Cover

Kapitel 1

 

Der Wecker klingelte wie jeden Morgen pünktlich um vier Uhr. Auch wenn noch jede Menge Zeit war, bis Rosalie in der Arbeit erscheinen musste, so hatte sie dennoch jede Minute ab dem Wecker klingeln durchgeplant. Und weniger Zeit würde von daher nicht möglich sein.

Sie blinzelte, griff aus dem Bett um den Wecker abzustellen und setzte sich in ihrem Bett auf. Dan lag neben ihr und schlief noch tief und fest. Er hatte sich in den letzten Jahren daran gewöhnt, dass sie morgens so zeitig aufstand. Am Anfang hatte er sich damit schwergetan, aber dafür hatte er mit Rosalie eine Frau an seiner Seite, die gut aussah und wusste, was sie wollte. Eine Frau, die sehr auf sich und ihren Körper achtete, um für Dan auch wirklich gut auszusehen, denn das tat eine Frau, wenn sie die Liebe ihres Lebens gefunden hatte.

Außerdem war es in ihren Augen eine absolute Unmöglichkeit, als Stylistin ihren Traumjob ergattert zu haben und dann selbst nichts aus sich zu machen.

Nach einer kurzen Katzenwäsche, zog sie eine frische Trainingshose und das passende Oberteil an, ging in den Flur und zog sich ihre Laufschuhe an. Duschen würde sie, wenn sie von ihrer täglichen Runde im Central Park zurück war. Gerade, als sie die Tür hinter sich zuziehen wollte, fiel ihr ein, dass sie ihren iPod vergessen hatte. Rosalie verdrehte genervt die Augen, lief zurück in die Wohnung und holte ihn. Auch wenn es nur eine Kleinigkeit war, wurde ihr Tagesablauf in ihren Augen durcheinandergebracht.

Endlich hatte sie alles zusammen und schloss zum zweiten Mal die Tür hinter sich. Sie lief in Richtung Central Park und begann ihre Runde. Nachdem sie die Hälfte ihrer Strecke zurückgelegt hatte, sah sie bereits von weitem die ältere Dame auf der Bank sitzen, die sich wie jeden Morgen zu ihrem kleinen Mischling hinunterbeugte und sich mit ihm unterhielt.

Ein Lächeln huschte über Rosalies Gesicht. So stressig der Alltag in New York auch sein mochte, er hatte dennoch etwas Stabiles und kontinuierliches.

Nach einer kurzen Weile hatte sie ebenfalls die Bank erreicht und hielt kurz inne. Freundlich lächelte sie die Dame an.

»Guten Morgen.« Die Dame sah hoch und lächelte ebenfalls. »Guten Morgen, Rosalie. Wie geht es dir heute?« »Danke gut. Und euch beiden?« Die Dame zeigte auf ihren kleinen Hund. »Du weißt ja. Wir sind beide nicht mehr die Jüngsten. Die Knochen schmerzen langsam.«

Nachdem sie sich noch eine kurze Weile unterhalten hatte, setzte Rosalie ihren Weg fort und fragte sich, wie lange sie die Dame wohl noch treffen würde. Den Gedanken, ob sie später auch einmal am Stock laufen würde verwarf sie sofort wieder. Es war ein zu schöner Morgen, um sich mit solchen Gedanken nun den Tag verderben zu lassen. Sie drehte ihre Musik wieder lauter und lief einfach weiter.

Als sie nach einer Stunde wieder zu Hause war, schloss sie die Tür zu ihrer Wohnung auf und freute sich bereits jetzt auf die heiße Dusche. Die Tür fiel hinter ihr ins Schloss und sie streifte in dem langen, hellen Flur ihre Schuhe von den Füßen und stellte sie ordentlich in das Regal zurück. Es hatte alles seinen Platz. Ihren Schlüssel hatte sie in die kleine Schale auf der Kommode gelegt. Sie öffnete leise die Tür zu ihrem Schlafzimmer, als sie erkannte, dass das Bett bereits leer war. In diesem Augenblick hörte sie, dass das Wasser im Bad aufgedreht wurde. Dan war also bereits unter der Dusche. Rosalie warf einen kurzen Blick auf den Wecker, lächelte und ging dann zu ihrem Kleiderschrank, um sich frische Kleidung für den Tag herauszusuchen. Sie entschied sich für einen knielangen Rock, der ihre schlanke Figur betonte und dazu eine Bluse aus Satin. Bei einem zweiten Blick auf den Wecker, stellte sie fest, dass Dan doch deutlich länger brauchte, als es ihr eigener Zeitplan zuließ. Kurz entschlossen öffnete sie die Tür zum Badezimmer, aus welchem ihr der feuchte, warme Nebel entgegenschlug. Der Spiegel war beschlagen und Rosalie spürte, wie eine leichte Welle der Wut in ihr hochstieg, die sie versuchte zu besänftigen.

Es war der einzige Makel an Dan, über den sie immer wieder versuchte hinwegzusehen. Er duschte viel zu heiß am Morgen. Ansonsten war er einfach perfekt. Sie schluckte ihren Ärger hinunter und versuchte gegen das laufende Wasser anzuschreien. »Dan, Liebling. Wie lange brauchst du noch?« Dan stellte das Wasser ab und steckte seinen Kopf aus der Dusche. Kleine Wassertropfen suchten sich den Weg über seinen Körper und seine Haare standen zerwühlt von seinem Kopf ab, während er nach einem Handtuch griff. »Die Dusche ist frei, mein Schatz.« Er stieg aus der Dusche, wickelte sich ein Handtuch um die Hüften und kam auf sie zu. Noch ehe sie etwas dagegen sagen konnte, hatte er sie mit seinen feuchten Armen umschlungen und gab ihr einen Kuss. Vorsichtig schob sie ihn von sich weg. »Ich war noch nicht duschen. Du weißt das ich, das nicht mag. Außerdem ist meine Kleidung nun nass.« Dan schmunzelte. »Du ziehst sie doch sowieso aus. Außerdem liebe ich dich, Rosalie. Da ist es mir egal, ob nass oder trocken. Mit Kleidung oder ohne.« Rosalie schob ihn lachend zur Tür hinaus. »Ich liebe dich auch.« Dann stieg sie aus ihrer Trainingskleidung, drehte das Wasser der Dusche auf und stieg darunter.

Das warme Wasser tat gut auf ihrer Haut und sie genoss diese Dusche. Ihr Leben war einfach perfekt und es fehlte nur noch ein Ehering, der ihre zierlichen Finger schmückte.

Nach der ausgiebigen Dusche trocknete sie sich ab, zog sich ihre Kleidung an und verließ kurze Zeit später das Badezimmer. Der Geruch von frisch gebratenem Speck kam ihr entgegen. Dan konnte sich so ein Frühstück schließlich leisten. Er ging mehrmals die Woche in das nächste Fitnessstudio und achtete, genau wie sie selbst, auf seine Figur. Rosalie selbst nahm allerdings schon beim Geruch vier weitere Kilos zu. Zumindest hatte sie das Gefühl, als sie die Küche betrat. Dan hielt ihr die Pfanne entgegen, die er gerade vom Herd genommen hatte. »Auch eine Portion?« »Nein danke.«, entgegnete Rosalie und nahm sich ein Glas mit einer Mischung aus Haferflocken, Joghurt und Früchten aus dem Kühlschrank. »Warum machst du dir eigentlich jeden Tag diese Arbeit?« Rosalie schluckte hinunter und steckte den Löffel abermals in ihr Glas. »Welche Arbeit?« Er deutete auf das Glas. »Mit deinem Frühstück. Du siehst gut aus, wie du bist, Rosalie.« Sie nickte, während sie nach einer Beere in ihrem Glas fischte.

»Ja, das weiß ich. Und weißt du auch warum? Weil ich mir jeden Tag diese ›Arbeit‹ mache, wie du es nennst.« Dan betrachtete sie, während er seinen Speck auf den Teller legte. »Du kannst auch unseren Tisch nutzen und dich setzen. Es wird dadurch keine Rechnung entstehen.« »Zumindest keine, die ich mir nicht leisten könnte.«, konterte sie, während sie ihr Glas auf dem Tisch abstellte und sich einen Stuhl herauszog. Beim Herausziehen des Stuhles kam Rosalie mit dem Fingernagel an die Stuhllehne und einer ihrer frisch lackierten Nägel wurde dabei in Mitleidenschaft gezogen. Rosalie fluchte und betrachtete sich das Unglück genauer. »Nun darf ich wieder zur Maniküre. So kann ich unmöglich unter die Leute gehen.«, jammerte sie, während sie sich auf den Stuhl setzte. Dan, der seinen Teller ebenfalls auf den Tisch gestellt hatte, nahm Rosalies Hand in die seine und betrachtete sich den Finger ebenfalls. »Warum nimmst du dir heute nicht frei?« Sie sah ihn mit großen Augen an. »Einfach so? Frei nehmen? Wie stellst du dir das vor?« Dan beruhigte sie und griff zum Telefon. »Hallo? Ja, ich bin es. Rosalie wird doch heute nicht unbedingt gebraucht, oder?«

Eine weibliche Stimme am anderen Ende der Leitung antwortete und Rosalie erkannte die Stimme der Empfangsdame. »Ja ich warte.« Während Dan wartete, lächelte er sie aufmunternd an, hielt den Hörer zu und flüsterte ihr zu. »Sie schaut, wie viele Überstunden du in der letzten Zeit geleistet hast.« Dann wandte er sich wieder dem Telefon zu. »Ja? Ja ich bin noch da. Ehrlich? Das ist schön. Sicher. Ich richte es ihr aus. Danke dir und einen schönen Gruß an meinen Vater. Wir sehen uns dann.« Dan beendete das Gespräch und sah Rosalie an. »Du kannst dir gerne einen Termin machen, um deine Nägel in Ordnung bringen zu lassen. Du hast noch fast sechzig Überstunden. Da sollte der Tag heute drin sein.« Rosalie stand auf und fiel ihm um den Hals. »Ich liebe dich!« »Das weiß ich. Und deine Nägel auch.« Sie knuffte ihn spielerisch in die Seite. »Gehen wir heute Abend noch aus?« Dan trank einen Schluck Kaffee. »Klar. Können wir gerne. Ich werde einen Tisch bestellen. Sagen wir auf zwanzig Uhr?« Rosalie nickte. »Gerne.«

Rosalie wartete noch, bis Dan gegangen war. Sie besah sich dabei ihren Nagel, den sie sich vorhin zerkratzt hatte.

Sie würde nun ihren Kaffee noch austrinken und sich dann auf den Weg in die Stadt machen. Inständig hoffte sie, dass nicht alle Plätze belegt waren in dem kleinen Nagelstudio. Es war nicht unbedingt das größte und hatte auch nur für zwei Kunden gleichzeitig Platz, aber es war eines der Besten, die New York zu bieten hatte.

Sie trank ihren letzten Schluck, stand von ihrem Stuhl auf und stellte die Tasse in die Geschirrspülmaschine. Als sie die Spülmaschine verschloss, seufzte sie zufrieden. Früher gab es weder eine Maniküre für abgeblätterte Nägel, noch besaßen sie auf dem Land eine Spülmaschine, oder besser gesagt, hatten diese früher Namen wie Betty, Bridget oder eben dann sie, Rosalie. Es wurde der komplette Abwasch von Hand erledigt und das Geschirr anschließend mühsam abgetrocknet. Sie blinzelte aus dem Fenster, das einen zartblauen Himmel zeigte. Es würde ein schöner Tag werden. Optimistisch verließ Rosalie kurze Zeit darauf das Appartement, das sie vor drei Jahren mit Dan bezogen hatte.

Als sie die Straße in Gedanken versunken entlanglief, fiel ihr Blick auf das Schaufenster neben sich, in dem sich etwas bewegte.

Eine der Angestellten bezog gerade in diesem Augenblick eine der Schaufensterpuppen mit einem neuen Brautkleid. Über dem Geschäft war ein Schild angebracht, auf dem in einer eleganten Schrift das Worte Weddingdreams zu lesen war. Links und rechts von dem Schriftzug waren weiße Tauben zu sehen, die Ringe in den Schnäbeln trugen. Sie sah der Angestellten zu, die gerade dabei war, das Kleid in Form zu legen. Dann stellte sie das Preisschild vor die Füße der Puppe und verließ das Schaufenster. Auf dem Schild standen eintausendfünfhundert Dollar, doch dieser Preis war für diesen Traum aus Satin und Organza völlig gerechtfertigt. Das Oberteil bestand aus einer trägerlosen Corsage, die in einem weiten Rock mit Schleppe endete. Verziert war das Kleid mit Stoffrosen und kleinen Blütenblättern, die im Licht der Sonne lediglich leicht schimmerten. Kurz entschlossen öffnetet sie die Tür zu dem Geschäft. Die Angestellte, die vorhin noch in dem Schaufenster stand hob den Kopf und sah sie an. »Kann ich Ihnen helfen?«

Rosalie nickte und zeigte auf das Schaufenster. »Das Kleid, dass Sie gerade im Schaufenster ausgestellt haben. Ich würde es gerne anprobieren.« Freudig lächelte die junge Frau. »Wann ist es denn soweit?«

Rosalie überlegte kurz. »In ein paar Wochen.« Die Verkäuferin lief zu dem Fenster hinüber, öffnete die Rückwand und holte das Kleid wieder heraus. Sie präsentierte es auf beiden Armen und hielt es Rosalie entgegen. »Eine ausgezeichnete Wahl. Sie werden darin aussehen, wie eine Prinzessin.« Rosalie nahm das Kleid entgegen und sah sich um. Die Verkäuferin zeigte nach links. »Wenn Sie mir folgen würden? Die Kabinen für die Anprobe befinden sich dort hinten.« Jetzt erst wurde ihr die ganze Größe des Geschäftes bewusst und sie stellte fest, dass es nicht so klein war, wie es im ersten Augenblick von außen ausgesehen hatte.

Sie öffnete den Vorhang der Kabine und schritt anmutig auf den großen Spiegel zu. Mit ein paar geübten Handgriffen hatte ihr die Angestellte die Haare hochgerafft, sodass lediglich noch ein paar einzelne Strähnen ihr Gesicht umspielten.

Den Rest ihrer Haare hatte sie mit Klammern lose zusammengesteckt. Ein kleines Diadem, das in der Sonne funkelte, zierte Rosalies Kopf im vorderen Bereich. Sie besah sich im Spiegel und stellte sich Dan vor, wie er neben ihr stand in einem schwarzen Anzug, der ebenfalls aus Satin war.

Er würde ein weißes Hemd tragen und eine schwarze Fliege dazu, da er Krawatten einfach nicht mochte. Wenn Rosalie ehrlich war, standen sie ihm auch nicht sonderlich gut. Sie konnte spüren, wie ihr langsam eine Träne in die Augen stieg. Dieser Augenblick war einfach zu bewegend. Schweigend hielt ihr die junge Verkäuferin eine Schachtel mit Papiertaschentüchern entgegen und Rosalie nahm sich nickend eins aus der Schachtel. Sie tupfte sich vorsichtig die Augen trocken. »Er wird sie lieben in diesem Kleid und die Hochzeit wird wie ein Märchen werden.« Rosalie lächelte. »Sie meinen, er wird mich noch mehr lieben.« »Natürlich.« Rosalie ging nach einer kurzen Verschnaufpause zurück in die Kabine und zog sich wieder um. Dann bedankte sie sich für die ganze Mühe und verließ den Laden.

Sie würde Dan heute noch einmal auf die Hochzeit ansprechen. Schließlich hatten sie es bereits davon und er war nicht abgeneigt.

Noch immer von dem Kleid fasziniert, lief sie weiter, bis sie das kleine Nagelstudio erreicht hatte. Gerade, als sie die Tür öffnen wollte, wurde sie von innen geöffnet und eine zufrieden strahlende Kundin kam heraus.

Dieser Tag schien es wirklich gut mit Rosalie zu meinen. Erst dieser Traum in Weiß und nun auch noch ein freier Platz. Lorena, die ihr immer die Maniküre machte, kam mit offenen Armen auf sie zu und drückte sie kurz. »Rosalie! Schön dich zu sehen.« Rosalie erwiderte die Umarmung. »Kannst du mir meine Nägel machen?« »Aber natürlich! Dafür sind wir doch hier. Soll es etwas Bestimmtes sein? Oder so wie immer.« Energisch schüttelte sie den Kopf. »Kannst du mir heute die Nägel maniküren, dass sie auch für eine Hochzeit passen würden?« »Kein Problem. Folge mir einfach.« Rosalie folgte Lorena zu einem der beiden freien Plätze. »Kaffee?« Sie nickte. »Gerne.« Lorena verließ kurz den Raum, um im Nebenraum eine Tasse Kaffee für sie zu holen.

Dann nahm sie gegenüber von Rosalie Platz. »Und nun will ich alles wissen. Hat er dir endlich einen Antrag gemacht? Wann ist die Hochzeit? Wirst du in Weiß heiraten?« Rosalie lachte. »Nicht so schnell. Ja, ich werde in Weiß heiraten. Nein, einen Antrag hat er mir noch nicht gemacht, aber ich werde ihn heute Abend noch einmal darauf ansprechen, da wir es bereits von dem Thema hatten.« Lorena fing an, den alten Nagellack vorsichtig zu entfernen.

»Was hältst du von Perlmutt mit einem filigranen Muster in Silber? Würde das passen?« Eifrig nickte sie. »Wir probieren es einfach aus, dann sehen wir wie es aussieht.«

Nach einigen Stunden verließ sie das Studio und sah zufrieden auf ihre Nägel. Sie waren mit einem Lack in Perlmutt überzogen und Lorena hatte sich alle Mühe mit den Mustern gegeben. Lorena hatte Rosalie nicht zu viel versprochen und Rosalie besah sich das filigrane Meisterwerk, während sie gedanklich Lorena für ihre ruhige Hand bewunderte. Rosalie selbst hätte das niemals geschafft.

Es war immer noch ein Unterschied, ob man Menschen für ein Fotoshooting schminken musste, oder ob man winzige Blütenblätter auf Fingernägel zauberte.

Rosalie betrat zufrieden das Appartement. »Ich bin zu Hause!«, rief sie vom Flur aus. »Können wir dann los, bevor ich verhungere?« Nachdem keine Antwort gekommen war, sah sie, dass der Anrufbeantworter blinkte und ungeduldig darauf wartete, dass er endlich abgehört wurde. Rosalie drückte auf den Knopf und hörte die Stimme von Dan.

»Entschuldige bitte. Aber es wird heute später, mein Vater hat noch ein wichtiges Meeting für heute einberufen, dass nicht warten kann. Können wir das Essen auf morgen verschieben? Ich werde auf die Mittagszeit einen Tisch in dem kleinen Café bestellen. Du weißt schon welches.« Rosalie spürte für einen Augenblick die Enttäuschung, die in ihr hoch stieg. Warum fragte er überhaupt, ob man es verschieben kann? Sie hatte doch keine andere Wahl, da Dan nun sowieso nicht nach Hause kommen würde. Seufzend griff sie nach ihrem Handy und öffnete den Nachrichtenverlauf mit ihm.

Natürlich bin ich einverstanden. Ich liebe dich. Bis später.

 

Sie versuchte, sich nichts anmerken zu lassen und schickte die Nachricht ab. Dann lief sie zum Kühlschrank, öffnete ihn und steckte den Kopf hinein, um zu sehen, was er für heute Abend noch hergeben würde. Wenn Dan ein Meeting mit seinem Vater hatte, dann war es sinnlos mit dem Essen zu warten.

Meist gingen die beiden dann etwas essen und er kam erst spät nach Hause. Sie hatte nur einmal auf ihn gewartet und dann enttäuscht das Essen in den Kühlschrank gestellt, damit es frisch blieb. Kalt war es nämlich bereits gewesen, nachdem sie zwei Stunden am fertig gedeckten Tisch saß und in der Zwischenzeit alleine gegessen hatte.

Kapitel 2

 

Rosalie zupfte nervös an ihrer Serviette herum. Seit zehn Minuten saß sie hier in dem kleinen Café und wartete. Dan hatte ihr eine Nachricht zukommen lassen, ob sie nicht etwas früher als ausgemacht erscheinen könnte. Er hätte Neuigkeiten für sie, die nicht länger warten konnten. Was würde er wohl zu sagen haben? Würde das nun endlich der von Rosalie so lang ersehnte Antrag sein? Schließlich waren sie bereits seit acht Jahren ein festes Paar. Kennengelernt hatten sich die beiden bei der Arbeit in der Modeagentur von Dans Vater. Neben Lorena aus dem Nagelstudio, war Dan der Erste, den Rosalie kennenlernte, als sie von Gainesville, Alabama den entscheidenden Schritt nach Manhattan wagte. Sie hatte sich hier ein Leben aufgebaut, wie sie es sich immer gewünscht hatte. Verträumt sah sie bereits die Schlagzeilen in den Zeitungen. Berühmter Fotograf und erfolgreiche Stylistin geben sich das Ja-Wort.

Allein bei diesem Gedanken fingen die Schmetterlinge in ihrem Bauch erneut an zu tanzen, wie jedes Mal, wenn sie sich trafen.

Kein einziger der Schmetterlinge war in all den Jahren weggeflogen und es war immer noch wie damals, als sie sich zum ersten Mal gegenüberstanden. Verträumt dachte sie wieder an das Kleid, dass sie am Vortag gefunden hatte und sah auf ihre Fingernägel. Es würde wundervoll werden.

Als der Stuhl ihr gegenüber bewegt wurde, sah sie hoch und lächelte. Dan hatte es endlich geschafft, was zur Rushhour nicht unbedingt einfach war. Er sah gestresst aus. Rosalie beugte sich nach vorne und spitzte ihre Lippen, für einen Begrüßungskuss. Als jedoch keine Lippen auf ihre trafen, öffnete sie die Augen und sah in Dans ernstes Gesicht. Seine braunen Augen blickten sie ganz ruhig an. Zu ruhig, wenn sie ehrlich sein sollte. »Rosalie, wir müssen uns unterhalten.« »Das sagtest du bereits.« Sie hatte die Hoffnung auf ihren Antrag noch nicht komplett verloren. »Es ist vorbei, Rosalie. Ich werde mich von dir trennen.«

Die Schmetterlinge in ihrem Bauch hörten abrupt auf zu tanzen und fielen mit steifen Flügeln auf den Grund. Verstört schüttelte Rosalie mit ihrem Kopf.

»Das … das ist doch nicht dein Ernst. Das kannst du doch nicht machen.« Panik breitete sich in ihrem Inneren aus. »Du hast dich doch sicher nur versprochen, oder? Oder?« Panisch sah sie Dan ins Gesicht. »Es war nur der Versuch, mich noch einmal richtig zu erschrecken bevor du mir den Antrag machst. Ich habe dich durchschaut Dan Millers!« Dan schluckte kurz und schüttelte dann den Kopf. »Es tut mir leid Rosalie. Es wird keinen Antrag geben. Ich werde mich von dir trennen, weil es jemand anderen in meinem Leben gibt. Ich möchte ehrlich zu dir sein und dir nicht noch länger etwas vormachen.« »Noch länger? Wie lange geht das schon?« Rosalie sah sich selbst in dem Café sitzen und es kam ihr vor, wie in einem dieser Hollywood-Streifen, was für sie bedeutete, dass es nicht real sein konnte. Bestimmt würde der Wecker gleich klingeln und sie würde aus diesem Alptraum aufwachen.

»Es tut mir leid, ich hätte es dir früher sagen müssen. Ich habe sie in meinem Fitness-Treff getroffen und wir haben miteinander geschlafen. Das war vor drei Wochen.« Sie glaubte nun endgültig, sich verhört zu haben.

»Vor drei Wochen? Und dann kommst du jetzt bereits auf die Idee, mir davon zu erzählen? Was war passiert? War das Laufband zu schnell eingestellt, dass sie dir in die Arme fiel?«

Dan schüttelte mit seinem Kopf. »Nein das nicht gerade. Wir haben uns nach dem Training noch unterhalten und uns sehr gut verstanden.« »Zu gut trifft es wohl eher«, murmelte sie mehr zu sich selbst, als zu ihrem Gegenüber. »Weiter. Sprich weiter, ich will alles wissen.« »Rosalie, ich möchte dir« »Nein Dan. Du lässt mich nun nicht einfach so mit dieser Aussage sitzen und erzähle mir nun nicht, du möchtest mir nicht weh tun, denn das hast du bereits!« Wütend auf sich selbst blinzelte sie die Tränen in ihren Augen weg. Sie würde jetzt nicht in der Öffentlichkeit anfangen zu weinen. Das Make-Up war zwar wasserfest, dennoch schickte es sich nicht. »Also. Was hast du mir zu sagen?«

»Wir sind nach dem Training noch etwas trinken gegangen und dann ging ich mit zu ihr nach Hause. Dort ist es dann passiert. Ich konnte nichts mehr dagegen machen.« »Natürlich konntest du das nicht. Sie hat dich einfach überwältigt und zu Boden gebracht, mit ihrer unbändigen Kraft.«

Rosalie konnte sich ihren Sarkasmus nicht mehr länger verkneifen. Es war einfach zu viel, was hier gerade passierte. Gerade noch glücklich verliebt, mit den Hochzeitsglocken, die gedanklich bereits geläutet hatten, saß sie hier und musste erfahren, dass sie nun Single war. Ihre Gedanken an die Traumhochzeit waren genauso verflogen, wie der Milchschaum auf ihrem Cappuccino zerlaufen war. Es würde keine Hochzeit geben. Zumindest für sie nicht. »Wie alt ist sie? Ist sie hübscher als ich? Hat sie weniger Bauch und dafür mehr Brust? Was stimmt an mir nicht, dass ich einfach so ersetzt werde, nach dieser langen Zeit!« »Sie ist 23. Und nein sie ist nicht hübscher als du. Sie ist einfach komplett anders.« »Komplett anders. Das hast du nun aber schön umschrieben. 23. Nun gut, sie hat mit Sicherheit noch keine Falten. Ich gehe ja laut deiner Aussage nach stark auf die Rente zu mit meinen 29!«

»Rosalie. Das habe ich mit keiner Silbe gesagt und wollte ich auch nicht sagen. Du bist immer noch attraktiv und ich mag dich nach wie vor. Nur ich liebe dich nicht mehr.« Sie wollte noch etwas erwidern, doch es wollte partout kein weiterer Satz über ihre Lippen kommen.

Dan stand auf, ohne einen einzigen Schluck von dem Kaffee genommen zu haben, der die ganze Zeit vor ihm stand. Als er auf der gleichen Höhe stand wie Rosalie, hob er die Hand und strich ihr ein letztes Mal über den Rücken. »Es tut mir leid.« Mit diesen Worten verließ er das Café und ließ sie alleine an ihrem Tisch zurück.

Nun saß sie hier und starrte vor sich hin. Nach wie vor hatte sie keine einzige Träne vergossen. Die Kellnerin stand an ihrem Tisch. »Miss? Darf ich Ihnen noch etwas bringen?« Rosalie hob den Kopf und schaute der Kellnerin in ihr hübsches Gesicht. Ob sie eine Beziehung hatte? Ob sie auch betrogen wurde? Vielleicht sollte sie einfach danach fragen? »Bringen Sie mir meinen Freund zurück.« Die Kellnerin lenkte ihren Blick auf die Tür. »Das tut mir leid für sie, Miss.« »Das hat der andere auch gesagt, bevor er ging.«

Auch die Kellnerin drehte sich um und verließ den Tisch. Rosalie wusste, dass sie ihr Unrecht tat mit ihren Gedanken, dass sie nicht besser war als Dan. Schließlich tat die Dame nur ihren Job. Und der bestand nun mal nicht daraus anderen Trost zu spenden, sondern die Gäste zu bedienen.

Sie zog ihren Geldbeutel aus der Tasche und legte einen Fünf-Dollar-Schein auf den Tisch. Dann stand sie auf und ging.

Vor dem Café fiel ihr erst das schöne Wetter wieder auf. Das Thermometer zeigte angenehme Temperaturen, was nicht nur sie, sondern auch viele andere Menschen auf die Straße lockte. Hier und da hupte ein Auto, die Fußgänger liefen eilig, teilweise mit vielen Taschen bepackt über die Bürgersteige. Ein typischer Tag in Manhattan. Ihr Manhattan, ihr Little Italy. Rosalie umklammerte ihre Tasche und suchte sich selbst einen Weg durch die Menschenmenge. Langsam trübten die ersten Tränen ihren Blick, was sie dazu veranlasste, schneller zu laufen. Es war nicht mehr weit und sie würde ihr sicheres zu Hause bald erreicht haben, zumindest so lange sie es noch als sicheres zu Hause ansehen konnte.

Einer von beiden würde wohl nun ausziehen. Dort konnte sie ihren Gefühlen freien Lauf lassen.

Die Wohnungstür fiel hinter Rosalie zu und sie lehnte sich erschöpft dagegen. In der Zwischenzeit hatte sich eine Frage den Weg in ihren Kopf gebahnt und sich dort den meisten Platz erobert. Warum? Was hatte sie falsch gemacht, dass Dan nach dieser langen Zeit nichts mehr von ihr wissen wollte? Lag es daran, dass sie in den letzten zwei Monaten ein ganzes Kilo zugenommen hatte? Sie ist komplett anders. Rosalie hatte diesen Satz noch immer in den Ohren, der sich eingebrannt hatte wie ein heißes, vergessenes Bügeleisen in eine Seidenbluse. Mit all diesen trüben Gedanken stand sie nun in ihrer Küche und wartete auf den Signalton, dass die Mikrowelle endlich das Popcorn freigab. Die heiße Schokolade war bereits fertig und Rosalie nahm einen kräftigen Schluck davon.

Sie bemerkte nicht, dass Dan in der Zwischenzeit nach Hause gekommen war. Dementsprechend erschrak sie auch, als sie mit dem Popcorn und der Schokolade in das Wohnzimmer zurückging. Dan saß auf dem weißen Ledersofa und schaute zu ihr auf.

Rosalie wandte ihren Blick ab und sah durch das Fenster, welches den größten Teil der Wohnzimmerwand einnahm. Sie spürte die Tränen zurückkommen und schluckte. Mit einer Stimme, die bei weitem nicht die Festigkeit hatte, die sie sich gewünscht hatte, nahm sie das Wort auf. »Warum bist du bereits zu Hause?«

»Rosalie, ich habe mich gestern Abend lange mit meinem Vater unterhalten.« »Das sagtest du bereits dem Anrufbeantworter.« »Wir sind zu dem Entschluss gekommen, dass es unter diesen Umständen besser ist, wenn du dir einen anderen Arbeitsplatz suchst.« Auch das noch. Sie drehte sich vorsichtig zu Dan um. »Soll das heißen, das du erst die Beziehung beendest und ich nun auch noch meinen Job losgeworden bin?« Sie versuchte verzweifelt, die Fassung zu behalten. Dan nickte und holte Luft, um etwas zu erwidern, doch Rosalie fiel ihm ins Wort. »Nein. Ich will nicht hören, dass es dir leidtut.« Dan schüttelte mit seinem Kopf, was Rosalie nun doch verwunderte. »Das wollte ich gerade eben auch gar nicht sagen. Wir sollten darüber sprechen, wer die Wohnung behält.« »Wer die Wohnung behält? Wenn du etwas machst, dann ordentlich, oder?«

Rosalie hatte in der Zwischenzeit doch die Fassung verloren und schrie ihn nun an. »Ist noch Zeit, dass ich meine Sachen packe? Oder hast du das auch bereits erledigt, während ich mich heute Morgen für alle in der Firma zum Idioten gemacht habe?«

Dan saß weiterhin auf dem Sofa und sah sie lediglich an, was noch mehr an Rosalies Nervenkostüm zerrte. »Nun sag doch etwas und lass mich nicht einfach hier stehen!«, schrie sie ihn letztendlich an. In diesem Augenblick stand Dan auf und sah Rosalie an. »Ich werde dich erst einmal alleine lassen. Es wäre nett, wenn du deine Sachen packen würdest.« Rosalie spürte bei diesem Satz einen Anflug von Panik in sich aufkeimen. »Und wo soll ich deiner Meinung nach hin? Meinst du wirklich, es ist ohne Arbeit so einfach eine Wohnung zu finden? Wir sitzen in New York, nur für den Fall, dass es dir entgangen sein sollte. Da ist es schon so schwer genug, eine Wohnung zu bekommen.« Dan zuckte nur mit den Schultern. »Ich kann nicht auf alles eine Antwort haben, Rosalie. Aber du bist eine intelligente, junge Frau. Ich bin mir sicher, dass dir etwas einfallen wird.«

Diesen letzten Satz hätte sich Dan in Rosalies Augen verkneifen können. »Darauf kannst du dich verlassen.« Rosalie hoffte inständig, dass sie selbstbewusster und überzeugender auftrat, wie es eigentlich in ihrem Inneren aussah. Die komplette Situation wuchs ihr gerade über den Kopf.

Während sie fieberhaft überlegte, was sie nun tun sollte, musste sie der Verlockung widerstehen, nicht mit dem nächstbesten Gegenstand nach Dan zu werfen. Noch bevor sie den Gedanken zu Ende denken konnte, hatte sich Dan bereits umgedreht und Rosalie stand alleine in der Wohnung, die einmal für ihre gemeinsame Zukunft gedacht war.

Rosalie ging in das ehemalige, gemeinsame Schlafzimmer und setzte sich für einen kurzen Augenblick auf das große Doppelbett. Sie sah sich um und konnte nur mit Mühe die Tränen zurückhalten, was ihr allerdings auch nur so lange gelang, bis ihr Blick auf ihre Fingernägel fiel, welche immer noch das filigrane Muster trugen. Als Nächstes fiel ihr das Brautkleid ein, dass sie gestern anprobiert hatte. Dies war der Augenblick, in dem sich Rosalie in die Kissen warf und einfach nur noch weinte.

 

Impressum

Texte: Olivia Stark
Bildmaterialien: by Kjpargeter / Freepik
Cover: Olivia Stark
Lektorat: S. Gerken
Tag der Veröffentlichung: 15.09.2018

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /