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„Mein Name ist Thomas Schmied. Ich bin 16 Jahre alt und gehe in die zehnte Klasse der Realschule am Fredenbaum in Dortmund. Gemobbt wurde ich, seitdem ich vor ungefähr einem Jahr neu an die Schule kam, da mein Vater von Schorndorf nach Dortmund versetzt wurde.

Der erste Tag in meiner neuen Schule ließ sich noch einigermaßen gut an. Der Klassenlehrer der 9a, Herr Schneider, nahm mich mit und stellte mich meinen zukünftigen Mitschülern vor. „Das ist Thomas Schmied aus Schorndorf bei Stuttgart…“, begann er, doch weiter kam er nicht. „Ach, sieh an, ein Landei und dann noch aus Bayern. Der hat uns hier gerade noch gefehlt!“, rief irgendjemand von den hinteren Plätzen dazwischen, und ein großer Teil der Klasse brach in pflichtschuldiges Gelächter aus. Doch Herr Schneider ließ sich nicht aus der Ruhe bringen, viel zu gut kannte er die informellen Strukturen in seiner Klasse. Er wusste genau, wer hier den Ton angab: wer darüber entschied, was cool und was uncool war, welches die korrekten Fernsehsendungen und welches die angesagten Kleidermarken waren.

„Alex, komm doch bitte mal nach vorne“, sagte er streng, und nach einigem Zögern und Maulen kam ein großer, kräftiger Junge zum Lehrerpult. „Da ist die Deutschlandkarte an der Wand. Zeige uns doch mal, wo Bayern und wo Stuttgart liegen, damit wir alle nachvollziehen können, wovon du überhaupt redest.“ Alex staunte die Karte an, als sähe er sie an diesem Tag zum ersten Mal in seinem Leben. „Na, wird’s bald?“, fragte Herr Schneider nachdem wir einige Zeit gewartet hatten, ohne dass etwas passierte. „Wieso komm ich eigentlich immer dran?“, motzte Alex herum. „Wenn ich mich recht erinnere, hast du dich doch eben selbst in den Vordergrund gespielt und so getan, als hättest du den großen geographischen Durchblick. Schlimm genug, dass du noch nicht einmal selber weißt, wovon du sprichst, dann verlegst du auch noch Schorndorf und Stuttgart von Baden-Württemberg nach Bayern. Ich denke, wir sollten es uns nicht antun, dich auch noch zu fragen, was überhaupt Baden-Württemberg ist. Er nahm sein rotes Notizbuch aus der Tasche und schrieb etwas hinein. „Was für ne Note geben Sie mir denn jetzt?“, wollte Alex wissen. „Was glaubst du denn wohl, was man verdient hat, wenn man absolut nichts drauf hat und nur dummes Zeug daherredet?“, lächelte der Lehrer ihn freundlich an und klappte sein Büchlein wieder zu.

„Können wir jetzt endlich mit dem Unterricht anfangen?“, rief ein blondes Mädchen, das in der Fensterreihe saß, aggressiv. „Ich habe keine Lust, mir gleich schon am ersten Tag wieder ansehen zu müssen, wie sich alles nur um Alex dreht. „Ja, natürlich gern, Sonja“, sagte Herr Schneider. „Holt schon mal eure Geographiebücher vor.“ Er wandte sich wieder mir zu. „So, Thomas, wo setzen wir dich denn hin? Ach, hier vorn ist ja noch ein Platz neben Sabine frei.“ Damit überließ er mich meiner zukünftigen Tischnachbarin, die sich auch gleich ausgiebig um mich kümmerte.

Als es zur Pause läutete, ließ ich mich einfach mit der Menge treiben und stellte mich dann auf den Schulhof zu meiner neuen Klasse, wo Alex das große Wort führte. „Der Schneider tickt doch nicht ganz richtig, mir gleich am ersten Tag ne sechs zu verpassen.“ „Ist doch deine eigene Schuld“, giftete Sonja ihn an. „Wenn du nicht ständig auf dich aufmerksam machen würdest,…“ Sie konnte ihren Satz nicht mehr beenden, denn schon hatte Alex mich erspäht und brüllte: „Und das alles wegen dir, du Mistkerl!“ Mit seinen Ellenbogen bahnte er sich unsanft eine Gasse, bis er schließlich mit wutverzerrtem Gesicht vor mir stand. Ohne Vorwarnung boxte er mir mit voller Kraft in den Magen, so dass ich zu Boden gegangen wäre, hätten die umstehenden Schüler mich nicht vorsorglich aufgefangen, damit die Aufsicht führenden Lehrer nicht aufmerksam wurden. Ich krümmte mich und schnappte mühsam nach Luft. Tränen traten in meine Augen, so sehr schmerzte der Schlag. „Nu seht euch doch bloß mal den Waschlappen aus Bayern an. Jetzt fängt er auch noch wie ein Mädchen an zu heulen.“ Er blickte sich triumphierend im Kreise seiner Mitschüler um und erntete auch prompt einigen Beifall. Natürlich rechnete er nicht damit, dass ich mich so schnell wieder erholen würde, und so traf ihn auch meine Rechte völlig unerwartet am Kinn. Lautlos ging er zu Boden. Wozu hatte ich schließlich in meiner alten Schule in der Selbstverteidigungs-AG mitgearbeitet? „Na also, das wurde auch mal höchste Zeit“, sagte Sonja und gab mir die Hand. „Ich heiße Sonja und bin die Klassensprecherin“, sagte sie. „Glaub nur nicht, dass wir hier alle so primitiv sind.“ Dann kamen noch einige andere Mitschüler und stellten sich vor. In der Zwischenzeit hatte Alex sich wieder einigermaßen aufgerappelt und starrte mich hasserfüllt an. „Das wirst du noch bereuen, dich mach ich fertig“, drohte er mir, bevor er sich mit seinen engsten Gefährten in eine andere Ecke des Schulhofs zurückzog.

Sehr schnell musste ich erkennen, dass diese Äußerung mehr als nur leeres Geschwätz gewesen war, nein, Alex verlangte Genugtuung, weil ich ihn vor der Klasse niedergeschlagen hatte. Es fing sofort am nächsten Tag im Unterricht an, denn längst nicht alle Lehrer waren so resolut wie unser Klassenlehrer. Die meisten wollten einfach nur ihre Ruhe haben. Da wir in meiner alten Schule in fast allen Fächern schon ein gutes Stück weiter gewesen waren, hatte ich keine Mühe, dem Unterricht zu folgen und beteiligte mich natürlich auch entsprechend mündlich. Das nahmen Alex und seine Clique aber immer öfter zum Anlass, mich einfach niederzubrüllen oder einen fiesen Spruch loszulassen, wobei sie meinen schwäbischen Dialekt nachäfften. Bis auf die Englischlehrerin Frau Kurz, die Alex jedes Mal, wenn er wieder zu randalieren anfing, mit Eintrag im Klassenbuch vom Unterricht ausschloss, kümmerten sich die Lehrer nicht groß darum. So konnte er eigentlich tun und lassen, was er wollte. Bei Herrn Schneider und Frau Kurz verteilte er dann das Niederbrüllen und das Sprücheklopfen so geschickt über die ganze Klasse, dass es fast unmöglich war, den jeweiligen Störenfried zu lokalisieren. Diese Aktionen verunsicherten mich dermaßen, dass ich mich nach einiger Zeit nicht mehr traute, im Unterricht aufzuzeigen. Auch blieb ich jetzt immer öfter wegen Kleinigkeiten zuhause oder ich verließ morgens das Haus, trieb mich jedoch den ganzen Vormittag in den großen Kaufhäusern in der Innenstadt herum. So konnte ich Alex aus dem Wege gehen und eine erneute Konfrontation mit ihm vermeiden.

Sicherlich wären meine Noten früher oder später in den Keller gerutscht, aber da hatte Alex die Rechnung ohne Herrn Schneider und Frau Kurz gemacht. „Holt Papier und Kugelschreiber raus, wir schreiben jetzt einen Test“, sagten sie bei der nächsten Störung. „So geht das aber nicht, “ beschwerte Alex sich großspurig, „der Test ist nicht angekündigt.“ „Das muss er auch nicht sein, Herr Neunmalklug“, lächelte Herr Schneider freundlich. „Wenn ich bisher meine Tests vorher angekündigt habe, so war das ein reines Entgegenkommen meinerseits. „Im Moment sehe ich allerdings keinen Grund, warum ich euch weiterhin entgegenkommen sollte. Bei dem Lärm, der in der letzten Zeit in dieser Klasse vorherrscht, ist es mir sowieso anders nicht mehr möglich, euch vernünftig zu beurteilen. Und sollte dieser Zustand weiter anhalten, wird es mir auch nichts ausmachen, jeden Tag einen Test zu schreiben. So bekomme ich wenigstens von jedem genügend Zensuren zusammen.“ Er wandte sich noch einmal ausdrücklich an Alex und sagte: „Ich hoffe, wir haben uns verstanden, Alex.“ Der schrieb dann auch prompt eine sechs, und als nun die ersten Mitläufer anfingen, aufzubegehren, hatten von Stund an die Störungen ein Ende.

Stattdessen musste ich nun andere Gemeinheiten ertragen. Einmal wurde mein Etui aus dem Fenster, das andere Mal mein Füller und meine Stifte in den Papierkorb geworfen. Dann wieder waren einige Seiten aus meinem Englischbuch herausgerissen und mein Butterbrot darin eingewickelt oder meine Schultasche auf der Toilette versteckt bzw. deren Inhalt auf dem ganzen Schulhof verstreut. Diese Aktionen machten mich verdammt fertig, doch ich ließ mir nichts anmerken. Aber ich zog mich immer mehr zurück und beteiligte mich auch nicht mehr am Klassenleben. Ich wollte einfach mit niemandem mehr etwas zu tun haben, denn ich wusste nicht, wem ich trauen konnte und wem nicht.

So bekam ich anfangs auch gar nicht richtig mit, dass jedes Mal, wenn mir eine dieser Unverschämtheiten passierte, kurz darauf Alex oder einem seiner Freunde genau dasselbe oder etwas noch schlimmeres widerfuhr. „Irgendjemand hat zwei Seiten aus meinem Englischbuch gerissen!“, schrie sein Busenfreund Robin eines Tages empört. „Das ist ja eine bodenlose Unverschämtheit, irgendjemand hat sein Butterbrot in mein Arbeitsheft gelegt. Guckt euch mal die Fettflecken an!“ brüllte Lukas ganz außer sich und hielt angewidert die Schweinerei hoch. „Wo ist denn meine verdammte Schultasche?“, beschwerte Alex sich irritiert. Nachdem er dann deren Inhalt im strömenden Regen auf dem ganzen Schulhof zusammengesucht hatte, fiel er über Sonja her. „Tu gefälligst was, wozu bist du schließlich unsere Klassensprecherin!“, schnauzte er sie an. „Das ist aber völlig uncool, dass ihr euch so künstlich aufregt“, sagte Sonja schnippisch. Es scheint hier doch seit geraumer Zeit zum guten Ton zu gehören, dass solch lustige Dinge passieren. Ich hatte jedenfalls den Eindruck, dass sie dir und deinen Freunden so großen Spaß machen. Wir anderen fragen uns aber, warum sie immer nur Spaß machen sollen, wenn sie einer einzigen Person passieren. Jetzt ist doch endlich einmal ein bisschen Abwechslung in die Sache gekommen, und wir können uns auch ein bisschen amüsieren.“ „Du verdammte Schlampe!“ Es sah aus, als wollte Alex Sonja an die Gurgel gehen. Doch da fielen einige Jungen über ihn her, um ihn zurückzuhalten. In dem Augenblick kam Herr Schneider herein. „Na, hast du all deine Sachen gefunden, Alex? Ich habe dich aus dem Fenster des Lehrerzimmers beobachtet und hoffe nur, dass die Bücher nicht durch den Regen verdorben sind“, sagte er gut gelaunt. „Du solltest in Zukunft ein bisschen sorgfältiger mit deinen Sachen umgehen.“ Ich wollte meinen Augen nicht trauen. Hatten sich da nicht Herr Schneider und Sonja verständnisinnig zugeblinzelt? Vielleicht hatte ich mich ja getäuscht und nicht die ganze Klasse war gegen mich. Über diesen Aspekt hatte ich noch überhaupt nicht nachgedacht, und dass diese Möglichkeit bestand, verwirrte mich irgendwie. „So, rechnen wir doch zur Abwechslung mal ein paar kleine Aufgaben im Kopf“, hörte ich von Ferne die Stimme meines Klassenlehrers. Damit war auch diese Episode des Krieges zwischen Alex und mir beendet.

Im März stand das 50-jährige Schuljubiläum an. Für die Eltern sollten an einem Samstagnachmittag ein Theaterstück aufgeführt werden und danach ein Konzert des Schulchores stattfinden, dann wollte der Direktor eine Rede schwingen, und am Abend war für uns Schüler DISCOTIME angesagt. Alle waren ganz aufgeregt und freuten sich darauf, doch ich hielt mich zurück, wenn es darum ging, etwas gemeinsam zu organisieren und vorzubereiten. Das war nicht meine Schule, warum sollte ich mich also dafür engagieren. Überhaupt lehnte ich es auch ab, an den Feierlichkeiten und an der Disco teilzunehmen. „Das kannst du doch nicht machen“, sagte meine praktisch veranlagte Tischnachbarin Sabine, „das würde einen ganz schlechten Eindruck machen. Lass dich doch einfach für eine Stunde hier blicken, und dann kannst du ja wieder gehen.“ Je mehr ich darüber nachdachte, desto mehr musste ich Sabine Recht geben. Die letzten drei Wochen waren für mich eigentlich eher positiv verlaufen, denn Alex und seine Clique waren dazu übergegangen, mich in der Schule links liegen zu lassen. Ich existierte einfach nicht mehr für sie. Das bisschen Telefonterror und die unverschämten anonymen E-Mails, die ich erhalten hatte, waren für mich die reinste Erholung.

An dem besagten Samstag fuhr ich dann am frühen Abend zur Schule, um mich dort ein wenig sehen zu lassen. Ich hatte gerade eine Cola geöffnet, als Herr Schneider zu mir trat und mich bat, mit ihm in das Lehrerzimmer zu kommen. Ich war sehr erstaunt, als ich dort einige Polizisten mit dem Vertrauenslehrer sitzen sah. „Ich bin Gregor Klinger, der Verbindungsbeamte, der für diese Schule zuständig ist“, stellte sich ein junger Polizist vor. „Erschrick bitte nicht, aber uns ist zu Ohren gekommen, dass Alex und seine Freunde dich heute endgültig fertigmachen wollen. Wirst du nachher von deinen Eltern abgeholt?“ „Nein, ich fahre mit der Straßenbahn“, sagte ich. „Und wann, glaubst du, wird das sein?“ „So gegen 23 Uhr.“ Vor den beiden Lehrern war es mir unangenehm zuzugeben, dass ich eigentlich jetzt schon wieder auf dem Rückweg sein wollte. „Gut," sagte Gregor, "sag am besten deinem Klassenlehrer Bescheid, wenn du gehst. Wir werden dich dann nicht mehr aus den Augen lassen.“ „Ich glaube nicht, dass das nötig ist, ich kann ganz gut allein auf mich aufpassen“, antwortete ich. „Und ich glaube nicht, dass deine Kenntnisse in Selbstverteidigung ausreichen, wenn sich eine Horde von Jugendlichen über dich hermacht, nimm das ja nicht zu leicht, Thomas“, ermahnte Gregor mich eindringlich. Ich wunderte mich, woher er das mit der Selbstverteidigung wusste, denn ich hatte hier niemandem davon erzählt. „So, und jetzt geh wieder raus, und benimm dich ganz normal“, sagte Gregor, und ich tat, was er mir aufgetragen hatte.

Ich machte mich auf einen langweiligen Abend gefasst, doch ich hatte noch nicht ganz wieder den Festsaal betreten, als mich auch schon Sabine und Sonja mit allen möglichen Aufträgen eindeckten. Einmal sollte ich eine Kiste Wasser holen, dann eine Kiste Cola, dann Gläser ausspülen, dann den Verkauf übernehmen, weil sie beide mal eben ein bisschen tanzen wollten. Also, ich war bis zum Hals mit Arbeit eingedeckt, und meine Klassenkameraden sahen es als völlig normal an, ausgerechnet von mir ein Getränk zu kaufen. Dann wollte plötzlich Sabine mit mir tanzen, und dann Sonja, und dann Verena, und dann Angela, also ich muss sagen, die Zeit verging wie im Fluge. Fast bedauerte ich es, als es halb elf war und ich mich von ihnen verabschieden musste. Ich winkte Herrn Schneider zu, der an der Tanzfläche stand und mit seinem Handy spielte, und verließ langsam die Schule.

Draußen auf dem Schulhof blieb ich zuerst einmal eine Weile stehen, um die Lage abzuschätzen. Das Schulgebäude war hell erleuchtet, und es schien genügend Licht durch die Fenster, das einen großen Teil des Schulhofes beleuchtete. Weit und breit war nichts zu sehen, weder von Alex, noch von seinen Freunden, geschweige denn von den Polizisten, die mich bewachen wollten. Fast kam es mir vor, als hätte das Gespräch mit Gregor nur in meiner überreizten Phantasie stattgefunden. Also setzte ich mich in Bewegung und ging mit weit ausholenden Schritten zur nächsten Straßenbahnhaltestelle. Auch dort war alles einsam und verlassen. Nur ein Liebespaar, das offenbar Raum und Zeit verloren hatte, stand dort herum und versperrte die Sicht auf den Fahrplan. Na egal, irgendwann würde schon eine Bahn kommen. Ich ging auf dem Bahnsteig ein paar Schritte weiter nach vorne, um die beiden nicht zu stören, und da standen sie auf einmal vor mir, Alex und seine Leute, und versperrten mir den Weg. Keine Ahnung, wo sie so plötzlich hergekommen waren, ich hatte sie zumindest nicht bemerkt. Als ich sah, dass es fünf Mann waren, wurde mir doch ein wenig mulmig, und ich musste an Gregors Ermahnung denken. „Na, wen haben wir denn da?“ Wie üblich war Alex der Wortführer. „Muss das Bübchen schon nach Hause, weil sonst Papi und Mami schimpfen?“ Ich kümmerte mich nicht um sein Geschwafel und schaute konzentriert auf meine Turnschuhe hinunter. Alex ergriff mich am Arm und schüttelte mich. „Du, ich spreche mit dir und erwarte, dass du mich dabei ansiehst.“ Ich schüttelte seinen Arm ab. Eine jähe Wut stieg plötzlich in mir hoch. Wie kam dieser dämliche Kerl eigentlich dazu, mir Befehle zu erteilen? „Ich habe aber keine Lust, dich anzusehen, so schön bist du nun auch wieder nicht“, sagte ich und drehte mich um, um zu dem Liebespärchen zurückzugehen. Ich konnte gerade noch an meinen Selbstverteidigungslehrer denken, der uns eingeschärft hatte, niemals den Angreifern den Rücken zuzudrehen, da sprang mir Alex auch schon voll in den Rücken, und ich fiel der Länge nach auf den Bahnsteig. „Zieht ihm die Turnschuhe aus“, hörte ich seinen Befehl, dann spürte ich, wie sie mir meine teuren Markenturnschuhe von den Füßen rissen, Als nächstes wurden meine Taschen nach Geld durchsucht. Glücklicherweise hatte ich nur noch ein 2-EURO-Stück in der Hosentasche. „Die Jacke auch?“, fragte einer. „Ach was, die kannste doch gleich in die Altkleidertonne schmeißen“, entschied der große Boss. Dann rissen sie mich hoch, und Alex hatte schon seine Faust mit einem Totschläger zum Schlag erhoben, als plötzlich der weibliche Teil des Liebespärchens mit einer Pistole in der Hand hinter ihm auftauchte und sagte: „Nun nimm mal schnell deine dreckigen Pfoten hoch, du kleiner Scheißer, oder ich ballere dir eine Kugel in den Kopf.“ Gleichzeitig näherte sich der junge Liebhaber, ebenfalls mit einer Waffe in der Hand, von vorne. „Macht mal voran, meine Herren, euer Taxi steht schon bereit“, sagte er lässig. Robin und Lukas versuchten, über die Schienen zu entkommen, aber dort wurden sie schon von Gregor und seinen Leuten mit Handschellen erwartet.

Ja, das war dann auch das Ende des Mobbing in der 9a. Alex und seine beiden engsten Cliquenmitglieder, Robin und Lukas, wurden von der Schule abgemeldet. Ich habe sie nie wieder gesehen und weiß auch nicht, was aus ihnen geworden ist. Zweimal wurde ich noch mit meinen Eltern, die aus allen Wolken fielen, zur Kriminalpolizei bestellt, um meine Aussage zu machen und Anzeige zu erstatten. Dort erzählte man mir, dass es sich bei den Jugendlichen um eine der Polizei seit langem bekannte Bande gehandelt habe, die hauptsächlich von Schutzgeldern, Erpressungen und Diebstählen in Schulen lebten. Durch meine Hilfe war es der Polizei möglich, sie endlich aus dem Verkehr zu ziehen.

Mit der Klasse komme ich jetzt prima zurecht, auch haben meine Leistungen wieder angezogen. Es ist, als ob die Luft gesäubert ist, seitdem die Angst vor Alex nicht mehr im Klassenzimmer umgeht. Alle gehen respektvoll miteinander um. Demnächst wollen wir unsere Abschlussreise nach London machen. Ich muss sagen, dass ich mich schon darauf freue. Mit Sonja verbindet mich eine besondere Freundschaft. Sie ist ein sehr ungewöhnliches Mädchen, das nicht aus Bequemlichkeit schweigt und wegschaut, wenn andere fertiggemacht werden. Ich bin ihr und natürlich meinem Klassenlehrer sehr dankbar, dass sie mir zu Hilfe gekommen sind, als ich sie dringend brauchte.

Ach ja, noch etwas Positives kann ich aus den Geschehnissen mitnehmen, denn ich habe auch mit Gregor Klinger Freundschaft geschlossen. Nach der Realschule werde ich meine Fachhochschulreife an der Höheren Handelsschule machen und mich danach bei der Polizei bewerben. Bei den Erfahrungen, die ich gemacht habe, denke ich, dass das genau der richtige Beruf für mich ist. Gregor hat mir versprochen, dann meine Bewerbung zu unterstützen und ein gutes Wort für mich einzulegen.“

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Tag der Veröffentlichung: 07.08.2011

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