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Avesandra

Der runde, volle Mond spiegelt sich in der ruhig daliegenden See.

Wie so oft stehe ich an der Reling und blicke auf das weite Meer hinaus, suche etwas, doch ich weiß nicht                          was es ist.

Im Wasser sehe ich mein Spiegelbild. Eine schlanke Frau, klein aber muskulös wirft mir durch das gebrochene Wasser einen ausdruckslosen Blick aus ihren wunderschönen Augen zu.

Ich finde, dass ich sehr schöne Augen habe. Sie wirken grün und wild wie die aufgescheuchte See an manchen Tagen.

Was soll ich nur tun?

Erneut werfe ich einen Blick in das kleine Buch, welches vor mir auf dem Deck liegt.

Ich öffne es:

Logbucheintrag 23-Sommertag Anno 1706

Steht dort in einer krakeligen Schrift.

Ich lese weiter:

 

Wir fahren beständige 12 Knoten. Für unsere Fregatte ein riesiger Erfolg.

Nur noch ein paar Tage und wir werden endlich wieder unseren Heimathafen anlaufen:

New Providence.

Heute fiel mir unter den Matrosen etwas Merkwürdiges auf.

Der Matrose Will Teach –einer meiner besten Matrosen- hat sich mit einem der Gefangenen unterhalten. Dabei hörte ich wie er sagte, dass sein Name Anne Teach sei.

Anne! Ich beobachtete ihn ganz genau und musste feststellen, dass er unter seinem Kopftuch viele Haare verbirgt und dass er offensichtlich einige weibliche Reize zu verstecken weiß.

Eine Frau an Bord bringt Unglück! Ich werde sie in New Providence über Bord werfen. Dort kann sie dann neben dem anderen Piratenpack elendig verrecken!

 

Ich klappe das Buch zu.

Ein Jahr bin ich nun schon auf der Avesandra, habe mit den anderen Matrosen geplündert, gekämpft und getötet. Niemand hat mein Geheimnis erkannt.

Doch heute als ich mit dem kleinen Mädchen sprach, dass in der Bordzelle festgehalten wird, war ich unvorsichtig.

Mit der Erkenntnis des Kapitäns zerplatzen alle meine Träume.

Ich wollte schon immer aufs Meer hinaus fahren und eine berüchtigte Piratin werden. Eine bei der einem schon von Erzählungen die Haare zu Berge stehen. Doch ich bin eine Frau.

Frauen bringen Unglück und haben auf Schiffen nichts verloren.

Also habe ich mich verkleidet, habe als Matrose auf der Avesandra angeheuert und härter gearbeitet als alle anderen. Ich wollte mir meinen Traum als Mann verwirklichen, wollte nicht so enden wie meine Mutter –als billige Hure in den dreckigen Straßen von New Providence.

Doch nun sehe ich keinen Weg aus dieser aussichtslosen Lage.

Zumindest keinen, der mich vor dem Schicksal eine dreckige Hure zu werden bewahrt.

 

Ich zücke mein Messer aus meinem roten Gürtelband.

Lange und bedächtig starre ich es an, doch es bleiben dieselben Gedanken wie zuvor in meinem Kopf.

Schließlich seufzte ich und binde mir mit dem ebenfalls roten Kopftuch meine Haare so an mein Haupt, dass man sie nicht sieht.

Entschlossen stecke ich das Messer zurück und laufe die Treppe hinunter in das zweite Deck. Hier sind die Kombüse, die Quartiere der Matrosen und natürlich auch die Kapitänskajüte.

Entschlossen laufe ich an meinem Quartier vorbei und bleibe vor der letzten Tür im Gang stehen um zu lauschen.

Ich höre nur ein leises Rascheln.

Da die Fregatte in einer kleinen Bucht vor Anker gegangen ist, sind alle schlafen gegangen.

Vorsichtig klopfe ich an die Tür.

„Ja?“ dringt die raue Stimme des Kapitäns gedämpft durch die Tür.

Noch einmal atme ich tief durch und öffne dann die schwere Tür. Sie ächzt und hängt schwer in den Angeln, dennoch schließe ich sie vorsorglich hinter mir.

Augenblicklich schlägt mir der üble Geruch von Schweiß, Fisch und Rum in die Nase.

„Ahh… Will. Wie kann ich dir helfen, Junge?“ fragt der Kapitän, als er von den verwitterten, alten Seekartenaufblickt.

Entschlossen trete ich einen Schritt auf ihn zu und blicke finster drein.

„Ich möchte, dass du mich zum ersten Offizier ernennst.“ Platzt es ungestüm aus mir hervor.

Erstaunen zeigt sich auf dem alten, vom Wetter gezeichneten Gesicht.

„Nein!“ erwidert er energisch und deutet mit einer deutlichen Geste auf die Tür.

Ich bewege mich keinen Inch von der Stelle an der ich stehe, stattdessen sehe ich ihn weiterhin unverwandt an.

Verärgert blickt er zurück.

„Verlass auf der Stelle meine Kajüte, sonst werde ich dich Kielholen lassen!“ knurrt er und deutet erneut auf die Tür.“

Jetzt muss ich grinsen. Langsam und aufreizend löse ich mein Kopftuch und lasse meine langen, schwarzen Haare über meine Schultern fallen.

Entsetzt sieht er mich an. „Was zum Teufel?“

„Du wusstest es doch schon.“ Unterbreche ich ihn.

Sein vom Rum rotes Gesicht verliert immer mehr an Farbe und er stottert vor sich hin: „Wie? Was? Woher?“

Ich beuge mich über den wuchtigen Holztisch, an dem er sitzt und ziehe auffallend ruhig das Logbuch hinten aus meinem Gürtel.

Seine Augen werden riesig und quellen wie mir scheint ein Stück hervor.

Ich schlage das Buch auf und blättere zu der Seite, an der eine Ecke umgeknickt ist:

Logbucheintrag 6. Wintertag Anno 1701

Grade einmal 5 Knoten erreicht unsere Fregatte, der Wind steht schlecht und wir haben kaum noch Rum.

Nachdem ich das Schiff vor drei Tagen übernommen habe, hält die Crew mich nicht mehr für schuldig am Tod des Kapitäns Bill Treptow. Dank des Arsengiftes aus Frankreich konnte ich sie täuschen.

Ich plane das Schiff in New Providence von Grund auf umbauen zu lassen, damit wir über 8 Knoten kommen.

Als ich zu Ende gelesen habe, blicke ich ihn über den Rand des Logbuches hinweg an.

Sein Gesicht ist mittlerweile aschfahl und sein braunes Leinenhemd ist von Schweiß durchnässt.

„Was willst du?“ fragt er nach einer Weile.

Überlegen grinse ich ihn an: „Ernenn mich zum ersten Offizier.“ „Aber du bist eine Frau!“ ruft er aus.

„Und du bist ein Mörder.“ Zische ich und er verstummt.

„Gut, ich werde dich morgen zum ersten Offizier ernennen.“ Erklärt er und kann dabei ein hämisches Grinsen nicht verbergen.

„Nein!“ erkläre ich und fordere von ihm, dass er meine Ernennung auf einen Brief schreiben wird.

„Wozu?“ fragt er.

„Ich bin keine Landratte! Ich weiß, dass du mich nicht dauerhaft zum ersten Offizier ernennen wirst. Du wirst versuchen mich bei der erstbesten Gelegenheit loszuwerden!“

Er seufzt und zieht einen feinen Bogen Papier unter der Seekarte hervor: „Was soll ich schreiben?“

„Du wirst schreiben, dass du ein Leben an Land vorziehst und deswegen dieses Schiff verlässt. Du hast meine Qualitäten zu schätzen gelernt und möchtest, dass ich deinen Platz nach einer angemessen Zeit als erster Offizier einnehme und der Kapitän dieses Schiffes werde.“

„Ich werde mein Schiff nicht verlassen!“ brüllt er aufgebracht.

Ich zücke mein Messer und halte es ihm an die Kehle: „Oh doch, das wirst du. Sonst wird jeder dein kleines Geheimnis erfahren.“

„Irgendwann werden sie auch dein Geheimnis kennen!“ mutmaßt er.

„Irgendwann“, erkläre ich selbstsicher, „werde ich es ihnen Offenbaren.“

Er schluckt und ergibt sich seinem Schicksal.

Nachdem er den Brief geschrieben und nach meiner Anweisung seine Sachen gepackt hat, führe ich ihn mit dem Messer im Rücken zu dem kleinen Beiboot. Ich weiß, dass es die richtige Entscheidung war. Ich wäre sonst niemals dem Schicksal meiner Mutter entgangen. Ich habe zu viel Würde, umso zu Enden wie sie.

Unmittelbar vor dem Beiboot bleibt er stehen.

„Bitte, ich werde als Matrose unter deinem Kommando dienen, aber bitte setz mich nicht in das Beiboot.“

„Du lügst, los steig ein!“ Antworte ich verärgert.

Für wie dumm hält er mich? Er würde mich immer bekämpfen.

Ruckartig dreht er sich um und zeigt mit seinem erhobenen Zeigfinger drohend auf mich: „Ich werde Kapitän eines anderen Schiffes, werde die Avesandra kapern und ich werde dich töten!“

In seinen Augen steht eine riesige Wut und diese Drohung macht mir Angst.

Ich werde mich nicht kleinkriegen lassen.

Niemals!

Entschlossen umfasse ich den Griff meines Messers fester.

Mit einem Mal sind meine Hände total schwitzig und ich spüre wie eine leichte Panik mich überkommt.

Dieser Mann vor mir, war immer lieb zu mir. Aber er hat mein Geheimnis erkannt. Er darf es nicht weitersagen. Es muss geheim bleiben!

Ich schließe die Augen und stoße das Messer mit einem Ruck von unten zwischen seine Rippen.

Nur bedingt nehme ich den Widerstand seiner Muskeln und Gedärme war, aber deutlich spüre ich wie sich seine Haltung verändert. Er japst erschrocken nach Luft und versteift sich.

Sein warmer Atem schlägt mir unablässig ins Gesicht und ich spüre wie er verwundert meine Hand wegschlägt und das Messer, mit einem wie mir scheint lauten Klirren, auf das Deck fällt.

Ich öffne die Augen und sehe den Verrat in den Seinen.

 

Alle denken immer, dass Piraten keinerlei Moral haben und gegen jeden revoltieren, aber das stimmt nicht. Es gibt Regeln! Nicht viele, aber sie sind da.

Man kann seinen Kapitän stürzen und ihn in ein Beiboot setzten, damit er kentert.

Man kann ihn über die Planke gehen lassen oder mit nur einem Schuss auf einer einsamen Insel aussetzen.

Aber niemals tötet man ihn eigenhändig, das ist ein ungeschriebenes Gesetz.

Ich habe dagegen verstoßen.

 

Sein Gesicht verzieht sich schmerzverzerrt und er versucht verzweifelt das ausströmende Blut zu stoppen.

Er schwankt leicht und seine Hände zittern.

Ich kann meinen Blick nicht von dem vielen Blut wenden. Es fließt aus seiner Brust, wie Wasser durch ein Sieb.

Es tränkt seine Leinensachen und bildet eine Lache auf dem Deck.

Der Kapitän sinkt auf die Knie und hält sich noch immer die Brust, Tränen strömen mittlerweile über sein Gesicht und er wimmert leise.

Seine Qualen sind greifbar.

Mit einem Ruck löse ich das Beiboot und höre wie es auf das Wasser auftrifft.

Der Kapitän greift verzweifelt nach meinem Knöchel als ich mich zum gehen wende um einen Stein oder schweren Sack zu holen.

Verwirrt blicke ich hinunter und in dem Moment drückt er ab.

Der Rauch, welcher aus dem Lauf der Pistole dringt vernebelt mir die Sinne und eine warme Flüssigkeit fließt zwischen meinen Augen hinab.

Verwundert blinzele ich.

Mein Gehirn ist nicht mehr fähig einen klaren Gedanken zu fassen und ein pochender Schmerz zerreißt mein Hirn.

„Ahh.“ Stöhne ich, doch ich weiß nicht warum.

Ich weiß gar nichts mehr.

Meine Beine sind nicht mehr in der Lage mein Gewicht zu tragen und ich falle auf das harte Deck.

Das Schiff, das mir immer Trost gespendet hat, wirkt finster und dunkel. Ich kann das Meer sehen und die Wellen rauschen hören.

Vorhin war die See so ruhig und friedlich.

Friedlich und wunderschön….

 

Logbucheintrag 24-Sommertag Anno 1706

Unser Kapitän ist Tod!

Ohne es zu wissen sind wir mit dem Unglück an Bord gefahren.

Heute ruht das Schiff in der Bucht in der die Frau, welche sich als Will Teach ausgegeben hat den Mord an unserem Kapitän verübt hat.

Aber sie hat gebüßt.

Wir warfen ihren Leichnam beschwert über Bord und hoffen, dass selbst die Fische dieses Giftige Weib nicht anrühren.

Unserem Kapitän möchten wir eine angemessene Seebestattung ermöglichen.

Von nun an bin ich für die Avesandra verantwortlich. Ich werde keine Frau an Bord lassen. Das kleine Mädchen unter den Gefangenen wird über die Planke gehen müssen.

Wir hoffen auf eine Besänftigung der gemeuchelten Seelen, so wie die Wogen vom Wind geglättet werden.

Morgen setzen wir Kurs in neue Gewässer, denn wie die glitzernden Strahlen der untergehenden Sonne lockt uns das Gold der Handelsflotten – holen wir es uns, denn die Hölle ist uns gewiss!!!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 14.07.2013

Alle Rechte vorbehalten

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