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Das Lieserl von der Haselmühle

 

 

 

Wetzelsberg, geliebtes Paradies

Der Eierdieb

 

Das kleine Lieserl langweilte sich. Es regnete in Strömen und sie musste wohl oder übel in der Stube bleiben. "Ach Hanni, warum muss es denn dauernd regnen“, maulte sie und ihre Großtante meinte begütigend: "Ge Dearndl, der Frühling kommt und die Felder brauchen das Wasser, damit was wachsen kann. Wir müssen auch im Winter was zu essen haben.“

"Trotzdem, es langt doch schon lang.“

"Na, na, es langt noch lange nicht“, lachte die Bäuerin und beugte sich wieder über ihr Spinnrad.

Plötzlich ruckte der Kopf der Kleinen hoch. Hary und Gerd kamen durch den Regen gelaufen, winkten ihr zu und verschwanden im Heustadl. Was hatten die beiden wieder vor?

Neugierig geworden, rutschte sie von der Fensterbank und lief nach draußen. Trotz der Schnelligkeit, mit der sie den Hof überquerte, kam sie durchnässt im Stadl an: "Hary, Gert, wo seid ihr? Was macht ihr?“

"Hier oben. Komm rauf, wir haben was gefunden“, rief Gert und beugte sich vor, um der kleinen Lieserl zu zeigen, wo sie sich befanden. Behände kletterte sie an den Pfosten nach oben und stand wenige Minuten später im Heustock: "Ihr wisst doch, dass wir uns hier nicht aufhalten dürfen. Der Hans hats doch verboten“, meinte sie und fragte im gleichen Atemzug: "Was habt ihr denn gefunden?“

"Hier schau mal“, rief Hary triumphierend und hielt drei Hühnereier in die Höhe. "Was willst du denn damit?“

"Na austrinken, was denn sonst du dumme Kuh.“

"Das sag ich der Hanni“, gab das Lieserl beleidigt zurück und drehte sich um, um den Heustock zu verlassen.

"Ach komm schon, der Hary hat das doch nicht so bös gemeint. Sei nicht gleich beleidigt. Bleib da Lieserl und probier. Das schmeckt wirklich gut.“

"Ich weiß nicht recht. Ich hab noch nie ein rohes Ei gegessen. Schmeckt das überhaupt?"

"Da nimm. Hau die Spitze an den Balken, mach ein kleines Loch und trink es aus" Hary machte es der Kleinen vor und sie ließ sich nicht lange bitten, sondern probierte es sofort aus. "Mhm, das schmeckt wirklich. Der Dotter hat so einen guten Geschmack. Gerd hast du noch ein Ei?"

"Nein, das Nest ist leer. Wir können ja noch ein paar suchen, was meinst du?"

"Mal überlegen. Hier im Heuschober finden wir kein Nest mehr, aber über dem Stall sind die Hühnernester. Da holt die Hanni immer die Eier. Wir schleichen uns hinüber und holen ein paar Eier." Gesagt getan. Leise, um die Bäuerin nicht zu stören, schlichen sie durch die Fletz (Hausflur) die Treppe auf den Getreideboden und von da in den Hühnerstall. Eine Henne, flog erschrocken gackernd vom Nest auf. Vier Eier lagen drin, die Hary vorsichtig in sein Hemd steckte. Gerd hatte mittlerweile das nächste Nest geplündert und das Lieserl machte es den Buben nach und verstaute ebenfalls drei Eier in ihrer Bluse.

Auf nackten Sohlen verließen sie genau so leise, wie sie gekommen waren, das Bauernhaus und liefen durch den Regen in den Heustadl. Hanni die zufällig aus dem Fenster sah, blickte den drei ärgerlich nach. Sie mochte es nicht, wenn sich die Buben auf ihrem Hof herumtrieben, denn sie hatten nichts als Unsinn im Kopf und vor allem, alles was nicht niet und nagelfest war, verschwand. Was hatten sie jetzt wieder vor? Sie öffnete das kleine Fenster und rief: "Lieserl, wo läufst du hin, komm sofort in die Stubn."

"Au weia die Hanni hat uns gesehen.“

"Wir verstecken die Eier und kommen später wieder hierher,“ meinte der Hary altklug und Gert nickte zustimmend: "Das ist die Idee.“

Wenig später rannte das Lieserl zurück und die Hanni schaute erbost auf die Kleine nieder: "Was hast mit diesen Stadtlümmeln schon wieder zu schaffen? Du weißt doch, dass ich es nicht mag, wenn sie sich auf dem Hof herumtreiben.“

"Wir sind doch nur im Heuschober herum geklettert. Was soll man bei diesem Sauwetter schon machen Hanni.“

"Sind die zwei noch drüben?“

"Nein sie sind nach Hause gelaufen.“

"Na Gott sei Dank,“ erleichtert löste sie die Spindel mit der Schafwolle vom Spinnrad und winkte der Kleinen: "Komm her und hilf mir die Wolle zu einem Knäuel zu drehen. Ich hab auch noch andere Wolle, die musst du mir halten, damit ich sie abwickeln kann.“ Gehorsam setzte sich das Lieserl und hielt der Großtante die Arme hin, damit sie ihr den Strang über die Handgelenke schob. Nachdenklich schaute sie auf die faltigen Hände, die geschickt die Wolle abwickelten und zu einem Knäuel drehten. "Hanni, bekomme ich auch mal so schöne Falten auf die Hände?“

"Jessas Maria, Kind sei froh, dass du noch so glatte Haut hast. Die Zeit vergeht so schnell und eh du dich versiehst, hast du die gleichen Runzeln wie ich“, lachte die Frau und schaute ihre Großnichte liebevoll an.

"So das hätten wir. Jetzt geh ich noch in den Hühnerstall und hole die Eier. Kommst mit?“

"Ja... ich, ja ich komm schon.“

Während sie vor der Hanni die ausgetretene Holztreppe nach oben ging, wünschte sie sich inbrünstig, dass die Hennen in der Zwischenzeit wieder Eier gelegt hatten. Was würde die Großtante sagen, wenn die Nester leer waren?

Die Nester waren leer und die Hanni ging verwundert von einem zum andern. "Das gibt es doch gar nicht. Ich habe doch heute noch keine Eier geholt. Hm, ich werde wohl ein Gips Ei in die Nester legen. Mal sehen ob ein Marder oder so was ähnliches hier ist,“ murmelte sie und warf der Kleinen einen misstrauische Blick zu, die nervös von einem Bein auf das andere hüpfte.

Ein paar Tage später, waren die Nester wieder leer, nur die Gips Eier lagen noch drin. Das Lieserl wusste genau wer die Eier gestohlen hatte, doch sie schwieg. Hatte sie Hary und Gerd doch schwören müssen, dass sie den Mund hielt. Hanni hatte das Lieserl beobachtet und meinte: "Irgendwie habe ich das Gefühl, dass der Marder auf zwei Beinen geht. Was denkst du“? Das Mädchen zuckte die Achseln und schwieg. Sie mochte die Hanni nicht anlügen, doch die Buben durfte sie auch nicht verpetzen. Sie wusste genau, was ihr dann blühte. Sie seufzte abgrundtief auf und dachte, meiner Seel`, da sitz ich wieder einmal ganz schön im Schlamassel. Was mach ich nur.

Das wusste die Hanni. Sie ergriff das Kind am Arm und zog sie hinter sich her in die Stube. Als das Lieserl die Versammlung sah, wusste sie, dass man sie verdächtigte. Was konnte sie jetzt noch tun? Davonlaufen? Ging nicht. Irgendwann musste sie zurück kommen und dann ging das Theater wieder von vorne los.

"Also, wo sind die Eier geblieben?“ drang die Stimme von Hans in ihre Gedanken. Warum musste ausgerechnet ihr Großcousin heute daheim sein. Marl seine Schwester heftete ihre dunklen Augen auf das Kind: "Lieserl nun sag schon wo. Wenn du die Wahrheit sagst, passiert dir nichts.“

Zweifelnd schaute sie in die Runde. Sie glaubte nicht recht daran. Ja, vor Marl konnte sie davonlaufen. Seit sie mit 17 Jahren Kinderlähmung bekommen hatte, war sie Gehbehindert und das ersparte dem Lieserl des Öfteren eine Ohrfeige, wenn sie was ausgefressen hatte. Aber Hans? Dem rutschte die Hand schnell aus. Also schwieg sie lieber. "Geh Dearndl, jetzt sag schon wo,“ drängte sie nun auch noch die Hanni. "Und ihr schlagts mich wirklich nicht,“ vergewisserte sich das Lieserl noch einmal.

"Nein, wenn du die Wahrheit sagst, bekommst du keine Schläge.“

"Na gut, dann bring ich die Eier.“

"Wo sind sie denn,“ wollte die Marl neugierig wissen und das Lieserl grinste: "Im Heustadl versteckt haben wir sie.“

"Wer wir?“

"Na der Hary und der Gerd!“

"Aha, diese Bangert,“ rief Hans zornig aus, "hab mir doch gedacht, dass die beiden Lauser dabei sind. Was wolltet ihr eigentlich mit so viel Eier?“

"Austrinken. Die schmecken wirklich gut“, gab das Lieserl forsch zur Antwort.

"Geh hol die Eier“, brummte die Hanni und fragte: "Sinds viele? Brauchst ein Körberl?“ Das Lieserl nickte, hielt ihre Finger in die Höhe und meinte treuherzig: "Bestimmt so viele, wie meine Finger... oder noch mehr."

Hanni drückte ihr ein Eierkörbchen in die Hand und das Kind verließ erleichtert die Stube. Das war ja noch einmal gut gegangen, dachte sie und voller Freude, dass sie keine Schimpfe und keine Schläge bekam, brachte sie die Eier und stellte das volle Körbchen auf den Tisch.

Hans fluchte ganz fürchterlich und ehe sich das Lieserl versah, legte er sie übers Knie und versohlte ihr den Hintern, bis sich die Hanni einmischte und ihrem Sohn Einhalt gebot. Heulend brachte sich das Kind in Sicherheit. An der Stubentüre drehte sie sich um und schrie: "Das sag ich euch. Nie wieder werde ich die Wahrheit sagen. Ihr habt mich belogen und lügen darf man nicht.“

Dann verschwand sie und für den Rest des Tages sah keiner das Lieserl mehr. Sie verkroch sich im Heuschober, dort wo ihre Lieblingskatze ihre Jungen versteckt hatte. "Weißt Susi, die Erwachsenen sind alle böse. Ich verpetz dich nicht. Sollen sie sehen, was sie mit fünf jungen Katzen anfangen. Jetzt könnten sie deine Kinder noch umbringen, in ein paar Wochen nicht mehr. Die sind selber schuld daran.“ Dann rollte sie sich im Heu zusammen und schlief ein.

Obwohl die Hanni sie in den kommenden Tagen immer wieder nach dem Verbleib der Katzenjungen fragte, blieb das Lieserl stumm. Nein, sie würde nichts mehr sagen. Sie hatte kein Vertrauen mehr, was die Versprechungen der Erwachsenen anbelangte.

Diese Lehre vergaß sie ihr ganzes Leben nicht mehr und sie versuchte später ihren Kindern nie etwas zu versprechen, was sie nicht halten konnte.

Hurra, die Zigeuner kommen

 

Das Lieserl saß auf der wackeligen Bank vor dem Haus. Sie langweilte sich. Zu ihren Freundinnen Erika und Laura wollte sie nicht, die waren alle auf dem Feld, Korn schneiden. Sie hasste es aus ganzer Seele, Kornmandl aufstellen. Ja wäre es Weizen oder Hafer gewesen, ja dann... aber die Kornähren kratzten ganz gemein. Also blieb sie auf der Haselmühle und langweilte sich. Mit einer Gerte (ohne sah man das Mädchen so gut wie nie), zeichnete sie Figuren in den Staub. Sie war so vertieft in ihr Werk, dass sie die Großtante nicht einmal bemerkte.

Hanni blieb in der offenen Haustüre stehen und schaute dem Kind eine Weile zu: "Na Lieserl, was zeichnest du denn da?“ Erschrocken hob sie den Kopf: "Jessas Hanni, hast mich jetzt aber erschreckt!"

"Ja, ja, du warst mit deinen Gedanken weit weg. An was denkst du denn so angestrengt?"

"Ja mei, ich überleg mir grad was der Hans mit den Zigeunern gemeint hat. Wer sind denn die?"

Hanni setzte sich neben das Mädchen auf die Bank und meinte schmunzelnd: "Hab ich`s mir doch gedacht, dass dir die Zigeuner nicht mehr aus dem Kopf gehen. Du hast doch sicher schon welche gesehen oder?" Das Lieserl schüttelte verneinend den Kopf: "Hab ich nicht. Sehen die anders aus als wir?"

Hanni überlegte und wurde nachdenklich: "Eigentlich nicht oder doch. Sie bleiben nie lange an einem Ort, sind ewig auf der Wanderschaft und sie wohnen auch nicht in Häusern, so wie wir. Sie schlafen in ihren Wohnwagen, ja sie kochen sogar in diesen kleinen Wagen, wenn es draußen regnet. Und aussehen, tja wie sehen Zigeuner aus. Sie haben lange tiefschwarze Haare, auch die Männer, ihre Haut ist viel brauner als die uns`rige und ihre Augen sind fast schwarz."

"Hm," machte das Lieserl und zerstörte mit dem großen Zeh ihr Kunstwerk am Boden: "Dann ist der Hans auch ein Zigeuner?" Hanni lachte schallend: "Dearndl wie kommst denn auf so einen Blödsinn. Lass das dem Hans nicht zu Ohren kommen, da könnt er ganz schön bös werden."

"Aber Hanni," begehrte die Kleine auf, "der Hans hat doch auch ganz schwarze Haare, na ja vielleicht net so lang," überlegte sie, "aber er hat lauter Locken und die sind ganz schwarz. Und dann schau doch seine braunen Arme und sein Gesicht an, dagegen sind wir doch alle weiß. Seine Augen sind auch dunkel und wenn er sich ärgert, werden sie ganz schwarz. Hanni der Hans muss ein Zigeuner sein."

"Jetzt bist aber still Lieserl. Der Hans kommt ganz nach seinem Vater."

"Hat der Haselmühler genau so ausg`schaut?"

"Ja, er hat genauso ausgeschaut," brummte die Hanni und eine steile Falte bildete sich auf ihrer Stirn. Das Lieserl schaute ihrer geliebten Großtante erstaunt in das ernst gewordene Gesicht: "Warum bist denn auf einmal so traurig? Hast den alten Haselmühler net mögen?" Jetzt lächelte die Bäuerin: "Oh mei Dearndl, das verstehst du

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Lissa Seebauer
Tag der Veröffentlichung: 25.08.2012
ISBN: 978-3-7309-5625-0

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