Mit einem abgrundtiefen Seufzer schaltete Susi den Computer ab und erhob sich: "So das wäre es.“
"Du hast es gut Gabriella. Drei Monate Urlaub. Kein Büro, kein schlechtgelaunter Chef, nur Sonne, Meer und schöne Männer.“
Helles Lachen war die Antwort: "Aber Susi, du hast ja auch bald Urlaub. Sonne und Meer mag ja stimmen, aber lauter schöne Männer? Ich weiß nicht Recht. Ich will mich erholen, Land und Leute kennen lernen, auf Eroberungen kann ich verzichten. Besonders freue ich mich auf die Schiffsreise. Rund um die Insel Marines, gibt es viele kleine Inseln und die will ich alle sehen. Hoffentlich sind sie vom Tourismus noch nicht überschwemmt. Ich mag dieses laute Geschrei nicht.“ Gabriella sah ihre Freundin und Arbeitskollegin verträumt an und fügte hinzu: "Ich würde mich am liebsten in einer kleinen Fischerhütte einquartieren und so leben wie die Insulaner.“
"Du bist ja übergeschnappt und hoffnungslos romantisch. Wie kann man sich in einer armseligen Hütte wohlfühlen. Nein, ich ziehe schöne komfortable Hotels in einer sauberen Stadt den Dörfern vor.“
Gabriella lachte wieder und ihre auffallend blauen Augen sprühten vor Lebensfreude. Mit Nachdruck schloss sie nun auch die Akte, an der sie noch gearbeitet hatte. "Fertig! Das war meine letzte Arbeit für einige Wochen. Kommst du mit Pizza essen?“
Susi nickte und beeilte sich ihrer Freundin zu folgen. Sie hakte sich bei dem blonden Mädchen ein und fröhlich verließen sie das große Bürogebäude. Manch bewundernder Blick folgte den grazilen Gestalten. Gabriellas schulterlange blonde Haare umrahmten in weichen Wellen ihr schmales Gesicht. Susi war der krasse Gegensatz. Die widerspenstigen kastanienbraunen Locken hatte sie zu einem Pferdeschwanz gebunden. Den lebhaften dunklen Augen schien nichts zu entgehen. Ihr eher rundes Gesicht mit der frechen Stupsnase strahlte Fröhlichkeit aus und nichts brachte sie aus der Ruhe. Beim Betreten der kleinen Pizzeria rief sie nach dem Wirt: "Antonio, wir feiern Abschied, bringe uns was Gutes zu trinken und die beste Pizza die du hast. Wir wollen doch nicht, dass Gabriella hungrig in Urlaub fährt.“
Bald fanden sich noch einige Bekannte ein und es wurde ein feuchtfröhlicher Abend.
Als Gabriella später müde in ihr Bett fiel, lachte sie in der Erinnerung an all die guten Ermahnungen, die man ihr mit auf den Weg gegeben hatte. "Die denken wohl, ich bleibe ein paar Jahre weg“, murmelte sie und war schon eingeschlafen.
"Marines", war noch nicht lange für den Tourismus erschlossen. Vor einigen Jahren wusste noch kaum jemand von der kleinen verträumten Fischerinsel. Eine Fähre verband das kleine Eiland mit dem Festland, die überwiegend von Einheimischen benutzt wurde.
Gabriella stand an der Reling und blickte auf das Meer hinaus. Endlich kam sie ihrem Traum näher. In der einzigen Stadt "San Thomas" die nördlich von der Insel lag, hatte sie ein Zimmer in einem Hotel gemietet. Eigentlich wollte sie einen kleinen Bungalow, doch im Reisebüro hatte man ihr davon abgeraten. So ein junges Mädchen ganz allein in einem Haus, das würde nicht gut gehen, hatte der Reiseverkäufer ihm gesagt. Nun, leichtsinnig war sie noch nie gewesen und man sollte das Glück nicht herausfordern. Gabriella hob das Gesicht der Sonne entgegen und atmete tief die frische Meeresluft ein.
"Buenos Dias!“
"Buenos Dias“, erwiderte Gabriella den Gruß und wandte sich um. Ein zierliches junges Mädchen stand vor ihr und musterte sie neugierig.
"El tiempo sigue bueno?“
Gabriella zuckte bedauernd die Schultern: "Ich verstehe nichts, no combrendo nada.“
"Ah, usted habla aleman, -Sie sprechen deutsch-? Ich habe es mir fast gedacht. Ich meinte vorhin, es bleibt schön. Machen Sie Urlaub auf unserer Insel?“
"Ja und ich spreche nur ein bisschen Spanisch. Ich bin mehr oder weniger eine Touristin. Ich möchte Land und Leute kennen lernen.“
"Ah, das trifft sich gut. Wenn Sie die Insel sehen wollen, sind Sie bei mir an der richtigen Adresse.“
Sie streckte der Deutschen die Hand entgegen: "Ich heiße Rosalie und mache so ziemlich alles, Fremdenführerin, Reiseveranstalterin, Schwimmlehrerin und noch vieles mehr.“
"Ich heiße Gabriella und würde mich sehr freuen, wenn Sie mir die Insel zeigen könnten.“
Rosalie lachte und ihre blendend weißen Zähne blitzten wie Perlen in der strahlenden Sonne. Mit einem Finger zeigte sie auf das Meer hinaus, "schauen Sie, dort am Horizont, das ist Marines. Sehen Sie dort rechts, wo die dunklen Felsen aufragen, liegt der Hafen von San Thomas. Wo sind Sie untergebracht?“
"In einem Hotel, es heißt...“
"Playa de Mirinda.“
"Können Sie Gedanken lesen?“
"Nein“, lachte Rosalie und warf den Kopf in den Nacken, "es ist das einzige große Hotel auf der Insel, wo sich ein Fremder einigermaßen wohl fühlt. Wo sonst sollten Sie also wohnen, wenn nicht im Mirinda.“
Das Schiff näherte sich der Insel. Es hatte den Anschein, als würden die großen, schwarzen Felsen die Nordseite hermetisch von der Außenwelt abriegeln. Turmhoch, in bizarren Formen schienen sie jedem Eindringling den Zugang zu verwehren. Beeindruckt blickte Gabriella das majestätisch anmutende Lava Gestein an. Langsam und vorsichtig näherte sich die Fähre dem Eiland.
"Rosalie, wo ist denn der Hafen?“
"Gleich werden Sie ihn sehen“, schmunzelte das dunkelhaarige Mädchen. In diesem Augenblick zeigte sich den staunenden Augen des Neulings ein Spalt, der sich beim Näherkommen als schmale Einfahrt entpuppte. Dahinter lag, gut geschützt in einer wunderschönen Bucht, der Hafen und die Stadt San Thomas.
Gabriella war vor Begeisterung stumm und nahm fast ehrfürchtig das Bild in sich auf. Hier schien die moderne Welt draußen geblieben zu sein. Emsiges Treiben herrschte am Kai. Die Frauen mit ihren bunten Röcken, weiten Blusen, den langen schwarzen Haaren, die die jüngeren offen und die Älteren zu einem großen Knoten aufgesteckt trugen, ergaben ein fröhliches Bild.
Das Schiff legte an und bald schon war Gabriella froh, in Rosalies Begleitung zu sein. Mit ihrem bisschen Spanisch hätte es sicher länger gedauert, das Ziel ihrer Reise zu erreichen. Das Mädchen handelte mit einem verwegen dreinblickenden Taxifahrer den Fahrpreis aus, verstaute Gabriellas Gepäck im Fond des altersschwachen Wagens und schon ging die Fahrt los. Die Deutsche war begeistert. Dieses kleine verträumte Städtchen war genau nach ihrem Geschmack. Wie im Hafen, so war auch hier die Zeit stehen geblieben. Alte spanische Bauten, dann wieder der englisch strenge Stil, gemischt mit den typisch italienischen Gebäuden und dazwischen schmale Giebel, die an die eng zusammengebauten Häuser in Holland erinnerten.
"Wie viele verschiedene Baustile es hier gibt“, staunte sie.
"Kein Wunder, wir stammen von Seefahrern ab. Unsere Vorfahren waren Piraten und Freibeuter. Im Laufe der Jahrhunderte hat sich hier alles Mögliche versammelt. Nicht nur Portugiesen, nein auch Holländer, Engländer, Italiener und Spanier. Wir haben unsere eigene Gerichtsbarkeit und eigene Gesetze, über die der jeweilige Kommodore wacht.“
"Wird dieser Kommodore vom Volk gewählt?“
"Ja und nein. Wir haben ein Zweiparteien System. Der jetzige Herrscher, um es einmal so auszudrücken, wurde von seinen Männern, die der braunen Partei angehören, mit Gewalt zum Regenten gemacht.“
"Das klingt aber nicht gerade begeistert.“
"Gabriella, ich hoffe du hast nie..., ich darf doch du sagen“ und als die Deutsche nickte: "Nie mit Kommodore Paolo zu tun. Er ist ein bösartiger und grausamer Mann. Vor allem, wenn er etwas sieht, das er haben will, geht er über Leichen.“
"Und warum ändert ihr diesen Zustand nicht?“
"Weil er im Moment noch zu mächtig ist. Eine Rebellengruppe im Süden der Insel bietet ihm Paroli, doch immer wieder erwischt er einige der Männer und die bezahlen das meist mit ihrem Leben. Aber, lassen wir das. Ich möchte dir die schönen Seiten der Insel zeigen und dich nicht mit unseren Sorgen und Nöten belasten.“
"Nein Rosalie, ich möchte alles über die Insel wissen. Du musst mir das noch ganz genau erzählen. Wir haben ja Zeit. Ich bleibe drei Monate hier.“
"Drei Monate willst du es bei uns aushalten?“
"Möchtest du denn woanders leben?“
"Nein niemals“, meinte sie im Brustton der Überzeugung. "Wir sind da, komm ich werde mich um deine Unterkunft kümmern, wenn du da nicht aufpasst, landest du in einer Besenkammer.“
Das Zimmer war groß und sauber. Es besaß einen Wohnraum, separat ein Schlafzimmer mit Bad. Gabriella war mehr als zufrieden. Nebeneinander standen die zwei ungleichen Mädchen auf dem Balkon und genossen den weiten Blick auf das Meer.
"Wieso sprichst du so gut deutsch?“
"Weil ich in Deutschland aufgewachsen bin. Meine Eltern sind vor neun Jahren bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Mein Bruder Ramon wurde leicht verletzt, ich war nicht dabei. Unsere Tante bestand darauf, dass sie hier auf der Insel beerdigt wurden und so sind wir auch geblieben. Was sollten wir auch allein in Deutschland anfangen.“
"Das tut mir leid, Rosalie“, entgegnete Gabriella mitfühlend und legte spontan einen Arm um die Schultern des Mädchens.
"Manchmal denke ich, es wäre für meinen Bruder besser, wenn wir noch in Deutschland wohnten.“
"Und warum?“
Doch Rosalie gab darauf keine Antwort.
"Ist dein Bruder jünger als du?“
Sie schüttelte den Kopf, "nein, Ramon ist schon 32 Jahre alt, ich bin fast 21 und du?“
"Ich bin auch 21, da passen wir gut zusammen.“
"Das muss gefeiert werden, hast du Lust heute Abend mit mir ins Medusa zu gehen?“
"Ins Medusa?“
Rosalie lachte über das verdutzte Gesicht ihrer neuen Freundin. "Medusa heißt Qualle und ist ein urgemütliches Lokal, in dem fast nur Einheimische verkehren. Touristen verirren sich nicht oft dort hin, weil es zu weit außerhalb der Stadt hoch oben am Berghang liegt.“
Gabriella sagte erfreut zu und das Mädchen versprach sie um sieben Uhr abzuholen.
Pünktlich auf die Minute, klopfte es an der Türe.
"Adelante!“ rief Gabriella und blickte neugierig auf. Es war Rosalie, die mit Schwung den Raum betrat. Sie wirkte wie eine taufrische Blume, so schön und lebenslustig. Die dunkelrote Hybiskusblüte, in ihrem schwarzen Haar, wetteiferte mit dem natürlichen Rot ihrer kleinen, schön geschwungenen Lippen. Die dunklen Augen blitzten voller Tatendrang und Temperament. Der weite abgestufte Rock schwang wie eine Glocke um die schlanken Beine.
"Du bist ein bemerkenswert hübsches Mädchen“, entfuhr es der Deutschen ungewollt. Rosalie lachte und warf mit der ihr eigenen Grazie den Kopf zurück. "Ich finde dich viel hübscher als mich. Mir gefallen deine langen blonden Haare und deine Augen, die so blau und klar sind wie unser Bergsee.“
"Bergsee? Wo ist der? Zeigst du mir euren See?“
"Wenn du willst gerne, aber jetzt eile, sonst sind wir zu spät und bekommen keinen schönen Platz mehr.“
Plaudernd und lachend verließen die Mädchen das Hotel und Rosalie winkte einem Taxi. "Ins Medusa ist es zu weit um zu Fuß zu gehen. Nach Hause lassen wir uns von Manuel fahren.“
"Manuel? Ist das ein Freund von dir?“
Rosalie errötete. "So kann man es auch nennen. Er will mich irgendwann einmal heiraten, so genau weiß er das im Moment noch nicht. Wenn er eine schöne Frau sieht, macht er ihr den Hof. Weißt du, Manuel ist ein richtiger Casanova.“
"Warum stellst du ihm dann nicht ein Ultimatum?“ Rosalie sah die Deutsche nachdenklich an: "Wenn ich das machte, würde ich ihn sicher verlieren und ich liebe ihn nun mal. Außerdem will ich selbst auch noch nicht unter die Haube. Erst einmal verheiratet, ist das freie Leben vorbei.“
Der Wagen hielt an und enthob Gabriella einer Antwort. Suchend sah sie sich um: "Wo ist denn das Lokal, ich kann nirgends ein Haus entdecken.“
Rosalie freute sich über ihr Erstaunen. "Du wirst es erst sehen, wenn wir davor stehen. Wir müssen den Berg hinauf, es liegt versteckt zwischen den Bäumen.“ Eine Weile gingen sie schweigend den schmalen, steilen Pfad hinauf.
"Bist du schon oft verliebt gewesen?“
Gabriella blieb stehen und sah das Mädchen überrascht an: "Ja, ein paar Mal ein bisschen, warum fragst du?“
"Ach nur so. Ich wollte es eben wissen. Hast du einen festen Freund?“
"Nein, so verliebt war ich noch in keinen Jungen. Bisher hat mir auch die Zeit dazu gefehlt.“
"So ein Blödsinn, um sich zu verlieben braucht man keine Zeit. Man schaut einen Mann an, er schaut zurück, es funkt und man weiß, das ist der Richtige.“
Gabriella lachte, dass sie Tränen in den Augen hatte. "Oh Rosalie, du bist einmalig. Erging es dir mit Manuel so?“
Sie nickte ernsthaft, drehte sich um und streckte den Arm aus: "Schau mal, hier zeigt sich unsere Insel von ihrer schönsten Seite.“ Ein Ausruf des Erstaunens kam über Gabriellas Lippen. Der Blick war in der Tat grandios. Purpurrot versank die Sonne im Meer. Wie ein riesiges Tuch breitete es sich zu ihren Füßen aus. Kleine sich kräuselnde Wellen, bildeten winzige Schaumkronen und es schien, als wollten sie die Insel liebkosen. Weit unten sah sie die Uferstraße, auf der sich das Taxi in einer großen Staubwolke entfernte.
"Wie friedlich, wie wundervoll“, murmelte die Deutsche ein ums andere Mal. So hatte sie sich ihre Urlaubsinsel vorgestellt. Rechter Hand fiel der Berg fast senkrecht ab. Das leicht hin und her wogende Wasser schäumte auf, wenn es sich an den Felsen brach, die Ungeheuern gleich aus dem Meer ragten. Ihr Blick wanderte nach links, die Felsen wurden kleiner und weniger, der Sand heller und feiner. Ein breiter Strand zog sich entlang der Küste. Weiter südlich machte die Insel einen großen Bogen und die Konturen verloren sich im Dunst. Gabriella wandte sich wieder um und beobachtete, wie der glutrote Ball im Wasser versank und die ganze Fläche in ein helles Rot tauchte.
"Weißt du jetzt, warum ich woanders nicht mehr leben möchte?“ Gabriella legte einen Arm um Rosalies Schultern und entgegnete leise: "Ich kann dich sehr gut verstehen. Dieser Anblick wird mich immer begleiten und ich weiß heute schon, dass ich nach hier Heimweh bekomme, wenn ich wieder in Deutschland hinter meinem Schreibtisch sitze.“
Weiter oben standen zwei Männer unter einem Baum und es schien als betrachteten sie ebenfalls den Sonnenuntergang. "Wen schleppt denn Rosalie da schon wieder an? Sicher eine dieser neugierigen Touristinnen. Ich habe ihr schon so oft untersagt, Leute hier herauf zu bringen. Gerade jetzt will ich keine Fremden hier oben sehen.“
"Ramon, nun sei doch nicht so streng mit deiner Schwester. Sie braucht auch mal jüngere Menschen um sich. Vor allem täte ihr eine nette Freundin ganz gut“, versuchte Manuel den Freund zu besänftigen. Doch Ramons Gesicht verfinsterte sich immer mehr, je näher die beiden Mädchen kamen.
Rosalie überging das böse Gesicht ihres Bruders und stellte ihnen stattdessen Gabriella vor. Manuel war sofort von der Deutschen begeistert und ein Schwall spanischer Wörter ergoss sich über sie.
"Tut mir leid, ich verstehe nur Deutsch.“
Ramon musterte seine Schwester mit giftigen Blicken: "Was zum Teufel bringst du schon wieder so eine überspannte Touristin hier herauf. Wie oft habe ich dir schon gesagt, dass ich hier niemanden sehen will.“
Gabriella verstand die wütenden Worte, tat aber, als verstünde sie nichts. Ärgerlich wandte sie sich ab und starrte auf das Meer hinaus. Seit einem Jahr lernte sie in Abendkursen fleißig Spanisch und um diese Mühe etwas aufzulockern, besuchte sie einmal in der Woche einen Flamenco Kursus. Sie hatte nun mal eine Schwäche für alles was Spanisch war. Nur für diesen ungehobelten Kerl könnte ich keine Schwäche haben, dachte sie und senkte die Augen, damit keiner den zornigen Ausdruck bemerkte. Ramon, der die Deutsche scharf beobachtete, während er seiner Schwester Vorhaltungen machte, gewahrte jedoch das zornige Aufleuchten ihrer zugegebenermaßen sehr hübschen, blauen Augen.
Rosalie, die sich nichts aus den Worten ihres Bruders zu machen schien, hakte Gabriella unter und zog sie in Richtung Lokal. "Das ist meine Freundin, basta“, rief sie auf Spanisch zurück und schon verschwanden sie im Innern des Hauses. Ramon sah nachdenklich hinter den beiden her. Manuel, voller Begeisterung, wollte ihnen folgen, doch sein Freund hielt ihn zurück.
"Wir haben eine wichtige Besprechung, also bleib hier. Die Anderen müssten gleich da sein. Später hast du immer noch Zeit, um diese Urlauberin herum zu scharwenzeln und ihr den Hof zu machen. Irgendwann kratzt dir Rosalie die Augen aus.“
Manuel grinste und folgte Ramon, der mit langen Schritten um die Hausecke verschwand. Unterdessen schob Rosalie das deutsche Mädchen in die kleine Gaststube und stellte ihr die Wirtsleute, einige Fischer und eine Flamenco Gruppe vor. Gabriella schwirrte der Kopf von den vielen Namen. Jeder hieß sie mit einem "Bienvenido" herzlich willkommen.
"Na, wie gefällt dir Manuel?“
"Ein sehr netter Mensch. Du musst nur auf ihn aufpassen.“
"Ich weiß“, lachte Rosalie, "er hat dich gesehen und Feuer gefangen. Er wird dich heute Abend mit seinen glühenden Blicken verfolgen.“
"Ärgert dich das nicht?“
"Nein, er kommt immer wieder reumütig zu mir zurück. Wie gefällt dir mein Bruder?“
"Überhaupt nicht. Er ist ein ungehobelter Klotz, ohne Manieren.“
Rosalie lachte belustigt über Gabriellas Protest. "Komm wir setzen uns hierher. Die Anderen kommen heute etwas später, da sie noch eine Konferenz abhalten.“
"Die Anderen? Eine Konferenz? Was meinst du damit?“
Rosalie schluckte und winkte ab, "ach nichts Besonderes. Sag mir was du trinken willst. Oder nein, ich bestelle für uns eine Paella und den dazu passenden Wein. Du wirst sehen, das schmeckt dir.“
Paela, eine Reispfanne mit Muscheln, Scampis und anderen Meerestieren, entlockte Gabriella Seufzer der Zufriedenheit. Die beiden Mädchen langten herzhaft zu und die Wirtin brachte Nachschub, bis die Deutsche lachend abwehrte: "Señora Rinaldo, Muchas gracias! Lo siento mucho! Vielen Dank, es tut mir leid. Rosalie was heißt satt?“
"Satt, heißt harto“, stimmte sie in ihr Lachen ein und hob das Glas. Der spanische Rotwein hatte es in sich. Nach zwei Stunden lachten und kicherten sie, wie zwei kleine Schulmädchen. Rosalie erzählte, was ihr auf der Insel mit Fremden schon alles passiert war und Gabriella wusste Lustiges aus ihrer Firma zu berichten.
Auf der Tanzfläche wurde es hell und die Flamenco-Gruppe nahm Aufstellung. Rosalie klatschte begeistert in die Hände: "Endlich, Gabriella, jetzt erlebst du etwas Tolles. Hast du schon einen Flamenco in Wirklichkeit gesehen?“
Gabriella nickte und Rosalie schien einen Moment enttäuscht drüber, dass sie ihre neue Freundin nicht überraschen konnte. Die Darbietung war gekonnt, das musste sie zugeben. Ihre Beine zuckten unter dem Tisch, am liebsten würde sie mittanzen. Als hätte einer der Tänzer ihren Wunsch erraten, kam er an den Tisch, nahm Gabriellas Hand und forderte sie auf mit ihm zu kommen.
"Nein, ich habe doch nicht die richtigen Schuhe an“, rief sie lachend, "Rosalie, sag ihm, das geht nicht ohne Schuhe.“
"Dem kann abgeholfen werden“, und ehe sich Gabriella versah, wurde sie auf einen Stuhl niedergedrückt, ihre Sandaletten mit geschlossenen Pumps vertauscht. Hätte sie nicht zu viel von dem Rotwein getrunken, sicher wäre sie nicht dazu bereit gewesen, hier zu tanzen. Die Einheimischen klatschten, sie versprachen sich einen Mords Spaß, denn noch jedes Mal, wenn sich ein Tourist zu ihnen herauf verirrte, musste er eine Kostprobe seines Könnens abgeben. Das Gelächter hinterher war immer riesengroß.
Die Konferenz der Fischer war mittlerweile beendet. Durch einen Seiteneingang betraten sie das jetzt dunkle Lokal und verteilten sich an den Tischen. Manuel gesellte sich zu Rosalie und lachte, als er Gabriella auf der Bühne sah. Er hielt nach Ramon Ausschau, doch der lehnte mit missmutigem Gesicht an der Theke. Salvatore schob ihm lachend ein Glas Wein zu: „Das gibt wieder einen Spaß.“
Ramon bedachte ihn mit einem wütenden Blick. Er wusste selbst nicht warum, aber es ging ihm gegen den Strich, dass sich diese Deutsche, hier so der Lächerlichkeit preisgab.
"Genauso wie alle anderen Touristen“, brummte er vor sich hin und betrachtete gedankenverloren das blonde Mädchen. Gabriellas Wangen röteten sich vor Eifer, als sie sich um die Hüften den bunten Schal einer Tänzerin schlang. Jetzt drehte sie sich zu den Musikern um, verlangte Kastagnetten und sagte ihnen was sie spielen sollten.
"Wenn ich mich schon blamieren soll, dann wenigstens in Ehren“, murmelte sie und stellte sich in Positur. Als die ersten Töne erklangen, wurde es still im Raum. Es war sicher das erste Mal, dass sich eine Fremde ein bestimmtes Musikstück wünschte.
Der Flamenco handelte von einem jungen Mädchen, dass sich unsterblich in einen Torero verliebt, um seine Liebe kämpft, ihn endlich für sich gewinnt, ihn am Ende aber an den Stier verliert. Gabriella hatte den Tanz in Deutschland bestimmt schon hundertmal getanzt, doch noch nie mit einer solchen Hingabe. Die Umgebung, der Wein, alles passte wunderbar zusammen. Nach den ersten tastenden Schritten wurde sie mutiger, schloss die Augen und gab sich ganz ihren Empfindungen hin. Ihre Ausdruckskraft war überwältigend. Die Kastagnetten rasselten in den Händen, Ihre Füße stampften in einem Stakkato den Boden. Jeder fühlte im Raum, wie sie den Mann eroberte.
Sie spürte eine Hand an ihrer Taille und öffnete die Augen. Einer der Tänzer hatte den Part übernommen. Er riss sie in seine Arme, sie drehte sich aus seiner Umklammerung, fing nun ihrerseits den Mann ein. Die Männer an den Tischen klatschten den Takt und selbst Ramon konnte sich dieser Faszination nicht ganz entziehen. Am Ende des Tanzes lag der Tänzer tot zu ihren Füßen und Gabriella sank im Schmerz verkrümmt, neben ihm nieder. Ein paar Minuten war Schweigen, dann klang tosender Beifall auf. Manuel sprang auf die Tanzfläche und umarmte sie übermütig. Die Tänzer der Gruppe beglückwünschten sie und Gabriella hatte Mühe sich zu befreien, um die Schuhe wieder zu tauschen.
"Salvatore, hätten Sie bitte ein Glas Wasser für mich, ich verdurste.“
Der Wirt sah sie verständnislos an und ehe Gabriella die Bitte auf Spanisch wiederholen konnte, erklang eine Stimme vom Ende der Theke und übersetzte für sie. Überrascht schaute sie den Mann an und erkannte Ramon.
"Ich hatte Sie gar nicht bemerkt.“
"Mi más cordial enhorabuena!“
"Reden Sie deutsch mit mir, ich verstehe kein Spanisch“, ihre Stimme klang gereizt und als er näher kam, sah er, dass Tränen über ihre Wangen liefen.
"Ich sagte, Herzlichen Glückwunsch!“
"Und warum?“
"Weil Sie die erste dieser Touristinnen sind, die sich nicht blamiert hat. Im Gegenteil, Sie haben alle Herzen im Sturm gewonnen.“
"So, so, Ihres vielleicht auch?“ Ihre Stimme sollte spöttisch klingen, doch ganz gelang es ihr nicht. Noch war sie von dem Tanz zu aufgewühlt.
"Möchten Sie denn mein Herz gewinnen?“
"Ich will überhaupt nichts gewinnen.“
"Kommen Sie, setzen wir uns zu Rosalie und Manuel.“ Gabriella war über seine sanfte Stimme so überrascht, dass sie ihre ablehnende Haltung vergaß.
"Nein, ich möchte noch nicht an den Tisch. Ich brauche frische Luft.“ Sie wartete nicht auf seine Antwort, stellte das Glas ab und ging auf den Ausgang zu. Ramon erwischte sie am Arm, "nicht da hinaus, kommen Sie.“ Ohne auf ihren schwachen Protest zu achten, zog er sie zum Seiteneingang und schob sie hinaus in die klare Nacht. "Hier setzen Sie sich, diese Tanzerei ist doch ziemlich anstrengend, besonders wenn man sich so ins Zeug legt wie Sie.“
Sie wollte auffahren, doch er drückte sie auf die Bank zurück, setzte sich neben sie und deutete in den sternenübersäten Himmel. "Sehen Sie das Kreuz des Südens?“
Sie nickte nur, sagen konnte sie nichts. Die Nähe dieses Mannes machte sie unruhig. Noch nie war ihr so etwas passiert. Ich kann ihn doch gar nicht leiden, dachte sie.
"Setzen Sie sich für jeden Mann so ein den Sie lieben?“
"Ich setze mich überhaupt für keinen Mann ein“, ihre Stimme zitterte ein wenig, doch konnte er den wütenden Unterton heraushören und schmunzelte: "Sie sind wohl schon in festen Händen und nicht glücklich darüber?“
Sie drehte ihm ihr Gesicht zu: "Ich bin weder verheiratet, noch verlobt, noch verliebt, wenn Sie das unbedingt wissen wollen und ich gedenke diesen Zustand auch noch lange beizubehalten.“
"Ich glaube es ist besser wir gehen wieder hinein, sonst ist Ihr guter Ruf im Eimer“, gab er spöttisch zurück und stand auf. Gabriella erhob sich ebenfalls und folgte ihm. Vor der Türe blieb er so abrupt stehen, dass sie gegen ihn stieß. Ramon drehte sich um, packte sie an den Armen und ehe sie sich versah lagen seine Lippen auf ihrem Mund. Sie wehrte sich, doch je länger der Kuss dauerte, um so schwacher wurde ihr Widerstand. Bereitwillig öffnete sie die Lippen. Noch nie hatte ein Kuss sie so in ihren Grundfesten erschüttert. Er presste ihren Körper immer enger an sich und sie ließ es geschehen. Wie von selbst legten sich ihre Arme um seinen Hals und sie erwiderte seine leidenschaftlichen Küsse. Erst als sie seine Erregung spürte, wurde sie sich der unmöglichen Situation bewusst und versteifte sich in seinen Armen.
Ramons Augen glitzerten wie die Lichter eines Raubtieres.
"Lassen Sie mich sofort los“, fauchte sie wie eine Katze und stemmte die Hände gegen seine Brust.
"Bist du launisch, oder willst du mich nur anheizen?“
"Ich will, dass Sie zum Teufel gehen“, schrie sie ihn an, da ließ er sie mit verächtlichem Lachen los. "Es geht Dir wohl zu schnell. Wir können es auch morgen oder übermorgen nachholen. Du sollst nicht ohne dein Erlebnis nach Hause fahren. Ich oder ein anderer, dir ist es sicher egal, aber ich möchte doch gerne derjenige sein, der deine Urlaubsreise mit einem Liebeserlebnis bereichert.“
Gabriella starrte ihn einen Moment sprachlos an, dann klatschte ihre Hand in sein Gesicht. "Suchen Sie sich so eine Touristin nicht mich, Sie unverschämter Flegel.“
Bevor Ramon sich von seiner Überraschung erholt hatte, war sie verschwunden. Vergnügt vor sich hinpfeifend, betrat er ebenfalls das Lokal und setzte sich, als wäre nichts geschehen, an den Tisch. Rosalie warf ihrem Bruder einen Blick zu, sah die rote Wange und fing zu grinsen an. Sie wusste, dass Ramon nie eine Abfuhr bei Frauen erhielt. Im Gegenteil, sie himmelten ihn geradezu an. Es tat ihm vielleicht einmal ganz gut, wenn endlich ein Mädchen kam und nein sagte.
Ein Fischer näherte sich dem Tisch, Gabriella wusste mittlerweile, dass er Enrico hieß, beugte sich zu Ramon und redete auf ihn ein. Dieser nickte und drehte sich zu seiner Schwester. Er sprach so schnell, dass Gabriella den Wortlaut nicht verstehen konnte. Rosalie zuckte mit den Schultern und wandte sich an ihre neue Freundin: "Würdest du mir einen großen Gefallen tun?“
"Wenn ich kann, gerne.“
"Fahre mit Ramon nach San Thomas.“
"Nein, das werde ich ganz bestimmt nicht.“
"Gabriella“, Rosalies Stimme wurde drängend, "bitte mache es mir zuliebe. Ich kann dir nicht sagen warum, aber tue es. Du musst mit Ramon nach San Thomas fahren. Im Hotel werdet ihr an der Bar noch etwas trinken, damit jeder sieht, dass du mit ihm zusammen warst.“
Gabriella warf erst Rosalie, dann Manuel und dann Ramon zweifelnde Blicke zu: "Braucht er vielleicht ein Alibi? Ist er ein Schmuggler?“
"Ich bin kein Schmuggler“, wandte er missmutig ein und zu Rosalie sagte er auf Spanisch: "Ich habe dir doch gleich gesagt, dass man mit der nichts anfangen kann. Ich muss mir sofort jemand besorgen, der bezeugt, dass ich den ganzen Tag und den ganzen Abend mit ihm zusammen war.“
Gabriella hatte das Gespräch mit wachsender Spannung verfolgt und einem plötzlichen Impuls folgend mischte sie sich ein: "Ich habe es mir überlegt, ich fahre mit.“
Ein überraschter Blick aus seinen dunklen Augen traf sie, dann stand er wortlos auf, zog sie mit hoch und verließ, das Mädchen hinter sich herziehend das Lokal. Er legte eine Eile an den Tag, dass sie nicht einmal dazu kam ihn zu fragen, wohin er mit ihr wollte. Mit langen Schritten ging er um das ganze Haus herum und sie erreichten einen kleinen Parkplatz.
"Schnell steige ein“, und ehe sie sich versah, saß sie in einem Wagen. Ramon schaltete die Scheinwerfer ein und Gabriella bemerkte jetzt erst die breite Straße, die den Berg hinunter führte. "Ich dachte das Medusa kann man nur zu Fuß erreichen?“
"Rosalie wollte dir sicher die schöne Aussicht zeigen. Wie lange bist du schon hier auf der Insel?“
Jetzt lachte sie, "genau einen Tag, nämlich seit heute Morgen und erlebt habe ich bis jetzt schon mehr, als sonst in einer ganzen Woche. Rosalie ist wirklich ein bemerkenswertes Mädchen.“
"Woher kennst du meine Schwester?“
"Ich habe sie auf der Fähre kennen gelernt. Ich mag sie, sie ist ein fröhlicher, offener Mensch, im Gegenteil zu Ihnen.“
"Ich mag keine Touristinnen. Sie sind neugierig und töten einem den Nerv mit ihrer ewigen Fragerei und Quengelei. Sie kommen zu uns Barbaren, nur um etwas zu erleben.“
"Also mögen Sie mich auch nicht, warum haben Sie mich dann geküsst?“ konnte sie sich nicht enthalten zu fragen.
"Das erwartet Ihr doch alle von uns!“ Plötzlich fuhr er von der Straße ab, löschte die Scheinwerfer und stellte mit einem Fluch den Motor ab.
"Wenn Sie mir jetzt nicht sofort sagen, vor wem Sie Angst haben, steige ich aus und gehe zu Fuß ins Hotel.“
Zornig drehte er ihr das Gesicht zu und seine Augen blitzten vor unterdrückter Wut: "Ein Ramon de Igleses fürchtet sich vor niemandem, verstanden! Ich will nur den Leuten des Kommodore ausweichen. Sie könnten mir einige unangenehme Fragen stellen. Das ist alles.“
Die Autos entfernten sich und Ramon lenkte den Wagen zurück auf die Straße. Vor dem Hotel stieg Gabriella aus und sah den Marktplatz hinunter. "Warum sind da vorne so viele Uniformierte“, wollte sie erstaunt wissen. Ramon kam um den Wagen herum und blickte in die angegebene Richtung. "Komm“, sagte er nur, legte einen Arm um ihre Schultern und ging auf den Hoteleingang zu.
Ein Bettler verstellte ihnen den Weg und während Ramon nach einer Münze suchte, hörte sie, wie der Mann leise murmelte: "Sei vorsichtig, sie sind überall. Paolo hat es auf dich abgesehen. Tut so, als ob ihr ein Liebespaar wäret.“ Laut aber bedankte er sich Gestenreich für die Münze.
Ramons Lippen streiften ihr Ohr: "Könntest du dich für kurze Zeit durchringen und mich ein bisschen sympathisch finden? Nur so lange bis Paolos Schergen abgezogen sind? Wenn es nur um mich ginge, wäre es mir egal, ...aber es hängt zu viel davon ab.“
Gabriella konnte nur nicken, seine Nähe machte sie schwindlig. Ohne sich um die Leute in der Halle zu kümmern, strebte er mit ihr der Bar zu. Aufatmend ließen sie sich in die weichen Polster sinken.
"Gabriella höre gut zu. Mir ist das Ganze äußerst unangenehm. Ich wollte dich nicht in etwas hinein ziehen, von dem du keine Ahnung hast und vor allem...“, plötzlich zog er sie in die Arme und murmelte an ihrem Mund: "Tut mir leid es kommt jemand.“
Ramon küsste sie und Gabriella hatte nicht das Empfinden, dass es ihm leid tat. Als sie endlich Luft bekam, fragte sie: "Ist dieser Er endlich weg?“ In Ramons Augen blitzte der Schalk, als er verneinte und seine Lippen weich auf die ihren legte. Mein Gott, wenn der so weiter küsst, verliebe ich mich am Ende noch in ihn, dachte sie und erwiderte voller Hingabe seinen Kuss.
"Oh la, la, ist das die deutsche Señorita, die seit heute auf unserer Insel ist?“ Ramon und Gabriella fuhren erschrocken auseinander. Ein dunkelhaariger Mann in einem blütenweißen Anzug stand vor ihrem Tisch und starrte sie neugierig an. Wie in einem billigen Krimi, dachte Gabriella unwillkürlich.
"Ramon, willst du mich nicht deiner reizenden Freundin vorstellen?“
"Gabriella, das ist Kommodore Paolo, Paolo das ist meine langjährige Freundin Gabriella.“
"Sehr angenehm, darf ich mich einen Moment zu Ihnen setzen?“
Sie lächelte den Mann freundlich an und nickte: "Aber sicher, wenn Sie ein Freund von Ramon sind, sind Sie auch mein Freund.“
"Wie nett Sie das sagen meine Liebe. Wie lange bleiben Sie denn auf Marines?“
"Erst mal drei Monate, dann muss ich zurück nach Deutschland. Ich komme aber bald wieder zurück. Noch einmal lasse ich meinen Ramon nicht fünf Jahre allein.“
"Sie haben wirklich fünf Jahre auf ihn gewartet? So eine hübsche junge Dame? Das muss aber eine große Liebe sein.“
"Ja, Señor Paolo, so ist es. Ramon ist die große Liebe meines Lebens und ich würde noch länger auf ihn warten, wenn es sein müsste.“
Der Kommodore lächelte süffisant: "Nun, vielleicht müssen Sie wirklich eines Tages sehr lange auf ihn warten. Wie dem auch sei... sicher haben Sie sich nach der anstrengenden Überfahrt heute den ganzen Tag ausgeruht und geschlafen..., ich meine allein?“
Gabriella fühlte sich unter dem lauernden Blick unbehaglich. Sie verspürte das unwiderstehliche Verlangen, diesem aufgeblasenen Insulaner ins Gesicht zu schlagen und nur mühsam beherrschte sie sich. Trotzdem brachte sie es fertig hellauf zu lachen: "Aber Kommodore, glauben Sie im Ernst, dass ich nach einer fünfjährigen Trennung von meinem Ramon, Zeit zum Schlafen hatte? Wir haben uns so viel zu sagen, dass wir uns jetzt immer noch nicht trennen können.“
"Sie waren also den ganzen Tag mit Ramon zusammen“, vergewisserte sich der Kommodore mit säuerlicher Miene.“
Gabriella schaute ihn verwundert an: "Kommodore zweifeln Sie etwa an meinen Worten?“
"Nein natürlich nicht. Haben Sie vor, in nächster Zeit von der Insel zu verreisen? Ausflüge oder so?“
Sie dachte einen Moment nach: "Ach ja richtig, ich habe das Pauschalangebot gebucht. Ich konnte wählen zwischen einer Besichtigungstour rund um die Insel, oder einer sechstägigen Schiffsrundreise. Da ich doch erwarte, dass Ramon mir die Insel zeigt, habe ich das Schiff gewählt. Anders konnte man diese Reise leider nicht buchen.“
Der Kommodore erhob sich. Gabriella gewann immer mehr den Eindruck, dass er auf sie wütend war. Höflich verbeugte er sich und sagte mit seiner leisen Stimme: "Ich bin sicher, wir werden uns noch des Öfteren sehen.“
Mit einem kurzen Neigen des Kopfes in Richtung Ramons, verließ er die Bar und Gabriella legte ihren Kopf aufatmend an seine Schulter. "Du liebe Zeit, ist das ein eingebildeter, unsympathischer und arroganter Kerl.“
Ramon lachte leise und drückte seine Lippen auf ihr Haar. "Ich muss schon sagen, du bist wirklich eine sehr ungewöhnliche junge Dame. Nicht nur weit über den Durchschnitt hübsch, sondern auch über die Maßen intelligent, redegewandt und vor allem kannst du lügen, dass sich die Balken biegen.“
Lächelnd hob sie den Kopf und sah ihn an: "So viel habe ich nun auch wieder nicht gelogen. Es stimmt, dass ich drei Monate auf der Insel bleibe und eine Schiffsreise mache ich auch.“
"Wenn du nicht viel gelogen hast, wie du behauptest, dann bin ich also deine einzige große Liebe“, schmunzelte er. Errötend versuchte sie sich von seinem Arm zu befreien, den er besitzergreifend um ihre Schultern gelegt hatte.
"Sie wissen, dass das ganz großer Blödsinn ist. Ich habe das alles nur für Ihre Schwester getan und weil ich diesen Kommodore nicht ausstehen kann. Außerdem kenne ich Sie ja kaum. Ich habe auch nicht vor, Sie näher kennen zu lernen. Wie gesagt, nur Rosalie zuliebe bin ich mit Ihnen gefahren und im Übrigen, musste ich ja irgendetwas sagen, wenn Sie schon behaupten ich sei Ihre langjährige Freundin.“
"Hm, damit hast du mir sehr wahrscheinlich das Leben gerettet. Darf ich dich noch um etwas bitten?“
Sie warf ihm einen unsicheren Blick zu: "Und um was?“
"Vergiss doch das dumme Sie. Ich glaube wir haben jetzt einen gemeinsamen Feind und da sollten wir wie Freunde zusammen halten. Vielleicht brauchst du bald meine Hilfe. So wie Paolo dich vorhin mit seinen Blicken verschlungen hat, wird er nichts unversucht lassen, um dich in sein Bett zu bekommen. Außer du willst ihn natürlich.“
"Das wäre der letzte Mann mit dem ich schlafen würde“, rief sie entrüstet aus.
"Und an welcher Stelle stehe ich?“
"Ramon du bist ein unmöglicher Mensch. Nur weil ich dir einen Gefallen getan und bei dem Theater mitgespielt habe, heißt das noch lange nicht, dass ich mit dir ins Bett flitze.“
Ramon zog sie lachend in die Arme und drückte sie fest an sich: "Du bist wunderbar. Ich möchte auch nicht, dass du mit mir flitzt, sondern ganz langsam gehst.“
"Hör endlich mit dem Quatsch auf. Du kannst mich außerdem loslassen, ich glaube nicht, dass uns noch jemand beobachtet.“ Ramon schaute sie nachdenklich an, dann blickte er über ihre Schulter in die Hotelhalle zurück.
"Zwei Männer sitzen noch dort und beobachten uns“, flüsterte er an ihrem Ohr und biss sie leicht ins Ohrläppchen. Dann wanderten seine Lippen langsam über ihre Wange, hinauf zu den Augen, liebkosten ihre Nase, um dann seine Lippen weich und zärtlich auf ihren Mund zu legen. Mit geschlossenen Augen lag sie in seinen Armen und bewegte sich nicht. Ramon spürte wie sie sich langsam entspannte und sich ihre Lippen öffneten. Spielerisch glitt seine Zunge über ihre Zähne. Tastend berührte ihre Zunge die seine und sein Kuss wurde eindringlich und fordernd. Erschrocken wich sie zurück.
"Ich muss..., ich muss jetzt aber wirklich auf mein Zimmer“, stammelte sie verstört und erhob sich rasch. Fast fluchtartig verließ sie den Bar Raum und durchquerte eilig den menschenleeren Empfangsraum. Auf der untersten Stufe blieb sie wie vom Donner gerührt stehen und drehte sich um. Die große Halle war leer. An der Rezeption stand ein spöttisch grinsender Mann und beobachtete sie.
"Seit wann ist die Halle leer?“ Der Empfangschef zuckte mit den Achseln: "Als der Kommodore ging, verließen auch seine Leute das Hotel.“
Gabriella nickte, dann ging sie mit raschen Schritten in die Bar zurück. Ramon stand eben auf und stellte das leere Glas auf den Tisch, als ihn eine Hand unsanft am Arm packte. Unwillig wandte er den Kopf und blickte überrascht in Gabriellas wütendes Gesicht: "Ramon, du hast das schamlos ausgenutzt. Kein Mensch war mehr in der Halle. Du bist ein hinterhältiger, gemeiner...“, sie verschluckte das Schimpfwort, das sie ihm an den Kopf schleudern wollte und Ramon half ihr mit spöttischem Lächeln aus: "Barbar, Bestie, Kanaille, Schuft, mit welchem Wort kann ich dir weiterhelfen?“
"Du kannst das nächste Mal im Gefängnis verrotten. Ich werde keinen Finger mehr für dich rühren. Du glaubst wohl du kannst mit mir machen was du willst? Ich bin keine von deinen billigen, Abenteuer suchenden Touristinnen.“ Wütend drehte sie sich um und verließ endgültig die Bar.
"Wir werden sehen“, murmelte er vor sich hin und verließ, ein vergnügtes Lächeln auf den Lippen, das Hotel. Ramon glaubte, Gabriella längst durchschaut zu haben. Ihre harte Schale täuschte ihn nicht über ihr leidenschaftliches Temperament. Er hatte viel Erfahrung mit Frauen und sofort gespürt, als er sie küsste, wie weich und anschmiegsam sie wurde. "Und ob ich mit dir machen kann, was ich will“, murmelte er vor sich hin, "du willst nur jeden Mann anheizen. Schade kleine Gabriella, du bist genau wie alle anderen Frauen auch. Dieses Spiel, rühr mich nicht an und pack mich, das kenne ich zur Genüge.“
Den ganzen Heimweg beschäftigte ihn das blonde Engelsgesicht. Warum konnte sie nicht etwas Besonderes sein? Mit Gewalt riss er sich von diesen Gedanken los, denn er wusste, wenn er sie nicht aus seinem Hirn verbannte, würde sie sein Herz in Besitz nehmen und das musste er um jeden Preis verhindern. In dieser Hinsicht war er unverbesserlich altmodisch. Er wollte ein Mädchen nur dann heiraten, wenn er der erste Mann in ihrem Bett war. Bisher hatte er vergeblich gesucht. Gabriella kam seinem Wunschdenken so nahe, dass es ihn fast schmerzte. Wütend stieß er mit dem Fuß eine Blechdose zur Seite, dass es einen lauten Knall gab.
Noch ein Mann beschäftigte sich in Gedanken mit Gabriella. Kommodore Paolo. "Diese Frau muss ich haben. Koste es was es wolle. Ich werde Ramon zur Strecke bringen“, er lachte laut auf, "ja genau das ist es, mit Ramon als Köder, wird sie mir in die Falle und freiwillig in mein Bett kommen.“ Vergnügt rieb er sich die Hände.
Die, um die es ging, lag wach in ihrem Bett und dachte, wie könnte es anders sein, an Ramon. "Dieser freche, unverschämte Kerl, ich werde ihm zeigen, dass man mit mir nicht so umspringen kann.“ Doch im gleichen Augenblick erinnerte sie sich an seine weichen Lippen. Noch kein Mann hatte sie so aufgewühlt. Was war nur los mit ihr. So kopflos bin ich doch noch nie bei einem Kuss geworden, dachte sie immer wieder. Ich werde Rosalie morgen sagen, dass sie ihn mir vom Leibe hält. Mit einem Lächeln auf den Lippen schlief sie ein und im Traum sah sie Ramon vor sich stehen, der die Hand nach ihr ausstreckte, doch plötzlich packte Paolo sie und zerrte sie von Ramon weg. Mit einem Schrei erwachte sie und fuhr in die Höhe.
Die Sonne ging eben auf. Mit einem Sprung war sie aus dem Bett und verschwand eilig im Bad. Schon nach kurzer Zeit kam sie in Jeans und Pulli wieder zum Vorschein. Das Zimmermädchen starrte ihr verwundert nach. Sie war es von den Gästen nicht gewöhnt, dass sie so früh schon das Hotel verließen.
Gabriella lief eine Weile am Strand entlang, setzte sich dann auf einen Felsen und blickte auf das Meer hinaus. Weit draußen entdeckte sie viele kleine Punkte. Das mussten die Fischer mit ihren Booten sein. Der Wind fuhr durch ihre langen blonden Haare, voller Übermut warf sie den Kopf in den Nacken, breitete die Arme aus und lachte laut auf. Was für eine Freiheit, was für ein Gefühl.
"Du sitzt hier, wie eine Wassernymphe. Schön dich zu beobachten.“
Erschrocken zuckte sie zusammen. Sie hatte ihn nicht kommen hören. Der Wind und der weiche Sand hatten seine Schritte verschluckt. Ramon konnte ebenfalls nicht schlafen und seit über einer Stunde lief er am Wasser entlang, als er eine Gestalt auf dem Felsen sitzen sah. Er wunderte sich zuerst, wer um diese Uhrzeit schon am Strand war, doch dann gewahrte er diese unnachahmlich blonde Mähne. Er fand es ein gutes Zeichen, wenn sie ebenfalls keine Ruhe fand.
"Ich hoffe doch sehr, dass du an mich gedacht hast“, lachte er fröhlich und kam näher.
"Du bist der einzige Mann, an den ich bestimmt nicht gedacht habe“, gab sie boshaft zurück. Ihre Augen funkelten ihn wütend an, "bleib wo du bist! Komme mir nicht zu nahe!“
Sie sprang auf und kletterte den Felsen hinunter. Ramon war mit einem Satz neben dem Lava Gestein und streckte ihr die Arme entgegen. "Nun mach kein solches Theater und lasse dir helfen. Ich beiße dich doch nicht.“
"So, du beißt nicht? Dir traue ich sogar das zu.“
Vor Zorn achtete sie nicht auf den kleinen Spalt im Felsen und wäre gestürzt, hätte Ramon sie nicht aufgefangen. Langsam ließ er sie an sich herunter gleiten, doch bevor sie festen Boden unter den Füßen spürte, lag sie mit Ramon im Sand. Er hatte nicht die Absicht gehabt, doch als er ihren schlanken Körper an seiner Brust spürte, presste er sie so fest an sich, dass sie beide das Gleichgewicht verloren.
"Lass mich sofort los“, ihre Stimme überschlug sich fast. Ramon hielt ihre Hände über dem Kopf zusammen, mit der anderen Hand fuhr er liebkosend über ihren Körper.
"Lass mich los, ...bitte, ...bitte lass mich los!“ Ihre Stimme war nur noch ein Flüstern und ihre Augen füllten sich mit Tränen. Er spürte ihre Erregung und trotzdem wollte sie, dass er sie los ließ.
"Was hast du denn, ich weiß doch, dass du mich auch willst, genauso wie ich dich.“
"Ich will dich nicht“, schrie sie verzweifelt auf, "lieber schlafe ich mit einem Piraten oder Gangster oder was weiß ich, aber nicht mit dir!“ Augenblicklich ließ er sie los, "kannst du mir das Versprechen?“
"Oh ja, das gebe ich dir sogar schriftlich, wenn du willst!“ rief sie giftig.
"Vielleicht nehme ich dich einmal beim Wort!“ Er warf ihr einen eigentümlichen Blick zu, erhob sich und entfernte sich fröhlich pfeifend. Verwirrt setzte sie sich auf und starrte ihm nach. Was sollte das nun wieder heißen?
"Na egal, Hauptsache er ist weg“, seufzte sie erleichtert und stand auf. "Für heute habe ich genug vom Strand, jetzt gehe ich erst mal frühstücken, dann fühle ich mich wieder besser.“
Um neun Uhr kam Rosalie. Sie hatten sich zu einer Inselrundfahrt verabredet. Im ersten Moment wollte sie sich bei ihrer neuen Freundin über das Benehmen ihres Bruders beschweren, aber aus einem unerfindlichen Grund, ließ sie es bleiben.
Rosalie hatte ein altes Vehikel, sprich Auto organisiert und lachend machten sich die Mädchen auf den Weg. Die Insel war etwa so groß wie Gomera, eine der Kanaren. Das ganze Eiland bestand aus einem riesigen erloschenen Vulkan. Von Norden bis weit hin zum Osten, zogen sich große Felsen und dunkles Lava Gestein. Je weiter man nach Süden kam, desto üppiger wurde der Pflanzenwuchs. Palmen reichten bis fast ans Meer, dazwischen lagen Fischerhütten. Näher am Berghang hatten die Insulaner kleine Bananenhaine angelegt, die allerdings kaum den eigenen Bedarf deckten. Der Hauptbroterwerb war immer noch die Fischerei. Nach Westen zu, erreichte der Krater eine imposante Höhe von nahezu 98o Metern. Für diese kleine Insel eine gewaltige Höhe. Eine enge Straße wand sich wie eine Schlange den steilen Hang hinauf. Der Berg war dicht bewaldet und man sah nur hin und wieder das rote Dach einer Hütte zwischen den Blättern aufblitzen. Auf halber Höhe mussten die Mädchen das Auto auf einem provisorischen Parkplatz stehen lassen.
"Jetzt geht nichts mehr. Wir müssen zu Fuß weiter“, lachte Rosalie.
"Macht nichts, der Pfad ist schattig, das Gehen wird uns gut tun. Sag mir endlich, wohin du mich führst?“
"Das ist eine Überraschung, du wirst gleich sehen.“
Langsam wanderten sie weiter. "Kommst du heute Abend wieder ins Medusa? Die Fischer haben schon nach dir gefragt und natürlich Manuel.“
"Rosalie, willst du mir etwa Manuel anhängen?“
"Aber nein, nur so lange er in dich vernarrt ist, habe ich ihn unter Kontrolle“, grinste Rosalie spitzbübisch und die Deutsche schüttelte verwundert den Kopf: "Also wenn ich einmal einen Mann liebe, dann teile ich ihn mit keiner anderen Frau, das weiß ich mit Bestimmtheit.“
"Gabriella sage so etwas nicht. Wenn du verliebt bist, musst du Konzessionen machen.“
"Nein das würde ich nicht. Viel eher würde ich ihn rasend eifersüchtig machen, damit er merkt was er an mir hat.“
"Du die Idee ist gar nicht so schlecht. Vielleicht wäre das für Manuel eine heilsame Lehre. Na mal sehen, wer in den nächsten Tagen mit dem Schiff ankommt. Wenn ein Mann dabei ist, den er nicht mag, flirte ich ganz unverschämt mit ihm.“
"Rosalie“, lachte Gabriella, "du bist unverbesserlich.“
"Kommst du nun heute Abend?“
Sie zögerte, "würde ich ganz gerne, aber ich möchte nicht mit deinem Bruder zusammentreffen.“
Ein merkwürdiger Blick aus den dunklen Augen der Insulanerin traf sie: "Du hast ihm gestern Abend ganz schön aus der Patsche geholfen. Ohne dich säße er jetzt im Gefängnis.“
"Hat er dir erzählt, wie wir den Kommodore angelogen haben?“
"Ja und dass er sich Sorgen und Vorwürfe deinetwegen macht. Paolo ist nicht zu unterschätzen. Ramon meint, dass er dich bestimmt mit einem Trick in eine Falle locken will.“
"Der Kommodore kann mich nicht in eine Falle locken. Ich gehe ihm nicht auf den Leim.“
"Hast du eine Ahnung, zu was dieser Mann alles fähig ist. Was würdest du zum Beispiel tun, wenn er Ramon einsperrt und es dir überlässt, wie und ob er wieder frei kommt?“
"Ramon kann er meinetwegen bis zum jüngsten Tag einsperren. Ich habe ihm schon gesagt, dass ich keinen Finger mehr für ihn rühre.“
"Gabriella? Du hast dich doch nicht in meinen Bruder verliebt? Das wäre ganz und gar nicht gut. Mein Bruder ist ein Casanova und nimmt keine Frau ernst. Manchmal glaube ich, er weiß überhaupt nicht, was das Wort Liebe bedeutet.“
"Ich? Verliebt in Ramon? Nie und nimmer. Er könnte der einzige Mann auf der Insel sein, dann würde ich ihn nicht einmal bemerken.“
"Oh je, dich hat es aber schlimm erwischt“, lachte die Insulanerin.
"Rosalie mich hat die Wut auf deinen Bruder erwischt und sonst nichts und jetzt beenden wir das Thema.“
"Und was würdest du unternehmen, wenn Paolo Ramon folterte“, bohrte sie weiter? Gabriella blieb erschrocken stehen: "Das würde der Kommodore doch nicht wagen? ...Oder?
"Doch er würde es wagen und das sogar mit satanischer Freude!“
"In so einem Fall, würde ich alles tun, um Ramon zu helfen“, und als sie Rosalies Lächeln bemerkte, fügte sie hastig hinzu, "für jeden Menschen, dem so ein Unrecht geschieht, würde ich mich mit meiner ganzen Kraft einsetzen. Wir befinden uns aber Gott sei Dank im 20. Jahrhundert und nicht im 16. Jahrhundert, wo Folterungen an der Tagesordnung waren.“
"Da irrst du dich gewaltig. Was das anbelangt, sind wir manchmal noch weit von diesem Jahrhundert entfernt. Wenn Paolo irgendetwas durchsetzen oder erreichen will, kennt er keine Rücksicht. Was glaubst du, wie viele Menschen unter seiner Folter schon das Leben verloren haben. Der Kommodore fühlt sich hier als unumschränkter Herrscher. Die oberste Gerichtsbarkeit ist weit entfernt und seine Partei hat nun mal das Sagen auf dieser Insel.“
Schweigend setzten sie ihren Weg fort. Die Bäume wurden spärlicher und die Sonne brannte unbarmherzig auf den Berg. Endlich hatten sie den Gipfel oder besser gesagt, den Kraterrand erreicht. Rosalie trat näher an den Abhang und zeigte mit dem ausgestreckten Arm hinunter: "Was sagst du dazu?“
"Oh wie schön“, rief die Deutsche spontan aus. Es war ein atemberaubender Anblick. Wie ein riesiger runder Topf auf dessen Boden man Häuser, Bäume und Wiesen gesetzt hatte. "Du liebe Zeit ist das groß. Hat der Ort einen Namen?“
"Ja, diese große Hazienda trägt den Namen "Callar.“ Das heißt so viel wie verschweigen. So um 1500 herum, kamen nicht nur Freibeuter auf die Insel, sondern vor allem Piraten. Die ersten Insulaner, man vermutet, dass sie von ausgesetzten Seeleuten oder Schiffbrüchigen abstammten, wollten ihre Ruhe und von den ungebetenen Gästen nicht immer wieder ausgeplündert werden. So kamen sie auf die Idee, Lianen an den Gipfeln der Bäume zu befestigen und sie bei Bedarf nach unten auf den Boden zu ziehen. Es entstand ein undurchdringliches grünes Dach. Von oben sah es aus, als gäbe es da unten nur Bäume und Büsche. So waren sie vor den Fremden geschützt. Die Häuser waren gut versteckt und wurden den Eindringlingen sozusagen "verschwiegen.“
Am Kraterrand postierten sie Wachen, die sofort Alarm schlugen, wenn sich ein Schiff der Insel näherte. Sofort zogen Männer und Frauen an den Seilen und das grüne Dach schloss sich. Verschwanden die Fremden, löste man die Lianen und die Sonne konnte wieder ungehindert bis auf den Boden scheinen.“
"Eine hervorragende Lösung, aber eine sehr anstrengende.
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Lissa Seebauer
Tag der Veröffentlichung: 05.12.2012
ISBN: 978-3-7309-5624-3
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