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Das Schwert des Damokles


Wer kennt sie nicht, die Prüfungsangst in der Schule. Das Schwert des Damokles schwebt über jenen Schülern, die es vorziehen, statt zu lernen, ihr Leben in Liederlichkeit zu verbringen. Dieses Schwert erzeugt noch in diesen Tagen dieselbe Wirkung wie in der ersten Hälfte des 4. Jahrhunderts v. Chr., wo es erstmals Erwähnung fand. Es sorgt sowohl für Angst als auch für Unwohlsein. Was wären die Folgen für einen Bedauernswerten, über dem es schwebt? Enorme Transpiration. Für das geübte Auge der Lehrer ist es ein Leichtes, daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen. Die Frage, ob sie den Schwindelzettel finden oder nicht, ist zu vernachlässigen. Die Chance in Kürze den erlauchten Kreis der Erwischten anzugehören, liegt bereits bei neunzig Prozent. Einen Ausweg aus diesem Desaster bietet die Möglichkeit, die Schule zu schwänzen. Somit der Prüfung, zu entgehen. Obwohl ... aufgeschoben ist ja nicht aufgehoben. Wer nicht in der Lage ist, bei einer Prüfung zu schummeln, ist vermutlich auch zu dämlich für professionelles Schuleschwänzen. Eine weitere Methode einer Schularbeit zu entgehen ist krank zu werden. Aber wie? Diejenigen, die ab und zu in Chemie aufgepasst haben, befinden sich in der glücklichen Lage zu wissen, wie man Fieber künstlich erzeugt. Auch das Internet kann dabei sehr hilfreich sein. Zu meiner Zeit gab es das leider noch nicht. Es gibt vielfältige Möglichkeiten, die Aufmerksamkeit des sagenumwobenen Schwertes auf sich zu ziehen. Bei diversen Scherzen, die wohl jeder Schüler im Laufe seiner Schulzeit einem Lehrer spielt, schwebt es bedrohlich über dem Haupt des Störenfrieds: das Schwert des Damokles.

An ihrem ersten Schultag. Lisa und Hansi sitzen mit Schultüten, die größer sind als sie selbst, im Klassenzimmer. Sie sind weit davon entfernt, Prüfungsangst zu empfinden. Auch das Schwert des Damokles ist ihnen noch kein Begriff. Am ersten Schultag scheint die Welt noch in Ordnung. Das ändert sich nach ein paar Tagen. Ihre Schultüten erfüllt gähnende Leere. Mama oder Papa sitzen nicht mehr nebenan in der Schulbank. Schluss mit lustig. Es beginnt der Ernst des Lebens und des Lernens. Das es dabei nicht immer tierisch Ernst zugehen muss, soll nachfolgende Geschichte veranschaulichen. Lassen sie uns eine kurze Rückschau halten, zu einem aufregenden Tag meiner Schulzeit. Es war einmal vor langer Zeit ...

Ich glaube mich zu erinnern, obwohl dies schon sehr lange her ist, dass ich gerne zur Volksschule gegangen bin. Das waren noch Zeiten. Unsere Lehrerin saß gemütlich am Lehrertisch und las ihre Burdahefte. Sie wartete darauf, dass wir unsere Kreise fertig malten. Ich zeichnete immer hochkonzentriert. Meine sich geschmeidig drehende Zunge unterstützte mich dabei. Mithilfe verschiedenfärbiger Jolly Buntstifte verunstaltete ich die Zeilen meines linierten A5 Schulübungsheftes. Rund waren meine Kreise zwar nie, aber schön bunt. Bunt trieb ich es auch mit den Lehrkräften, nachdem mich ein Wachstumsschub aus Arschhöhe der Erwachsenen befreite. Um alle Schandtaten aufzuzählen, die ich veranstaltet habe, fehlt hier der Platz. Es würde den Rahmen einer Kurzgeschichte sprengen. Vielleicht schreibe ich einmal ein Buch darüber. Aber die Geschichte, um die es mir eigentlich geht, die muss ich sofort erzählen.

Ich ging zu jener Zeit, 1977, in die 4a Klasse - erster Klassenzug - Hauptschule Liezen. Manche waren stolz darauf in der A-Klasse zu sitzen, (wie vor dem Elchtest auch noch die Mercedesfahrer) mir war es egal. Ich hielt mich von Haus aus für extrem clever, ging ich doch zuvor eineinhalb Jahre ins Gymnasium in Stainach. Warum nur eineinhalb Jahre? Na ich wollte Rockmusiker werden. Wozu braucht man Latein und den ganzen mathematischen Quatsch. Das behindert meine Karriere, dachte ich. Das einzige das ich brauchte nannte sich Blues, und der stand wiederum dem Lernen im Weg. In den Jahren in Stainach bekam ich aber eine solide Grundausbildung. Meinen Klassenkameraden in der Hauptschule war ich schulisch um Lichtjahre voraus. Ich brauchte circa ein halbes Jahr, bis ich meine Synapsen wieder auf Sparflamme brannten. An jenem Tag bewies ich das auf eindrucksvolle Art und Weise.

Es war kurz vor zehn Uhr, große Pause. Unser Religionslehrer war zur Gangaufsicht eingeteilt. Ein klein gewachsener Mann, der meist mit einem dunklen Rollkragenpullover bekleidet durch den Gang schlurfte. Darüber trug er sein schmuddelig dunkles Sakko. Die Jahreszeit spielte dabei keine Rolle. Zumeist blickte er nachdenklich zerknautscht drein. Das hatte aber mehr mit seinem Alter, als mit der Angst vor der Pausenaufsicht zu tun. Obwohl er immer unsicher schien und vermutlich zu Gott betete, dass die himmlische Ruhe bestehen bleibt. Er war nicht massenkonflikttauglich. Ich hatte mir für ihn etwas besonders Spaßiges ausgedacht. Meine Klassenkameraden sollten begeistert sein. Auf der Innenseite meines Federpennals befand sich eine Schaumstoffeinlage. Wahrscheinlich um die Füllfeder beim Wurf des Pennals zu schützen. Ich wusste aus einigen Versuchen, dass diese Einlage gut an der Kleidung haften blieb. Also entfernte ich sie aus dem Penal und schrieb eine Nummer darauf. Zu jener Zeit las ich vornehmlich Micky-Maus Hefte, natürlich aus Bildungsgründen. Die Panzerknacker hatten es mir dabei besonders angetan. Mit schwarzem Filzstift notierte ich in gut leserlicher Schrift ein paar Zahlen auf der weißen Schaumstoffeinlage.

761 - 167 war meine wahllos gewählte Kombination. In diesen Tagen würde ich in einer Zahlenkombination einen Code verstecken, damit meine Kollegen ein Rätsel knacken dürften. Damals wollte ich einfach nur Spaß. Den hatte ich auch, und mit mir die ganze Schule. Der Religionslehrer schlurfte, im Gebet versunken, an mir vorbei. Seine Aufmerksamkeit lag auf seinem Pausenbrot. Ein gezielter Wurf, die Nummer pickte auf seinem Sakko. Ich überholte ihn rechts: „Grüß Gott“, und mit einem süffisanten Grinsen entschwand ich aus seinem Blickfeld. Der hat nichts bemerkt, lachte ich mir ins Fäustchen. Gut lesbar nummeriert ging er in seiner eigentümlich gebückten Haltung durch den Gang. Es gab ein Getuschel und Gekicher, hauptsächlich bei den Mädchen, aber niemand verriet ein Sterbenswörtchen. Das Gelächter kam dem Relilehrer bestimmt komisch vor. Es wunderte mich, dass Gott ihm nicht zuflüsterte, was da auf seinem Sakko klebte. In diesen Tagen weiß ich, dass der Herr Relilehrer nicht immer nett zu kleinen Buben gewesen war. Gott hatte vermutlich auf seine Chance gewartet, ihn dafür zu bestrafen. So gab er ihn an jenem Tag der Lächerlichkeit preis. Man muss sich das einmal vorstellen. Alfred Stadlmann, der Vollstrecker des Herrn, der Erzengel Gabriel ... Wahnsinn. Zu jener Zeit gab es einen sehr populären Film: Die rechte und die linke Hand des Teufels, mit Bud-Spencer und Terence-Hill. In diesem Fall mimte also ich: Die gerechte Hand Gottes. Hätte ein Freund aus der Parallelklasse seinen Mund gehalten, wäre der Relilehrer bestimmt noch den ganzen Tag nummeriert herumgelaufen. Und Hannes, die alte Petze, hätte von ihm auch keine Ohrfeige bekommen.

Leider befand sich in meiner Klasse - ein Judas. So kam auch ich nicht ungeschoren davon. Nachdem sich der Druck, durch geschickte Fragestellung unseres Klassenvorstands erhöhte, wurde ich verraten. Mein Gang in die Direktion glich dem des Relilehrers, ich schlurfte, anstatt zu sprinten. Der Direktor drohte mir mit einem Schulverweis und das wegen so einer Kleinigkeit. Und hier schließt sich der Kreis. Auch über mir schwebte damals das Schwert des Damokles. Und das nicht nur einmal. Auf Intervention meines Vaters durfte ich dann doch an der Schule bleiben. Ich musste mich beim Religionslehrer entschuldigen und hoch und heilig versprechen, solche spaßigen Aktionen in Zukunft zu unterlassen. Einige Zeit ist mir das auch gelungen ...

Zu Hause angekommen, übernahm mein Vater meine Rolle und wirkte als: „Die gerechte Hand Gottes!“

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 30.08.2010

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für meine Lehrer

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