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Leseprobe: Hundstage


Hundstage

Wieder so eine Nacht, in der ich das Gefühl hatte, die ganze Stadt schliefe. Aus lauter Langeweile machte ich mich auf den Weg zu einem Club, um dort ein Schwätzchen mit der Chefin zu halten. Dort angekommen staunte ich nicht schlecht: Der Laden war voll. Wann und wie waren die Leute dorthin gelangt?
Zunächst bestellte ich mir einen Kaffee. Aber was ich dann sah, hat mir erst recht die Sprache verschlagen. Ein Mann, Mitte Fünfzig, lief auf allen Vieren splitternackt, bekleidet nur mit einem Halsband, herum. Geführt von einem jungen Mädchen, schleckte er ihre Stiefel und musste Gehorsamkeit üben. Er trank sein Bier aus dem Napf und ab und zu bekam er mit der Rute eins aufs Hinterteil.
Meine erste Frage an die Chefin war: „Du, wie viel muss der für diese Dienste bezahlen?“
„Na ja“, sagte sie, „pro Stunde dreihundert Euro plus Getränke extra.“
Ich erfuhr, er hatte für fünf Stunden gebucht. Ich fragte sie, ob sie noch einen Hundeführer brauchten.
Sie lachte und meinte: „Du hast nicht die Figur für diesen Job.“
Ich guckte in den Spiegel und gab ihr Recht. Dass der sich nicht schämte, dort vor den vielen Leuten nackt auf allen Vieren herumzulaufen, schoss es mir wieder durch den Kopf. Es war ein elendes Bild, wie der sich blamierte und daran sogar Gefallen fand.
Eine Stunde später bekam ich vom Club aus eine Fahrt in die Stadt. Mit dem Tagesumsatz von insgesamt dreißig Euro beschloss ich, Feierabend zu machen. Tags drauf fragte ich noch mal nach bei der Chefin, wie viel der an dem Abend abgedrückt hatte.
Sie gab mir zur Antwort: „Dreitausend Euro.“ Ich war schon leicht deprimiert. Verglichen damit war mein Verdienst für den ganzen Monat Januar extrem niedrig.
Wenige Tage später war ich so blank, dass ich mein Sparschwein schlachten musste. Ich machte mich auf den Weg zur Bank, um meinen Notgroßen zu wechseln und betrat die Bank. Als ich am Schalter stand, sah ich einen Mann mit lichtem Haar auf mich zukommen. Fassungslos starrte ich ihn an. Ich hörte, wie er mich fragte, was er für mich tun könne, aber ich guckte ihn nur an. Das war der Straßenköter aus dem Club! Beinahe hätte ich laut angefangen zu bellen.
Wieder fragte er mich: „Was kann ich für Sie tun?“
So langsam kam meine Sprache wieder und ohne den Blick von ihm zu nehmen, sagte ich: „Bitte wechseln.“
„Ein Bankangestellter!“, ging es mir durch den Kopf. „Der hat bestimmt Familie. Die hat wahrscheinlich nichts zu fressen. Bei so einem perversen Lebenswandel dieses Bankers bleibt nur wenig übrig für andere.“
Der Mann wechselte mir das Geld und ich hatte wieder Tatta in der Tasche. Ich verließ die Bank und diese Geschichte gab mir wieder die Bestätigung, dass wir bereits viele kranke Menschen in unserer Nachbarschaft haben.

Leseprobe: Anna


Anna

„Guten Abend Tom, hier ist Anna, bringst du mir zwei Flaschen Asbach und vier Schachteln Marlboro?“
„Ja“, sagte ich, „dauert ein bisschen, weil ich viel zu tun habe.“
Ich staunte wieder mal darüber, mit welch freundlicher Stimme sie sich mir immer am Telefon rüberbrachte. Anna war Alkoholikerin und ich begleitete sie schon eine Weile.
Als ich dann ein paar Stunden später bei ihr vor der Türe stand, bat sie mich in ihre Wohnung. Blitzblank geputzt war sie, ihre Wohnung, und immer freundlich, das war Anna. Ich hatte sie einmal auf ihre Krankheit hin angesprochen und hatte zur Antwort bekommen, dass sie schon wisse, was sie tue. Sie war sehr gebildet. In ihrem Wohnzimmer stapelten sich Tausende von Büchern und sie hörte gerne klassische Musik. Ihr Mann war vor Jahren verstorben und sie hatte eine Tochter, die in Australien lebte.
„Leider wenig Kontakt“, erwähnte sie mal so nebenbei.
Durch ihre Krankheit war sie Frührentnerin und sie ging auch nicht mehr vor die Tür. Noch einige Male brachte ich ihr Schnaps und Zigaretten und sah, dass sich ihr Gesundheitszustand mehr und mehr verschlechterte.
„Du Anna, soll ich dir einen Arzt rufen?“, fragte ich eines Tages.
„Nein. Tom, das geht schon wieder vorbei.“
Sie hatte einen Bekannten, der lebte in Duisburg und auch er war Alkoholiker. Eine Zeit lang habe ich sie nicht mehr gesehen und dann, eines Tages, war sie wieder am Telefon.
„Hallo Tom, hier ist Anna. Bringst du mir wie immer?“
Ihre Stimme klang sehr schwach und ich fuhr zu ihrem Haus. Anna war auf der Straße und entsorgte gerade die leeren Flaschen. Ich erschrak, als ich sie sah. Ihr Gesicht war quietschgelb.
„Danke Tom“, sie gab mir die Hand. „Ich werde jetzt eine längere Reise machen und wollte mich bei dir verabschieden. Ich glaube nicht, dass wir uns wieder sehen.“
Und sie steckte mir einen Zwanziger in die Hosentasche. Dann umarmte sie mich und ging hinauf in ihre Wohnung.
Drei Wochen später las ich die Todesanzeige von Anna. Ich saß im Auto und weinte.
„Welche Gradlinigkeit“, dachte ich, „Anna.“

Leseprobe: Das Kinderbordell


Das Kinderbordell

Um zwei Uhr morgens fuhr ich los, um einen Fahrgast in einem Bordell abzuholen. Ich klingelte und jemand betätigte den Türöffner. Steil führte eine Treppe nach oben. Die Tür oben war geöffnet und ich trat ein.
„Taxi!“ rief ich und ein recht junges Mädchen sagte mir, es dauere noch ein wenig, bis der Kunde käme.
Etwas genauer schaute ich diesem Mädchen in die Augen und konnte es nicht fassen.
„Die ist doch höchstens 15 Jahre alt“, dachte ich mir und blickte mich weiter um.
Da saßen auf den alten Sofas jede Menge Kinder, die ihre Dienste anboten. Ich schätzte ihr Alter auf 14 bis 16 Jahre. Schon kam mein Fahrgast, ein etwa 50 Jahre alter Perverser.
Wir gingen die Treppe hinunter und stiegen ins Taxi. Kaum dass er sich gesetzt hatte, erzählte er mir, wie toll es gewesen sei, eine Vierzehnjährige im Bett gehabt zu haben.
Mein direkter Weg ging zur Polizei. Er merkte noch gar nichts davon. Als ich den Wagen vor der Polizeistation in Hörde zum Stehen brachte, fragte er, was das solle. Ich zog ihn aus dem Auto heraus und prügelte ihn in die Wache. Den Beamten berichtete ich die ganze Geschichte. Der Mann stritt alles ab.
Noch in derselben Nacht haben die Polizisten in dem Bordell eine Razzia durchgeführt und zehn minderjährige Frauen mitgenommen.
Eine Woche später war dieses Bordell wieder geöffnet.
„Was für eine Welt! Jetzt können die sich wieder Kinder suchen“, dachte ich mir.

Leseprobe: Die Schickeria am Tegernsee


Die Schickeria am Tegernsee

Da war ich angekommen in der Welt der Reichen und der der Bodenständigen. Ich, der kleine Taxifahrer, der in Dortmund nur Gradlinigkeit und Offenheit kennengelernt hatte. Die Reichen versammelten sich im „Bachmaier“ am See, im „Visa Via“ und bei „Peter“ an der Weissach. Die Jugend turnte im „Moschner“ beim Peter rum und knallte sich das Koks nur so in die Birne.
„Was für eine Welt“, dachte ich manchmal, nachdem ich dort als Taxifahrer angefangen hatte.
Nach kurzer Zeit sprach man schon über mich, weil ich einem Reichen eins vor’n Kopp gehauen hatte. Nicht ohne Grund, denn er hatte meine Fahrgäste angepackt und ich habe diese nur verteidigt. Einen Tag später rief mich der Reiche an und fragte, ob ich überhaupt wisse, wer er sei.
„Mir gehört hier einiges und deine Tage als Taxifahrer sind gezählt“, sagte er in sehr aggressivem Ton.
Das hat mich nicht sehr beeindruckt und ich machte meinen Job weiter. Die Bodenständigen dagegen schätzten meine direkte Art, Klartext zu sprechen und gaben mir Mut. Es gab so einiges, das mir missfiel: zum Beispiel die Kinder der reichen Eltern, die bestückt mit goldenen Kreditkarten und recht wenig Anstand herum liefen. Party machen, Koksen und jede Menge Alkohol war ihr Leben. Ich war in Miesbach groß geworden und dort war das Leben noch normal und nicht so abgehoben wie hier am See.
Noch eine Zeit lang probierte der Reiche, mir das Leben hier schwer zu machen. Plötzlich saß er nachts in meinem Taxi und entschuldigte sich bei mir. Er hatte gemerkt, dass es sinnlos war, gegen mich zu arbeiten, denn in seinen Kreisen wurde ich gerne als Fahrer genommen. Nun versuchte er, auf gut Freund zu machen, doch ich behandelte ihn wie alle. Gleich.
Im Nachtleben der Reichen drehte sich alles um Sehen und Gesehen-werden, Champus saufen und darum, über „das Pack“ herzuziehen. Das war nicht meine Welt.
Das Tegernseer Tal ist eine der schönsten Gegenden in diesem Land und ich konnte nicht verstehen, warum sich gerade hier so viele Idioten versammeln mussten. Die Guten hier am See merkten schon seit langem, was hier geschah und dass es nicht gut für ihr Tal war, aber dagegen waren sie machtlos. Geld regierte die Welt auch hier.
Ein Jahr später besuchten mich meine Tochter und mein Sohn. Im gleichen Jahr kam mein Sohn dann noch einmal in den Sommerferien für fünf Wochen zu mir. Danach beschloss ich, wieder nach Dortmund zu gehen, um bei meinen Kindern zu sein. Ich verabschiedete mich von den guten Leuten am See und meine Reise ging zurück in den Ruhrpott.

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Tag der Veröffentlichung: 23.10.2011

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