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Manuel Martins‘ Blick wandert suchend durch den feinen Nebelschleier. Nervös schielt er nach allen Seiten, so, als fühle er sich beobachtet, was ja auch den Tatsachen entspricht. Hektisch zerrt er am Türgriff einer Telefonzelle, die unter einer kaputten Laterne steht. Der Grazer Stadtpark ist dunkel, kalt und menschenleer. Martins glaubt wohl, er könne die Welt aussperren, so energisch, wie er jetzt die Tür hinter sich ins Schloss zieht. Er nimmt den Hörer ab und wählt, es geht los.
Zwanzig Jahre schnüffle ich treulosen Männern und Frauen hinterher, habe unzählige Stunden dabei in meinem alten Opel verbracht, der schon mehr zuhause ist, als die abgehalfterte Zweizimmerwohnung in der Kürbergasse, doch diese nasskalten Observationen hasse ich wie einen Zahnarztbesuch.
„Scheiß November“, höre ich mich leise fluchen. Seit einer Woche sucht mein Verdächtiger allabendlich um 23:20 Uhr diese Telefonzelle auf. Wozu? Allein das Aufsuchen einer öffentlichen Telefonzelle im 21 Jahrhundert, wirkt bei einem 28-jährigen, gutaussehenden Mann geheimnisvoll.
„Mein Job ist es, hinter dein Geheimnis zu kommen, Manuel“, säusle ich und reibe meine klammen Finger. Routiniert tippe ich einige Zahlenkombinationen in den Laptop am Beifahrersitz. Martins wartet auf die Verbindung, blickt fahrig umher. Das Freizeichen tutet aus meinem Laptop.
„Yeap, ich bin drin!“
Martins trommelt ungeduldig auf das Glas der Zellenwand.
„Ich seh´ dich, ich hör dich“, zische ich erregt und justiere die Kameraoptik etwas höher, „was willst du vor deiner Verlobten verbergen, mein Junge. Warum diese Heimlichtuerei?“
Angespannt blicke ich durch das restlichtverstärkte Okular meiner Nikon. Grünliche Nebelfetzen fliegen vorbei. Das einleitende Tuten des Freizeichens klingt wie Smetanas ›Moldau‹, in Kürze werden Worte, Phrasen und Lügen fliessen.
„Aber heute ... werde ich dabei sein, mein Junge, und ich werde alles aufzeichnen: Gespräch mit Video, Fotos mit Uhrzeit, alles Live versteht sich, das volle Programm.“
Mir geht beinahe einer ab bei dem Gedanken, dieses Industriellensöhnchen in Kürze der Lüge zu überführen. Und wenn in meinem morgigen Bericht, die Gerechtigkeit über die Lüge triumphiert und seine Tränen wie die Wasser der Moldau fliesen, „ach ja“ seufze ich, und höre Martins Stimme aus dem Laptop schnarren: „... ja, jeden Tag über 30 Grad ... strahlend blau von morgens bis abends ... jede Menge Palmen, sogar hier vor der Zelle.“ Mein Grinsen wird breit.
„Du täuscht dich, mein Junge“ sage ich und trommle freudig auf meinen pelzigen Lenkradüberzug „hier ist nur der gute alte Heinz Schmidt, sitzt fröstelnd in seinem schwarzen Kadett und ..., und hat alles im Kasten ..., Herr Münchhausen. Keine Palmen weit und breit.“
Ich mache noch ein paar Fotos von Martins, der aus der Telefonzelle steigt, den Kragen seines beigen Trenchcoats hochschlägt, nochmals umherblickt und dann raschen Schrittes den Weg zum Hauptausgang des Parks nimmt. Das arme Mädchen, so hübsch, das hat sie nicht verdient, denke ich, und nehme einen Schluck Bier. Schmeckt irgendwie warm und schal. Verdammt spät, die letzten Silben meines Berichts sind gespeichert.
„Das gibt eine fette Provision“, sinniere ich, wickle mich in eine schmuddelige Decke auf dem Sofa, blicke schlaftrunken zum Laptop hoch und lausche meinem täglichen Schlaflied: „Abschied nehmen“ von Xavier Naidoo – wie passend für Herrn Martins.
„Was soll das?“
Martins‘ fliegt zornig aus seinem ledernen Bürostuhl hoch, als ich die Fotos aus dem Park auf seinen Schreibtisch lege und seine Stimme aus meinem Laptop dringt.
„Die Wahrheit, Herr Martins ..., die reine Wahrheit über ihren Urlaub unter Palmen.“
Ich blicke dabei in die verweinten Augen von Nicole Bender, seiner Verlobten, die ihm gegenüber sitzt. Eine blonde Haarsträhne klebt an ihren hohen Wangenknochen, die sonst vollen, roten Lippen wirken schmal und blutleer.
„Warum Manuel, warum nur ..., wer ist sie?“
Ihr Weinen wird zum Schluchzen. Martins muss der Wahrheit nun ins Auge sehen, zu akribisch habe ich seine „Urlaubswoche“ dokumentiert. Tagsüber hauste er, mit wem auch immer, in der Hasengasse 14, in einem heruntergekommenen gelben Haus im dritten Stock, die Vorhänge immer fest zugezogen. Essen wurde für drei geliefert. Abends dann diese ominösen Telefonate aus der Telefonzelle im „Palmenpark“.
Martins geht langsam auf Nicole zu, holt tief Luft und blickt ihr entschuldigend in die rehbraunen Augen.
„Schatz ..., ich ...“, er nimmt sein Handy aus der Hosentasche und wählt „ich habe diese Woche mit Franz und Gert die letzten Details für unsere Hochzeit geplant. Keiner sollte davon erfahren, ich wollte dich damit überraschen.“ Er hält Nicole, die ihn ungläubig mit großen Augen anstarrt das Handy hin. „Franz wird gleich rangehen und dann rufen wir noch Gert an, auch er wird das bestätigen. Die Überraschung ist ja leider im Arsch, und wo zum Geier steckt dieser vermaledeite Detektiv!“
Ich war schon im Erdgeschoss, konnte seine letzten Worte aber noch glasklar verstehen. Ein Detektiv muss wissen, wann es Zeit ist zu gehen.


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Tag der Veröffentlichung: 15.11.2011

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