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»Ich war damals, Anfang der 90er-Jahre, in der Kaiserstadt in einem Fotogeschäft tätig - als Filialleiter. Nein, nicht in Wien, in deren Sommerresidenz, in Bad Ischl. Eines schönen Tages betrat so ein Muatterl, das wirklich noch aus des Kaisers Zeit zu stammen schien, unser Geschäft.«
»Hast du die Frau überhaupt bedient? Ist ja nicht gerade deine Altersklasse«, unterbrach Ludwig Terner belustigt die Erzählung seines Freundes. Fritz Leiner ließ keine Zweifel über seine Absichten offen.
»Sicher hab ich sie bedient. Stell dir vor, wie viele alte und reiche Weiber es in Bad Ischl gibt. Da hätte es ja gut sein können, dass für mich was abfällt von den Millionen. Wie gesagt, sie war schon in gehobenem Alter. Witzig fand ich allerdings, dass sie ein festliches Dirndlgwand anhatte, mitten unter der Woche. Plötzlich verfing sich Ihr Blick in meinem und ließ mich nicht mehr los. Mein erster Gedanke war, nachdem ich die Situation analysiert hatte: „Jetzt wird es ungut.“ Bei den diversen Verkaufsschulungen haben sie uns ja erklärt, in den Blicken der Kunden zu lesen und ihre Wünsche zu analysieren. So war es für mich natürlich ein Leichtes, zu erkennen: Die hat ein Problem. Und genau so war es dann auch.
»Sie, junger Mann, können Sie mir helfen?«
»Grüß Gott, Gnädigste, was kann ich für Sie tun?«
»Ich möchte den Filialleiter sprechen«, erklärte sie mit krächzender Stimme, die mich an Hitchcocks Vögel

erinnerte und instinktiv zusammenzucken ließ.
»Was für ein Glück, gnädige Frau, er steht vor Ihnen.«
»Warum hast du so g‘schwollen dahergeredet. Hat dich die Frau überhaupt ernst genommen?«, war Terners erneute Zwischenfrage.
»Mit Leuten, die noch direkte Nachfahren der Kaiserfamilie sein könnten, muss man so sprechen, damit sie einen wahrnehmen und auch verstehn. Und da ich als Kind, zur Strafe, wenn ich unartig war, im Beisein meiner Mutter immer die „Sissi–Filme“ ansehen musste, war ich dieser Sprache natürlich mächtig. Also weiter im Text ...«
»Sind Sie nicht etwas zu jung für so eine verantwortungsvolle Position?«, warf sie mir an den Kopf, griff in ihren Weidenkorb und murrte etwas unverständliches in ihren Damenbart. Als sie sich mir wieder zuwandte hatte sie noch so einen dämmlichen Spruch auf Lager.
»Nein, wie sich die Zeiten ändern. Wo sind nur diese gut situierten Herren mit Anzug und Krawatte, hochgezwirbeltem Schnurrbart und stramm zurückgekämmtem Haar geblieben, wie sie zu Kaisers Zeit – Gott hab ihn selig – überall anzutreffen waren?«
»Was hatte sie bloß gegen mein T-Shirt?, dachte ich. Fühlte sie sich etwas vom Aufdruck: „I am the Boss“ negativ angesprochen? Na gut, vielleicht hätte ich mich rasieren sollen, allerdings war mir zu jener Zeit noch kein starker Bartwuchs vergönnt und drei Tage waren doch keine lange Zeit. Die paar Fransen, die aus meinem Gesicht keimten, waren es nicht wert, den Elektrorasierer anzuwerfen. Ich dachte schon damals sehr an die Umwelt und unsere Energiereserven.«
»Ja ja, der rasende Leiner und der Umweltgedanke, Zwei Brüder im Geiste.« Terner schmunzelte.
»Ich hab eh gesagt - damals, oder?« Fritz Leiner schnaubte verächtlich und zuckte die Achseln.
»Ist schon gut, erzähl weiter.«
»Ok. Meine Jeans war in Ordnung und ohne Löcher, wenn auch ein bisschen schmuddelig und abgewetzt. Aber es soll ja Leute geben, die bezahlen einen Haufen Geld dafür, dass Jeans abgefuckt aussehen. Und was meine Turnschuhe betraf. Die liebte ich, die waren bequem und deswegen schon etwas ausgelatscht.«
»Und gerochen haben sie bestimmt eins a«, warf Terner belustigt ein.
»Riechen deine Turnschuhe etwa nach Vanille?« Leiner wurde ungehalten wegen der dauernden Unterbrechungen.
»Nein, aber ...«
»Spar dir dein aber ... interessiert mich nicht. Soll ich meine Geschichte weitererzählen oder nicht?«
»Ja Fritz, bitte darum«, versuchte Terner gutmütig Leiners erhitztes Gemüt zu beruhigen. Es gelang. Leiner nahm einen achtunggebietenden Schluck Bier und erzählte weiter.
»Dann werde ich eben Ihnen mein Problem darlegen« motzte mich die Alte herablassend an. »Meine Kamera, die ich vor Kurzem in Ihrem Hause erworben habe, verweigert mir den Gehorsam. Ich wollte eine einfach zu bedienende Kamera, die schöne Fotos macht. Aber dieses neumodische Ding lässt sich nicht dazu bewegen, meinen Wünschen zu entsprechen.«
Dabei fixierten mich zwei tief in den Höhlen liegende graue Augen. Ab und zu kam es mir vor, als würde sie an mir vorbeischielen und mit einem imaginären Verkäufer sprechen. Ich drehte mich einmal kurz um, um zu sehen, ob hinter mir jemand stand. Dem war leider nicht so. Es half nichts, ich musste mich dem Problem stellen. Immerhin war ich der Chef.
»Damals.« Terner lachte. Diesmal ließ sich Leiner nicht zum verbalen Zweikampf herausfordern.
»Sie präsentierte mir eine Agfamatic 901 S Motor Sensor Pocketkamera mit angedocktem Blitz. Ich hätte zwar eine Miniaturausgabe einer Leica erwartet, aber von den Reichen, kann man ja das Sparen lernen. Die Kamera in mattem Schwarz, mit knallrotem Auslöser, war ungefähr Baujahr 1980. Ein Modell, bei dem das Filmeinlegen ein Kinderspiel sein sollte. Die 110er-Filmkassette passte nur richtig eingelegt in die Kamera. Fünf Symbole: Sonne für Schönwetter, Wolken für bewölkt, Blume für nah, Berg für fern und eines für das Blitzen waren die einzigen Einstellungen, die sie vorzunehmen hatte. Dieses Wunderwerk zur Bildgestaltung hatte die Größe eines rechteckigen Brillenetuis, der angedockte Blitz war etwa halb so groß, mit einer Kontrollleuchte obenauf. Betrachtete man die Kamera von vorne, sah man unterhalb des Auslösers das Objektiv – das relativ unscheinbar wirkte. Rechts davon, wesentlich größer mit einer Glasabdeckung versehen, war der Sucher angebracht. Im Prinzip eine einfache, robuste, für Leute mit geringen Ambitionen zur Profifotografie gedachte Kamera.
»Also Gnädigste, wo liegt denn nun Ihr Problem?«, fragte ich sie höflich.
»Hören Sie mir denn nicht zu? Sie funktioniert nicht. Die Bilder dieses Dings spotten jeder Beschreibung. Alle nur verschwommen, nichts darauf zu erkennen«, krächzte sie aufgebracht. Ich ignorierte ihr Lamentieren.
»Liebe Dame, das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Bei dieser Kamera braucht man keine Entfernung einzustellen, sie wird automatisch gewählt.«
»Papperlapapp, wollen Sie mich der Lüge bezichtigen? Sehen Sie sich doch die Bilder an. Da erkennt man gar nichts darauf.«
Sie knallte einen Packen Fotos auf den Tisch, der unter die Rubrik: „Hier sehen Sie, dass Sie nichts sehen“ fiel. Eigenartig? Die Fotos waren links völlig dunkel und wurden nach rechts hin etwas heller. Wobei man tatsächlich nichts und niemanden darauf erkennen konnte. Es war schwer sich einen Reim darauf machen und ich schlug ihr deshalb vor, einen Testfilm anzufertigen. In ein paar Tagen würde das Ergebnis vorliegen.
»Dann komme ich Freitag wieder und wehe, Sie haben keine Lösung …«, schnappte ihre große Klappe nach mir.«
»Und, ist sie Freitag wieder gekommen?« Terner drängte auf eine raschere Erzählung. Vermutlich musste er schon wieder pinkeln, was Angesichts seines biblischen Alters von 55 Jahren nicht ungewöhnlich war. Sie saßen seit etwas mehr als zwei Stunden in ihrem Stammlokal, dem Kino-Cafe, und Terner war als „Schnelltrinker“ bekannt.
»Wirst schon noch hören, wennst mich ausreden lässt.«
»Es war ein schöner Tag. Ich verließ das Geschäft und machte ein paar Aufnahmen von Bad Ischl. So konnte ich die frische Luft im Park genießen und schauen, ob sich für den Abend was Erotisches ergibt.«
»Aah, Schnecken Tschecken heißt das, oder?« Terners Frage, begleitet von süffi-santem Grinsen, brachte Leiner in Rage.
»Jetzt hör mir mal zu ...«
»Mach ich doch die ganze Zeit über.«
»Halt deinen Mund. Erst fragst du mich, um einen Schwank aus meiner Jugendzeit und dann hast du dauernd deine große Klappe offen. Findest du das lustig, oder was?«
Ein betretenes Schweigen hing in der Luft. Terner kam sich trotz seiner 1, 90 Meter klein vor. Um diesen Abend nicht unnötig zu gefährden, hob er sein Bierglas und prostete Leiner zu.
»T´schuldigung. Werde ab jetzt aufmerksam zuhören. Aber, „große Klappe“ will ich überhört haben, mein Freund.«
Leiner lenkte ein, nicht weil er um zehn Jahre jünger war als Terner, sondern weil er sonst gerade niemanden zur Hand hatte, dem er seine Geschichten „hineindrücken“ konnte. Mit seinen zierlichen Fingern trommelte er unrhythmische Signale auf dem Stammtisch, das machte er meistens, wenn er intensiv nachdachte. Schließlich legte sich ein zufriedenes Lächeln auf seine schmalen Lippen und seine stahl-grauen Augen fixierten Terner.
»Na gut, will mal nicht so sein, du Störenfried«, dann wandte er sich in Richtung Bar. »Olga, bring uns noch zwei.«
»Gute Idee«, pflichtete Terner bei.
»Also gut, wo war ich stehen geblieben? Ah ja. Freitag - es kamen zuerst die Fotos und dann meine Lieblingskundin, erstaunlicherweise in derselben Aufmachung wie beim ersten Besuch. „Na ja, was solls?“, dachte ich, „spare in der Zeit, dann hast du in der Not.“ Vielleicht war ihre Waschmaschine defekt oder diese Tracht würde zu lange brauchen, um wieder zu trocknen. Da ich die Fotos vorab begutachtet hatte, wusste ich, dass es wunderbare Aufnahmen waren. So konnte ich ihrem Erscheinen gelassen entgegenblicken.
„Ist der Chef im Haus, er hatte etwas für mich zu erledigen?“
Ich machte mir nach dieser Frage so meine Gedanken, erklärte ihr aber freundlich, dass ich nach wie vor der Chef sei und alles für sie erledigt hatte. Nachdem sie einen flüchtigen Blick auf die Fotos geworfen hatte, nahm sie ihre Kamera, bedankte sich mit den Worten: „Hoffentlich funktioniert jetzt alles, sonst sehen wir uns wieder“ und verließ das Geschäft. Gott sei Dank, alles war gut gelaufen und ich würde sie so bald nicht wiedersehen. Wenn ich Glück hätte nie mehr!
„Irren ist menschlich“, wie der Lateiner zu sagen pflegt. Zwei Wochen später stampfte sie abermals ins Geschäft. Interessanterweise noch immer im selben Dirndl, nur diesmal mit einem zinnoberrot dazupassenden Kopf. Sie verlangte nicht mehr den Chef, sondern schrie förmlich nach mir.«
Fritz Leiner nahm ein Schluck Bier und schielte zu dem neben ihm sitzenden, Terner. Das Pinkeln war ihm anscheinend vergangen. Dafür fielen ihm jetzt, in unregelmäßigen Abständen, seine Augenlider zu.
»Interessiert‘s dich nicht, oder was?«
»Ich schließe um diese Zeit immer wieder einmal die Augen, damit ich besser hören kann. Red nur weiter«, war Terners lapidare Antwort.
»Na dann ist´s ja guat«, Leiner setzte sein Glas ab, wischte sich mit seinem Hemdsärmel über den Mund und fuhr fort.
»Also, wäre ich doch besser in meinem Büro geblieben ... So war ich ihr und ihrer nervenzerfetzend krächzenden Stimme ausgeliefert. Eines musste man ihr lassen. Sie fackelte nicht lange und kam sofort auf den Punkt.
»Wollen Sie mich verarschen? Mich, Anselma von und zu Krähenhorst? Diese Kamera und Sie ... gehen mir schwer aufs Gemüt. In meinem Alter ist das ja schon gesundheitsgefährdend, junger Mann. Würde mein Mann – Gott hab ihn selig – noch unter den Lebenden weilen, wäre ich nicht ohne ihn hier aufgetaucht. Und er nicht ohne sein Gewehr.«
»Mit dieser wenig liebenswerten, dafür umso stimmgewaltigeren Einleitung knallte sie mir erneut einen Stapel Fotos auf den Tisch. Die Fotos unterschieden sich in keiner Weise von denen, die sie mir beim ersten Mal präsentierte. Während sie sich ihrem Beschimpfungsmonolog hingab, suchte ich nach einer Lösung, bevor ich mit ihr in einen Dialog trat. Mir kam die rettende Idee. Ich wollte erneut testen, wo der Fehler lag. Diesmal sollte die Kundin Fotos machen und ich wollte ihr dabei zusehen. Widerwillig, nachdem ich ihr etwas Zeit gegeben hatte, sich zu beruhigen, ging sie auf meinen Vorschlag ein. Sie nahm die Kamera und wollte ein Foto von mir

machen – vermutlich, um es in Bad Ischl zu plakatieren, und mich sowie die Firma an den Pranger zu stellen. Dazu hätte es aber niemals kommen können.
Wie du ja weißt, dürfen wir unsere Kunden nicht auslachen. Kunde ist König und so ein Scheiß, aber als ich nun mit ansehen musste, wie dieser alte Drache fotografieren wollte, wäre es beinahe passiert. Frau Anselma von und zu Krähenhorst hielt ihre Kamera nämlich verkehrt herum: Die Vorderseite der Kamera gegen ihren Kopf gerichtet. Sie visierte sich quasi selbst an. Keine Ahnung, was sie dabei sah, aber nachdem sie abdrückte und der Blitz ihre hohe Stirn hervorragend ausleuchtete, wäre ich beinahe weggebrochen vor lauter Lachen. Jetzt war mir klar, wie es zu der Schattierung, von Dunkel nach Hell gekommen war. So wie sie die Kamera hielt, würde niemals ein Foto den Weg in ein Album finden. Zumindest keines auf dem was zu erkennen wäre. Und dass sie niemand auf diesen Fehler hingewiesen hatte, lag vermutlich an ihrer überaus charmanten Art der Konversation.«
»Hast du dich getraut, sie aufzuklären?«, fragte Terner interessiert.
»Aber sicher. Ich bin Steirer und unser Leitspruch ist es: „Sagt´s den Leuten, was Sache ist, damit sie nicht deppert sterben.“ Und wie ich ihr das gesagt habe, das war erst genial.«
Leiner richtete sich auf. Steif, als hätte ihm jemand einen Besen in sein Hemd gesteckt saß er nun da. Sein ohnehin schmales Gesicht zog er dabei so gut es ging in die Länge.
»Mit ernstem Blick, gespitzten Lippen und nasalem Ton sprach ich, die für Anselma von und zu Krähenhorst damals sehr ergreifenden Worte: Es tut mir leid und es entspricht auch nicht meiner Stellung, Ihnen, Gnädigste, Ratschläge zu erteilen. Ich möchte Sie aber trotzdem auf einen kleinen Fehler hinweisen, der bei der Bedienung dieser Kamera nicht im Sinne des Erfinders liegt und entscheidend zur Verbesserung des Ergebnisses beitragen könnte.«
»Wie meinen?«, fragte sie mich und sah sich hilfesuchend um. Suchend deshalb, weil zu ihrer altersbedingten Fehlsichtigkeit noch das gleißend helle Licht des Blitzes gekommen war und sie im Moment nichts und niemanden erkennen konnte. Sie nahm nicht einmal Schattierungen war, die, das Einzige waren, das sie noch erkannte, wenn ihre Brille nicht

dort saß, wo sie hingehörte. – Nämlich … auf ihrer Nase. Womit wieder einmal bewiesen wäre, dass Eitelkeit bis ins hohe Alter ein Thema bleibt ... bei Frauen!
Als sie wieder einige Umrisse erkennen konnte, geleitete ich sie zum Ausgang. Plötzlich blickte sie mir romantisch in die Augen und sagte: »Na Herr Fritz, hätten‘S nicht einmal Zeit, bei mir vorbeizuschauen auf ein Schalerl Kaffee und eine Ischlerbäckerei?«
»Und, bist du hingegangen?«, wollte Terner wissen. Ein von fünf Bieren malträtiertes Augenpaar fixierte Leiner.
»Sicher nicht. Eines hab ich bei dieser Frau gelernt. Geld ist nicht alles im Leben und wer weiß, was die noch alles gehabt hätte, das zu erklären gewesen wäre. Ver-mutlich lauter so altes Klumpert, das noch aus der Kaiserzeit – Gott hab in selig - stammte.«
Unter Terners staunendem Blick, endete hier die Erzählung eines alternden Fotoverkäufers, der sich immer wieder gerne an seine Jugendzeit erinnerte.
»Ein dreifaches Hoch, Hoch, Hoch, dem kaiserlichen Geschichtenerzähler« und ... fügte Terner nasal hinzu, »Der Dank aller Zuhörer sei ihm gewiss.«
Leiner schnappte sich grinsend sein Glas und leerte den kümmerlichen Rest, in einem Zug. Olga stand an der Bar, blickte zu ihm und mit einem kurzen Nicken war ein frisches, kühles, Bier geordert.


© Alfred Stadlmann 2010

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 30.09.2010

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für meine Stammtischrunde

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