Cover

W-W-E-W
Was Wäre Eigentlich Wenn? Der Ratgeber für allerlei Situationen von Jugendlichen für jugendliche und (teilweise) erwachsene.


Kategorie 1: Schule

Frage 1:

Was wäre eigentlich, wenn man im Religionsunterricht wirklich sagen würde was man denkt?

Der Tester

Name: Stefan
Alter: 17
Religionsnote: Zwischen 3- und +4
Klasse: 10

Das Testsubjekt

Name: Olga Koshinski*
Alter: Zwischen 60 und 90
Beruf: Religionslehrerin
Besonderheiten: Starke Bevorzugung gegenüber den weiblichen Schülerinnen
*Name aus rechtlichen Gründen geändert

Szenario: Achte Stunde des Gymnasiums, Multimediaraum. In einem Referat von sieben Schülerinnen, wird eine Frage zur Meinung der Kirche gestellt. Der Versuch soll ergeben, wie „offen“ die Lehrerin zu verschiedenen Meinungen ist.


Der Augenzeugenbericht*:
*Diese Geschichte begibt sich zu einem kleinen, wirklich ganz kleinen Teil nach einer wahren Begebenheit

Wieder einmal hatten sich die Schüler in dem großen, aber komisch nach Pferdespray riechenden Klassenraum eingefunden. Es war die achte Stunde. Die achte Stunde!
Wer hatte sich eigentlich diesen Schwachsinn mit dem Ganztagsunterricht, welcher nun seid diesem Schuljahr auch für die zehnten Klassen galt, überhaupt ausgedacht! In der siebten Stunde durfte man nach Hause gehen, nur um dann wieder 45 Minuten später anzutanzen! Doch sicher hatte sich Frau Sommer, die Ministerin für Schule und Bildung, was ganz tolles dabei gedacht. Sie ist ja schließlich nicht um sonst die Schulministerin. Schade nur, dass die Schüler scheinbar alle ein Brett vor dem Kopf hatten und dieses nicht erkannten. Aber ich weiche vom Thema ab.
Wie schon erwähnt befanden sich alle Schüler im Klassenraum und warteten nur noch darauf, dass Frau Koshinski ebenfalls die Halle der Weisheit betreten würde. Sie kommt sicher wieder total entspannt mit einem Kaffeebecher in der Hand zu spät, dachte ich mir genervt. Natürlich sollte ich recht behalten. Ganze zehn Minuten nach Unterrichtsbeginn, kam die Koshinski natürlich total entspannt mir ihrem Schwarzen Kaffeepott in der Hand in den Klassenraum.
„Ach sind etwa schon alle da?“,fragte sie mit ihrer gespielten überraschten und vor allem nervig piepsenden Stimme. Als ob sie nicht wüsste, dass wir alle mit einem dicken Vermerk ins Klassenbuch eingetragen werden, falls wir zu spät kommen sollten. So eine Reglung sollte es meiner Meinung nach auch mal für Lehrer geben!
„Na dann lasst uns mal schnell in den Multimediaraum flitzen. Schließlich haben wir noch ein paar Referate übrig. Aber geht leise dorthin! Das gilt auch für dich Justin!“ Ihr ersten beiden Sätze, welche sie mit Engelszungen aussprach waren übrigens an die Mädchen gerichtet. Die letzteren mit einem eher misstrauenden Tonfall an die Jungen, und vor allem Justin. Und da soll mir noch einmal wer erzählen, dass sie Mädchen nicht bevorzugen wollte!
Nur eine halbe Minute später gingen alle recht gelangweilt, und mit den Gedanken schon Zuhause in den Multimediaraum. Auch ich schlenderte eher lustlos, ja nahezu schon fast in „Slow-Motion“ hinein. Gerade wollte ich mich auf den letzten freien Platz ganz hinten im Raum zusteuern, als mir die linke Schulter festgehalten wurde. Ich spürte wie sich Fingernägel in mein kostbares „Blind Guardian-Shirt“ drückten.
„Stefan, wie wäre es, wenn du dich zur Abwechslung heute nach vorne setzt“, wurde ich von Frau Koshinski gefragt und ihre Stimme klingelte mir wie eine schrille Alarmanlage ins Ohr. Na toll. Genervt setzte ich mich nach ganz vorne in die erste Reihe. Mit einem zufriedenen Nicken lobte sie meinen Gehorsam. Was hätte ich auch großartig tun können? Schließlich ging es hier um meine Religionsnote.
Vor zwei Wochen hatte mir die Koshinski gesagt, das ich nun die letzten Stunden gut mitmachen musste, um noch eine drei zu bekommen. Und bis jetzt hatte sie mich jede Stunde seid dem gelobt. Nun musste ich noch diese eine Stunde (in der ersten Reihe wohl gemerkt) aushalten, um mir die bessere Note zu sichern. Das hieß für mich also kein Tagträumen, kein aus dem Fenster gucken, und vor allem immer an die Tafel wie ein hypnotisierter Depp starren. Das war sicherlich machbar für 45 Minuten. Wenn auch nur so gerade eben...
„Unser heutiges Referat behandelt das Thema Sterbehilfe“, piepste meine kleine eingeschüchterte Mitschülerin an der Tafel, und zeigte unnötigerweise auf die Überschrift ihrer Powerpointepräsentation, die vom Beamer an die Wand geworfen wurde. Ganz große Spitze, jubelte ich genervt in mich hinein. Sterbehilfe. Das war jetzt nicht gerade ein entspanntes Thema. Aber gut. Auch wenn dieses Thema ungefähr so farbenfroh wie ein Schwarz-Weißdrucker war, musste ich mich zusammenreißen.
Insgesamt zwanzig scheinbar unendliche Minuten wurden wir von sieben Mädchen abwechselnd über verschiedene Aspekte des Themas informiert. Immer wieder musste ich mich im Geiste selber schütteln und rütteln, um nicht die Konzentration zu verlieren. Am Ende des Referates wäre es sicher vom Vorteil wenigstens eine kleine Kritik wiedergeben zu können. Doch noch bevor mein großer Auftritt kam, richtete Frau Koshinski das Wort an die sieben Mädels. Natürlich fiel NUR positive Kritik für die Truppe aus. Waren ja auch schließlich alles Mädchen. Verärgert stützte ich meinen Kopf auf meine Hand ab. Die Frau hatte mir tatsächlich die Chance etwas zum Referat zu sagen versaut! Dachte ich zumindestens im ersten Moment. Doch dann kam eine Frage von der Koshinski höchstpersönlich zum Referat.
„Was denkt ihr denn über Meinung der Kirche zur Sterbehilfe?“ Alles klar, das war meine Chance. Wie vom Blitz getroffen schoss mein Arm in Sekundenhöhe nach oben. Dabei wusste ich noch gar nicht was ich sagen sollte. Ich drehte meinen Kopf etwas zur Seite, um zu sehen wer hinter mir alles noch aufzeigte. Hui, überraschenderweise gar keiner. Und da kam mir wie aus dem Nichts die Erkenntnis. Ich hatte ca. 2,7 Sekunden Zeit, bevor ich drangenommen werden würde. Und in diesen 2,7 Sekunden musste ich eine Entscheidung fällen. Ich könnte der Kirche zustimmen, dass die Sterbehilfe nicht gut sei, weil ein Mensch „natürlich sterben“ sollte, und nur „Schmerzen lindern“ durch Medikamente okay sei. Ich könnte aber auch meine Meinung kund geben. Z.B. Sterbehilfe in manchen Fällen akzeptiert werden muss. Verdammt noch 0,3 Sekunden, bevor mein Name fallen würde. Anstatt weiter nachzudenken welches das Richtige sei, war ich erstaunt wie schnell ein Mensch unter Stress nachdenken konnte.
„Stefan, deine Meinung?“, sagte Koshinski und richtete ihren in knallpink lackierten Finger, welcher fast ein Loch in mein heiliges Shirt gedrückt hatte, auf mich. Okay, es war nun zu spät sich noch schnell eine Falsche Meinung aus den Fingern zu saugen, um die Kirche zu befürworten. Also blieb mir keine andere Wahl als meine Meinung kund zu geben. Obwohl, ich hätte auch sagen können, dass ich mal ganz schnell aufs Klo musste, doch das wäre sicherlich noch schlechter gewesen.
„Also, meiner Meinung nach, ist die Einstellung der Kirche recht altmodisch. Schließlich können wir heute bei vielen Fortgeschrittenen Krankheiten vorhersagen, das ein Mensch nur noch ein paar Tage zu leben hat. Und wenn solche Leute nicht mehr wissen wohin mit den Schmerzen, wäre es doch angenehmer für sie eine Tablette mehr zu schlucken, anstatt qualvoll zu krepieren. Natürlich nur wenn sie das unbedingt wollen“, sagte ich selbstbewusst und wartete ab. Erst jetzt bemerkte ich wie ruhig es geworden war. Entwerder lauschten mir alle mit gespitzten Ohren, oder waren in Tagträumen versunken. Ich tippte auf die zweite Möglichkeit.
„Hm“, sagte Frau Koshinski nur. Sie hob ihre rechte Augenbraue verdächtig an und musterte mich. Mit einem male bekam ich es mit der Angst zu tun. Mein Selbstbewusstsein schrumpfte auf die Größe eines Reiskornes. Ihre faltigen Augen wurden enger, ihre Sitzposition noch steifer als sonst. Langsam fing ich an meine Aussage zu bereuen. Doch nicht die Drachenähnliche Gestalt die mich da anstarrte machte mir einen flauen Magen, sondern vielmehr der Kugelschreiber. Normalerweise war dessen Schreibmiene immer im Kugelschreiber gewesen, da sie nur so tat, als ob sie schreiben würde (und da bin ich weis Gott nicht der einzige der das beobachtet hat!). Zudem bin ich mir sicher, sie einmal beim dem Spiel „Noten würfeln für die Jungen“ erwischt zu haben. Aber das tut hier jetzt wirklich nichts zur Sache. Wie gesagt war ihr Kugelschreiber „ausgefahren“ und somit scharf. Wäre es nicht Winter gewesen und die Schulheizungen ausgefallen, hätten mir sicher Schweißperlen auf der Stirn gestanden. Was würde jetzt passieren, nachdem ich die Meinung der Kirche angezweifelt hatte? Sicher würde sie jede Sekunde aufspringen und mit ihrer Sirenenartigen Stimme „Avada Kedavra!“ kreischen, wobei grüne Todesblitze auf mich zurasten. Doch Gott sei Dank war im Moment das einzige was grün aufleuchtete ihre Augen. Dennoch ich konnte mir nicht helfen, aber irgendwie erinnerte sie mich in diesem Moment wirklich schon etwas an Lord Voldemort.
„Du meinst also die Meinung der Kirche sei Altmodisch?“, fragte sie scharf und ihre Augen wurden noch etwas enger. „In gewisser weise schon schließlich...“, ich wurde von ihr unterbrochen.
„Also, altmodisch finde ich jetzt etwas übertrieben. Dann kann ich ja auch sagen, dass deine Meinung altmodisch ist. Ich denke du hast die Frage nicht ganz verstanden, Stefan“
Jetzt will die mich auf den Arm nehmen!, dachte ich mir. Ich hatte die Frage nicht verstanden? Ich habe die Frage „Was denkt ihr über die Meinung der Kirche“ nicht verstanden? Was habe ich denn dann bitteschön gerade von mir gegeben? Den Satz des Pythagoras? Ich löste meinen Blick von ihrem Kugelschreiber der Verdammnis. Und noch bevor ich auch nur Jesus Christus sagen konnte, sprach sie weiter. Sicher hatte Koshinski nur drauf gewartet bis ich meine Lippen zum sprechen bewegte, um mir dann geschickt das Wort abzuschneiden.
„Es geht ja darum, dass einem Menschen nicht sein Leben gehört. Gott gab uns das Leben und er entscheidet über dessen Verlauf. Und wie du schon gesagt hast, kann man durch Maschinen und Technik viel voraussagen, weshalb sich die Menschen auch vieles einfacher machen. Natürlich ist es einfacher zu sagen „So ich gebe jetzt auf“, doch Gott verlangt, das wir in Würde sterben damit wir abgeholt werden können.“ Wer hat denn jetzt hier nicht die Frage verstanden!, schrie ich sie in Gedanken förmlich an. Jetzt fing sie auch noch an zu predigen! Aber das war okay, denn mir war etwas eingefallen, um sie zu schlagen! Mal sehen wie sie damit zurecht kam. Ich unterdrückte die vor meinem geistigen Auge erscheinende Szene, wie Jesus einen verstorbenen in einem Auto, wie sie es sagte „abholte“, und fuhr fort.
„Das mag ja alles schön und gut sein“, fing ich meinen Satz an, um dann siegessicher fortzufahren. Mein Selbstbewusstsein meldete sich wieder zurück „Aber eigentlich wird uns doch von klein auf beigebracht, das wir, soweit es uns möglich ist, gute Taten vollbringen sollen, um unser Geschenktes Leben zu würdigen. Also zählen doch so gesehen die Taten die wir zu unseren Gesunden Lebzeiten vollbringen, und nicht die letzen drei Tage, in denen sich manche Menschen einfach nur noch einen schnellen und schmerzlosen Tot wünschen.“
„Dafür sind Familie und Freunde da, um dem Menschen beim würdevollen sterben zu begleiten.“
Soso. Ich hatte sie also nur ins Schach gesetzt, da sie immer noch ein kleines Argumentchen in der Größe einer Bauernspielfigur besaß um sich zu Schützen. Doch mit meinem nächsten Satz würde ich meine Königin ihren König schlagen lassen.
„Und was ist mit alten Menschen die alle ihre geliebten überlebt haben? Was sollen die denn machen?“ Schachmatt! Ich hatte sie vernichtet, denn auch die Mädchen, die immer noch an der Tafel standen, nickten mir bestätigend zu, während die Koshinski nahezu hilfesuchend zu ihnen herüberblickte. Keiner würde ihr jetzt zur Hilfe eilen.
Das war der Todesstoß! Der Drache war besiegt! Die Horkruxe Voldemorts zerstört! Doch ich hatte etwas wichtiges vergessen. Das Böse erholt sich nie lange. Oder um es Situationsgerecht zu formulieren: Lehrer haben immer das letzte Wort, sie können schon fast gar nicht anders.
„Wie gesagt, denke ich das du die Frage nicht wirklich verstanden hast. Ich denke es ist deshalb sinnlos noch weiter über dieses Thema zu sprechen. Vielen Dank Mädels.“ Das kann doch nicht wahr sein! Sie ignorierte meine Argumentation! Wo war die Akzeptanz verschiedener Meinungen? Ich musste aufpassen, dass mir nicht die Kinnlade runter fiel vor Entsetzen. Doch auf eine weitere Diskussion würde Kushinski garantiert nicht eingehen. Schließlich hatte sie mich doch geschlagen, wenn auch wohlgemerkt mit unfairen Mitteln! Hilflos wie ein Bär in einer Bärenfalle, musste ich mit ansehen, wie sie sich ein paar Notizen in ihr Notizbuch schrieb, mit ausgefahrener Kugelschreibermiene. Entweder unterzeichnete sie gerade die Lizenz für Opus Dei mich zu töten, oder sie legte (ohne zu würfeln) meine Note fest. Unwahrscheinlich war, das sie sich eine Note für die Mädchen aufschrieb. Diese bekam eh immer eine eins oder zwei plus.
Schnell schluckte ich meine bittere Niederlage hinunter und rief ihr in Gedanken noch einmal „Du kannst mich mal“ entgegen. Im Geiste füllte ich schon meinen Anmeldebogen zum Wechsel vom Religions- zum Philosophiekurs aus. Vielleicht konnte man wenigstens dort sagen was man denkt. Auch als Junge.

Fazit:

Was wäre eigentlich, wenn man im Religionskurs sagt was man denkt?

Ganz einfach. Wer sagt was er denkt und es gegen die Prinzipien des Lehrers verstößt, der sollte sich auf eine eher „mittelmäßige“ Benotung gefasst machen. Das Sprichwort „Glauben kannst du im Religionsunterricht“, mag schon stimmen, das Denken sollte man allerdings lieber lassen. Willenlose Zombies, die je nach Stimmung ihres Meisters formbar sind, sind herzlich willkommen im Religionsunterricht. Humanoide denkende Lebensformen, die auch mal ab und an nicht nur ja und amen sagen, sollten sich aber doch lieber im Philosophiekurs treffen.


Das Ergebnis lautet also kurz und knapp: ES WÄRE NICHT VON VORTEIL!!!

Impressum

Texte: Der Komplette Text, sowie die Idee und das "Cover" stammen von Stefan Schleuter
Tag der Veröffentlichung: 21.02.2010

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Ich widme diese Kurzgeschichte an alle Schüler die manchmal genau so stressige Schultage erleben müssen wie ich.

Nächste Seite
Seite 1 /