Erst wenn einem bewusst wird, was fehlt, vermisst man einen Teil, der vielleicht gar kein Teil von dir war. Die verlorenen Gedanken sind nicht etwa fassbar oder greifbar. Sie waren einst da und doch haben sie nie gelebt. Erst wenn einem bewusst wird, was fehlt, verliert man sich selbst im Strudel von Ereignissen, die es so gar nicht geben kann.
… oder vielleicht doch?
Hätte ich mir jemals Gedanken darüber machen können, was es bedeuten würde, etwas in sich zu haben, was raus will, raus muss, was ich aber nicht preisgeben vermag? Es scheint wie Kleber an meiner Seele zu kleben, und doch ist es nicht erdrückend. Nicht immer, jedenfalls. Gäbe es etwas, was ich nie offenkundig dar zu legen vermochte, so schien es die Erklärung, warum ich so anders bin, als andere Seelenhüllen.
Wie fühlen sich andere, wenn sie sich beim Essen zubereiten schneiden? Wut; darüber, dass sie so dumm waren und es nicht kommen sahen? Trauer; darüber, dass das eigene Blut dahin floss und man einen Teil von sich für immer verlor? Schmerz; als die Klinge sich durch die Haut kämpfte um unheilvolles an zu richten?
Es hat vielleicht ein Gutes, wenn man sich damit beschäftigt, wie andere Denken: Man vergisst seine eigenen Gedanken.
Ständig habe ich versucht andere zu verstehen und verdammt noch mal vergessen, mich zu fragen, ob ich weiß, wer ich bin.
In einen Universum voll Seelen, Partikel und Formen die ruhig oder tobend durch die Sphären eilen, kommt es einem nicht belangvoll vor, sich darüber Gedanken zu machen, warum man hier ist, mit einer Hülle und nicht da draußen verwundbar. Ist man verwundbar dort draußen? Bin ich nicht vielleicht schon verwundet, weil ich die Seele in mir zwinge, sich mir nicht zu widersetzen? Mir, die jahrelang atmete und dachte, dass es einen Grund hat hier zu sein. Doch kann ich erwarten, dass ich meine Seele rechtmäßig erhalten habe? Ich glaube nicht. In einer Welt die mehr zum Schein zu sein scheint, wäre es da nicht ratsamer sich zurückzustellen und der Seele ihre Freiheiten zurückzugeben? Will sie das überhaupt? Man kann sie ja schlecht fragen: »Hey du, Seele. Was wäre dir lieber, Tod ohne zu leben oder leben ohne zu sterben? «
Der endlose Kreislauf der Schmerzen die diese Materie Jahrhunderte lang zu ertragen hat, muss ungreifbar sein. Ich vermag mir gar nicht erst vorzustellen, wie es sich anfühlen muss selbst sein Leben dahin zu richten. Es muss wohl der größte Schmerz der Seele sein. Für immer zerrissen und eine klaffende Wunde, die nie wieder heilen kann. Die Hülle danach ist nur noch ein Schatten ihres Selbst und wird nie wieder gesund werden; die Seele in ihr, die sich nie wieder regenerieren kann.
Besessenheit ist da wohl der Ausdruck für eine Seele, die den Kampf verloren hat. Die Seele die gegen Äußere Einflüsse sekündlich zu kämpfen hat. Sie bestreitet für uns einen Kampf mit etwas, dass wie sie weder Körper noch Form hat. Es wirken Kräfte die einem vermutlich erst dann Bewusst werden, wenn es zu spät ist; wenn man sich selbst gerade verloren hat und im nächsten Moment überlegt, was passiert ist. Die Besessenheit macht einem zu dem Wesen, dass man immer schon und im tiefsten Innern wissentlich verabscheut. Das Gefühl ist schlimmer als jeder Schmerz. Der einzige Weg der Flucht, die einzige Möglichkeit seine Seele zu retten, ist der unwissentliche, von Außen herbeigeführte … Tod.
Tag der Veröffentlichung: 09.03.2012
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