Katharina
Die Macht der Liebe
Nur widerwillig zog sich der Sommer zurück. Er bäumte sich auf, schickte Gewitter und Schwüle, um seinen Platz zu behaupten, doch der Herbst drängte ihn unmerklich immer weiter zurück. Zielstrebig eroberte er das Land. Der Wald wechselte sein Kleid und der Wind schien Freude an dem Spiel mit den bunten Blättern zu haben. Er fuhr in die farbige Pracht und wirbelte sie kunterbunt durcheinander. Sonnenstrahlen verirrten sich in ein offenes Fenster und strichen fast liebkosend über die goldblonden Haare eines jungen Mädchens, die das Kinn in die Hand gestützt hatte und verträumt in die Ferne schaute.
Das hübsche siebzehnjährige Mädchen, seufzte abgrundtief auf. Sie konnte die Welt und insbesondere ihren über alles geliebten Papa nicht mehr verstehen. Warum wollte er sie plötzlich von zu Hause fort schicken? Liebte er sie nicht mehr? Warum sollte sie ihr Elternhaus verlassen und mit einem ihr fremden Menschen gehen? Wieder seufzte sie und der eintretende Mann blickte sie bekümmert an: "Nun Katharina, hast du dich mit der Situation abgefunden?"
"Papa, warum schickst du mich fort. Ich verstehe das nicht."
"Kind, ich möchte dir nichts erklären."
"Wenn du mir nicht sagst warum, bleibe ich." Umständlich setzte sich der Gutsbesitzer seiner Tochter gegenüber und nahm ihre schmalen Hände in die seinen. "Kathi, das ist nun mal der Lauf der Zeit. Du bist im heiratsfähigen Alter und ich habe beschlossen, dir einen guten Mann zu suchen."
"Aber ich will noch nicht heiraten. Ich bleibe doch viel lieber bei dir. Du brauchst mich doch. Ohne mich bist du ganz alleine. Wenn Mama noch leben würde...!"
"Ich will, dass du heiratest und dabei bleibt es," unterbrach er sie barsch. Verstört starrte sie in das unnachgiebige Gesicht ihres Vaters und die braunen Augen füllten sich mit Tränen. "Das kannst du mir doch nicht antun," schluchzte sie und warf sich in seine Arme.
"Liebling, es muss sein. Ich kann nicht anders."
"Sag mir wenigstens warum! Vielleicht fällt es mir leichter, wenn ich es verstehe!"
"Also gut," murmelte er und strich gedankenverloren über den Kopf seines einzigen Kindes. "Katharina..., ich habe in den letzten Monaten gespielt und viel Geld verloren." Erschrocken hob sie den Kopf: "Und wie viel?"
"Alles!"
"Alles? Was meinst du mit alles?"
"Unser Haus, unser Land..., einfach alles."
"Auch Teufel?"
"Auch dein Pferd... und dich!"
"Mich? Aber Papa, wie konntest du...?"
"Ganz einfach mein Kind," seufzte der Mann bekümmert auf, "ich spielte und spielte und konnte nicht mehr aufhören. Ich konnte doch nicht ahnen, dass ich einem Berufsspieler ins Netz ging.
"Und jetzt willst du mich diesem Menschen ausliefern?"
"Nein, er ist es nicht. Ein anderer Mann, ein Landgraf, setzte im letzten Spiel eine so hohe Summe, dass der Berufsspieler nicht widerstehen konnte und er verlor alles an den Grafen. Dieser unterbreitete mir das Angebot, dich zu heiraten. Ich dürfte dafür als sein Angestellter auf dem Gut bleiben."
"Und wenn du ablehnst?"
"Müssen wir Haus und Hof verlassen."
"Papa, wenn du dir eine Stelle als Verwalter suchst? Ich würde dir den Haushalt führen. Wir wären dann wenigstens zusammen."
"Auf diese Idee ist der Graf auch gekommen. Er hat mir gedroht, wenn ich sein Angebot ablehnte, würde er dafür Sorge tragen, dass ich nirgends Arbeit fände. Katharina, es blieb mir nichts anderes übrig, als in die Heirat einzuwilligen."
"Und wann soll die Trauung statt finden?"
"In zwei Wochen."
"Und wo?"
"Hier auf dem Gut in unserer Kapelle." Das Mädchen senkte bedrückt den Kopf und schwieg lange. Tausend Gedanken und Ideen schwirrten ihr durch den Kopf, aber sie fand keine Möglichkeit, diesem unseligen Versprechen ihres Vaters zu entkommen. "Papa... wie... wie sieht der Mann aus? Ist er alt oder jung?"
"Er ist neunundvierzig und ich finde, dass er ganz gut aussieht. Als seine Gemahlin hast du ausgesorgt und ich glaube, dass er dich anständig behandelt." Sie löste sich aus den Armen des Vaters, zuckte mit den Schultern und meinte sarkastisch: "Na, dann kann ich nur noch hoffen, dass er mich nicht gleich wieder an einen anderen Spieler verliert." In der Annahme, dass sich seine Tochter mit dieser Heirat abgefunden hatte, stand er auf und wandte sich erleichtert der Türe zu. Die Hand schon auf der Klinke, drehte er sich noch einmal um: "Kathi, bleib heute zu Hause."
"Aber Papa, ich wollte doch mit Teufel ausreiten."
"Nein, ich möchte nicht, dass du dich in Gefahr begibst."
"Aber ich..."
"Katharina! Ich wünsche, dass du das Gut nicht verlässt. In der Gegend treibt sich ein entsprungener Häftling herum. So lange dieser Mann auf freiem Fuß ist, wirst du das Haus nicht verlassen." Zornig stampfte sie mit dem Fuß auf, kaum das sich die Türe hinter ihrem Vater geschlossen hatte. Zuerst der Schock über die Heirat und nun das Reitverbot. Verbittert und zutiefst von ihrem Vater enttäuscht, öffnete sie den Kleiderschrank und nach kurzem suchen, hielt sie ein dunkelblaues Reitkostüm in Händen.
"Pah, ich fürchte mich nicht! Hastig kleidete sie sich um und verließ, wie schon viele Male zuvor, Ihr Zimmer durchs Fenster. Geübt kletterte sie am Spalier nach unten und lief zu den Ställen. Ein scharfer Ritt, würde das Chaos in ihrem Kopf klären und vielleicht kam ihr eine Idee, wie sie dieser unseligen Hochzeit doch noch entrinnen konnte.
"Frl. Katharina, Sie möchten ausreiten?"
"Ja Benny, ich muss nachdenken und das kann ich am Besten, wenn ich mit Teufel unterwegs bin."
Der Stallbursche grinste und beeilte sich, den rassigen schwarzen Hengst zu satteln. Er kannte das Mädchen schon seit sie die ersten Schritte laufen gelernt hatte. Jeder auf dem Gut mochte das quirlige junge Mädchen. Mit ihrem fröhlichen aufgeschlossenen Wesen, hatte sie sich viele Freunde geschaffen. Ihre Späße, die sie mit jedem trieb, brachten ihr des Öfteren Ärger ein, doch konnte ihr niemand lange böse sein.
Minuten später galoppierte sie mit wehenden Haaren über Wiesen, sprang über Gräben und verschwand im nahen Wald. Vertieft in ihre Gedanken, lockerte sie die Zügel. Teufel kannte den Weg, er wusste genau, wohin seine kleine Herrin wollte. Erst als das Tier scheute, nahm sie ihre Umgebung wieder wahr.
"Teufel was hast du? Hat dich ein Kaninchen erschreckt?" Dumpfes Grollen drang an ihr Ohr und der Hengst spitzte die Ohren. "Geh ein bisschen schneller, damit wir die Blockhütte noch trocken erreichen. Ich glaube, es fängt gleich an zu regen." Ihre Vermutung sollte sich nur zu schnell bewahrheiten. Gerade als sie eine große Lichtung überquerte, öffnete der Himmel die Schleusen und Sekunden später war sie nass bis auf die Haut. Ein Blitz schlug krachend hinter ihr in einen Baum. Angstvoll wiehernd stellte sich das Pferd auf die Hinterbeine und Katharina musste ihre ganze Kraft und ihr Können aufwenden, um das Pferd zu beruhigen. Im gleißenden Licht glaubte sie eine Gestalt zu sehen, doch der Hengst beanspruchte ihre volle Aufmerksamkeit und als sie sich wenig später nach der Stelle umdrehte, war der Spuk verschwunden.
"Sicher habe ich mich getäuscht," murmelte sie und atmete erleichtert auf, als die Hütte in Sicht kam. Behände sprang sie ab und führte Teufel um das Häuschen herum, zu einem kleinen Stall. "So mein Guter. Wir sind daheim. Gleich bist du trocken, dann fühlst du dich wohler."
Eifrig rieb sie das Pferd trocken und gab ihm zu fressen. Erst dann holte sie den Schlüssel aus einem Versteck, um die Türe zu öffnen. Ein winziger, dunkler Hausflur nahm sie auf. Ihre Finger tasteten nach der Laterne, die immer bereitstand und zündete sie an. Warmer Lichtschein breitete sich aus und sie betrat aufatmend den kleinen, hübsch eingerichteten Wohnraum. Überrascht blieb sie stehen, als ihr Blick auf eine Männerjacke fiel.
"War etwa Papa hier? Nein, das ist nicht seine Kleidung. Hm."
Nachdenklich betrachtete sie den aus teurem Tuch gefertigten Janker, der ordentlich über der Stuhllehne hing. Auf dem Tisch lag ein aufgeschlagenes Buch, daneben stand ein halb gefülltes Glas. War vielleicht der Verwalter hier? Nein. Außer ihrem Vater, wenn er auf die Jagd ging, betrat niemand die Hütte. "Vielleicht hat einer unserer Arbeiter das Dach ausgebessert und die Jacke vergessen. Obwohl..., so ein wertvolles Stück lässt doch kein Mensch so einfach liegen. Na egal, erst einmal muss ich mich umziehen."
Schnell entledigte sie sich ihrer nassen Kleidung, lief nackt zum Schrank und holte mit zitternden Finger ein großes Handtuch aus einem Fach. Mit festen kreisenden Bewegungen rieb sie sich trocken, bis ihr warm wurde und die feine Haut rosig schimmerte. Prüfend betrachtete sie sich im Spiegel. "Du blöder Spiegel findest du mich schön?" Katharina lachte: "Du gibst keine Antwort? Also nein. Na ja, du hast ja recht. Meine Beine sind viel zu lang und dünn. Die Taille schmal wie die eines Knaben. Und meine Brüste? ...Viel zu klein."
Spöttisch verzog sie den schön geformten Mund zu einer Grimasse. Da gewahrte sie hinter sich einen Schatten am Fenster. Mit einem Aufschrei fuhr sie herum, doch es war niemand zu sehen. "Spiegel, ich glaube du narrst mich," spottete sie mit ihrem Spiegelbild. Trotzdem zitterten ihre Hände beim Anziehen, diesmal jedoch nicht vor Kälte, sondern vor Furcht. "Ich hätte doch lieber zu Hause bleiben sollen." Ärgerlich über sich selbst schüttelte sie den Kopf: "So ein Blödsinn, ich
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Lissa Seebauer
Tag der Veröffentlichung: 12.03.2012
ISBN: 978-3-7309-5626-7
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