Blechschaden
Ein Fall für Martina
"Verflixt, was ist das heute wieder für ein Verkehrsgewühl. Kaum regnet es, können die Leute nicht mehr richtig Auto fahren“. Lautes hupen ertönte und Martina trat gerade noch rechtzeitig auf die Bremse. Vor ihr krachte es. Das Mädchen kurbelte die Scheibe herunter und schrie der Gestalt im Regen zu: "Kann ich Ihnen helfen? Ist Ihnen was passiert“?
Der ältere Mann winkte ab: "Nein, nein fahren Sie nur weiter. Ich bin meinem Vordermann draufgerutscht. Nur Blechschaden. Das ist nicht weiter schlimm.
Beruhigt setzte sie die Fahrt fort.
"Wie kann man nur so undiszipliniert fahren. Mir wäre das nicht passiert. Ein Glück, dass ich bald zu Hause bin“.
Noch zweimal abbiegen, die Allee entlang, dann hatte sie das ruhige Wohnviertel erreicht. Der Regen setzte stärker ein und der Scheibenwischer ihres schnittigen Toyotas konnte die Wassermassen kaum noch bewältigen.
"Ach du grüne Neune, das ist ja ein Wolkenbruch. Warum kann es nicht erst in zwei Tagen so schütten? Da wäre es mir egal, dann bin ich bereits weit weg von Deutschland in der warmen Sonne“.
Martinas Lippen verzogen sich zu einem träumerischen Lächeln. Heute war ihr letzter Arbeitstag. Übermorgen saß sie bereits im Flugzeug nach Lanzarote. Den ganzen Tag würde sie faul in der Sonne liegen und..., verdammt, wo kommt dieser Wagen plötzlich her? Spinnt der“?
Aus ihren angenehmen Träumen gerissen, versuchte sie dem Auto noch auszuweichen. Es wäre auch gelungen, stünde nicht gerade an dieser Stelle ein BMW, der ausgerechnet hier parkte. Schlitternd rutschte sie dem großen Wagen in die Seitentüre. Das knirschende Geräusch ging ihr durch und durch. Nach dem ersten Schrecken, öffnete sie mit zitternden Händen den Sicherheitsgurt und stieg aus, um sich den Schaden anzusehen.
Der rechte Scheinwerfer und der Kotflügel waren im Eimer, doch was weit schlimmer war, die Türe des anderen Fahrzeugs sah böse aus. "Heiliger Strohsack, was mache ich denn nun“?
Ratlos stand sie im Regen und schaute sich hilfesuchend nach einem anderen Auto um. Doch die Straße war wie leer gefegt.
"Erst fahre ich meinen Wagen weg, sonst passiert das Gleiche noch mal“, brummelte sie vor sich hin und stieg ein.
Sie parkte ihren Toyota vor dem BMW, dann ging sie entschlossen auf eine Gartentüre zu und suchte die Klingel.
"Warum muss es auch schon dunkel werden. Man kann ja kaum etwas erkennen“.
Auf ihr wiederholtes klingeln rührte sich nichts und so versuchte sie es beim nächsten Haus. Hier hatte sie Glück. Vorsichtig schaute eine ältere Frau heraus: "Ja bitte? Was wünschen Sie“?
"Könnten Sie mir sagen, wem der große BMW gehört“?
"Meinen Sie den dunklen Wagen? Der gehört Herrn Klinger. Das übernächste Haus“.
Missmutig stapfte Martina weiter. Der Regen hatte sie mittlerweile völlig durchnässt und sie hoffte inständig, dass dieser Herr Klinger zu Hause war.
Auf ihr Läuten rührte sich nichts und erst nach dem dritten Mal sah sie Licht und gleich darauf wurde die Tür geöffnet.
"Ja“?
"Herr Klinger“?
"Ja, was ist los“?
"Könnte ich Sie einen Moment sprechen“?
"Ich habe wirklich keine Zeit. Worum geht es denn? Wenn Sie was verkaufen wollen, sind Sie bei mir an der falschen Adresse“.
"Es geht um Ihr Auto“.
"Meinen Wagen“?
Zufrieden registrierte sie, dass der Mann die Tür nun ganz öffnete und einen Schritt heraus trat. "Was ist mit dem Auto“?
"Ich bin... ich habe Ihren BMW ein wenig gestreift“.
"Ein wenig gestreift? Wollen Sie damit andeuten, dass sie meinen Wagen angefahren haben“?
"So in etwa“.
Ein paar Sekunden schwieg er, dann griff er hinter sich an die Wand und mit einer Taschenlampe in der Hand, kam er auf sie zu. Ohne das Mädchen eines Blickes zu würdigen, eilte er mit langen Schritten zu seinem Auto, ging drum herum und als er den Schaden sah, schrie er empört auf: "Ein wenig gestreift nennen Sie das? Wo haben Sie Ihren Führerschein gemacht! Der Wagen steht auf dem vorgeschriebenen Parkstreifen! Wie kann man nur so blöd sein und..“.
"Halten Sie die Luft an. Glauben Sie, ich bin extra dagegen gefahren? Das kann doch Jedem passieren“.
"Mir nicht! Sie Anfängerin. Man braucht nur eine Frau ans Steuer lassen und schon kracht es“.
"Ach lassen Sie mich doch in Ruhe. Geben Sie mir einen Stift und ich schreibe Ihnen meine Adresse und meine Versicherung auf, dann sind Sie mich wieder los. Ich will nach Hause und mir nicht ihr dauerndes Geschrei anhören. Sie hätten mich zum Mindesten fragen können, ob ich verletzt bin“.
Er schwieg tatsächlich einen Augenblick, dann drehte er sich zu ihr um und winkte mit der Hand: "Also gut kommen Sie rein“.
Im Flur blieb sie hartnäckig stehen“.
"Was ist? Haben Sie Angst, ich würde Sie vergewaltigen? Keine Sorge. So wie Sie aussehen, besteht kein Grund sich vor mir zu fürchten. Allerdings würde ich Ihnen liebend gerne den Hals umdrehen“.
"Ich habe vor Ihnen keine Angst. Ich möchte nur nicht in Ihrem Wohnzimmer eine Überschwemmung anrichten. Nicht, dass mir Ihre Frau auch noch an den Kragen will“.
Jetzt lachte er und Martina sah ihn zum ersten Mal richtig an. Graue durchdringende Augen musterten sie spöttisch und der gut geschnittene Mund verwirrte sie. Sie starrte angestrengt auf die dunklen Locken, die ihm widerspenstig in die Stirn hingen.
"Es gibt keine Frau in meinem Haus“.
"Wie bitte“?
"Ich sagte, es gibt keine Frau in meinem Haus“.
"Ach so, ja... ich eh... hier ist meine Adresse und die Versicherung. Sie können beruhigt sein, der Schaden wird auf Heller und Pfennig bezahlt“. Sie drückte dem Mann den Zettel in die Hand, drehte sich um und verließ fast fluchtartig das Haus.
Lutz schaute verdutzt auf das Papier, dass sie ihm gegeben hatte, dann auf den nassen Fleck auf dem Boden. Jetzt erst wurde ihm bewusst, wie unhöflich er sich dem Mädchen gegenüber benommen hatte. Du liebe Einfalt. Sie hatte ausgesehen, als hätte sie einen heißen Tee vertragen können.
Er riss die Tür auf, doch von dem Mädchen keine Spur. Er konnte nur noch ein sich entfernendes Fahrzeug hören. Das musste sie sein, denn das Scheppern, das sich mit dem Motorengeräusch misstönend vereinigte, konnte nur von einem verbeulten Auto kommen.
"Na dann nicht“, murmelte er und schloss die Tür. Im Bad wechselte er sein nasses Hemd, dann machte er sich wieder über seine Koffer her. Das hatte ihm gerade noch gefehlt. Über ein Jahr war er nicht mehr zum Ausspannen gekommen. Endlich hatte er sich die Zeit genommen und einen Flug auf die Kanarischen Inseln gebucht. Und im letzten Moment fährt mir dieser Unglückswurm meinen neuen Wagen zu Schrott.
Während er Hemden und Pullis einpackte, Verschiedenes wieder raus warf, sah er die blauen anklagenden Augen des Mädchens vor sich. Wie mochte sie wohl aussehen, wenn sie nicht klatschnass wie ein begossener Pudel war. Er konnte sich nur an ihr schmales Gesicht mit der frechen Stupsnase, den blauen Augen und Lippen, die zum Küssen einluden, erinnern.
Unwillig schüttelte er den Kopf und verscheuchte die Gedanken an diesen kleinen Frosch aus seinem Hirn. Morgen musste er noch einmal ins Geschäft. Um zehn Uhr hatte er eine Besprechung, dann mit dem Auto nach...
"Verdammt, der Wagen“.
Mit der eingedrückten Tür konnte er unmöglich nach Nürnberg fahren. Oh, diese Frauen. Wer war nur auf die Idee gekommen, weiblichen Wesen das Fahren eines Autos zu gestatten?
"Ein Frauenfeind war das bestimmt nicht“, brummte er und überlegte sich, dass es wohl am Besten war, den Wagen gleich morgen in aller Frühe in die Werkstatt zu bringen. Wegen dieses leichtsinnigen Mädchens brauchte er nun auch noch einen Leihwagen. "Ich werde meine Sekretärin Frau Simmerl damit beauftragen. Soll sie sich um den Versicherungskram kümmern.
Martina schloss erleichtert die Tür ihres Appartements. "Gott sei Dank. Zu Hause. Na das ist ein Tag. Jetzt gönne ich mir erst mal ein heißes Bad“.
Ein Blick in den Spiegel, ließ sie belustigt auflachen: "Kein Wunder, dass mich dieser Klinger so angestarrt hat. Ich sehe ja aus, wie eine getaufte Maus“. Das sonst Honigblonde, in weichen Wellen bis auf die Schulter fallende Haar, klebte nass, dunkel und glatt an ihrem Kopf.
"Dieser
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Lissa Seebauer
Tag der Veröffentlichung: 02.06.2012
ISBN: 978-3-86479-740-8
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