehr schwebend als schreitend bewegte er sich lautlos auf sie zu, den schwarzen, vom beständigen Wind zerzausten Mantel hinter sich her ziehend, und senkte vor ihr den Kopf, sodass sie auf Augenhöhe miteinander sprechen konnten.
»Ich hörte, Sie verlangen nach einem Kind, verehrte Frau Terli?«, fragte er mit tiefer Stimme, die ihr durch Mark und Bein fuhr.
Er klang völlig anders, als sie es sich vorgestellt hatte. Nicht wie ein Zombie, aber auch nicht lebendig. Ein Zwischending zwischen seiner und ihrer Welt. Eine Abnormalität im Bereich des Lebens. Doch sie sah gefasst in die dunklen Schatten, von denen sie dachte, dass diese am ehesten Augen sein könnten und antwortete sachlich und ruhig: »Ja, ich wünsche mir ein Kind.«
Der Tod schien zufrieden und berührte sie an der Stirn, woraufhin sie ihren Wunsch in sich trug. Allein eine Bedingung stellte er, der zukünftige Vater: »Wenn dir dein erstes Kind gefallen sollte, so gib mir dein zweites und dein drittes, damit auch ich meinen Nachwuchs aufziehen kann.«
Frau Terli nickte stumm im Wissen, kein weiteres Kind zu bekommen. Wie auch, in ihrem rheumatischen Alter? Der Tod jedenfalls glitt hinweg, seine schwere Klinge hinter sich herziehend und leise über die Gedanken der Frau lachend. So war alles, wie es sein sollte und Frau Terli betrachtete den Sumpf und dessen Meister nun nicht mehr nur als Mörder, sondern auch als Schöpfer ihres baldigen Glücks.
Die Geburt war begleitet von unvorstellbaren Schmerzen, die einem stumpfen Beil entsprangen, welches ihr den Unterleib in kleine Scheiben zerschnitt – jedenfalls fühlte es sich verdammt danach an! Frau Terli keuchte und schrie und krampfte, schneller verlief der Vorgang dadurch jedoch nicht und die Zeit verstrich weiterhin quälend langsam.
Einige Stunden später, die Sonne stand gerade strahlend am Horizont, hatte ihre unbändige Willenskraft ein Mädchen mit Engelsgesicht, umrahmt von ersten goldenen Locken, zur Welt gebracht. Ihr Kind an sich drückend sank Frau Terli daraufhin zufrieden lächelnd zurück in die weichen, zu Bergen aufgetürmten Kissen und schloss entspannt die Augen. Endlich hatte sie Zeit, ihre Tochter mit allen Sinnen zu spüren: die weiche Haut lag auf ihrer, das Herz schlug leicht und leise und es war ihr, als würde noch immer ein Kind in ihrem Inneren der Freilassung harren. Immer noch hallte das Gefühl strampelnder Pein durch ihren Körper und immer noch schienen die Hebammen in heller Aufregung zu versinken.
Seufzend hob sie die Augenlider, um ihre verwirrten Sinne von der vollkommenen äußeren Ruhe zu überzeugen und erblickte das Zimmer, welches mittlerweile ins satte Licht des Mondes getaucht war. Ihr war gar nicht aufgefallen, wie die Sonne hinter den Bäumen des Moores verschwunden war, und um so überdeutlicher bemerkte sie nun, wie ihre beiden Geburtshelfer hektisch im Licht der Kerzen durch den Raum huschten und – unsinniger Weise? – eine weitere Geburt vorbereiteten. Scheinbar war es auch bei Maja so weit. Sie könnten zusammen ihre beiden süßen Kinder aufziehen, dachte sich Frau Terli und ihr Gesicht strahlte fröhlich hinunter zu ihrer Tochter – Marie, das Geschenk des Todes. Doch an der reinen Freude vorbeischauend sah sie voll Schrecken, wie man sich an ihrem eigenen Bett zu schaffen machte. Irgendetwas stimmte nicht und im Augenblick der Erkenntnis durchzuckte sie der heftige Schmerz gleich zweier Beile, die schneller und stumpfer als zuvor und diesmal den gesamten Körper in winzige Scheiben hackten.
Ihre Schreie hallten nicht lange durch die Gassen des Dorfes. Das, was sich abseits jeder realitätsbezogenen Vorstellung in ihr befand, wollte ohne Rücksicht auf Verluste hinaus. Wild zappelnd und klein kämpfte es sich selbst seinen Weg frei und erblickte das Licht der Nacht. Es war zu zweit. Verquollene Augen und verschobene Nasen prangten auf deformierten Köpfen, die über entstellten Körpern thronten, deren unvollständige Gliederansammlung von nur teilweise existenter Haut zusammengehalten wurde. In tiefster Angst vor diesen winzigen Wesen, die verkümmert und verstümmelt zu ihnen hinauf blickten, wichen die Hebammen schreiend zurück und ließen das neue Leben leise platschend zu Boden fallen.
Dem Tod sollte sein Anteil nicht entgehen und von weit her tönte schon das Heulen der Todeswölfe, welche die Ankunft einer neuen Macht auf Erden begrüßten. Das fahle Mondlicht durchstreifte die Winkel des Raumes und wirklich verwunderlich wäre es nicht gewesen, säße er höchstpersönlich auf dem Schaukelstuhl in der Ecke, um dem Spektakel beizuwohnen.
Niemand traute sich, die beiden Klumpen halbtoten Leidens, die ohne einen Laut von sich zu geben ihrem sicheren Ende entgegensahen, auch nur anzufassen, und Frau Terli war sowieso in Ohnmacht gefallen. Allein Marie raffte sich mehr schlecht als recht auf und kullerte mit Hilfe der beinahe allmächtigen Schwerkraft hinunter zu ihren Geschwistern, welche sie neugierig betatschten. Das war zu viel für die armen, alten Weiber, welche dachten, die verkrüppelten Wesen wollten dieses herzallerliebste Kind auffressen oder noch Schlimmeres mit ihm anstellen, und so lösten sie sich aus ihrer Starre und rissen die Kinder panisch auseinander. Marie wurde zurück in die Arme ihrer Mutter gelegt, die abartigen Wesen mit einem Besen in einen Sack gefegt und fest verschnürt. Eine Entscheidung musste dringend gefällt werden. – Nach drei Sekunden angespannten Denkens waren sie sich stillschweigend einig geworden und nickten wie zum Schwur.
»Dir, Sumpf, der du diese Kinder erschaffen hast, gebe ich dein rechtmäßiges Eigentum zurück. Mögest du meine Zweitgeborenen in eine bessere Welt führen.« Mit diesen zittrigen Worten Frau Terlis wurde der Sack mit aller aufzubringenden Kraft in diese schwarzen Blasen des Moors geworfen und die Bastarde versanken, geschwisterlich umarmt, noch immer lebend und noch immer nicht schreiend, langsam und von dichtem Bodennebel verborgen in ihrem neuen Zuhause.
Das dreckige Wasser strömte durch den groben Stoff und umschloss schon nach wenigen Sekunden die beiden Geschwister, die sich fest aneinander klammerten und den Griff sogar noch verstärkten, als sie letztendlich keine Luft mehr bekamen und zuckend dem Leben entglitten. Glücklicherweise währte der Todeskampf nicht lange und bald schon waren sie so tot, wie sie es seit ihrer Geburt noch nie gewesen waren. In diesem Moment letzten Bewusstseins spürten sie einen Ruck und wie es wieder aufwärts ging. Das dreckige Wasser strömte aus dem Sack hinaus und ihre kleinen Lungen sogen begierig die feuchte, muffige Luft ein. Im Zwielicht öffneten sie ihre Augen und sahen einander an, lächelten sogar ein wenig in der Hoffnung eines Lebens. Da tauchte der Sack, der zu früh gehoben worden war, wieder unter und das Martyrium begann von neuem. Dieses Mal jedoch kam die Hebung zum rechten Zeitpunkt und als der Sack aufgeschnürt wurde, erblickte der Tod nur noch die beiden entstellten Leichen, die ab nun nur ihm gehören sollten.
Er hatte großes vor mit seiner Tochter und seinem Sohn und taufte sie nach der Nächten ihrer Zeugung und ihrer Geburt Schwarz und Dunkel. Seine Kunst, nach all den Jahren etwas eingerostet, hatte zwei alleine nicht lebensfähige Wesen erschaffen und darum mussten sie zuerst sterben, um später frei über die Welt wandern zu können. Jetzt im Tod konnte er sie frei bearbeiten und aus ihren kleinen Körpern einen neuen, einen größeren, einen voll funktionsfähigen Behälter für ihre Lebenskraft schmieden. Die unnützen Teile längst weggeschmissen habend und sein nekromantisches Werk zufrieden beendend zog der Tod die beiden dunklen Seelen, zuvor sorgsam geerntet und von menschlichen Restschwächen bereinigt, aus seinem Beutel und flößte sie seiner Schöpfung ein. Ab nun sollten Dunkel und Schwarz einen gemeinsamen Körper bewohnen. Das dunkelschwarze Kind war geboren.
Jahre vergingen, in denen der Tod seinem Kind in den finsteren Sümpfen freien Auslauf ließ, damit es sich entwickeln konnten, um ihn eines Tages zur Hand zu gehen. Zu viele Menschen lebten mittlerweile inmitten der Sümpfe und es gelang ihm nicht mehr, alle Aufgaben alleine zu erledigen. Dunkelschwarz hatten sich prächtig entwickelt und man sah es ihm nicht an, dass es aus zwei verschiedenen Körpern bestanden. Die einzige Abnormalität bestand in seiner gespaltenen Persönlichkeit. Diese allerdings wurde nicht als Makel angesehen. Der Tod selbst besaß drei Seelen, die sich auf jeweils andere Aspekte seiner Arbeit – das Ernten, das Transportieren, das Lagern – spezialisiert hatten. Und so erging es auch seinem Kind: Schwarz konnte tief in die Seelen der Menschen schauen und wusste immer genau, wann der richtige Zeitpunkt für die Ernte der Seele erreicht war, und Dunkel war meisterhaft darin, die Trennung vom Körper durchzuführen. Der Transport gelang ihnen beiden nicht so gut, dafür jedoch hatte der Tod einen Korb erstellt, der ihnen behilflich war. Somit verlief alles in seinem Sinn und jeden Tag sandte er sein Kind aus dem Moor hinaus ins Dorf, um reife Seelen zu pflücken.
Vom Alter gebeugt saß der Greis auf dem trockenen Baumstumpf, auf dem er früher immer die Hühner geköpft hatte, und wartete darauf, dass der Tod kam, um ihn zu holen. Er würde heute erscheinen, da war er sich sicher. Mittlerweile besaß er genug Erfahrung mit solchen Dingen. Auch war ihm bekannt, wie das Ende abzuwehren war: ein schwerer Kranz Knoblauch hing um seinen Hals, das selbst geschmiedete Messer lag schwer in seiner Hand. Er befühlte die Knollen und wog seine Waffe bedächtig in der Hand, die seine Versicherung war, sollten alle Stricke reißen. Heute würde er nicht gehen, das hatte er sich geschworen.
Kaum hatten die toten Bäume des Sumpfes die letzten Sonnenstrahlen aufgesogen, trat der todbringenden Schatten aus dem Nebel des Sumpfes heraus, schwebte ein paar Schritte und hielt vor dem Alten in angemessener Entfernung an.
Gegenseitige Betrachtung fand statt und der Mensch runzelte ungläubig die Stirn im Angesicht des kleinen, androgynen Wesens, das ihn da besuchte und entfernte Ähnlichkeiten mit Frau Terli aufwies, während das dunkelschwarze Kind in Anbetracht der reifen Seele ein leichtes Lächeln aufsetzen.
»Ich dachte immer, der Tod hätte mehr Größe?«, fragte der Alte, seine Sprache wiederfindend.
Schwarz antwortete in ihrer samtenen Sprache, die wie das Wasser klang, das die Opfer des Sumpfes sacht umspülte: »Da denken Sie richtig, rüstiger Herr. Wir sind jedoch nicht der Tod, wir sind sein Kind.«
Schwer schluckend fasste er sich an seinen Schutz. Würde dieser auch gegen diese neue Macht bestehen? Sein Messer lag schwerer denn je in der Hand. »Du sprachst von einer Pluralität? Ich aber sehe nur einen Körper?«
Neben dem Kind erschien ein durchscheinender Schemen gleicher Größe, doch mit jungenhaften Antlitz. »Sieh, was wir sind, alter Mann. Zwei Seelen, Bruder und Schwester, doch lebend in einem Körper. Wir sind das Kind des Todes.« Mit diesen Worten strömte der Geist in den Körper, während gleichzeitig ein zweiter, mit zwei feinen Zöpfen und einem kurzen Rock bekleidet, hinaus glitt. Das Kind sprach erneut, doch die Stimme hatte sich gewandelt, klang nun mehr nach dem Knarren des Geästs in den Weiten des Sumpfes: »Da du um unser Geheimnis weißt, ist nun deine Zeit gekommen. Schwester, bedecke deine Augen, während ich den Schlag ausführe.«
Der Alte sprang abrupt auf. Jetzt hieß es leben oder sterben. Er schwang sein Messer und sprang erstaunlich beweglich auf das Kind zu und stieß in dessen Brust. – Es war wie ein Stoß gegen einen Stein. Das Messer zersprang in zwei Teile und der Alte wurde zu Boden geworfen. Furchtbare Panik weitete seine Augen.
»Schwester, schau endlich weg. Du sollst dies nicht mit ansehen.« Endlich wendete sich der bislang fasziniert blickende, körperlose Hauch ab und das dunkelschwarze Kind konnten seinerseits zum Angriff übergehen. Es hoben seine schwarze Sense und das war das Letzte, was der Mann in seinem Leben sah.
Einsam stand Frau Terli auf der Terrasse und blickte hinaus auf die kahlen Bäume des Sumpfes. Außer ihrer Tochter teilte niemand ihre Zuneigung zu diesen düsteren Gefilden und erst recht fand sich niemand, der sie verstand, hatte sie doch alle ihre bisherigen Männer an ihn verloren. Sie alleine jedoch wusste um das Geheimnis ihrer Marie und lächelte selig, als diese von hinten an sie heran trat und den Rockzipfel fasste. Die glückliche Mutter nahm das blondgelockte Mädchen mit den süßen Lachfältchen auf den Arm und gemeinsam spazierten sie durch die Gärten und über die Straßen und endlich standen sie am Rand des Sumpfes. Hier würde niemand sie überraschen, da sich um diese Zeit – der Mond war schon aufgegangen – alle in die Heimlichkeit ihrer Behausungen zurückgezogen hatten. Sie spielten das alte Spiel vom Tod, der ein Mädchen traf und ihr ein Kindchen schenkte.
Marie war natürlich noch zu jung, um die wahre Bandbreite dessen, was ihre Mutter vor ihr ausbreitete, zu verstehen, doch Spaß machte es ihr allemal. Gerne hätte sie auch mit anderen Menschen gespielt, doch die übrigen Dorfbewohner mieden Frau Terli und Marie seit jenem Tag der Geburt, dessen Vorgänge ihnen mehr als ungeheuer waren. Alte Frauen sollten keine Kinder bekommen – und erst recht keine verkrüppelten, die Jahre später als Todesengel durch das Dorf zogen. Ihr Erstgeborenes konnte, obwohl oder gerade weil es so nett aussah, kein Wesen sein, mit dem man sich als lebensanhänglicher Mensch sehen ließ.
Trotz dieser unverhohlenen Abweisung war Marie das fröhlichste Kind, das es je gegeben hatte. Nie weinte sie, nie war sie bockig und immer aß sie ihren Teller leer, obwohl dies den Regen nicht einschränken konnte. Verständlich also das breites Lächeln auf Maries Gesicht, als sie am Rand des Moores ein weiteres Kind entdeckte, welches sie fröhlich heran winkte, um mit ihnen gemeinsam zu spielen. Sich wundernd über den nächtlichen Besuch drehte sich Frau Terli zu dem Neuankömmling und wurde leichenblass. Nun sollte es auch zu ihr kommen. Zu lange war sie verschont wurden.
Das dunkelschwarze Kind setzten ein Lächeln auf und Schwarz sprach: »Ja, das ist die richtige Farbe. Diese Seele wird gute Wurzeln schlagen.«
Frau Treli konnte nicht antworten. Sie hatte in den Zügen dieses unheimlichen Kindes die Züge ihrer Tochter erkannt. Oder waren es vielmehr ihre eigenen Züge, die sie da gespenstisch anlächelten?
Dem Kind war es egal und mit einer anders klingenden Stimme sprachen es: »Nun denn, Frau Terli, ihre Tage auf Erden sind hiermit vorbei.«
Daraufhin schwangen es seine kleine Sense durch den von vielen Jahren geschundenen Körper des Weibes hindurch und durchtrennten sicher die Nahtstellen zwischen Körper und Seele, welche flugs in das bereitgestellte Körbchen huschte. Die menschlichen Überreste brachen zusammen,woraufhin Marie leise singend nachhause ging. Ihr ward nie beigebracht, sich vor dem Tod zu fürchten.
»Tod, wieso hast du mich geholt? Ich wollte das Leben mit meiner Tochter genießen!“
Der Tod nahm die aufmüpfige Seele und pflanzte sie in seinem Garten ein. Bald schon bedurfte es der Früchte für die nächste Generation der Menschen.
Der Tod wies dem dunkelschwarzen Kind den Weg aus dem Moor, um für heute eine letzte Seele zu holen – die Seele Maries.
Kurze Zeit später sahen sich das dunkelschwarze Kind in dem großen Haus wieder, in dem seine Schwester seit fünf Wochen alleine wohnte. Das Essen war längst ausgegangen, klares Wasser gab es auch nicht mehr und eine Diebesbande hatte die gesamte Wohnung geleert. Niemand hatte sich für das kleine Mädchen verantwortlich gefühlt und so saß Marie – nach wie vor leise singend – in der Mitte der verstaubten Stube und schaute das dunkelschwarze Kind mit großen Augen an. Dieses traten auf seine Schwester zu – natürlich wussten es nichts von dieser schicksalsträchtigen Verbindung ihrer beider Leben – und taxierten sie mit prüfendem Blick. Schwarz erkannte jedoch keinerlei Schwachstelle in ihrer Seele, keine Reife, obwohl der Körper fast schon vergangen war. Wie war das möglich? In seiner ganzen Grauslichkeit standen es da, doch dies machte Marie nicht gruseln. Sie stand sogar auf und trat lächelnd auf ihr Geschwisterchen zu – freilich wusste auch sie nicht um ihr Geheimnis. Sie streckte ihr kleines Händchen aus, um das dicke, schwarze Haar zu berühren und es mit ihrem zu vergleichen. Dunkel seinerseits hob die geisterhafte Sense und hieb mitten durch sein Opfer hindurch. – Nichts passierte, außer, dass Marie mit ihrer nun trockenen Glockenstimme anfing, zu lachen. Sie schien sich sehr über den Besuch zu freuen, auch wenn dieser nicht sprach, seltsam kalt anzufassen war und sie jetzt kurzentschlossen an der Hand packte und nach draußen zog. Ihr gemeinsames Ziel war der Sumpf und Marie folgte willentlich, da sie nichts anderes zu tun hatte.
Neugierig besah sie sich die zerfallenen Bäume und das zerklüftete Land, auf dem sie sicher zwischen den morastigen Flächen wandelten, bis sie endlich vor einem großen Schatten anhielten, der, bei genauerer Betrachtung, ein menschenartiges Geschöpf war. »Schwarz und Dunkel, wieso bringt ihr mir das gesamte Kind?«, fragte der Tod teils erzürnt, teils erstaunt und gespannt auf die Antwort.
»Sie hat keine Angst vor uns«, erklärte Schwarz. »Und obwohl ihr Körper mehr tot als lebendig ist, hängt ihre Seele so stark am Leben, dass Dunkel nichts ausrichten kann.«
»Sieh, Vater!« Er hatte die Kontrolle über den Körper übernommen und versuchte, Marie entlang der Taille zu zerteilen, woraufhin sie abermals so zu lachen begann wie früher, als Frau Terli sie gekitzelt hatte. Dies war dem dunkelschwarzen Kind zutiefst unheimlich und es versteckte sich hinter dem Tod, der langsam und bedächtig den Leinensack hervor holte, welcher ihm schon gute Dienste in solcherlei Dingen geleistet hatte.
Ohne Skrupel packte er Marie hinein, schnürte zu und warf sie in den Sumpf. Kein Mensch konnte dem Tod widerstehen. Marie lachte über das einfließende Wasser und verkannte den Ernst der Lage – die für sie gleichwohl nicht ernst war. Zwar füllten sich ihre Lungen mit abgestandenem Wasser, zwar kühlte ihr Körper komplett aus, zwar begann die Faulheit an ihren weißen Gliedern zu nagen, doch sterben konnte sie nicht. Und so lag sie ihm Sumpf, umgeben von feuchtem Stoff, lächelte sanft und spielte alleine das Spiel von dem Mädchen, das den Tod traf.
Ein paar Monate später – der Winter war über das Land gezogen und hatte dem Frühling das Walten überlassen – erhob sich Marie aus dem Sumpf. Die fauligen Massen sowie ihre unermüdlichen Hände hatten das derbe Leinen zerstört und dank der konservierenden Eigenschaften des Schlammes war sie kaum zerfallen. Allein Haut und Kleidung fehlten an manchen Stellen, was sie jedoch nicht weiter störte. Schmerzen waren in einem untoten Leben nicht weiter von Belang.
Fröhlich singend und sich über die erblühende Natur freuend, watete Marie nun gen Dorf, um sich wieder in die Stube ihres Hauses zu setzen. Wohin sollte sie auch sonst gehen? Sie kannte niemanden. Doch kurz bevor sie die Grenze zwischen Morast und grüner Wiese übertreten konnte, legte sich eine schwere Hand auf ihre Schulter. Glücklich, jemanden zu treffen, wandte sie sich um und erblickte den Tod in voller Montur.
»Untote Mädchen sollten sich nicht unter die Menschen mischen.« Marie blickte in verständnislos an. »Sie sind noch nicht bereit, offen mit unseresgleichen zu agieren. Denke nur einmal an deine Tage bei ihnen.«
Erinnert an diese Zeit, in der sie den Menschen – ausgenommen ihrer Mutter – kein einziges Lächeln entlocken konnte, nickte sie. Lieber wollte sie bei dem Tod und seinem dunklen Kind bleiben.
Sollte er noch eines seiner Kinder bei sich aufnehmen? Noch dazu eines, das nicht einmal sterben konnte? – Kurzentschlossen nahm er sie an die Hand und beide gingen gemeinsam Richtung Behausung, neben der ein junger Seelenbaum wuchs. »Ich denke, deine Mutter wird nichts mehr dagegen haben, wenn ich auch dich aufziehe.«
Wie zur Bestätigung wehte ein Wind durch die Äste des Gewächses und eine Seelenblüte öffnete sich. Marie rannte grinsend hin, packte sich die knuffige, frische Seele und hielt sie an ihr Ohr. »Sie meint, sie würde gerne Bäcker werden.« Stolz über die erbrachte Leistung lächelte sie ihren Vater an, der nun nicht nur wegen ihrer Fröhlichkeit davon überzeugt war, das Richtige getan zu haben.
Schwarz und Dunkel freundeten sich sofort mit ihrer Schwester an, war sie doch neben ihrem Vater das einzige Wesen, das sie nicht zufällig im Spiel töten konnten, und so zogen sie ab diesem Tag nur noch gemeinsam durch das Dorf, um Beute zu machen. Schwarz hielt Ausschau, Dunkel vollführte sein Werk und Marie schließlich baute zu all den Seelen ein inniges Verhältnis auf, womit auch das Transportproblem gelöst war.
Der Tod seinerseits lehnte sich entspannt zurück und widmete sich ganz der Aufzucht seiner Seelenbäume. Wie gut doch ein eigener Garten für das allgemeine Wohlbefinden war.
Texte: Covasol Libri
Bildmaterialien: Musouka
Lektorat: Wer will? ^^
Übersetzung: o.o?
Tag der Veröffentlichung: 05.02.2012
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
für Frau Terli