Der Schnee unter seinen Stiefeln knirschte. Warm eingepackt, wanderte er durch diese weiße Stille. Die Straßen waren leer. Seine Füße trugen ihn an den Häuserwänden vorbei. Die Kälte des Winters traf ihn mit jedem kleinen Windstoß.
Niemand würde ihm heute auf der Straße Gesellschaft leisten. Niemand kannte ihn. Niemand nahm Notiz von ihm. Diese Tage waren im ganzen Jahr die Schlimmsten. Sie erinnerten ihn an jene Zeit, als er einer dieser Familien angehört hatte und lächelte. Jene Zeit, als es noch Grund zum Lächeln gab.
Doch das war lange vergessen. Der Schnee war dieses Jahr besonders tief, eisig und einsam. Ja, er fühlte sich einsam.
Eine kleine Flocke tanzte vor seinen Augen und wandelte sich in Wasser, als sie seine Überlippe berührte, die die meiste Zeit von seinem Schal geschützt wurde.
Er wurde schon lange ausgeschlossen, von dem Rest der Welt, und sich selbst. Jeder Tag mit der neuen Hoffnung, eines Tages würde es aufhören zu schneien. Eines Tages würde er wieder in Wärme baden.
Seine Füße trugen ihn immer weiter voran. Das Ziel war unbekannt. Die Richtung nicht wichtig. Nur nicht stehenbleiben. Nur nicht erinnern. Er ging, um zu vergessen. So, wie ihn eins die anderen vergaßen.
Die warme Luft aus seinem Atem reagierte mit der Kälte. Sie wurden Eins und verschwanden; verschwanden, wie alle anderen auch. Ihre Geschichte unbekannt; unbenannt. Die Tränen seines Lebens waren schon längst zu Eis erfroren.
Seine Kräfte neigten sich mit jedem Schritt dem Ende zu. Er musste gehen. Durfte nicht anhalten. Das wäre der sichere Tod. Jeder Schritt wurde schwerer. Der neue Schnee erschwerte seinen Gang. Seine Muskeln verkrampften sich. Ohne neue Energie war es aussichtslos
Während der darauf konzentriert war, seine Muskeln und Gelenke zu einem weiteren Meter anzutreiben, bemerkte er die spiegelglatte Straße nicht, die sich unter dem Neuschnee verborgen hatte. Er kam ins Straucheln. Er sich nicht fangen. Das Gleichgewicht wieder einmal in seinem Leben verloren.
Mit voller Wucht landete sein geschwächter Körper im Schnee. Das war’s
, dachte er. Er hatte keine Kraft mehr. Keine Motivation, die ihn von hier unten aufhelfen konnte. Er gab sich seinem Schicksal nun endlich hin.
Das Pärchen kam gerade aus einem Restaurant, in dem es seine Verlobung genoss. Sie stupste ihren Verlobten an, als sie halb verschneite Kleidung am Boden liegen sah. Langsam näherten sich beide, bis ihnen bewusst wurde, was dort genau lag: Ein Mann.
Ein spitzer Aufschrei entrann ihren Lippen. Ihr Verlobter eilte sofort zum scheinbar leblosen Körper des Mannes. Der Mann schien bewusstlos zu sein, denn seine sehr schwache Atmung verriet ihn. Sofort half ihm der Verlobte, während sie automatisch die richtige Nummer auf ihrem Mobiltelefon gewählt hatte.
Wie lange hatte er bewusstlos im Schnee gelegen? War er endlich tot?
Als er seine Augen öffnete, sah er in das freundliche Gesicht einer jungen Frau im weißen Gewandt.
Ich muss im Himmel sein – trotz Allem
, dachte er im ersten Moment.
Doch, er war am Leben. Vor ihn stand eine junge Krankenschwester. Jemand hatte ihn gefunden und ins Krankenhaus bringen lassen. Um ihn herum war alles warm. Ein Gefühl, dass er schon lange nicht mehr spürte. Er wurde nicht vergessen; nicht übersehen.
Ein Lächeln strahlte auf seinem Gesicht. Endlich.
Texte: Heffa Fuzzel
Bildmaterialien: Heffa Fuzzel
Tag der Veröffentlichung: 28.12.2012
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
An alle, die nicht wegschauen, wenn Hilfe nötig ist.